BERNIE SANDERS' SOZIALISTISCHES AMERIKA - Von Ethan Earle ROSA LUXEMBURG STIFTUNG - Rosa ...

Die Seite wird erstellt Noelle Kroll
 
WEITER LESEN
BERNIE SANDERS' SOZIALISTISCHES AMERIKA - Von Ethan Earle ROSA LUXEMBURG STIFTUNG - Rosa ...
BERNIE SANDERS'
                  SOZIALISTISCHES AMERIKA
ROSA
LUXEMBURG
STIFTUNG
NEW YORK OFFICE   Von Ethan Earle
Weitere Texte zum Thema

Risse im Beton
Linke Wahlerfolge in den Vereinigten Staaten
Von Ethan Young – November 2015

Kampf dem Niedriglohn
Neun Stories von neuen Arbeitskämpfen in den Vereinigten Staaten
Von Sarah Jaffe – März 2015

Die Aushöhlung der amerikanischen Demokratie
Wie der Bedeutungsverlust der Wahlen Ungleichheit und Ungerechtigkeit befördert
Von John Nichols – April 2014

Der unvollendete Traum
Der „Marsch auf Washington“ und das radikale Vermächtnis Martin Luther Kings
Von Albert Scharenberg – August 2013

Tod eines Yuppie-Traums
Aufstieg und Fall der Freien Berufe
Von Barbara Ehrenreich und John Ehrenreich – Februar 2013

Veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro New York, Januar 2016

Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg
Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016
E-Mail: info@rosalux-nyc.org; Telefon: +1 (917) 409-1040

Gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amts

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für
politische Bildung. In Zusammenarbeit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet sie für
demokratische und soziale Partizipation, die Ermächtigung von benachteiligten Gruppen, Alternativen
zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen.

Das New Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befassen
und mit nordamerikanischen Linken in Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der
Politik zusammenzuarbeiten.

                              ww w .r osal u x - n yc.or g
Bernie Sanders’ sozialistisches Amerika
Von Ethan Earle

Mein Geburtsort liegt in North Carolina, aber         erklärter demokratischer Sozialist kandidier-
meine Eltern stammen aus Vermont. In mei-             te er damals für das Amt des Bürgermeisters
ner Jugend fuhr ich deshalb viele Sommer              von Burlington und gewann zehn Stimmen
hindurch die Ostküste entlang nordwärts, um           mehr als der – zuvor vier Mal wiedergewählte
unsere Familie in Burlington zu besuchen, der         – Amtsinhaber. In der Folgezeit bestätigten die
mit etwa 40 000 Einwohnern größten Stadt die-         Burlingtoner ihn selbst drei Mal im Amt. Seine
ses Bundesstaats. Auf einem dieser Ausflüge,          Bürgermeisterzeit verschaffte Bernie das Re-
irgendwann Anfang der 1990er Jahre, hörte ich         nommee eines bekennenden Linken, vor allem
zum ersten Mal von Bernie Sanders und seiner          aber auch eines fähigen Administrators. Er
spezifisch amerikanischen Vorstellung von de-         führte den ersten Frauenausschuss der Stadt
mokratischem Sozialismus.                             ein, förderte die Entwicklung von Arbeiterko-
                                                      operativen und ergriff die Initiative zu einem
Vermont ist ein eigenartiges Fleckchen. Sei-          der ersten und erfolgreichsten staatlich (vom
ne gerade mal 626 000 Einwohner, die es zum           Bundesstaat Vermont) finanzierten kommu-
zweitkleinsten der 50 US-Bundesstaaten ma-            nalen Wohungsbauexperimente in den Verei-
chen, wohnen ganz überwiegend in kleinen,             nigten Staaten. Die letztgenannte Maßnahme
über die Green Mountains verstreuten Land-            bewirkte, dass Wohnungen für niedrige und
städtchen. Diese Berge ziehen sich der Länge          mittlere Einkommen erschwinglich blieben
nach durch Vermont, als bildeten sie das Rück-        und die Gentrifizierung Burlingtons sich in
grat des kleinen Staates. Die Vermonter gel-          Grenzen hielt, obwohl gleichzeitig ein Projekt
ten als selbstbewusste, entschieden auf ihre          zur städtebaulichen Aufwertung der Uferge-
Unabhängigkeit bedachte und gelegentlich              biete das Gesicht des Stadtzentrums stark ver-
revolutionär aufbegehrende Leute. Gegründet           änderte. Als engagierter Linker lud Bernie bei-
wurde ihr Staat während des Unabhängigkeits-          spielsweise Noam Chomsky zu einem Vortrag
krieges durch Milizionäre, die auf eigene Faust       ins Rathaus ein und verhalf Burlington durch
handelten. Später war er der erste, der die           einen Besuch bei Daniel Ortega in Nicaragua
Sklaverei abschaffte und eine Schlüsselrolle in       zu einer sandinistischen Partnerstadt. Als fä-
der sogenannten Underground Railroad spiel-           higer Administrator sorgte er für einen ausge-
te: Vermonter versteckten flüchtige Sklaven           glichenen Haushalt und trug seinen Teil dazu
und schleusten sie über ihre Nordgrenze nach          bei, dass Burlington heute allgemein als eine
Kanada. In meiner Kindheit und Jugend hörte           der freundlichsten und lebenswertesten Städ-
ich manche der Geschichten darüber, die gern          te der Vereinigten Staaten gilt.
als Beleg dafür erzählt werden, dass die Ver-
monter engagierte Bürgerinnen und Bürger              1990 bewarb Bernie sich dann um ein Kon-
sind, bei denen Ungerechtigkeit oder politische       gressmandat, das er gewann. Fortan saß erst-
Doppelzüngigkeit schlecht ankommen.                   mals nach vier Jahrzehnten ein Unabhängiger
                                                      im Washingtoner Repräsentantenhaus. Als-
Bernie Sanders, gebürtig in Brooklyn, betrat          bald betrieb er die Bildung einer fortschrittli-
Vermonts politische Bühne erstmals 1980 und           chen Abgeordnetenvereinigung, des Congres-
zwar gleich von links. Als Unabhängiger und           sional Progressive Caucus – der bis zum heu-

                                                  1
ETHAN EARLE
                                                           BERNIE SANDERS’ SOZIALISTISCHES AMERIKA

tigen Tage eine der wenigen linken Bastionen             ten waschechten Linksliberalen, doch seine ei-
auf Capitol Hill geblieben ist. Sanders tadelte          gentliche Stärke erwächst aus der Zustimmung
Politiker beider großer Parteien, wenn er sie            kleinstädtischer weißer Arbeiterfamilien, de-
für schuldig befand, der korrupten Logik Was-            nen man (zumindest im Zeitraum der letzten
hingtons dienstbar zu sein. Er steht im Rufe             Jahrzehnte) kaum demokratisch-sozialistische
eines ernsthaften, geradlinigen Politikers, der          Neigungen nachsagt.
stets eindringlich – vielleicht etwas monoman
– darauf beharrt, dass unser Land schwe-                 Meine Familie besteht großenteils aus Friseu-
re Probleme hat, denen es sich stellen muss.             rinnen und Friseuren, untermischt mit ein paar
Auch wenn er gelegentlich ruppig, gar unge-              Krankenschwestern und Elektrikern. Wir sind
hobelt auftritt, zog doch niemand je in Zwei-            eine Familie von Jägern und Katy-Perry-Fans.
fel, dass er seine Arbeit überaus ernst nimmt.           Und wir gehören zu denen, die glauben muss-
Schon bald fand seine Stimme landesweit Ge-              ten, dass ihre Stimmen in der politischen Kul-
hör, ganz gleich, ob es nun um die Kritik der            tur des heutigen Amerika nicht zählen. Offen
Einkommensungleichheit und die Forderung                 gestanden konnte erst Bernie Sanders meine
nach einer öffentlichen Krankenversicherung              Familie umstimmen. Fast alle Familienmitglie-
für alle oder die Reform der Wahlkampffinan-             der haben vor, bei der anstehenden Vorwahl
zierung und, beispielsweise, um LGBT-Rechte              für Bernie Sanders als Präsidentschaftskandi-
geht (die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und           daten zu stimmen, obwohl sie sonst wohl bei
Transsexuellen also). Später gehörte er zu den           jeder Wahl den Republikanern zuneigten. Bei
ersten Kritikern des Irakkriegs und von inner-           meinen Vermont-Besuchen reden wir norma-
amerikanischen Überwachungsprogrammen                    lerweise nicht über Politik, wenn aber doch,
wie dem Patriot Act.                                     dann über Bernie. Ich habe noch meine Tante
                                                         im Ohr: „Auch wenn ich nicht allem zustimme,
Im Grundsatz hat Bernie den von Anfang an                was er sagt oder tut,“ versicherte sie einmal,
eingeschlagenen Kurs beharrlich gehalten –               „weiß ich doch genau, dass er meint, was er
den eines unerschrockenen Linken, der sich               sagt, und an das glaubt, was er tut. Ich weiß,
in seiner Arbeit von prinzipienfester Unabhän-           dass er uns nie verkaufen und immer reinen
gigkeit und der Entschlossenheit leiten lässt,           Wein einschenken wird.“
etwas zu bewegen und das, was er anpackt,
auch zu schaffen. Zurück in Vermont, das er              ***
seit 2006 als Senator vertritt, ist Bernie weiter-
hin unglaublich populär. So gewann er seine              Dass Senator Bernie Sanders sich darum be-
jüngste Wahl mit 71 Prozent der abgegebenen              wirbt, der 45. Präsident der Vereinigten Staa-
Stimmen und rangiert beständig unter den                 ten zu werden, erscheint immer weniger als
US-Politikern mit den höchsten Zustimmungs-              Donquijoterie. Seine Kampagne hat die ame-
werten in ihrem Wahlkreis. Dass er aggressive            rikanische Öffentlichkeit in eine ungewohn-
Wahlwerbung verschmäht, ist ebenso bekannt               te, geradezu hektische Stimmung versetzt. Er
wie sein manchen altmodisch erscheinendes                zieht mehr Publikum an und erweckt größere
Bemühen, Gemeinsamkeiten auch mit Politi-                Begeisterung als irgendein anderer Kandidat
kern aus dem anderen Lager zu suchen. Bei-               der einen oder der anderen Partei. Im Lauf des
des hat seine Reputation nur weiter gefestigt.           Jahres 2015 flossen seiner Kampagne 73 Mio.
Bernies bedeutendste Leistung – sein eigentli-           Dollar von über einer Million Einzelspendern
ches Erfolgsgeheimnis – besteht in der Herbei-           zu. Seit geraumer Zeit figuriert er auf den Ti-
führung eines neuen politischen Konsenses im             telseiten aller wichtigen Medien in den USA,
Staate Vermont. Natürlich gefällt er den meis-           und im Web befassen sich zahllose Tweets,

                                                     2
ETHAN EARLE
                                                           BERNIE SANDERS’ SOZIALISTISCHES AMERIKA

Shares und Internet-Meme mit Bernie. Seine               er ganz einfach: durch Steuererhöhungen für
wichtigste Gegenspielerin, die in dem Umfra-             Reiche und Großunternehmen sowie die Be-
gen immer noch vorn liegt – Hillary Clinton, die         steuerung spekulativer Finanzgeschäfte.
frühere Außenministerin, Senatorin, First Lady
im Weißen Haus und Favoritin des Demokrati-              Wenn er darüber spricht, wie Amerika zu ei-
schen Parteiestablishments – stand bei ihrem             nem der Länder mit der weltweit ausgepräg-
Start vor gerade mal sechs Monaten mehr als              testen Ungleichheit werden konnte, gilt Ber-
irgendwer sonst im Rufe, niemand werde sie               nies Zorn besonders den Großbanken, die er
aufhalten können. Doch jetzt, während ich dies           für die Finanzkrise der Jahre 2007/08 verant-
– Ende Januar 2016 – niederschreibe, klammert            wortlich macht. Kein einziger Bankchef sei
Hillary sich an einen Siebenpunktevorsprung              dafür ins Gefängnis gekommen, dass er Mit-
in landesweiten Umfragen und muss sogar                  schuld an dem Crash trägt, während das ame-
fürchten, in den ersten beiden Primary-Staa-             rikanische Strafrechtssystem andererseits
ten, die seit eh und je als Stimmungsbarometer           Millionen Menschen für geringfügige und nicht
für den Rest des Landes fungieren, zu unterlie-          gewalttätige Delikte zu Haftstrafen verurteilt.
gen. Noch erstaunlicher ist, dass Bernie San-            Sanders plädiert für eine zeitgemäße Neuauf-
ders’ Kampagne so gut läuft, obwohl er weder             lage des Glass-Steagall-Gesetzes, das seit 1933
Konzernspenden akzeptiert, noch von irgend-              die Trennung von Investmentgeschäften und
einer Gruppierung des Establishments unter-              traditioneller Banktätigkeit vorgeschrieben
stützt wird und unentwegt die Vorzüge des                hatte, bis es unter Präsident Bill Clinton 1999
demokratischen Sozialismus herausposaunt.                außer Kraft gesetzt wurde. Letzthin kündigte
Seine Botschaft, dass dieses Land dringend               er zudem an, er werde – falls gewählt – in sei-
einer politischen Revolution bedarf, lässt sich          nem ersten Amtsjahr für die Entflechtung aller
nicht überhören.                                         „systemrelevanten“ („too big to fail“) Finanz-
                                                         institute sorgen.
Da Bernie Jahrzehnte in der Politik verbracht
hat, verwundert es nicht, dass seine Wahlplatt-          Doch der Hinweis auf seinen entschiedenen
form breit und sehr detailliert – man könnte             Wirtschaftspopulismus alleine kann nicht er-
fast sagen: faktenhuberisch – angelegt ist. Viel-        klären, warum Millionen Menschen mittlerwei-
leicht zu detailliert, aber keinesfalls wirr: Dass       le einer Art „Bernie-Stimmung“ verfallen – „Feel
ihm die Ungleichheit, die Amerikas Wirtschaft            the Bern“, wie der virale Hashtag es formuliert,
immer stärker kennzeichnet, die größten Sor-             der zu einem der Slogans der Sanders-Kam-
gen macht, daran lässt der demokratische So-             pagne geworden ist. Es liegt wohl eher daran,
zialist keinen Zweifel. Er schlägt eine Erhöhung         dass er so unverblümt ausspricht, wie es um
des Mindestlohns von 7,25 Dollar auf 15 Dollar           das Land steht. Die Verschuldung der Privat-
bis zum Jahr 2020 vor. Er verspricht, durch Inf-         haushalte und die wirtschaftliche Ungleichheit
rastruktur- und Jugendförderungsprogramme                haben historische Ausmaße erreicht, und die
der Bundesregierung Millionen Arbeitsplät-               Generation, die jetzt ins Erwachsenenalter
ze schaffen zu wollen. Er will die öffentliche           kommt, wurde durch den Irakkrieg und die
Rentenversicherung ausbauen, für kostenlo-               Große Rezession sozialisiert. Aufgewachsen
se Hochschulausbildung an allen öffentlichen             mit Mythen vom Amerikanischen Traum, sahen
Universitäten sorgen und durch eine öffent-              sie sich schon früh mit ganz anderen Realitäten
liche Krankenversicherung allen Menschen                 konfrontiert – mit einer zunehmenden Mobili-
in den Vereinigten Staaten zu umfassender                tät nach unten, die außer den Eliten und eini-
Gesundheitsversorgung verhelfen. Wie diese               gen wenigen Glücklichen so gut wie jeden be-
Programme finanziert werden sollen, erklärt              droht. Vor diesem Hintergrund begreift man,

                                                     3
ETHAN EARLE
                                                        BERNIE SANDERS’ SOZIALISTISCHES AMERIKA

warum Bernies Kampagne so überraschend                sie betreiben. Ihm geht es darum, dass wir uns
gut einschlägt: Weil er dieses System als ka-         unsere Demokratie zurückholen und auf die in
putt, und zwar irreparabel kaputt bezeichnet          seinem Wahlprogramm propagierten Refor-
– als „not just broken but fixed“ in dem Sinne,       men pochen, die uns nachhaltigen Einfluss auf
dass es der Verewigung der Kontrollmacht ei-          das Wirtschaftsgeschehen und den politischen
ner kleinen, von politisch fest verankerten Ka-       Prozess verschaffen sollen.
pitalinteressen bestimmten Elite dient.
                                                      ***
Neben ihren wirtschaftspolitischen Vorschlä-
gen hat die Sanders-Kampagne einen weiteren           Es überrascht nicht, dass die herrschenden
Schwerpunkt mit der Forderung, die Politik            Kräfte keine Freude an Bernie haben. Beson-
vom Einfluss des Großen Geldes zu befreien.           ders beleidigt zeigt sich – bedauerlicherweise,
Lautstark verlangt Bernie eine umfassende Re-         aber auch nicht überraschend – das Partei-
form der Wahlkampffinanzierung, darunter die          establishment der Demokraten. Dabei kann
Aufhebung der Citizens-United-Entscheidung            dessen Kandidatin Hillary Clinton bislang 455
des Obersten Gerichtshofs der USA und die Ab-         Unterstützungserklärungen von Gouverneu-
schaffung der „Super-PACs“ (PAC = Political Ac-       ren und Kongressabgeordneten für sich verbu-
tion Committee). Die Gerichtsentscheidung von         chen, verglichen mit drei für Bernie Sanders.
2010 und die Begünstigung von Großspendern            Achtzehn Gewerkschaften mit zwölf Millionen
durch die Zulassung von Super-PACs haben              Mitgliedern haben sich für Clinton erklärt,
dazu geführt, dass die Finanzmacht der Konzer-        während lediglich drei Gewerkschaften mit zu-
ne den Wahlprozess immer stärker beeinflusst.         sammen einer Million Mitgliedern Sanders un-
Bernie ruft uns regelmäßig in Erinnerung,             terstützen. Unter den sogenannten Superdele-
dass er der einzige Kandidat ohne Super-PAC           gierten soll Hillary über einen 45:1-Vorsprung
ist und eine konzernunabhängige Kampagne              verfügen. (Bei den „Superdelegierten“ handelt
führt. Seine Wahlkampfmittel stammen im               es sich um eine unerfreuliche Besonderheit des
Wesentlichen aus kleinen Einzelspenden und            amerikanischen Wahlsystems: Auf sie entfällt
wenigen größeren Zuwendungen von Gewerk-              ungefähr ein Drittel der Parteistimmen, doch
schaftsseite. Hillarys Kampagne dagegen wird          unterliegen sie keiner demokratischen Kont-
hauptsächlich von vermögenden Bürgern und             rolle durch die tatsächliche Wählermeinung.)
Konzernen finanziert; unter ihren zehn größten        Das Democratic National Committee (DNC)
Geldgebern befinden sich sechs Banken.                hat seinerseits versucht, Clintons Vorsprung
                                                      zu sichern, indem es die Fernsehdebatten der
Bernie ist überzeugt, dass die Wirtschaft Ame-        Kandidaten extrem beschränkte. Einmal hat
rikas Demokratie gekapert hat, und das lässt          die Parteiführung Sanders gar wegen eines (in
ihn öffentlich über eine „politische Revoluti-        der Sache umstrittenen) „Datendiebstahls“ un-
on“ nachdenken. Fast in jeder Rede stößt er           verhältnismäßig hart bestraft, indem sie ihm
in dieses Horn, ohne je einen Zweifel daran           zeitweilig die Nutzung der Parteidatenbank für
zu lassen, dass weder er noch sonst irgend-           seinen Wahlkampf sperrte. Derweil überschla-
ein Politiker allein für die notwendigen Ver-         gen die Fernsehsprecher des Establishments
änderungen sorgen kann. In Bernies Version            sich in dem Bemühen, Bernie die Fähigkeit,
beginnt die politische Revolution damit, dass         Wahlen zu gewinnen, abzusprechen, obwohl
das amerikanische Volk möglichst massenhaft           zahlreiche Umfragen das Gegenteil beweisen.
an die Urnen geht. In diesem Sinne fordert er
auch die Beseitigung der rassistischen Wahl-          Die Wohlmeinendsten unter den Hillary-An-
rechtseinschränkungen, wie die Republikaner           hängern dürften etwa wie folgt argumentie-

                                                  4
ETHAN EARLE
                                                           BERNIE SANDERS’ SOZIALISTISCHES AMERIKA

ren: Egal welcher verrückte/gefährliche Strolch          vor acht Jahren vergleichen ließe. Doch dessen
am Ende siegreich aus der Rauferei hervor-               Regierungszeit hat uns zugleich die Grenzen
geht, als die sich der im Wrestling-Stil ausgetra-       symbolischer Politik aufgezeigt: In diesen Jah-
gene Vorwahlkampf der Republikaner darstellt             ren sind Durchschnittseinkommen und -ver-
– Hillary Clinton sei nun einmal diejenige, die          mögen der Schwarzen gesunken, während
diesen Burschen noch am ehesten schlagen                 andererseits die Inhaftierungsraten scheinbar
könne. Und weiter werden ihre Freunde ar-                unaufhaltsam weiter steigen und Latino-Ein-
gumentieren, sie werde es, einmal zur Präsi-             wanderer in rekordverdächtigen Größenord-
dentin gewählt, auch noch am ehesten schaf-              nungen abgeschoben werden. Die harte politi-
fen, die Dinge in Washington auf die Reihe zu            sche Währung der Wahl eines Präsidenten, der
bringen. Politik sei nun einmal ein schmutzi-            über einen Plan und über das Mandat verfügt,
ges Geschäft, und die Republikanische Par-               die Art und Weise wie Washington – und unser
tei habe sich durch ihren Obstruktionismus               Land insgesamt – funktioniert, substanziell zu
ebenso wie durch ihren Fanatismus grund-                 verändern, wiegt bedeutend schwerer als sol-
legend verändert. Hillary sei vielleicht keine           che bloß symbolischen Akte.
Lichtgestalt, doch jedenfalls diejenige in der
Demokratischen Partei, die zumindest einige              ***
positive Reformen durchsetzen könne, soweit
unser dysfunktionales Regierungssystem dies              Wie kaum anders zu erwarten, haben die De-
überhaupt zulasse. Außerdem sei es höchste               batten „der Linken“, wie ich sie verallgemei-
Zeit, werden die Wohlmeinenden sagen, nach               nernd nennen möchte, über diese Wahl in den
über zwei Jahrhunderten ununterbrochener                 letzten Monaten ziemlich hässliche Formen
Männerherrschaft endlich eine Frau ins Weiße             angenommen. Eine Zeit lang sorgten Bernies
Haus zu wählen.                                          beharrliche Weigerung, negative Wahlkampf-
                                                         techniken anzuwenden – in Verbindung mit
Diesem Argumentationsgang würde ich entge-               dem ursprünglich komfortablen Vorsprung
genhalten, dass Clinton viel zu viel von eben-           Hillarys – für einen einigermaßen zivilen Ver-
dem repräsentiert, was an unserem politi-                lauf. Doch mit dem Fortgang der Kampagne
schen System heute dysfunktional ist, als dass           und der Verringerung ihres Vorsprungs sind
sie tatsächlich Abhilfe schaffen könnte. Sie ist         Hillarys Anhänger in den Medien dazu über-
der Wall Street so eng verbunden wie nur ir-             gegangen, Bernie-Unterstützer ziemlich wahl-
gendein Politiker gleich welcher Partei. Sie hat         los als „Brocialists“ abzustempeln, als eine Art
für den Irakkrieg gestimmt und hält dem krie-            sexistischer Macho-Linker. (Das Schimpfwort
gerischen Falkenflügel einer Demokratischen              „Brocialist“ setzt sich aus „Bro“ alias Bruder/
Partei die Treue, der von der weithin diskredi-          Kumpel und „Socialism“ zusammen – d. Übs.)
tierten Fahne des liberalen Interventionismus            Bernies Anhänger hielten bissig und manch-
um keinen Preis lassen mag. Clinton ist poli-            mal recht undiplomatisch – aber in der Sache
tisch vor allem darauf geeicht, Macht als solche         durchaus zu Recht – dagegen, dieser habe
zu gewinnen, während Sanders über 30 Jahre               doch immer wieder politische Schritte und an-
hindurch in verschiedenen Wahlämtern kon-                dere Maßnahmen unterstützt, die weit mehr
sequent zu seinen Wertmaßstäben gestanden                für die Frauengleichstellung (jedenfalls über
hat. Eine Frau ins Präsidentenamt zu wählen,             Mittelschichtskreise hinaus) gebracht haben
wäre zweifellos ein Akt von hohem Symbolge-              als Clintons Vorschläge. Diese Debatte hätte
halt – ein potenziell historischer Vorgang, der          das Pozential zu einer produktiven Auseinan-
sich insofern mit der Wahl Barack Obamas zum             dersetzung über die Unterschiede zwischen
ersten schwarzen Präsidenten unseres Landes              befreiungs- und karriereorientiertem Feminis-

                                                     5
ETHAN EARLE
                                                           BERNIE SANDERS’ SOZIALISTISCHES AMERIKA

mus, ist aber bislang zumeist auf papierne und           Interessanter und bedeutsamer für den ge-
parteiische Argumente beschränkt geblieben               genwärtigen Stand der Dinge in der amerikani-
und über das Stadium der Schlammschlachten               schen Politik ist eine Debatte, die auf der letz-
à la Twitter kaum hinausgekommen.                        ten Konferenz von „Netroots Nation“, einem
                                                         wichtigen Jahrestreffen linker Kräfte, offen ent-
Weiter links verkünden die üblichen Verdäch-             brannte. Aktivisten der Bewegung „Black Lives
tigen, Bernie sei gar nicht berufen, die wahre           Matter“ (BLM) unterbrachen dort eine San-
Revolution zu verfechten. Sie halten ihm eine            ders-Rede, um auf die anhaltende Polizeigewalt
ganze Litanei von Verfehlungen, ja geradezu              gegen Schwarze hinzuweisen und entschiede-
Erbsünden vor, die grob gesagt alle auf den Vor-         nere Aktionspläne zur Überwindung des struk-
wurf hinauslaufen, er habe sich nicht mit Haut           turellen Rassismus in den USA zu fordern. San-
und Haaren einer ganz bestimmten (und mei-               ders’ Reaktion auf diesen Vorstoß wurde von
ner Auffassung nach esoterischen) politischen            einigen abgetan als unangemessen im Ton und
Linie verschrieben. Manche sagen, er fungiere            von oben herab. Dass Bernie daraufhin heraus-
als eine Art Hirtenhund der Demokratischen               strich, was er selbst in Sachen racial justice alles
Partei, der enttäuschte Jugendliche wie entlau-          unternommen habe, und das Thema Rassismus
fene Schafe in deren Hürden zurücktreibt – ob-           in den Kontext seines auf die Verringerung der
wohl Bernie doch fast sein ganzes politisches            sozialen Ungleichheit zielenden wirtschaftspo-
Leben als Unabhängiger tätig war und jetzt               litischen Programms einzuordnen versuchte,
für das Parteiestablishment so etwas wie der             half ihm zunächst wenig. Eine Wochen danach
„Staatsfeind Nummer 1“ geworden ist. Andere              unterbrach eine BLM-Gruppe aus Seattle er-
wiederum können ihm nicht verzeihen, dass er             neut einen Sanders-Auftritt, diesmal bei einer
sich fälschlich als demokratischer Sozialist aus-        Jubiläumsveranstaltung anlässlich des 80jähri-
gebe, wo er doch in Wahrheit Sozialdemokrat              gen Bestehens der Social Security. Die BLM-Ak-
sei – was für eine Frechheit! Und schließlich gibt       tivisten rissen das Mikrofon an sich, ehe Bernie
es noch jene, für die Bernie Persona non grata           etwas sagen konnte, und weigerten sich, ihn
ist, weil er bei dieser oder jener außenpoliti-          auf ihre Vorwürfe antworten zu lassen. Die
schen Abstimmung vermeintlich oder tatsäch-              Stadt Seattle bezichtigten sie nach Buhrufen
lich falsch entschied, also nicht besser als alle        aus dem Publikum des Rassismus und hielten
anderen sei. Dass er die Regimewechsel-Politik           die Bühne so lange besetzt, bis die Veranstal-
unseres Landes beharrlich kritisiert, zählt für          tung abgebrochen wurde.
sie nicht. Ebenso wenig, wie entschieden er die
weitaus größere Bedrohung betont, die vom                Unmittelbar nach diesem zweiten Vorfall stellte
Klimawandel ausgeht, verglichen mit der in den           die Sanders-Kampagne eine (vermutlich nach
Medien aggressiv herausgestellten Terroris-              der ersten Intervention entworfene) Agenda
musgefahr. Auch wenn derartige politische Pa-            zur Gleichberechtigung der Schwarzen vor, der
thologien das politische Mainstream-Bewusst-             – als Geste der Zustimmung zu den Forderun-
sein kaum berühren, lohnt es sich doch, sie zu           gen von „Black Lives Matter“ und anderen Ak-
erwähnen, weil sie die Positionen innerhalb              tivisten – eine Namensliste der in letzter Zeit
der „sozialistischen Linken“ im weitesten Sinne          von der Polizei getöteten schwarzen Frauen
deutlicher kenntlich gemacht haben – den Un-             und Männer voransteht. Im Anschluss daran
terschied etwa zwischen denen, die zu den Leu-           geht die Agenda unmittelbar auf die physische
ten hingehen und ihre Politik auf der Basis der          Gewalt seitens staatlicher Stellen und rechter
realen Verhältnisse entwickeln, und jenen, die           Extremisten ein, der Menschen schwarzer und
lieber unter sich bleiben und alle beschimpfen,          brauner Hautfarbe in diesem Land ständig
die noch nicht bei ihnen mitmachen.                      ausgesetzt sind. Es folgt eine etwas langatmige

                                                     6
ETHAN EARLE
                                                               BERNIE SANDERS’ SOZIALISTISCHES AMERIKA

Liste politischer Vorschläge und Forderungen,              Erfahrung dar – und damit für die Linken insge-
die sich ebenfalls mit der Problematik politi-             samt eine gute Nachricht. Ergänzend zu seiner
scher, polizeilicher, justizieller, wirtschaftlicher       Racial-Justice-Agenda hat Bernie mittlerweile
und ökologischer Gewalt befassen, unter der                wichtige Posten in seinem Wahlkampfteam
Communities of Color besonders zu leiden ha-               mit Schwarzen und Latinos besetzt. Auch be-
ben. Diese neue Agenda hat den Beifall pro-                müht er sich sichtlich, dem anhaltenden Trend
minenter Stimmen aus der BLM-Bewegung                      erschreckender Polizeigewalt gegen Schwarze
gefunden.                                                  die gebührende Aufmerksamkeit der Öffent-
                                                           lichkeit zu verschaffen. So besuchte er bei-
Während die erste BLM-Aktion demonstrierte,                spielsweise die Familie von Sandra Bland, einer
wie zwei unterschiedliche, in ihren Zielen aber            28-jährigen Frau, die wegen eines geringfügi-
teilweise übereinstimmende progressive Be-                 gen Verstoßes gegen Straßenverkehrsregeln
wegungen kritisch, doch letztlich produktiv auf-           verhaftet und später in ihrer Zelle tot aufge-
einanderstoßen können, zeigte demgegenüber                 funden worden war. Bernie äußerte sich dazu
die zweite, dass die beiden manchmal durch-                mit der starken, wenngleich tragisch einfachen
aus aneinander vorbei reden. Bernie, 74 Jahre              Aussage, die junge Frau „würde heute noch le-
alt, weiß, ein jüdischer Mann aus dem zweitwei-            ben, wäre sie eine Weiße gewesen“. Er ist auch
ßesten Staat Vermont (96,7 Prozent), erkannte              zusammen mit prominenten schwarzen Künst-
nicht sofort die Dringlichkeit des Themas raci-            lern wie Killer Mike von der Rap-Group „Run
al justice und ebenso wenig, welch schlechtes              the Jewels“ aufgetreten und versteht sich heu-
Bild er mit dem Versuch abgab, die BLM-For-                te besser darauf zu verdeutlichen, in welchem
derungen einfach in seine vorgegebene Wahl-                Ausmaß die wirtschaftliche Entwicklung der
plattform einzuordnen, deren Schwerpunkt                   USA seit den Zeiten der Sklaverei rassistisch
auf Fragen wirtschaftlich-sozialer Gerechtigkeit           unterlegt ist. Zwar steht sein Bekanntheits-
liegt. Die BLM-Aktivisten ihrerseits verhielten            grad in den Minderheiten-Communities immer
sich kurzsichtig, als sie die Szene zum Nachteil           noch weit hinter demjenigen Hillary Clintons
eines Menschen ausschlachteten, der – um das               zurück, doch sind seine Sympathiewerte und
Mindeste zu sagen – sich stets als guter „wei-             die ihm zugetrauten Abstimmungsergebnisse
ßer Bündnispartner“ der Schwarzenbewegung                  deutlich gewachsen.
erwiesen hat und schon 1963 an der Seite
Martin Luther Kings marschierte. Was bei der               Allgemeiner gesehen lassen diese Ausein-
Netroots-Konferenz als nützliche Provokation               andersetzungen und Entwicklungen sich als
wirkte, war in Seattle eindeutig überzogen. Die            Bestandteil einer neuen Aufwärtsbewegung –
dortige Intervention ging von sozialpolitisch re-          vielleicht sogar einer neuen Generation – linker
lativ unerfahrenen Aktivisten aus, die auch der            Aktivitäten in den Vereinigten Staaten auffas-
Führung von „Black Lives Matter“, einer grund-             sen. Nach mehreren Jahrzehnten des Rückzugs
sätzlich offenen Bewegung, weit weniger na-                – zumindest was die Präsenz der Linken im öf-
hestehen. Ihre Aktion wirkte eher zynisch, und             fentlichen Bewusstsein angeht – kehrte sich die
an der Entwicklung einer ideologische Gräben               Entwicklungsrichtung mit „Occupy Wall Street“
überwindenden progressiven Politik schienen                im September 2011 plötzlich um.1 Die OWS-Be-
sie nicht sonderlich interessiert zu sein.                 wegung wies all die schönen wie die schwieri-
                                                           gen Eigenschaften eines neugeborenen Kindes
***
                                                           1   Vgl. dazu meine Studie: Eine kurze Geschichte von Oc-
                                                               cupy Wall Street, hgg. vom New Yorker Büro der Rosa-
Alles in allem stellt die Bernie/BLM-Geschichte
                                                               Luxemburg-Stiftung, November 2012, www.rosalux-nyc.
eine für Sanders und seine Anhänger lehrreiche                 org/de/a-history-of-occupy.

                                                       7
ETHAN EARLE
                                                         BERNIE SANDERS’ SOZIALISTISCHES AMERIKA

auf, und für viele, wenn nicht die meisten Be-         Machtfaktor werden kann, und zugleich neue
teiligten war die Erfahrung, die sie da machten,       – auf Klassensolidarität und der Überwindung
tatsächlich brandneu. So gesehen erlebte hier          ethnischer Spaltungen basierende – Bündnis-
eine ganze Generation erstmals hautnah, dass           se zusammenzuführen, also das Gegenteil der
es doch möglich ist, in den Vereinigten Staaten        Spaltungen zu bewirken, in welche die Kon-
für grundlegende Veränderungen politisch ak-           zerninteressen uns treiben. Sanders hat es in
tiv zu werden. „Black Lives Matter“ steht zwar         Vermont vorgeführt, vielleicht nicht immer auf
in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit               dem Erwartungsniveau sozialistischer Höhen-
„Occupy Wall Street“ und ist auch nicht aus der        flüge, aber auf unzweifelhaft transformative
OWS-Bewegung hervorgegangen, doch fand                 und nachhaltige Weise. Und wenn wir uns den
BLM in deren Kielwasser Zugang zu Mainstre-            Zustand der amerikanischen Politik vor Augen
am-Medien und berücksichtigt in ihrer Praxis           führen – der es einem Rechtspopulisten wie
(bewusst oder unbewusst) viel von dem, was             Donald Trump gestattet, mit billigem Was-
an OWS bemängelt wurde.                                hington-Bashing einen beträchtlichen Teil des
                                                       republikanischen Elektorats in seinen Bann
Die Sanders-Kampagne erreicht Millionen                zu ziehen –, wissen wir, was wir zu tun haben:
Menschen, die ein Präsidentschaftswahlkampf            Nichts ist dringlicher, als für eine neue Neue
eher anregt, sich für Politik zu interessieren.        Mehrheit in diesem Lande zu kämpfen, die auf
Nimmt man die drei skizzierten Entwicklungen           Zusammengehörigkeit gründet und nicht auf
zusammen (auch wenn sie nicht in allen Fällen          Hass.
als eine, als Triple-Bewegung gesehen werden
möchten), so haben wir es hier mit dem Beginn          Zurück zu Bernie: Der kümmert sich weiter um
einer neuen Ära fortschrittlicher Politik in den       den Zusammenhalt und Ausbau der Koalition,
Vereinigten Staaten zu tun. Sicher, Auseinan-          die er durch eine Politik jenseits der typischen
dersetzungen zwischen diesen und anderen               Fraktionsgrabenkämpfe hat schaffen können.
politischen Bewegungen sind wichtig und nö-            Man kennt seine Unterstützung für amerika-
tig, genau so wie das kritische Ringen um Ge-          nische Kriegsveteranen ebenso wie sein En-
stalt und Richtung progressiver Politik. Nicht         gagement dafür, der Fed – der US-Zentralbank
minder wichtig ist allerdings, dass wir nicht in       – auf die Finger zu sehen. Beide Themen gelten
destruktive Grabenkämpfe verfallen und uns             herkömmlicherweise eher als Domänen der
nicht von der Grundfrage unserer Zeit ablen-           Konservativen. Und erstaunlich viele seiner
ken lassen: Wie lässt das politische und öko-          republikanischen Kollegen im Kongress mö-
nomische System der Vereinigten Staaten sich           gen Bernie Sanders, nicht als Gesprächspart-
dahingehend umgestalten, dass es für jede              ner für Themen wie Baseball oder dergleichen,
und jeden in diesem Lande da ist und zugleich          aber als jemanden, der nicht anders redet als
für den Rest der Welt mehr Nutzen und weni-            er handelt. Als er kürzlich an der konservativen
ger Schaden bewirkt?                                   Christian Liberty University eine Rede hielt,
                                                       griff Bernie auf ein rhetorisches Hilfsmittel
Bernie Sanders tut, was er kann, damit wir             zurück, dessen er sich seine ganze Karriere
diese gewaltige Aufgabe ernsthaft ins Auge             hindurch immer wieder bedient hat: „Wir sind
fassen, ohne den geringsten Zweifel daran zu           vielleicht nicht in allen Fragen einer Meinung“,
lassen, dass sie nicht von ihm alleine gelöst          versicherte er seinem Publikum, „aber wir kön-
werden kann. Vor allem deshalb unterstütze             nen uns darüber verständigen, wie ungerecht
ich Bernie und finde, alle sollten das tun. Nie-       die Ungleichheit, die Korruption und die man-
mand ist besser als er dafür positioniert, eine        gelnde Funktionsfähigkeit sind, die unser Sys-
breite Bewegung in Gang zu bringen, die zum            tem prägen.“

                                                   8
ETHAN EARLE
                                                             BERNIE SANDERS’ SOZIALISTISCHES AMERIKA

       So tief die Risse sind, die der gegenwärtige Vor-   Frau als Präsidentin regiert – Cristina Kirchner,
       wahlkampf in beiden großen Parteien offen-          eine Progressive. Wie groß der Schritt auch
       legt, so deutlich macht er auch, dass ein noch      sein möge, den die USA mit der Wahl einer Frau
       viel tieferer kultureller Gegensatz zwischen        zur Präsidentin täten – was wäre er im Ver-
       dem konservativen und dem progressiven La-          gleich zur Wahl eines sozialistischen Präsiden-
       ger unser Land zerreißt. Niemand scheint sich       ten im mächtigsten Land der kapitalistischen
       etwas Schrecklicheres vorstellen zu können als      Welt? Moment mal, rief meine Großmutter –
       die Wahl eines Politikers der Gegenseite ins        weniger misstrauisch als den Staub von einer
       Weiße Haus. Über den ökonomischen und poli-         Idee, die sie lange Zeit nicht erwogen hatte,
       tischen Wandel hinaus, den Bernie propagiert,       abschüttelnd – seid ihr beide etwa Sozialisten?
       steht er auch für die Möglichkeit, unser tief       Wir sahen einander an und zögerten einen Au-
       gespaltenes Gemeinwesen im 21. Jahrhundert          genblick lang, bis meine Frau antwortete: Yeah
       wieder zu einen. Dass ein Präsident Bernie          – wenn’s weiter nichts braucht, um Sozialist zu
       Sanders vorstellbar ist, gibt uns eine – wenn       sein, dann sind wir wohl welche. Meine Groß-
       auch noch unvollständige – Wegbeschreibung          mutter sah uns überrascht, vielleicht auch ein
       an die Hand, wie wir der kulturellen und politi-    wenig schalkhaft an – womöglich versuchte
       schen Zwangslage, in der wir stecken, entkom-       sie aber auch nur, aus ihrem Enkel und ihrer
       men können.                                         (angeheirateten) Enkelin schlau zu werden und
                                                           zugleich die ganze Spannweite alter und neuer
       ***                                                 Ideen zu erfassen. Ach so, sagte sie schließlich,
                                                           langsam und bedächtig.
       Als wir zuletzt in Vermont waren, besuch-
       ten meine argentinische Frau und ich meine          Bei meinem nächsten Familienbesuch wird
       90-jährige Großmutter, die ihr ganzes Leben in      Vermonts jüngster Beitrag zum Gang der ame-
       dem kleinen Staat verbracht hat und sich leb-       rikanischen Geschichte, hoffe ich, Anlass zum
       haft für Golf und Talkshow-Politik interessiert.    Feiern geben, im Fall der Fälle sogar dazu, ei-
       Wie nicht anders zu erwarten, kamen wir auf         nander zur Wahl des ersten demokratisch-so-
       den Wahlkampf zu sprechen, und sie sagte, ei-       zialistischen Präsidenten zu beglückwünschen.
       ner ihrer Söhne – mein Onkel – versuche, sie        Aber auch wenn Bernie verliert, wird seine
       für Bernie zu gewinnen. Sie blieb unentschlos-      Kampagne, wie ich meine, dennoch als Erfolg
       sen. Sie kennt Bernie seit Jahrzehnten, mag ihn     zu werten sein: Weil sie vorstellbar und sinnlich
       und traut seinem Urteil, aber sie möchte auch       erfahrbar gemacht hat, dass wir in eine neue
       unbedingt eine Frau im Weißen Haus sehen,           Ära progressiver Politik eintreten können. So
       bevor sie stirbt. Das Argument ist einfach, und     oder so hat Bernies Botschaft, dass wir eine
       es ist stark. Ich nehme es sehr ernst.              politische Revolution brauchen, eine neue Ge-
                                                           neration junger Menschen erreicht – und damit
       Meine Frau widersprach: In dem Land, aus dem        ein Fundament gelegt, auf dem alle, die eine
       sie kommt, habe jetzt fast zehn Jahre lang eine     bessere Zukunft erstreben, aufbauen können.

www.rosalux-nyc.org
WELTWEITES NETZWERK DER RLS-AUSLANDSBÜROS

NORDAMERIKA & VEREINTE NATIONEN      HAUPTSITZ                            EUROPÄISCHE UNION
New York/USA                         Berlin/Deutschland                   Brüssel/Belgien
Leitung: Dr. Stefanie Ehmsen und     Vorsitzender: Dr. Dagmar Enkelmann   Leitung: Martin Schirdewan und
Dr. Albert Scharenberg               Geschäftsführer: Dr. Florian Weis    Dr. Claus-Dieter König
Website: www.rosalux-nyc.org         Website: www.rosalux.de              Website: www.rosalux-europa.info

MEXIKO, ZENTRALAMERIKA UND KUBA      NORDAFRIKA                           OSTMITTELEUROPA
Mexiko-Stadt/Mexiko                  Tunis/Tunesien                       Warschau/Polen
Leitung: Torge Löding                Leitung: Peter Schäfer               Leitung: Dr. Joanna Gwiazdecka
Website: www.rosalux.org.mx          E-Mail: pschaefer@rosalux.de         Website: www.rls.pl

ANDENLÄNDER                          WESTAFRIKA                           SÜDOSTEUROPA
Quito/Ecuador                        Dakar/Senegal                        Belgrad/Serbien
Leitung: Dr. Karin Gabbert           Leitung: Dr. Armin Osmanovic         Leitung: Dr. Boris Kanzleiter
Website: www.rosalux.org.ec          Website: www.rosalux.sn              Website: www.rosalux.rs

BRASILIEN UND CONO SUR               OSTAFRIKA                            RUSSLAND, ZENTRALASIEN & KAUKASUS
São Paulo/Brasilien                  Daressalam/Tansania                  Moskau/Russland
Leitung: Gerhard Dilger              Leitung: Siegfried Schröder          Leitung: Tiina Fahrni
Website: rosaluxspba.org             Website: www.rosalux.co.tz           Website: www.rosalux.ru

PALÄSTINA                            SÜDLICHES AFRIKA                     SÜDOSTASIEN
Ramallah                             Johannesburg/Südafrika               Hanoi/Vietnam
Leitung: Katja Hermann               Leitung: Jörn-Jan Leidecker          Leitung: Liliane Danso-Dahmen
Website: www.rosaluxemburg.ps        Website: www.rosalux.co.za           Website: www.rosalux.vn

ISRAEL                               OSTASIEN                             SÜDASIEN
Tel Aviv                             Peking/China                         Neu-Delhi/Indien
Leitung: Tsafrir Cohen               Leitung: Dr. Lutz Pohle              Leitung: Stefan Mentschel
Website: www.rosalux.co.il           E-Mail: pohle@rosalux.cn             Website: www.rls-sea.de

             Facebook: rosaluxnyc

                                                         www.rosalux-nyc.org
             Twitter: @rosaluxnyc
             Instagram: rosaluxnyc
Sie können auch lesen