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Berliner Poliz eihistoriker aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des Förderkreises Polizeihistorische Sammlung Berlin e.V. Nr. 78 Kaiser‑Wilhelm‑Gedächtniskirche. Foto: PhS Dezember 2022
Editoral Liebe Mitglieder und Freunde des Förderkreises Polizeihistorische Sammlung Berlin e. V., die letzte Ausgabe für das Jahr 2022 Auch in dieser Ausgabe finden die haben wir nun fertiggestellt. Leser wieder interessante Artikel. Es freut mich besonders, dass so Leider haben wir auch in diesem viele dem Aufruf gefolgt sind und Jahr den Tod von Mitgliedern des uns Beiträge für den „Historiker“ Förderkreises zu beklagen. Unser übersandt haben. ehemaliges Vereinsmitglied Ger‑ hard Hentschel starb am 8. Oktober 2022 im Alter von 84 Jah‑ ren. Gerhard Hent‑ schel hatte sich mit großzügigen Spen‑ den für die Polizei‑ historische Sammlung verdient gemacht, in Erinne‑ rung wird er uns aber besonders in seiner Paraderolle Polizeipräsidentin Dr. Barbara Slowik als „Kriminalrat verabschiedet Jens Dobler. Foto: PhS Ernst Gennat“ blei‑ ben, in die er oft zu den „Langen Leider müssen wir berichten, dass Nächten der Museen“ schlüpfte. unser geschätzter Kollege, Dr. Jens Dobler, uns aus gesundheitlichen Wir trauern um alle in diesem Jahr Gründen verlassen und sein Ar‑ Verstorbenen und behalten deren beitsverhältnis bei der Polizei ge‑ Andenken in Ehren in Erinnerung. kündigt hat. 2
Jens Dobler Er wurde am 13. Oktober 2022 in wür‑ diger Form von Polizei‑ präsidentin, Dr. Barbara Slowik, im Beisein von Vertretern der Leitung der Polizei‑ Verabschiedung von Jens Dobler. Foto: PhS akademie, ‚ ehrenamtlichen Mitarbeitern und Politische Bildung‘ der Polizeiaka‑ des Vorstands des Förderkreises demie wahrgenommen. Das tägli‑ verabschiedet. che Geschäft nimmt der Angestellte Andreas Brunn, mit Unterstützung Jens reißt eine Lücke in das Wirken der ehrenamtlichen Mitarbeiter, der Polizeihistorischen Sammlung, wahr. die nur schwer zu schließen sein wird. Wir wünschen auf diesem Weg un‑ serem Jens alles erdenklich Gute! Wir hoffen, dass die Behördenlei‑ tung unseren Vorschlägen für eine Abschließend möchte der Vorstand Stellenausschreibung folgen wird, des Förderkreises allen Mitgliedern um damit die Chance zu eröffnen, und Freunden, in und außerhalb eine geeignete Nachfolge zu finden. der Polizeibehörde, ein besinnli‑ ches, friedliches und gesundes Bis zur Neubesetzung der Leitungs‑ Weihnachtsfest sowie einen guten funktion der Polizeihistorischen Rutsch in das Jahr 2023 wünschen. Sammlung, wird die Vertretung übergangsweise derzeit von PHK Euer/Ihr Marc Salbrecht aus dem Bereich Uwe Hundt 3
Jahreskalender Jahreskalender für die Mitglieder der Polizeihistorischen Sammlung Auch für das kommende Jahr erhal‑ Hinckeldeys neu gegründet. Ihre ten die Mitglieder des Förderkreises jetzige Zielsetzung ist das Restaurie‑ den von der „v.Hinckledey‑Stif‑ ren von Kulturdenkmälern in Berlin tung“ und der „Stiftung Preußisches und Brandenburg sowie die Unter‑ Kulturerbe“ herausgegebenen Jah‑ reskalender. Zum besseren Verständnis möchte ich auf Folgendes hinweisen: Die „v.Hinckeldey‑Stiftung“ besteht heute seit dreißig Jahren. Vormals gab es sie zwischen 1853 und der In‑ flationszeit in den 1920er Jahren schon einmal. Sie ist auf den ehema‑ ligen Polizeipräsidenten Carl Lud‑ wig von Hinckeldey zurückzufüh‑ ren, der am 10. März 1856 Opfer ei‑ nes damals schon verbotenen Duells geworden war. Grab von Karl Ludwig Friedrich v. Hinckeldey auf dem St.‑Ma‑ Zu seinen Ehren hatte das Berliner rien‑ und St.‑Nicolai‑Friedhof Bürgertum Geld gesammelt, um Pankow. Foto: CC‑BY‑SA‑3.0, dann mit seiner Genehmigung eine Thomas Z Stiftung zu gründen. Die Ziel‑ setzung war seinerzeit die Unter‑ stützung von im Dienst zu Schaden stützung ärmerer Berliner. gekommenen Berliner Polizeibeam‑ ten. Die in den Jahren der Inflation un‑ tergegangene Stiftung wurde vor Gerhard Simke dreißig Jahren von den Nachfahren Ehrenvorsitzender 4
Hubert Geißel TEIL II Mord und Selbstmord Am Montag, den 26. September te nicht, es erschien auch keine To‑ 1938 gegen 22.15 Uhr erschießt Hu‑ desanzeige. Es gab damals natür‑ bert Geißel zunächst seine Frau und lich ein Ermittlungsverfahren, je‑ dann sich selbst. Die Tat findet doch sind heute offenbar keine Un‑ öffentlich, unmittelbar am Polizei‑ terlagen mehr vorhanden. präsidium Neukölln in der Wilden‑ bruchstraße 4 statt. Als Rixdorf (ab Diese öffentliche Erschießung vor 1912: Neukölln) noch eine eigen‑ einem Polizeipräsidium lässt eine ständige Stadt war, wurde 1902 das Demonstration oder einen Protest Polizeipräsidium als Eckgebäude ähnlich einer Selbstverbrennung an der Kaiser‑Friedrich‑Straße vor einem öffentlichen Gebäude 193/194 (heute: Sonnenallee 107)/ vermuten. Was könnten die Beweg‑ Ecke Wildenbruchstraße einge‑ gründe des Ehepaars gewesen sein? weiht. Nach der Eingemeindung von Neukölln nach Berlin befand These 1: Hubert Geißel hatte Schul‑ sich darin das Polizeiamt 14 mit den und Geld unterschlagen. Die dem 215. Revier. Das Gebäude wird amtlich bestellte Nachlasspflegerin bis heute polizeilich genutzt. Heute berichtete am 12. November 1938 befindet sich hier der Polizeiab‑ unter anderem: „… Der Verstorbe‑ schnitt 54. Das Polizeipräsidium ne hat fast alles, was er und seine umfasste in der Wildenbruchstraße Frau besaß, auf Abzahlung gekauft die Hausnummern 1–3, dann folgte und außerdem noch viele Schulden ein Hof und mit der Hausnummer 4 gemacht, wobei er sogar einen Bür‑ begann ein neues Wohngebäude. In gen in Anspruch nahm, der jetzt den Standesamtsunterlagen steht zum Teil herangezogen werden zum Auffindeort der Leichen: „hin‑ wird. Selbst an der Kasse der Ge‑ ter dem Polizeiamtsgebäude“. heimen Staatspolizei ist Geißel nicht vorbeigegangen und hat sich Der Fall wurde komplett geheim hier Unterschlagungen zuschulden gehalten. Die Tagespresse berichte‑ kommen lassen. Auch hat er, um 5
Haushaltsauflösung Kredit zu erhalten, erzählt, dass er gung, aber wahrscheinlich noch ein Haus in Goslar besitzt. Dies ist nicht mal die Aberkennung des Be‑ nicht der Fall. Er hat ferner bei der amtenstatus. Das ist kein Motiv für Deutschen Bank ein größeres Darle‑ Suizid. An anderer Stelle habe ich hen aufgenommen und hierfür sei‑ schon einmal geschrieben, wie ne Lebensversicherung verpfändet. leicht Kriminalbeamte an quit‑ Nachdem er das Darlehen erhalten tungsloses Geld kamen, zum Bei‑ hatte, hat er jedoch die Prämie für spiel um V‑Leute zu bezahlen, und die Lebensversicherung nicht wei‑ wie leicht einige da in die eigene ter bezahlt, so dass die Deutsche Tasche wirtschafteten. Geißel hat Bank sich jetzt, sobald sie ohne De‑ vielleicht nicht einmal bewusst be‑ ckung bleibt, an den Bürgen und an trogen, sondern nur eine chaotische den Nachlass halten will. Es ist an‑ Geldwirtschaft betrieben. zunehmen, dass evtl. noch mehrere solcher Fälle vorliegen.“ Die Nach‑ Nach einer Aufstellung der Nach‑ lasspflegerin hatte erhebliche lasspflegerin beliefen sich die Ge‑ Schwierigkeiten, Ordnung in das samtverbindlichkeiten auf 4.374 Chaos zu bringen: Da waren zu‑ Reichsmark. Der Verkauf des nächst zwei Wohnungen, dann die Hausstandes und die Auflösung unterschiedlichen Namen der Frau von Konten und Versicherungen er‑ Geißel, weiterhin die unterschiedli‑ brachten 4.033 Reichsmark. Inso‑ chen Gläubiger, die Schulden bei fern konnten fast alle Gläubiger der Gestapo und zusätzlich lagerten bedient werden und niemandem ist auch jede Menge dienstlicher Akten ein großer Verlust entstanden. Die der Gestapo in der Wohnung. Gestapo holte ca. 30 Zentner dienst‑ liche Akten aus den Wohnungen, Die Summe, die Geißel bei der Ge‑ zusätzlich wurden drei Revolver stapo veruntreut hatte, belief sich mit Patronen eingezogen. auf 724 Reichsmark. Durch den Verkauf der Wohnungseinrichtung Warum das Ehepaar Geißel einen konnte das Geld erstattet werden. so merkwürdigen Umgang mit Dieser Betrag ist nicht sehr hoch, Geld pflegte, ist nicht verständlich, bedeutete vielleicht eine Kündi‑ zumal Hubert Geißel als Kriminal‑ 6
„Ariernachweis“ direktor nicht schlecht verdiente jetzt nutzte Marie ihre Konvertie‑ und vor allem ein regelmäßiges rung zur evangelischen Kirche Einkommen bezog. Falls Marie Gei‑ nichts mehr. Nach den Nürnberger ßel auch mitverdiente, zum Beispiel Gesetzen wäre sie vielleicht als soge‑ durch die Plätterei oder als Sprach‑ nannter „Mischling 1. Grades“ ein‑ lehrerin, stellt sich unwillkürlich gruppiert worden. Am 18. Novem‑ die Frage, wozu so viel Geld benö‑ ber 1935 erklärte die Gestapo jedoch tigt wurde. Das Ehepaar hatte keine noch: „Der Nachweis über die ari‑ Kinder und führte keinen luxuriö‑ sche Abstammung des Beamten und sen Lebensstil. Die Finanzmisere seiner Ehefrau ist erbracht“. Ver‑ war nicht völlig aus dem Ruder ge‑ mutlich stammte dieser Nachweis laufen; es wurde wohl getrickst noch aus der Zeit vor dem 16. No‑ und geschwindelt, aber nicht rich‑ vember 1935. Was 1935 vielleicht tig betrogen. Mit einer strengen Fi‑ noch als harmlos gesehen wurde, nanzdisziplin wären die Schulden war es aber 1938 sicher nicht mehr. in zwei Jahren abbezahlt gewesen. Am 26. Januar 1937 wurde das neue Als Motiv für den Doppelsuizid Deutsche Beamtengesetz erlassen. In scheidet die Geldfrage meines Er‑ § 59 war geregelt, dass der Beamte achtens aus. zu entlassen ist, wenn sein Ehegatte „nicht deutschen oder artverwand‑ These 2: Hubert Geißels Ehefrau ten Blutes“ ist. Ab 1937 bis 1938 galt als Jüdin. Zum Zeitpunkt der wurde auf die Kriminalbeamten Ehe am 9. August 1933 waren beide auch ein gewisser Druck ausgeübt, als evangelisch in den Dokumenten Mitglied in der SS zu werden. Sie eingetragen, damit war ihr „Arier‑ wurden zwar nicht gezwungen, eine nachweis“ zum Zeitpunkt seines Weigerung bedeutete aber Nach‑ Eintritts in die Gestapo am 1. No‑ teile, ein Eintritt immer Vorteile. Für vember 1933 zwar geschummelt, den Eintritt in die SS wurde aber der aber „richtig“, weil in der Regel „große Ariernachweis“, der bis 1750 über die Konfessionszugehörigkeit zurückgehen musste, verlangt. entschieden wurde. Am 16. Novem‑ ber 1935 wurden die Nürnberger Ich vermute, dass es dem Ehepaar „Rassegesetze“ erlassen, spätestens Geißel bis zum Zeitpunkt ihres To‑ 7
Namenswechsel des noch gelang, die jüdischen Wur‑ weit vom Tatort entfernt. In der zeln von Marie zu verheimlichen. In Nachlassakte ist noch von einer allen Personaldokumenten und auch zweiten Wohnung die Rede, die im Sterberegister des Standesamtes ebenfalls von der Nachlasspflegerin Neukölln wurden Hubert Geißel geräumt wurde. Eine Adresse wird und seine Frau als der evangelischen jedoch nicht angegeben. Schaut Kirche zugehörig eingetragen. man ins Berliner Adressbuch, so gab es seit 1932 „Marie Gartheis“, Inwieweit das Namensspiel hier die in der Pannierstraße 56 eine hilfreich war, muss offenbleiben. Im Plätterei betrieb. Auch diese Straße Sterberegister wird ihr Name mit liegt im Bezirk Neukölln und ist Marie Geißel richtig angegeben. In von der Elsen‑ und der Wilden‑ der Nachlassakte tauchen weitere bruchstraße nicht weit entfernt. Namen auf, so nannte sie sich zu‑ dem „Lilian Geissel“ und schloss Die Verwendung unterschiedlicher mit diesem Namen auch offizielle Namen nennt man auch konspirati‑ Verträge, wie Versicherungen, ab. ves Verhalten. Für die Zeit des Na‑ Ein weiterer Name, den sie auch tionalsozialismus lässt sich dieses offiziell verwendete, war „Dr. Lili‑ noch erklären. Warum sie aller‑ an Geissel, geb. Marie Gartheis“. dings auch vorher schon das Spiel Die Nachlasspflegerin schrieb dazu: mit den Namen betrieb, ist anhand „Aus der Art des Todes und die ei‑ der wenigen Angaben nicht erklär‑ gentümlichen Verhältnisse die zwi‑ bar. Sicher war es gesellschaftlich schen den beiden Verstorbenen einfacher, sich als „Witwe“ zu be‑ herrschten, entstehen für die Abwi‑ zeichnen, denn als geschiedene, al‑ ckelung des Nachlasses die erdenk‑ leinstehende Frau. lichsten Schwierigkeiten. Die ver‑ storbene Ehefrau hat unter den ver‑ Hubert Geißel dürfte durch seine schiedensten Namen gelebt und Tätigkeit in der Gestapo klar gewe‑ auch quittiert [sic].“ sen sein, was der Staat mit den Ju‑ den plante. Es wird ihm bewusst Das Ehepaar Geißel wohnte in der gewesen sein, dass es nur eine Fra‑ Elsenstraße 60 in Neukölln, nicht ge der Zeit war, bis die Behörden 8
Fazit ihnen auf die Schliche kämen. Er In diesen Tagen im September wäre dann als Beamter gekündigt, spitzte sich die Krise um die Tsche‑ vielleicht sogar wegen Betruges choslowakei zu, die mit dem Mün‑ verfolgt oder als „Volksschädling“ chener Abkommen und der Be‑ in ein KZ interniert worden. Viel‑ setzung des Sudetenlandes im Ok‑ leicht kommen so auch These 1 und 2 tober zunächst beendet wurde. Vie‑ zusammen. Eventuell hatte das le sahen darin eine kriegerische Paar seine Ausreise vorbereitet. Die Handlung und den Vorboten des Schweiz wäre vielleicht eine Option Zweiten Weltkrieges. Vielleicht war gewesen oder die USA. Vielleicht auch den Geißels klar geworden, wurde dafür viel Geld auf die Seite dass Krieg drohte. Die antijüdi‑ geschafft oder sie unterstützten an‑ schen Bestimmungen nahmen be‑ dere Ausreisewillige. Vielleicht war ständig zu. In dieser verzweifelten dieser Traum kurz vorher geplatzt? Situation entschloss sich das Paar seinem Leben ein Ende zu setzen. These 3: Protest gegen Polizei und Staat: Die Tötung vor dem Polizei‑ Der Fall war bis heute unbekannt. präsidium Neukölln war ein öffent‑ Im Gedenkbuch der Opfer der Ver‑ licher Protest, allerdings nur ein folgung der Juden taucht ihr Name halber. Sie wird abends, aber schon nicht auf. im Dunkeln ausgeführt, sie wird nicht direkt vor dem Präsidium, Jens Dobler zum Beispiel an der zur Sonnenal‑ lee gelegenen Seite, sondern im hin‑ Anmerkung: teren Teil, in der Wildenbruchstraße Eine ausführliche Version dieses Bei‑ durchgeführt. Es war eine zaghafte trages erschien im „Archiv für Polizei‑ Demonstration, andererseits eine si‑ geschichte“ Nr. 47, Heft 2/2021. Darin chere, denn direkt an der Sonnenal‑ auch Anmerkungen und Literaturan‑ lee hätten sie vielleicht noch von gaben, auf die hier wegen der Länge Passanten oder der Wache des Poli‑ verzichtet wird. zeipräsidiums aufgehalten werden können. Sie wollten sichergehen und auf jeden Fall sterben. 9
Klaus Hübner Gedanken des ehemaligen Polizei‑ präsidenten Klaus Hübner (1981) Bei der Archivierung von Stabsun‑ Ich versuche deshalb einmal im Um‑ terlagen bin ich auf Gedanken‑ kehrschluss an dieses Monster heran‑ splitter unseres ehemaligen Polizei‑ zukommen. Wer hat nicht mindestens präsidenten Klaus Hübner aus dem schon einmal nach unbürokratischer Jahr 1981 gestoßen. Ich denke, diese Lösung eines Problems gerufen. Dies in Gedanken treffen auch heute noch voller Überzeugung, dass dann der ge‑ so zu und deshalb gebe ich sie hier sunde Menschenverstand schon alles wörtlich zur Kenntnis. bestens lösen werde. (Ich bin dem ge‑ sunden Menschenverstand allerdings „Ich kann zur Bürokratie nicht unbe‑ meist nur dann begegnet, wenn ich ei‑ fangen Stellung beziehen. Erstens bin nem anderen seine eigene Meinung ich selber ein Oberbürokrat und zwei‑ nicht bestritt). tens regt mich auf, zu welcher Falsch‑ geldmünze das Wort Bürokratie ge‑ Schauen wir uns mit Ruhe und kühlem worden ist. Jeder geht damit um und Kopf an, was als unbürokratisch gefor‑ kaum einer fragt sich, ob seine Wäh‑ dert wird, bleibt meist nur übrig, dass rung gedeckt ist. die Kontrolle, die gleiches Recht für alle garantieren soll, etwas, oder besser Fangen wir damit an, dass der schlam‑ noch recht großzügig, gelockert werden pig oder gar nicht definierte Begriff Bü‑ soll. Wer steht in diesem Augenblick rokratie fast ausschließlich negativ vorne? Unser beliebter Mitbürger mit eingesetzt wird. Im Grunde wird das den eckigen Ellenbogen, der sich an kei‑ Unbehagen aus dem Bauch begründet, ne Schlange anstellt, der auf der Auto‑ der Kopf geht in Wartestand. Beschrie‑ bahn an der Stauung nach vorne vor‑ ben und beschimpft wird etwas Anony‑ beifährt, statt sich einzufädeln. Erin‑ mes, empfunden wird eine gewisse nern wir uns an den gemeinsamen Ruf Macht, der sich keiner entziehen kann, von Politik und Volk nach unbürokrati‑ die er auch als einzelner kaum packen schen Lösungen für Opfer von Kata‑ kann. strophen. Wer nicht drängelt, bekommt 10
Bürokratie das kleinste Stück an Hilfe und die Der Gesetzgeber ist der alleinige Verur‑ Presse nährt sich noch monate‑ und sacher der Bürokratie. Wo er nichts re‑ jahrelang von den beredten Klagen sol‑ gelt, gibt es nichts zu verwalten, nichts cher Mitglieder der Schicksalsgemein‑ zu überwachen, zu überprüfen, nichts schaft, die mehr als ihnen gerechter zu verteilen. Je zivilisierter die Gesell‑ maßen zusteht, heraus quengeln wol‑ schaft wird, je mehr Regelungsbedürf‑ len. nisse meldet sie an. Heißt da nicht möglicherweise Büro‑ Manche Kräfte halten es inzwischen kratie: das langsame, unbeliebte, unpo‑ schon für Kultur (oder gar für Kultur‑ puläre Zuteilen der Gerechtigkeit, bei revolution) gegen diese kinetische Zivi‑ Beachtung der von dem Volke beschlos‑ lisation anzurennen. Ein schlimmer senen Gesetze, auf der mühsamen Zirkel. Ist die Befürchtung falsch, dass Schleichtour durch Instanzen und parlamentarische Politik in Gefahr ge‑ Kompetenzen? Sind diese aber etwa rät, sich durch Gesetze Alibis zu ver‑ entbehrlich? schaffen, um später bei Erstarrung und Verkrustung des alles Geregelten sich Bleiben wir beim verordneten Recht. auf dem Schrottplatz der politischen Waren wir als Volksvertreter nicht oft Kunst nur noch auf einen Nenner zu bemüht, auch dem letzten Kläger den einigen: Die Bürokratie ist schuld! Beweis zu liefern, dass auch die ihn be‑ treffende Härte einer Regelung ihrer Doch bei aller Hässlichkeit der Recht‑ Regelung bedürfe? Alles für den Men‑ mäßigkeit der Verwaltung, sprich Bü‑ schen in der Demokratie! Und schlim‑ rokratie, haben wir ja auch noch die mer weise sind diese Menschen auch Rechtsprechung. Jedem Bürger sein alle noch potentielle Wähler. Rechtsmittel. Blühende Kanzleikultu‑ ren gedeihen auf diesem Saatbeet des (In einer Verhandlung mit Personalrä‑ Rechtsmittelstaates. Haben Sie aber ten habe ich einmal aufgemuckt: Wenn schon einen Bürger gefunden, der sich ich in der Lage wäre, Ihnen die äußers‑ vom Staat gerecht behandelt fühlt? Der te Gerechtigkeit zu garantieren, wäre Weg zum Kadi ist ein Gesellschafts‑ ich imstande, auch noch diese Un‑ spiel. Auf der Anklagebank sitzt die Bü‑ menschlichkeit zu begehen). rokratie. Gewinner oft der einzelne 11
Demokratie in der Gesellschaft Kläger, Verlierer immer öfter die ge‑ Ein Beispiel am Schluss. Als Berichter‑ samte Rechts‑ oder Sozialgemeinschaft. statter des Innenausschusses habe ich 1968 das Ordnungswidrigkeitsgesetz Ein weites Feld für Politik. Für Profis mit verschuldet. Die Sache ist schreck‑ und Dilettanten. (Ich habe übrigens lich: Am Tage des Inkrafttretens dieses keinen Respekt vor gelernten Politolo‑ Gesetzes am 1. Januar 1969 wurde ich gen. Sie wissen meist genau, wie man Polizeipräsident und muss seitdem als die Maschine fährt. Sie wissen deshalb Bürokrat mit meinem ʺeigenenʺ Gesetz meist noch lange nicht, was die Ma‑ leben. schine produziert). Damals hatte ich vergeblich dafür plä‑ Ich weiß nicht, ob es eine andere demo‑ diert, den Ermessungsspielraum der kratische Gesellschaft gibt, die ihren Vollzugsbeamten großzügig zu bemes‑ Bürgern so viel Politik, meist Staats‑ sen. Vergeblich. Es wurde eine starre bürgerkunde genannt, verpasst, wie Tabelle der Gerechtigkeit verordnet. Sie wir es tun. Keine Vereinigung, die was ist zum Tarifzettel verkommen. Der auf sich hält, verzichtet auf Seminar Verkehrssünder kennt den Preis für sei‑ und staatsbürgerliche Bildung. (Wird ne ʺMöglichkeitenʺ. Der Gedanke des ja auch gut subventioniert). ʺDenkzettelsʺ hat nie zünden können. Vo1lzugsbeamte sind erniedrigte Funk‑ Ist unser Bundesbürger deshalb politi‑ tionäre der ʺBürokratieʺ (Wirklich der scher als die Demokraten anderswo? Bürokratie?) Nein, unser Bürger ist anpolitisiert. Weiter hatte ich in der Begründung dar‑ Das ist schlimmer als völlige Unbefan‑ auf hingewiesen, dass die automatische genheit. Er hat seine Ansprüche ge‑ Datensammlung über Verkehrssünden lernt. Er beherrscht die Spielregeln. In sachlich dem Zwecke dienstbar gemacht jedem Sportverein dauert die Ge‑ werden solle, aus diesem Fundus Er‑ schäftsordnungsdebatte länger als die kenntnisse über Unfallursachen und Sachdiskussion. Ja, wir sind ein intelli‑ ‑gefahren herauszufiltern. Ein möglicher gentes Volk. Wir hatten ja Goethe. Üb‑ Programmschritt der Datentechnik. rigens auch Michael Kohlhas. Nichts als der größte Datenfriedhof un‑ ter dem Mond ist daraus geworden. 12
Oberbaum City Und um die Posse zu vollenden, will der über seinen Wähler hinaus, schafft er Verkehrsminister jetzt Flensburg dicht‑ Regeln, die dem armen Bürokraten die machen. Eine Riesenbürokratie hat sich Hoffnung auf etwas Kreativität bei sei‑ im Leerlauf festgefressen. ner Arbeit geben. Schreiben wir so et‑ was nicht nur in moderne Führungs‑ Schlussbetrachtung: Was Bürokratie grundsätze. Lösen wir den Bürokraten ist, ʺfühltʺ jeder, keiner ʺweißʺ es. nicht schon gleich von den Fesseln des Fließbandes, haben wir wenigstens mal Wer ist denn nun der Bürokrat? An den Mut, diese Ketten anzuschauen. den Pranger mit ihm, der diesen an‑ onymen Apparat beherrscht. Ach du Vielleicht werden wir selbst wieder kre‑ meine Güte. Der arme Kerl, der zappelt ativ. ja selber in dem Apparat, den er nicht mehr übersehen kann. Das warʹs. Ich bin zum Abschuss frei.“ Nur einen schmalen Streifen sehe ich Ditmar Schulz am Horizont. Wächst der Gesetzgeber Polizeipräsident von Hinkeldey und die Lampenstadt in der Oberbaum City Welche Verbindung hat die Ober‑ Nachfolgerin des bis 1992 an dieser baum City, auch Lampenstadt ge‑ Stelle existierten Kombinats NAR‑ nannt, das Areal zwischen der VA, musste wegen des nur befristet Warschauer Brücke, Stralauer Allee, geltenden Mietvertrages ausziehen. den Eisenbahngleisen und der Mo‑ Mit dem Wegzug endete die Ge‑ dersohnstraße, mit dem königlichen schichte der Elektroindustrie an Polizeipräsidenten von Hinkeldey? diesem Standort. 1996, fünf Jahre nach der deutschen Sie begann zwischen 1906 und 1914. Wiedervereinigung, gingen hier die Die Auer‑Gesellschaft, der es 1906 Lichter aus. Die Gesellschaft für gelang Glühfäden aus Wolfram lichttechnische Erzeugnisse mbH, herzustellen, ließ hier vier riesige 13
Berliner Glühlampenwerk fünf‑ bis siebenstöckige Fabrikge‑ Industriekomplex in neuem Glanz. bäude errichten. Mit dem 1909 er‑ Ein hochmodernes Dienstleistungs‑ richteten 40 Meter hohem Turmge‑ zentrum ist entstanden. bäude auch das erste Hochhaus Berlins. Und von Hinkeldey? Ohne ihn kein Durch die 1902 eröffnete Hoch‑ und Beginn der Wasserversorgung Ber‑ Untergrundbahn mit dem Endbahn‑ lins und die sich anschließende Ent‑ hof Warschauer Brücke war das ge‑ wicklung zum Standort der Elek‑ samte Areal verkehrstech‑ nisch hervorragend ange‑ schlossen. 1918 wurde von der Deut‑ schen Gasglühlicht AG die Osram‑Werke GmbH ge‑ gründet. Mit ihren Glüh‑ lampenwerken schlossen sich 1919 die Firmen AEG und Siemens und Halske dieser Firma an, die nun‑ Historische Ansicht der Oberbaum City. mehr Osram‑GmbH‑KG Foto: PhS hieß. Nach der 1947 durchgeführten Ent‑ troindustrie. Auf den Wiesen und eignung wurde im Grundbuch des Feldern vor der Stadtmauer (Akzi‑ Amtsgerichts Mitte als neuer Eigen‑ semauer) am Stralauer Tor beginnt tümer das VEB Berliner Glühlam‑ die Geschichte der Wasserversor‑ penwerk als Eigentümer einge‑ gung Berlins. Zwischen 1853 und tragen. Aus dem Zusammenschluss 1856 wurde hier das erste Berliner mehrerer Leuchtmittelbetriebe der Wasserwerk errichtet. DDR entstand 1969 das Kombinat Anfang des 19. Jahrhunderts waren VEB NARVA. Nach jahrelangem Pläne entstanden, Berlin durch den Leerstand und teilweiser kompletter Bau eines Wasserwerks mit fließen‑ Entkernung erstrahlt der historische dem Wasser zu versorgen. Dahinter 14
Wasserwerk im Bau stand die Idee, die Straßen zu reini‑ eines Wasserwerks unterzeichnet gen, die Rinnsteine zu spülen und werden. Der Vertrag sah eine 25jäh‑ Brauchwasser für die Häuser zur rige Laufzeit vor. Die städtische Verfügung zu stellen. An Trinkwas‑ Verwaltung stellte die Spree zur ser wurde noch nicht gedacht. Speisung der Wasserleitungen zur 1852 erkannte der Magistrats die Verfügung. Dafür musste die „Ber‑ Zweckmäßigkeit des Baus einer lin‑Water‑Works Company“ das Wasserleitung für Berlin an, jedoch Wasser für die Straßenreinigung nicht ihre Notwendigkeit aus gesundheitlichen Grün‑ den. Hier nun beginnt das Verdienst des königlichen Polizeipräsidenten zu Ber‑ lin, von Hinkeldey, den Bau einer Was‑ serleitung trotz aller Wiederstände durch‑ gesetzt zu haben. Da es in Berlin seit 1826 die von der englischen Conti‑ Oberbaum City. Abbildung: PhS nental Gas Association (IC‑ GA) auf dem Gelände des heutigen Prinzenbades betriebene Gasanstalt und zum Feuerlöschen unentgelt‑ gab, wandte sich von Hinkeldey er‑ lich liefern. Die Inbetriebnahme des folgreich an Geldgeber in London. Wasserwerkes 1856 konnte von Hinkeldey nicht miterleben, da er Am 14. Dezember 1852 konnte, nun am 10. März 1856 bei einem Duell auch mit Zustimmung des Magis‑ mit dem preußischen Offizier Hans trats, zwischen den englischen Un‑ Wilhelm von Rochow tödlich ge‑ ternehmern Sir Charles Fox und troffen worden war. Mr. Thomas Rushell Crampton und dem Polizeipräsidenten von Hin‑ 1874 kaufte die Stadt Berlin vor Ab‑ keldey der Vertrag zur Errichtung lauf der 25jährigen Laufzeit das 15
Lampenstadt Wasserwerk und übernahm die Höfe des zwischen Naglerstraße Verwaltung. 1877 wurde ein zwei‑ und Ehrenbergstraße gelegenen tes Wasserwerk am Tegeler See er‑ Haus IV. Hier geben die in den vier öffnet. Mit der Inbetriebnahme des Höfen aufgestellten Tuffsteinquellen dritten Wasserwerks in Friedrichs‑ den Höfen einen einzigartigen Cha‑ hagen am Müggelsee 1893 wurde rakter. Die quadratischen Blöcke be‑ das Wasserwerk am Stralauer Tor stehen aus vier zusammengesetzten, geschlossen. 25 Tonnen schweren Tuffsteinen. Bevor die eingangs be‑ schriebene Geschichte der Elektroindustrie auf dem ehemaligen Gelände des ersten Berliner Wasser‑ werks ab 1906 begann, gab es hier 1894 ein er‑ folgloses Experiment zur Müllverbren‑ nung. In Durchgang zu den Höfen zwischen Nagler‑ und den für den Versuch er‑ Ehrenbergstraße. Foto: Hartmut Pech richteten Müllofen gelang es nicht, den Müll vollständig zu ver‑ An ihnen läuft Wasser herunter, brennen. Schuld war der hohe An‑ dass, wenn es im Winter friert, ein‑ teil von Braunkohleasche. Er machte zigartige Anblicke hervorbringt. den Müll nahezu unbrennbar. In der Oberbaum City oder Lam‑ penstadt gibt es keine Spuren des Ein Besuch der Lampenstadt ist sehr ehemaligen Wasserwerks. Festzu‑ empfehlenswert. Beindruckend die halten bleibt, dass die Entwicklung Glas‑Lichtböden in den beiden Hö‑ dieses Ortes ihren Ausgang durch fen des zwischen Warschauer Platz die Aktivität des königlichen Poli‑ und Naglerstraße gelegen Haus V. zeipräsidenten von Hinkeldey ge‑ Sie geben den Innenhöfen in der nommen hat. Dunkelheit eine besondere Atmo‑ sphäre. Dies gilt auch für die vier Hartmut Pech 16
Wilhelmshöhe Das Kreuzbergurteil des preußischen Oberverwaltungsgerichtes Westlich des südlichen Teils der Belle‑Alliance‑Straße (heu‑ te Mehringdamm) befand sich ein öffentliches Gelände, das überwiegend vom preußi‑ schen Militär genutzt wurde und auf dem sich eine Baugru‑ be mit weißem Sand befand, den sich die Berliner dort ho‑ len konnten. Dieses Gelände wurde zu einem Bauprojekt, in dem die von Kaufleuten ge‑ gründete „Villen‑Sozietät‑Wil‑ helmshöhe“ 40 Villen plante. Hier hatten sich 22 Berliner Fa‑ milien zusammengeschlossen und errichteten 20 Villen. Das neue Wohngebiet wurde zu Ehren des Kaisers nach Schloss Wilhelmshöhe in Kas‑ Denkmal auf dem Kreuzberg. sel benannt. Es lebten dort nur Foto: Wolfgang Lebe Fabrikanten, Gardeoffiziere und fabrikant Ernst Lindenberg 1875 er‑ Beamte. Der Bereich wurde durch bauen ließ (heute Methfesselstr. 23 eine Privatstraße mit einem Tor und 25). versperrt und durfte nur von be‑ fugten Personen betreten werden. Das Polizeipräsidium unter Guido von Madai erließ am 10. März 1879 Zu den noch vorhandenen Resten eine Polizeiverordnung zum Schutz der Villenkolonie gehört das Haus des an die Freiheitskriege erinnern‑ Lindenberg, welches der Zigarren‑ den Nationaldenkmals auf dem 17
Klage vor Gericht Kreuzberg, die sich auf eine äl‑ tere Verordnung vom 11. März 1850 stützte. Hier wird aus‑ geführt und an‑ geordnet, dass Neubauten in der Umgebung nur in der Höhe errichtet wer‑ den dürfen, dass die Aussicht vom Denkmal Lichterfelder Straße Heute. Foto: Wolfgang Lebe auf die Stadt und die Umge‑ bung nicht behindert wird und das 1881 mit der Begründung, dass im Denkmal selbst ständig aus jeder Falle der Bebauung eine erhebliche Richtung sichtbar zu bleiben hat. Beeinträchtigung der Ansicht des Bei Bauanträgen behält sich die Po‑ Denkmals und eine Verunstaltung lizei eine Genehmigung über die des ihn umgebenden Stadtteils ein‑ Bauhöhe vor. treten würde. Der Eigentümer des Grundstückes Der Antragsteller klagte darauf hin Lichterfelder Straße 4 beantragte vor dem Bezirksverwaltungsgericht bei der Polizei die Bebauung mit ei‑ und führte eine Verletzung seiner nem mehrstöckigen Wohnhaus und Rechte an. Außerdem bestritt er ei‑ nach der Ablehnung den gleichen ne Verunstaltung des Gebietes Bauantrag für sein daneben befind‑ durch sein geplantes Bauprojekt. lichen Grundstück Lichterfelder Die beklagte Behörde wies dagegen Straße 5. Beide Anträge wurden auf landesrechtliche Bestimmungen ihm abgelehnt, zuletzt am 31. Mai hin, die einen Schaden für das Ge‑ 18
Verwaltungsgerichtsurteil meinwesen verhindern sollen. Es In der Berufungsverhandlung be‑ wurde ausgeführt, dass auch ande‑ stätigte der II. Senat des Oberver‑ re Güter zu schützen sind, wie z.B. waltungsgerichtes unter dem Ak‑ der Patriotismus als ein hohes Gut tenzeichen PrOVGE 9,353 am der Nation. Dieser Schutz würde 14. Juni 1882 die Entscheidung der durch einen kasernenartigen Bau Vorinstanz und forderte für ein verhindert werden. staatliches Eingreifen eine entspre‑ chende spezialgesetzliche Ermäch‑ Das Verwaltungsgericht folgte nicht tigungsgrundlage. der Argumentation der Behörde, hob die polizeiliche Verfügung auf, Obwohl sich die Polizeibehörde wenn nicht andere wichtige polizei‑ noch viele Jahre lang gerade beim liche Hinderungsgründe vorliegen Denkmalschutz immer wieder auf würden. Die Polizei habe kein Bestimmungen des allgemeinen Po‑ schrankenloses Ermessen, vielmehr lizeirechtes berief, war mit diesem soll sie nur die Erhaltung der Urteil erstmals eine Hinwendung öffentlichen Ruhe, Sicherheit und zu einer liberalen und zivilen Ver‑ Ordnung sicherstellen. „Policey“ ist waltung begonnen. Das „Kreuzber‑ nicht gleichzusetzen mit Pflege des gurteil“ hat also eine große Bedeu‑ Gemeinwohls und gibt der Behörde tung für das Verwaltungsrecht. keine Kompetenz, nach eigenem Langsam werden in der Folgezeit Ermessen festzulegen, was dem Ge‑ viele Bereiche der „staatlichen meinwohl dient. Eine Verunstal‑ Wohlfahrt“ in zivile Verwaltungs‑ tung liegt nicht bereits dann schon zuständigkeiten überführt. Ein Bei‑ vor, wenn eine Schönheit der Form spiel dafür bietet das Meldewesen: verändert wird. In Berlin und auch Dieser Verwaltungsbereich wurde im näheren Umfeld gibt es viele in Berlin tatsächlich erst am 1. April Häuser, bei denen die Polizeibehör‑ 1985 aus der Berliner Polizei her‑ de derartige Gebäude zugelassen ausgelöst und einer selbstständigen hat. Eine Schädigung des Gemein‑ Meldebehörde übertragen. wesens und eine Verunstaltung lie‑ gen nicht vor. Wolfgang Lebe 19
Lankwitzer in Dresden Eine kleine Leistungsschau des „Rollenden Museums“ der Polizei Berlin (Tag der offenen Tür) beitsreich. Hier waren alle ehren‑ amtlichen Mitar‑ beiter besonders stark in Anspruch genommen. Bereits zum zehn‑ ten Mal nahmen wir die Einladung zum größten Stadt‑ Dresden: Blaue Meile. Foto: Bernd Maaß fest in Deutsch‑ Da das Jahr 2021 coronabedingt land in Dresden vom 19. bis zum sehr überschaubar war, wurde das 21. August an. Es ist für uns immer Jahr 2022 für die Truppe aus Lank‑ witz durch die Sai‑ sonabschlussfahrt am 29. Oktober sehr erfolgreich be‑ endet. Gerade die Monate August und Sep‑ tember sind sehr Armin Schuster, Staatsminister des Innern in Sachsen, intensiv und ar‑ und Bernd Maaß. Foto: PhS 20
Blaulichtfahrzeuge an der Elbe eine besondere Ehre, die Polizei Dresden mit unse‑ rem rollenden Museum, bei der Präsentation von Blaulichtfahrzeugen zu unterstützen. So präsen‑ tierte sich die Polizeihisto‑ rische Sammlung neben den anderen Blaulicht‑ EMW 340 aus Lankwitz in Dresden. Foto: Bernd Maaß sonders unser Motorrad ist für die Kinder ein Anziehungspunk. Das Platznehmen auf dem Polizeimotor‑ rad, ist für die Kinder und deren El‑ tern ein besonderes Erlebnis. Eine Ehrung sind für uns ist immer wie‑ der die Begrüßungen durch den Landtagspräsidenten, den Landes‑ polizeipräsidenten und den Polizei‑ präsidenten von Dresden. Wir ge‑ hören bei der Dresdner Polizei quasi schon zur Familie. Dresden: Kinderbereich. Foto: Bernd Maaß fahrzeugen direkt an der Elbe im Bereich des Sächsi‑ schen Landtages. Neben vielen technischen High‑ lights, werden immer wie‑ der unsere historischen Fahrzeuge vom Publikum Dresden: Blaulichtmeile mit VW Käfer. sehr positiv bewertet. Be‑ Foto: Bernd Maaß 21
Lankwitzer in Celle Lankwitzer in Celle. Foto: PhS Kaum zurück in Berlin, stand eine sich auch das Polizeimuseum. Ein Woche später die nächste Veran‑ ehrenamtlicher Mitarbeiter erläu‑ staltung an. Denn am 28. August terte uns auf eine sehr gute infor‑ hieß es bei einem der größten Oldti‑ melle Art die Geschichte der Polizei mertreffen Norddeutschlands in in Niedersachsen. Celle wieder: „Alte Liebe rostet nicht“. Die Einladung dazu war Unterstützung für die Veranstal‑ von der Celler Tourismus und Mar‑ tung in Celle bekamen wir durch keting GmbH und dem Oberbür‑ die örtliche Polizeiinspektion und germeister von Celle gekommen. den zuständigen Kontaktbereichs‑ 1500 Oldtimer hatten ihren Weg beamten. nach Celle gefunden. Wie immer waren unsere Fahrzeu‑ Unsere Hinfahrt begann schon am ge am Veranstaltungstag im Schloss‑ Freitag, da wir am Samstag einen park direkt am Schloss ausgestellt. Termin bei der Niedersächsischen Die Kombination aus historischem Polizeiakademie in Nienburg wahr Stadtkern und historischen Fahr‑ zu nehmen hatten. Dort befindet zeugen lässt die Liebhaber, Freunde 22
Lankwitzer in Gatow und Fans motorisierter Geschichte immer wieder gerne nach Celle kommen. Bis zu 25000 Besucher be‑ suchten diese eindrucksvolle Ver‑ anstaltung. Eine Woche später ging es für uns zum Flughafen Gatow auf das Ge‑ lände des Militärhistorischen Mu‑ seums. Am Tag der Reservisten am 3. und 4. September ist es hier auch immer unsere Pflicht, unsere Poli‑ zei‑Oldtimer der Öffentlichkeit zu präsentieren. Hier liegt der Schwer‑ punkt bei der Kinderbetreuung. Ei‑ ne Mitfahrt in einem Polizeimotor‑ rad mit Seitenwagen ist immer ein Highlight. Aber nicht nur die Kin‑ der, sondern auch die Eltern nah‑ Lankwitzer Mercedes in Celle. men das Angebot an. Foto: Bernd Maaß Die letzte Veran‑ staltung war der Tag der offenen Tür am 18. September in Ruhleben. Nach einer kleinen Erho‑ lungsphase, prä‑ sentierten wir un‑ sere professionell erarbeitete Ausstel‑ lungskonzeption Tag der offenen Tür in Ruhleben. für das Polizeifest Foto: Bernd Maaß 23
Tag der offenen Tür Wartburg 353 und Lada der VP in Ruhleben. Foto:Bernd Maaß der Berliner Polizei. Mit zehn histo‑ rischen Polizei‑Fahrzeugen und zwölf ehrenamtlichen Mitarbeitern, begannen wir bereits am Freitag mit dem Aufbau. So konnten wir in Ru‑ he die letzten Vorbereitungen noch vor Ausstellungsbeginn beenden. Am 18. September waren unsere his‑ torischen Fahrzeuge eine von Jung und Alt sehr begehrter Anziehungs‑ punkt. Schwerpunkt unserer Aus‑ stellung lag bei der Präsentation von Mannschaftstransport‑Fahrzeugen von den 1950er Jahren bis heute. Es war also eine kleine historische Leistungsschau mit Fahrzeugen und Einsatzmitteln der Berliner Po‑ Notrufsäule. Foto:Bernd Maaß lizei. Zudem konnten die Kinder 24
Saisonabschlussfahrt Die Veranstaltungen für das nächste Jahr sind schon in der Vorbereitung. Die bevorstehenden Wintermonate nutzen wir für die Reparatur und Re‑ staurierung unseres Fahrzeugbestandes. Ruhleben: Lankwitzer Stand. Foto: Bernd Maaß Bernd Maaß auch hier auf einem Motor‑ rad Platz nehmen. Aber auch älteren Besuchern stand die Freude beim Be‑ trachten der früheren Dienstfahrzeuge ins Ge‑ sicht geschrieben. Wieder einmal eine gelungene Ver‑ anstaltung und eine gute Gelegenheit für unsere Po‑ lizeihistorische Sammlung Ruhleben: Besucher am VW Käfer. Foto: Bernd Werbung zu machen. Saisonabschlussfahrt Das letzte Wochenende im Oktober Lkw‑Oldtimern Spenden für kari‑ gehörte wie immer einer besonde‑ kative Zwecke zu sammeln. Die ren Veranstaltung. Es war nicht nur Spendenaktion begann bei der in eine Abschlussfahrt mit unseren Wildau ansässigen Volvo‑Nieder‑ Polizei‑Oldtimern, sondern wir lassung und endete in Spandau. Bei folgten einer Einladung eines Span‑ der Abschlussveranstaltung wurde dauer Unternehmers, mit anderen ein Betrag von über zweitausend 25
Ernst Litfaß Euro an die Santa Claus on Road e.V. Mitarbeiter aus Lankwitz hatten an übergeben, deren Schwerpunkt ist diesem Ergebnis einen nicht uner‑ die Unterstützung obdachloser Ju‑ heblichen Anteil. gendlicher ist. Die ehrenamtlichen Bernd Maaß Ernst Litfaß und die Annoncier‑Säulen Litfaß war mit der Erfindung der Litfaß‑Säule Mitte des 19. Jahrhun‑ derts in Berlin der Wegbereiter für die Neugestaltung von Plakaten zu kommerziellen Zwecken der Wer‑ bung und auch als Mittel der Be‑ kanntmachung von staatlichen In‑ formationen. Derartige Säulen mit beklebten Plakaten gibt es heute noch in zahlreichen Städten. Amandus Ernst Theodor Litfaß wurde 1816 in Berlin als Sohn eines erfolgreichen Verlegers und Dru‑ ckereibesitzers geboren. Sein Vater hatte sich in seiner Dru‑ Ernst Litfaß. Abb.: Wolfgang Lebe ckerei mit Volksbüchern, Bilder‑ fibeln und Katechismus, später Litfaß wuchs in dem Haus Adler‑ auch mit Extrablättern und Sieges‑ straße 6 auf, in dem Journalisten bulletins einen Ruf erarbeitet. Er und Intellektuelle verkehrten und starb kurz nach der Geburt seines absolvierte eine Lehre als Buchdru‑ Sohnes und seine Mutter heiratete cker. Die Straße befand sich in der den Drucker und Buchhändler Leo‑ Nähe des Werderschen Marktes pold Wilhelm Krause, der das Dru‑ und wurde wegen des Baus der ckereigeschäft weiterführte. Reichsbank später aufgelöst. 26
Stadtmagazin Plakatsäule aus verschiedener Sicht. Fotos: Wolfgang Lebe Danach lebte Litfaß in verschiede‑ Telegraph“ das erste deutsche Stadt‑ nen Orten in Norddeutschland und magazin heraus und ab 1858 ver‑ entdeckte eine Vorliebe für das legte er moderne Theaterpro‑ Theater. Als er 1845 die Druckerei grammhefte, wie eine Zeitung für von seinem Stiefvater übernahm, Literatur, Theater und Geselligkeit war er mit dem Intendanten des und war damit sehr erfolgreich. Nationaltheaters und dem Zirkus‑ direktor Renz befreundet. Er mo‑ Während der März‑Revolution war dernisierte die Firma, indem er er Herausgeber vieler Flugblätter Schnellpressen und Buntdruck und der Zeitung „Berliner Krakeh‑ nach französisch‑englischem Mus‑ ler“ mit einer Wochenauflage von ter einführte. Zusammen mit Freun‑ 20 000 Stück, die aber alle 1849 ver‑ den eröffnete er am Rosenthaler Tor boten wurden. Jetzt engagierte er als Geschäftsmann das Theater Lä‑ sich im Inseratenwesen, konzen‑ titia. 1851 gab er mit dem „Tages‑ trierte sich Ende der 1850er Jahre 27
Plakatsäulen auf das Reklamegeschäft und be‑ stehenden Zensur beseitigen. Dafür mühte sich um eine Neuorganisati‑ bot sich die Idee der Plakatsäulen on des Anschlagwesens, für das er an und am 5. Dezember 1854 erhielt ein Monopol anstrebte. Litfaß folgendes Angebot: „Errich‑ tung einer Anzahl von Anschlag‑ In Berlin entstand eine Plakatflut, säulen auf fiskalischem Straßen‑ an der anfangs auch Litfaß teil‑ terrain zwecks unentgeltlicher Auf‑ nahm. Er produzierte auch sehr nahme der Plakate öffentlicher Be‑ große Plakate bis zu 6,28 Meter x hörden und gewerbsmäßiger Ver‑ 9,4 Meter, die er in Teildrucken her‑ öffentlichung von Privatanzeigen“. stellte, wie es auch heute noch üb‑ Er erhielt die alleinige Konzession lich ist. Mit der Vergrößerung der zur Aufstellung von 100 Säulen und Plakate und der modern gestalteten zur Verkleidung von 50 Brunnen Anschlagzettel wurde er populär und Pissoirs mit Holz zum Plaka‑ und diese wurden bald Litfaß‑ tieren. Nach fünfzehn Jahren soll‑ Zettel genannt. ten diese in das Eigentum der Po‑ lizeibehörde übergehen. Bekanntmachungen und Werbun‑ gen für Orchesteraufführungen, Es waren aber noch erhebliche Theater und Zirkus wurden überall Schwierigkeiten zu überwinden: „wild“ in verschiedenen Größen an Die Bevölkerung protestierte, Hauswände und Mauern geklebt. Hauseigentümer wehrten sich ge‑ gen die Aufstellung der Säulen vor Angeregt durch Plakatierungen in ihren Grundstücken und der Berli‑ Paris, Brüssel und London kam er ner Magistrat fühlte sich bei der auf die Idee der Plakatsäulen. Er Genehmigung übergangen. Litfaß nahm deshalb Kontakt mit dem Po‑ verteidigte das Projekt durch eine lizeipräsidenten von Hinckeldey Pressekampagne und ließ eine Säu‑ auf, den er überzeugen konnte. Die‑ le vor seiner Druckerei aufstellen. ser hatte nämlich ein Problem zu Am 15. April 1855 wurde die erste lösen: Er hatte keine Kontrolle über Säule vor der sogenannten „Zie‑ die Inhalte sog. wilder Plakatierun‑ genbockswache“ in der Münzstraße gen und musste sie wegen der be‑ 23/Ecke Grenadierstraße errichtet. 28
Nutzung der Säulen Der Berliner Archivar Ernst Fidicin zweigungen und Transformatoren‑ erwähnt ein „Wachthaus“ zwischen stationen aufgestellt wurden. den Häusern Münzstraße 23 und 24, das sonst „der Ziegenbock“ hieß. In In Wien gab es zahlreiche Litfaß‑ der Münzstraße 23a war um 1851 säulen als Überdachung für steiner‑ eine Wache der Abteilung III der ne Notausstiege des gedeckt ver‑ Berliner Schutzmannschaft unterge‑ laufenden Wienflusses und schütz‑ bracht. ten vor unbefugtem Betreten. Eine Tür konnte nur mit einem Schlüssel Am 1. Juli 1855 wurde die erste von außen, von innen jedoch auch Säule feierlich eingeweiht. Einen ohne geöffnet werden. Im Film Monat später gab die Polizeibehör‑ „Der Dritte Mann“ von Orson Wel‑ de die künftigen Plakatformate als les 1949 entkommt Harry Lime Standards bekannt. durch eine Litfaßsäule in die Wie‑ ner Abwasserkanäle. Auf diesen Säulen wurde für Thea‑ teraufführungen und Zirkusvor‑ Eine weitere Verwendung gibt es stellungen geworben, aber auch seit 2015 in Nürnberg: Im Innen‑ öffentliche Bekanntmachungen raum der Säulen befinden sich (z.B. Suchmeldungen und Fahn‑ öffentliche Toiletten, die für eine dungsaufrufe) wurden plakatiert. geringe Gebühr genutzt werden Das Monopol endete tatsächlich können. nach 15 Jahren, es wurden aber zu‑ sätzlich noch 50 weitere Säulen ge‑ Der Name „Litfaßsäule“ setzte sich nehmigt. Durch die Auflagen, die durch und ist noch heute ein Be‑ mit der Konzession verbunden wa‑ griff. Die Finanzierung der ersten ren, konnte der preußische Staat ei‑ Säulen übernahm der Zirkusdirek‑ ne indirekte Zensur durchführen. tor Renz. Die neu errichteten Säulen erhielten Litfaß erzielte mit Wohltätigkeits‑ aber noch weitere Funktionen. Es veranstaltungen und Spenden‑ handelte sich um Hohlzylinder, die sammlungen für Kriegshinterblie‑ zum Schutz über Telefonkabelver‑ bene und Katastrophenopfer, aber 29
Litfaßsäulen Heute auch durch Beteiligungen an „nati‑ Verkehrsbetriebe. 1929 gab es in onalen“ Stiftungen und Unter‑ Berlin insgesamt 3200 Säulen (1550 stützungsfonds eine erhebliche in der Innenstadt und 1650 in den Breitenwirkung. Dadurch wurde er Vororten). Heute steht die Firma ein reicher Unternehmer. In den Wall AG in der Tradition von Ernst Kriegen von 1866 und 1870/71 er‑ Litfaß und ist mit sog. Stadtmöbeln hielt er die alleinige Konzession für als Werbeträger in vielen Großstäd‑ die Erstveröffentlichung von Kriegs‑ ten präsent. depeschen und Siegesbulletins und 1871 wurden zur Siegesfeier die Eine Litfaß‑Säule aus Bronze befin‑ Säulen mit Gipsbüsten Kaiser Wil‑ det sich seit 2006 in der Münzstraße helms I. versehen. an der Stelle, wo die erste Säule aufgestellt worden war. Seit Januar Mit seiner Geschäftsidee verdiente 2011 erinnert in der Mitte des Berli‑ Litfaß viel Geld. 1861wurde er we‑ ner Litfaß‑Platzes am Hackeschen gen seiner Treue zum Königshaus Markt eine 5,25 Meter hohe Säule zum Commissions‑Rath ernannt an ihn. und 1863 verlieh ihm der König den Titel eines Königlichen Hof‑ Zu erwähnen ist noch, dass die Pa‑ Buchdruckers. pierformate erst am 18. August 1922 von dem Deutschen Institut für Nor‑ Während eines Kuraufenthalts in mung (DIN) verbindlich festgelegt Wiesbaden verstarb Ernst Litfaß am und in den folgenden Jahren über‑ 27. Dezember 1874. Als „König der all übernommen wurden. Aller‑ Reklame“ erhielt er ein Ehrengrab dings gibt es heute noch Sonder‑ auf dem Dorotheenstädtischen Fried‑ formate, wie z.B. bei Taschenbü‑ hof in Berlin‑Mitte. chern und Notenheften. Das Geschäft wurde an seine Erben Wolfgang Lebe übergeben und bestand bis in die 1920er Jahre. Danach wurde es von der Firma Berek übernommen, ei‑ nem Unternehmen der Berliner 30
Checkpoint Charlie vor 60 Jahren Checkpoint Charlie Ich bin ehrenamt‑ liches Mitglied der Polizeihistorischen Sammlung und war von 1985 bis 1988 Wachleiter des C/4 auf dem Abschnitt 53 und damit täglich mit dem Checkpoint Charlie konfrontiert, der mich bis heute nicht losgelassen hat. Der Check Point Checkpiont Charlie am 27. Oktober 1961. Foto: PhS Charly war eigentlich nur Ausländerübergang und alliier‑ notierte u.a. auch die Ein‑ und Aus‑ ter Checkpoint. Einzige Ausnahme: fahrten der Alliierten Streitkräfte. diejenigen Westberliner, die in Ost‑ Der exponierte Ort war auch prä‑ berlin arbeiteten. Sie hatten eine destiniert für Versammlungen und Sondergenehmigung, den ihrer Demonstrationen. Wohnung am nächsten gelegenen Darüber hinaus fielen in den Zu‑ Kontrollpunkt benutzen zu dürfen. ständigkeitsbereich des Polizeiab‑ So konnten also auch Angehörige schnittes 53 noch der Grenzüber‑ dieses Personenkreises nach Ost‑ gang Prinzenstraße und die Ober‑ berlin einreisen. baumbrücke. Außerdem passierten hier auch die Interzonenhandelsdelegationen Aktuell kommt wohl nun doch in den Übergang, wenn sie zu Ver‑ die lange festgefahrenen Bemühun‑ handlungen nach Ostberlin fuhren. gen um eine Neugestaltung des Die Westberliner Polizei war mit Areals am früheren Checkpoint zwei Beamten am Checkpoint und Charlie Bewegung. Berlin hat Flä‑ 31
Konfrontation chen erworben, die genutzt werden sol‑ len, um der Verant‑ wortung gegenüber diesem geschichts‑ trächtigen Ort ge‑ recht zu werden. Die Konfrontation Vor über 60 Jahren kam es am amerika‑ nischen Grenzüber‑ Checkpiont Charlie an der Friedrichstrasse‑ gang Checkpoint Zimmerstrasse nach dem 9. November 1989. Foto: PhS Charlie zur ernsten Konfrontation amerikanischer und Grund für diese Eskalation war ei‑ sowjetischer Panzer. ne Verordnung, die das DDR‑In‑ nenministerium mit sowjetischer Hier standen sich am 27. Oktober Billigung am 23. Oktober 1961 er‑ 1961 die beiden Supermächte 16 lassen hatte. Ab sofort sollten zivile Stunden lang gegenüber, ohne dass Angestellte der amerikanischen Mi‑ ein Schuss fiel. Berlin und die Welt litärmission bei Fahrten in den Ost‑ hielten den Atem an. Die sechs Pan‑ teil Berlins ihre Pässe vorzeigen. zer der Russen und Amerikaner, Die GrenzBrigade (B) des Minsteri‑ die sich gegenüber standen, hätten ums des Innern der DDR sollten die keinen Krieg entschieden, aber sie Angehörigen der Schutzmächte hätten ihn auslösen können. nicht mehr nach Ostberlin hinein‑ lassen und zurückweisen. Der Berliner Sondergesandte Präsi‑ Diese Verordnung aber war ein ein‑ dent Kennedys, General Lucius D. deutiger Verstoß gegen den Vier‑ Clay, hatte General Patton befohlen, mächtestatus. Der garantierte nicht Panzer am Checkpoint Charlie zu allein die Gebietshoheit und ge‑ positionieren. Kurz darauf rollten meinsame Verantwortung aller vier auch sowjetische Panzer heran. Siegermächte – sondern auch und 32
Abzug der Panzer gerade die Bewegungsfreiheit aller Geheimgespräche militärischen und zivilen Angehöri‑ Erst intensive Geheimgespräche gen der amerikanischen, britischen führten zum Ende der grotesken und französischen Militärmissionen. Lage. Um den Viermächtestatus zu ze‑ Fast eine Stunde nachdem sich die mentieren haben die Amerikaner sowjetischen Panzer vom Typ T‑54 ihre Soldaten und auch Zivilange‑ vom Kontrollpunkt Friedrichstraße hörigen unter Begleitschutz in den in Bewegung gesetzt hatten, um Ostsektor gebracht, indem sie regel‑ rechts abzubiegen, hatten sich auch rechte Konvois zusammenstellten. die amerikanischen General Patton Vorneweg 3 ‑ 4 Jeeps mit aufgebau‑ Panzer formiert, formiert zum Ab‑ ten MGs, es folgten mehrere Zivil ‑ zug in Richtung Mehringdamm. PKW, an denen amerikanische Sol‑ daten mit ihren Gewehren neben‑ An der Gültigkeit des Viermächte‑ her liefen, weitere Jeeps kamen da‑ status und damit auch an der Prä‑ zwischen, wieder Zivilfahrzeuge, senz von Soldaten und Zivilisten wieder Jeeps. Das Spielchen trieben der West‑Alliierten in allen Berliner die Amerikaner so weit, dass sie die Sektoren war nun nichts mehr zu Konvois nur 3 bis 400 m in den Ost‑ ändern. Freilich, an der Präsenz sektor hineinfahren ließen um wie‑ von Mauer und Todesstreifen auch der umzudrehen. So sollte immer nicht – bis zum November 1989. wieder aufs Neue erprobt werden, wie weit die DDR‑Grenzer bei ihren Am 09. November 1989 war ich als Kontrollen gingen. Zugführer der Einsatzbereitschaft 54 wieder am Checkpoint Charlie. Die T‑54 Panzer der Russen standen Alarmiert von zuhause, wussten in Höhe einer rot‑weißen Barriere wir zunächst nicht, was uns erwar‑ und die General Patton Panzer tete. Wir regelten zusammen mit standen genau an der weißen Linie, den Grenztruppen der DDR und die den Grenzverlauf kennzeichne‑ den Volkspolizisten den Verkehr. te. Die Soldaten beobachteten sich gegenseitig mit Ferngläsern. Ditmar Schulz 33
Meldewesen im 18. Jahrhundert Das Meldewesen in Berlin Bis in das 18. Jahrhundert hinein gab Die Einwohner wurden in diesem es in Preußen noch kein offizielles Werk in einem Namensteil und ei‑ Meldewesen, wie wir es heute ken‑ nem Straßenteil erfasst und einem nen. Die Erfassung von Bewohnern der 18 bestehenden Polizeireviere wurde in den Städten und Dörfern zugeordnet. Dieses Adressbuch er‑ unterschiedlich durchgeführt, grün‑ füllte noch nicht die Voraussetzung dete sich überwiegend auf Eintra‑ eines Melderegisters. Erfasst wurden gungen in Kirchenbüchern und war nur die jeweiligen Eigentümer, nicht eher finanzpolitisch und militärisch jedoch alle Bewohner. Die Häuser orientiert. waren zu dieser Zeit auch noch nicht Dieses änderte sich aber gegen Ende durchgängig nummeriert. Die aufge‑ des Jahrhunderts. Im Jahr 1799 brach‑ listeten Hausnummern wurden will‑ te der Verleger Neander von Peters‑ kürlich vom Verfasser vergeben. heiden ein Adressbuch heraus, das Dennoch war hiermit ein erstes um‑ heute als ältestes Berliner Adress‑ fassendes und brauchbares Werk er‑ buch auch online zur Verfügung stellt worden. steht. Auf der Titelseite der ersten Es dauerte noch fast 60 Jahre, bis eine Ausgabe ist das Folgende zu lesen: Vorschrift über das Meldewesen „Anschauliche Tabellen von der ge‑ durch eine Ministerialverordnung samten Residenz‑Stadt‑Berlin, worin am 15. Februar 1857 erlassen wurde alle Straßen, Gassen und Plätze in ih‑ (s.d. RGBl. Nr. 33). Seine Durchfüh‑ rer natürlichen Lage vorgestellt, und rung wurde der Berliner Polizei in denenselben alle Gebäude oder übertragen und gehörte damit seit Häuser wie auch der Name und die dieser Zeit zu der damaligen „Wohl‑ Geschäfte eines jeden Eigenthümers fahrt“ des preußischen Staates. Aller‑ aufgezeichnet stehen / Neander von dings wurden auch schon in dieser Petersheiden dargestellt von Nean‑ Zeit gedruckte Adressbücher auf der der 2ten, Königl. Preuß. Lieut. beim Grundlage amtlicher Unterlagen der Artillerie‑Corps. Berlin 1799 im Ver‑ Melderegister erstellt. lage des Verfassers“ Anmerkung: Die beiden letzten Zeilen Nach dem 2. Weltkrieg blieb diese gehören zum Zitat aus dem Adressbuch. Organisationsform zunächst erhalten 34
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