Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des

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Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des
Berliner
                    Poliz eihistoriker
                     aktuell informativ historisch
                    Informationen für Mitglieder und Freunde des
                Förderkreises Polizeihistorische Sammlung Berlin e.V.

    Nr. 78          Kaiser‑Wilhelm‑Gedächtniskirche. Foto: PhS
Dezember 2022
Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des
Editoral

    Liebe Mitglieder und Freunde des
Förderkreises Polizeihistorische Sammlung
               Berlin e. V.,
die letzte Ausgabe für das Jahr 2022       Auch in dieser Ausgabe finden die
haben wir nun fertiggestellt.              Leser wieder interessante Artikel.
                                           Es freut mich besonders, dass so
Leider haben wir auch in diesem            viele dem Aufruf gefolgt sind und
Jahr den Tod von Mitgliedern des           uns Beiträge für den „Historiker“
Förderkreises zu beklagen. Unser           übersandt haben.
ehemaliges Vereinsmitglied Ger‑
hard Hentschel starb
am 8. Oktober 2022
im Alter von 84 Jah‑
ren. Gerhard Hent‑
schel hatte sich mit
großzügigen Spen‑
den für die Polizei‑
historische
Sammlung verdient
gemacht, in Erinne‑
rung wird er uns
aber besonders in
seiner Paraderolle      Polizeipräsidentin Dr. Barbara Slowik
als „Kriminalrat        verabschiedet Jens Dobler. Foto: PhS
Ernst Gennat“ blei‑
ben, in die er oft zu den „Langen        Leider müssen wir berichten, dass
Nächten der Museen“ schlüpfte.           unser geschätzter Kollege, Dr. Jens
                                         Dobler, uns aus gesundheitlichen
Wir trauern um alle in diesem Jahr       Gründen verlassen und sein Ar‑
Verstorbenen und behalten deren          beitsverhältnis bei der Polizei ge‑
Andenken in Ehren in Erinnerung.         kündigt hat.

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Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des
Jens Dobler

Er wurde am
13. Oktober
2022 in wür‑
diger Form
von Polizei‑
präsidentin,
Dr. Barbara
Slowik, im
Beisein von
Vertretern
der Leitung
der Polizei‑     Verabschiedung von Jens Dobler. Foto: PhS
akademie,                               ‚
ehrenamtlichen Mitarbeitern und         Politische Bildung‘ der Polizeiaka‑
des Vorstands des Förderkreises         demie wahrgenommen. Das tägli‑
verabschiedet.                          che Geschäft nimmt der Angestellte
                                        Andreas Brunn, mit Unterstützung
Jens reißt eine Lücke in das Wirken     der ehrenamtlichen Mitarbeiter,
der Polizeihistorischen Sammlung,       wahr.
die nur schwer zu schließen sein
wird.                                   Wir wünschen auf diesem Weg un‑
                                        serem Jens alles erdenklich Gute!
Wir hoffen, dass die Behördenlei‑
tung unseren Vorschlägen für eine       Abschließend möchte der Vorstand
Stellenausschreibung folgen wird,       des Förderkreises allen Mitgliedern
um damit die Chance zu eröffnen,         und Freunden, in und außerhalb
eine geeignete Nachfolge zu finden. der Polizeibehörde, ein besinnli‑
                                        ches, friedliches und gesundes
Bis zur Neubesetzung der Leitungs‑ Weihnachtsfest sowie einen guten
funktion der Polizeihistorischen        Rutsch in das Jahr 2023 wünschen.
Sammlung, wird die Vertretung
übergangsweise derzeit von PHK                                      Euer/Ihr
Marc Salbrecht aus dem Bereich                                   Uwe Hundt

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Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des
Jahreskalender

      Jahreskalender für die Mitglieder der
         Polizeihistorischen Sammlung
Auch für das kommende Jahr erhal‑          Hinckeldeys neu gegründet. Ihre
ten die Mitglieder des Förderkreises       jetzige Zielsetzung ist das Restaurie‑
den von der „v.Hinckledey‑Stif‑            ren von Kulturdenkmälern in Berlin
tung“ und der „Stiftung Preußisches        und Brandenburg sowie die Unter‑
Kulturerbe“ herausgegebenen Jah‑
reskalender.

Zum besseren Verständnis möchte
ich auf Folgendes hinweisen:
Die „v.Hinckeldey‑Stiftung“ besteht
heute seit dreißig Jahren. Vormals
gab es sie zwischen 1853 und der In‑
flationszeit in den 1920er Jahren
schon einmal. Sie ist auf den ehema‑
ligen Polizeipräsidenten Carl Lud‑
wig von Hinckeldey zurückzufüh‑
ren, der am 10. März 1856 Opfer ei‑
nes damals schon verbotenen Duells
geworden war.
                                                Grab von Karl Ludwig Friedrich
                                                v. Hinckeldey auf dem St.‑Ma‑
Zu seinen Ehren hatte das Berliner
                                                rien‑ und St.‑Nicolai‑Friedhof
Bürgertum Geld gesammelt, um
                                                Pankow. Foto: CC‑BY‑SA‑3.0,
dann mit seiner Genehmigung eine                Thomas Z
Stiftung zu gründen. Die Ziel‑
setzung war seinerzeit die Unter‑          stützung von im Dienst zu Schaden
stützung ärmerer Berliner.                 gekommenen Berliner Polizeibeam‑
                                           ten.
Die in den Jahren der Inflation un‑
tergegangene Stiftung wurde vor                                  Gerhard Simke
dreißig Jahren von den Nachfahren                             Ehrenvorsitzender

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Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des
Hubert Geißel

                                 TEIL II

                Mord und Selbstmord
Am Montag, den 26. September               te nicht, es erschien auch keine To‑
1938 gegen 22.15 Uhr erschießt Hu‑         desanzeige. Es gab damals natür‑
bert Geißel zunächst seine Frau und        lich ein Ermittlungsverfahren, je‑
dann sich selbst. Die Tat findet            doch sind heute offenbar keine Un‑
öffentlich, unmittelbar am Polizei‑         terlagen mehr vorhanden.
präsidium Neukölln in der Wilden‑
bruchstraße 4 statt. Als Rixdorf (ab       Diese öffentliche Erschießung vor
1912: Neukölln) noch eine eigen‑           einem Polizeipräsidium lässt eine
ständige Stadt war, wurde 1902 das         Demonstration oder einen Protest
Polizeipräsidium als Eckgebäude            ähnlich einer Selbstverbrennung
an der Kaiser‑Friedrich‑Straße             vor einem öffentlichen Gebäude
193/194 (heute: Sonnenallee 107)/          vermuten. Was könnten die Beweg‑
Ecke Wildenbruchstraße einge‑              gründe des Ehepaars gewesen sein?
weiht. Nach der Eingemeindung
von Neukölln nach Berlin befand            These 1: Hubert Geißel hatte Schul‑
sich darin das Polizeiamt 14 mit           den und Geld unterschlagen. Die
dem 215. Revier. Das Gebäude wird          amtlich bestellte Nachlasspflegerin
bis heute polizeilich genutzt. Heute       berichtete am 12. November 1938
befindet sich hier der Polizeiab‑           unter anderem: „… Der Verstorbe‑
schnitt 54. Das Polizeipräsidium           ne hat fast alles, was er und seine
umfasste in der Wildenbruchstraße          Frau besaß, auf Abzahlung gekauft
die Hausnummern 1–3, dann folgte           und außerdem noch viele Schulden
ein Hof und mit der Hausnummer 4           gemacht, wobei er sogar einen Bür‑
begann ein neues Wohngebäude. In           gen in Anspruch nahm, der jetzt
den Standesamtsunterlagen steht            zum Teil herangezogen werden
zum Auffindeort der Leichen: „hin‑           wird. Selbst an der Kasse der Ge‑
ter dem Polizeiamtsgebäude“.               heimen Staatspolizei ist Geißel
                                           nicht vorbeigegangen und hat sich
Der Fall wurde komplett geheim             hier Unterschlagungen zuschulden
gehalten. Die Tagespresse berichte‑        kommen lassen. Auch hat er, um

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Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des
Haushaltsauflösung

Kredit zu erhalten, erzählt, dass er        gung, aber wahrscheinlich noch
ein Haus in Goslar besitzt. Dies ist        nicht mal die Aberkennung des Be‑
nicht der Fall. Er hat ferner bei der       amtenstatus. Das ist kein Motiv für
Deutschen Bank ein größeres Darle‑          Suizid. An anderer Stelle habe ich
hen aufgenommen und hierfür sei‑            schon einmal geschrieben, wie
ne Lebensversicherung verpfändet.           leicht Kriminalbeamte an quit‑
Nachdem er das Darlehen erhalten            tungsloses Geld kamen, zum Bei‑
hatte, hat er jedoch die Prämie für         spiel um V‑Leute zu bezahlen, und
die Lebensversicherung nicht wei‑           wie leicht einige da in die eigene
ter bezahlt, so dass die Deutsche           Tasche wirtschafteten. Geißel hat
Bank sich jetzt, sobald sie ohne De‑        vielleicht nicht einmal bewusst be‑
ckung bleibt, an den Bürgen und an          trogen, sondern nur eine chaotische
den Nachlass halten will. Es ist an‑        Geldwirtschaft betrieben.
zunehmen, dass evtl. noch mehrere
solcher Fälle vorliegen.“ Die Nach‑         Nach einer Aufstellung der Nach‑
lasspflegerin hatte erhebliche               lasspflegerin beliefen sich die Ge‑
Schwierigkeiten, Ordnung in das             samtverbindlichkeiten auf 4.374
Chaos zu bringen: Da waren zu‑              Reichsmark. Der Verkauf des
nächst zwei Wohnungen, dann die             Hausstandes und die Auflösung
unterschiedlichen Namen der Frau            von Konten und Versicherungen er‑
Geißel, weiterhin die unterschiedli‑        brachten 4.033 Reichsmark. Inso‑
chen Gläubiger, die Schulden bei            fern konnten fast alle Gläubiger
der Gestapo und zusätzlich lagerten         bedient werden und niemandem ist
auch jede Menge dienstlicher Akten          ein großer Verlust entstanden. Die
der Gestapo in der Wohnung.                 Gestapo holte ca. 30 Zentner dienst‑
                                            liche Akten aus den Wohnungen,
Die Summe, die Geißel bei der Ge‑           zusätzlich wurden drei Revolver
stapo veruntreut hatte, belief sich         mit Patronen eingezogen.
auf 724 Reichsmark. Durch den
Verkauf der Wohnungseinrichtung             Warum das Ehepaar Geißel einen
konnte das Geld erstattet werden.           so merkwürdigen Umgang mit
Dieser Betrag ist nicht sehr hoch,          Geld pflegte, ist nicht verständlich,
bedeutete vielleicht eine Kündi‑            zumal Hubert Geißel als Kriminal‑

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Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des
„Ariernachweis“

direktor nicht schlecht verdiente          jetzt nutzte Marie ihre Konvertie‑
und vor allem ein regelmäßiges             rung zur evangelischen Kirche
Einkommen bezog. Falls Marie Gei‑          nichts mehr. Nach den Nürnberger
ßel auch mitverdiente, zum Beispiel        Gesetzen wäre sie vielleicht als soge‑
durch die Plätterei oder als Sprach‑       nannter „Mischling 1. Grades“ ein‑
lehrerin, stellt sich unwillkürlich        gruppiert worden. Am 18. Novem‑
die Frage, wozu so viel Geld benö‑         ber 1935 erklärte die Gestapo jedoch
tigt wurde. Das Ehepaar hatte keine        noch: „Der Nachweis über die ari‑
Kinder und führte keinen luxuriö‑          sche Abstammung des Beamten und
sen Lebensstil. Die Finanzmisere           seiner Ehefrau ist erbracht“. Ver‑
war nicht völlig aus dem Ruder ge‑         mutlich stammte dieser Nachweis
laufen; es wurde wohl getrickst            noch aus der Zeit vor dem 16. No‑
und geschwindelt, aber nicht rich‑         vember 1935. Was 1935 vielleicht
tig betrogen. Mit einer strengen Fi‑       noch als harmlos gesehen wurde,
nanzdisziplin wären die Schulden           war es aber 1938 sicher nicht mehr.
in zwei Jahren abbezahlt gewesen.          Am 26. Januar 1937 wurde das neue
Als Motiv für den Doppelsuizid             Deutsche Beamtengesetz erlassen. In
scheidet die Geldfrage meines Er‑          § 59 war geregelt, dass der Beamte
achtens aus.                               zu entlassen ist, wenn sein Ehegatte
                                           „nicht deutschen oder artverwand‑
These 2: Hubert Geißels Ehefrau            ten Blutes“ ist. Ab 1937 bis 1938
galt als Jüdin. Zum Zeitpunkt der          wurde auf die Kriminalbeamten
Ehe am 9. August 1933 waren beide          auch ein gewisser Druck ausgeübt,
als evangelisch in den Dokumenten          Mitglied in der SS zu werden. Sie
eingetragen, damit war ihr „Arier‑         wurden zwar nicht gezwungen, eine
nachweis“ zum Zeitpunkt seines             Weigerung bedeutete aber Nach‑
Eintritts in die Gestapo am 1. No‑         teile, ein Eintritt immer Vorteile. Für
vember 1933 zwar geschummelt,              den Eintritt in die SS wurde aber der
aber „richtig“, weil in der Regel          „große Ariernachweis“, der bis 1750
über die Konfessionszugehörigkeit          zurückgehen musste, verlangt.
entschieden wurde. Am 16. Novem‑
ber 1935 wurden die Nürnberger             Ich vermute, dass es dem Ehepaar
„Rassegesetze“ erlassen, spätestens        Geißel bis zum Zeitpunkt ihres To‑

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Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des
Namenswechsel

des noch gelang, die jüdischen Wur‑        weit vom Tatort entfernt. In der
zeln von Marie zu verheimlichen. In        Nachlassakte ist noch von einer
allen Personaldokumenten und auch          zweiten Wohnung die Rede, die
im Sterberegister des Standesamtes         ebenfalls von der Nachlasspflegerin
Neukölln wurden Hubert Geißel              geräumt wurde. Eine Adresse wird
und seine Frau als der evangelischen       jedoch nicht angegeben. Schaut
Kirche zugehörig eingetragen.              man ins Berliner Adressbuch, so
                                           gab es seit 1932 „Marie Gartheis“,
Inwieweit das Namensspiel hier             die in der Pannierstraße 56 eine
hilfreich war, muss offenbleiben. Im        Plätterei betrieb. Auch diese Straße
Sterberegister wird ihr Name mit           liegt im Bezirk Neukölln und ist
Marie Geißel richtig angegeben. In         von der Elsen‑ und der Wilden‑
der Nachlassakte tauchen weitere           bruchstraße nicht weit entfernt.
Namen auf, so nannte sie sich zu‑
dem „Lilian Geissel“ und schloss           Die Verwendung unterschiedlicher
mit diesem Namen auch offizielle             Namen nennt man auch konspirati‑
Verträge, wie Versicherungen, ab.          ves Verhalten. Für die Zeit des Na‑
Ein weiterer Name, den sie auch            tionalsozialismus lässt sich dieses
offiziell verwendete, war „Dr. Lili‑         noch erklären. Warum sie aller‑
an Geissel, geb. Marie Gartheis“.          dings auch vorher schon das Spiel
Die Nachlasspflegerin schrieb dazu:         mit den Namen betrieb, ist anhand
„Aus der Art des Todes und die ei‑         der wenigen Angaben nicht erklär‑
gentümlichen Verhältnisse die zwi‑         bar. Sicher war es gesellschaftlich
schen den beiden Verstorbenen              einfacher, sich als „Witwe“ zu be‑
herrschten, entstehen für die Abwi‑        zeichnen, denn als geschiedene, al‑
ckelung des Nachlasses die erdenk‑         leinstehende Frau.
lichsten Schwierigkeiten. Die ver‑
storbene Ehefrau hat unter den ver‑        Hubert Geißel dürfte durch seine
schiedensten Namen gelebt und              Tätigkeit in der Gestapo klar gewe‑
auch quittiert [sic].“                     sen sein, was der Staat mit den Ju‑
                                           den plante. Es wird ihm bewusst
Das Ehepaar Geißel wohnte in der           gewesen sein, dass es nur eine Fra‑
Elsenstraße 60 in Neukölln, nicht          ge der Zeit war, bis die Behörden

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Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des
Fazit

ihnen auf die Schliche kämen. Er           In diesen Tagen im September
wäre dann als Beamter gekündigt,           spitzte sich die Krise um die Tsche‑
vielleicht sogar wegen Betruges            choslowakei zu, die mit dem Mün‑
verfolgt oder als „Volksschädling“         chener Abkommen und der Be‑
in ein KZ interniert worden. Viel‑         setzung des Sudetenlandes im Ok‑
leicht kommen so auch These 1 und 2        tober zunächst beendet wurde. Vie‑
zusammen. Eventuell hatte das              le sahen darin eine kriegerische
Paar seine Ausreise vorbereitet. Die       Handlung und den Vorboten des
Schweiz wäre vielleicht eine Option        Zweiten Weltkrieges. Vielleicht war
gewesen oder die USA. Vielleicht           auch den Geißels klar geworden,
wurde dafür viel Geld auf die Seite        dass Krieg drohte. Die antijüdi‑
geschafft oder sie unterstützten an‑        schen Bestimmungen nahmen be‑
dere Ausreisewillige. Vielleicht war       ständig zu. In dieser verzweifelten
dieser Traum kurz vorher geplatzt?         Situation entschloss sich das Paar
                                           seinem Leben ein Ende zu setzen.
These 3: Protest gegen Polizei und
Staat: Die Tötung vor dem Polizei‑         Der Fall war bis heute unbekannt.
präsidium Neukölln war ein öffent‑          Im Gedenkbuch der Opfer der Ver‑
licher Protest, allerdings nur ein         folgung der Juden taucht ihr Name
halber. Sie wird abends, aber schon        nicht auf.
im Dunkeln ausgeführt, sie wird
nicht direkt vor dem Präsidium,                                      Jens Dobler
zum Beispiel an der zur Sonnenal‑
lee gelegenen Seite, sondern im hin‑       Anmerkung:
teren Teil, in der Wildenbruchstraße       Eine ausführliche Version dieses Bei‑
durchgeführt. Es war eine zaghafte         trages erschien im „Archiv für Polizei‑
Demonstration, andererseits eine si‑       geschichte“ Nr. 47, Heft 2/2021. Darin
chere, denn direkt an der Sonnenal‑        auch Anmerkungen und Literaturan‑
lee hätten sie vielleicht noch von         gaben, auf die hier wegen der Länge
Passanten oder der Wache des Poli‑         verzichtet wird.
zeipräsidiums aufgehalten werden
können. Sie wollten sichergehen
und auf jeden Fall sterben.

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Berliner Polizeihistoriker - aktuell informativ historisch Informationen für Mitglieder und Freunde des
Klaus Hübner

      Gedanken des ehemaligen Polizei‑
      präsidenten Klaus Hübner (1981)
Bei der Archivierung von Stabsun‑              Ich versuche deshalb einmal im Um‑
terlagen bin ich auf Gedanken‑                 kehrschluss an dieses Monster heran‑
splitter unseres ehemaligen Polizei‑           zukommen. Wer hat nicht mindestens
präsidenten Klaus Hübner aus dem               schon einmal nach unbürokratischer
Jahr 1981 gestoßen. Ich denke, diese           Lösung eines Problems gerufen. Dies in
Gedanken treffen auch heute noch                voller Überzeugung, dass dann der ge‑
so zu und deshalb gebe ich sie hier            sunde Menschenverstand schon alles
wörtlich zur Kenntnis.                         bestens lösen werde. (Ich bin dem ge‑
                                               sunden Menschenverstand allerdings
„Ich kann zur Bürokratie nicht unbe‑           meist nur dann begegnet, wenn ich ei‑
fangen Stellung beziehen. Erstens bin          nem anderen seine eigene Meinung
ich selber ein Oberbürokrat und zwei‑          nicht bestritt).
tens regt mich auf, zu welcher Falsch‑
geldmünze das Wort Bürokratie ge‑              Schauen wir uns mit Ruhe und kühlem
worden ist. Jeder geht damit um und            Kopf an, was als unbürokratisch gefor‑
kaum einer fragt sich, ob seine Wäh‑           dert wird, bleibt meist nur übrig, dass
rung gedeckt ist.                              die Kontrolle, die gleiches Recht für alle
                                               garantieren soll, etwas, oder besser
Fangen wir damit an, dass der schlam‑          noch recht großzügig, gelockert werden
pig oder gar nicht definierte Begriff Bü‑        soll. Wer steht in diesem Augenblick
rokratie fast ausschließlich negativ           vorne? Unser beliebter Mitbürger mit
eingesetzt wird. Im Grunde wird das            den eckigen Ellenbogen, der sich an kei‑
Unbehagen aus dem Bauch begründet,             ne Schlange anstellt, der auf der Auto‑
der Kopf geht in Wartestand. Beschrie‑         bahn an der Stauung nach vorne vor‑
ben und beschimpft wird etwas Anony‑           beifährt, statt sich einzufädeln. Erin‑
mes, empfunden wird eine gewisse               nern wir uns an den gemeinsamen Ruf
Macht, der sich keiner entziehen kann,         von Politik und Volk nach unbürokrati‑
die er auch als einzelner kaum packen          schen Lösungen für Opfer von Kata‑
kann.                                          strophen. Wer nicht drängelt, bekommt

                                          10
Bürokratie

das kleinste Stück an Hilfe und die         Der Gesetzgeber ist der alleinige Verur‑
Presse nährt sich noch monate‑ und          sacher der Bürokratie. Wo er nichts re‑
jahrelang von den beredten Klagen sol‑      gelt, gibt es nichts zu verwalten, nichts
cher Mitglieder der Schicksalsgemein‑       zu überwachen, zu überprüfen, nichts
schaft, die mehr als ihnen gerechter        zu verteilen. Je zivilisierter die Gesell‑
maßen zusteht, heraus quengeln wol‑         schaft wird, je mehr Regelungsbedürf‑
len.                                        nisse meldet sie an.

Heißt da nicht möglicherweise Büro‑         Manche Kräfte halten es inzwischen
kratie: das langsame, unbeliebte, unpo‑     schon für Kultur (oder gar für Kultur‑
puläre Zuteilen der Gerechtigkeit, bei      revolution) gegen diese kinetische Zivi‑
Beachtung der von dem Volke beschlos‑       lisation anzurennen. Ein schlimmer
senen Gesetze, auf der mühsamen             Zirkel. Ist die Befürchtung falsch, dass
Schleichtour durch Instanzen und            parlamentarische Politik in Gefahr ge‑
Kompetenzen? Sind diese aber etwa           rät, sich durch Gesetze Alibis zu ver‑
entbehrlich?                                schaffen, um später bei Erstarrung und
                                            Verkrustung des alles Geregelten sich
Bleiben wir beim verordneten Recht.         auf dem Schrottplatz der politischen
Waren wir als Volksvertreter nicht oft      Kunst nur noch auf einen Nenner zu
bemüht, auch dem letzten Kläger den         einigen: Die Bürokratie ist schuld!
Beweis zu liefern, dass auch die ihn be‑
treffende Härte einer Regelung ihrer         Doch bei aller Hässlichkeit der Recht‑
Regelung bedürfe? Alles für den Men‑        mäßigkeit der Verwaltung, sprich Bü‑
schen in der Demokratie! Und schlim‑        rokratie, haben wir ja auch noch die
mer weise sind diese Menschen auch          Rechtsprechung. Jedem Bürger sein
alle noch potentielle Wähler.               Rechtsmittel. Blühende Kanzleikultu‑
                                            ren gedeihen auf diesem Saatbeet des
(In einer Verhandlung mit Personalrä‑       Rechtsmittelstaates. Haben Sie aber
ten habe ich einmal aufgemuckt: Wenn        schon einen Bürger gefunden, der sich
ich in der Lage wäre, Ihnen die äußers‑     vom Staat gerecht behandelt fühlt? Der
te Gerechtigkeit zu garantieren, wäre       Weg zum Kadi ist ein Gesellschafts‑
ich imstande, auch noch diese Un‑           spiel. Auf der Anklagebank sitzt die Bü‑
menschlichkeit zu begehen).                 rokratie. Gewinner oft der einzelne

                                           11
Demokratie in der Gesellschaft

Kläger, Verlierer immer öfter die ge‑            Ein Beispiel am Schluss. Als Berichter‑
samte Rechts‑ oder Sozialgemeinschaft.           statter des Innenausschusses habe ich
                                                 1968 das Ordnungswidrigkeitsgesetz
Ein weites Feld für Politik. Für Profis           mit verschuldet. Die Sache ist schreck‑
und Dilettanten. (Ich habe übrigens              lich: Am Tage des Inkrafttretens dieses
keinen Respekt vor gelernten Politolo‑           Gesetzes am 1. Januar 1969 wurde ich
gen. Sie wissen meist genau, wie man             Polizeipräsident und muss seitdem als
die Maschine fährt. Sie wissen deshalb           Bürokrat mit meinem ʺeigenenʺ Gesetz
meist noch lange nicht, was die Ma‑              leben.
schine produziert).
                                                 Damals hatte ich vergeblich dafür plä‑
Ich weiß nicht, ob es eine andere demo‑          diert, den Ermessungsspielraum der
kratische Gesellschaft gibt, die ihren           Vollzugsbeamten großzügig zu bemes‑
Bürgern so viel Politik, meist Staats‑           sen. Vergeblich. Es wurde eine starre
bürgerkunde genannt, verpasst, wie               Tabelle der Gerechtigkeit verordnet. Sie
wir es tun. Keine Vereinigung, die was           ist zum Tarifzettel verkommen. Der
auf sich hält, verzichtet auf Seminar            Verkehrssünder kennt den Preis für sei‑
und staatsbürgerliche Bildung. (Wird             ne ʺMöglichkeitenʺ. Der Gedanke des
ja auch gut subventioniert).                     ʺDenkzettelsʺ hat nie zünden können.
                                                 Vo1lzugsbeamte sind erniedrigte Funk‑
Ist unser Bundesbürger deshalb politi‑           tionäre der ʺBürokratieʺ (Wirklich der
scher als die Demokraten anderswo?               Bürokratie?)

Nein, unser Bürger ist anpolitisiert.            Weiter hatte ich in der Begründung dar‑
Das ist schlimmer als völlige Unbefan‑           auf hingewiesen, dass die automatische
genheit. Er hat seine Ansprüche ge‑              Datensammlung über Verkehrssünden
lernt. Er beherrscht die Spielregeln. In         sachlich dem Zwecke dienstbar gemacht
jedem Sportverein dauert die Ge‑                 werden solle, aus diesem Fundus Er‑
schäftsordnungsdebatte länger als die            kenntnisse über Unfallursachen und
Sachdiskussion. Ja, wir sind ein intelli‑        ‑gefahren herauszufiltern. Ein möglicher
gentes Volk. Wir hatten ja Goethe. Üb‑           Programmschritt der Datentechnik.
rigens auch Michael Kohlhas.                     Nichts als der größte Datenfriedhof un‑
                                                 ter dem Mond ist daraus geworden.

                                            12
Oberbaum City

Und um die Posse zu vollenden, will der        über seinen Wähler hinaus, schafft er
Verkehrsminister jetzt Flensburg dicht‑        Regeln, die dem armen Bürokraten die
machen. Eine Riesenbürokratie hat sich         Hoffnung auf etwas Kreativität bei sei‑
im Leerlauf festgefressen.                     ner Arbeit geben. Schreiben wir so et‑
                                               was nicht nur in moderne Führungs‑
Schlussbetrachtung: Was Bürokratie             grundsätze. Lösen wir den Bürokraten
ist, ʺfühltʺ jeder, keiner ʺweißʺ es.          nicht schon gleich von den Fesseln des
                                               Fließbandes, haben wir wenigstens mal
Wer ist denn nun der Bürokrat? An              den Mut, diese Ketten anzuschauen.
den Pranger mit ihm, der diesen an‑
onymen Apparat beherrscht. Ach du              Vielleicht werden wir selbst wieder kre‑
meine Güte. Der arme Kerl, der zappelt         ativ.
ja selber in dem Apparat, den er nicht
mehr übersehen kann.                           Das warʹs. Ich bin zum Abschuss frei.“

Nur einen schmalen Streifen sehe ich                                   Ditmar Schulz
am Horizont. Wächst der Gesetzgeber

 Polizeipräsident von Hinkeldey und
die Lampenstadt in der Oberbaum City
Welche Verbindung hat die Ober‑                Nachfolgerin des bis 1992 an dieser
baum City, auch Lampenstadt ge‑                Stelle existierten Kombinats NAR‑
nannt, das Areal zwischen der                  VA, musste wegen des nur befristet
Warschauer Brücke, Stralauer Allee,            geltenden Mietvertrages ausziehen.
den Eisenbahngleisen und der Mo‑               Mit dem Wegzug endete die Ge‑
dersohnstraße, mit dem königlichen             schichte der Elektroindustrie an
Polizeipräsidenten von Hinkeldey?              diesem Standort.

1996, fünf Jahre nach der deutschen            Sie begann zwischen 1906 und 1914.
Wiedervereinigung, gingen hier die             Die Auer‑Gesellschaft, der es 1906
Lichter aus. Die Gesellschaft für              gelang Glühfäden aus Wolfram
lichttechnische Erzeugnisse mbH,               herzustellen, ließ hier vier riesige

                                          13
Berliner Glühlampenwerk

fünf‑ bis siebenstöckige Fabrikge‑      Industriekomplex in neuem Glanz.
bäude errichten. Mit dem 1909 er‑       Ein hochmodernes Dienstleistungs‑
richteten 40 Meter hohem Turmge‑        zentrum ist entstanden.
bäude auch das erste Hochhaus
Berlins.                                Und von Hinkeldey? Ohne ihn kein
Durch die 1902 eröffnete Hoch‑ und       Beginn der Wasserversorgung Ber‑
Untergrundbahn mit dem Endbahn‑ lins und die sich anschließende Ent‑
hof Warschauer Brücke war das ge‑       wicklung zum Standort der Elek‑
samte Areal verkehrstech‑
nisch hervorragend ange‑
schlossen.
1918 wurde von der Deut‑
schen Gasglühlicht AG die
Osram‑Werke GmbH ge‑
gründet. Mit ihren Glüh‑
lampenwerken schlossen
sich 1919 die Firmen AEG
und Siemens und Halske
dieser Firma an, die nun‑
                             Historische Ansicht der Oberbaum City.
mehr Osram‑GmbH‑KG
                             Foto: PhS
hieß.

Nach der 1947 durchgeführten Ent‑           troindustrie. Auf den Wiesen und
eignung wurde im Grundbuch des              Feldern vor der Stadtmauer (Akzi‑
Amtsgerichts Mitte als neuer Eigen‑         semauer) am Stralauer Tor beginnt
tümer das VEB Berliner Glühlam‑             die Geschichte der Wasserversor‑
penwerk als Eigentümer einge‑               gung Berlins. Zwischen 1853 und
tragen. Aus dem Zusammenschluss             1856 wurde hier das erste Berliner
mehrerer Leuchtmittelbetriebe der           Wasserwerk errichtet.
DDR entstand 1969 das Kombinat              Anfang des 19. Jahrhunderts waren
VEB NARVA. Nach jahrelangem                 Pläne entstanden, Berlin durch den
Leerstand und teilweiser kompletter         Bau eines Wasserwerks mit fließen‑
Entkernung erstrahlt der historische        dem Wasser zu versorgen. Dahinter

                                       14
Wasserwerk im Bau

stand die Idee, die Straßen zu reini‑        eines Wasserwerks unterzeichnet
gen, die Rinnsteine zu spülen und            werden. Der Vertrag sah eine 25jäh‑
Brauchwasser für die Häuser zur              rige Laufzeit vor. Die städtische
Verfügung zu stellen. An Trinkwas‑           Verwaltung stellte die Spree zur
ser wurde noch nicht gedacht.                Speisung der Wasserleitungen zur
1852 erkannte der Magistrats die             Verfügung. Dafür musste die „Ber‑
Zweckmäßigkeit des Baus einer                lin‑Water‑Works Company“ das
Wasserleitung für Berlin an, jedoch          Wasser für die Straßenreinigung
nicht ihre Notwendigkeit
aus gesundheitlichen Grün‑
den. Hier nun beginnt das
Verdienst des königlichen
Polizeipräsidenten zu Ber‑
lin, von Hinkeldey, den Bau
einer Was‑ serleitung trotz
aller Wiederstände durch‑
gesetzt zu haben.

Da es in Berlin seit 1826 die
von der englischen Conti‑     Oberbaum City. Abbildung: PhS
nental Gas Association (IC‑
GA) auf dem Gelände des heutigen
Prinzenbades betriebene Gasanstalt und zum Feuerlöschen unentgelt‑
gab, wandte sich von Hinkeldey er‑ lich liefern. Die Inbetriebnahme des
folgreich an Geldgeber in London.     Wasserwerkes 1856 konnte von
                                      Hinkeldey nicht miterleben, da er
Am 14. Dezember 1852 konnte, nun am 10. März 1856 bei einem Duell
auch mit Zustimmung des Magis‑        mit dem preußischen Offizier Hans
trats, zwischen den englischen Un‑ Wilhelm von Rochow tödlich ge‑
ternehmern Sir Charles Fox und        troffen worden war.
Mr. Thomas Rushell Crampton und
dem Polizeipräsidenten von Hin‑       1874 kaufte die Stadt Berlin vor Ab‑
keldey der Vertrag zur Errichtung     lauf der 25jährigen Laufzeit das

                                        15
Lampenstadt

Wasserwerk und übernahm die               Höfe des zwischen Naglerstraße
Verwaltung. 1877 wurde ein zwei‑          und Ehrenbergstraße gelegenen
tes Wasserwerk am Tegeler See er‑         Haus IV. Hier geben die in den vier
öffnet. Mit der Inbetriebnahme des         Höfen aufgestellten Tuffsteinquellen
dritten Wasserwerks in Friedrichs‑        den Höfen einen einzigartigen Cha‑
hagen am Müggelsee 1893 wurde             rakter. Die quadratischen Blöcke be‑
das Wasserwerk am Stralauer Tor           stehen aus vier zusammengesetzten,
geschlossen.                              25 Tonnen schweren Tuffsteinen.

Bevor die eingangs be‑
schriebene Geschichte der
Elektroindustrie auf dem
ehemaligen Gelände des
ersten Berliner Wasser‑
werks ab 1906 begann,
gab es hier 1894 ein er‑
folgloses Experiment zur
Müllverbren‑ nung. In         Durchgang zu den Höfen zwischen Nagler‑ und
den für den Versuch er‑       Ehrenbergstraße. Foto: Hartmut Pech
richteten Müllofen gelang es
nicht, den Müll vollständig zu ver‑     An ihnen läuft Wasser herunter,
brennen. Schuld war der hohe An‑        dass, wenn es im Winter friert, ein‑
teil von Braunkohleasche. Er machte zigartige Anblicke hervorbringt.
den Müll nahezu unbrennbar.             In der Oberbaum City oder Lam‑
                                        penstadt gibt es keine Spuren des
Ein Besuch der Lampenstadt ist sehr ehemaligen Wasserwerks. Festzu‑
empfehlenswert. Beindruckend die        halten bleibt, dass die Entwicklung
Glas‑Lichtböden in den beiden Hö‑       dieses Ortes ihren Ausgang durch
fen des zwischen Warschauer Platz       die Aktivität des königlichen Poli‑
und Naglerstraße gelegen Haus V.        zeipräsidenten von Hinkeldey ge‑
Sie geben den Innenhöfen in der         nommen hat.
Dunkelheit eine besondere Atmo‑
sphäre. Dies gilt auch für die vier                             Hartmut Pech

                                     16
Wilhelmshöhe

  Das Kreuzbergurteil des preußischen
       Oberverwaltungsgerichtes
Westlich des südlichen Teils
der Belle‑Alliance‑Straße (heu‑
te Mehringdamm) befand sich
ein öffentliches Gelände, das
überwiegend vom preußi‑
schen Militär genutzt wurde
und auf dem sich eine Baugru‑
be mit weißem Sand befand,
den sich die Berliner dort ho‑
len konnten. Dieses Gelände
wurde zu einem Bauprojekt,
in dem die von Kaufleuten ge‑
gründete „Villen‑Sozietät‑Wil‑
helmshöhe“ 40 Villen plante.
Hier hatten sich 22 Berliner Fa‑
milien zusammengeschlossen
und errichteten 20 Villen.
Das neue Wohngebiet wurde
zu Ehren des Kaisers nach
Schloss Wilhelmshöhe in Kas‑ Denkmal auf dem Kreuzberg.
sel benannt. Es lebten dort nur Foto: Wolfgang Lebe
Fabrikanten, Gardeoffiziere und         fabrikant Ernst Lindenberg 1875 er‑
Beamte. Der Bereich wurde durch       bauen ließ (heute Methfesselstr. 23
eine Privatstraße mit einem Tor       und 25).
versperrt und durfte nur von be‑
fugten Personen betreten werden.         Das Polizeipräsidium unter Guido
                                         von Madai erließ am 10. März 1879
Zu den noch vorhandenen Resten           eine Polizeiverordnung zum Schutz
der Villenkolonie gehört das Haus        des an die Freiheitskriege erinnern‑
Lindenberg, welches der Zigarren‑        den Nationaldenkmals auf dem

                                    17
Klage vor Gericht

Kreuzberg, die
sich auf eine äl‑
tere Verordnung
vom 11. März
1850 stützte.
Hier wird aus‑
geführt und an‑
geordnet, dass
Neubauten in
der Umgebung
nur in der Höhe
errichtet wer‑
den dürfen, dass
die Aussicht
vom Denkmal
                  Lichterfelder Straße Heute. Foto: Wolfgang Lebe
auf die Stadt
und die Umge‑
bung nicht behindert wird und das       1881 mit der Begründung, dass im
Denkmal selbst ständig aus jeder        Falle der Bebauung eine erhebliche
Richtung sichtbar zu bleiben hat.       Beeinträchtigung   der Ansicht des
Bei Bauanträgen behält sich die Po‑ Denkmals und eine Verunstaltung
lizei eine Genehmigung über die         des ihn umgebenden Stadtteils ein‑
Bauhöhe vor.                            treten würde.

Der Eigentümer des Grundstückes             Der Antragsteller klagte darauf hin
Lichterfelder Straße 4 beantragte           vor dem Bezirksverwaltungsgericht
bei der Polizei die Bebauung mit ei‑        und führte eine Verletzung seiner
nem mehrstöckigen Wohnhaus und              Rechte an. Außerdem bestritt er ei‑
nach der Ablehnung den gleichen             ne Verunstaltung des Gebietes
Bauantrag für sein daneben befind‑           durch sein geplantes Bauprojekt.
lichen Grundstück Lichterfelder             Die beklagte Behörde wies dagegen
Straße 5. Beide Anträge wurden              auf landesrechtliche Bestimmungen
ihm abgelehnt, zuletzt am 31. Mai           hin, die einen Schaden für das Ge‑

                                       18
Verwaltungsgerichtsurteil

meinwesen verhindern sollen. Es             In der Berufungsverhandlung be‑
wurde ausgeführt, dass auch ande‑           stätigte der II. Senat des Oberver‑
re Güter zu schützen sind, wie z.B.         waltungsgerichtes unter dem Ak‑
der Patriotismus als ein hohes Gut          tenzeichen PrOVGE 9,353 am
der Nation. Dieser Schutz würde             14. Juni 1882 die Entscheidung der
durch einen kasernenartigen Bau             Vorinstanz und forderte für ein
verhindert werden.                          staatliches Eingreifen eine entspre‑
                                            chende spezialgesetzliche Ermäch‑
Das Verwaltungsgericht folgte nicht         tigungsgrundlage.
der Argumentation der Behörde,
hob die polizeiliche Verfügung auf,         Obwohl sich die Polizeibehörde
wenn nicht andere wichtige polizei‑         noch viele Jahre lang gerade beim
liche Hinderungsgründe vorliegen            Denkmalschutz immer wieder auf
würden. Die Polizei habe kein               Bestimmungen des allgemeinen Po‑
schrankenloses Ermessen, vielmehr           lizeirechtes berief, war mit diesem
soll sie nur die Erhaltung der              Urteil erstmals eine Hinwendung
öffentlichen Ruhe, Sicherheit und            zu einer liberalen und zivilen Ver‑
Ordnung sicherstellen. „Policey“ ist        waltung begonnen. Das „Kreuzber‑
nicht gleichzusetzen mit Pflege des          gurteil“ hat also eine große Bedeu‑
Gemeinwohls und gibt der Behörde            tung für das Verwaltungsrecht.
keine Kompetenz, nach eigenem               Langsam werden in der Folgezeit
Ermessen festzulegen, was dem Ge‑           viele Bereiche der „staatlichen
meinwohl dient. Eine Verunstal‑             Wohlfahrt“ in zivile Verwaltungs‑
tung liegt nicht bereits dann schon         zuständigkeiten überführt. Ein Bei‑
vor, wenn eine Schönheit der Form           spiel dafür bietet das Meldewesen:
verändert wird. In Berlin und auch          Dieser Verwaltungsbereich wurde
im näheren Umfeld gibt es viele             in Berlin tatsächlich erst am 1. April
Häuser, bei denen die Polizeibehör‑         1985 aus der Berliner Polizei her‑
de derartige Gebäude zugelassen             ausgelöst und einer selbstständigen
hat. Eine Schädigung des Gemein‑            Meldebehörde übertragen.
wesens und eine Verunstaltung lie‑
gen nicht vor.                                                    Wolfgang Lebe

                                       19
Lankwitzer in Dresden

        Eine kleine Leistungsschau des
          „Rollenden Museums“ der
                 Polizei Berlin
                            (Tag der offenen Tür)

                                                       beitsreich. Hier
                                                       waren alle ehren‑
                                                       amtlichen Mitar‑
                                                       beiter besonders
                                                       stark in Anspruch
                                                       genommen.

                                                        Bereits zum zehn‑
                                                        ten Mal nahmen
                                                        wir die Einladung
                                                        zum größten Stadt‑
Dresden: Blaue Meile. Foto: Bernd Maaß
                                                        fest in Deutsch‑
Da das Jahr 2021 coronabedingt         land in Dresden vom 19. bis zum
sehr überschaubar war, wurde das       21. August an. Es ist für uns immer
Jahr 2022 für die
Truppe aus Lank‑
witz durch die Sai‑
sonabschlussfahrt
am 29. Oktober
sehr erfolgreich be‑
endet.

Gerade die Monate
August und Sep‑
tember sind sehr
                  Armin Schuster, Staatsminister des Innern in Sachsen,
intensiv und ar‑
                        und Bernd Maaß. Foto: PhS

                                       20
Blaulichtfahrzeuge an der Elbe

eine besondere Ehre, die
Polizei Dresden mit unse‑
rem rollenden Museum,
bei der Präsentation von
Blaulichtfahrzeugen zu
unterstützen. So präsen‑
tierte sich die Polizeihisto‑
rische Sammlung neben
den anderen Blaulicht‑
                                              EMW 340 aus Lankwitz in Dresden.
                                              Foto: Bernd Maaß
                                           sonders unser Motorrad ist für die
                                           Kinder ein Anziehungspunk. Das
                                           Platznehmen auf dem Polizeimotor‑
                                           rad, ist für die Kinder und deren El‑
                                           tern ein besonderes Erlebnis. Eine
                                           Ehrung sind für uns ist immer wie‑
                                           der die Begrüßungen durch den
                                           Landtagspräsidenten, den Landes‑
                                           polizeipräsidenten und den Polizei‑
                                           präsidenten von Dresden. Wir ge‑
                                           hören bei der Dresdner Polizei quasi
                                           schon zur Familie.
Dresden: Kinderbereich.
Foto: Bernd Maaß
fahrzeugen direkt an der
Elbe im Bereich des Sächsi‑
schen Landtages. Neben
vielen technischen High‑
lights, werden immer wie‑
der unsere historischen
Fahrzeuge vom Publikum
                                Dresden: Blaulichtmeile mit VW Käfer.
sehr positiv bewertet. Be‑
                                Foto: Bernd Maaß

                                      21
Lankwitzer in Celle

Lankwitzer in Celle. Foto: PhS
Kaum zurück in Berlin, stand eine           sich auch das Polizeimuseum. Ein
Woche später die nächste Veran‑             ehrenamtlicher Mitarbeiter erläu‑
staltung an. Denn am 28. August             terte uns auf eine sehr gute infor‑
hieß es bei einem der größten Oldti‑        melle Art die Geschichte der Polizei
mertreffen Norddeutschlands in               in Niedersachsen.
Celle wieder: „Alte Liebe rostet
nicht“. Die Einladung dazu war              Unterstützung für die Veranstal‑
von der Celler Tourismus und Mar‑           tung in Celle bekamen wir durch
keting GmbH und dem Oberbür‑                die örtliche Polizeiinspektion und
germeister von Celle gekommen.              den zuständigen Kontaktbereichs‑
1500 Oldtimer hatten ihren Weg              beamten.
nach Celle gefunden.
                                            Wie immer waren unsere Fahrzeu‑
Unsere Hinfahrt begann schon am             ge am Veranstaltungstag im Schloss‑
Freitag, da wir am Samstag einen            park direkt am Schloss ausgestellt.
Termin bei der Niedersächsischen            Die Kombination aus historischem
Polizeiakademie in Nienburg wahr            Stadtkern und historischen Fahr‑
zu nehmen hatten. Dort befindet              zeugen lässt die Liebhaber, Freunde

                                       22
Lankwitzer in Gatow

und Fans motorisierter Geschichte
immer wieder gerne nach Celle
kommen. Bis zu 25000 Besucher be‑
suchten diese eindrucksvolle Ver‑
anstaltung.

Eine Woche später ging es für uns
zum Flughafen Gatow auf das Ge‑
lände des Militärhistorischen Mu‑
seums. Am Tag der Reservisten am
3. und 4. September ist es hier auch
immer unsere Pflicht, unsere Poli‑
zei‑Oldtimer der Öffentlichkeit zu
präsentieren. Hier liegt der Schwer‑
punkt bei der Kinderbetreuung. Ei‑
ne Mitfahrt in einem Polizeimotor‑
rad mit Seitenwagen ist immer ein
Highlight. Aber nicht nur die Kin‑
der, sondern auch die Eltern nah‑
                                     Lankwitzer Mercedes in Celle.
men das Angebot an.
                                     Foto: Bernd Maaß

Die letzte Veran‑
staltung war der
Tag der offenen Tür
am 18. September
in Ruhleben. Nach
einer kleinen Erho‑
lungsphase, prä‑
sentierten wir un‑
sere professionell
erarbeitete Ausstel‑
lungskonzeption      Tag der offenen Tür in Ruhleben.
für das Polizeifest Foto: Bernd Maaß

                                    23
Tag der offenen Tür

 Wartburg 353 und Lada der VP
 in Ruhleben. Foto:Bernd Maaß
der Berliner Polizei. Mit zehn histo‑
rischen Polizei‑Fahrzeugen und
zwölf ehrenamtlichen Mitarbeitern,
begannen wir bereits am Freitag mit
dem Aufbau. So konnten wir in Ru‑
he die letzten Vorbereitungen noch
vor Ausstellungsbeginn beenden.
Am 18. September waren unsere his‑
torischen Fahrzeuge eine von Jung
und Alt sehr begehrter Anziehungs‑
punkt. Schwerpunkt unserer Aus‑
stellung lag bei der Präsentation von
Mannschaftstransport‑Fahrzeugen
von den 1950er Jahren bis heute. Es
war also eine kleine historische
Leistungsschau mit Fahrzeugen
und Einsatzmitteln der Berliner Po‑
                                      Notrufsäule. Foto:Bernd Maaß
lizei. Zudem konnten die Kinder

                                    24
Saisonabschlussfahrt

                                                         Die Veranstaltungen
                                                         für das nächste Jahr
                                                         sind schon in der
                                                         Vorbereitung. Die
                                                         bevorstehenden
                                                         Wintermonate
                                                         nutzen wir für die
                                                         Reparatur und Re‑
                                                         staurierung unseres
                                                         Fahrzeugbestandes.
Ruhleben: Lankwitzer Stand. Foto: Bernd Maaß
                                                           Bernd Maaß
auch hier auf einem Motor‑
rad Platz nehmen. Aber
auch älteren Besuchern
stand die Freude beim Be‑
trachten der früheren
Dienstfahrzeuge ins Ge‑
sicht geschrieben. Wieder
einmal eine gelungene Ver‑
anstaltung und eine gute
Gelegenheit für unsere Po‑
lizeihistorische Sammlung Ruhleben: Besucher am VW Käfer. Foto: Bernd
Werbung zu machen.

                 Saisonabschlussfahrt
Das letzte Wochenende im Oktober           Lkw‑Oldtimern Spenden für kari‑
gehörte wie immer einer besonde‑           kative Zwecke zu sammeln. Die
ren Veranstaltung. Es war nicht nur        Spendenaktion begann bei der in
eine Abschlussfahrt mit unseren            Wildau ansässigen Volvo‑Nieder‑
Polizei‑Oldtimern, sondern wir             lassung und endete in Spandau. Bei
folgten einer Einladung eines Span‑        der Abschlussveranstaltung wurde
dauer Unternehmers, mit anderen            ein Betrag von über zweitausend

                                      25
Ernst Litfaß

Euro an die Santa Claus on Road e.V.        Mitarbeiter aus Lankwitz hatten an
übergeben, deren Schwerpunkt ist            diesem Ergebnis einen nicht uner‑
die Unterstützung obdachloser Ju‑           heblichen Anteil.
gendlicher ist. Die ehrenamtlichen                                 Bernd Maaß

 Ernst Litfaß und die Annoncier‑Säulen
Litfaß war mit der Erfindung der
Litfaß‑Säule Mitte des 19. Jahrhun‑
derts in Berlin der Wegbereiter für
die Neugestaltung von Plakaten zu
kommerziellen Zwecken der Wer‑
bung und auch als Mittel der Be‑
kanntmachung von staatlichen In‑
formationen. Derartige Säulen mit
beklebten Plakaten gibt es heute
noch in zahlreichen Städten.

Amandus Ernst Theodor Litfaß
wurde 1816 in Berlin als Sohn eines
erfolgreichen Verlegers und Dru‑
ckereibesitzers geboren.

Sein Vater hatte sich in seiner Dru‑    Ernst Litfaß. Abb.: Wolfgang Lebe
ckerei mit Volksbüchern, Bilder‑
fibeln und Katechismus, später               Litfaß wuchs in dem Haus Adler‑
auch mit Extrablättern und Sieges‑          straße 6 auf, in dem Journalisten
bulletins einen Ruf erarbeitet. Er          und Intellektuelle verkehrten und
starb kurz nach der Geburt seines           absolvierte eine Lehre als Buchdru‑
Sohnes und seine Mutter heiratete           cker. Die Straße befand sich in der
den Drucker und Buchhändler Leo‑            Nähe des Werderschen Marktes
pold Wilhelm Krause, der das Dru‑           und wurde wegen des Baus der
ckereigeschäft weiterführte.                Reichsbank später aufgelöst.

                                       26
Stadtmagazin

Plakatsäule aus verschiedener Sicht. Fotos: Wolfgang Lebe

Danach lebte Litfaß in verschiede‑         Telegraph“ das erste deutsche Stadt‑
nen Orten in Norddeutschland und           magazin heraus und ab 1858 ver‑
entdeckte eine Vorliebe für das            legte er moderne Theaterpro‑
Theater. Als er 1845 die Druckerei         grammhefte, wie eine Zeitung für
von seinem Stiefvater übernahm,            Literatur, Theater und Geselligkeit
war er mit dem Intendanten des             und war damit sehr erfolgreich.
Nationaltheaters und dem Zirkus‑
direktor Renz befreundet. Er mo‑           Während der März‑Revolution war
dernisierte die Firma, indem er            er Herausgeber vieler Flugblätter
Schnellpressen und Buntdruck               und der Zeitung „Berliner Krakeh‑
nach französisch‑englischem Mus‑           ler“ mit einer Wochenauflage von
ter einführte. Zusammen mit Freun‑         20 000 Stück, die aber alle 1849 ver‑
den eröffnete er am Rosenthaler Tor         boten wurden. Jetzt engagierte er
als Geschäftsmann das Theater Lä‑          sich im Inseratenwesen, konzen‑
titia. 1851 gab er mit dem „Tages‑         trierte sich Ende der 1850er Jahre

                                      27
Plakatsäulen

auf das Reklamegeschäft und be‑              stehenden Zensur beseitigen. Dafür
mühte sich um eine Neuorganisati‑            bot sich die Idee der Plakatsäulen
on des Anschlagwesens, für das er            an und am 5. Dezember 1854 erhielt
ein Monopol anstrebte.                       Litfaß folgendes Angebot: „Errich‑
                                             tung einer Anzahl von Anschlag‑
In Berlin entstand eine Plakatflut,           säulen auf fiskalischem Straßen‑
an der anfangs auch Litfaß teil‑             terrain zwecks unentgeltlicher Auf‑
nahm. Er produzierte auch sehr               nahme der Plakate öffentlicher Be‑
große Plakate bis zu 6,28 Meter x            hörden und gewerbsmäßiger Ver‑
9,4 Meter, die er in Teildrucken her‑        öffentlichung von Privatanzeigen“.
stellte, wie es auch heute noch üb‑          Er erhielt die alleinige Konzession
lich ist. Mit der Vergrößerung der           zur Aufstellung von 100 Säulen und
Plakate und der modern gestalteten           zur Verkleidung von 50 Brunnen
Anschlagzettel wurde er populär              und Pissoirs mit Holz zum Plaka‑
und diese wurden bald Litfaß‑                tieren. Nach fünfzehn Jahren soll‑
Zettel genannt.                              ten diese in das Eigentum der Po‑
                                             lizeibehörde übergehen.
Bekanntmachungen und Werbun‑
gen für Orchesteraufführungen,                Es waren aber noch erhebliche
Theater und Zirkus wurden überall            Schwierigkeiten zu überwinden:
„wild“ in verschiedenen Größen an            Die Bevölkerung protestierte,
Hauswände und Mauern geklebt.                Hauseigentümer wehrten sich ge‑
                                             gen die Aufstellung der Säulen vor
Angeregt durch Plakatierungen in             ihren Grundstücken und der Berli‑
Paris, Brüssel und London kam er             ner Magistrat fühlte sich bei der
auf die Idee der Plakatsäulen. Er            Genehmigung übergangen. Litfaß
nahm deshalb Kontakt mit dem Po‑             verteidigte das Projekt durch eine
lizeipräsidenten von Hinckeldey              Pressekampagne und ließ eine Säu‑
auf, den er überzeugen konnte. Die‑          le vor seiner Druckerei aufstellen.
ser hatte nämlich ein Problem zu             Am 15. April 1855 wurde die erste
lösen: Er hatte keine Kontrolle über         Säule vor der sogenannten „Zie‑
die Inhalte sog. wilder Plakatierun‑         genbockswache“ in der Münzstraße
gen und musste sie wegen der be‑             23/Ecke Grenadierstraße errichtet.

                                        28
Nutzung der Säulen

Der Berliner Archivar Ernst Fidicin         zweigungen und Transformatoren‑
erwähnt ein „Wachthaus“ zwischen            stationen aufgestellt wurden.
den Häusern Münzstraße 23 und 24,
das sonst „der Ziegenbock“ hieß. In         In Wien gab es zahlreiche Litfaß‑
der Münzstraße 23a war um 1851              säulen als Überdachung für steiner‑
eine Wache der Abteilung III der            ne Notausstiege des gedeckt ver‑
Berliner Schutzmannschaft unterge‑          laufenden Wienflusses und schütz‑
bracht.                                     ten vor unbefugtem Betreten. Eine
                                            Tür konnte nur mit einem Schlüssel
Am 1. Juli 1855 wurde die erste             von außen, von innen jedoch auch
Säule feierlich eingeweiht. Einen           ohne geöffnet werden. Im Film
Monat später gab die Polizeibehör‑          „Der Dritte Mann“ von Orson Wel‑
de die künftigen Plakatformate als          les 1949 entkommt Harry Lime
Standards bekannt.                          durch eine Litfaßsäule in die Wie‑
                                            ner Abwasserkanäle.
Auf diesen Säulen wurde für Thea‑
teraufführungen und Zirkusvor‑               Eine weitere Verwendung gibt es
stellungen geworben, aber auch              seit 2015 in Nürnberg: Im Innen‑
öffentliche Bekanntmachungen                 raum der Säulen befinden sich
(z.B. Suchmeldungen und Fahn‑               öffentliche Toiletten, die für eine
dungsaufrufe) wurden plakatiert.            geringe Gebühr genutzt werden
Das Monopol endete tatsächlich              können.
nach 15 Jahren, es wurden aber zu‑
sätzlich noch 50 weitere Säulen ge‑         Der Name „Litfaßsäule“ setzte sich
nehmigt. Durch die Auflagen, die             durch und ist noch heute ein Be‑
mit der Konzession verbunden wa‑            griff. Die Finanzierung der ersten
ren, konnte der preußische Staat ei‑        Säulen übernahm der Zirkusdirek‑
ne indirekte Zensur durchführen.            tor Renz.

Die neu errichteten Säulen erhielten        Litfaß erzielte mit Wohltätigkeits‑
aber noch weitere Funktionen. Es            veranstaltungen und Spenden‑
handelte sich um Hohlzylinder, die          sammlungen für Kriegshinterblie‑
zum Schutz über Telefonkabelver‑            bene und Katastrophenopfer, aber

                                       29
Litfaßsäulen Heute

auch durch Beteiligungen an „nati‑           Verkehrsbetriebe. 1929 gab es in
onalen“ Stiftungen und Unter‑                Berlin insgesamt 3200 Säulen (1550
stützungsfonds eine erhebliche               in der Innenstadt und 1650 in den
Breitenwirkung. Dadurch wurde er             Vororten). Heute steht die Firma
ein reicher Unternehmer. In den              Wall AG in der Tradition von Ernst
Kriegen von 1866 und 1870/71 er‑             Litfaß und ist mit sog. Stadtmöbeln
hielt er die alleinige Konzession für        als Werbeträger in vielen Großstäd‑
die Erstveröffentlichung von Kriegs‑          ten präsent.
depeschen und Siegesbulletins und
1871 wurden zur Siegesfeier die              Eine Litfaß‑Säule aus Bronze befin‑
Säulen mit Gipsbüsten Kaiser Wil‑            det sich seit 2006 in der Münzstraße
helms I. versehen.                           an der Stelle, wo die erste Säule
                                             aufgestellt worden war. Seit Januar
Mit seiner Geschäftsidee verdiente           2011 erinnert in der Mitte des Berli‑
Litfaß viel Geld. 1861wurde er we‑           ner Litfaß‑Platzes am Hackeschen
gen seiner Treue zum Königshaus              Markt eine 5,25 Meter hohe Säule
zum Commissions‑Rath ernannt                 an ihn.
und 1863 verlieh ihm der König
den Titel eines Königlichen Hof‑             Zu erwähnen ist noch, dass die Pa‑
Buchdruckers.                                pierformate erst am 18. August 1922
                                             von dem Deutschen Institut für Nor‑
Während eines Kuraufenthalts in              mung (DIN) verbindlich festgelegt
Wiesbaden verstarb Ernst Litfaß am           und in den folgenden Jahren über‑
27. Dezember 1874. Als „König der            all übernommen wurden. Aller‑
Reklame“ erhielt er ein Ehrengrab            dings gibt es heute noch Sonder‑
auf dem Dorotheenstädtischen Fried‑          formate, wie z.B. bei Taschenbü‑
hof in Berlin‑Mitte.                         chern und Notenheften.

Das Geschäft wurde an seine Erben                                 Wolfgang Lebe
übergeben und bestand bis in die
1920er Jahre. Danach wurde es von
der Firma Berek übernommen, ei‑
nem Unternehmen der Berliner

                                        30
Checkpoint Charlie vor 60 Jahren

                   Checkpoint Charlie
Ich bin ehrenamt‑
liches Mitglied der
Polizeihistorischen
Sammlung und war
von 1985 bis 1988
Wachleiter des C/4
auf dem Abschnitt 53
und damit täglich mit
dem Checkpoint
Charlie konfrontiert,
der mich bis heute
nicht losgelassen hat.

Der Check Point
                         Checkpiont Charlie am 27. Oktober 1961. Foto: PhS
Charly war eigentlich
nur Ausländerübergang und alliier‑ notierte u.a. auch die Ein‑ und Aus‑
ter Checkpoint. Einzige Ausnahme:       fahrten der Alliierten Streitkräfte.
diejenigen Westberliner, die in Ost‑    Der exponierte Ort war auch prä‑
berlin arbeiteten. Sie hatten eine      destiniert für Versammlungen und
Sondergenehmigung, den ihrer            Demonstrationen.
Wohnung am nächsten gelegenen           Darüber hinaus fielen in den Zu‑
Kontrollpunkt benutzen zu dürfen.       ständigkeitsbereich des Polizeiab‑
So konnten also auch Angehörige         schnittes 53 noch der Grenzüber‑
dieses Personenkreises nach Ost‑        gang Prinzenstraße und die Ober‑
berlin einreisen.                       baumbrücke.
Außerdem passierten hier auch die
Interzonenhandelsdelegationen           Aktuell kommt wohl nun doch in
den Übergang, wenn sie zu Ver‑          die lange festgefahrenen Bemühun‑
handlungen nach Ostberlin fuhren.       gen um eine Neugestaltung des
Die Westberliner Polizei war mit        Areals am früheren Checkpoint
 zwei Beamten am Checkpoint und         Charlie Bewegung. Berlin hat Flä‑

                                     31
Konfrontation

chen erworben, die
genutzt werden sol‑
len, um der Verant‑
wortung gegenüber
diesem geschichts‑
trächtigen Ort ge‑
recht zu werden.

Die Konfrontation
Vor über 60 Jahren
kam es am amerika‑
nischen Grenzüber‑ Checkpiont Charlie an der Friedrichstrasse‑
gang Checkpoint      Zimmerstrasse nach dem 9. November 1989. Foto: PhS
Charlie zur ernsten
Konfrontation amerikanischer und    Grund für diese Eskalation war ei‑
sowjetischer Panzer.                ne Verordnung, die das DDR‑In‑
                                            nenministerium mit sowjetischer
Hier standen sich am 27. Oktober            Billigung am 23. Oktober 1961 er‑
1961 die beiden Supermächte 16              lassen hatte. Ab sofort sollten zivile
Stunden lang gegenüber, ohne dass           Angestellte der amerikanischen Mi‑
ein Schuss fiel. Berlin und die Welt         litärmission bei Fahrten in den Ost‑
hielten den Atem an. Die sechs Pan‑         teil Berlins ihre Pässe vorzeigen.
zer der Russen und Amerikaner,              Die GrenzBrigade (B) des Minsteri‑
die sich gegenüber standen, hätten          ums des Innern der DDR sollten die
keinen Krieg entschieden, aber sie          Angehörigen der Schutzmächte
hätten ihn auslösen können.                 nicht mehr nach Ostberlin hinein‑
                                            lassen und zurückweisen.
Der Berliner Sondergesandte Präsi‑          Diese Verordnung aber war ein ein‑
dent Kennedys, General Lucius D.            deutiger Verstoß gegen den Vier‑
Clay, hatte General Patton befohlen,        mächtestatus. Der garantierte nicht
Panzer am Checkpoint Charlie zu             allein die Gebietshoheit und ge‑
positionieren. Kurz darauf rollten          meinsame Verantwortung aller vier
auch sowjetische Panzer heran.              Siegermächte – sondern auch und

                                       32
Abzug der Panzer

gerade die Bewegungsfreiheit aller          Geheimgespräche
militärischen und zivilen Angehöri‑         Erst intensive Geheimgespräche
gen der amerikanischen, britischen          führten zum Ende der grotesken
und französischen Militärmissionen.         Lage.

Um den Viermächtestatus zu ze‑              Fast eine Stunde nachdem sich die
mentieren haben die Amerikaner              sowjetischen Panzer vom Typ T‑54
ihre Soldaten und auch Zivilange‑           vom Kontrollpunkt Friedrichstraße
hörigen unter Begleitschutz in den          in Bewegung gesetzt hatten, um
Ostsektor gebracht, indem sie regel‑        rechts abzubiegen, hatten sich auch
rechte Konvois zusammenstellten.            die amerikanischen General Patton
Vorneweg 3 ‑ 4 Jeeps mit aufgebau‑          Panzer formiert, formiert zum Ab‑
ten MGs, es folgten mehrere Zivil ‑         zug in Richtung Mehringdamm.
PKW, an denen amerikanische Sol‑
daten mit ihren Gewehren neben‑             An der Gültigkeit des Viermächte‑
her liefen, weitere Jeeps kamen da‑         status und damit auch an der Prä‑
zwischen, wieder Zivilfahrzeuge,            senz von Soldaten und Zivilisten
wieder Jeeps. Das Spielchen trieben         der West‑Alliierten in allen Berliner
die Amerikaner so weit, dass sie die        Sektoren war nun nichts mehr zu
Konvois nur 3 bis 400 m in den Ost‑         ändern. Freilich, an der Präsenz
sektor hineinfahren ließen um wie‑          von Mauer und Todesstreifen auch
der umzudrehen. So sollte immer             nicht – bis zum November 1989.
wieder aufs Neue erprobt werden,
wie weit die DDR‑Grenzer bei ihren          Am 09. November 1989 war ich als
Kontrollen gingen.                          Zugführer der Einsatzbereitschaft
                                            54 wieder am Checkpoint Charlie.
Die T‑54 Panzer der Russen standen          Alarmiert von zuhause, wussten
in Höhe einer rot‑weißen Barriere           wir zunächst nicht, was uns erwar‑
und die General Patton Panzer               tete. Wir regelten zusammen mit
standen genau an der weißen Linie,          den Grenztruppen der DDR und
die den Grenzverlauf kennzeichne‑           den Volkspolizisten den Verkehr.
te. Die Soldaten beobachteten sich
gegenseitig mit Ferngläsern.                                      Ditmar Schulz

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Meldewesen im 18. Jahrhundert

                Das Meldewesen in Berlin
Bis in das 18. Jahrhundert hinein gab         Die Einwohner wurden in diesem
es in Preußen noch kein offizielles             Werk in einem Namensteil und ei‑
Meldewesen, wie wir es heute ken‑             nem Straßenteil erfasst und einem
nen. Die Erfassung von Bewohnern              der 18 bestehenden Polizeireviere
wurde in den Städten und Dörfern              zugeordnet. Dieses Adressbuch er‑
unterschiedlich durchgeführt, grün‑           füllte noch nicht die Voraussetzung
dete sich überwiegend auf Eintra‑             eines Melderegisters. Erfasst wurden
gungen in Kirchenbüchern und war              nur die jeweiligen Eigentümer, nicht
eher finanzpolitisch und militärisch           jedoch alle Bewohner. Die Häuser
orientiert.                                   waren zu dieser Zeit auch noch nicht
Dieses änderte sich aber gegen Ende           durchgängig nummeriert. Die aufge‑
des Jahrhunderts. Im Jahr 1799 brach‑         listeten Hausnummern wurden will‑
te der Verleger Neander von Peters‑           kürlich vom Verfasser vergeben.
heiden ein Adressbuch heraus, das             Dennoch war hiermit ein erstes um‑
heute als ältestes Berliner Adress‑           fassendes und brauchbares Werk er‑
buch auch online zur Verfügung                stellt worden.
steht. Auf der Titelseite der ersten          Es dauerte noch fast 60 Jahre, bis eine
Ausgabe ist das Folgende zu lesen:            Vorschrift über das Meldewesen
„Anschauliche Tabellen von der ge‑            durch eine Ministerialverordnung
samten Residenz‑Stadt‑Berlin, worin           am 15. Februar 1857 erlassen wurde
alle Straßen, Gassen und Plätze in ih‑        (s.d. RGBl. Nr. 33). Seine Durchfüh‑
rer natürlichen Lage vorgestellt, und         rung wurde der Berliner Polizei
in denenselben alle Gebäude oder              übertragen und gehörte damit seit
Häuser wie auch der Name und die              dieser Zeit zu der damaligen „Wohl‑
Geschäfte eines jeden Eigenthümers            fahrt“ des preußischen Staates. Aller‑
aufgezeichnet stehen / Neander von            dings wurden auch schon in dieser
Petersheiden dargestellt von Nean‑            Zeit gedruckte Adressbücher auf der
der 2ten, Königl. Preuß. Lieut. beim          Grundlage amtlicher Unterlagen der
Artillerie‑Corps. Berlin 1799 im Ver‑         Melderegister erstellt.
lage des Verfassers“
Anmerkung: Die beiden letzten Zeilen          Nach dem 2. Weltkrieg blieb diese
gehören zum Zitat aus dem Adressbuch.         Organisationsform zunächst erhalten

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