Bedrohte Natur, bedrohte Menschheit: Wie die Krise zu einer Chance für Artenvielfalt und Klimaschutz werden kann - Museum für ...
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MAGAZIN MUSEUM FÜR NATURKUNDE BERLIN # 2 2020 Bedrohte Natur, bedrohte Menschheit: Wie die Krise zu einer Chance für Artenvielfalt und Klimaschutz werden kann In Kooperation mit
„Alles ist Wechselwirkung. Nichts steht für sich allein, ein gemeinsames Band umschlingt die ganze organische Natur.“ Alexander von Humboldt Fotos: Carola Radke / MfN (Titel), Pablo Castagnola Ungeliebter Nützling. Zugegeben, auf den ersten Blick wirkt Eptesicus serotinus ein wenig abweisend. Die einheimische Breitflügelfledermaus ist jedoch ein unverzichtbarer Akteur für die Ökosysteme vor unserer Haustür – und für den Menschen vollkommen ungefährlich. In unserer Titelgeschichte ab Seite 10 lesen Sie, warum Fledermäuse gerade in der aktuellen Corona-Pandemie zu Unrecht gefürchtet werden. Das Exemplar auf dem Titel wurde übrigens 2017 von Detlef Wilborn, Präparator am Museum für Naturkunde Berlin, für die Ausstellung lebensecht präpariert.
EDITORIAL INHALT Lesen Sie in dieser PRACHTSTÜCK Ausgabe unseres Magazins 4 Die Grabwespe FÜR NATUR, weshalb ein FORSCHEN gesunder Planet und gesunde 6 Neues aus Menschen zusammen Forschung und gehören. Was müssen wir Sammlung tun, um die Krise als Chance zu verstehen? Und wie sollte TITEL eine verantwortungsvolle und 10 Das Virus gemeinschaftliche Zukunft als Chance aussehen, um das globale WISSEN Ökosystem Erde zu erhalten? 16 30.000.000 mal Natur Wir hoffen, dass Sie, Wenn Sie solche Fragen liebe Leserinnen bewegen, dann sollten P O R T R ÄT Sie auch #fürNatur digital 18 Die und Leser, mit den kennen, unser Mitmach- Zeitreisende Herausforderungen Angebot im Netz. Erleben in der Coronakrise Sie unsere 30 Millionen B OT S C H A F T E R I N Objekte zählende Sammlung, 21 Anja Karliczek zurechtkommen. probieren Sie mit uns Die weltweite D I G I TA L I S I E R U N G gemeinsam neue Formate 22 Insekten- Pandemie zeigt uns, aus, verfolgen Sie unsere härchen und dass die Themen Livesessions oder lassen Sie Saurierknochen des Museums sich virtuell durch das in 3D Museum führen und ent- für Naturkunde KALENDER decken Sie täglich die Vielfalt Berlin aktueller 24 Natur für alle: und Schönheit des Lebens. # fürNatur digital denn je sind … Wir haben wieder für Sie CITIZEN SCIENCE geöffnet und freuen uns auf 28 Von Vögeln Ihren Besuch! und Bienen Bleiben Sie gesund! WA S T U N S I E F Ü R N AT U R … 31 Frau Prof. Johannes Vogel, Ph. D., Friederichs? Generaldirektor Stephan Junker, Geschäftsführer 3
PRACHTSTÜCK Wie prächtig sie ist, mit ihrem grün-metallischen Schimmer, die schillernde Schönheit Chlorion lobatum. Dass die in Südostasien weit verbreitete Grillenwespe zu den „Grabwespen“ gehört, erklärt sich durch die kräftigen Kiefer, die zum Graben geeignet sind, nicht durch eine Vorliebe fürs Morbide. Wie sich Chlorion lobatum fortpf lanzt, ist aller- dings speziell: Die Weibchen jagen Grillen und lähmen sie mit dem Stich ihres Stachels. Dann legen sie ein Ei darauf, und die Grille dient der schlüpfenden Wespenlarve als Futter. Die metallische Färbung geht auf Lichtbrechung der Körperoberf läche zurück, sodass die Farbe Foto: Bernhard Schurian / MfN auch bei den Exemplaren in der Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin noch so hell leuchtet wie bei lebendigen Tieren. 4
FORSCHEN Eine Schule für of fene Wissenschaft Wie können Wissenschaftler*innen lernen, besser zu kommunizieren? Wie können sie ihre Forschung in einen fruchtbaren Austausch mit der Gesellschaft bringen? Welche Ansätze und Methoden offener Wissenschaft gibt es und wie können sie Teil der wissenschaftlichen Ausbildung werden? Mit diesen Fragen wird sich die „Berlin School of Public Engagement and Open Science“ des Museums für Natur- kunde Berlin, der Humboldt-Uni- versität zu Berlin und der Robert Bosch Stiftung beschäftigen. Sie soll Experimentierraum, Plattform sowie Aus- und Weiterbildungszentrum für neue Wege in der Wissenschafts- kommunikation sein. Das Motto lautet „learning by doing“: Wissen- schaftler*innen aus den Berliner Wissenschaftseinrichtungen können Wissen innovativ hier ganz praktisch neue Ansätze und Formate für die vermitteln: Neue Ansätze sind gefragt Zusammenarbeit von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik erproben, zum Beispiel im Bereich Citizen Science. Die School fördert so den wissensbasierten gesellschaftlichen Dialog und den breiten Austausch über Themen der Forschung. Dieses Jahr startet die dreijährige Pilotphase, eine Verstetigung ist geplant: Die „Berlin School of Public Engagement and Open Science“ soll Teil des Wissenschaftscampus für Natur und Gesellschaft sein, der in den kommenden zehn Jahren in der Invalidenstraße entsteht. 6
Sollbruch- stellen im Skelett: der Mesosaurier S terosternum tumidum Hightech- Rucksäcke für Fledermäuse Ein multidisziplinäres Forscherteam unter Leitung des Museums hat ein neues, inno- vatives Sensornetzwerk zur Ortung von Tieren Konnten entwickelt, um bislang unbeobachtete Verhaltensweisen zu untersuchen. Mit einem die ältesten Gewicht von ein bis zwei Gramm können Meeresreptilien diese Halsband- oder Rucksack-Minicomputer mehrere Wochen Daten senden. Die Forscher*- ihren Schwanz innen haben das neue System an Fleder- mäusen getestet, da sie klein sind und sich abwerfen? schnell in dichter Vegetation bewegen – beides Herausforderungen für drahtlose Bio-Logging- Netzwerke. Sie markierten Vampirfledermäuse Neue Einblicke in die frühe Evolution von Wirbel- in Panama, um deren soziale Netzwerke zu tieren: Ein internationales Team von Forschenden erfassen. In einem alten Laubwald in Deutsch- unter Leitung des Museums für Naturkunde Berlin land untersuchten sie mit der Technik das hat die Schwanzanatomie von fossilen Meso- Jagdverhalten von Mausohrfledermäusen. sauriern, den ältesten bekannten Meeresreptilien, Bei Großen Abendseglern gelang eine Fern- untersucht. Sie lebten vor etwa 278 Millionen ortung über mehr als vier Kilometer Entfernung. Jahren in einem Binnenmeer in Südamerika und Stört gar nicht. Derzeit wird getestet, ob die Lebensraum- Afrika, als diese Kontinente noch als Teil des Dieser Mini- nutzung von Zauneidechsen Lacerta agilis rucksack sendet Superkontinents Pangäa miteinander verbunden entlang von Zuggleisen in Deutschland erfasst Daten an For- waren. Mesosaurier waren die ersten Reptilien schende – zum werden kann. Weitere Studien könnten Nage- in der Erdgeschichte, die nach der Eroberung des Beispiel über das tiere, Singvögel oder sogar große Insekten Jagdverhalten Landes zu einer vollständigen Lebensweise im von Mausohr- wie Hirschkäfer, Großes Heupferd oder Toten- Wasser zurückgekehrt sind. Die Forscher unter- fledermäusen kopfschwärmer untersuchen. Fotos: Thomas Rosenthal, Carola Radke / MfN, Simon Ripperger suchten ein umstrittenes Merkmal der Mesosaurier, das bisher wenig Beachtung gefunden hat: Ihre fossil überlieferten Schwanzwirbel weisen Struk- turen auf, die Schwachstellen im Schwanz einiger heute lebender Wirbeltiere ähneln. Diese Sollbruch- stellen ermöglichen in Gefahrensituationen das Abwerfen des Schwanzes, um fliehen zu können. Die Sollbruchstellen in den Mesosaurier-Schwanz- wirbeln stellen wahrscheinlich ein evolutionäres Relikt dar, das sie von ihren landlebenden Vorfahren beibehalten hatten, aber nicht tatsächlich verwen- deten: Die Meeresreptilien benötigten den Schwanz nämlich zum Schwimmen. Die Untersuchungen sind wichtig für das Verständnis, wie sich Gliedmaßen im Laufe der Evolution regeneriert haben, und können medizinische Forschungen unterstützen. 7
Ein Vorbild für Forschungs- museen in der Welt Eine hochkarätige inter- nationale Sachverständi- genkommission bestätigt: Das Museum für Natur- kunde Berlin, Leibniz- Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, ist „sehr gut bis exzellent“ in allen drei Bereichen – Forschung, Infrastruktur und Wissenstransfer. Im Bewertungsbericht wird das Forschungsmuseum als treibende Kraft in der internationalen Museums- landschaft und als global sichtbares Vorbild be- schrieben. Der Zukunfts- Schau mir ins Maul. plan des Museums für Der Abbau von Tristan O tto war auf wendig – Naturkunde Berlin wird aber ungefährlich. Rechts: die Direktoren als richtungsweisend und der beiden beteiligten Museen Peter C. Kjærgaard stark zukunftsorientiert (li.) und Johannes Vogel bewertet. „Wir freuen uns sehr über diese ausge- In 30 Kisten Fotos: Carola Radke / MfN (2), Hwa Ja-Götz / MfN (2) wogene und aufschluss- nach Kopenhagen reiche Bewertung der hoch- Tristan Otto, der original Tyrannosaurus rex im Museum für Naturkunde Berlin, karätigen Kommission und ist nicht nur ein Besuchermagnet; er ist auch ein herausragender Botschafter insbesondere über die An- für Wissenschaft und Forschung. Die nächsten Monate wird Tristan Otto in erkennung der Leistungen Dänemark Werbung für die Forschung machen – bei den geschätzten Kollegen des Statens Naturhistoriske Museum, dem Naturkundemuseum in Kopen- des gesamten Teams am hagen. Denn an diesem spektakulären Ausstellungsobjekt lässt sich Forschung Museum“, sagt Johannes wunderbar sichtbar machen. Hier wird deutlich, dass Institutionen wie das Berliner Naturkundemuseum auch und vor allem Forschungseinrichtungen sind. Vogel, Generaldirektor des Bis bald, Tristan Otto! Museums für Naturkunde. 8
Klimawandel – aus der Vergangenheit lernen Vor 182 Millionen Jahren, haben Paläontologen des poden starben in der Anfangs- während der Jurazeit, gab es Museums für Naturkunde phase der Erwärmung aus. eine außergewöhnlich heiße Berlin und britische Kollegen An ihre Stelle trat eine klein- Phase, in der sich auch die die Körpergröße von Brachio- wüchsige Art, die unter den Ozeane deutlich erwärmten. poden einzelner Meeres- extremen Bedingungen über- Diese Treibhausphase hielt bereiche Südeuropas lebensfähig war. Am Ende mehrere hunderttausend untersucht. Brachiopoden der heißen Phase hatten sich Jahre an, mit einer durch- sind Meerestiere, die den komplett neue Lebens- schnittlichen Ozeanerwär- Muscheln ähneln, aber einen gemeinschaften entwickelt. mung von 3,5 Grad Celsius eigenständigen Tierstamm Mit Blick auf die aktuelle Reagierten und Spitzenwerten von über bilden; sie werden auch Ozeanerwärmung wäre eine empfindlich auf fünf Grad Celsius. Welche Armfüßer genannt. Es zeigt ähnliche Ausbreitung klein- Ozeaner wärmung: die muschelähn- Auswirkungen hatte dieser sich: Der Temperaturanstieg wüchsiger invasiver Arten ein lich aussehenden Klimawandel auf den Arten- hatte gravierende Folgen. sehr alarmierendes Zeichen Brachiopoden reichtum in den Meeren? Sämtliche vor der Erwärmung für die fortschreitende Klima- Um das herauszufinden, lebende Arten von Brachio- erwärmung. Wir trauern um den Chinesischen Schwertstör Psephurus gladius, Sammlungsnummer ZMB 11002, besser bekannt als ‚Chinesischer Schwert- stör‘, ist eines der wertvollsten Exemplare der Fischsammlung des Museums für Naturkunde Berlin. Im Jahre 2010, als der Ostflügel mit den Nass-Sammlungen als Forschungsinfrastruktur eröffnete, galt der Chinesische Schwerstör bereits als fast unrettbar. 2020 wurde er nun offiziell als ausgestorben erklärt. Wir sind mitten im sechsten großen Artensterben in der Erdgeschichte. Das Exemplar in der Nass-Sammlung ist für alle Zeiten und für jeden sichtbar als Mahnung und Forschungsobjekt konserviert: Es muss mehr getan werden – für Natur. Der Berliner Zoologe Eduard von Martens Mahnung: hatte diesen Fisch 1861 „im Hause eines Chinesischen Fischhändlers zu Woosung“ im Der Chinesische Zuge der Preußischen Ostasienexpedition erstmals für die westliche Wissenschaft entdeckt. Schwertstör in der Nass-Sammlung In seiner Beschreibung erkannte er die nahe Verwandtschaft zum Amerikanischen Gegenstück, des Museums für dem Löffelstör Polyodon spathula aus dem Mississippi. Naturkunde Berlin 9
Per Echoor tung durch die Dunkelheit: Eine heimische Fransenfleder- maus auf nächt- licher Beutejagd „Zukunft geht nur mit der Natur, nicht gegen sie“ Text Mirco Lomoth
TITEL Viren, Fledermäuse, Ökosysteme – stehung neuer Arten haben kann. Sie sammelt DNA- und Stimmproben, begleitet Jungtiere von die Themen des Museums für Naturkunde Geburt an und fiebert mit, wenn sie ihre ersten Berlin sind aktueller denn je. Gerade Nachtflüge alleine unternehmen. Doch auch die- se Feldforschung muss jetzt ruhen. in der Coronakrise will das Museum zum Nachdenken anregen und lädt verstärkt Der Mensch träg t zum digitalen Austausch eine Mitverant wor tung Knörnschild nutzt die Zeit, um vom Sofa über ihre Forschungslieblinge aufzuklären – und das A Herz der Menschen zu gewinnen. Sie erzählt n diesem Montagnachmittag im „Wir ihnen von der Hummelfledermaus, die gerade April hält die Fledermausforscherin brauchen mal zwei Gramm wiegt, von Brabbelphasen bei Mirjam Knörnschild zum ersten Mal Fledermausbabys und Fledermausgreisen, die 40 eine neue einen Vortrag in ihrem Wohnzim- Jahre und älter werden. Sie rechnet vor, wie viele mer. Das Museum für Naturkunde Bescheiden- Schädlinge sie vom Himmel fressen, und berich- Berlin ist zu diesem Zeitpunkt seit sechs Wochen heit und tet, dass ihr Erbgut wichtige Erkenntnisse für den geschlossen, Knörnschild arbeitet vom Homeof- die Einsicht, Kampf gegen Krebs enthalten könnte. Dass sie fice in Nikolassee aus. 62 Menschen haben sich dass wir aber auch viele Krankheitserreger in sich tragen, vor ihren Laptops versammelt, um ihr zuzuhören. doch nicht darunter Tollwut- und eben Coronaviren. Sie sitzen vor schwer behangenen Wäschestän- „Es ist gut belegt, dass ein Vorläufer des aktu- so viel kon- dern, gut bestückten Buchwänden oder im licht- ellen Coronavirus irgendwann einmal in Fleder- durchfluteten Altbau-Erker. Bei anderen ist nur trollieren mäusen war“, sagt Knörnschild. Dennoch gebe es der Profilname zu sehen: Michael 007, Iva, Martin, können“ keinerlei Hinweise für eine direkte Ansteckungs- Anke, Sophia ... In normalen Zeiten wären diese gefahr für Menschen. „Es braucht vermutlich ei- Leute vermutlich in die Invalidenstraße gekom- nen Zwischenwirt, der das Virus mutieren lässt men. Jetzt, in Zeiten des Infektionsschutzes, finden und seine Anzahl erhöht, damit ein Mensch sich alle Veranstaltungen des Museums für Naturkun- infizieren kann“, sagt sie. Dieser Zwischenwirt de Berlin mit virtuellem Sicherheitsabstand statt. wurde bisher nicht eindeutig identifiziert. Im Myotis auriculus erscheint auf den Bildschir- Gespräch sind Schuppentiere, die auf chinesi- men, eine mexikanische Fledermausart, die mit schen ‚wet markets‘ lebend verkauft werden, wo ledernen Schwingen in die Wohnzimmer hinaus Mensch und Tier so eng zusammenkommen, dass zu flattern scheint – ein faszinierender Anblick, ein „Spillover“ begünstigt werde, also der Sprung aber auch ein wenig bedrohlich. Genau deswegen von Viren über Artengrenzen hinweg. Aber auch hat Mirjam Knörnschild ihr Vortragsthema ge- chinesische Pelzfarmen, in denen Marder unter wählt. Sie will über Fledermäuse sprechen, weil schlimmen Bedingungen massenhaft gehalten diese im dringenden Verdacht stehen, Ursprungs- werden, kämen als Übertragungsort infrage. wirte des Coronavirus zu sein, sein „Reservoir“ Auch wenn vieles noch im Dunklen liege, klar also, wie es die Wissenschaft nennt. Und, weil sei schon jetzt, dass der Mensch eine große Mit- viele Menschen sie dafür pauschal verurteilen. verantwortung für diese Pandemie trägt. Knörnschild, Zoologin am Museum für Natur- Knörnschilds Video-Vortrag endet mit einer Fotos: Florian Gloza-Rausch, Hwa Ja-Götz / MfN kunde Berlin, will das so nicht stehen lassen. Botschaft, die viel weiter reicht als bis zum Ur- „Es gibt ein großes Unwissen in Bezug auf Fleder- sprung des Coronavirus: Wir können künftige mäuse, wodurch leicht die Neigung entsteht, sie Mirjam Knörnschild Pandemien vermeiden, indem wir unsere Um- gruselig zu finden“, sagt sie. „Dabei sind es hoch- Als Leiterin der welt besser schützen und verstehen. Indem wir intelligente und sehr soziale Tiere, vor denen Arbeitsgruppe Lebensräume von Wildtieren bewahren und Verhaltensökologie man auch jetzt keine Angst haben muss.“ und Bioakustik intensiv nach Zwischenwirten fahnden, um her- Eigentlich forscht Knörnschild im Regenwald am Museum für auszufinden, welche Mensch-Tier-Kontakte wir Naturkunde Berlin von Costa Rica und Panama. Sie beobachtet die erforscht die wirklich vermeiden müssen – statt Fledermäuse tagaktive Große Sackflügelfledermaus, um her- habilitier te Zoologin unter Generalverdacht zu stellen. auszufinden, wie diese Art Sprache, Gesang und die kommunikati- „Für mich wirkt es so, als hätte uns die Welt ven und kognitiven sogar Dialekte durch soziale Kontakte erlernt Fähigkeiten aufs Zimmer geschickt, damit wir darüber nach- und welchen Einfluss diese „Kultur“ auf die Ent- von Fledermäusen. denken, was wir auf diesem Planeten so treiben“, 11
sagt Knörnschild nach ihrem Vortrag. „Wir brau- „Wir die heute milliardenschwere Industrieunterneh- chen eine neue Bescheidenheit und die Einsicht, können men oder Banken leiten, sehen scheinbar keine dass wir doch nicht so viel kontrollieren können, Notwendigkeit, sich über Evolution und natür- wie wir immer denken.“ Ihre digitale Vortragsreihe Wirtschaft liche Prinzipien Gedanken zu machen. Das will sie fortsetzen und darin auch in die wissen- und Gesell- macht mich traurig und unheimlich ärgerlich schaftliche Tiefe gehen. „Ich habe das Gefühl, schaft nicht zugleich. Es ist ein ökonomisches System ent- dass die Menschen jetzt offener für komplexere länger so standen, das von einem kleinen Virus umgebla- Themen sind, weil sie sich selbst in einer kom- gestalten, sen wird wie das Haus im Märchen vom Wolf plexen Situation befinden, das sollten wir uns für als gäbe und den Schweinchen! Wozu werden diese Leute Nach-Pandemie-Zeiten erhalten.“ denn bezahlt, wenn sie keine widerstandsfähigen es die Natur Systeme bauen können? Wir werden uns im Mu- gar nicht“ seum wohl überlegen müssen, Kurse in adaptiv- E dynamischem, eben evolutionärem Denken, für in neues Videochat-Fenster öffnet sich. Führungskräfte anzubieten. Wir können unsere Museumsdirektor Johannes Vogel er- Wirtschaft und Gesellschaft nicht länger so ge- scheint. Er sitzt im roten Fleece und stalten, als gäbe es die Natur gar nicht. Wir sind mit seinem markanten Zwirbelbart in ja Teil der Natur, auch wenn wir glauben, dass seiner Küche, vor sich ein Laptop, hin- wir uns weit davon entfernt haben. ter sich eine Tapete mit Blättermuster. Töpfe und Pfannen hängen an der Wand. Auch er ist Ende Vieles deutet ja darauf hin, dass die aktuelle April noch im Homeoffice, bei seiner Familie Pandemie auch aus unserem ausbeuterischen nahe dem englischen Harwich, nordöstlich von Umgang mit der Natur entstanden ist. Rächt London, etwa zwölf Zugstunden von Berlin ent- sich die Natur jetzt bei uns? fernt. Er hält seine Laptopkamera ans Fenster: Natur hat keinen Sinn und Zweck. Aber je mehr Eine Märchenlandschaft ist zu sehen, ein blauer wir uns an der wilden Natur ‚verköstigen‘, desto Himmel, Schäfchenwolken und das Meer. wahrscheinlicher ist, dass Erreger wie das Corona- virus in uns eindringen können. Das ist ein Herr Vogel, gehen Sie viel raus in die Natur in Nummernspiel. Wir sind jetzt acht Milliarden diesen Tagen? Menschen, die müssen alle etwas essen, fast zwei Ja, ich habe das große Glück, hier an einem Vogel- Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu schutzgebiet für Wattvögel und migrierende Zug- sauberem Trinkwasser – das ist ein Viertel der vögel zu wohnen, wir gehen viel spazieren, wenn Menschheit. Wenn die verseuchtes Wasser trinken ich nicht gerade am Bildschirm sitze. Das tut gut, oder sich ein Schuppentier aus dem Busch holen, die Sonne scheint und der Wind pfeift. So intensiv dann kann das dazu führen, dass Erreger in unse- habe ich das Erblühen und Erwachen der Natur re Körper gelangen. Genauso, wenn wir Lebens- noch nie erlebt! Und die Verlangsamung führt zu räume zerstören und wilde Tiere sich häufiger in einer anderen Qualität des Nachdenkens. menschlichen Siedlungen aufhalten, wodurch das Risiko für Krankheitsübertragung steigt. Was bewegt Sie denn gerade? Johannes Vogel Ich bin Wald- und Wiesenbotaniker und verfolge ist seit 2012 Naturschutz könnte also auch eine Art Gesund- Generaldirektor gerade, wie die Schlehenbüsche blühen. Schlehen des Museums für heitsvorsorge sein? tragen ihre Blüten hier über sechs Wochen, weil Naturkunde Wir können für den Menschen nichts Besseres sie immer damit rechnen müssen, dass Fröste Berlin, zugleich tun, als auf die Natur aufzupassen, ja. Das würde Professor ihr Fruchten verhindern. Das zeigt einem, wie für Biodiver sität aber einen wirklich achtsamen Umgang mit variabel die Natur ist, um sich gegen verschie- und Wissenschafts- der Erde bedeuten. Stattdessen haben wir in dialog an der dene Unbilden zu schützen. Und dabei denke ich Humboldt-Univer- Europa und Deutschland einen Lebensstil, der an die aktuelle Krise. Wer die Natur beobachtet, sität zu Berlin. die Rohstoffe von dreieinhalb Erden bräuchte, weiß, dass sie Prinzipien wie Variabilität, Vielfalt Er ist Mitglied des wenn er auf alle Menschen übertragen würde. Hightech-Forum und Resilienz sozusagen in ihrer DNA verankert der Bundesregie- Wir leben auf der Grundlage eines potenziell hat, während die Ökonomie jetzt mit einem Mal rung, Vorsitzender ruinösen Kredits! Gleichzeitig haben wir die der European bemerkt, dass es sinnvoll sein könnte, mehr als Citizen Science technischen Möglichkeiten, eine nachhaltige nur einen Zulieferer zu haben ... Association und und zirkuläre Ökonomie zu schaffen. Warum leitete die Open werden Vorstände der Automobilindustrie denn Science Poli cy Heißt das, wir sollten von der Natur lernen? Platform der EU nicht daran gemessen, die nachhaltigste Mobi- Ja, aber leider passiert das nicht genug. Zu viele, Kommission. lität bereitzustellen? 12
Die Bilder des New Yorker Foto - grafen J Henr y Fair wirken auf den ersten Blick faszinie- rend und erinnern an abstrakte Kunst. Sie zeigen jedoch massive Einflüsse des Menschen auf die Umwelt. In der Sonderaus- stellung ARTEFAKTE waren die Bilder 2019 im Museum für Naturkunde Berlin zu sehen. Aschedeponie eines Braunkohle- verstromungs- kraf twerks in Spremberg, Brandenburg Sehen Sie die aktuelle Krise als Chance, ein Es ist an der Zeit, dass wir uns alle zusammen achtsameres Verhältnis zur Natur zu ent- Gedanken machen, wie wir unsere Kräfte für wickeln? eine nachhaltige, zirkuläre und Co2-freie Wirt- Hier in Großbritannien hat es eine Umfrage ge- schaftsweise einsetzen können, die zugleich vielen geben, bei der nur neun Prozent der Befragten Menschen ein gutes Leben ermöglicht. Jetzt den gesagt haben, dass sie zu einem Leben zurück- Turbo reinknallen, und zwar den besten, den kehren wollen, wie es vor der Pandemie war. Das Deutschland bauen kann! heißt, 91 Prozent wollen ein anderes Leben. Ich sehe da eine riesige Chance. Aber wir dürfen sie Kann sich auch jeder Einzelne engagieren? nicht verpassen, denn es gibt starke Kräfte, die Wir sollten alle mal darüber nachdenken, was für versuchen werden, zum nicht nachhaltigen Le- uns ein gutes Leben ausmacht. Ist das Wochenen- ben zurückzukehren. Die letzten Monate haben „Unser de mit dem Billigflieger in Bergamo notwendig, Fotos: J Henry Fair / henryfair.com, Hwa Ja-Götz / MfN uns aber gezeigt, dass das System, auf das wir alle Lebensstil lebensbedrohend oder billige Befriedigung? Ich vertrauen, auf ganz, ganz tönernen Füßen steht. lebe ja selber kein asketisches Leben, aber man bräuchte sollte reflektieren, was wirklich notwendig ist. Wie kann ein Wandel gelingen? die Roh- Ich bekomme auf meinem Handy jeden Tag mehr Zum Glück sind wir in Deutschland sehr klug. stof fe von Anzeigen zugespielt. Uns wird vorgegaukelt, was 500.000 Menschen arbeiten bei uns in Universi- dreieinhalb wir alles brauchen, und das ist sehr erschreckend. täten und außeruniversitären Forschungs- Erden, Dem sollten wir uns nicht willfährig hingeben einrichtungen, es gibt viele Ingenieure, hoch- wenn er und den Maschinen, die uns diesen Konsum vor- gebildete Menschen und eine Kanzlerin, die gaukeln, Schranken setzen. auf alle Wissenschaftlerin ist. Und, nicht zu vergessen, es gibt viele Menschen, die das Herz an der rich- Menschen Zeigt die Krise auch, wie wichtig eine gut funk- tigen Stelle haben und wissen, dass Zukunft nur übertragen tionierende Wissenschaft ist? mit und nicht gegen die Natur geht. würde“ Gott sei Dank hört die Politik in Deutschland 13
Phosphor- Gipsabfälle aus der Düngemittel- herstellung in S aint James, Louisiana, USA auf die Wissenschaft. Das heißt nicht, dass man mit der Gesellschaft, noch stärker als ein freund- das immer muss, am Ende sind es politische Ent- licher, nahbarer und zugleich relevanter Wissens- scheidungen, aber die müssen faktenbasiert sein. ort für Natur etablieren. Denn die Liebe zur Nicht nur Christian Drosten und Lothar Wieler Natur steckt in jedem von uns, wir werden mit haben den Menschen tagtäglich Wissenschaft er- ihr geboren, sie wird nur leider oft kulturell über- klärt. Das finde ich unheimlich beeindruckend. formt. Die Aufgabe von Zoos, Botanischen Gärten Ich hoffe, dass die deutsche Bevölkerung, die die und Naturkundemuseen muss sein, diese Liebe Forschung und Wissenschaft über Steuergelder über die verschiedenen Altersstufen hinweg, so- alimentiert, erkennt, dass sie sozusagen „value zusagen lebensbegleitend, zu entwickeln und am for money“ bekommt und es eine nachhaltige Köcheln zu halten. Investition ist, eine robuste Wissenschaft in Deutschland zu pflegen. Alle Wissenschaften, „Ich ver- Johannes Vogel fährt fort, spricht in seiner Küche Fotos: J Henry Fair / henryfair.com, Carola Radke / MfN die sich Deutschland als Kultur- und Wissen- stehe uns darüber, wie sich das Museum für Naturkunde schaftsnation hält, sind mit einem Mal gefragt, an der Invalidenstraße in den nächsten Jahren als eine diese große Krise zu lösen. Jetzt können wir zu- zu einem „Katalysator“ entwickeln möchte, der rückzahlen, das finde ich toll. Institution, neben der eigenen Sammlung und Forschung die Verän- zur Natur auch das Wissen seiner forschenden Welchen Beitrag kann denn das Museum für derungen Nachbarn – von Charité, Humboldt-Universität Naturkunde Berlin leisten? hin zu und Robert Koch-Institut – unter die Menschen Wir machen Forschung und Wissenschaft ver- Nachhaltig- bringt. Und wie über all dem das ganzheitliche ständlich und erlebbar, laden zum Mitmachen Konzept der Nachhaltigkeit und der Gesundheit keit und ein und stellen das Thema Natur wissenschaft- der Erde – „planetary health“ – stehen könnte. lich, emotional und für die Gemeinschaft in den planetarer „Es geht uns um die Frage, wie die geologische, Vordergrund. Unsere nächste Entwicklungsstu- Gesundheit chemische und die natürliche Evolution immer fe muss jetzt sein, dass wir uns, im Wechselspiel ermöglicht“ schon zusammengespielt haben, um lebenswerte 14
Bedingungen auf dem Planeten Erde zu schaf- „Wir Testballons ge gen die Krise fen“, sagt Vogel. Daraus ließe sich für das Mu- werden seum auch ein gesellschaftlicher Auftrag für die Die Parasitenausstellung wurde lange vor Beginn Gegenwart ableiten: „Ich verstehe uns als eine uns gerade der Pandemie geplant – dann aber quasi von ihr wissensbasierte Veränderungsermöglichungs- unserer überrollt. Linda Gallé und ihre Kollegen haben institution hin zu Nachhaltigkeit und planeta- eigenen beschlossen, auf die Ereignisse zu reagieren rer Gesundheit, denn ein gesunder Planet und Verletzlich- und in der Ausstellung auch einen plötzlich ak- gesunde Menschen gehören zusammen“, sagt keit be- tuell gewordenen Parasitenkrimi zu erzählen: Vogel. Dann schließt er das Zoom-Fenster und wusst, den des Coronavirus und anderer zoonotischer geht hinaus in die Natur, den Wind spüren und Viren, die ihren Ursprung im Tierreich haben, nach den Schlehenbüschen sehen. das kann bei Fledermäusen, aber auch bei anderen Arten. zu einer Warum zum Beispiel können solche Viren in Chance Fledermäusen leben, ohne dass diese an ihnen I für Arten- ernsthaft erkranken – und welche Wege nehmen n einer Sonderausstellung des Museums vielfalt sie, um schließlich im Menschen einen schutz- findet sich die Idee der Gesundheit der und Klima- losen Wirt zu finden? „Wir wollen auch die über- Erde bereits wieder. Eigentlich hätte „Para- geordnete Frage stellen, was das alles mit unse- siten – Life Undercover“ im März fertig schutz rem Handeln und unserem Verhältnis zur Natur aufgebaut sein sollen, zu Beginn der Oster- werden“ zu tun hat und welche Auswege Forschung und ferien. Doch als das Museum wegen des Lock- Medizin für uns bereithalten“, sagt Gallé. „Die downs schließen musste, blieb alles stehen und Ausstellung soll zum Nachdenken anregen, einen liegen. „Wir haben dann noch via Instagram eine Diskussionsraum öffnen und Besucherinnen und digitale Führung durch die unfertige Ausstellung Besucher und Experten zusammenbringen.“ gemacht“, sagt Ausstellungsmacherin Linda Gallé. Zu normalen Zeiten finden solche Diskussi- Sie sitzt in ihrer Küche in Tiergarten, wo sie in onen im Museum statt, oft auch dicht gedrängt, den vergangenen Wochen gearbeitet hat, vor jetzt bei Livetalks im Netz. „Unsere Veran- sich ein Laptop als Fenster zur Welt. 350 Leute staltungen werden in Zukunft gleichzeitig im seien bei dem Sneak Preview auf Instagram da- Museum und online stattfinden, damit möglichst bei gewesen und hätten sich von Uwe Moldrzyk, viele Leute teilnehmen können, trotz Abstands- dem Leiter der Ausstellungsabteilung, packende regeln“, sagt Gallé. Sie sieht die Krise auch als Krimis aus der Welt der Parasiten erzählen lassen. eine Chance für digitale Innovationen. „Im Mo- Etwa, wie der Kleine Leberegel es schafft, in die ment starten wir viele Testballons und beobach- Köpfe von Ameisen einzudringen und ihr Ver- ten, was gut funktioniert.“ Das wird auch für den halten so zu steuern, dass diese sich von Schafen bevorstehenden Umbau des Museums nützlich fressen lassen (!) – und der Leberegel sich so fort- sein. Wenn das sanierungsbedürftige Gebäude an pflanzen kann. der Invalidenstraße für mehrere Jahre schließen „Parasitismus ist eine Lebensweise, bei der muss, sollen Ausstellungen und Veranstaltungen ein Lebewesen von einem anderen profitiert, dezentral überall in Berlin stattfinden – und eben ohne dass dieses etwas davon hat“, erklärt Gallé. auch digital. Durch alle Erdzeitalter hindurch habe es Para- Wie Fledermausforscherin Mirjam Knörn- sitismus gegeben, Belege fänden sich in uralten schild und Museumsdirektor Johannes Vogel ist Fossilien des Museums bis zu heute lebenden auch Linda Gallé in den Wochen des Lockdowns Zecken oder Vampirfledermäusen, die sich vom ins Nachdenken gekommen. „Es fühlt sich ein Blut ihres Wirts ernähren. Aber auch in Viren, bisschen so an, als würden wir Menschen fest- so etwas wie der Höchstform des Parasitismus. stecken, während sich draußen die Natur mit „Viren sind im Grunde ein Code, der sich in die Linda Gallé voller Kraft entfaltet“, sagt sie. „Ich denke, wir Zelle einschleust und sie dazu bringt, dass diese Als Ausstellungs- werden uns gerade unserer eigenen Verletzlich- den Code liest und neue Viren produziert“, sagt kuratorin ist die keit bewusst, und wenn wir das jetzt auf eine studier te Biologin Gallé. So wie das menschliche Immunsystem nun für S onderaus- breitere Debatte überführen, dann kann das mit dem neuen Eindringling kämpfe, habe Para- stellungsprojekte zu einer großen Chance für Artenvielfalt und sitismus im Laufe der Evolution immer wieder zu am Museum für Naturkunde Berlin Klimaschutz werden.“ einem Wettrüsten geführt: zwischen Parasiten, zuständig und die nutznießen, und Wirten, die ihre Lästlinge arbeitet an der Entwicklung loswerden wollen. „Parasitismus ist ein bedeu- der neuen Dauer- tender Motor der Evolution“, sagt Gallé. ausstellung. 15
WISSEN 30.000.000 mal Natur Das Museum für Naturkunde Berlin beherberg t mit über 30 Millionen Objekten die größte naturkundliche S ammlung Deutschlands. Was in der aktuellen Ausstellung für die 6.000 Besucher*innen zu sehen ist, ist nur ein kleiner Bruchteil Meteorite der Schätze des Museums. Wissenschaf tler*innen welt- weit nutzen die S ammlung, um Aufschlüsse über die Natur zu gewinnen Fossile 272.000 Minerale Wirbellose und Gesteine 178.000 fossile Gliederfüßer, Fossile Stachelhäuter, Wirbeltiere Trilobiten, Bernstein 19.700 370.000 fossile Muscheln, fossile Reptilien, Bei den ange- Schnecken, Armfüßer, Vögel, Fährten gebenen Zahlen handelt es sich um Schwämme 41.500 Inventareinheiten. Illustration: Sarah Matuszewski 886.000 Eine Inventareinheit kann mehr als ein fossile Fische, Sammlungsobjekt umfassen, zum Bei- fossile Cephalopoden Amphibien spiel, wenn in der Nass-Sammlung (Kopffüßer), 1,43 Mio zwei Individuen in einem Glas Korallen aufbewahrt fossile Säuger werden und Conodonten 16
123.000 Aufnahmen Insekten im Tierstimmenarchiv 1,3 Mio Fliegen, Mücken, Flöhe Rezente Wirbeltiere 1,5 Mio Hemimetabola (Wanzen, Zikaden, 133.500 Heuschrecken, Libellen) Fische davon 2,4 Mio 160.000 1.800 Vogelarten Hautflügler Amphibien (Wespen, Bienen, und Reptilien & 580 207.000 Ameisen) und Säugetiere Netzflügler Vögel 4,5 Mio Schmetterlinge 250.000 und Köcherfliegen Säugetiere (inkl. embryologische 6 Mio Sammlung) Käfer und Fächerflügler Rezente Wirbellose 49.000 mikropaläontologische 36.500 Objekte Krebstiere 220.000 63.000 Objekte in der Histo- rischen Arbeitsstelle marine Wirbellose 100.000 283.000 paläobotanische Objekte wurmartige Tiere und rezente botanische 265.000 Vergleichsobjekte Spinnentiere und Tausendfüßer 374.000 Monografien, 30.000 7 Mio Zeitschriften, Sonder- drucke, Karten DNA-Proben Mollusken (Bibliotheksbestand) 17
PORTRÄT Text Mirco Lomoth Fotos Pablo Castagnola D i e Giraffen- elle und Z e i t - Elefanten- becken: Für Yara Haridy sind Knochen die Krimis der Evolution r e i s e n d e
Sie dringt mit Licht und Röntgenstrahlung in Jahrmillionen alte Knochen ein, um nach Krankheiten zu fahnden: Wie Yara Haridy, Doktorandin am Museum für Naturkunde Berlin, das Wissen um die Evolution voranbring t I rgendetwas stimmte nicht mit sich diese Fische vor Jahrmillionen dern, in denen Rehe umhersprangen. diesen Knöchelchen, da war Yara auf eine bestimmte Weise entwickelt Sie setzte ihre Expeditionen fort, doch Haridy sich sicher. Die Schwanz- haben“, sagt sie. „Wenn wir unsere bald darauf versiegte ihre Neugier. wirbel des echsenartigen Tieres, Vorfahren besser kennen, kann uns „Auf der Highschool habe ich mich das vor 289 Millionen Jahren in der das helfen zu verstehen, was unsere nur noch um meine Zukunft gesorgt“, Permzeit lebte, waren auf ungewöhn- Gene heute bewirken.“ erinnert sie sich. Sie beschloss, Medizin liche Weise miteinander verwachsen, zu studieren, um die Familie stolz zu zu eng und ebenmäßig für eine ver- machen, büffelte Anatomie, Genetik, Die Entdeckung heilte Verletzung. Haridy fühlte über Physiologie, schloss ihr Grundstudium die Nahtstelle. Hatte eine Krankheit der Vergangenheit ab und begann ein Praktikum in einem zur Fusion der beiden Wirbel geführt? Labor, das sich der Anatomie urzeit- Und ließ sich diese womöglich im Wer Yara Haridy über kieferlose Fi- licher Wirbeltiere widmete. Knocheninnern nachweisen? Sie be- sche, verwachsene Knochen und an- „Das war ein absoluter Augenöffner schloss, ihrer Neugier nachzugehen dere Geheimnisse der Evolution spre- für mich“, erzählt Haridy. Schon wäh- – und fand Hinweise auf die ältesten chen hört, spürt viel von der Begeis- rend des Studiums der Anatomie hatte Viren der Welt. terung, die sie antreibt. „Ich wollte sie sich ständig gefragt, warum der Yara Haridy ist Paläontologin und immer verstehen, wie die Dinge in der menschliche Körper so beschaffen ist, Evolutionsbiologin. Man könnte sie Natur funktionieren“, sagt sie. Schon wie er es ist. „Plötzlich wurde mir klar, auch eine Zeitreisende nennen. Am als junges Mädchen in Marokko zog dass Fossilien helfen können, solche Museum für Naturkunde Berlin spürt sie hinaus in die Natur, entdeckte, Fragen zu beantworten. Es hat sich mir die 26-Jährige für ihre Doktorarbeit dass der Boden voller Leben war, sam- eine ganz neue Dimension eröffnet: die den Ursprüngen und Vorstufen des melte Schädel, Vogelknochen, Käfer, unserer eigenen Vergangenheit.“ Sie menschlichen Skeletts nach. Mit Licht Schnecken – und nahm sie mit nach lernte, dass menschliche Zähne sich und Röntgenstrahlen dringt sie in fos- Hause, um sie zu erforschen. „Keine aus Fischschuppen entwickelt haben – sile Knochen ausgestorbener Tiere ein meiner Freundinnen durfte so etwas, und konnte das kaum glauben. Doch und sucht nach Hinweisen auf Hei- aber meine Mutter hat es mir erlaubt.“ bald sah sie sogar die Vorformen der lungsprozesse und Krankheiten, die Bald darauf zog sie mit ihrer Familie menschlichen Gliedmaßen aus Fisch- vor Jahrmillionen in ihnen abgelaufen nach Toronto. Die zwölfjährige Yara flossen hervorwachsen. Von da an ließ sind. Paläopathologie nennt sich dieses war fasziniert von der satten Natur des die Paläontologie sie nicht mehr los. Spezialfeld: die Erforschung urzeit- kanadischen Ostens, den grünen Wäl- Für ihre Masterarbeit reiste sie weit licher Erkrankungen. „Es ist unglaub- zurück, bis zu den Reptilien der Perm- lich, wie viele Details wir nach so langer zeit, um zu verstehen, wie die Zähne Zeit noch herauslesen können, wie sich sich entwickelt haben. Blutgefäße verändert haben zum Bei- spiel, wie lange eine gebrochene Rippe Alte Flure und eine neue zum Heilen brauchte oder ob ein Tier vor 200 Millionen Jahren an einer In- Evolutionsgeschichte fektion erkrankt ist“, sagt sie. „In gut erhaltenen Fossilien ist sogar die Form Ihre nächste große Reise führte sie von einzelner Knochenzellen erkennbar.“ Toronto nach Berlin, zum Museum für Die Suche nach den spannendsten Naturkunde – und zu den kieferlosen Knochen führt sie weit zurück auf den Fischen des Kambriums, die hier auf- verästelten Pfaden der Evolution, bis zu bewahrt werden. Das ehrwürdige Mu- den kieferlosen Fischen, die vor 480 Mil- seum zog sie sofort in seinen Bann. Sie lionen Jahren im Kambrium lebten. Sie streifte durch alte Flure, Sammlungs- waren unsere frühesten Vorfahren, die und Bibliotheksräume, sah das Skelett bereits Knochen hatten. „Ich möchte Winziger Wirbel mit großem des Archaeopteryx lithographica, den Geheimnis: In dieser Schachtel den Leuten erklären können: Dein lie gt der Nachweis der ältesten perfekt erhaltenen Quastenflosser und Armknochen heilt, wie er heilt, weil Viren der Erdgeschichte natürlich Tristan Otto, den Tyranno- 19
Raum voller litt, die der Paget-Krankheit moderner Wissen: In der paläonto - Menschen ähnelte“, sagt Haridy. Bei logischen der Paget-Krankheit ist die Kommuni- Bibliothek kation zwischen den Knochen auf- und sucht Yara Haridy abbauender Zellen gestört. Schuld da- Inspiration ran ist neben genetischen Faktoren und Umwelteinflüssen vermutlich ein Virus. Haridy hatte den frühesten Nachweis der Paget-Krankheit erbracht – und nebenher Hinweise auf den ältesten Virus der Erdgeschichte gefunden. In Berlin zog ein anderer seltsamer Knochen Yara Haridys Neugier auf sich: ein Oberschenkelknochen der ältesten nen Knochen ziehen.“ bekannten Schildkröte, die in der Trias- In ihrer Freizeit um- zeit vor 240 Millionen Jahren lebte. gibt sich Yara Haridy „Er hatte eine auffällige Beule; als ich am liebsten mit le- ihn zum ersten Mal sah, war ich so be- bender Natur, im geistert, dass mein Doktorvater ihn mir Botanischen Garten für Untersuchungen überließ“, sagt etwa, den sie immer Haridy. Wieder hatte sie ein gutes Ge- wieder besucht, aber spür. Ein Micro-CT-Scan ergab Symp- auch in ihrer Woh- tome, die sich als bösartiger Knochen- nung in Tempelhof. krebs herausstellten – der zweitälteste, „Ich sammle tropi- der bisher an Fossilien nachgewiesen sche Pflanzen, mein wurde. Für Haridy steckt in diesen Apartment sieht aus Funden auch eine tröstende Bot- wie ein Dschungel“, schaft. Die Paläopathologie zeige, saurus rex, an dem sie besonders seine sagt sie. Auch ein paar Frösche quaken dass Viren, Krebs und andere Krank- Rippenbrüche und Veränderungen an in ihrem Terrarium. heiten sich immer schon parallel mit seinem gewaltigen Kiefer interessier- dem Leben entwickelt und uns zu dem ten, die wohl von einer Infektion her- gemacht haben, was wir heute sind. Ein Gespür für rührten. Auch heute noch, nach zwei „Die Menschheit und ihre Vorfahren Jahren am Museum, unternimmt sie seltsame Knochen haben im Laufe der Evolution schon diese Erkundungstouren regelmäßig. viele furchtbare Krankheiten überstan- „Es fühlt sich an, als atme das Gebäude, Auf ihrem Flug von Toronto nach den – das sollte uns Hoffnung geben.“ hier wurden so viele Arten zum ersten Berlin hatte Haridy auch die auffällig Mal beschrieben und man spürt die verwachsenen Wirbelknochen des Leidenschaft der Wissenschaftler und echsenartigen Tieres im Gepäck, die Wissenschaftlerinnen der Vergangen- sie während ihres Studiums in Kanada heit – das inspiriert.“ entdeckt hatte. Am Museum für Natur- Doch vor allem hat sie die aktuelle kunde Berlin legte sie die nur sechs Forschung des Museums nach Berlin Zentimeter großen Knöchelchen in gebracht. Ihre Arbeitsgruppe ver- einen Mikrocomputertomographen. gleicht Fossilien mit modernen Tieren, Die Röntgenstrahlen offenbarten, dass um so eine umfassendere Evolutions- das Knocheninnere auf seltsame Weise geschichte erzählen zu können, eine zerstört war. „Er war an manchen weltweit seltene Verbindung. Haridy Stellen übermäßig gewachsen, an ande- möchte ihre Doktorarbeit zu Fisch- ren krankhaft abgebaut“, sagt Haridy. fossilien in Zukunft auf gegenwärtige Mithilfe eines Radiologen von der Haie und Lachse ausweiten. „Die bil- Charité – Universitätsmedizin verglich den ihre Knochen ganz anders als wir, sie die Symptome mit modernen Krank- ohne Zellen“, sagt sie. „Wenn wir ihr heitsbildern – und wurde fündig. „Alles Neben CT-Geräten, die das Innere von Knochen abbilden, System besser verstehen, können wir deutete darauf hin, dass das Tier an arbeitet Yara Haridy auch auch Rückschlüsse auf unsere eige- einer Knochenstoffwechselkrankheit oft mit Mikroskopen 20
BOTSCHAF TERIN „Das Museum Z oonose – ein Wort, das vor allem Wissenschaftler- innen und Wissenschaftler kannten, ist in gibt allen Menschen der breiten Bevölkerung angekommen. Spätestens seit Ausbruch der Coronapandemie wissen viele Zugänge zu dem Menschen, wie gefährlich eine Zoonose sein kann – wenn sich ein Virus vom Tier auf den Menschen überträgt. großen Schatz an Es ist uns als Gesellschaft gemeinsam gelungen, die Geschwin- digkeit der Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Noch Wissen über die stecken wir mitten drin in der Bewältigung einer globalen Krise. Sie zeigt uns sehr deutlich, dass wir alle im selben Boot sitzen. Dass wir dieses Virus nur besiegen können, wenn wir zusammen- Natur“ arbeiten. Auch den Klimawandel werden wir nur verlangsamen können, wenn alle Länder zusammenarbeiten. An den Pariser Klimazielen und an den Sustainable Development Goals. Ich bin jedes Mal aufs Neue beeindruckt, was das Naturkunde- museum mit seinen 30 Millionen Objekten zeigt: wie vielfältig und wie schützenswert unsere Natur und die Vielfalt der Arten sind. Dass es uns nur gut geht, wenn es der Natur gut geht. Deshalb trifft auch # fürNatur so genau, wofür das Museum steht: nicht nur für die Natur, sondern auch für jede Bürgerin und jeden Bürger. Es ist ein Museum für alle, selbst die Kleinsten. Und jetzt in der Krise ist es auch ein Museum für alle, die zu Hause bleiben. Mit dem Kanal #fürNatur digital hat das Naturkundemuseum es geschafft, in der langen Phase des Lockdowns Zugänge offen zu halten. Und das ist im besten Sinne das, was ich unter guter Anja Karliczek, Wissenschaftskommunikation verstehe. Sie gibt allen Menschen Mitglied des Deutschen Zugänge zu dem großen Schatz an Wissen, der jeden Tag größer wird. Sie macht den Austausch zwischen den Forscher*- Bundestages, innen und der Gesellschaft möglich. Bundesministerin Das Vertrauen der Bürger*innen in die Forschung ist groß. für Bildung und Forschung Und ich möchte, dass das so bleibt. Dafür brauchen wir eine offene Wissenschaft, zu der ein Austausch über komplexe Forschungsfragen auf unterschiedlichen Kanälen selbstverständ- lich dazugehört. Dafür sollte es immer Räume geben, wie das Experimentierfeld des Museums für Naturkunde Berlin. Ich sehe das Museum hier als Vorreiter: Früh hat es erkannt, wie wert- voll Wissenschaftskommunikation ist – für die Bevölkerung und für die Forschenden gleichermaßen. Das Museum nutzt die zahlreichen digitalen Kanäle dafür, und man merkt sofort, dass die Mitarbeiter*innen diesen Austausch ernst meinen. COVID-19 wird vielleicht eines Tages ein Thema bei den Fledermausexponaten des Naturkundemuseums sein. Weil das Virus, das zu dieser weltweiten Pandemie ungeahnten Ausmaßes geführt hat, möglicherweise ursprünglich aus Foto: Bundesregierung / Laurence Chaperon Fledermäusen kam. Eine Konsequenz war, dass dieses Museum, wie alle anderen auch, für viele Wochen schließen musste. Dies hat glücklicherweise nicht dazu geführt, dass wir die Stimmen aus der Wissenschaft nicht mehr vernehmen konnten – im Gegenteil. Ich bin froh und dankbar, Forscher*innen aus der Zoologie, der Virologie, der Medizin und vielen anderen Bereichen an unserer Seite zu wissen. Ich bin zuversichtlich, dass wir aus den Erkenntnissen, die wir in dieser schweren Zeit gewinnen, viel lernen, um klug im Sinne einer nachhaltigen Zukunft unseres Planeten zu handeln. Bleiben Sie gesund! 21
DIGITALISIERUNG Insekten- härchen und Saurier- knochen in 3D Von winzig klein Mit dem S truktur- bis riesengroß: lichtscanner entsteht Das Museum digi- das 3D-Modell durch die talisiert seine Reflexion auf dem Knochen Objekte mit neuesten Methoden. Wissen- W schaftlerinnen und ie fein sind die Härchen Frederik Berger, wissenschaftlicher Wissenschaftler von millimetergroßen Leiter der Sammlungsdigitalisierung. Ameisen, Bienen oder Bei der Computertomografie gibt es aus aller Welt werden Käfern? Oft dünner als detaillierte Einblicke ins Innere eines sie künftig am jedes Haar eines Menschen, so viel Objekts; die Daten enthalten jedoch steht fest. Deswegen sind derart fei- keine Informationen über die Fär- heimischen PC ne Härchen und andere winzige Ob- bung der Objekte. Bei einem Struk- erforschen können jekte aus der Insektensammlung des turlichtscanner wirft ein bügeleisen- Museums schwer, dreidimensional, großes Gerät Licht auf die Knochen. Fotos: Hwa Ja-Götz / MfN (2), Heethoff / Schmelzle / DiNArDa e. V. Text also in 3D, zu digitalisieren. Doch wie Durch die aufgefangene Reflexion Carmen steht es um Schwanzwirbel von riesi- entsteht ein 3D-Abbild – das ist be- Schucker gen Dinosauriern wie dem Giraffa- sonders für die Forschung an großen titan brancai ? Die Größe und Struk- Fossilien oder an Huftierschädeln tur von Saurierknochen lassen sich nützlich. Bei der Fotogrammetrie schwer mit hauchdünnen Bienen- entsteht mit einer speziellen Software flügeln vergleichen. Eine einzige aus mehreren Fotos aus verschiede- Methode reicht daher nicht, um die nen Aufnahmewinkeln zunächst eine INSEKTEN Sammlung des Museums mit ihren Punktwolke. Daraus erzeugt die Soft- IN 3D 30 Millionen Objekten in die digi- ware anschließend 3D-Geometrie. tale Welt zu überführen. Reinzoomen, umdrehen, der Blick Maßstabgetreu und „Wir konzentrieren uns zurzeit von oben oder unten: Das alles ist bei aus 400 Perspektiven: auf drei Techniken: die Computer- 3D-Objekten kein Problem. doi.naturkundemuseum. tomografie, bekannt aus der Medi- „Mit den aufwendigen 3D-Tech- berlin / data / 10.7479 / zin, den Strukturlichtscan und nologien erfassen wir nur die be- vh7x-kv34 fotogrammetrische Verfahren“, sagt sonders wertvollen Objekte oder für 22
Die S treifen- wanze steht hochaufgelöst und digital für die Forschung bereit Vir tueller Disc3D: Schädel einer Der welt weit Leierantilope erste 3D- Insektenscanner füg t Bilder aus fast 400 Perspektiven zusammen tiven rund um das Insekt zusammen- nikerin im Computertomografiela- gefügt. Damit ist es dann möglich, bor. Wie sieht es im Inneren eines noch so kleine Insekten sowie deren urzeitlichen Knochens aus? Oder in Flügel und Härchen dreidimensional einer seltenen Schlange aus der Nass- abzubilden. Forschende aus aller Welt Sammlung? Die neuesten technischen können so per Mausklick an hunderte Methoden ermöglichen einen Blick in Jahre alten Insekten in 3D arbeiten. die Objekte ohne jegliche Zerstörung. Forschungsarbeit essenziellen Objek- Im Mikro-Computertomografie- Das Digitalisierungsteam am Mu- te“, sagt Berger. Hierzu gehören die Labor (kurz Mikro-CT-Labor) des seum digitalisiert in den kommenden Typus-Exemplare: Das sind die Indi- Museums werden biologische, palä- Jahren alle 30 Millionen Sammlungs- viduen, anhand derer die Art zum ers- ontologische und geologische Objek- objekte. Die 3D-Digitalisierung ist ten Mal beschrieben wurde. Welches te computertechnisch analysiert. So- dabei nur ein Baustein der Digitali- Verfahren das Digitalisierungsteam wohl für die Forschung am Museum sierung am Museum. „Oft tippen wir benutzt, hängt davon ab, welche Infor- als auch für die Digitalisierung der analoge Textquellen wie die Samm- mation der Forschende braucht und wissenschaftlichen Sammlung ist lungsetiketten der Objekte per Hand um welches Objekt es sich handelt. das Labor eine zentrale Anlaufstelle. ab“, sagt Berger. „Auch das ist Digi- Seit Kurzem besitzt das Museum „Die extra für die Forschung gebau- talisierung.“ den Darmstädter Insektenscanner ten Computertomografen sind sehr Das Ziel all dieser Bemühungen Disc3D, entwickelt vom gemeinnüt- vielfältig einsetzbar. So können so- ist es, dass Menschen – Forschende zigen Verein DiNArDa e. V. Es ist der wohl kleinste innere Strukturen wie wie Laien – weltweit über ein Portal weltweit erste 3D-Scanner für Insek- die wenige Millimeter großen Gehör- auf die Objekte der Forschungssamm- ten aus Museumssammlungen. Dabei organe von Insekten bis hin zu 40 lung zugreifen können. Insekten werden rund 25.000 Aufnahmen mit Zentimeter große Huftierschädel bis oder Huftierschädel aus Megabytes je 12 Megapixeln zu tiefenscharfen auf den Mikrometer genau vermessen erobern so vielleicht bald den heimi- Bildern aus annähernd 400 Perspek- werden“, sagt Kristin Mahlow, Tech- schen Bildschirm. 23
KALENDER Natur für alle # FÜR NATUR DIGITAL museumfuernaturkunde. berlin / veranstaltungen
Der Ozelot: ein ausgestopftes Präparat der Wild- katze von 1819 und eine moderne Dermoplastik Virtuell Highlights und Hintergründe entdecken Von biologischer Vielfalt, tonnen- schweren Dinosauriern und einem Kuhhandel: In unseren „Guided Tours“ laden wir Besucher*innen zu einer digitalen Entdeckungsreise ins Museum ein. Die Onlineführungen werfen Schlaglichter auf einzelne Bereiche der Ausstellung und erzählen spannende Geschichten über die 30 Millionen Objekte unserer Forschungssammlung. Unsere Guides führen durch unsere Ausstellungen – geschaut werden kann von der Couch oder vom Kinderzimmer aus. Foto: Carola Radke / MfN Alle Videos im YouTube-Kanal des Museums für Naturkunde Berlin, Playlist „Guided Tours“. 25
Digitale „Bees & Bytes“: Forschungs- reise Transkribieren Mehr als 6.600 Museen gibt es in Deutschland. von Samm- Mit Google Arts & Culture können einige davon – lungsetiketten auch das Museum für Naturkunde Berlin – Auf der Webseite Zooniverse.org Wissen aus dem vom heimischen Sofa aus läuft eine Mitmachaktion für virtuell wie mit Google Homeoffice: Museums- Street View erkundet alle Naturfans. Für das Engage- guides machen Natur zu Hause werden. Außerdem er- ment als Bürgerwissenschaft- wachen einige Präparate erlebbar der Biodiversitätswand ler*in von zu Hause aus braucht per Virtual Reality zum man nur etwas Zeit und einen Leben. Computer – und leistet einen wertvollen Beitrag für die digitale Erschließung der Sammlungen des Museums für Naturkunde Berlin. Die Forschungssammlung soll in den kommenden Jahren weltweit digital zugänglich # Wissenswert: Die Welt werden, zunächst wird in einem Neue Serie der Parasiten ersten Pilotprojekt und mit Blick auf YouTube auf das aktuelle Insektensterben Viren bestimmen mehr denn je unseren Alltag. Sie verkörpern die die gesamte Hymenoptera- Können Fische unter Wasser höchste Form des Parasi- Sammlung mit etwa 2,3 Millionen Virusinfektionen bekommen? tismus. Doch was sind Bienen, Wespen und Ameisen Parasiten und welchen Waren am Aussterben des Einfluss haben sie auf digital erschlossen. Wenn Tasmanischen Tigers, besser die globale Gesundheit? Bürgerwissenschaftler*innen Die Wanderausstellung bekannt als Beutelwolf, eben- „Parasiten – Life Un- dabei helfen, die Etiketten falls Viren beteiligt? Was haben dercover“ wurde von abzutippen, kann die Arbeit mehr als 1,5 Millionen Schuppentiere eigentlich mit schneller vorangehen. Menschen besucht. dem Coronavirus zu tun? Und wie Sie erzählt 24 teils un- kann man selbst Wildbienen in glaubliche Geschichten aus aller Welt und zeigt, der Stadt helfen? In # Wissens- dass Klimawandel, Glo- wert geben die Museumsguides balisierung und Mega- cities der Verbreitung ihr Wissen in unterhaltsamer von Parasiten Vorschub Form in informativen Videos leisten. Die digitale weiter – immer mit Bezug zu Ausstellung, sowie Infor- mationen zu Live Talks, Sammlung und Forschung am finden Sie auf unserer #mfnberlin. Webseite. 26
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