URBAN FOOD PRODUCTION - ZK/U

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Untersuchungsausschuss #04 (UA #04):
              Städtische Essensherstellung

    Erstellt im Rahmen der Untersuchungsausschüsse am
     ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik, Berlin

                 Untersuchungszeitraum
               1. Mai - 31. August 2019

  URBAN FOOD
  PRODUCTION         Untertitel

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                           1
VORWORT                                                                                                               FOREWORD
Die Untersuchungsausschüsse des ZK/U haben es                   che Themen den Gesprächsstand der vielfältigen er-       The fact-finding committees of the Zentrum für Kunst          networks around agricultural topics, she analyzed the
sich zur Aufgabe gemacht Themen zu erforschen, die              nährungspolitischen Akteure in Berlin analysiert und     und Urbanistik set itself the task of researching to-         state of the discussions of the diverse stakeholders of
relevant sind für Berlins Stadtgesellschaft, aber in der        die Ernährungsstrategie des Berliner Senats kritisch     pics that are relevant for Berlin’s urban society but         food policy in Berlin, and has critically examined the
politischen Debatte und Praxis zu wenig Beachtung               zu beleuchtet.                                           don’t get enough attention in the political debate and        food strategy of the Berlin government.
finden.                                                         Der UA #04 schaffte binnen kürzester Zeit, das Thema     practice.                                                     The Fact-Finding Committee #04 managed within a
Essen ist Grundbedürfnis und wird seit Jahren poli-             Ernährungswende in unserem Kiez, aber auch in Ber-                                                                     very short time to make the topic of change in the
tisch von verschiedensten Akteuren der Zivilgesell-             lins Mitte zu einem Teil der stadtpolitischen Debatte    Food is a basic need, and for years has been addres-          food system not just in our neighborhood, but also in
schaft beackert – von großen Bündnissen wie „Wir                zu machen. Grund dafür ist auch die Vertrautheit mit     sed by a wide range of actors of civil society—from           Berlin’s center part of the political debate in the city.
haben es satt“, neueren Organisationen wie dem Er-              dem Ort, den Menschen und den Abläufen des ZK/U,         large alliances like “Wir haben es satt” [We’ve had           One reason for this is the familiarity with the place, the
nährungsrat Berlin oder selbstorganisierten Gruppen             die den UA #04 auszeichnet; dies hat es ihnen er-        enough] to newer organizations like the Food Council          people, and the processes at ZK/U which characteri-
wie den regionalen SoLaWis.                                     möglicht, schnell ein lokales Netzwerk aus Initiativen   Berlin, or self-organized groups like the regional CSAs       ze the Fact-Finding Committee #04; this enabled its
Das ZK/U hat seit seiner Gründung 2012 das gemein-              wie den Moabees, den Baufachfrauen, dem nachbar-         (community-supported agriculture).                            members to integrate a local network of initiatives like
same Essen als Vermittlungs- und Begegnungskonzept              schaftlichen Schulgarten und dem Bürger*innengarten                                                                    Moabees, Baufachfrauen, the neighborhood school
in sein Programm integriert. Essen kreiert nicht nur ei-        in ihre Arbeit hier einzubinden. Mit dem Bau einer       Since its establishment in 2012, ZK/U has integra-            garden, and the citizen’s garden into their work here
nen sozialen Raum, sondern ist in der internationalen           Terrasse auf einem Container vor dem ZK/U haben          ted shared meals as a concept for communication               quite quickly. With the construction of a terrace on
Gemeinschaft des ZK/U und der Stadt auch immer ein              sie zudem einen neuen Begegnungsort geschaffen –         and getting together. Food does not just create social        top of a container, they also created a new meeting
Werkzeug für interkulturellen Austausch. Intern wer-            einen Ort, an dem Diskussionsrunden während des          space, but within the international community of the          space—a place where panel discussions took place
den bei unseren Monday Dinners in der Künstlerresi-             Gütermarkts stattfanden, Bienen auf Wildblumen           ZK/U and the city it has always also been a tool for          during Gütermarkt, where bees encounter wild flo-
denz mit dem kleinen Budget von 50 € Gerichte aus               treffen und eine Seilbahn das selbst angebaute Es-       intercultural exchange. During our Monday Dinners in          wers, and a ropeway transports the homegrown food
einfachen Zutaten gekocht; die diversen kulturellen             sen nun direkt auf den Mittagstisch des ZK/U beför-      the artists’ residence, meals are cooked with simple          directly to the lunch table of the ZK/U. Not far from
Hintergründe unserer Resident*innen werden beim                 dert. Unweit vom ZK/U engagiert sich die vom UA          ingredients (and a small budget of 50 Euros), and the         ZK/U, at the invitation of the Fact-Finding Committee
gemeinsamen Kochen neu gemischt. Öffentliche For-               #04 eingeladene Künstlerin Silke Riechert gemein-        diverse cultural backgrounds of our residents are re-         #04, the artist Silke Riechert, together with the garden
mate wie das wöchentliche Speisekino und der mo-                sam mit der Garten- und Landschaftsplanerin Laura        mixed when we all cook together. Public formats like          and landscape planner Laura Tenenboim works for
natlich stattfindende Gütermarkt bringen verschie-              Tenenboim im „Planungsverfahren Nahraum Bremer           the weekly Speisekino (food & footage) and monthly            a change toward community gardens and communal
denste Menschen an langen Tafeln zum gemeinsamen                Straße“ für einen Wandel hin zu Beteiligungsgärten       Gütermarkt (commodities market) bring together a              food-growing in Moabit, as part of the “Planungsver-
Essen zusammen. Über diese Formate hinaus hat das               und nachbarschaftlichem Essensanbau in Moabit.           wide range of people at long tables for shared me-            fahren Nahraum Bremer Straße” [Planning Process
ZK/U politische Aktionen wie die Schnippeldisko un-             Mit der Veranstaltung „Lebensmittelpunkt am Alex?        als. In addition to these formats, ZK/U has supported         Area Bremer Straße]. In the event “Lebensmittelpunkt
terstützt, bei der Freiwillige die Zutaten für eine Suppe       Ernährungswende von unten!“ am 17. August 2019           political actions such as the Schnippeldisko, where           am Alex? Ernährungswende von unten!” on August 17,
mit 9000 Portionen zerkleinern.                                 hat der UA #04 auf die Möglichkeit hingewiesen, das      volunteers cut up the ingredients for a soup with 9000        2019, the Fact-Finding Committee #04 pointed out
                                                                Thema „Gute Ernährung für alle“ von Beginn an in         servings.                                                     the possibility of integrating the topic of “good food for
Mit dem von der Stadtfrauenküche geleiteten Untersu-            die Planung des neuen Kiezes rund um das Haus der                                                                      everybody” from the beginning into the planning for
chungsausschuss #04, Urban Food Production, wurde               Statistik einzubeziehen. Im Rahmen der Pioniernut-       With the Fact-Finding committee #04 Urban Food                the new neighborhood around the Haus der Statistik.
nun der Blick in Richtung Produktion und Verteilung             zung „Ernährungshof Essen und Begegnung“, die der        Production, directed by Stadtfrauenküche, we now              As part of the pioneer project “Ernährungshof Essen
erweitert. Die Stadtfrauenküche, bestehend aus Simo-            UA #04 am Haus der Statistik initiiert hat, sollen Sy-   broadened our view to include production and dis-             und Begegnung” that the fact-Finding Committee #04
ne Häckel, Susanne Schröder und Simone Schröder,                nergien und Kreislaufsysteme geschaffen werden, die      tribution. Stadtfrauenküche, consisting of Simone             initiated at Haus der Statistik, synergy and circulation
begleitet das ZK/U nicht nur kochend bei vielen For-            direkt auf die Herausforderungen der Klimakrise und      Häckel, Susanne Schröder, and Simone Schröder,                systems were created that directly address the chal-
maten – zwei Partnerinnen der männlichen Direktoren             Resscourcenknappheit eingehen, um den Zugang zu          does not just cook for ZK/U at many events and for-           lenges of climate crisis and resource scarcity in order
des ZK/U sind Teil dieses Projekts und auch schon               gutem Essen für alle zu sichern.                         mats—two partners of the male directors of ZK/U are           to ensure access to good food for everybody.
länger parallel als Zentrum für Kunst, Feministik und                                                                    part of this project, and they have also been active as
Urbanistik (ZK/FU) aktiv. Bezeichnenderweise haben              Die Ernährungswende von unten hat längst begonnen        Center for Art, Feministics und Urbanistics (ZK/FU).          The change in food systems from below has started
sie beim Thema Ernährung Karin Ehrle-Horst, die                 – doch nur mit einem stadtweiten und spartenüber-        Tellingly, for the topic of food, they brought on board       long ago—but only with a city-wide and interdiscipli-
Partnerin des dritten Direktors, an Bord geholt, um             geifenden Umdenken können wir dafür sorgen, dass         Karin Ehrle-Horst, the third director’s partner, in or-       nary rethink can we ensure that the supply of good
gemeinsam die tieferliegenden Strukturen der Versor-            die Versorgung mit gutem Essen für alle Stadtbewoh-      der to jointly research the deeper structures of supply       food for everybody in the city is integrated into the
gung zu untersuchen. Für dieses Heft hat sie mit ihren          ner*innen in die Planungsprozesse der Stadtentwick-      and provision. For this issue, with her experience in         planning processes of urban development.
Erfahrungen in Netzwerken rund um landwirtschaftli-             lung eingebunden wird.

                                         Lotta Schäfer und Philip Horst                                                                                                 Lotta Schäfer
                                    ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik                                                                                   ZK/U – Center for Art and Urbanistics

                                                            2                                                                                                                      3
Öffentliche Veranstaltungen des UA #04 im ZK/U                                 Inhaltsverzeichnis
                                                                               I
                                                                               Intro von Stadtfrauenküche                             6

                                                                               II
                                                                               Ernährungswende in Berlin?                             8

                                                                               III
                                                                               Grüne Karta Moabit                                     19

                                                                               IV
                                                                               Essbare Kreisläufe im ZK/U                             24
                                                                               Geländeplan
                                                                               Gartenstück im Bürgergarten
                                                                               Milpa - Die drei Schwestern
2. Juni 2019 | 14:00-17:00                   18. August 2019 | 11:00-17:00
                                                                               ZK/FU - Zentrum für Kunst, Feministik und Urbanistik
Zero Waste DIY Workshop I                    Silke Riechert &
                                                                               Food Funicular - eine Seilbahn mit frischem Gemüse
Wir nähen ein Furoshiki Tuch                 Laura Tenenboim
(mit Leonie Weber)                           Die Bohne.
                                                                               V
Eröffnung der ZK/FU Dachterrasse             Offene Werkstatt
                                                                               Wildpflanzen                                           33
mit Stammtisch                               ZK/U Unit 1

                                                                               VI
                                                                               Nicht ohne Tattoo in die Küche                         39
7. Juli 2019 | 14:00-17:00                   22. August 2019
Zero Waste DIY Workshop II                   Openhaus +
Wir nähen einen Gemüsebeutel                 Präsentation in Unit 1
(mit Leonie Weber) & Wildpflanzen            Wildpflanzenmenü in
Textil-Siebdruck                             Kooperation
                                             mit dem Speisekino

17. August 2019 | 14:00-17:00                                                               hier noch eine kleine
Lebensmittelpunkt am Alex?
Ernährungswende von unten!
                                             1. September 2019 | 14:00-17:00
                                             Zero Waste DIY Workshop III                       Zeichung oder
Ort: Haus der Statistik, Musterhaus          Wir nähen eine Butterbrottasche               handschriftliche Notiz
                                                                                                oder Tattoo?
(Autoscooter), Parkplatz Berolinastra-       (mit Leonie Weber)
ße 22, Berlin-Mitte

                                         4                                                                  5
I                                                                                       den Machern des ZK/U verbunden, die die Entstehung des Hauses beglei-              I
                                                                                         tet haben und besonders in der hauseigenen Küche eine Spielwiese für
        Liebe Akteur*innen und Mitmenschen, liebe Zivilgesellschaft, liebe Lidl-,        sich entdecken konnten. Die sich fragen, was gute Care-Kreisläufe sind, im
        denn's-, Hamberger-, HelloFresh-, Edeka- und LPG-Kund*innen, liebe För-          großen Betrieb und in der modernen Kleinfamilie. Die sich fragen, wie das
        dermittelantragsteller*innen, liebe Zeitgeistrechercheure, liebe Kinder und      zusammengehen kann – die große Kraft, die es kostet, einfache und gute
        Jugendliche, liebe Erzeuger, einfache Angestellte, verbeamtete Lehrer*innen,     Lebensmittel herzustellen, so viel Zeit, die zugleich Erfüllung und Sinnhaf-
        Bekenntnisliteraten, Postenköche, Bundesjugendspielversager, Influencer,         tigkeit bereitet - und der ökonomische Druck, unter dem man steht.
        Speiseisanhänger, Clean Eaters, Raucherinnen, Tiefbeetfreunde, Kümmerer,         Wir haben uns zu diesem Untersuchungsausschuss selbst eingeladen und
        Netzwerker, Polyamorist*innen, Städtetouristen, Narrativisten im Affiliate       danken Lotta Schäfer vom ZK/U für ihren Enthusiasmus und ihre Kompe-
        Marketing, liebe aggressive Mütter.
                                                                                         tenz. Wir wissen manchmal (nicht) genau, was wir tun. Wir haben immer
                                                                                         zu wenig Zeit und nie genug Geld. Wir finden es großartig, uns in diesem
        Es ist Sommer 2019. Peaches’ erste institutionelle Einzelausstellung er­
                                                                                         Kulturbetrieb zu Expertinnen selbst zu ermächtigen, Behauptungen auf-
        öffnet, Ursula von der Leyen wird EU-Kommissionspräsidentin, Angela Merkels      zustellen, andere Frauen mit an Bord zu holen, Impulse zu geben. Motto
        Beine zittern. In Brandenburg stehen die Stockrosen in hoher, bunter             vielleicht: Essbare Kreisläufe? Es gibt ja gerade einen ziemlichen Kreis-
        Pracht. Mit halb geneigtem Blick überreichen wir den Output unseres              lauf-Druck: Sackgassen und Widersprüche müssen endlich überwunden
        Stipendiums Untersuchungsausschuss #04: Urban Food Production im                 werden, wegen des Klimas. Und stellen sich doch immer wieder ein, nir-
        Zentrum für Kunst und Urbanistik Berlin.                                         gendwo ein Schleier der Ahnungslosigkeit, hinter dem man sich verstecken
        Wer hätte das geahnt. Damals war es ein gehässiges Schimpfwort unter-            könnte.
        forderter Mittelschicht-Teenager einer westdeutschen Stadt. Es gab diesen

                                                                                                                                                                          AUTORIN?
        Laden, mitten in der Innenstadt, eine Mischung aus Primark und Action.
                                                                                         Hier ein kurzer Einblick in die Themen des Heftes:
INTRO

        Er hieß Urban. „Ist das von Urban?“, tuschelten die Esprit-, Marc O'Polo-,       Ernährungswende. Die größte Avantgarde seit den Präraffaeliten. Hier
        Benetton-Trägerinnen mit abfälligem Blick, und in der ungegerbten Leder-         kommt alles zusammen: Klima, gute Arbeit, Wertschätzung, Gemeinschaft,
        schultasche wartete Die Wolke von Gudrun Pausewang.                              Zukunft. Es gibt in Berlin und den umliegenden Bundesländern eine unglaub-
        Jetzt allerdings, Jahre später, hat das Wort Hochkonjunktur. So schön kos-       liche Dichte an Kompetenz in Sachen industriefreier Landwirtschaft und
        mopolitisch, gute Klangqualität, annähernde Kongruenz von Form und der           kreativer politischer Arbeit. Ein paar Begriffe stellen sich vor.
        im jeweiligen Subjekt entstehenden inhaltlichen Idee. Viele Möglichkeiten        Die Initiative thf.vision hat das Konzept für einen Ernährungshof in den
        der Projektion. Urban Outfitters, Urban Design, Center for Art and Urbani-       ehemaligen Offizierskantinen des Flughafen Tempelhof entwickelt. Auch im
        stics. Ob es je etwas Post-Urbanes geben wird? ZK/O - Zentrum für Kunst          einstigen Haus der Statistik am Alexanderplatz in Mitte, das zu einem neuer
        und Orbinistik?                                                                  Kiez umgebaut wird, könnte ein Lebensmittelpunkt entstehen. Die Akteurin-
                                                                                         nen Silke Riechert und Laura Tenenboim fordern die Grüne Karta Moabit,
        Und dazu das Thema Food, noch so ein triefender Brocken. Food – korrekt          in der Parkanlagen in Stadtacker verwandelt werden.
        und inkorrekt – ist total in. Dafür interessieren wir von der Stadtfrauenküche   Kommen noch unsere eigenen Experimente mit Wildpflanzen, nicht-sub-
        uns.                                                                             kutaner Tinte, einer Essens-Seilbahn auf einer Container-Dachterrasse und
                                                                                         der Ackerbaumethode Drei Schwestern vor Ort im ZK/U hinzu.
        In jeder Lifestyle-Zeitschrift gibt es Ratschläge zu nachhaltigem und zu         Ein buntes Potpourri aus privater und politischer, zivilgesellschaftlicher und
        Zero-Waste-Konsum. Jedes Kindergartenkind weiß, dass eine Avocado viel           professioneller Perspektive.
        Wasser und Weg verbraucht.

        Unsere Schülerzeitung zum Thema Urban Food Production ist kein Atlas
        und auch kein Bericht. Wir starten bei uns: ein paar Cis-Frauen im besten
        Alter, im weitesten Sinn beruflich im Kulturbereich angesiedelt, familiär mit
                                                    6                                                                                    7
ERNÄHRUNGSDEMOKRATIE                                                                                                                         II    II                                                                                                     KARIN EHRLE-HORST

                                   Ernährungswende                                                                                                                              Changes in the Food
                                       in Berlin                                                                                                                                 System in Berlin
In Berlin sind Lebensmittel so gut wie im-      geht. Nach Angaben des Robert Koch-Ins-            ist da noch gar nicht mit eingerechnet. Die     In Berlin, food is almost always and ever-     with consequences for their health. In ad-    can be produced for very little money. The
mer und überall verfügbar – und das völlig      tituts sind in Deutschland zwei Drittel der        intensive Form der Landwirtschaft, wie          ywhere available – as a matter of course.      dition, countless tons of food are thrown     high price for the environment is not even
selbstverständlich. Die Auswahl ist riesig:     Männer übergewichtig, die Hälfte der Frau-         sie heute verbreitet ist, setzt Pflanzengifte   The selection is vast: we can choose un-       away in Berlin: at home because we don’t      included in the calculations. The intense
Wir können wählen zwischen unverpackt           en auch – in Berlin dürften sich die Zahlen        ein, die in unseren Gewässern landen, und       wrapped food and discount stores, bet-         feel like eating it, in the supermarkets      farming, so widespread nowadays, uses
und Discounter, zwischen kambodscha-            ähnlich gestalten. Die meisten Menschen            greift auf Kunstdünger zurück, die unsere       ween Cambodian and zero waste, we get          because the sell-by date has been rea-        herbicides that end up in our rivers and
nisch und Zero Waste, wir holen uns Es-         essen zu viel, zu fett und zu zuckerhaltig,        Böden auf Dauer auslaugen. Die in diesem        food to go or use one of the numerous          ched, and also in agricultural companies      lakes, and uses chemical fertilizers that
sen to go oder nutzen einen der zahlreichen     was gesundheitliche Folgen nach sich zieht.        Sektor gängigen Niedriglöhne und schlech-       delivery services. No city has as many         because the product does not meet the         exhaust the soil. The low wages paid in
Lieferdienste. Keine Stadt zählt so viele       Zudem werden in Berlin unzählige Tonnen            ten Arbeitsbedingungen sind darüber hin-        food trucks as Berlin. And here, too, the      expectations of retailers or customers. Th-   this sector and the bad working conditions
Foodtrucks wie Berlin, und auch hier ist die    an Lebensmitteln weggeworfen: Bei uns zu-          aus Motor für soziales Elend.                   selection is almost unlimited: burgers,        roughout Germany, farmers are struggling      foster social deprivation.
Auswahl nahezu unbegrenzt: Burger, Kä-          hause, weil wir keine Lust mehr darauf ha-             Dieses Ernährungssystem braucht einen       spaetzle, falafel, dumplings… This list        with the principle of “grow or perish,”           This food system needs to change. Sin-
sespätzle, Falafel, Dumplings... Diese Liste    ben, im Supermarkt, weil das Mindesthalt-          Wandel. Seit 2011 demonstrieren jedes           could be continued at length. New food                                                       ce 2011, every year tens of thousands of
lässt sich beliebig lange fortsetzen. Immer     barkeitsdatum abgelaufen ist, und auch bei         Jahr mehrere Zehntausenden Menschen             start-ups emerge all the time, as do new                                                     people have been demonstrating with the
neue Food-Start-ups entstehen, ein Ernäh-       den landwirtschaftlichen Betrieben, weil           unter dem Motto „Wir haben es satt“ gegen       food trends. Berliners photograph their                                                      motto “We’ve had enough!” (we are fed
rungstrend jagt den anderen. Berliner*in-       das Produkt nicht den Wünschen des Han-            Massentierhaltung, Umweltschäden durch          food millions of times and post it on social                                                 up!) against factory farming, environmen-
nen fotografieren ihr Essen millionenfach       dels oder der Konsument*innen entspricht.          den Einsatz von Pestiziden, den zunehmen-       media, the food blogger scene is growing,                                                    tal damage caused by pesticides, increa-
und posten es in den sozialen Medien,           Deutschlandweit haben die Bäuer*innen              den Preisdruck und die negativen Auswir-        as is the number of food apps and food            Hier könnte ein                            sing price pressure, and the negative con-
die Food-Blog-Szene wächst, die Zahl der                                                           kungen auf die bäuerlichen Strukturen.          markets. In short: the food market is boo-                                                   sequences for regional small agricultural
Food-Apps und Food-Markets auch – kurz:
                                                                               Wir können nur
                                                                              so gut produzieren
                                                                               wie die Erzeuger
                                                                                                   Vielerorts in Berlin und Brandenburg ent-       ming. Food is fashionable.                      Zitat stehen. Hier                           structures. In many places in Berlin and
Der Food-Markt boomt. Essen ist Trend.                                          sind. Außer wir    stehen nachhaltige Ernährungsinitiativen,          That food is of existential significance                                                  Brandenburg, sustainable food initiatives
   Dass Essen für unser Leben von exis-
                                                                              schmeißen überall
                                                                                  Currypulver
                                                                                    drüber.
                                                                                                   in zahlreichen Urban-Gardening-Projekten        for our lives is veiled by this trend. Many    könnte ein Zitat ste-                         have emerged. In numerous urban garde-
tentieller Bedeutung ist, wird durch diesen                                                        wird Gemüse selbst angebaut, solidarische       Berliners don’t know where their food                                                        ning projects people are growing vegetab-
Trend jedoch verschleiert. Viele Berliner*in-                                                      Formen der Lebensmittelherstellung als Er-      comes from, and how much time and              hen. Hier könnte ein                          les, solidarity-based forms of food produc-
nen wissen nicht, woher ihre Lebensmittel                                                          zeuger-Verbraucher-Gemeinschaften wer-          work was invested in it. Since a tenth of                                                    tion as producer-consumer-communities
stammen und wie viel Zeit und Arbeit in                                                            den populärer – in Form von solidarischer       the city’s inhabitants are relying on so-       Zitat stehen. Hier                           are becoming increasingly popular—in the
ihnen steckt. Da ein Zehntel der Bewoh-                                                            Landwirtschaft (SOLAWI) oder von Food-          cial benefits, and the housing market is                                                     form of community-supported agriculture
ner*innen dieser Stadt auf Sozialleistungen                                                        coops, die Brücken zwischen Hersteller*in-      getting tighter due to rising rents, the ex-   könnte ein Zitat ste-                         (CSA) or of food co-ops that build brid-
angewiesen sind und sich die Wohnraumsi-                                                           nen und Konsument*innen schlagen. Aus           pense of the basic needs of housing and                                                      ges between producers and consumers.
tuation bei steigenden Mieten immer wei-                                                           Konsument*innen werden Prosument*in-            food are increasingly competing with each      hen. Hier könnte ein                          Consumers become prosumers who ac-
ter zuspitzt, entwickeln sich die Ausgaben      Quelle: XXX                                        nen, die aktiv Verantwortung übernehmen.        other. The structure of the Berlin Senate                                                    tively take on responsibility for the food
für die beiden Grundbedürfnisse Wohnen          mit dem Grundsatz „Wachse oder wei-                Zudem wächst die Zahl der Ernährungsräte        also shows that food is a marginal issue.          150 Zeichen                               they eat. Also, the number of food policy
und Essen zunehmend zu konkurrierenden          che“ zu kämpfen; insbesondere kleine und           in Deutschland rasant; der 2016 gegründe-       Whereas the basic need of housing is                                                         councils is growing rapidly in Germany;
Posten. Und auch die Struktur des Berliner      mittlere Betriebe schwinden rasant. Seit           te Berliner Ernährungsrat gehört mit seinem     evident even in the name of the Senate                                                       the Berlin Food Council (Ernährungsrat)
Senats macht deutlich, dass Nahrungs-           den 1960er Jahren ist ihre Zahl um 80 %            Kölner Pendant zu den Pionieren. Immer          Department for Urban Development and                                                         established in 2016, together with its Co-
mittel ein Randthema sind: Während dem          geschrumpft, jährlich kommen weitere               mehr Städte und Regionen verpflichten sich      Housing, the nutrition and food are dealt                                                    logne counterpart, were pioneers in this
Grundbedürfnis Wohnen schon im Namen            5.000 Bauernhöfe hinzu.                            im Rahmen von Netzwerken oder Abkom-            with in a sub-department of the Senate         especially small and medium-sized farms       field. More and more cities and regions
der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung           Die Berliner Supermärkte werben indes          men wie dem Milan Urban Food Policy Pact        Department for Justice, Consumer Protec-       are disappearing rapidly. Since the 1960s,    have committed, as part of networks or
und Wohnen zentraler Stellenwert einge-         mit wöchentlichen Super-Schnäppchen:               (Pakt von Mailand zur urbanen Ernährungs-       tion, and Anti-Discrimination.                 their number has declined by 80%, and         pacts such as the Milan Urban Food Policy
räumt wird, ist das Thema Ernährung und         Beim Kauf von zwei Gläsern Marmelade               politik) dazu, sich für gesündere und fairer       On the whole, there is still a lack of a    each year another 5000 farms close down.      Pact, to working for healthier food that is
Lebensmittel lediglich ein Teilbereich der      gibt es den Buttertoast gleich gratis dazu –       hergestellte Lebensmittel stark zu machen.      real engagement with the topic of food—            Berlin’s supermarkets meanwhile ad-       produced fairly. For three years now, the
Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucher-       „GUT&GÜNSTIG“, so der Slogan. Günstig              Seit drei Jahren findet parallel zur BIOFACH    be that personal eating habits or a more       vertise weekly super bargains: if you buy     conference “STADTLANDBIO” has been
schutz und Antidiskriminierung.                 ist die Ware aber nur im Laden – die wirk-         in Nürnberg, der größten Messe für biolo-       aware use of food stuff. According to the      two jars of jam, you get a package of bread   taking place parallel to the largest fair for
   Insgesamt mangelt es in Berlin nach wie      lichen Kosten sind versteckt, denn nichts          gische Lebensmittelherstellung, der Kon-        Robert-Koch-Institut, two thirds of men in     for free. “Good and cheap” is the slogan.     organic food production in Nuremberg,
vor an einer wirklichen Auseinandersetzung      verschlingt so viele Steuern wie die indus-        gress STADTLANDBIO statt, bei dem es            Germany are overweight, as are half the        But food is only cheap in the shops—the       and the conference addresses above all
mit dem Thema Ernährung – ob es nun um          trielle Landwirtschaft, mit denen viele Le-        vor allem um Ansätze für eine Ernährungs-       women. In Berlin, the numbers are likely       true costs are hidden, because nothing        approaches to changing in the food sys-
die persönlichen Essgewohnheiten oder           bensmittel für wenig Geld erzeugt werden.          wende auf kommunaler Ebene geht. Die            to be similar. Most people eat too much        eats as much taxpayer’s money as indus-       tem on a regional level. The change of the
den bewussten Umgang mit Lebensmitteln          Der hohe Preis, den unsere Umwelt zahlt,           Ernährungswende hat schon begonnen.             food that contains too much fat and sugar,     trial agriculture so that many foodstuffs     food system has already started.

                                                                     8                                                                                                                                                9
ERNÄHRUNGSDEMOKRATIE                                                                                                                                                                II    II                                                KARIN EHRLE-HORST

                                                   Ernährungsräte                                                                                                                                               Gründungsdaten der
                                                                                                                                                                                                            Ernährungsräte in Deutschland
                                                 Gutes Essen ist keine Privatsache.

Ernährungsräte stellen in Deutschland ein wichtiges Sprachrohr zu Themen der Ernährungsgestaltung und Lebensmittelgerechtigkeit                                                                22.04.2016              30.06.2016             28.11.2016
dar. Philipp Stierand bietet in seinem Artikel Ein Ernährungsrat: Was ist das? eine gute Zusammenfassung:

                                            „Ein Ernährungsrat (engl.: Food Policy Council) ist der wichtigste Ansatz der Stadtplanung für
                                              eine Gestaltung des Ernährungssystems. Ernährungsräte rücken die Belange von Bürgern
                                            und Kommunen in der Lebensmittelversorgung in den Mittelpunkt. Sie setzen auf der lokalen
                                                                Ebene an um das Ernährungs­system zu gestalten.“ 1

Es hat einige Jahre gedauert, bis es das Konzept des Ernährungsrats nach Deutschland geschafft hat. Mit der Gründung von Ernäh-                                                                30.08.2017              21.10.2017             25.11.2017
rungsräten in Berlin und Köln 2015 und 2016 nahm die Entwicklung an Fahrt auf: Im Juli 2019 zählt Deutschland rund ein Dutzend Räte,
wobei sich weitere in der Gründungsphase befinden. Alle setzen das Thema Ernährung auf die politische Agenda; in ihren Strukturen
und Organisationsformen unterscheiden sie sich jedoch.

                                                                                              Sprecher*innenkreis Ernährungsrate Berlin
                                                                                              (Stand Sommer 2019)
                                                                                                                                                                                               24.01.2018              05.02.2018             18.06.2018
                                                                                              Oke Anyanwu Referent und Berater weltgesellschaftliche
                                                                                              Transformationsprozesse
                                                                                              Friederike Gaedke Verein “Die Gemeinschaft”
                                                                                              Annette Jensen freie Journalistin
                                                                                              Timo Kaphengst selbständiger Berater für soziale Innovationen
                                                                                              Regionalwert AG Berlin-Brandenburg gearbeitet
                                                                                              Lea Kliem Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)
                                                                                              Frank Nadler AG „Berlin-Brandenburg“ des Ernährungsrates /
                                                                                              Aufbau von Land-Stadt-Logistikketten Direkthandelskonzepten
                                                                                              in Berlin
                                                                                              Gülcan Nitsch Yeşil Çember – ökologisch interkulturell gGmbH /                                   07.09.2018              26.11.2018             04.05.2019
                                                                                              Ashoka
                                                                                              Gundula Christiane Oertel Journalistin und Autorin
                                                                                              Christine Pohl Gründerin und hauptamtliche Koordinatorin des
                                                                                              Ernährungsrates Berlin
                                                                                              Henrike Rieken Koordinatorin des „InnoForums Ökolandbau
                                                                                              Brandenburg“ an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung
                                                                                              Eberswalde
Quelle: Valentin Thurn, Gundula, Christine Pohl: Genial lokal: So                             Timo Schmitt / Ernährungspädagoge Berliner Tafel
kommt die Ernährungswende in Bewegung, Oekom Verlag,
München 2018                                                                                  (Quelle: www.ernaehrungsrat-berlin.de)                                                           03.06.2019              in Gründung            in Gründung

1
 Philipp Stierand: Ein Ernährungsrat: Was ist das?, 20.06.2015, auf: https://speiseraeume.de/, abrufbar unter: https://speiseraeume.de/faq-ernaehrungsrat-food-policy-council/, letzter
Zugriff: 06.08.2019

                                                                                         10                                                                                                                                11
ERNÄHRUNGSDEMOKRATIE                                                                                                                II   II                                                                                                      KARIN EHRLE-HORST

                                       Landwirtschaft                                                                                                                  Gutes Essen für alle
                                         solidarisch                                                                                                               Die Ernährungsstrategie des Berliner Senats

Angesichts der aktuellen Entwicklungen        wird darüber hinaus auch die Feldarbeit      Rheinland, der Raum Isar/Inn und bald         Berlin ist als erste deutsche Stadt den eu-    konkrete Umsetzung: Weniger Zwischen-          Pakt von Mailand unterzeichnet. Ziel ist,
ist es für lokale kleine und mittelgroße      durch die Verbraucher*innen unterstützt.     auch Berlin/Brandenburg von ihren Investi-    ropäischen Vorreitern London, Brighton,        handel oder mehr regional? Weniger Abfall      dass Berliner*innen dauerhaft und verläss-
landwirtschaftliche Betriebe, aber auch       In den USA ist diese Form der Landwirt-      tionen in die Betriebe im direkten Umkreis    Hove, Amsterdam, Malmö und Brüssel ge-         – aber wie? Fair nur für alle Berliner*innen   lich Zugang zu vielfältigen, fairen, gesunden
für das Ernährungshandwerk oft schwer,        schaft unter dem Namen CSA (Commu-           ihrer Stadt oder Region.                      folgt und hat sich die Entwicklung einer Er-   – oder auch für die Herkunftsländer der        und nährstoffreichen Lebensmitteln erhal-
dem globalen Preisdruck standzuhalten.        nity Supported Agriculture) verbreitet. In   Eine weitere Strategie, um niedrigere Prei-   nährungsstrategie zum Ziel gesetzt. Aber:      Lebensmittel?                                  ten. Auch der rot-rot-grüne Senat bekannte
Damit Menschen trotzdem in den Genuss         Deutschland haben sich bisher knapp 250      se für regionale Lebensmittel zu erzielen,    Jede Stadt ist anders – und so auch ihre       Den Weg hin zu einer Ernährungswen-            sich in seinem 2016 unterzeichneten Koa-
von Lebensmitteln kommen können, die          Solawis in einem Netzwerk zusammenge-        ist die Umgehung des Zwischenhandels.         Strategie für ihre lokale Ernährungspolitik.   de hat die Hauptstadt dabei schon 2015         litionsvertrag zum Mailänder Abkommen
aus der Region stammen, wurden in den         funden; die Produkte reichen von Fleisch     An dessen Stelle treten dann Foodcoops,       Die besondere Herausforderung für das          eingeschlagen, als der „Rat für gutes Es-      und kündigte an, gemeinsam mit dem
letzten Jahren unterschiedliche Ansätze       über Obst und Gemüse bis hin zu Kräutern     selbstverwaltete und selbstorganisierte       zwar bunte und kreative, aber auch arme        sen“ gegründet wurde: Als erste Stadt in       zivilgesellschaftlichen, 2016 gegründeten
entwickelt: So bilden in der solidarischen    und anderen Sonderkulturen.                  Einkaufsgemeinschaften, oder Social Start-    Berlin lautet: Gutes Essen, gesunde und        Deutschland hat sich Berlin zu einer um-       Ernährungsrat Berlin hierfür eine Ernäh-
Landwirtschaft (Solawi) Landwirt*innen        Seit wenigen Jahren entwickeln sich zudem    ups wie Marktschwärmer, eine Kombinati-       faire Lebensmittel für alle. Die Fragen, die   fassenden, langfristigen und sozial gerech-    rungsstrategie zu entwickeln.
und Verbraucher*innen Gemeinschaften,         als Gegenmodell zu den EU-Argrarsubven-      on aus Online-Shop und Bauernmarkt. Bei       sich dabei stellen, betreffen vor allem die    ten Ernährungspolitik verpflichtet und den     2018 hat die Senatsverwaltung für Justiz,
in denen die Konsument*innen die Kosten       tionen Regionalwert Aktiengesellschaften     letzterem bestellen und bezahlen die Kon-
des gesamten landwirtschaftlichen Be-         – Aktiengesellschaften von Bürger*innen,     sument*innen ihre Ware im Vorfeld online,
triebs tragen – und nicht die des einzelnen   die heimische landwirtschaftliche Unter-     während die Landwirt*innen die Produk-
Lebensmittels. Im Gegenzug erhalten die       nehmen unterstützen und für die Region       te zum wöchentlichen Markttermin oder
Mitglieder Ernteanteile. Auf diese Weise      sowohl einen ökologischen als auch einen     einer anderen Ausgabestelle liefern. Die
werden Risiken und Gewinne aus der Ernte      sozialen Mehrwert schaffen. Bisher profi-    Verbraucher*innen wissen, was sie bekom-
im gleichen Maß geteilt; in einigen Fällen    tieren vor allem Freiburg, Hamburg, das      men;, die Bäuer*nnen, was sie loswerden.

                                                                                                                                                         Quelle: Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung oder
                                                                                                                                                         https://www.berlin.de/sen/verbraucherschutz/ernaehrungsstrategie/artikel.784086.php

                                                                                                                                         Verbraucherschutz und Antidiskriminie-         soll, ist dies eine Querschnittsaufgabe.       mehr Gemüse aus Brandenburg eingesetzt
                                                                                                                                         rung in einem gemeinsamen Verfahren            So sieht die Strategie etwa vor, dass das      wird, sollen Liefer-, Lager- und Logistikket-
                                                                                                                                         mit Vertreter*innen von Vereinen und Ver-      Essen in Schulen, öffentlichen Mensen          ten optimiert werden. Zudem ist geplant,
                                                                                                                                         bänden, Wissenschaft und Bildung Emp-          und Pflegeeinrichtungen künftig als Vor-       in jedem Berliner Bezirk sogenannte Le-
                                                                                                                                         fehlungen erarbeitet und eine Strategie        bild für gute und gesunde Ernährung die-       bensMittelPunkte einzurichten – Orte, an
                                                                                                                                         entwickelt. Diese liegt seit Anfang des Jah-   nen soll. Wie der Speiseplan verändert         denen Lebensmittel gelagert und gehan-
                                                                                                                                         res 2019 den verschiedenen Abteilungen         werden muss, damit der Preis trotz eines       delt, zubereitet und gemeinsam gegessen
                                                                                                                                         des Senats zur Abstimmung vor. Der Ent-        höheren Anteils regionaler Lebensmittel        werden, an denen über sie gesprochen
                                                                                                                                         wurf macht dabei vor allem eines deutlich:     gleich bleibt, soll dabei ein Ausbildungs-     wird, kurz: An denen regionale und faire
                                                                                                                                         Wenn das Ernährungssystem Berlins und          und Beratungszentrum mit dem Arbeitstitel      Lebensmittel in der Stadt wieder mehr Auf-
Grafik: kommunare GbR                                                                                                                    der Hauptstadtregion verändert werden          „House of Food“ vermitteln. Damit künftig      merksamkeit und Raum bekommen.

                                                                 12                                                                                                                                         13
ERNÄHRUNGSDEMOKRATIE                                                                                                                                                  II   II                                                                                                 KARIN EHRLE-HORST

                                       LebensMittelPunkte
                                                   Lebensmittel in Kopf und Topf

Eine wichtige Säule der Berliner Ernäh-                      Gemüse und Obst in gemeinschaftlich                         sind sie Stadtteilzentren für konkreten und
rungsstrategie stellen sogenannte Lebens-                    betriebenen Gärten oder mobilen Beeten                      erfahrbaren Klima-, Umwelt- und Res-
MittelPunkte dar. Worum es sich dabei                        angebaut werden. Gemeinschaftsküchen                        sourcenschutz und wirken der Lebens-
genau handelt, geht aus einer Beschrei-                      dienen sowohl der Zubereitung von Spei-                     mittelverschwendung entgegen.“ 2
bung auf der Website des Berliner Ernäh-                     sen, werden aber auch für Kochkurse und
rungsrats hervor:                                            Ernährungsbildung aller Generationen ge-                    Berlin zählt bisher drei Lebensmittelpunk-
                                                             nutzt.                                                      te. Abhängig von Größe und Ausstattung
„An diesen offenen Orten werden über-                                                                                    haben sie unterschiedliche Visionen und
wiegend regionale, hochwertige Nah-                          LebensMittelPunkte sind ein Treffpunkt,                     Angebote – als Bildungsort zum Kochen,
rungsmittel gehandelt, gelagert, verar-                      ein Lern- und Austauschort für verschie-                    als Lagerort oder als Ort des Austauschs
beitet, gekocht und gegessen. Wo es                          denste Menschen vor allem aus dem je-                       über Lebensmittel. So beschreiben sie
die Gegebenheiten zulassen, soll zudem                       weiligen Kiez oder Bezirk. Darüber hinaus                   sich selbst:

                                  LebensMittelpunkt
                                      Spandau

        „Die AG will mit praktischen Aktionen wirken. Bei einem
     Apfelfest haben wir mit über 100 BesucherInnen in Kleingär-
     ten eingesammeltes Obst verwertet. [...] Als nächstes will die
      AG die Einrichtung eines zentralen Ortes erreichen, an dem
     ein sogenannter LebensMittelPunkt entsteht. Dort soll es die
     Möglichkeit geben, Ernten zu sammeln, zu lagern und gemein-                                                           LebensMittelPunkt
     sam zu verarbeiten. [...] „Die AG LebensMittelPunkt Spandau                                                              Lichtenberg
      ist ein Zusammenschluss von aktiven Bürgern und Bürgerin-
       nen in Zusammenarbeit mit der AG Stadt & Ernährung, der                                         „Wir engagieren uns für einen Ort in Lichtenberg,                   Quelle: Broschüre thf.vision, 2018
       Gartenarbeitsschule An der Kappe und der KlimaWerkstatt                                          wo regionale Lebensmittel verarbeitet, gelagert,
                               Spandau.“ 4                                                             getauscht und weitergegeben werden können, wo
                                                                                                        Wissen ausgetauscht, Erfahrungen gemacht und                                                                              LebensMittelPunkt
                                                                                                       benötigte Geräte verfügbar sind. Der entstehende                                                                         Tempelhofer Flughafen
                                                                                                      Ort heißt LebensMittelPunkt und dient ErzeugerIn-
                                                                                                      nen, VerarbeiterInnen und VerbraucherInnen – also                                              „Die Bürgerinitiative thf.vision schlägt vor, das Tempelhofer Flughafenge­bäude
                                                                                                                         uns allen!“ 5                                                               zu einem Gemeingut zu machen: Vielfältige Gruppen, Organisationen, Betrie-
                                                                                                                                                                                                     be und Forschungseinrichtungen sollen hier zusammen ein Reallabor für eine
                                                                                                                                                                                                      enkeltaugliche Stadt betreiben. Im Gebäudeteil K2 gibt es fünf leerstehende
                                                                                                                                                                                                     Küchen, mehrere Kantinenräume, Säle und Lagerräume – ein idealer Ort, um
                                                                                                                                                                                                                                  einen LebensMittelPunkt
                                                                                                                                                                                                                                       einzurichten.“ 3
2
    Ernährungsrat Berlin: LebenMittelPunkte, abrufbar unter: http://ernaehrungsrat-berlin.de/lebensmittelpunkte

3
    Ernährungsrat Berlin: LebenMittelPunkt Tempelhof, abrufbar unter: http://ernaehrungsrat-berlin.de/lebensmittelpunkt-tempelhof

4
 Klimawerkstatt Spandau: LebensMittelPunkt Spandau – eine Initiative für Klimaschutz und Ernährung, abrufbar unter: https://www.klimawerkstatt-spandau.de/regional/
projekte-regional/lebensmittelpunkt-projekte-regional

5
    Ernährungsrat Berlin: LebenMittelPunkt Lichtenberg, abrufbar unter: http://ernaehrungsrat-berlin.de/lebensmittelpunkt-lichtenberg

                                                                                       14                                                                                                                                                 15
ERNÄHRUNGSDEMOKRATIE                                                                                                                                              II

                                             „House of Food“                                                                                                                        EINLADUNG
                                                                                                                                                                              Lebensmittelpunkt am Alex? Ernährungswende von unten!
                                                    Kantinen werden geschult                                                                                                 Ein Öffentliches Treffen zur Ernährungsdemokratie in Berlin.

Ein wesentlicher Bestandteil der Berliner               dem Vorbild Kopenhagens sollen Mitar-                    gelungen. Bei der Ausschreibung durch
Ernährungsstrategie ist das „House of                   beiter*innen der Küchen und Kantinen                     den Senat wurden drei Parteien einge-
Food“. Anders als der Projekttitel ver-                 von Schulen, Kitas oder Justizvollzugs-                  laden ein Angebot einzureichen, der Zu-
muten lässt, verbirgt sich hinter dem                   anstalten befähigt werden, den Bio- und                  schlag ist vergeben. Ein Auszug aus der
Projekt kein Gebäude, sondern ein Aus-                  Regionalanteil der Lebensmittel bei gleich               Ausschreibung des Berliner Senats liest
bildungszentrum für Küchenpersonal in                   bleibendem Preis deutlich zu erhöhen.                    sich wie folgt:
der Gemeinschaftsverpflegung. Nach                      Dies ist in Kopenhagen in nur drei Jahren

  Auszug
   II.2.4) Beschreibung der Beschaffung
   In Berlin soll ein „House of Food (Arbeitstitel)“ nach dem Vorbild Kopenhagens von einem Projektträger gegründet und betrieben
   werden. Mithilfe von Vor-Ort-Analysen in Küchen und Kantinen der Gemeinschaftsverpflegung, der Entwicklung und Durchführung                                          Samstag,                                                                                      14:00 –
   von Schulungen, insbesondere für das Küchenpersonal, Veranstaltungen sowie weiteren öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen
   soll das „House of Food (Arbeitstitel)“ zu einer grundlegenden Veränderung in der Gemeinschaftsverpflegung von Schulen, Kin-                                         17.08.2019,                                                                                 17:00 Uhr
   dertagesstätten, Justizvollzugsanstalten sowie in jeglicher Form von Betrieben und Behörden in Berlin führen. Der Bio-Anteil des
   Gesamtwareneinsatzes in den teilnehmenden Institutionen soll in den ersten drei Jahren der Projektlaufzeit auf 60 % gesteigert
   werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass möglichst in allen Komponenten der jeweiligen Portionen der Bio-Anteil erhöht wird. Des
   Weiteren soll der Projektträger Kenntnisse und Kontakte an die Teilnehmer/innen vermitteln, die dazu führen, dass für den Ware-
   neinsatz verstärkt nachhaltige Produkte aus dem regionalen Anbau berücksichtigt werden. Ziel ist es, eine jährlich steigende Anzahl
   von öffentlichen und privaten Institutionen mit Gemeinschaftsverpflegung für das „House of Food (Arbeitstitel)“ zu gewinnen und
   die dauerhafte Umstellung der Ernährung in der Berliner Gemeinschaftsverpflegung nach den vorgenannten Kriterien zu erreichen.

   II.2.5) Zuschlagskriterien
   Der Preis ist nicht das einzige Zuschlagskriterium; alle Kriterien sind nur in den Beschaffungsunterlagen aufgeführt.

   II.2.6) Geschätzter Wert                                                                                                                                             Die Frage nach gutem, für alle zugänglichem Essen gehört in unserer Zeit der Klimakrise und der Ressour-
   Wert ohne MwSt.: 3.200.000,.00 EUR                                                                                                                                   cenknappheit zu den zwingenden Herausforderungen unserer Gesellschaft. Wir treffen uns mit ExpertInnen
                                                                                                                                                                        und AkteurInnen aus der Praxis, um zu erkunden, was Ernährungsdemokratie in Berlin ist und sein könnte.
   II.2.7) Laufzeit des Vertrags, der Rahmenvereinbarung oder des dynamischen Beschaffungssystems                                                                       Gemeinsam sprechen wir u.a. über die Beziehung zwischen Stadt und Land und lernen die aktuell entwi-
   Beginn: 01/06/2019                                                                                                                                                   ckelte „Ernährungsstrategie“ des Berliner Senats kennen. Wir erfahren, was ein LebensMittelPunkt (LMP)
   Ende: 31/12/2019                                                                                                                                                     und ein Ernährungshof sind.
   Dieser Auftrag kann verlängert werden: ja                                                                                                                            Mit dieser Veranstaltung initiiert der UA #04 die Pioniernutzung „Ernährungshof Essen und Begegnung“ am
   Beschreibung der Verlängerungen:                                                                                                                                     Haus der Statistik (HdS). Rund um das ehemalige HdS am Alexanderplatz entsteht mitten in Berlin in den
   Geplanter Projektbeginn ist am 01.06.2019. Die Projektlaufzeit endet am 31.12.2019. Es ist beabsichtigt, das Projekt um weitere                                      kommenden Jahren ein neues Quartier. Von Beginn an nutzt der UA #04 die Möglichkeit, das Thema „Gute
   zwei Jahre, vom 01.01.2019 bis zum 31.12.2021, zu verlängern. Die Verlängerung steht unter dem Vorbehalt, dass die erforderlichen                                    Ernährung für Alle“, die Produktion und das Angebot nachhaltiger, bezahlbarer, gesunder, fairer und vielfäl-
   Haushaltsmittel für das Projekt zur Verfügung gestellt werden.                                                                                                       tiger Lebensmittel mitzudenken und in die Planung des HdS am ALLESANDERSPLATZ miteinzubeziehen.

                                                                                                                                                                        Gäste auf dem Podium:                                    Kerstin Meyer Gemeinwohlökonomie Berlin-Brandenburg,
   II.2.9) Angabe zur Beschränkung der Zahl der Bewerber, die zur Angebotsabgabe bzw. Teilnahme aufgefordert werden
                                                                                                                                                                        Daniel Diehl VDSKC                                       Gundula Oertel Ernährungsrat Berlin,
   Geplante Anzahl der Bewerber: 3                                                                                                                                      (Verband deutscher Schul- und Kita Caterer e.V.)         Gerard Roscoe, foodsharing e.V.,
   Objektive Kriterien für die Auswahl der begrenzten Zahl von Bewerbern:                                                                                               Lea Ligat Markthalle 9                                   Ann-Christin Weber Ernährungsreferentin bei SenJustVa,
                                                                                                                                                                        Andrea Hofmann / ZKB Zusammenkunft Berlin eG             Frank Wesemann, SoLaWi Waldgarten
   1) Erfahrung des Projektträgers mit vergleichbaren Vorhaben                                                                                                          Annette Jensen THF.Vision Flughafen Tempelhof            Gregor Siems Hof Walden Saal
   2) Qualifikation und Erfahrung der Projektleitung 6                                                                                                                  Johanna Kühner SuperCoop Berlin                          Ebenfalls anwesend: Die Mobile Bohne von Silke Riechert
                                                                                                                                                                        Jonas Merold, Isis-Victoria Rampf, Sun Seeker e.V.,
                                                                                                                                                                        Gemeinschaftsgarten Sonnenbeet am Haus der Statistik,    Moderation: Silvia Bender, BUND e.V.

6
  Projektförderung „House of Food“. Referenznummer der Bekanntmachung: 2019-3, abrufbar unter: https://ausschreibungen-deutschland.de/517733_Projektfoerderung_House_
of_FoodReferenznummer_der_Bekanntmachung_2019-3_2019_Berlin, letzter Zugriff: 06.08.2019.                                                                               Haus   der   Statistik      Musterhaus   (Autoscooter)   Parkplatz      Berolinastraße   22        10178   Berlin

                                                                                16                                                                                                                                              17
18
               ZK/U 2.0
               WERBUNG

19
                                       III

     SILKE RIECHERT, LAURA TENENBOIM
GRÜNE KARTA MOABIT           III

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21
                                       III

     SILKE RIECHERT, LAURA TENENBOIM
GRÜNE KARTA MOABIT   III

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23
ESSBARE KREISLÄUFE FÜR DAS ZK/U                                      IV   IV                                                   AUTORIN

                                                                                                        II
                              Food Funicular                                            Unit 1
                    Eine Seilbahn mit frischem Gemüse                          Arbeitsraum des UA #04

                                        ZK/FU
                      Zentrum für Kunst, Feministik und Urbanistik                                Nutzgarten mit Bepflanzung
                                                                                                  Milpa- Die drei Schwestern

                                      24                                                          25
ESSBARE KREISLÄUFE FÜR DAS ZK/U                                                                                             IV   IV        AUTORIN

                               Die Parzelle im
                               Bürgergarten

Der Arbeitszeitraum des UA #04 fiel in die Gartensaison und      Ort kennenlernen durften, waren immer für einen Schnack
uns wurde die Möglichkeit des Mitgärtnerns im Bürgergarten       zu haben und sehr hilfsbereit. Am Anfang kannten wir uns
gegeben – ein durch Anwohner*innen des Stephankiezes             ja gar nicht aus – wo die Bewässerungsutensilien zu finden
(BürSte e.V.) betriebener Gemeinschaftsgarten am Rande           sein könnten oder wie der Zahlencode für den Wasserhahn
des Stadtgartens, direkt neben dem ZK/U. Ungefähr 17 Par-        lautet. Es gab auch eine Mailingliste der Beetpaten*innen,
zellen und Hochbeete werden im Rahmen dieses Projekts            die immer einsprangen, wenn es nötig war: Wenn wir es aus
an Gruppen von mindestens 5 Menschen aus der Nachbar-            unseren Heimatbezirken nicht mehr nach Moabit schafften
schaft vergeben.                                                 oder in der Sommerferienzeit nicht immer zum Gießen nicht
   Das kleine Gartenstück des ZK/U machte einen recht            immer vor Ort sein konnten, sprangen Birgit, Irene, Nico-
verwilderten Eindruck; wir waren froh, die Landschaftsar-        la, Undine und Norbert ein und standen in der Abendhitze
chitektin Laura Tenenboim dabei zu haben. Rund um den            bereit für unser Beet.
erhaltenswerten Bestand – ein paar kleine Beerensträucher,           Rund um die Fläche des Bürgergartens wurde in dieser
ein Obstbäumchen und mehrjährige Kräuter – gestalteten           Zeit gefühlt „durchgegrillt“. Ein paar Mal sprach uns je-
wir mit ihrer Hilfe einen Pflanzplan. Neben Wildpflanzen wie     mand an, wie das mit dem Garten funktioniere und ob man
Borretsch und Gundermann ließ sich Wilde Rauke und recht         mitmachen könne. Insgesamt könnte das Zusammenspiel
viel Ackergras entdecken.                                        zwischen den Parkgästen und dem Bürgergarten aber noch
                                                                 besser werden, erlebten wir. Oft liegen in den Beeten Müll
Als wir unser Beet für die Bepflanzung vorbereiten (sprich:      oder Glasscherben; die Parzellist*innen, die schon lange da-
den Boden lockern, natürlich mit einer Gabel statt mit einem     bei sind, zeigen sich auf höfliche Weise recht erschöpft von
Spaten) und „Unkraut“ entfernen wollten, gab uns eine            regelmäßigen Plünderungen in ihren Beeten, weswegen im
Nachbarin den Hinweis, dass man die Bodennarbe ruhig ge-         Laufe des Sommers (wieder) bunt bemalte Schilder mit Hin-
schlossen halten könne und nur an jenen Stellen, an denen        weisen aufgestellt wurden. Kurz vor dem Schreiben dieses
man auch wirklich pflanzen möchte, den Boden reinigen sol-       Textes mussten wir selbst feststellen, dass unsere Kürbisse,
le. Der daraus resultierende Charakter des leicht verwilder-     die für das Speisekino am 22. August 2019 eingeplant waren,
ten Gartens war schon gewöhnungsbedürftig, andererseits          fremdgeernet wurden. Die Rauchschwaden des Grillguts
spielte er uns in die Karten: ein jungfräuliches Ausgangsbeet    hängen wie der Frust der Gärtner*innen über dem Park.
zu schaffen hätte viel Zeit in Anspruch genommen.                Vielleicht verleitet der Umstand, dass die Gärten insgesamt
    Durch unsere Kontakte zum Schulgarten Moabit konnten         eher naturnah aussehen, einige Menschen dazu zu denken,
wir unseren Boden mit gutem Humus und ein paar Setzlin-          es seien verwilderte Flächen und man könne sich bedienen.
gen versorgen. Schwerpunkte der Bepflanzung bildeten zum         Eine Gruppe berichtet, dass sie nun ein gepflegtes Salatbeet
einen eine Auswahl an interessanten Wildkräutern (dank der       im repräsentativen Randbereich gepflanzt hätten, in akkura-
Kräutergärtnerei helenion in der Uckermark, spezialisiert        ten Reihen und ohne Unkraut – in der Hoffnung, so Vorbei-
auf die unscheinbaren Pflanzen, „die ihre Besonderheit erst      kommende vom Mundraub abzuhalten.
in ihrer Blüte entfalten oder durch ihren Duft berauschen
oder mit ihrem Geschmack bestechen“), zum anderen das            „Wenn es einen Wert gibt auf der Erde, dann ist es Humus
Polypflanzkonzept der Drei Schwestern.                           und nicht Gold oder Geld.“
    Die Gartenkolleg*innen, die wir im Laufe der Monate vor      – Friedrich Lehmann, Obstbauer

                                                                26                                                                    27
ESSBARE KREISLÄUFE FÜR DAS ZK/U                                                                                              IV

    Angepflanzt

Echtes Eisenkraut
Verbena officinalis
Eisenkraut braucht keine besondere Pflege im Kräutergar-
ten. Es eignet sich nämlich gut zum Verwildern an Weg-
rändern oder Gehölzsäumen und sät sich dort auch selbst
aus. Der Tee aus den Blättern gilt als nervenstärkend und
beruhigend.

Maca
Lepidium peruvianum
Dieser uralten Heil- und Kulturpflanze der Inkas werden
zahlreiche Wirkungen zugeschrieben: Sie gilt als potenzstei-
gernd und natürliches Stimulanz, allgemein vitalitätsstei-        Knollenziest
gernd, sie soll das Gedächtnis verbessern und adaptogen           Stachys affinis
wirken. Und dazu noch die gute Nachricht: Maca schmeckt           Das aus Japan und China stammende Wurzelgemüse ist
echt lecker! Sowohl die Blätter als auch die Rübchen unter        auch bei uns völlig winterhart. Ende 19./Anfang 20. Jh. hatte
der Erde schmecken scharf wie Kresse. Sie lassen sich             es unter dem Namen Stachys oder Japanknolle auch in
gut roh essen, als Salatzutat verwenden oder Sie bereiten         Deutschland eine gewisse Bekanntheit. Aus dieser Zeit
daraus einen sehr würzigen Kräuterquark.                          stammen einige interessante Rezepte z.B. für Pasteten,
                                                                  Aufläufe. Die Crosne können ab September bis zum Neu-
Frühlings-Barbarakraut                                            austrieb im Frühling geerntet werden.
Barbarea verna                                                    Knollen-, Wurzelgemüse: Längliche weiße bis fingerstarke
Das Frühlings-Barbarakraut hat einen scharfen, sehr meer-         geringelte Knollen; roh (besonders knackig und saftig) für
rettich-ähnlichen Geschmack ohne bittere Beinoten wie das         Salate, ansonsten gebraten, frittiert oder gekocht.
gewöhnliche Barbarakraut. Die wintergrünen Blattrosetten
überdauern völlig frosthart die kalte Jahreszeit liefern wert-
volles Grün für frische Wintersalate.

Moldavische Melisse
Dracocephalum moldavicum
Schnellwüchsiges Tee- und Würzkraut mit mild-zitronigem
Geschmack. Zahlreiche hübsche violette Lippenblüten im
Sommer. Heimisch von Osteuropa bis Sibirien. Verwendet
werden Blätter, Triebspitzen und Blüten frisch oder getrock-
net. Versamt sich leicht.

Salat-Chrysantheme
Xanthophthalmum coronarium
Die etwas dickfleischigen Blätter schmecken knackig
herzhaft und passen sowohl an Salate als auch aufs Brot.
Besonders zierend sind außerdem die recht großen gelben,
manchmal weiß gerandeten Blüten. Sät sich selbst wieder
aus..

                                                                 28                                                               29
ESSBARE KREISLÄUFE FÜR DAS ZK/U                                                                                          IV    IV                                                       AUTORIN

                          Milpa-
                   Die drei Schwestern

                                                                                                                                    Sortenauswahl für das
                                                                                                                                    Drei Schwestern Beet

                                                                                                                                    Mais
                                                                                                                                    Wir haben uns für Golden Bantam Zu-
                                                                                                                                    ckermais entschieden. Das ist eine mit-
                                                                                                                                    telfrühe Sorte, die grosse und leuchtend
                                                                                                                                    gelbe Kolben bildet. Die Maiskörner sind
                                                                                                                                    sehr saftig und süß.                       Dollar-Münze aus 2009

                                                                                                                                    Bohnen
                                                                                                                                    Aufgrund des Namens wählten wir die
                                                                                                                                    Prunkbohne ‚Lady Di‘. Sie trägt feuerro-
                                                                                                                                    te Blüten und Ihr feinaromatischer
                                                                                                                                    Geschmack soll den von anderen Boh-
                                                                                                                                    nenarten übertreffen.

                                                                                                                                    Kürbis
                                                                                                                                    Hokkaido. Den essen wir am liebsten
                                                                                                                                    und man muss ihn nicht schälen.

Natürlich konnten wir nicht widerste-     Blickfeld. Und in diesem Zusam-            Mais-Setzlinge in Reihen angepflanzt,
hen, Ansätze, auf die man bei einer       menhang konkret das fast poetische         die Bohnen werden dann nahe der
intensiveren Recherche zum Thema          Pflanzkonzept der Drei Schwestern,         Maiswurzel eingesetzt, sodass sie an
Beetbestellung im Zeitalter des Klima-    auch Milpa-Beet genannt. Schnell war       der Maispflanze hochranken können.
wandels stößt, selbst auszuprobieren.     klar, dass wir als „drei Schwestern“ der   Gleichzeitig versorgen die Bohnen den
Beim Urban Gardening ist es Zeitgeist,    Stadtfrauenküche das auch ausprobie-       Boden mit Stickstoff, die der starkzeh-
nicht einfach nur irgendetwas anzu-       ren möchten. Als Mischkultur werden        rende Mais zum Gedeihen benötigt.
pflanzen; nein, es muss einer Logik,      dabei Mais, Stangenbohne und Kürbis        Der Kürbis mit seinen rankenden Zwei-
einer Tradition folgen, im Einklang mit   zusammen angebaut: Sie ergänzen            gen und großen Blättern wiederum
der Natur sein.                           sich im Beet mit ihren Eigenschaften       sorgt für eine Beschattung des Bodens
Der Begriff Permakultur kommt ins         perfekt. Mit etwas Vorlauf werden die      und verhindert so dessen Austrocknen.

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 Food Funicular – eine Seilbahn mit frischem Gemüse
 Die Essenseilbahn trägt frisch geerntetes Gemüse und Kräuter direkt von der Dachterrasse in die Büroküche des ZK/U.
 Von dort werden zubereitete Speisen und Getränke hinunter transportiert und in der Sitzecke verzehrt. Das schmutzige
 Geschirr geht nach dem Essen mit dem Speiseaufzug wieder zurück in die Küche.
                                                                                                                                                       Wildpflanzen           Nahrhafte Spontanvegetation

                                                                                                                             Wenn wir für die Stadtfrauenküche kochen, ist das Budget            als in kultivierten Pflanzen. Nachweislich war die Sammelkost
                                                                                                                             meist recht begrenzt, da unsere Kunden nicht aus dem privat-        zu Wildbeuter-Zeiten (Wildbeuter ernten, ohne zu pflanzen)
                                                                                                                             wirtschaftlichen oder großinstitutionellen Bereich stammen.         reich an Mineralstoffen, Proteinen, Vitaminen und Spurenele-
                                                                                                                             Es gilt mit wenigen Mitteln ein nahrhaftes Essen zu zaubern,        menten, aber relativ arm an Kohlenhydraten. Erst als der Um-
                                                                                                                             das auch unseren Ansprüchen gerecht wird. Fleisch ist bei uns       stieg auf Pflanzenkultivierung erfolgte, verschob sich die Nah-
                                                                                                                             z. B. Wildfleisch. Wir orientieren uns gerne an einfachen Rezep-    rungszusammensetzung zugunsten der Kohlenhydrate.
                                                                                                                             ten aus unserer Kindheit und kombinieren sie mit gegenwär-             Aktuell erleben wir, wie sich die bisher verbreitete Be-
                                                                                                                             tigen Erkenntnissen und Entwicklungen: Gerichte mit weniger         trachtungsweise verändert: Wildpflanzen werden von vielen
                                                                                                                             Zucker und Eiern oder auch mal eine vegane Variante. Wie ha-        Menschen nicht mehr als Unkraut abgetan, das in Dreckecken
                                                                                                                             ben unsere Großeltern alle satt bekommen?                           wächst, wozu auch die Erfahrung des Klimawandels beiträgt.
                                                                                                                                In diesem Zusammenhang sind wir vor einiger Zeit mit             Wildpflanzen erscheinen immer wertvoller, sind sie doch an-
                                                                                                                             Wildpflanzen in Berührung gekommen – inzwischen schon ein           spruchslos, vielfältig und heimisch. Die Subsistenzwirtschaft
                                                                                                                             recht strapaziertes Modewort im urbanen Raum. Ist man in der        oder Selbstversorgung, das eigenständige und selbstbestimmte
                                                                                                                             Region unterwegs, trifft man immer wieder sympathische und          Finden von Nahrung, ist für viele Menschen eine Lebensein-
                                                                                                                             interessante weibliche Persönlichkeiten, die hier aktiv sind. Un-   stellung, das eine Anknüpfen an eine lange Tradition – . Und
                                                                                                                             sere Untersuchungen hierzu ergeben, dass sich der Blick in die-     steht der Fremdbestimmung durch Industrie und Kapitalismus
                                                                                                                             se Welt lohnt – es geht um weit mehr, als nur eine Brombeere        entgegen.
                                                                                                                             beim Waldspaziergang zu pflücken.                                      Selbst etwas schaffen, sammeln, kochen, einsäuern, kon-
                                                                                                                                Dadurch dass Wildpflanzen nicht künstlich bewässert wer-         servieren verschafft uns ein Gefühl von Wertschöpfung und
                                                                                                                             den, steckt in ihnen ein höher konzentrierter Nährstoffgehalt       Selbstbewusstsein

                                                                                                                                                                                                   vulgaris
                                                                                                                                                                                                   Worttrennung:
                                                                                                                                                                                                   vul·g ·ris

                                                                                                                                                                                                   Bedeutungen:
                                                                                                                                                                                                   [1] gewöhnlich, alltäglich, allbekannt, allgemein, für jeden zu haben
                                                                                                                                                                                                   [2] aus dem Volk, des Volkes, Volks-, öffentlich, gemein
                                                                                                                                                                                                   [3] mittelateinisch auch: pöbelhaft, niedrig, vulgär

                                                                                                                                                                                                   Herkunft:
                                                                                                                                                                                                   abgeleitet von dem Substantiv vulgus „Volk(smenge)“

                                                                                                                                                                                                   Botanisch: Die Namen der Art vulgaris und vulgare deuten auf eine
                                                                                                                                                                                                   starke Verbreitung der Pflanzen dieser Art hin hin.

                                                                                                                                                                                                   z. B. Artemisia vulgaris = Beifuß

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