Hauptseminar: Musikalische Datenbanken - von Janina Bär

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Hauptseminar: Musikalische Datenbanken - von Janina Bär
Hauptseminar:
  Musikalische Datenbanken

     Hörmodelle & Psychoakustische
              Phänomene

  Wie funktioniert das Ohr und welche „seltsamen”
      Dinge ereignen sich beim täglichen Hören?
Akustische Informationsverarbeitung des Gehörs und
            deren maschinelle Simulation.

             TU Chemnitz, WS 2004/2005
                    Janina Bär
Gliederung
1. Das Ohr
     1.1 Aufbau des Ohres
     1.2 So hören wir
2. Hörmodelle
3. Psychoakustische Phänomene
     3.1 Einleitung
     3.2 Die Hörschwelle
     3.3 Maskierung
          3.3.1 Simultane Maskierung
          3.3.2 Zeitliche Maskierung
     3.4 Der Haas-Effekt
     3.5 Dominierende Hörempfindung
     3.6 Transiente Töne
     3.7 Tonhöhenempfindung
     3.8 Virtuelles Hören
          3.8.1 Ersetzen fehlender Töne
          3.8.2 Grundtonhören
4. Quellenangabe
1. Das Ohr
1.1 Teile des Ohres
Das Ohr besteht aus drei Teilen:
1. Das Außenohr
Das Ohr bzw. die Ohrmuschel dient dem
Richtungshören.
Der Gehörgang leitet den Schall weiter.
2. Das Mittelohr
Das Trommelfell ist straff, wie bei einer
                                          Abb. 1: Teile des Ohrs
richtigen Trommel und wird durch den
Schall in Schwingungen versetzt.
Die drei Gehörknöchelchen Hammer, Amboß und Steigbügel leiten die
Schwingungen des Trommelfells ans Innenohr weiter.
3. Das Innenohr
Die Schnecke oder Cochlea ist mit Flüssigkeit gefüllt. Sie enthält sehr
sensible Zellen, die sogenannten Haarzellen. Diese 21000 bis 30000
Haarzellen spielen beim Hören eine wichtige Rolle.
Der Hörnerv führt von der Cochlea ins Gehirn.

                                                              Quelle: MED-EL GmbH
1. Das Ohr
1.2 So hören wir
1. Schallwellen führen zu Luftdruck-
schwankungen, die durch den Gehörgang
auf das Trommelfell übertragen werden.
2. Das Trommelfell schwingt im Takt des
akustischen Reizes.
3. Durch diese Schwingungen werden die
Gehörknöchelchen bewegt, wodurch der
akustische Reiz an die Cochlea weiter-
                                            Abb. 2: Funktionsweise des Ohrs
geleitet wird.
4. Die Schallschwingungen werden auf ihrem Weg vom äußeren Ohr zur
Cochlea verstärkt.
5. Diese Schwingungen versetzen die Flüssigkeit in der Cochlea und
damit die Haarzellen in Bewegung. Die Haarzellen werden so zur Aus-
lösung von elektrischen Impulsen (sog. Aktionspotentialen) angeregt.
6. Die Aktionspotentiale gelangen über den Hörnerv zum Gehirn.
7. Das Gehirn empfängt die Aktionspotentiale des Hörnervs und inter-
pretiert sie als akustisches Ereignis (Geräusch, Klang, Sprache).
                                                              Quelle: MED-EL GmbH
2. Hörmodelle
Hörmodelle – Wozu?
Um die Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen des Hörens an sich zu ver-
stehen. Dabei soll nicht jede einzelne Nervenzellen simuliert werden,
sondern eher der gesamte Vorgang.
Dieser wird in einzelne Phasen (Blöcke: Filterbank, Kompression,
internes Rauschen, Modulationsfilterbank, binaurale Störschallunter-
drückung, zentraler „optimaler” Mustererkenner) unterteilt und mit
technischen Bauelementen modelliert.

      Abb. 3: Das Ohr aus der Sicht eines Physikers
2. Hörmodelle
Beispiele für Hörmodelle:
1. Das Lautheitsmodell...
...beschreibt die Lautheitswahrnehmung die abhänig von der Schallintensität,
dem Schallspektrum und Schalldauer ist.
Die Modulationsblöcke „Modulationsfilterbank”, „Internes Rauschen” und
„binaurale Störschallunterdrückung” werden dabei nicht betrachtet.
2. Das Boston-Modell...
...beschreibt die Leistungen des binauralen (zweiohrigen) Hörens unter expliziter
Modellierung von Neuroneneigenschaften.
3. Das Bochumer Modell...
...benutzt nachrichtentechnische Funktionselemente, um charakteristische
Eigenschaften der binauralen Informationsverarbeitung im Gehirn funktionell
zu modellieren.

4. Das Modell der Cambridge-Arbeitsgruppe...
...setzt Schwerpunkte bei der Tonhöhenerkennung und dem Übergang von der
Wahrnehmung aperiodischer Vorgänge in periodische Vorgänge.
5. Oldenburger Perzeptionsmodell...
...legt einen besonderen Schwerpunkt auf die zeitlichen Eigenschaften der
Signalverarbeitung im Gehör und bildet eine relativ große Zahl von psycho-
akustischen Effekten quantitativ nach.
Eine Stärke des Modells ist die „optimale” Mustererkennung.
3. Psychoakustische Phänomene
3.1 Einführung
„Definition”
Die Psychoakustik befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen
physikalischem Reiz (Lautstärke, Tonhöhe, Frequenz) und der darauf-
folgenden psychologischen Reaktion des Menschen.

Audiocodierer, die psychoakustische Phänomene nutzen, nennt man:
„Perceptual Audio Coder”
 -> Vortrag Nadine

Es gibt derzeit kein technisches Verfahren zur Bewertung solcher Audio-
Codierer. Deswegen müssen Hörtests mit geschulten Testpersonen
durchgeführt werden.
Die Psychoakustik bildet somit eine sinnvolle Ergänzung der objektiven
Beschreibung von Geräuschen, mit deren Hilfe sich die subjektive
Wirkung von Schallreizen auf den Menschen näher erklären lässt.
3. Psychoakustische Phänomene
3.2 Die Hörschwelle
Töne müssen eine Mindestlautstärke haben, um wahrgenommen zu
werden.
Diese Mindestlautstärke ist abhängig von der Frequenz des Tons.

Spielt man einer Testperson Töne verschiedener Frequenz vor, deren
Lautstärke man erhöht, bis der Ton gerade wahrgenommen wird, erhält
man folgendes Diagramm:

          Abb. 4: Die Hörschwelle als Funktion der Frequenz
3. Psychoakustische Phänomene
3.3 Maskierung
3.3.1 Simultane Maskierung
Ein Ton von 1 kHz und einer Lautstärke von 60 db (sog. Maskierungston)
verändert die Hörschwelle drastisch.
Töne höherer Frequenz müssen nun wesentlich lauter sein, um überhaupt
wahrgenommen zu werden.

   Abb. 5: Hörschwelle                    Abb. 6: Änderung der Hörschwelle

Oder anders:
Wenn sonst Stille herrscht, hört man einen sehr leisen Ton von 1 kHz
sofort, während beispielsweise ein Ton von 100 Hz bei selber Laut-
stärke evtl. nicht wahrnehmbar ist.
3. Psychoakustische Phänomene
3.3 Maskierung
3.3.2 Zeitliche Maskierung
= Signale auf der Zeitachse ausblenden
Nach der Registrierung eines lauten Tons / Geräuschs (Gauß-Impuls)
benötigt das Gehör eine gewisse „Erholungszeit” (Recovery Time).
Während dieser nimmt es einen ähnlichen, leiseren Ton nicht wahr.
Die Zeit, die vergeht bis man den leiseren Ton wieder wahrnimmt,
ist abhängig vom Lautstärke- und Frequenzverhältnis der beiden Töne.
Sie liegt im Bereich von ca. 5 – 20 ms.
Allerdings werden auch keine Töne wahr-
genommen, die vor dem Gauß-Impuls
liegen.

                                            Abb. 7: Gauß-Impuls
3. Psychoakustische Phänomene
3.4 Der Haas-Effekt
Geht auf Untersuchungen von Helmut Haas zurück: „Über den Einfluss
eines Einfach-Echos auf die Hörsamkeit von Sprache” (1951)
für Verzögerungszeiten zwischen 10 – 30ms gilt:
für die Lokalisierung des Schallsenders ist der zuerst einfallende Schall
maßgeblich – unabhängig davon, aus welcher Richtung der verzögerte
Schall eintrifft – man hört nur eine Schallquelle
für Verzögerungszeiten > 40ms gilt:
man bemerkt das Vorhandensein ge-
trennter Schallreflexionen
man lokalisiert die Schallquelle trotzdem
aus der Richtung des ersten Schalls
für Verzögerungszeiten > 50ms gilt:
Direktsignal und Reflexion / verzögert
ausgestrahltes Signal werden als zeitlich      Abb. 8: Verschmelzungszone des Haas-Effekts
und räumlich getrennt empfunden -> Echo

Beispiel: Raumakustik
3. Psychoakustische Phänomene
3.5 Dominierende Hörempfindung
Wesselsche Täuschung:

Die zuerst eintreffende Schallfront bestimmt, welches Ohr welcher
Klangfarbe folgt. (Gesetz der ersten Wellenfront)
3. Psychoakustische Phänomene
3.5 Dominierende Hörempfindung
Experiment:
Rechtes Ohr: wechselweise zunächst hoher Ton, danach tiefer Ton
Linkes Ohr: zeitgleich wechselweise tiefer Ton, danach hoher Ton

Effekt:
scheinbar auf einer Seite nur der hohe und auf der anderen Seite nur
der tiefe Ton zu hören

Ergebnis:
zeigt, dass ein Ohr die Hörempfindung dominieren kann, und zwar
dasjenige, das zuerst gereizt wird
denn: hohe Töne (höhere Frequenz) kommen „schneller” an
3. Psychoakustische Phänomene
3.6 Transiente Töne
transienter Schall = nicht wiederkehrender zeitlicher Beginn eines Tons
Das menschliche Gehirn ermittelt anhand des charakteristischen Ein-
schwingverhaltens der Töne Instrumente und Stimmen.
Dabei greift es auf Erfahrungen / Gelerntes zurück (akustische
Mustererkennung).
Ergebnis: Wir erkennen eine Einheit aus definierter Tonhöhe, Lautstärke
und Klangfarbe

                                                           Abb. 9:
                                                           Grundton
                                                           und
                                                           Oberton

Experiment:
zeigt die Bedeutung der Art und Weise, wie sich der Klang und sein
Obertonspektrum in der Zeit von weniger als 0,1 s aufbaut
Töne ohne das charakteristische Einschwingverhalten werden vom
Menschen nicht mehr exakt erkannt.
3. Psychoakustische Phänomene
3.7 Tonhöhenempfindung
Der Mensch empfindet eine Tonhöhe relativ zu einer anderen.
Begründung: diese Information ist für die „musikalische Botschaft” die
wesentlichste. (minimaler Aufwand, maximaler Effekt)
Das Gehirn nimmt die Melodie als Sequenz von Tonhöhenunterschieden
wahr, nicht als Sequenz von Tonhöhenwerten.
Deswegen ist die Tonhöhe eine Referenzgröße.
Das Kurzzeitgedächtnis speichert (meist) die gerade verarbeitet Frequenz
als Referenz oder sie (die Frequenz) ist das erwartete Ergebnis auf Grund
eines Lernprozesses. Mit ihr vergleichen wir das momentan Gehörte und
gelangen zu Aussagen wie: „Das klingt aber schief!”

Melodieaufspaltung:
Unser Gehirn neigt dazu Töne nach der Nähe ihrer Tonhöhe zusammen-
zufassen, statt nach ihrer zeitlichen Nähe.
Deswegen sind wir fähig mehrstimmige Musik zu erfassen.
3. Psychoakustische Phänomene
3.8 Virutelles Hören
3.8.1 Ersetzen fehlender Töne

Gleitender Ton = schneller, perio-
discher Wechsel der Frequenz bei
gleichbleibender Lautstärke
Wenn man dieses „Schwingen” zer-
schneidet, nimmt der Mensch diese    Abb. 10: gleitender Ton mit Unterbrechungen
Pausen wahr.

Füllt man die „Lücken” mit einem
Rauschen, wird das fehlende Stück
durch das Ohr ergänzt.
(Gesetz der guten Fortsetzung)

Bemerkung: man hört das
Rauschen auch
                                     Abb. 11: gleitender Ton mit Rauschen
3. Psychoakustische Phänomene
3.8 Virutelles Hören
3.8.2 Grundtonhören

Der Grundton ergibt sich aus der
Differenz 2er aufeinanderfolgender
Obertöne.

Falls der Grundton im Signal fehlt,
                                      Abb. 12: Grundton und Oberton
ist das menschliche Gehirn in er
Lage ihn zu „komponieren”.

Beispiel: Telefon
4. Quellenangabe
-   Felber, Michael:
    Psychoakustische Phänomene, Vortrag im Rahmen des Seminars Musikalische Datenbanken
    TU Chemnitz, SS 2002
    URL: http://www.michael-felber.de/index.php
-   Fiedler, Martin:
    Projektarbeit Datenkompression (4.2.2 Psychoakustische Phänomene)
    TU Chemnitz, 1999/2000
    URL: http://www-user.tu-chemnitz.de/~mfie/compproj/4media.htm#psycho
-   Kollmeier, Birger:
    Cocktail-Partys und Hörgeräte: Biophysik des Gehörs
    Physikalisch inspirierte Hörmodelle weisen den Weg zu intelligenten Hörgeräten
    2002
    URL: http://medi.uni-oldenburg.de/download/docs/paper/kollmeier_2002_biophysik.pdf
-   MED-EL GmbH – deutsche Homepage
    URL: http://www.medel.com/lang/ger/
-   Scheuermann, Thorsten:
    Proseminar: Redundanz – MP3-Audiokompression (3. Psychoakustik)
    Universität Karlsruhe, WS 1998/1999
    URL: http://goethe.ira.uka.de/seminare/redundanz/vortrag14/#psychoakustik
-   Sengpiel, Eberhard:
    Haas-Effekt und Präzedenz-Effekt (Gesetz der ersten Wellenfront)
    Universität der Künste Berlin
    URL: http://www.sengpielaudio.com/Haas-Effekt.pdf
-   Stumpe, Jörg
    Realität und Wahrnehmung in der Akustik (4. Psychoakustik)
    Universität Oldenburg, 2000
    URL: http://www-cg-hci.informatik.uni-oldenburg.de/~airweb/Seminarphase/JoergStumpe/
    html/Psychoakustik.html
-   Yost, William A.:
    Fundamentals of haering: an introduction (third edition)
    Academic Press Limited, London, 1994
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