Be_WERTE_n Religion in der Wertebildung - Religion und "Werte": Keine selbstverständliche Verbindung - Diözese Innsbruck
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Ausgabe 01/2020 | 32. Jahrgang, März 2020 be_WERTE_n Religion in der Wertebildung Darf die Medizin alles, was sie kann? Religion und „Werte“: Werte im ethischen Nachdenken über Keine selbstverständliche Verbindung Fragen der Fortpflanzungsmedizin
INhalt 3 Peter Trojer VORWORT Regina Polak 4 Religion in der Wertebildung Ursula Rudiger & Mirjam Hofmann Lebenswelten 2020 – 8 Werthaltungen junger Menschen in Österreich Markus Frischhut 10 Werte der EU und in der EU Fünf Blitzlichter 12 Was mir wichtig ist Ulrike Swoboda Werte im ethischen Nachdenken über Fragen 14 der Fortpflanzungsmedizin Josef Quitterer 16 Was sind Werte – wie komme ich dazu? Wolfgang Palaver 17 Christliche Ethik als politische Ethik Maria Plankensteiner-Spiegel 18 „Es ist ein Prozess!“ Bernhard Lammer 20 AV-Medienstelle Bernhard Lammer 22 ... 23 Personalia und Impressum Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung der Autorin / des Autors wieder und müssen nicht der Meinung der Herausgeber entsprechen. Die Nennung bei den Personalia erfolgt mit Einverständnis der Genannten. 2
Verehrte Kolleginnen Dr. Peter Trojer, Rektor der Kirchlichen Pädagogischen und Kollegen! Hochschule Edith Stein In vielen (Lebens-) Bereichen entscheiden geht Wolfgang Palaver der Frage nach, wel- Zahlen und Quoten über Qualität oder Ver- che gesellschaftlichen Werte sich aus dem sagen, über „Wertvoll“ und „Wertlos“. „Werte christlichen Menschenbild ergeben. liefern, das können andere auch“, titelte die FAZ im November 2018 zur Frage der Zukunft Ethische Fragen des Europarechts sind das der Volkskirchen.1 Aber vielleicht denken Sie Thema von Markus Frischhut, der auch im beim Thema be_WERTE_n an Unterricht und Hochschullehrgang Ethik an der KPH Edith Schule, wo man heute oft lieber von Bewer- Stein lehrt. Josef Quitterer schreibt zu Werten ten und nicht von Beurteilen spricht. aus philosophischer Sicht. Wie Sie im Bezug auf diese Ausgabe des ÖKUM Mit mehreren Vignetten wird der Blick vom wahrscheinlich schon festgestellt haben, geht Allgemeinen und Theoretischen auf das Indi- es um die Werte, mit denen sich Ethik, Phi- viduelle und Praktische gelenkt; es kommen losophie und auch die Sozialwissenschaften PädagogInnen zu Wort, die von ihren Erfah- beschäftigen. Was sind nun diese Werte, wie rungen und Gedanken zum Thema berichten. entstehen sie und welche Bedeutung haben sie für Individuen und Gesellschaft? Die Frage „Was ist dir wichtig?“ ist auch die zentrale Frage der in Vorbereitung befind- Im Regierungsprogramm 2020 werden die lichen großen Wertestudie „Lebenswelten“, Werte ungefähr siebzehnmal thematisiert. an der sich alle Pädagogischen Hochschu- Bereits in der Präambel ist die Rede von len beteiligen. Damit werden Werthaltungen der europäischen bzw. österreichischen von Jugendlichen erhoben. Ursula Rudigier Rechts- und Werteordnung, die es zu schüt- und Mirjam Hoffmann, die zuständigen Pro- zen und zu bewahren gilt. Gemeint sind jektleiterinnen an der KPH Edith Stein, be- damit „Verfassung, Rechtsstaat, Demokratie, richten über dieses Vorhaben. Grundrechte – und unsere Werte und Tradi- tionen“. Formulierungen dieser Art machen Um noch einmal auf den Anfang zurück-zu- es nicht ganz einfach, herauszufinden, was kommen: Ganz ohne Werte als Begriff der Werte nun wirklich sind. Sind etwa Freiheit, Wirtschaft kommen wir auch im ÖKUM nicht Gerechtigkeit, Toleranz, oder gar Altruismus aus. Maria Plankensteiner begibt sich in die jene Werte, die unserer österreichischen Rolle der Marketingexpertin und macht sich bzw. europäischen Rechtsordnung, die sich Gedanken über den Markenwert von Religi- in Grundrechten, Demokratie, Verfassung on und Religionspädagogik und wie dieser manifestiert, grundgelegt sind? Wenn ja, ist gesteigert werden könnte. immer noch zu fragen, woher die Gewiss- heit kommt, dass diese Werte die richtigen Es lohnt sich, den einen oder anderen Bei- Wegweiser für unser individuelles und ge- trag auch zwei- oder dreimal zu lesen und sellschaftliches Leben sind. darüber nachzudenken. Ich wünsche dabei viele wertvolle Impulse. Regina Polak widmet sich in ihrem Beitrag der Problematik des Wertebegriffs und setzt Ihr sich mit der Frage auseinander, wie Werte- bildung vor sich geht und welche Rolle Reli- gion in diesem Kontext spielt. Dazu passend Peter Trojer 1 https://www.faz.net/-gsf-9ghad; [abgerufen am 28.01.2020] 3
RELIGION Regina Polak, Assoz.-Prof., MMag. Dr., Institut für Praktische Theologie der Universität Wien in der Wertebildung Religion und „Werte“: Keine selbstverständliche Verbindung Seit Josef II. gehört die pädagogisch-poli- Spannung zu verstehen, muss man die Ge- tische Verbindung von Religion und Moral nese des Wertebegriffes kennen. Aus einer zur Tradition. Der aufgeklärte Monarch hatte theologischen Religion zum Wohl und zur Erziehung an- Ursprung und Probleme Perspektive sind die ständiger und dem Staat gehorsam dienen- des Wertebegriffes Identifikation bzw. der Bürgerinnen und Bürger in Anspruch Der Wertebegriff entstammt ursprünglich Reduktion von Re- genommen. Dass er zugleich die kontem- nicht der Welt der Religionen, sondern der ligion mit bzw. auf plativen Orden aufließ, passte zu (s)einem Ökonomie: Werte sind quantitativ messbare Moral keinesfalls „aufgeklärten“ Verständnis von Religion, Größen, die sich im Rahmen von Tausch- selbstverständlich. das diese auf ihren gesellschaftlichen Nut- verhältnissen ergeben. In der Philosophie zen hin befragt und auf Moral reduziert. Die taucht der Wertebegriff erst im 19. Jahrhun- transzendenten Hoffnungen und Verheißun- dert bei Friedrich Nietzsche auf. Dieser kon- gen des christlichen Glaubens, wie z.B. die statierte in Europa einen fortschreitenden Transformation der gesamten Schöpfung in Prozess der „Entwertung der obersten Wer- eine gute und gerechte Welt für alle und je- te“: den Nihilismus. Dessen Konsequenz sei den und jede Einzelne(n), verloren demge- der radikale Verlust des Vertrauens in eine genüber an Relevanz bzw. wurden sie indi- absolute Instanz, die die universale Gül- vidualisiert und privatisiert. tigkeit ethischer Prinzipien sichert. Im Bild vom „Tod Gottes“ wird diese Erfahrung zum Aus einer theologischen Perspektive sind Ausdruck gebracht. Zu Beginn des 20. Jahr- die Identifikation bzw. Reduktion von Re- hunderts wurde in der Philosophie dann ligion mit bzw. auf Moral keinesfalls selbst- darüber diskutiert, ob Werte vom Menschen verständlich. Denn der Wertebegriff steht unabhängig „an sich“ existieren („Wertob- mit dem Selbstverständnis insbesondere von jektivismus“) oder nur subjektiv für jeman- Judentum, Christentum und Islam in einem den gelten („Wertsubjektivismus“). gewissen Spannungsverhältnis. Um diese 4
Viele Theologinnen und Theologen begeg- schen Traditionen. Umgekehrt ist auch der nen dem Wertebegriff aufgrund dieser Her- Glaube an Gott in diesen drei Religionen kunft daher bis heute eher reserviert. Denn untrennbar mit dem Ethos der Offenbarung ohne Bezug auf eine universale Transzen- verbunden. Wer sie ablehnt, mag an einen denz gibt es keine Möglichkeit, allgemein- Gott glauben – aber er glaubt nicht an jenen gültige ethische Prinzipien oder Urteile zu Gott, der vom Tenach, von der Bibel und im entwickeln. Der Verlust des ethischen An- Koran bezeugt wird. So konnte man in der spruchs auf Universalität kann zu einem Re- NS-Zeit durchaus „gottgläubig“ sein, solange lativismus führen, an dessen Ende nur mehr das Ethos und die Institutionen, die sich mit der menschliche Wille und Macht darüber dem biblischen Glauben an Gott verbinden, entscheiden, welche Werte gültig sind. Auch die politische Machtausübung nicht störten. ein gegenständliches Verständnis von Wer- Von christlichen Werten zu sprechen, ist da- ten, die „objektiv“ vorliegen – gleich, ob her aus der Sicht des ethischen Monothe- außerhalb oder innerhalb des Subjektes –, ismus nur dann möglich, wenn sich diese reduziert den Akt ethischer Urteilsfindung im Ethos der Heiligen Schriften verankern. auf positivistische Selbstbehauptung. Die Die Rezeption des modernen Wertebegriffes Kritik am ökonomischen Ursprung des Wer- erfolgt deshalb von Seiten der ethischen Mo- tebegriffes bringt wiederum Hannah Arendt notheismen nur mit gewissen Spannungen. auf den Punkt: Die Reduktion von Ethik auf Werte führe zu einer Vernützlichung, Ver- Wertebildung als Wertepraxis gesellschaftung und Austauschbarkeit von Selbstverständlich anerkennen auch Juden- Werten, die auch vor der Verrechenbarkeit tum, Christentum und Islam seit jeher die Selbstverständlich und Verwertung des Menschen nicht Halt Autonomie der ethischen und moralischen anerkennen auch machen werden. Aus der Sicht von Juden- Vernunft. Lange vor der europäischen Auf- Judentum, Christen- tum, Christentum und Islam ist der Werte- klärung wussten sie um die zentrale Rolle tum und Islam seit begriff überdies deshalb problematisch, weil einer freien und interpretatorischen Ver- jeher die Autonomie sich Werte im allgemeinen Sprachgebrauch nunft bei ethischen Reflexionen. Allerdings der ethischen als Resultate einer radikal autonom gedach- gehen sie davon aus, dass diese dem Men- und moralischen ten Vernunft verstehen. schen angeborene bzw. von ihm soziokul- Vernunft. turell erlernte Moralität der Bildung bedarf: Religion und Ethos mithilfe der geoffenbarten sowie vernünftig Gleichwohl: Die monotheistischen Religio- reflektierten ethischen Normen und Prinzi- nen sind selbstverständlich konstitutiv mit pien, Geboten und Gesetzen. Das ethische ethischen Konzepten verbunden. Aber die Lernen spielt daher seit jeher in diesen drei ethische Vernunft des Menschen ist aus ih- Traditionen eine zentrale Rolle. rer Sicht nicht absolut autonom, sondern relational, d.h. sie anerkennen neben der Für Judentum, Christentum und Islam ist menschlichen Vernunft auch eine hetero- Religion eine gelebte Realität, d.h. eine Le- nome Quelle, der sie ihre Werte verdanken bensform, die das gesamte Leben und alle und vor der sie sich zu rechtfertigen haben: Lebensbereiche prägt. Wertebildung orien- die Offenbarung einer göttlichen Autorität tiert sich daher in erster Linie an der Praxis und eines damit verbundenen Ethos. Des- von Werten: Werte erschließen ihren Sinn in halb spricht man in Judentum, Christentum Praxiszusammenhängen, orientieren, stimu- und Islam bevorzugterweise von Regeln und lieren und kritisieren diese und umgekehrt Vorschriften, Prinzipien und Normen, Gebo- werden sie auch primär in der Praxis weiter- ten und Gesetzen. Auch diese unterliegen gegeben. Wertebildung ist kein rein intellek- freilich der freien und vernünftigen Inter- tueller, sondern ein elementar existenzieller pretation und sind daher konstitutiv plural. Weg und ein Lebensprozess, in dem sich Aber von der Offenbarung Gottes her sind Fühlen, Handeln und Denken verschrän- einer grenzenlosen Pluralität Grenzen ge- ken. Religionen wissen daher seit jeher, setzt. So sind beispielsweise der Schutz des dass Wertebildung ein Sozialisationsprozess Lebens, die Würde und Einzigartigkeit jedes ist: Werte werden gelernt, indem sie gelebt Menschen, die Gleichheit aller Menschen und immer wieder mithilfe der ethischen oder eine Gerechtigkeit, die sich auch am Wohl der Marginalisierten orientiert, unauf- hebbare ethische Normen der monotheisti- Vernunft reflektiert werden. Religion ist em- bedded religion: eingebettet in den Alltag. o 5
Zeitgenössische religionspädagogische -pädagogen, diese als Ausgangspunkt ethi- Konzepte scher Bildung zu rezipieren. Werte sind die Heute hat der Wertebegriff im deutschspra- erfahrungsbasierte chigen Raum eine scheinbar selbstverständ- Der Legitimationsdruck, dem Religionsge- Grundlage für liche Rolle im Kontext religiöser Bildung meinschaften als Akteure in Bildungspro- ethische Urteile. gefunden. Dazu haben einerseits gesell- zessen ausgesetzt sind, hat überdies dazu schaftspolitische Interessen beigetragen, die geführt, dass die Religionspädagogik eine von außen an die Religionsgemeinschaften überaus differenzierte Forschung vorlegen herangetragen werden, wie z.B. ethische kann, wie sich Werte und Religion in der Bildung oder gesellschaftliche Integration. Wertebildung zueinander verhalten können Andererseits hängt diese Rezeption auch mit und sollen. Werte entstehen aus religions- Eigeninterinteressen religiöser Institutionen pädagogischer Sicht im Zusammenspiel aus zusammen, die dadurch ihre (erodierende) konkreten Alltagserfahrungen, institutionel- gesellschaftliche Relevanz legitimieren wol- ler Vermittlung (durch Schulen, Recht, Lehr- len. Nicht zuletzt aber liegen zwischenzeit- häuser, Bildungsinstitutionen) und ethischer lich auch wissenschaftliche Konzeptionen Reflexion. Aus sozialisationstheoretischer des Wertebegriffes vor, die der Theologie wie bildungswissenschaftlicher Perspekti- und Religionspädagogik Anschlussmög- ve hat der religiöse Bildungsprozess dabei lichkeiten an diesen eröffnen. So hat z.B. sekundären Charakter: Die durch primäre der Religionssoziologe Hans Joas Werte als Sozialisation erworbenen Wertevorstellun- „mental-psychisch verinnerlichte Erfahrun- gen und -praxen erhalten durch religiöse gen der Selbsttranszendenz und Selbstbin- Traditionen eine Möglichkeit der (selbst) dung“ definiert, „in deren Rahmen Men- kritischen (Selbst)Reflexion, indem sie auf schen von Lebenswirklichkeiten, die ihnen ethische Konzeptionen der jeweiligen religi- widerfahren, so ergriffen werden, dass sie ösen Tradition bezogen werden. Qualifizier- sich diese zu eigen machen“1. Werte sind te Werte bedürfen der ethischen Reflexion, demnach die erfahrungsbasierte Grundlage ja sie bilden sich überhaupt erst in solcher für ethische Urteile. In ihnen bringen sich Reflexion. Dies gilt auch für die spezifisch präreflexe Vorstellungen vom „guten Leben“ religiösen und sozialen Wertvorstellungen zum Ausdruck, die – mehr oder weniger und ethischen Überzeugungen der Religio- bewusst – das Handeln von Menschen lei- nen. In religionspädagogischen Konzepten ten. Weil jedoch nicht jede Vorstellung vom kommt der persönlichen Freiheit, dem indi- „guten Leben“ auch aus ethischer Sicht „gut“ viduellen Selbst und der Vernunft dabei eine ist, bedürfen Werte der kritischen ethischen fundamentale Rolle zu. Reflexion und Bildung. Überdies erschließt sich der Sinn von Werten auch immer erst in Gleichwohl besteht keinesfalls Einigkeit in konkreten praktischen Verwendungszusam- Bezug auf die konkrete Rolle von Religion Werte sind nicht menhängen. So können sich z.B. die Werte in der Wertebildung. Friedrich Schweitzer Entscheidungen, „Heimat“ oder „Solidarität“ mit politischen unterscheidet in den aktuellen Debatten sondern die Inklusions- oder aber Exklusionspraktiken mindestens sechs einflussreiche Optionen.3 Grundlage für von gesellschaftlich „Anderen“ verbinden. Fünf halten an einer konstitutiven Verbin- Entscheidungen; Der Sozialethiker Clemens Sedmak wiede- dung zwischen Religion und Werteerzie- Werte sind nicht rum definiert Werte als „Bezugsrahmen für hung fest, während eine Option Religion Bewertungen, Präferenzen; Werte sind nicht Entscheidun- als „Maß“ der Werteerziehung dezidiert aus- gen, sondern die Grundlage für Entschei- schließt. Entscheidend ist dabei jeweils die sondern Kriterien dungen; Werte sind nicht Bewertungen, Frage nach der Begründung von Werten: für Bewertungen; sondern Kriterien für Bewertungen; Werte Werte sind nicht sind nicht Wünsche, sondern Konzeptionen a. Nicht-religiöse Wertebegründung: Auf- Wünsche, sondern des Wünschenswerten“2. Solche erfahrungs- grund der Säkularität moderner Gesell- Konzeptionen des nahen, subjektbezogenen, präethischen schaften gelten religiöse Wertebegrün- Wünschenswerten. Konzeptionen von Werten erlauben es auch dungen in diesem Modell als obsolet. christlichen Religionspädagoginnen und Für gemeinsame Werte darf und soll es 6
nur mehr säkulare Begründungen ge- e. Religionstheologischer Maximalkon- ben. Die Entscheidung für gemeinsa- sens zwischen den Religionen: Auch me Werte kann nur mehr auf der Basis bei dieser Option, der zufolge die Re- einer Bindung an die freie Zustimmung ligionen ihre innere Einheit als Quelle aller Beteiligten erfolgen. für Wertebegründungen erkennen sol- len, handelt es sich um eine intellek- b. Entschlüsselung religiöser Potentiale: tuell faszinierende Abstraktion. Offen Insofern Religionen nach Jürgen Ha- bleibt die Frage, wie angesichts der bermas „verkapselte Bedeutungspo- unüberwindbaren Unterschiede in der tentiale“ innewohnen, optiert dieses Praxis ein solches Wertebildungskon- Modell dafür, die für die Gesellschaft zept konkret gelebt werden soll. und ihre Diskurse relevanten Bedeu- tungspotentiale zu entbinden und da- f. Differenzsensibler Dialog und Koopera- mit eine „egalitäre Gesellschaftsmoral“ tion: Friedrich Schweitzer selbst votiert mit einem Gemeindeethos zu verbin- für diese Option, die von bleibenden den. Religiöse Bürger müssten „das Differenzen zwischen verschiedenen Wissensprivileg der gesellschaftlich Religionen und deren Wertehaltungen institutionalisierten Wissenschaften ausgeht. Mit Rekurs auf Charles Taylor ebenso wie den Vorrang des säkularen und Michael Walzer könne der Beitrag Staates und der universalistischen Ge- von Religion zur Wertebildung nicht in sellschaftsmoral anerkennen“. Religion der Aufhebung oder gar Auflösung al- wird zum Erbe für säkulare Werte. ler Unterschiede zwischen Religionen und Kulturen bestehen, sondern ziele c. Öffnungsversuche und „Leitkultur“: Re- auf einen „fortgesetzten Ausgleich“ und ligion – in Europa die christliche – wird eine „differenzsensible Verständigung“. in diesem Modell zu einer kulturellen Dialog und Kooperation, die sich mit und ethischen Quelle für Wertebil- dieser Option verbinden, werden da- dungsprozesse („christlich-abendländi- bei als Medium angesehen, in dem sich sche Wertetradition“). Man beruft sich Werte bilden können. Im Unterschied auf die „Tradition“. Das Christentum zu säkular-universalistischen Ansätzen selbst verliert dabei seinen Bekennt- kommt den Religionsgemeinschaften nischarakter und vor allem seinen Bei- und ihren sozialen Institutionen dabei trag als soziales Bildungsmedium. eine wichtige Rolle zu. d. Ethischer Minimalkonsens zwischen Die Unterscheidung dieser verschiedenen den Religionen: Insbesondere das Pro- Optionen ist eine wertvolle Hilfe, die ak- jekt „Weltethos“ von Hans Küng for- tuellen und hitzigen Debatten rund um die ciert diese Option, demnach die zentri- Rolle von Religion in der Wertebildung pa- fugalen Kräfte der religiösen Pluralität radigmatisch einordnen und reflektiert mit- überwunden werden könnten, wenn gestalten zu können. Denn Konflikte rund sich die Religionen auf einen ethischen um dieses Thema werden die kommenden Minimalkonsens (Gewaltlosigkeit, Soli- Jahre intensiv begleiten. darität, Toleranz, Gleichberechtigung) 1 Hans Joas /Klaus Wiegandt (2005): einigen und diesen in die Gesellschaft Teile dieses Beitrags sind veröffentlicht in: Die kulturellen Werte Europas. Frankfurt/M., S. 200. einbringen. Abgesehen davon, dass die Regina Polak (2019): Auf Spurensuche: Religion im Kontext von 2 Clemens Sedmak (2005): Wertebildung, in: Roland Verwiebe (Hg.): Werte und Wertebil- Europäische Grundwerte. Werte in Europ, Ethiken zwischen oder auch innerhalb in: Ders. (Hg): Solidarität. Vom Wert der dung aus interdisziplinärer Perspektive, Wiesbaden, S. 137-165. der Religionen keinesfalls homogen Gemeinschaft, Darmstadt, S. 16. Julian Aichholzer, Christian Friesl, Josef Glavanovits, Sanja Ha- 3 Friedrich Schweitzer (2008): Religion als sind, bleibt offen, ob diese Werte Ge- jdinjak, Elisabeth Holzleithner, Sylvia Kritzinger, Konrad Paul “Maß” der Werteerziehung - oder: Hat meinsamkeit herstellen oder darstellen die Schleiermacher-Formel noch Zukunft, Liessmann, Regina Polak, Lena Seewann, Roland Verwiebe, in: V. Elsenbast/F. Schweitzer/G. Ziener sollen. Pädagogisch stellt dieses Modell Margarita Wolf: Die Einbettung der Wertedebatte: Ein inter- (Hg.): Werte-Erziehung-Religion. Beiträge disziplinärer Positionierungsversuch und seine empirischen von Religion und Religionspädagogik zu eine Abstraktion dar, das für das kon- Folgen, in: Christian Friesl et. al. (Hg): Quo Vadis, Österreich? Werteerziehung und werteorientierter krete Leben wenig Einfluss hat. Wertewandel zwischen 1990 und 2018, Wien, S. 12–35. Bildung, Münster, S. 28–38, 33ff. 7
LEBENSWELTEN Mirjam Hoffmann, Prof. Dr., Lehrende an der Kirchlichen Pädagogischen 2020 Hochschule Edith Stein, Hochschulstandort Stams Werthaltungen junger Menschen in Österreich Die Jugendstudie Lebenswelten gibt Ein- 0 1. Freizeit, Freunde, Arbeit und Beruf blick in die unterschiedlichen Lebenswelten 0 2. Zukunft, Ängste junger Menschen in Österreich und stellt 0 3. Ziele und Werte, Einstellungen zu ein gemeinsames Projekt aller 14 österrei- Religion, Partnerschaft chischen Pädagogischen Hochschulen dar 0 4. Politik, Integration und Minderheiten (www.jugendstudie.at). Im Fokus stehen 0 5. Lebensgefühl und Gesundheit dabei im Jugendalter relevante Fragen: 0 6. Bildung und Schule Wie sehen Jugendliche ihre Zukunft? Welche Die Befragungen werden im Klassenver- Ziele haben sie? Was ist ihnen wichtig? Was band in allen Schultypen durchgeführt. Ziel- erwarten sie von einer Partnerschaft? Wie gruppe sind Jugendliche zwischen 14 und sehen sie das Zusammenleben unterschied- 16 Jahren. Pro Bundesland wird eine Betei- licher Kulturen? Wie wichtig ist ihnen ihre ligung von 2.000 Schüler*innen angestrebt. schulische Ausbildung? Was tun sie in ihrer Damit wird ein repräsentatives Sample si- Freizeit und welche Erwartungen haben sie chergestellt und für jedes Bundesland wer- an ihren künftigen Beruf? den vielfältige Berechnungen ermöglicht. Die Daten werden anhand eines internet- Zusätzlich zur bundesweiten Erhebung wur- basierten Fragebogens erhoben, welcher in de ein Themenschwerpunkt zur Einstel- allen teilnehmenden Bundesländern mit fol- lung Jugendlicher zur (schulischen) Inklu- genden Hauptthemen zum Einsatz kommt: sion ausgearbeitet, welcher ausschließlich 8
Ursula Rudigier, Prof. Mag. BEd, Lehrende an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Edith Stein, Hochschulstandort Stams in Tirol erhoben wird. Bildungspolitischer Der Fokus der Lebenswelten-Studie soll im Hintergrund dieser Schwerpunktsetzung ist Tiroler Schwerpunkt auf der Perspektive der die Unterzeichnung der UN-Behinderten- Schüler*innen liegen: Wie und in welcher rechtskonvention im Jahr 2008, mit der sich Form haben Jugendliche Kontakt zu Men- Österreich verpflichtet hat, „ein inklusives schen mit Behinderungen und wie positio- Bildungssystem auf allen Ebenen“ (Art. 24) nieren sie sich ihnen gegenüber – seien es zu gewährleisten. Dazu zählt die Auflösung Mitschüler*innen, Verwandte, Freunde oder eines gesonderten Bildungssystems für Men- Bekannte? schen mit Behinderungen und die Schaf- fung eines inklusiven Schulsystems, wie es Der für den Tiroler Schwerpunkt entwickel- in Italien, Norwegen und einigen anderen te Fragebogenteil stellt das Thema Inklusion „Was ist wertvoll?“ europäischen Ländern bereits seit einigen von Menschen mit Behinderungen in den Jahrzehnten erfolgreich etabliert ist. Auch Mittelpunkt und greift dabei methodisch auf Eine österreichweite die 2015 von der UN-Generalversammlung das Maß der sozialen Distanz aus der Stig- Studie aller Pädago- verabschiedete Agenda 2030 für nachhalti- maforschung zurück2. Mit diesem Instrument gischen Hochschulen ge Entwicklung fordert die Gewährleistung wird die Bereitschaft der Befragten zu Inter- stellt diese Frage „inklusiver, gleichberechtigter und hoch- aktionen mit Mitgliedern einer stigmatisierten aktuell 18.000 wertiger Bildung“ (SDG 4). Bis heute fehlt Gruppe erhoben. Ein weiterer Teil des Fra- Schülerinnen und es dafür jedoch sowohl am notwendigen gebogens erhebt allgemeine Einstellungen Schülern. politischen Willen, als auch an tragfähigen zu den Themen Behinderung, zum gemein- Konzepten zur Umgestaltung des Bildungs- samen Unterricht und kooperativen Lernen. systems. Die im Nationalen Aktionsplan Be- hinderung 2012-2020 angestrebte Erhöhung Ausgehend von der oft vertretenen Ansicht, der Integrationsquoten an österreichischen dass in den letzten Jahren die Heterogenität Schulen sowie die Schaffung inklusiver Mo- der Schülerschaft im österreichischen Regel- dellregionen und deren sukzessive Auswei- schulsystem zugenommen hat, soll anhand tung stagniert seit Jahren. der Items des Gesamtfragebogens die tat- sächliche Vielfalt im Hinblick auf einzelne So stellt 2018 auch der österreichische Mo- Diversitätsmerkmale untersucht werden. nitoringausschuss für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in seinem Interessant erscheinen auch die Querverbindun- Bericht an die Vereinten Nationen fest, dass gen zu anderen in den Lebenswelten berück- es „in den meisten Bundesländern nach sichtigten Themenbereichen: Welchen Einfluss 1 Monitoringausschuss (2018): Monitor- wie vor massive Probleme hinsichtlich der haben Geschlecht, sozioökonomischer Sta- ing-Bericht an den UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Umsetzung inklusiver Bildung“ gibt1. Auch tus, Religiosität, kulturelle Herkunft oder eige- Behinderungen anlässlich des zweiten Konstruktiven Dialoges mit Österreich, der Nationale Bildungsbericht 2018 und der ne Behinderung der Jugendlichen auf deren Er- S. 29; https://www.monitoringausschuss. Rechnungshofbericht 2019 kommen zu dem fahrungen mit Menschen mit Behinderungen? at/download/berichte/MA_Genfbericht_ deutsch_2018.pdf; Schluss, dass Österreich noch immer weit [abgerufen am 22.01.202] davon entfernt ist, ein inklusives Schulsys- Die Ergebnisse der Jugendstudie Lebenswel- 2 Vgl. Baumann, A., Zäske, H., Decker, P. et al. (2007): Veränderungen in der sozialen tem für alle Schüler*innen, unabhängig von ten werden im Frühjahr 2021 veröffentlicht. Distanz der Bevölkerung gegenüber schizophren Erkrankten in 6 deutschen Behinderungen, sozialer oder kultureller Großstädten. In: Nervenarzt (2007) Herkunft zu implementieren. www.jugendstudie.at Vol.78, S. 787-795. 9
Markus Frischhut, Dr iur., Jean Monnet Lehrstuhl „EU Values & DIGitalization for our WERTE DER EU und in der EU CommuNITY (DIGNITY)“ am Management Center Innsbruck (MCI) Am Beginn der europäischen Einigung der erste Satz kann rechtlich durchgesetzt stand der Gedanke der Friedenssicherung werden, man denke nur an Verfahren we- durch wirtschaftliche Zusammenarbeit, wo- gen Verstößen gegen die Rechtstaatlichkeit; durch Krieg faktisch unmöglich werden die Werte im zweiten Satz sind hingegen sollte. Die Europäische Union (EU) jedoch rechtlich nicht durchsetzbar. Wie sollte ein auf eine rein wirtschaftliche Perspektive zu Verfahren gegen eine Gesellschaft aussehen, beschränken, greift zu kurz, da im Laufe die nicht ausreichend tolerant ist? Das Stich- der Zeit auch Menschenrechte hinzukamen, wort Toleranz führt uns schon zum dritten Von wirtschaftlicher bzw. sich 2009 die EU auch zu einer „Werte- Gedanken. Was ist der Inhalt dieser Werte? mGemeinschaft“ entwickelt hat. Zusammenarbeit Im EU-Recht finden sich dazu keine Defini- für Frieden hin Diese Werte der EU finden sich in Artikel tionen bzw. nur selten (z.B. bei Nicht-Dis- zu Werten. 2 EU-Vertrag.1 Der erste Satz richtet sich an kriminierung bzw. Menschenrechten) nähe- die EU und impliziert die Idee von Wer- re Konkretisierungen. Man kann sich diese ten, die es bereits vorher gegeben hat: „Die Werte sozusagen wie jeweils eine Schachtel Werte, auf die sich die Union gründet, sind vorstellen, die für einen bestimmten Begriff die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, (z.B. Pluralismus) steht, jedoch insofern Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlich- weitgehend leer ist, als diese jeweiligen Be- keit und die Wahrung der Menschenrech- griffe (noch) nicht mit Leben gefüllt sind. te einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.“ Der zweite Menschenwürde als Leitgedanke Satz ist inhaltlich weniger verbindlich und Ein anderes Beispiel ist die Menschenwür- adressiert nicht primär die Union: „Diese de, die ganz bewusst als erster Wert in Arti- Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer kel 2 EU-Vertrag genannt ist und auch den Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Plu- ersten Artikel der EU Grundrechte-Charta ralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, bildet.3 Wenn man sich das auch in Öster- Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleich- reich aktuell diskutierte umstrittene Thema heit von Frauen und Männern auszeichnet.“ der Sterbehilfe ansieht, so wird in den je- Werte, die mit (Hervorhebungen durch den Autor) Inwie- weiligen Debatten von manchen die Würde Inhalten zu fern diese Werte von den EU-BürgerInnen des Menschen als starkes Argument gegen befüllen sind. auch als persönliche Werte angesehen wer- jegliche Form der Sterbehilfe gesehen, an- den, sieht man anhand diverser EU-weiter dere wieder sprechen vom Recht eines je- Eurobaromter Umfragen.2 den Menschen, nach freiem Willen und „in Würde“ sterben zu dürfen. Wir sehen also, Rechtliche Qualität dieser Werte dass ein Wert von zwei verschiedenen Posi- Was kann über die Werte im EU-Recht fest- tionen in diametral entgegengesetzter Weise gehalten werden? Erstens, der erste Satz verwendet werden kann. richtet sich an die EU, der zweite an die Mitgliedstaaten bzw. konkreter an die Ge- Zumindest in der Literatur findet man einen sellschaft in den Mitgliedstaaten. Zweitens, breiten Konsens, wenn für die inhaltliche 10
Werte als Brücke zwischen EU-Recht und Ethik als Teil der praktischen Philosophie. 1 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ DE/TXT/?uri=OJ:C:2016:202:TOC; [abgerufen am 22.01.2020] 2 Vgl.: Eurobarometer 77 (2012), die öffentliche Meinung in der Europäischen Union, Europäische Kommission (Hg.), Konkretisierung des zentralen Wertes der Jean Monnet Lehrstuhl für Ethik und Werte Luxemburg, S. 9, 12; Eurobarometer Menschenwürde auf das Verständnis von wurde die Frage untersucht, welchen ethi- 74 (2010), S. 32, 33; Eurobarometer 72 (2009), Vol. 2, S. 148, 152; Eurobarome- Immanuel Kant abgestellt wird, wonach der schen Ansatz die EU verfolgt.7 Dabei wur- ter 69 (2008), 1. Values of Europeans, S. Mensch keine Sache ist und nicht „bloß als de argumentiert, dass für diesen „ethischen 15, 22; Eurobarometer 66 (2007), S. 28. 3 „Die Würde des Menschen ist unantast- Mittel gebraucht werden kann“, sondern „je- Ansatz“ der EU auf die Werte und die Men- bar. Sie ist zu achten und zu schützen.“, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/ derzeit als Zweck an sich selbst betrachtet schenrechte abzustellen ist.8 Werte können DE/TXT/?uri=OJ:C:2016:202:TOC; werden“ muss.4 sozusagen als Brücke zwischen dem recht- [abgerufen am 22.01.2020] 4 Immanuel Kant, (1724-1804) Ground- lichen und dem philosophischen Bereich work of the Metaphysics of Morals: Edited and translated by Mary Gregor Zwar finden sich im EU-Recht neben den gesehen werden. and Jens Timmermann, Cambridge, genannten allgemeinen Werten auch wei- 2014, S. 68. 5 Vgl. https://eur-lex.europa.eu/ tere spezielle Werte, diese sind jedoch zu- Aktuell werden Werte und Ethik intensiv legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX- meist nicht verbindlich. So z.B. im Gesund- im Kontext der durch die Digitalisierung :52006XG0622(01); abgerufen am 22.01.2020 heitsbereich5 oder im Bereich des Sports,6 (Künstliche Intelligenz, Robotik, etc.) ent- 6 Vgl. https://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX- wo „Werte wie gegenseitiger Respekt, Fair- standenen Herausforderungen diskutiert.9 :52018XG0608(03); play, Freundschaft, Solidarität, Toleranz und Aber auch für uns als Gesellschaft ist es [abgerufen am 22.01.2020] 7 Für weitere Informationen (wie auch Vor- Gleichheit“ postuliert werden. Gerade die wichtig, diese weitgehend leeren Schach- träge an bzw. für Schulen), siehe: https:// research.mci.edu/de/jean-monnet-chair; Menschenwürde wird beispielsweise oft mit teln mit Inhalt zu befüllen und uns darüber [abgerufen am 22.01.2020] „Respekt“ übersetzt. Gedanken zu machen, was diese Werte für 8 Vgl. Markus Frischhut (2019): The Ethical Spirit of EU law, Cham: Springer Open. unser Zusammenleben bedeuten. Es liegt an 9 Anna Jobin, Marcello Ienca, Effy Vayena Im Rahmen des von der EU eingerichteten uns, diese mit Leben zu befüllen. (2019): The global landscape of AI ethics guidelines, Nature Machine Intelligence, und nach ihrem Gründungsvater benannten S. 389f. 11
Was mir Ulrike Rainer, Direktori n der NMS Pembaurstraße , Innsbruck Unsere Schule, die NM S Pembaurstraße, wird großteils von SchülerIn nen mit nichtdeutsche Muttersprache besucht. r Diese bringen multikult relle Rahmenbedingung u- en aus 26 Nationen mi t. Neuner, Unsere SchülerInnen mü Christine n ssen GEMEINSAM die e lig ionslehreri Pflichtschule besuchen Mag., R u m Te lf s , GEMEINSAM die Anfor a si derungen des Lehrplan - am Gymn s erfüllen, GEMEINSAM lernen, GEMEINSAM de n Alltag meistern, oft au streiten und hier GEME ch INSAM Konfliktlösungs- einen strategien erlernen. s B e WERTen de d a auch ic h stellt gera h e n W ert, aber Fü r m sch li c Leben Wir als Schule haben un e rz ic h tb aren men n g d a r. Weil das s zum Ziel gesetzt, Inte- unv forderu inen Aus - gration im Alltag zu leb e Heraus ir auch e en, mit dem Ziel, Resp eine groß u c h e n w un nd g u und Toleranz des “And ekt oll ist, bra erantwort ersseins” kennenzulerne so wertv it g ro ß e r V kommen und sich auf Augenhöh n d a für, der m z u r Sprache e zu begegnen. Dabei d ru c k wie d e r rtneut- wollen wir auch Eltern ts a m k e it immer e ll s c h a ft , eine we und Erziehungsberech Ac h ie Ges erreichen, deren Blickwi tigte e wertfre icht. nkel erweitern, um de muss. Ein t e s fü r mich n Kindern und Jugendlich n le g ib en neue Perspektiven rale Schu inem zu geben. Das kann fun h e ic h aus me ktionieren, wenn man g be z ie ekennt- unterschiedliche Lebens in e B e WERTun s s io n , m einem B e - weisen, unterschiedli- M , meiner Konfe ensch ge che Voraussetzungen erk ennt und respektiert, Glauben n d e n G ott, der M ra ft zum das Anderssein als Poten e in e m liebe u b e n , der K nis z u la tial für Originalität nützt einem G ichzeitig und daraus ein gemeins ist; aus m ib t und gle ames Ganzes entstehen worden r Ge is te r g r stellt. lässt. Dabei versuchen n te rs c h eiden de ti v a n m ich selbe wir, frei von Bewertung U orrek zu agieren. WIR beobach gliches K ten, verbalisieren unser ein tagtä Gefühle, geben zu verst e ehen, was WIR brauche Der Begriff „WERTE” ist n. für mich als Schulleiteri einer NMS unmittelbar n mit unserer WIR-STUND (Werte – Interkulturelle E s – Respekt) verknüpft. WIR sind sehr neugier ig auf das, was WIR all feiern, wie WIR unsere e Feste gestalten, auf die Kraft der Tradition, als o was Eltern und Groß tern an ihre Kinder we el- itergeben; auf Rituale un die Qualität von Familie d nfesten, wie Geburtstag Allerheiligen… e, WIR müssen der Jugen d die WERTE vorleben und sie GEMEINSAM mi t ihr leben… 12
wichtig ist Tobias und beck, Val Schüler des entin, Julia Leim PH Edith Stein G e nti n K siums Telfs ymna- Stud die ge- e rt fü r mich ist ste W hrer- Unsere bzw. e r w o h l wichtig g , n ic h t nur im Le meine Werte D ätzun chule. D ie sind vor alle e Wertsch ganzen S che, die meine Werte sind - ni m sol- genseitig in d e r la s s e n, cht die irgend , sondern in den K Gottes, einer eines kollegium ll te a u c h igen h tl ic Institution od er Autorität, tzung so schen, e mir fordert, na di e von Wertschä s e n h e rr hule. ch deren Wer ten zu denken is c h e n den Klas e n in einer Sc zu handeln. A z w ns c h igen llgemein lässt sich sagen, da und is c h e n allen Me r m ic h gegenseit zw ngt fü n meine Werte ss sich tzung bri ur so kan haben, die ic aus den Erfa hrungen ersc Wertschä u e n m it sich. N , w a s ra keln h in meinem hl os sen und Vert ft entwic Leben gemac Respekt e in s c h a c h u le Sehr wohl gibt ht habe. gute Gem in der S pirieren und es aber Persön lichkeiten, die sich eine d a s s s ich jeder d e n Mit- mich in meine ins- r F o lg e hat, n z e in es je z u ep ta und sen, wie z.B. Jordan Peterson m Denken be ei nflus- lf ü h lt . Die Akz in e g ro ße Rolle wo h spielt e r. oder Sam Har r Schule ng einhe ris. glieds de d e r W e rtschätzu h a b e nfalls mit eil Aus Lebensw geht ebe lu s io n ist die T n d r In k lt u eisheiten der rs in de a mmenha sonen und de zuvor genann Besonde . D e r Z u s llg - e n eigenen ch ten Per- e s je d e n wichtig S c h u le sollten a zügen ergibt si arakterlichen ein eine r ch eine gute Sa Grund- einschaft mmlung an W die Gem erten. sein. genwärtig a, a Brejch in Franzisk KPH Edith Ste e nti n Stud e Be- e in e vielseitig r mich r etwas e rt“ hat fü h darunte Das Wo r t „ W ste h e ic u Wert e r s eits ver d e r einen z deutung . E in se in o anzu- a s wert zu o je manden Positive s: E tw a ls sie ist r tz u s c h ätzen, … w ie e r oder we , haben, kennen n u n d zu aner e n . nehme se h G u te d arin zu und das „Be- g e g e n ist das hin sich e d e r Medaille u b je k ti ves mit , Die Keh rseit etwas S in kann , d a d a s immer „ A b w e rten“ se r a n - werten“ s o m it auch ein ü b e rsehen o de n d h t bringt u vielleic e il d a s Positive nur w ird. eutet w ders ged n wir s s c h u le sollte Vo lk , um s o n e n in der e n fu ngieren Als Leh rpe r erIn n diese a ls U nterstütz n td e c k en, als hr und zu e der viel me m it te ln z u z e r stören o u ver ngen“ Werte z rc h „Bewertu ll d u eventue ssen. ü m m e rn zu la verk 13
Ulrike Swoboda, Mag., Vikarin (Pfarrerin in Ausbildung) in der Evangelischen Pfarrgemeinde Innsbruck-Christuskirche und Wissen- schaftliche Referentin am Institut für Öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie (Wien) Werte im ethischen Nachdenken über Fragen der Fortpflanzungsmedizin Darf die Medizin alles, was sie kann? eine der wichtigsten Fragen im Nachdenken „Sei vorsichtig mit dem, was du dir über die Fortpflanzungsmedizin: Darf die Darf die Medizin wünschst.“ Diese Worte spricht eine Mutter Medizin alles, was sie kann? Ja? Nein? Viel- alles, was sie kann? aus den USA im Dokumentarfilm „Future leicht? Ja – Nein – Vielleicht? Baby“ in die laufende Kamera. „Sei vorsich- tig mit dem, was du dir wünschst. Es könn- Ethisches Nachdenken te wahr werden.“ Der Wunsch der Frau ist Um über Ja-Nein-Vielleicht nachdenken zu in Erfüllung gegangen: Sie wurde Mutter – können, bedarf es einer Kompetenz – der Mutter von Drillingen. Sie hat die Drillinge Kompetenz des ethischen Reflektierens, des nicht selbst ausgetragen, sondern ihr Mann ethischen Nachdenkens. Soll es nicht ein- und sie haben dafür eine Leihmutter aus fach bei einer impulsiven Bewertung der „Sei vorsichtig mit Mexiko engagiert. Ihr wurden die im Labor verschiedenen Antwortmöglichkeiten blei- erzeugten Embryos in den Uterus transfe- ben, muss man sich mit SchülerInnen auf dem, was du dir riert. Der Arzt entschied sich für drei Em- eine Metaebene begeben. Dort gilt es, sich wünschst. Es könnte bryos. Die Eltern wussten davon nichts. Der ein Stück weit vom eigenen Alltagswissen wahr werden.“ Grund, warum man Frauen mehr als einen zu distanzieren und in aller Langsamkeit die unter dem Mikroskop entstandenen Embryo Antwortmöglichkeiten in Ruhe durchzuden- in die Gebärmutter klebt, liegt darin, dass ken. Um dieses Nachdenken zu bewerkstel- die „Baby-take-home-Rate“ nach IVF (In-vi- ligen, braucht es mindestens drei Grundbau- tro-Fertilisation) oder nach ICSI (Intrazyto- steine. plasmatische Spermieninjektion) ziemlich gering ist. Die Chance, dass sich auf diese Ambiguitätskompetenz Weise zumindest ein Embryo entwickelt, er- Der erste und wichtigste Baustein besteht Ambiguitätskompetenz höht sich dadurch signifikant. Man kann sich in der Ambiguitätskompetenz. Darunter ver- als die grundsätz- vorstellen, dass die Eltern – wahrscheinlich steht man die Bereitschaft, sich komplexen liche Bereitschaft, auch die Leihmutter – überrascht waren, als – häufig unbekannten oder auch sehr unan- sich komplexen klar wurde, dass drei von den Embryos zu genehmen – und vielleicht gar nicht mit dem Themen zu widmen lebensfähigen Babys heranwachsen werden. eigenen Leben in Bezug stehenden Themen Anhand dieser Geschichte stellt sich bereits zu widmen, z.B. der Fortpflanzungsmedizin 14
und der Frage, ob die Medizin alles darf, Nachdenkens zu sehen, denn es ist anstren- was sie kann. Dabei geht es nicht darum, gend – ohne Zweifel. Es gilt auch, das tri- eine abschließende Antwort auf die gestellte umphale Erleben eines Aha-Effekts im Blick Frage zu finden, sondern sie offen zu disku- zu behalten und das verbindende Gefühl, „Man sollte es tieren. Mutig gilt es, komplexe Fragen auch wenn man es als Gruppe und Einzelperson sich nicht zu mit komplexen Antworten zu würdigen und schafft, durch eine Frage hindurch zu tau- einfach machen.“ dabei als nachdenkende Gruppe und als chen. Fertig vorgegebene Denkwege sind Einzelperson bis zu einer erhellenden Ver- uninteressant und fordern die SchülerInnen einfachung (Gauck 2018) durchzudringen. nicht heraus mitzudenken. Beim ethischen Die erhellende Vereinfachung kann eine Nachdenken geht es darum, die eigenen weiterführende Frage sein oder eine persön- Denkwege zu entdecken, zur Sprache zu liche Tendenz nach reiflicher Überlegung. bringen und zu überprüfen, wie sie von den Auch die Tatsache der Verwirrung und das MitschülerInnen und der Lehrperson aufge- Zugestehen der Unentschlossenheit durch nommen werden. Denkfreude bezeichnet die lange Beschäftigung mit einem Thema damit eine grundsätzlich positive Haltung können so eine Vereinfachung darstellen, gegenüber Denkprozessen und ein bewuss- an der zu einem späteren Zeitpunkt wie- tes und strategisch ausgerichtetes Auftreten der angeknüpft werden kann. Wichtig bei gegen Denkunlust. der Ambiguitätskompetenz ist es, nicht bei einem Ja oder Nein oder Vielleicht stehen Wohlfühlen in der Vielfalt zu bleiben, sondern das Ja in seiner ganzen der Möglichkeiten Tiefe zu reflektieren, genauso wie das Nein, „Man sollte es sich nicht zu einfach machen genauso wie das Vielleicht, sowie diese drei – und zwar zweifach nicht: Weder durch Antwortmöglichkeiten jeweils miteinander Desavouierung [Kleinreden, Anm. US] von in Beziehung zu setzen. Einfachheitsbedürfnissen noch das gebann- te Starren auf Komplexitätszumutungen.“ Bildungsmut (Dürnberger 2019) Die evangelischen Kir- Der zweite Baustein des ethischen Reflektie- chen in Europa sprechen in Fragen der Fort- rens ist Bildungsmut. Wenn wir uns mit Fra- pflanzungsmedizin von einem Korridor: kla- gen der Fortpflanzungsmedizin auseinander- re Leitplanken bzw. Wände, innerhalb deren setzen, verwenden wir große Begriffe wie sich die Diskussion bewegen kann, mit viel Autonomie, Freiheit, Verantwortung, Recht, Platz dazwischen für Denkbewegungen in Gesellschaft, Fürsorge und Menschenwürde. alle Richtungen und vor allem genügend Diese Begriffe sind in ihrer Bedeutung erst Platz, um seine eigenen Denkwege zu be- einmal leer. Durch ihre allgemeine Offenheit schreiten. Manchmal ist der Korridor weiter, bieten sie wunderbare Begegnungszonen manchmal schmaler. Wo man sich als Grup- und tragen gut durch Diskussionen und De- pe trifft, kann sich von dem Ort des eige- Die evangelischen batten. Trotz der Abstraktheit dieser Begriffe nen Standpunkts unterscheiden. Widersprü- tauchen innere Bilder (Sprachbilder, Sätze, che haben innerhalb des Korridors genauso Kirchen in Europa Szenen) in uns auf, wenn wir sie hören. Un- Platz wie unterschiedliche Ansichten. „Denn sprechen von einem ter Bildungsmut versteht man, diese inneren Einigkeit ist gut, aber Unterschiede sind bes- Korridor. Bilder der großen Begriffe so nach außen ser (und realistischer).“ (Juul/Jensen 2019) zu kommunizieren, dass andere in der Lage sind, mit (??) nach-zu-denken. Bildungsmut ist also vielmehr ein Bildermut und die Fä- Literatur und Medien: higkeit, mit seinen eigenen inneren Bildern Maria Arlamovsky, Dokumentarfilm: „Future Baby“, 2016. in einen guten Austausch mit anderen zu Thomas Bauer (2018): Die Vereindeutigung der Welt. Über den kommen. Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt, Ditzingen, Reclam Verlag. Joachim Gauck, „Mut zu einer erhellenden Vereinfachung“, Kurier, Denkfreude 21. Jänner 2018; https://www.pressreader.com/austria/kurier- 3402/20180121/282690457610689 Der dritte Baustein für ethisches Nachden- [abgerufen am 25.01.2020] ken ist sozusagen Grundlage, Weg und Ziel Jesper Juul, Helle Jensen (2019): Vom Gehorsam zur Verant- jeglichen Nachdenkens: die Denkfreude. wortung. Wie Gleichwürdigkeit in der Schule gelingt, Weinheim Ambiges Denken und Bildungsmut funk- (Beltz Verlag) 8, S. 273 (ebook). tionieren nicht ohne Denkfreude. Es gilt, Martin Dürnberger, „Weil es einfach nicht einfach ist…“, Die Furche, 75. Jg., 25. Juli 2019, S. 3. nicht nur die Anstrengung des ethischen 15
Josef Quitterer, Was sind Werte – wie komme ich dazu? ao. Univ.-Prof. Dr., Institut für Christliche Philosophie der Universität Innsbruck Wir leben in einer Welt, die uns nicht Wohlbefinden, Bildung, Freundschaft oder gleich-gültig ist. Fast alles, womit wir es zu Liebe sind als ‚Werte‘ von den Dingen ver- tun haben, wird von uns in irgendeiner Wei- schieden, die wir bewerten. Sie können se bewertet. Der Schreibtischstuhl, auf dem nämlich durch ganz unterschiedliche Ge- ich sitze, ist mehr oder weniger bequem, gebenheiten realisiert werden. Körperliches stellt für mich also einen gewissen Wert dar. Wohlbefinden kann auch durch ein Wiener Kaffeetassen, Mehlspeisen, Restaurants, Au- Schnitzel oder durch ein Tofugericht erreicht tos oder Universitäten werden von uns als werden. Bildung kann auch im Selbststudi- mehr oder weniger gut bewertet. Unsere um erworben werden usw. Werte sind also Lebenswelt besteht also nicht aus neutralen im Unterschied zu den konkreten Gegeben- Fakten, vielmehr sind alle uns betreffenden heiten, die wir bewerten, etwas Allgemei- Gegebenheiten oder Dinge bereits durch nes. Nehmen wir zum Beispiel den Wert des unsere Bewertungen als mehr oder we- Goldes. Der einzelne Goldklumpen ist wert- niger gut, geeignet, schön, angenehm etc. voll, der Wert, den er hat, ist aber etwas, das vorimprägniert. Bewertungen von Situatio- er mit sehr vielen wertvollen Gegebenheiten nen, Gegenständen oder Lebewesen wer- (Aktien, Währungen, Kunstgegenständen) den von uns aber nicht einfach erfunden, gemeinsam hat. Da dieser Wert allgemein sie ergeben sich aus unseren Bedürfnissen. ist, kann er auch durch Zahlen oder Begriffe Mehlspeisen sind wertvoll, weil sie gut sind definiert werden. für unser leibliches Wohlergehen, Kaffee- tassen benötigen wir zur Aufnahme eines Diese Allgemeinheit von Werten macht sie sehr wichtigen Genussmittels, Universtäten auch zu etwas, das von verschiedenen Per- dienen unserem Bedürfnis nach Bildung. Es sonen geteilt werden kann. Wir können uns scheint somit klar zu sein, dass Bewertun- über Werte verständigen. Dass sich fast alle gen für uns lebensnotwendig sind. In einer Menschen darüber einig sind, worin der all- gleichwertigen Umgebung könnten wir un- gemeine Wert von Geld, Währungen und sere Lebensbedürfnisse nicht verwirklichen. Aktien besteht, ermöglicht den weltweiten Handel und bildet die Grundlage für unser Dinge und andere Gegebenheiten sind also Konsumverhalten. Ohne die Allgemeingül- nicht von sich aus mehr oder weniger wert- tigkeit von Werten wie Gerechtigkeit, Soli- voll für uns. Wir schreiben ihnen einen Wert darität und Menschenwürde gäbe es keinen zu, insofern sie uns bei der Erfüllung unse- demokratischen Rechtsstaat. Wenn Werte rer Bedürfnisse nützen. Wir bewerten Dinge, wie diese aber nicht mehr von den handeln- weil sie für uns einen Wert haben. Diesen den Personen geteilt werden und ihre All- Wert sehen wir in den wertvollen Dingen, gemeingültigkeit verlieren, zerfällt auch die der Wert ist aber etwas von den Dingen Basis für den ökonomischen Wohlstand und Verschiedenes. Der Wert von Mehlspeisen die politische und gesellschaftliche Stabilität. kann zum Beispiel das leibliche Wohlbefin- Obwohl Werte also abstrakt und allgemein den oder der gute Geschmack sein, der Wert sind, haben sie doch ganz konkrete Aus- von Universitäten die Bildung; der Wert ei- wirkungen: Sie ermöglichen ein friedliches ner Beziehung zu einem anderen Menschen Zusammenleben und tragen maßgeblich zu kann in Freundschaft oder Liebe bestehen. unserer Lebensqualität bei. 16
Christliche Ethik Wolfgang Palaver, als politische Ethik Univ.-Prof., Dr., Institut für Systematische Theologie (Bereich Christliche Gesellschaftslehre) der Universität Innsbruck Christliche Ethik besteht nicht in einer ab- Zur Personalität gehört auch die menschli- weichenden Methode, speziellen Themen- che Sozialnatur. Wir Menschen sind Bezie- feldern oder den heute oft beschworenen hungswesen und brauchen uns gegenseitig. Werten, sondern wurzelt in einem Men- In der Sozialnatur wurzelt das Solidaritäts- schenbild, das sich am besten im Persona- prinzip, das uns zur gegenseitigen Unter- litätsprinzip ausdrückt. Demnach ist der stützung auffordert. Auf institutioneller Ebe- Mensch zugleich Individuum, Sozialwesen ne begründet das den Sozialstaat, aber auch und auf Transzendenz hin ausgerichtet. Im die Solidarität innerhalb von Staatenverbün- für die Arbeit mit jungen Menschen gut ge- den wie der Europäischen Union und die eigneten und auch als Handy-App erhältli- globale Solidarität, die sich für soziale Ge- chen DOCAT, der eine übersichtliche Dar- rechtigkeit auf weltweiter Ebene einsetzt. stellung der katholischen Soziallehre bietet, Heute erkennen wir auch immer mehr, dass steht die Personalität im Zentrum der Defini- wir mit der ganzen Schöpfung verbunden tion von politischer Ethik: sind und wir deshalb aus einer Haltung der universalen Geschwisterlichkeit zur Nach- „‘Die menschliche Person ist die Grund- haltigkeit aufgerufen sind. lage und das Ziel des politischen Zu- sammenlebens‘ ... Dies ist der zentrale Schließlich sind wir Menschen auch religi- Satz christlicher politischer Ethik. Es öse Wesen, die auf Transzendenz hin aus- gibt keine politischen und ideologi- gerichtet sind. Politisch folgt daraus die un- schen Werte, für die man den Menschen bedingte Achtung der Religionsfreiheit. In zum ‚Mittel‘ degradieren könnte, durch Fragen der Religion darf es keinen Zwang das höherwertige Ziele zu erreichen geben und daher dürfen Religionen keine wären. In allen Totalitarismen des 20. staatlichen Zwangsmittel für sich verein- Jahrhunderts wurden Personen für nahmen. Ebenso ist aber auch ein strikter Ideologien geopfert. Nicht einmal das Laizismus abzulehnen, der Religion zur Pri- Prinzip der Religiosität selbst ist gegen vatsache erklärt und ihr jede Öffentlichkeit Missbrauch gefeit.“1 abspricht. Der Transzendenzbezug stellt sich auch gegen alle Versuche, innerweltliche Im Anschluss an das Personalitätsprinzip Ziele religiös zu verbrämen. Daraus folgt kann auf drei Dimensionen der Personalität eine Absage an politische Religionen ge- und den damit verbundenen politischen Im- nauso wie eine Ablehnung der Vergötterung plikationen verwiesen werden. Zuerst geht von Markt, Geld oder Konsum. es um die individuelle Menschenwürde ei- nes jeden Menschen, die die unverhandel- baren Menschenrechte begründet. Mit der Individualnatur ist das Subsidiaritätsprinzip verbunden, das der kleineren sozialen Ein- heit immer den Vortritt zuspricht und nur dort Unterstützung verlangt, wo diese Hilfe 1 Arnd Küppers, Peter Schallenberg (2016): DOCAT. Was tun? Die Soziallehre der zur Selbsthilfe braucht. Kirche, Königstein im Taunus, Nr. 215. 17
„ES IST EIN Maria Plankensteiner-Spiegel, Mag., Leiterin des Bischöflichen Schulamtes der Diözese Innsbruck PROZESS!“ Ich habe gegoogelt nach den wertvollsten Allein die Antwort auf meine erste Frage, Marken der Welt. Gekommen sind die teu- wie man überhaupt zu einer Marke komme, ersten Firmen. Die ersten drei Plätze im Jahr hat mich schon schlucken lassen. „Warum 2019 werden eingenommen von Amazon, hat man bei gewissen Unternehmen oder Apple und Google.1 Am neunten Platz liegt Produkten sofort ein klares Bild im Kopf? McDonald’s, am 13. Platz Coca Cola und Weil sie eindeutig definiert sind und sich mit Marlboro ist immerhin auf Rang 15. Red charakteristischen Alleinstellungsmerkma- Bull und Swarovski, die teuersten Marken len von der Konkurrenz abgrenzen.“ Österreichs, liegen noch unter den 100 wert- vollsten Marken weltweit, aber nicht in den Eindeutig definiert, abgrenzen, Wettbewerb vorderen Rängen. Wertvoll ist nach Google – das sind nicht gerade Begriffe, die ich im demnach gleichzusetzen mit teuer. Zusammenhang mit Religionsunterricht zu hören gewohnt bin. Sie sind höchstens eine In einer Zeit der Bilder, der Brandings, der „hidden message“ am Beginn des Schuljah- Corporate Identity, der Markenbildungspro- res, wenn es um das Thema der Abmeldun- zesse stehen wir als Kirche mittendrin. Ob gen oder die Positionierung des Religions- wir wollen oder nicht. unterrichtes im Stundenplan geht. Ob ich diese Perspektive mag? Da bin ich mir zu- Wenn ich einmal eine schräge Frage wage: nächst nicht ganz sicher. Kirche, Religionsunterricht – wie würden wir da vorkommen? Wie positionieren wir Doch weiter im Gespräch: Der erste Schritt uns im Kontext dieses Heftes „be_WER- für den erfolgreichen Aufbau einer moder- Eindeutig definiert, ab- TE_n“, Wertefindung, Entscheidung für nen Marke ist nicht Werbung. Ohne die geht WERT-volles, für den Wert einer Sache aus es nicht. Das ist klar. Im Vorfeld sind jedoch grenzen, Wettbewerb grafischer Sicht oder Marketing-Perspektive? andere Entscheidungen zentral und müssen – das sind nicht gerade – Ich weiß schon, das entspricht nicht dem geklärt werden. Angelika Wimmer nennt Begriffe, die man im Blickwinkel, mit dem wir uns üblicherwei- das die Entwicklung der „Markenvision“, die Zusammenhang mit se in der Religionspädagogik beschäftigen. am Anfang stehen müsse. Das bedeutet, klar Religionsunterricht zu Trotzdem: Wir wollen ja lernen und uns in sagen zu können: hören gewohnt ist. Dialog begeben mit anderen Wirklichkeiten unserer Gesellschaft. 0 Was möchten wir versprechen? 0 Wie möchten wir wahrgenommen Also habe ich jemanden gefragt, die ein Pro- werden? fi ist. Angelika Wimmer ist die Werbegrafike- 0 Was kann unsere Zielgruppe von rin, die unser ÖKUM gestaltet, die das Logo uns erwarten und was nicht? und die Folder für eintag.mehrzeit entwi- ckelt hat und außerdem als Lehrerin in der Sich solchen Fragen zu stellen, als Religi- HTL für Bau und Design in Innsbruck diese onslehrerin und Religionslehrer, als Schul- Themen unterrichtet. Von ihr habe ich schon amt, kann uns dazu verhelfen, unsere eige- viel darüber gelernt, welche optischen Sig- ne Position klar benennen zu können – und nale wie wirken und wie der „Blick von au- damit schlussendlich firm zu sein für den ßen“ geht. Dialog mit den anderen Schulfächern und 18
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