Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum

 
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Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum
Ausgabe 12 • 2017

Berufskrankheiten
Aus der Forschung
Allergene am Arbeitsplatz
Azubis im Fokus
„Jugend will sich-er-leben“ startet ins neue Schuljahr
Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum
Editorial

                     Liebe Leserinnen,
                     liebe Leser,
                     genau ein Jahr ist es her, dass die Mitgliederversamm-
                     lung der DGUV das „Weißbuch Berufskrankheiten-
                     recht“ verabschiedet hat. Es enthält unsere Ideen zur
                     Weiterentwicklung dieses komplexen Rechtsbereichs.
                     Zentral sind zum Beispiel der Vorschlag, den Unterlas-
                     sungszwang bei einigen der häufigsten Berufskrank-
                     heiten abzuschaffen und unsere Überlegungen, wie wir
                     die Verfahren noch transparenter gestalten können.

                                                                                                                 Foto: DGUV / Stephan Floss
                    Noch hat die Politik die Vorschläge aus dem Weißbuch
                    nicht aufgegriffen. Das wäre beispielsweise bei der
                    Ausgestaltung der Rückwirkung zur 4. Änderungsver-
                    ordnung teilweise möglich gewesen. Da es der DGUV
                    aber um ein ausgewogenes und komplettes Ände-
                    rungspaket geht, sollten wir uns im Moment in Geduld üben. Das heißt aber nicht, dass
                    wir untätig bleiben. Im Gegenteil. Dort, wo wir ohne Rechtsänderungen tätig sein kön-
                                                nen, treiben wir die Arbeit voran. Im Handlungsfeld For-
                                                schung zum Beispiel werben wir mit einer neuen Bekanntma-
    „Mit ihrer groß angelegten Unter-
                                                chung zu Forschungsthemen dafür, die Aktivitäten zu den
    suchung zum hellen Hautkrebs                Berufskrankheiten auszubauen.
    durch Sonneneinstrahlung liefert
    die DGUV Daten zu einem Thema              Die gesetzliche Unfallversicherung ist dazu auch selbst aktiv.
                                               Mit ihrer groß angelegten Untersuchung zum hellen Haut-
    mit gesellschaftlicher Relevanz.
                                               krebs durch Sonneneinstrahlung liefert sie Daten zu einem
    Denn heller Hautkrebs ist eine             Thema mit gesellschaftlicher Relevanz. Denn heller Hautkrebs
    Volkskrankheit und der Schutz vor          ist eine Volkskrankheit und der Schutz vor zu starker Sonnen-
    zu starker Sonneneinstrahlung ist          einstrahlung ist nicht nur ein Problem im Beruf, sondern auch
    nicht nur ein Problem im Beruf,            in der Freizeit. Die Studie macht deutlich, wie unterschiedlich
                                               die Sonnenexposition beim Arbeiten im Freien ist und wie
    sondern auch in der Freizeit.“             individuell ein Sonnenschutz sein kann.

                     Zusammen mit Partnern und Partnerinnen lässt sich dabei oft mehr erreichen. So setzt
                     sich die DGUV im „UV-Schutz-Bündnis“ für den UV-Schutz ein und will damit langfristig
                     die Zahl der Neuerkrankungen an Hautkrebs reduzieren. In dem von der EU geförderten
                     Projekt StanDerm wurden Anforderungen an Sonnenschutzpräparate durchdacht, die
                     Menschen speziell bei der Arbeit effizient gegen Sonneneinstrahlung schützen. Das alles
                     sind Bausteine in einer Präventionskette, an deren Anfang die Bewusstseinsbildung steht
                     – sicher der schwierigste Teil der Aufgabe.

                     Mit den besten Grüßen

                     Ihr

                     Dr. Joachim Breuer

                     Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung

2    DGUV Forum 12/2017
Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum
Inhalt

> Editorial / Inhalt >>>                                    2–3

> Aktuelles >>>                                            4–6

> Nachrichten aus Brüssel >>>                                   7

> Titelthema >>>                                           8–33
Vierte BKV-Änderungsverordnung
Die neuen Berufskrankheiten in der
Berufskrankheitenverordnung                                     8
Patricia Heinisch, Carsten Fritz, Fred-Dieter Zagrodnik
Berufskrankheiten
Aktuelle Forschungsschwerpunkte veröffentlicht                 13
Ulrike Wolf, Stefanie Palfner
Stand zur Rechtsprechung
Aktuelles zu den Wirbelsäulenerkrankungen                      15
Fred-Dieter Zagrodnik
DGUV Forschung
Alles klar rund um die Sonne?                                  17
Steffen Krohn
Berufsbedingter Hautkrebs und adäquater Sonnenschutz
Nicht nur eine nationale Herausforderung                       19
Swen Malte John, Christoph Skudlik, Sanja Kezic,
Andrea Bauer, Francesca Larese Filon, Claas Ulrich                  8
Anerkennung „Wie eine Berufskrankheit“
Hautkrebserkrankungen außerhalb der
Berufskrankheiten-Liste                                        23
Stephan Brandenburg, Stefanie Palfner, Wolfgang Römer,
Steffen Krohn, Michael Woltjen
Kosten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Kostenanalyse für Hauterkrankungen                             30
Claudia Drechsel-Schlund, Steffen Krohn, Stephanie Schneider
Berufskrankheiten
Allergene am Arbeitsplatz –
Tools für die Expositionserfassung                             35
Monika Raulf

> Aus der Rechtsprechung >>>                                   37

> Prävention >>>                                          38–39
Azubis im Fokus
„Jugend will sich-er-leben“ startet ins neue Schuljahr         38
Ulrich Zilz, Christian Pöller

> Unfallversicherung >>>                                  40–41
semper reformanda
Das „neue“ Bachelor-Studium an der HGU                         40
Axel Weiß

> Medien / Impressum >>>                                       42
                                                                    23
                                                                         DGUV Forum 12/2017    3
Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum
Aktuelles

Jetzt für Annedore-Leber-Preis 2018 bewerben
Menschen mit einer Behinderung sind           von Menschen mit Behinderung in Ausbil-      Die eingereichten Vorschläge werden durch
eine Bereicherung für die Arbeitswelt.        dung und Arbeit beispielhaft hervorgetan     eine Jury bewertet. Die Preisverleihung fin-
Auch wenn viele Unternehmen dies              haben. Gesucht werden innovative, nach-      det am 21. März 2018 statt, drei Tage nach
mittlerweile erkannt haben – selbstver-       haltige und zur Nachahmung anregende         dem 114. Geburtstag Annedore Lebers.
ständlich ist Inklusion im Arbeitsleben       Projekte, die Menschen mit Handicap ei-
noch immer nicht. Deshalb verleiht das        ne optimale Teilhabe am Arbeitsleben er-     Bewerbungen können bis zum 1. Februar
Berufsbildungswerk Berlin, Trägerverein       möglichen und einen entscheidenden           2018 eingereicht werden. Das Preisgeld
des Annedore-Leber Berufsbildungswer-         Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung      beträgt 1.000 Euro. Der Rechtsweg ist
ks (ALBBW), einmal jährlich den Anne-         in diesem Themenfeld leisten.                ausgeschlossen.
dore-Leber-Preis für besonderes Engage-
ment bei der beruflichen Integration von
Menschen mit Behinderung.
                                                   Weitere Informationen
Bewerben können sich Unternehmen,                  Hinweise zu den Bewerbungsunterlagen finden Sie unter:
Organisationen und Projektträger aus               www.albbw.de/annedore-leber-preis
Deutschland, die sich bei der Eingliederung

Kooperation mit Polen in der Reha-Management-Ausbildung
Die DGUV wird Polen in den kommenden          chen Unfallversicherung zur Aus- und         Zum Auftakt des Projekts besuchte eine
drei Jahren beim Aufbau von Bildungs-         Fortbildung im Reha-Management               20-köpfige Delegation aus Polen die DGUV.
maßnahmen für Reha-Managerinnen und           auf Polen zu übertragen. Dabei sollen        Die Teilnehmenden kamen aus den Berei-
-Manager unterstützen. Ein entsprechen-       Inhalte an die polnischen Bedingungen        chen Medizin, Psychologie und Recht, sowohl
der Vertrag wurde von den deutschen und       angepasst und die Verantwortlichen in        die Arbeitgebenden als auch Menschen mit
polnischen Partnern Anfang November an-       den polnischen Institutionen der sozia-      Behinderung waren vertreten. Referentin-
lässlich des ersten Besuchs einer polni-      len Sicherheit vom Wert des neuen Bil-       nen und Referenten aus der DGUV und ver-
schen Delegation in Berlin unterschrieben.    dungsprogramms überzeugt werden.             schiedener Unfallversicherungsträger gaben
                                              Mittelfristig könnte diese Zusammenar-       den Gästen erste Einblicke in das Reha-Ma-
Das aus EU-Mitteln geförderte Pro jekt        beit auch ein Modell für andere EU-          nagement. Die Konsultationen werden sich
zielt darauf ab, das Modell der gesetzli-     Staaten sein.                                in regelmäßigen Abständen wiederholen.
    Foto: Becker/DGUV

Eine Delegation aus Polen besuchte für eine Woche die DGUV, um sich über das Reha-Management zu informieren, das auch in
Polen aufgebaut werden soll.

4                       DGUV Forum 12/2017
Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum
Aktuelles

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: neue Vorsitzende gewählt
Die Deutsche Gesetzliche Unfallver-                                                                                            Vertreterinnen und Vertretern der
sicherung (DGUV) hat neue Vorsit-                                                                                              Arbeitgebenden und Versicherten
zende. Die Mitgliederversammlung                                                                                               gesteuert. Jede Berufsgenossen-
des Spitzenverbandes der Berufsge-                                                                                             schaft und Unfallkasse entsendet
nossenschaften und Unfallkassen                                                                                                zwei Vertreter oder Vertreterinnen
wählte in ihrer Sitzung am 30. No-                                                                                             in die Mitgliederversammlung des
vember 2017 Stefan Weis für die                                                                                                Verbandes, je eine Person für die

                                                                Foto: Wolfgang Bellwinkel / DGUV
Versicherten und Helmut Etschen-                                                                                               Versicherten- und eine für die Sei-
berg für die Arbeitgebenden zu ih-                                                                                             te der Arbeitgebenden.

                                                                                                   Foto: Silke Mayer / VBG
ren Vorsitzenden. Weis folgt auf
Sönke Bock, der nicht mehr zur                                                                                                 DGUV-Hauptgeschäftsführer Dr. Jo-
Wahl antrat. Der ebenfalls von der                                                                                             achim Breuer bedankte sich bei den
Mitgliederversammlung neu ge-                                                                                                  Herren Bock und von Leoprechting
wählte Vorstand wählte Manfred                                                                                                 für die geleistete Arbeit und gratu-
Wirsch und Volker Enkerts zu sei-                                                                                              lierte den neugewählten Vorsitzen-
nen neuen Vorsitzenden. Wirsch                                                                                                 den: „Selbstverwaltung ist gelebte
vertrat bereits in der vergangenen                                                                                             Demokratie. Das ehrenamtliche En-
Sozialwahlperiode die Versicher-                                                                                               gagement der Arbeitgebenden und
tenseite als Vorstandsvorsitzender.    Die Wahlen folgten auf die Konstituierung der Mitglieder-                               Versicherten für die gesetzliche
Enkerts folgt auf Seiten der Arbeit-   versammlung der DGUV in der neuen Sozialwahlperiode.                                    Unfallversicherung stellt sicher, dass
gebenden auf Dr. Rainhardt Frei-       Wie die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen wird die                                dieser Teil der Sozialversicherung
herr von Leoprechting.                 DGUV von einer Selbstverwaltung aus ehrenamtlichen                                      nah an den Menschen ist und bleibt.“

Vorreiter für Sicherheit am Arbeitsplatz
Globalisierung, Digitalisierung, Industrie     „In unserer globalisierten Welt wird der
4.0 — diese Trends prägen Unternehmen          Konkurrenzdruck immer höher. Gerade des-                                      Weitere Informationen
und fordern sie heraus. Damit wird auch        halb ist ein umfassender Arbeitsschutz in                                     Der Deutsche Arbeitsschutzpreis
der Arbeitsalltag von Beschäftigten an-        Unternehmen unverzichtbar — unsere Ge-                                        ist Teil der Gemeinsamen Deut-
spruchsvoller. Deshalb ist es wichtig, dass    winner sind deshalb tolle Vorbilder für an-                                   schen Arbeitsschutzstrategie
Unternehmen für den Arbeitsschutz ihrer        dere Firmen, in denen die Sicherheit am Ar-                                   (GDA). Weitere Informationen
                                                                                                                             zum Preis, den Nominierten
Angestellten Sorge tragen. Wie das geht,       beitsplatz noch ausbaufähig ist“, erklärte                                    sowie Preisträgerinnen und
zeigen die vielfältigen Innovationen der       Rainhardt Freiherr von Leoprechting, zu                                       Preisträgern gibt es online unter:
Gewinnerunternehmen des diesjährigen           diesem Zeitpunkt noch Vorstandsvorsitzen-                                     www.deutscher-arbeitsschutz-
Arbeitsschutzpreises 2017. Alle zwei Jahre     der der DGUV, im Rahmen der öffentlichen                                       preis.de
richten das Bundesministerium für Arbeit       Preisverleihung auf der Fachmesse A+A.
und Soziales (BMAS), der Länderaus-
schuss für Arbeitsschutz und Sicherheits-
technik (LASI) und die Deutsche Gesetzli-
che Unfallversicherung (DGUV) den
Wettbewerb aus. Vergeben werden Preis-
gelder von insgesamt 40.000 Euro.

2017 gingen die Preise an die RAG Aktien-
gesellschaft mit dem Projekt „Unterneh-
mensweite Arbeitsschutzkampagne 2016–
                                                                                                                                                                  Foto: Stephan Floss/DGUV

2018“, die Opterra Zement GmbH, unter
anderem mit der „Einrichtung einer Si-
cherheitszentrale beim Winterstillstand in
einem Zementwerk“, die Eurovia Teerbau
GmbH mit dem Projekt „Einschlaghilfe für
Schurnägel“ und an das Unternehmen
Matetec mit dem Projekt „Maschinenge-
führte Schneidvorrichtung“.                    Preisverleihung des Deutschen Arbeitsschutzpreises 2017

                                                                                                                                          DGUV Forum 12/2017                                 5
Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum
Aktuelles

Innovative Konzepte zum Schutz vor Asbest gesucht
Unter dem Motto „Erfolgreich gegen As-        re bei Instandhaltungsarbeiten an und in     Beiträge sollen in der DASA Arbeitswelt
best“ sucht der 12. Deutsche Gefahrstoff-      Gebäuden, die vor 1993 erbaut wurden,        Ausstellung vorgestellt werden.
schutzpreis der Bundesanstalt für Arbeits-    können die gefährlichen Fasern freigesetzt
schutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in           werden und Beschäftigte, aber auch Nut-
Kooperation mit dem Bundesministerium         zer gefährden. Die Bewerbungsfrist für
                                                                                                 Weitere Informationen
für Arbeit und Soziales (BMAS) nach inno-     den mit insgesamt 10.000 Euro dotierten
                                                                                                 Die gesamte Ausschreibung sowie
vativen Konzepten und praktischen Lö-         Gefahrstoffschutzpreis läuft bis zum 15.
                                                                                                 Beispiele guter Praxis aus den
sungen zum Schutz von Beschäftigten.          April 2018. Über die Vergabe des Preises           vergangenen Wettbewerben gibt es
Trotz seines Verbotes im Jahre 1993 gefähr-   entscheidet eine unabhängige Jury. Die             im Internet unter: www.gefahrstoff-
det das einstige „Wundermineral“ Asbest       Preisverleihung wird voraussichtlich im            schutzpreis.de
noch heute die Beschäftigten. Insbesonde-     Herbst 2018 stattfinden. Die prämierten

Internet-Forum zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement
Im neuen Forum der Berufsgenossen-            diskutieren, die nicht direkt mit BGM im     Zu diesen Themen finden sich auch bereits
schaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe         Zusammenhang stehen.                         Beiträge im Forum. Zurzeit wird das Forum
(BGN) haben alle, die sich für das Thema                                                   in erster Linie von Personalverantwortli-
Betriebliches Gesundheitsmanagement           Das BGN-Internet-Forum zum BGM wurde         chen, interessierten Beschäftigten und Si-
(BGM) interessieren, die Möglichkeit,         im Anschluss an eine Bedarfsermittlung       cherheitsfachkräften von BGN- Mitglieds-
sich rund um das Thema auszutauschen,         bei Seminarteilnehmenden und BGN-Mit-        betrieben genutzt. Das Forum lebt von den
eigene Erfahrungen zu teilen, Fragen zu       gliedsbetrieben wurde im Herbst 2016 ge-     Teilnehmenden und nicht zuletzt ist auch
stellen, zu diskutieren und sich Tipps zur    startet. Ein Jahr nach dem Start erfolgte    der branchenübergreifende Austausch in-
Umsetzung zu holen.                           nun eine Online-Evaluation, an der 40        teressant und aufschlussreich.
                                              Personen teilnahmen. Die Mehrheit der
Dabei geht es um Themen wie „Kenn-            Befragten möchte das Forum nutzen, um
zahlen im BGM“, „Wie starte ich ein           in Sachen BGM auf dem neusten Stand
BGM?“ und „BGM-Marketing“. Der Aus-           zu bleiben.                                        Weitere Informationen
tausch findet dabei zwischen BGM-
                                                                                                 Eingeladen sind alle, die sich für
Praktikern und -Praktikerinnen sowie          Weiterhin interessieren sich die User und          das Thema BGM interessieren,
Fachleuten der BGN statt. Zudem gibt es       Userinnen für Themen wie die Gefähr-               schauen Sie doch mal vorbei!
die Möglichkeit, sich in der „Cafeteria“      dungsbeurteilung psychischer Belastun-             https://forum.bgn-akademie.de
persönlich vorzustellen und Themen zu         gen sowie Maßnahmen im BGM.

Zahl des Monats: 100                          Jahre DIN
Ein Hundertjähriges, das Standards setzt: Das Deutsche Institut
für Normung (DIN) ist 100 Jahre alt geworden. Es begann 1917
mit einer Norm für Kegelstifte, einem konischen Stift, der als
Verbindungselement im Maschinenbau verwendet wird. Aktuell
gibt es in Deutschland nahezu 40.000 DIN-Normen. Die be-
rühmteste ist die DIN A4 als Papierformat. Aber diese einfachen
Normen wurden ergänzt durch immer komplexere Normen, die
der höheren Vielschichtigkeit in Wissenschaft, Technik und
Wirtschaft gerecht werden müssen. Denn viele Produkte setzen
sich inzwischen aus mehreren Tausend Komponenten zusam-
                                                                                                                                        Grafik: Cicero Kommunikation

men, die nicht mehr von einem Unternehmen, sondern von
Hunderten von Komponenten- und Systemherstellern in globa-
len Wertschöpfungsketten hergestellt werden. Normen stellen
sicher, dass die verschiedenartigen Komponenten zusammen-
passen und unterschiedliche Systeme möglichst nahtlos zusam-
menarbeiten können.

6    DGUV Forum 12/2017
Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum
Nachrichten aus Brüssel

 Europäische Säule sozialer Rechte – Schritt zu einem sozialen Europa?
 Am 17. November 2017 war es so weit:       Ob und inwieweit diese Grundsätze und        Weitere Schritte – wie zum Beispiel ein
 Nach langwierigen Konsultationen           Rechte tatsächlich zu einem sozialeren       Vorschlag zum Zugang zum Sozial-
 und Verhandlungen haben sich die           Europa führen, bleibt abzuwarten.            schutz – sind in Vorbereitung.
 Staats- und Regierungschefs und -che-      Verschiedene Grundsätze und Rechte,
 finnen, das Europäische Parlament          die Teil der Europäischen Säule sozialer     Klar dürfte jedoch sein, dass es sich bei
 und die Europäische Kommission in          Rechte sind, erfordern weitere legis-        den Grundsätzen und Rechten nicht um
 Göteborg zur feierlichen Proklamation      lative und nicht-legislative Initiativen,    einklagbare Rechte handelt. Auch wenn
 der Europäischen Säule sozialer Rechte     damit sie wirksam werden. Erste Schrit-      der Wortlaut andere Interpretationen
 getroffen.                                  te in diese Richtung hat die Brüsseler Be-   zulässt, handelt es sich bei der Prokla-
                                            hörde bereits gemacht durch die Vorlage      mation doch um einen atypischen
 Zwanzig Grundsätze und Rechte, die         eines Gesetzesvorschlags zur Vereinbar-      Rechtsakt. Dieser begründet keine
 als eine Art Empfehlung an die Mit-        keit von Familie und Beruf für Eltern und    rechtsverbindlichen und unmittelbar
 gliedstaaten gerichtet sind, sollen die    pflegende Angehörige.                         durchsetzbaren Rechte.
 Europäische Union nun „sozialer“ ma-
 chen. Hierzu gehören unter anderem
 die Sicherstellung des Rechts aller Er-
 werbstätigen auf ein hohes Gesund-
 heits- und Sicherheitsniveau bei der
 Arbeit. Aber auch der Zugang zum
 Sozialschutz soll möglichst allen Er-

                                                                                                                              Foto: Sergii Figurnyi/fotolia.com
 werbstätigen ermöglicht werden.
 Außerdem soll Menschen mit Behin-
 derungen der Bezug von Einkommens-
 beihilfen und Dienstleistungen, die
 ihnen die Teilhabe am Arbeitsmarkt
 und gesellschaftlichen Leben ermögli-
 chen, gesichert werden.

 Europäische Elektronische Dienstleistungskarte –
 deutsche Sozialversicherung bezieht Stellung
 Die Europäische Kommission bemüht          keit im Ausland vorgeschrieben sind,         Daten ausgesprochen, um unvorher-
 sich nach wie vor, den Bürgerinnen         erleichtern. Die Vorschläge der Europäi-     sehbare Auswirkungen für die Sozial-
 und Bürgern sowie den Unternehmen          schen Kommission berühren zum Teil           versicherungsträger zu vermeiden. Das
 die Wahrnehmung ihrer Rechte und           auch die gesetzliche Sozialversicherung.     Europäische Parlament und der Rat dis-
 Pflichten im Europäischen Binnen-          So soll nach den veröffentlichten Rege-       kutieren aktuell die Vorschläge.
 markt zu vereinfachen.                     lungen die Karte teilweise auch mit Sozi-
                                            alversicherungsdaten verknüpft sein.         Im Rat gehen die Diskussionen aller-
 Dieses Ziel verfolgt auch die Idee, eine                                                dings nur schleppend voran. Zahlrei-
 Europäische Elektronische Dienstleis-      Die Spitzenorganisationen der deutschen      che Mitgliedstaaten haben Änderungs-
 tungskarte einzuführen. Sie soll die       Sozialversicherung sehen dies kritisch.      bedarf angemeldet, so zum Bei spiel
 Erfüllung von Verwaltungsformalitä-        Sie haben sich mit einer Stellungnahme       neben Deutschland auch Luxemburg
 ten, die für eine Dienstleistungstätig-    für die rechtssichere Herausnahme dieser     und Frankreich.

Weitere Informationen: ilka.woelfle@dsv-europa.de

                                                                                                           DGUV Forum 12/2017                                     7
Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum
Titelthema

Vierte BKV-Änderungsverordnung

Die neuen
Berufskrankheiten in
der Berufskrankheiten-
verordnung
Die vierte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verord-
nung (4. BKV-ÄndV) wurde am 24. Mai 2017 durch die Bundesre-
gierung beschlossen und ist nach Zustimmung des Bundesrates
am 7. Juli 2017 zum 1. August 2017 in Kraft getreten.

Knapp zwei Jahre nach der letzten Verord-   • BK-Nummer 2115: „Fokale Dystonie als
nung zur Änderung der Berufskrank-            Erkrankung des zentralen Nervensystems
heitenverordnung (3. BKV-ÄndV) be-            bei Instrumentalmusikern durch feinmo-
schloss der Verordnungsgeber mit der 4.       torische Tätigkeit hoher Intensität“ 5
BKV-ÄndV1 die Aufnahme drei weiterer
Berufskrankheiten (BK) in die Berufs-       Bei den Berufskrankheiten-Nummern
krank heitenliste (Anlage der Berufs -      (BK-Nrn.) 4104 6 und 4113 7 sind die Tat-
krankheitenverordnung, BKV2) sowie die      bes tände durch die Krankheitsbilder
Ergänzung zwei bestehender Berufs-          „Eier stockkrebs“ 8 (BK-Nr. 4104) und
krankheiten.                                „Kehlkopfkrebs“ 9 (BK-Nr. 4113) ergänzt
                                            worden.
Bei den neu in die Liste aufgenommenen
Berufskrankheiten handelt es sich um        Mit der 4. BKV-ÄndV ist der Verordnungs-
zwei durch chemische Einwirkungen ver-      geber innerhalb kürzester Zeit allen Emp-
ursachte Berufskrankheiten sowie eine       fehlungen des Ärztlichen Sachverständi-
neurologische BK:                           genbeirats „Berufskrankheiten“ (ÄSVB)
• BK-Nummer 1320: „Chronisch-mye-           seit der letzten Listenergänzung gefolgt.
  loische oder chronisch-lymphatische
  Leukämie durch 1,3-Butadien bei           Damit umfasst die Liste der Berufskrank-
  Nachweis der Einwirkung einer ku-         heiten nun seit dem 1. August 2017 insge-
  mulativen Dosis von mindestens 180        samt 80 Positionen.
  Butadien-Jahren (ppm x Jahre)“ 3                                                       nengruppen durch ihre versicherte Tätig-
• BK-Nummer 1321: „Schleimhautverände-      Einführung neuer Berufskrankheiten           keit in erheblich höherem Grade als die üb-
  rungen, Krebs oder andere Neubildun-      Berufskrankheiten sind Erkrankungen, die     rige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9
  gen der Harnwege durch polyzyklische      versicherte Personen durch ihre versicher-   Absatz 1 Sozialgesetzbuch 7 – Gesetzliche
  aromatische Kohlenwasserstoffe bei         te Tätigkeit erleiden und die nach den Er-   Unfallversicherung – SGB VII). Sie werden
  Nachweis der Einwirkung einer kumula-     kenntnissen der medizinischen Wissen-        in der sogenannten Berufskrankheitenliste
  tiven Dosis von mindestens 80 Benzo(a)    schaft durch besondere Einwirkungen          (Anlage 1 der BKV) aufgeführt. Bevor eine
  pyren-Jahren [(μg/m³) x Jahre]“4          verursacht sind, denen bestimmte Perso-      Erkrankung in diese Liste aufgenommen

Autorin und Autoren

Patricia Heinisch                           Dr. Carsten Fritz                            Fred-Dieter Zagrodnik
Referat Berufskrankheiten der DGUV          Referat Berufskrankheiten der DGUV           Referat Berufskrankheiten der DGUV
E-Mail: patricia.heinisch@dguv.de           E-Mail: carsten.fritz@dguv.de                E-Mail: fred-dieter.zagrodnik@dguv.de

8   DGUV Forum 12/2017
Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum
Foto: Dobrovizcki/Shutterstock.com
Arbeitsbedingte Exposition bei der Herstellung und Weiterverarbeitung von Butadien.

                                                                                      Weitere Informationen
                                                                                      Einen Überblick über die aktuellen
                                                                                      Beratungsthemen des ÄSVB bietet
                                                                                      dessen Internetauftritt unter: www.
                                                                                      bmas.de/DE/Themen/Soziale-
                                                                                      Sicherung/Gesetzliche-Unfallversi-
    „Bevor eine Erkrankung in diese Liste aufgenommen wird,                           cherung/der-aerztliche-sachversta-
                                                                                      endigenbeirat-berufskrankheiten.
      müssen ausreichende gesicherte medizinisch-wissen-                              html. Dort können sich Interessierte
    schaftliche Erkenntnisse über einen Ursachenzusammen-                             auch über die Aufgaben und die
                                                                                      konkrete Zusammensetzung des
     hang zwischen einer bestimmten Einwirkung und einer
                                                                                      ÄSVB informieren. Die Arbeitsweise
               bestimmten Erkrankung existieren.“                                     des ÄSVB ist hierdurch insgesamt
                                                                                      transparenter gestaltet worden – ein
                                                                                      Wunsch, der auch in den Diskus-
                                                                                      sionen zur Weiterentwicklung des
                                                                                      Berufskrankheitenrechts vielfach
                                                                                      geäußert wurde.27
                                                                                                                                 ▸
                                                                                                  DGUV Forum 12/2017         9
Berufskrankheiten - Ausgabe 12 2017 - DGUV Forum
Titelthema

wird, müssen ausreichende gesicherte         tenliste im Einzelfall wie eine Berufskrank-   sorten sowie in der Kunststoffindustrie auf-
medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnis-    heit nach § 9 Absatz 2 SGB VII anerkannt       treten.12 Damit können verschiedenste
se über einen Ursachenzusammenhang           werden, wenn die erforderlichen neuen          Gewerbezweige von einer arbeitsbedingten
zwischen einer bestimmten Einwirkung und     Erkenntnisse der medizinischen Wis-            Exposition durch 1,3-Butadien betroffen
einer bestimmten Erkrankung existieren.      senschaft vorliegen. Dies ist spätestens       sein, wie etwa die Automobilindustrie auf-
Hinweise auf diesen Ursachenzusammen-        ab der Veröffentlichung der jeweiligen         grund der Verwendung von Gummimateri-
hang können zum Beispiel von Ärztinnen       wissenschaftlichen Begründung des ÄSVB         alien in der Herstellung von Autoreifen,
und Ärzten, Krankenkassen oder auch Prä-     der Fall.                                      Dichtmaterial, Antriebsriemen und Kabel-
ventionsdiensten stammen, denen eine auf-                                                   ummantelungen. Kunstkautschuk findet
fällige Häufung von Krankheitsfällen bei     Die Berufskrankheiten im Einzelnen             aber auch in der Produktion von Haus-
Beschäftigten bekannt geworden ist, aber     Für vier der neu formulierten oder ergänz-     halts- und Konsumgütern, beispielsweise
auch unter Umständen aus Diskussionen        ten BK-Tatbestände (BK-Nrn. 1320, 1321,        für Gehäuse von Elektrogeräten und
internationaler Studien und Fachtagungen.    4104, 4113) sind konkrete Dosis-Grenzwer-      Gummihandschuhen, sowie der Beklei-
                                             te anhand der ausgewerteten Studienlage        dungsindustrie etwa für Schuhsohlen und
Der ÄSVB, ein unabhängiges, weisungs-        abgeleitet worden. Bei der fokalen Dysto-      Taucheranzüge Verwendung. In deren Her-
freies Beratungsgremium der Bun des-         nie (BK-Nr. 2115) reichten die medizinisch-    stellungsprozessen kann ebenfalls eine ar-
regierung, trägt die medizinisch-wissen-     wissenschaftlichen Erkenntnisse für die        beitsbedingte Exposition durch Butadien
schaftlichen Erkenntnisse aus verschie -     Ableitung einer konkreten Dosis hingegen       auftreten. Ein weiterer gefährdeter und zu-
denen Bereichen wie etwa der Toxikolo-       nicht aus. Jedoch konnte die betroffene        nehmend wachsender Bereich betrifft die
gie, Pathologie, Biomechanik und Epide-      Personengruppe der Instrumentalmusiker         Fertigung von Kunststoffbauteilen mittels
miologie zusammen und bewertet diese.        und -musikerinnen sehr konkret umschrie-       3D-Druckverfahren. Dagegen hat 1,3-Buta-
Er prüft, ob eine bestimmte Einwirkung       ben werden.                                    dien in Endprodukten keine Relevanz, da
grundsätzlich geeignet ist, eine bestimm-                                                   das Butadien fest vernetzt im Produkt vor-
te Erkrankung zu verursachen. Besteht        Nachfolgend werden die neuen Berufs-           liegt und nicht weiter austreten kann.
darüber hinaus für eine bestimmte Perso-     krankheiten mit Bezug auf die Inhalte der
nengruppe durch ihre Arbeitstätigkeit in     wissenschaftlichen Begründungen kurz           Für die Anerkennung als BK wird vom Ver-
einem wesentlich höheren Maße als bei        dargestellt.                                   ordnungsgeber im Berufskrankheiten-Tat-
                                                                                            bestand (BK-Tatbestand) ein kumulatives
                                                                                            Dosismaß von mindestens 180 (ppm x Jah-
                                                                                            re) festgelegt.13
       „Die Berufskrankheitenliste wird stetig fortgeführt, sodass
       auch in Zukunft mit der Aufnahme weiterer BK in die Liste                            BK-Nummer 1321
                       gerechnet werden kann.“                                              Die BK-Nr. 1321 umfasst Schleimhautverän-
                                                                                            derungen, Krebs oder andere Neubildun-
                                                                                            gen der Harnwege durch polyzyklische aro-
                                                                                            matische Kohlenwasserstoffe (PAK). PAK
der Allgemeinbevölkerung die Gefahr, der     BK-Nummer 1320                                 entstehen bei der unvollständigen Verbren-
Erkrankung, empfiehlt er der Bundesregie-     Unter die BK-Nr. 1320 fallen die chronisch-    nung von organischem Material wie Holz,
rung die Aufnahme der Erkrankung in die      myeloische und chronisch-lymphatische          Kohle oder Öl, also auch bei Waldbränden,
Berufskrankheitenliste.                      Leukämie.10 Die akuten Formen der zuvor        Vulkanausbrüchen, der Ölförderung und
                                             genannten Leukämien sind dagegen nicht         beim Rauchen von Tabak. Daher ist jeder
Seine Erkenntnisse fasst der ÄSVB in einer   Gegenstand dieser Berufskrankheit.             Mensch grundsätzlich einer umweltbe-
wissenschaftlichen Begründung zusam-                                                        dingten individuellen PAK-Belastung
men. Anschließend prüft die Bundesregie-     Die Krankheitsbilder dieser BK entstehen       ausgesetzt. Beschäftigte können in der
rung die Aufnahme der Erkrankung in die      durch eine Einwirkung von 1,3-Butadien         Arbeitswelt durch eine Vielzahl zusätzli-
Berufskrankheitenliste auch unter sozial-    über die Atemwege.11 Eine solche Exposi-       cher PAK-Quellen gefährdet sein. Dabei
politischen Überlegungen.                    tion kann arbeitsbedingt nicht nur bei der     stehen unter anderem die Herstellung von
                                             Herstellung von Butadien, sondern auch         Koks und die Weiterverarbeitung des in
Erkrankungen können aber auch schon          bei dessen Weiterverarbeitung bei der Her-     den Kokereien anfallenden Steinkohlen-
vor der Aufnahme in die Berufskrankhei-      stellung verschiedener Kunstkautschuk-         teers im Mittelpunkt. Steinkohlenteer fin-

10   DGUV Forum 12/2017
Berufskrankheitenverordnung

det Verwendung in Teerraffinerien, in der         betroffen.21 Sie äußert sich durch einen         (orofaciale Muskulatur) oder einer Extre-
Eisen- und Stahlerzeugung, in der Alumi-        zunächst schmerzlosen Verlust der Koor-          mität wie etwa der Hand. Im fortgeschrit-
nium- und Elektrographitindustrie, im           dinationsfähigkeit der Muskulatur des            tenen Stadium können die Symptome
Straßenbau sowie im Dachdeckerhand-             Mundes, der Lippen und des Gesichts              sogar auch bei ähnlichen Bewegungsab-          ▸
werk. Des Weiteren sind Schornsteinfege-
rinnen und -feger gefährdet, die beim Rei-
nigen von Haus- und Industriekaminen
sowie beim Auffegen des Kaminrußes ei-
                                                     Fußnoten
ner Exposition durch PAK ausgesetzt sind.
                                                     [1] Vierte Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung, Bek. des BMAS
Der Kaminruß weist in Abhängigkeit von               vom 12.07.2017, BGBl. I 10.07.2017, S. 2299
der Art des verwendeten Brennstoffs un-
                                                     [2] Berufskrankheitenverordnung, abrufbar unter: www.bmas.de/DE/Service/Gesetze/
terschiedliche Konzentrationen von PAK               berufskrankheiten-verordnung.html
auf.14 Als Leitkomponente für die Bestim-
                                                     [3] Wissenschaftliche Begründung, Bek. des BMAS vom 01.07.2016 – IVa4-45222 –
mung der PAK-Belastung am Arbeitsplatz
                                                     GMBl. 26.08.2016, S. 659–665, abrufbar unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/
dient Benzo(a)pyren (BaP).15                         Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Berufskrankheiten/Merkblaetter.html
                                                     [4] Wissenschaftliche Begründung, Bek. des BMAS vom 01.07.2016 – IVa4-45222 –
Die Aufnahme von PAK erfolgt über die                GMBl. 26.08.2016, S. 650–653, abrufbar unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/
Atemwege und die Haut.16 In den der wis-             Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Berufskrankheiten/Merkblaetter.html
senschaftlichen Begründung zugrunde                  [5] Wissenschaftliche Begründung, Bek. des BMAS vom 01.07.2016 – IVa4-45222 –
liegenden Studien lag neben der Aufnah-              GMBl. 26.08.2016, S. 666–687, abrufbar unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/
me von PAK über die Atemwege regelmä-                Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Berufskrankheiten/Merkblaetter.html
ßig auch eine gewisse Hautresorption vor,            [6] Neue Formulierung der BK-Nr. 4104: Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs oder Eierstock-
ohne dass diese in den Studien gesondert             krebs
ausgeführt und berechnet wurde. „Als                    • in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose)
konkurrierender Faktor für die Entwick-                 • in Verbindung mit durch Asbeststaub verursachter Erkrankung der Pleura oder
lung von bösartigen Tumoren der Harnwe-
                                                        • bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis am
ge ist insbesondere Aktivrauchen von Ta-                  Arbeitsplatz von mindestens 25 Faserjahren {25 x 106 [(Fasern/m³) x Jahre]}
bakprodukten anzusehen.“ 17
                                                     [7] Neue Formulierung der BK-Nr. 4113: Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs durch polyzy-
                                                     klische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumula-
Für die Anerkennung einer BK-Nr. 1321                tiven Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren [(μg/m³) x Jahre]
formulierte der Verordnungsgeber im                  [8] Wissenschaftliche Begründung, Bek. des BMAS vom 01.12.2016 – IVa4-45222 –
Tatbestand anhand der Leitkomponente                 GMBl. 31.01.2017, S. 15–28, abrufbar unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/
Benz(a)pyren einen Dosis-Grenzwert                   Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Berufskrankheiten/Merkblaetter.html
von einer kumulativen Benz(a)pyren-                  [9] Wissenschaftliche Begründung, Bek. des BMAS vom 01.07.2016 – IVa4-45222-4113
Dosis von mindestens 80 [(μg BaP/m³) x               –GMBl. 26.8.2016, S. 653–659, abrufbar unter: https://www.baua.de/DE/Angebote/
Jahre].18                                            Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Berufskrankheiten/Merkblaetter.html
                                                     [10] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 1320, Abschnitt 3, S. 6
BK-Nummer 2115                                       [11] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 1320, Abschnitt 2.1, S. 3
Die BK-Nr. 2115 bezeichnet die fokale                [12] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 1320, Abschnitt 1.1, S. 1-2
Dystonie als Erkrankung des zentralen
                                                     [13] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 1320, Abschnitt 4, S. 6
Nervensystems durch feinmotorische
Tätigkeiten mit hoher Intensität bei Inst-           [14] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 1321, Abschnitt 2.1, S. 1-3
rumentalmusikern und -musikerinnen.                  [15] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 1321, Abschnitt 1, S. 1
                                                     [16] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 1321, Abschnitt 2.1, S. 1
Fokale Dystonien gehören weder zu den                [17] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 1321, Abschnitt 4, S. 10
peripher-neurologischen Erkrankungen
                                                     [18] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 1321, Abschnitt 5, S. 10
(BK-Nrn. 2106 und 2113) noch zu den me-
                                                     [19] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 2115, Abschnitt 8.6, S. 43-44
chanisch bedingten Erkrankungen (zum
Beispiel BK-Nr. 2101). Sie stellen ein eigen-        [20] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 2115, Abschnitt 8.5.3, S. 42-43
ständiges Krankheitsbild der Basalgang-              [21] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 2115, Abschnitt 8.1, S. 29-30
lien dar.19 Die fokale Dystonie drückt sich          [22] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 2115, Abschnitt 8.4, S. 39
primär durch den – in der Regel schmerz-
                                                     [23] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 2115, Abschnitt 8.4, S. 34
losen – Verlust der Koordinationsfähigkeit
                                                     [24] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 2115, Abschnitt 8.4, S. 33
eines Körperteils aus.20
                                                     [25] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 2115, Abschnitt 8.4, S. 34
Eine Dystonie ist durch länger anhalten-             [26] Wissenschaftliche Begründung zur BK-Nr. 4104, Abschnitt 4, S. 14–15
de unwillkürliche Verkrampfung der Mus-              [27] Berufskrankheitenrecht 2016 – Probleme – Herausforderungen – Lösungen, DGUV,
kulatur gekennzeichnet. Bei der fokalen              2016, http://publikationen.dguv.de/dguv/?XLINKID=26625
Dystonie sind nur einzelne Körperteile

                                                                                                                     DGUV Forum 12/2017    11
Ergänzung der BK-Nummer 4113 Lun-
                                                                                                                        genkrebs durch polyzyklische aroma-
                                                                                                                        tische Kohlenwasserstoffe
                                                                                                                        Nachdem inzwischen auch für das Krank-
                                                                                                                        heitsbild „Kehlkopfkrebs“ ausreichende
                                                                                                                        wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen,
                                                                                                                        wurde die BK-Nr. 4113 entsprechend ergänzt.

                                                                                    Foto: Africa Studio / fotolia.com
                                                                                                                        Zu den arbeitsbedingten Einwirkungen
                                                                                                                        durch PAK wird auf die obigen Ausführun-
                                                                                                                        gen zur BK-Nr. 1321 verwiesen. Für die Lo-
                                                                                                                        kalisation Kehlkopf gilt die gleiche Dosis
                                                                                                                        wie in der benachbarten Lokalisation Lun-
                                                                                                                        ge (Nachweis der Einwirkung einer kumu-
                                                                                                                        lativen Dosis von mindestens 100 Benz(a)
                                                                                                                        pyren-Jahren [(μg BaP/m³) x Jahre]). Für
Die fokale Dystonie entsteht arbeitsbedingt durch professionelles langjäh-                                              die Entwicklung von Kehlkopfkrebs wur-
riges, repetitives und intensives Musizieren.                                                                           de, wie auch schon bei der BK-Nr. 1321,
                                                                                                                        insbesondere aktives Rauchen von Tabak-
                                                                                                                        produkten als konkurrierende Ursache
läufen im Alltag auftreten, wie beispiels-   fen bei ersten Anzeichen von Symptomen                                     angesehen.
weise beim Halten des Bestecks.22            und geeignete präventive Maßnahmen
                                             von besonderer Wichtigkeit.                                                Fazit
Die fokale Dystonie entsteht arbeitsbe-                                                                                 Mit der 4. BKV-ÄndV ist es dem Verordnungs-
dingt durch langjähriges, repetitives und    Ergänzung der BK-Nummer 4104                                               geber größtenteils gelungen, die neuen
intensives Musizieren auf professionellem    Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs                                             Berufskrankheiten sehr differenziert zu
Niveau. Ein solches Niveau ist nach der      durch Asbest                                                               bezeichnen. Vier der fünf zitierten BK-Tatbe-
derzeitigen wissenschaftlichen Erkennt-      Die bisher schon in der BK-Liste enthalte-                                 stände beinhalten eindeutige Dosismaße
nislage in der Regel bei einem Orientie-     ne BK-Nr. 4104 wird um das Krankheits-                                     (BK-Nrn. 1320, 1321, 4104, 4113). Für die foka-
rungswert von rund 10.000 Stunden er-        bild „Ovarialkarzinom“ ergänzt. Hinter                                     le Dystonie bei Instrumentalmusikern und
reicht. Ein nur gelegentliches Musizieren    diesem lateinischen Begriff verbirgt sich                                   -musikerinnen (BK-Nr. 2115) ist zumindest die
über viele Jahrzehnte hinweg verursacht      Eierstockkrebs, sodass die Ergänzung nur                                   betroffene Personengruppe sehr konkret be-
das Krankheitsbild der fokalen Dystonie      Frauen betrifft.                                                            schrieben. Dies trägt zur Rechtssicherheit
im Sinne dieser Berufskrankheit nicht.23                                                                                und Rechtsklarheit in der Praxis bei.
Betroffen können Berufsmusiker und -mu-       Wie bisher schon beim Lungen- oder Kehl-
sikerinnen sein, die aktiv oder ehemals      kopfkrebs ist die Anerkennung eines Ova-                                   Die 4. BKV-ÄndV ist im Vergleich zur 3. BKV-
aktiv Tasten- und Zupfinstrumente,           rialkarzinoms als Berufskrankheit nach                                     ÄndV jedoch innerhalb einer nur kurzen
Streich-, Holzblas- sowie insbesondere       folgenden Alternativen möglich:                                            Zeitspanne nach Veröffentlichung der jewei-
Blechblasinstrumente und Perkussions-        • in Verbindung mit Asbeststaublun-                                        ligen wissenschaftlichen Begründungen
instrumente gespielt haben.24 Häufig sind       generkrankung (Asbestose)                                                (August und Dezember 2016) in Kraft getre-
die betroffenen Personen nicht mehr in        • in Verbindung mit durch Asbeststaub                                      ten. Damit könnte einhergehen, dass die
der Lage, ihre professionelle Tätigkeit        verursachter Erkrankung der Pleura                                       neuen BKen insbesondere bei Ärztinnen
auszuüben. Sie sind gezwungen, ihre Kar-       oder                                                                     und Ärzten sowie Arbeitgebenden, für die
riere zu beenden. Auch aufgrund der he-      • bei Nachweis der Einwirkung einer                                        eine gesetzliche Anzeigepflicht von BK-Ver-
terogenen Erfassung der Übungszeit in          kumulativen Asbestfaserstaub-Dosis                                       dachtsfällen besteht, verstärkt wahrgenom-
den der wissenschaftlichen Begründung          am Arbeitsplatz von mindestens 25                                        men und beachtet werden. In der beschrie-
zugrunde gelegten Studien, fehlt es an         Faserjahren {25 x 106 [(Fasern/m³) x                                     benen kurzen Zeitspanne gab es bisher
entsprechend gesicherten medizinisch-          Jahre]}26                                                                wenig wissenschaftliche Diskussionen in
wissenschaftlichen Erkenntnissen für die                                                                                der Öffentlichkeit. Damit ist zum jetzigen
Ableitung einer genauen Dosis-Wirkungs-      Besonders häufige berufliche Asbestexpo-                                     Zeitpunkt unklar, ob beim Inkrafttreten der
Beziehung, sodass in der wissenschaftli-     sitionen gab es für Frauen beispielsweise                                  4. BKV-ÄndV der Erkenntnisprozess zu den
chen Begründung nur Orientierungswer-        in der Asbest-Textilindustrie.                                             neu aufgenommenen Berufskrankheiten
te genannt werden.25                                                                                                    schon vollständig abgeschlossen war oder
                                             Mit Einführung des neuen Krankheitsbil-                                    noch offene Fragen für die Beurteilung der
Derzeit gibt es für Erkrankte mit fokaler    des „Eierstockkrebs“ steht die Unfallversi-                                Einzelfälle verbleiben oder entstehen. Die
Dystonie nur wenige und unzureichend         cherung vor einer besonderen Herausfor-                                    Berufskrankheitenliste wird stetig fortge-
wirkende Therapien, die keine zuverlässi-    derung, da dies für viele Gynäkologinnen                                   führt, sodass auch in Zukunft mit der Auf-
ge und erfolgreiche Behandlung verspre-      und Gynäkologen der erste Kontakt mit Be-                                  nahme weiterer BK in die Liste gerechnet
chen. Daher sind ein frühzeitiges Eingrei-   rufskrankheiten sein könnte.                                               werden kann.                              ●

12   DGUV Forum 12/2017
Forschungsschwerpunkte

Berufskrankheiten

Aktuelle Forschungsschwerpunkte
veröffentlicht
Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) unterstützt Forschung zu Berufskrankheiten.

Wenn Kritik am Berufskrankheitenrecht         derer Forschungsbedarf gesehen wird,          (ÄSVB)2, insbesondere bei häufig
geäußert wird, kommt oft auch der Vor-        beschlossen worden.                           vorkommenden Erkrankungen zur
wurf, es fände zu wenig Forschung zu Be-                                                    Abgrenzung der besonderen Perso-
rufskrankheiten statt.                        Mit der Bekanntmachung will die DGUV          nengruppe
                                              potenzielle Forschungsnehmer und -neh-      • Kanzerogenität von (BK-)Listenstoffen
Nach einer Auswertung der Deutschen           merinnen anregen, entsprechende För-          und deren Subtypen beim Menschen
Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Um-       derungsanträge zu diesen wichtigen For-     • Kombinationswirkungen von Kan-
weltmedizin (DGAUM) hat die deutsche ar-      schungsfeldern an die DGUV zu richten.        zerogenen
beitsmedizinische Hochschulmedizin zu         Mit dieser Maßnahme soll gleichzeitig die
keinem Zeitpunkt mehr hochwertige, inter-     Transparenz der Forschung und For-
nationale Publikationen veröffentlicht als     schungsförderung der gesetzlichen Un-
in den vergangenen Jahren. Dies zeigt zum     fallversicherung erhöht und die öffentli-
Beispiel eine simple Analyse im Web of Sci-   che Wahrnehmung von Forschung mit
ence (Abb. 1 und 2).                          BK-Relevanz verbessert werden. Diese
                                                                                               Literatur
                                              Zielsetzung entspricht auch der Positio-
                                                                                               Deutsche Gesetzliche Unfallver-
Trotzdem wurde bei verschiedenen Diskus-      nierung der DGUV im Weißbuch Berufs-             sicherung (DGUV) (Hrsg.): Berufs-
sionen zum Reformbedarf im Recht der Be-      krankheitenrecht (DGUV 2016) zu einer            krankheitenrecht 2016: Probleme
rufskrankheiten wiederholt der Ausbau der     anzustrebenden besseren öffentlichen             – Herausforderungen – Lösungen.
Forschung zum Thema Berufskrankheiten         Wahrnehmung sowohl der Forschung im              Dezember 2016
gefordert. So zum Beispiel auch in der vo-    Bereich Berufskrankheiten als auch der           http://publikationen.dguv.de/
rigen Konferenz der Ministerinnen und Mi-     Forschungsförderung der gesetzlichen             dguv/pdf/10002/12473.pdf (Abruf:
                                                                                               16.10.2017)
nister, Senatorinnen und Senatoren für Ar-    Unfallversicherung.
beit und Soziales der Länder (ASMK)1: „Im
Rahmen der Reform des Berufskrankhei-         Die Identifikation der Themen erfolgte in
tenrechts bitten sie das BMAS […] darauf      einem mehrstufigen Prozess unter Betei-
hinzuwirken, dass die Forschung zu den        ligung von Fachleuten aus der Praxis und
Berufskrankheiten ausgebaut wird.“            Sozialpartnern. Im Ergebnis wurden fol-
                                                                                               Fußnoten
                                              gende Forschungsfelder als besonders
                                                                                               [1] Beschluss der 93. ASMK am 01.
Auch die Deutsche Gesetzliche Unfallver-      wichtig identifiziert:                            und 02.12.2016 in Lübeck
sicherung (DGUV) hat sich im Prozess um       • Berücksichtigung von Belastungsspit-
                                                                                               [2] Die Beratungsthemen sind je-
Weiterentwicklungen im Recht der Berufs-        zen bei schädigender Dauereinwir-              weils aktuell auf der Internetseite
krankheiten mit diesem Themenfeld be-           kung                                           www.bmas.de/DE/Themen/Soziale-
schäftigt. Als ein Schritt auf dem Weg zur    • Forschung zu Dosis-Wirkungs-Bezie-             Sicherung/Gesetzliche-Unfallversi-
Stärkung einer an den aktuellen Bedarfen        hungen bei den Beratungsthemen des             cherung/der-aerztliche-sachversta-
                                                                                               endigenbeirat-berufskrankheiten.
ausgerichteten Forschung ist nun die Be-        Ärztlichen Sachverständigenbeirats
                                                                                               html aufgeführt.
kanntmachung von Themenfeldern im Be-           „Berufskrankheiten“ beim Bundes-
                                                                                               [3] Die Unfallversicherungsträger
reich Berufskrankheiten, in denen beson-        ministerium für Arbeit und Soziales
                                                                                               haben folgende von allen gemein-
                                                                                               sam getragene DGUV-Institute ein-
                                                                                               gerichtet: IFA – Institut für Arbeits-
Autorinnen                                                                                     schutz der Deutschen Gesetzlichen
                                                                                               Unfallversicherung, IPA – Institut für
                                                                                               Prävention und Arbeitsmedizin der
                                                                                               Deutschen Gesetzlichen Unfallversi-
Dr. Ulrike Wolf                               Stefanie Palfner                                 cherung sowie IAG – Institut für Ar-
Referat Berufskrankheiten                     Referat Berufskrankheiten                        beit und Gesundheit der Deutschen
der DGUV                                      der DGUV                                         Gesetzlichen Unfallversicherung.
E-Mail: ulrike.wolf@dguv.de                   E-Mail: stefanie.palfner@dguv.de                                                               ▸
                                                                                                            DGUV Forum 12/2017          13
Titelthema

                        „Die Forschung der DGUV konzentriert sich auf
                       Themen, die für die Unfallversicherung und ihre
                                  Aufgaben prioritär sind.“

                                                                                        • Psychische Erkrankungen durch an-
                               Zitationen pro Jahr                                        haltende psychische Belastungen am
                   Die vergangenen 20 Jahre werden angezeigt                              Arbeitsplatz
                                                                                        • Chronisch-obstruktive Atemwegs-
         24,000                                                                           erkrankungen (Bronchitis) durch
         22,000                                                                           anorganische, insbesondere granu-
         20,000                                                                           läre biobeständige oder quarzhaltige
         18,000                                                                           Stäube
         16,000                                                                         • Hautkrebs durch künstliche UV-
         14,000                                                                           Strahlung
         12,000
         10,000
                                                                                        Die Forschung der DGUV ist schwerpunkt-
          8,000                                                                         mäßig anwendungsorientiert und konzen-
          6,000                                                                         triert sich auf Themen, die für die Unfall-
          4,000                                                                         versicherung und ihre Aufgaben prioritär
          2,000                                                                         sind. Entscheidend ist daher, dass die zu
               0                                                                        erwartenden Ergebnisse für die Aufgaben
                    2000

                    2008
                    2006

                    2009
                    2004

                                                                                        der gesetzlichen Unfallversicherung
                    2003
                    2002

                    2007
                    2005
                    1998
                    1999

                    2001

                    2010

                    2016
                    2014

                    2017
                    2012
                    2013

                    2015
                    2011

                                                                                        genutzt werden können. Die identifizier-
                                                                                        ten Themen spiegeln sich auch in For-
                                                                                        schungsaktivitäten der DGUV-Institute3
                          Veröffentlichte Artikel pro Jahr
                   Die vergangenen 20 Jahre werden angezeigt                            wieder. Sofern es sinnvoll ist, wird daher
                                                                                        eine wissenschaftliche Kooperation zwi-
             600                                                                        schen den Antragstellenenden und den
             550                                                                        DGUV-Instituten angestrebt.
             500
             450                                                                        Die oben genannten Forschungsschwer-
             400
                                                                                        punkte werden auf der Internetseite
                                                                                        „Forschungsförderung“ der DGUV
             350
                                                                                        (www.dguv.de, Webcode: d91768) und
             300                                                                        auf der Plattform ELFI (www.elfi.info)
             250                                                                        öffentlich bekannt gemacht.
             200
             150                                                                        Interessierte Forschungseinrichtungen
             100                                                                        und -konsortien können ihre Anträge
                                                                                        jederzeit beim Referat Forschungsförde-
              50
                                                                                        rung der DGUV einreichen. Es ist auch
              0                                                                         weiterhin möglich, Anträge zu anderen
                    2000

                    2008
                    2006

                    2009
                    2004
                    2003
                    2002

                    2007
                    2005
                    1998
                    1999

                    2001

                    2010

                    2016
                    2014

                    2017
                    2012
                    2013

                    2015
                    2011

                                                                                        Themen als den genannten Forschungs-
                                                                                        schwerpunkten einzureichen. Nähere
                                                                                        Informationen zur DGUV-Forschungs-
Abb. 1 und 2: Anzahl der Publikationen sowie zitierten Artikel der deutschen arbeits-   förderung sowie zur Antragstellung
medizinischen Hochschulmedizin in den Jahren 1998 bis 2017 (2017 unvollständig          sind zu finden unter: www.dguv.de
erfasst). Quelle: Prof. Hans Drexler, Vorstand DGAUM.                                   (Webcode: d91768)                     ●

14   DGUV Forum 12/2017
Wirbelsäulenerkrankungen

               Stand zur Rechtsprechung

               Aktuelles zu den
               Wirbelsäulenerkrankungen
               Vor 25 Jahren wurden Wirbelsäulenerkrankungen in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen.
               Der Diskussionsbedarf ist weiterhin hoch.

               Mehr als 25 Jahre nach der Einführung der      brink, der Vorsitzende des am 23. April       zwischen der Arbeitsgemeinschaft der
               Wirbelsäulenerkrankungen als Berufs-           2015 entscheidenden Senats des BSG,           Wissenschaftlichen Medizinischen Fach-
               krankheiten nach den Nummern 2108,             seine tragenden Gründe. Die Frage, wie        gesellschaften (AWMF), der Deutschen
               2109 und 2110 der Anlage zur BKV ist der       hoch eine Exposition sein müsse, um als       Gesellschaft für Arbeitsmedizin und
               Diskussionsbedarf immer noch hoch.             besonderes Kriterium der B2-Konstellation     Umweltmedizin (DGAUM), der Deutschen
                                                              der Konsensempfehlungen einen Ursa-           Gesellschaft für Sozialmedizin und Prä-
               Dies zeigt sich nicht nur in Beiträgen wis-    chenzusammenhang zwischen den lang-           vention (DGSMP) und der Deutschen Ge-
               senschaftlicher Fachzeitschriften, son-        jährigen Hebe- und Tragevorgängen mit         setzlichen Unfallversicherung (DGUV)
               dern auch in der Rechtsprechung des            der bandscheibenbedingten Lendenwir-          entwickelten Grundsätzen zur Erstellung
               Bundessozialgerichts (BSG) zuletzt vom         belsäulenerkrankung begründen zu kön-         von Begutachtungsempfehlungen erarbei-
               23. April 2015 (vgl. Infokasten, S. 16). Die   nen, sei keine rechtliche, sondern eine me-   tet worden.
               kontroversen Einschätzungen zu diesen          dizinisch-wissenschaftliche. Hierzu habe
               nicht zuletzt bei der Kausalitätsbewertung     der erkennende Senat keine eigenen Fest-      Keine Mehrheitsmeinung ableitbar
               nicht ganz unkomplizierten Berufskrank-        stellungen vorzunehmen gehabt, sondern        In der Gesamtschau aller Quellen sei eine
               heiten wurden kürzlich im Bundessozial-        sei auf den aktuellen medizinisch-wissen-     eindeutige oder zumindest eine Mehr-
               gericht noch einmal besonders deutlich         schaftlichen Erkenntnisstand angewiesen.      heitsmeinung zur Definition des genann-
               und bedürfen einer Einordnung eines            Dieser könne sich grundsätzlich aus den       ten „Richtwertes“ nicht ableitbar. Wegen
               strukturierten weiteren Vorgehens.             Konsensempfehlungen ergeben, da diese         der unterschiedlichen medizinisch-wis-
                                                              trotz der seit ihrer Veröffentlichung be-     senschaftlichen Aussagen sei die vom
               Wegen der besonderen Bedeutung des             reits verstrichenen Zeitdauer nach wie vor    vorentscheidenden Landesozialgericht
               Themas hat sich der Deutsche Sozialge-         als aktueller medizinisch-wissenschaftli-     (LSG) erfolgte Entscheidung durch das
               richtstag mit dem Thema befasst, im Rah-       cher Erkenntnisstand gelten. Allerdings       BSG nicht als offensichtlich falsch zu wer-
               men eines Workshops die aktuellen Streit-      handele es sich bei den Konsensempfeh-        ten. Damit sei eine höchstrichterliche
               punkte thematisiert und Handlungsbedarf        lungen um keine echte Rechtsgrundlage         Korrektur im konkreten Einzelfall ausge-
               konstatiert. Für die gesetzliche Unfallver-    im Sinne eines Gesetzes oder einer gesetz-    schlossen gewesen, ohne dass damit
               sicherung ist zu klären, wo und wie sie ei-    lich ermächtigten Rechtsverordnung.           grundsätzliche Aussagen zur zugrunde zu
               nen Beitrag zur Befriedung leisten kann.       Es handele sich vielmehr um ein qualifi-       legenden medizinisch-wissenschaftli-
                                                              ziertes Autorenpapier, das keine rechts-      chen Meinung verbunden gewesen seien.
               Neuere Rechtsprechung des BSG                  staatlich gesicherte Legitimation aufweise.
               Zur neueren Rechtsprechung des Bun-            Insbesondere seien die Konsensempfeh-         Im weiteren Verlauf der Diskussion kris-
               dessozialgerichts erläuterte Prof. Spell-      lungen auch nicht nach den erst später        tallisierte sich ein wesentlicher Lösungs-
                                                                                                            ansatz für die Zukunft heraus:

                                                                                                            In seiner Eigenschaft als Leiter des Ge-
               Autor                                                                                        schäftsführerkonferenz-Ausschusses Be-
                                                                                                            rufskrankheiten der DGUV stellte Prof.
                                         Fred-Dieter Zagrodnik                                              Dr. Stephan Brandenburg dar, dass sich
                                         Referat Berufskrankheiten der DGUV                                 die gesetzliche Unfallversicherung in ab-
                                         E-Mail: fred-dieter.zagrodnik@dguv.de                              sehbarer Zeit darum bemühen werde, den
                                                                                                            aktuellen medizinisch-wissenschaftli-
                                                                                                            chen Erkenntnisstand zur BK-Nr. 2108 zu
                                                                                                            aktualisieren. Dabei müsse es im Hin-
                                                                                                            blick auf die bereits angesprochene ge-
Foto: privat

                                                                                                            meinsame Empfehlung mit der AWMF,
                                                                                                            der DGAUM und der DGSMP und auch im          ▸
                                                                                                                             DGUV Forum 12/2017     15
Titelthema

Sinne des Selbstverständnisses der ge-             demzufolge auch vorwiegend im Kreise                Bei diesem Vorgehen sei auch zu beachten,
setzlichen Unfallversicherung darum ge-            der medizinischen Wissenschaftlerinnen              dass sich nach der Bildung einer neuen
hen, perspektivisch eine „echte“ Begut-            und Wissenschaftler, also den von den               Bundesregierung noch klären müsse, ob
achtungsempfehlung für die BK-Nr. 2108             medizinischen Fachgesellschaften und                die Aktivitäten unter anderem der DGUV
mit den bekannten formalen Rahmenbe-               Berufsverbänden sowie die relevanten In-            zur Weiterentwicklung des BK-Rechts zu
dingungen und entsprechender Transpa-              stitutionen zu entsendenden Vertreterin-            gesetzgeberischen Konsequenzen führen.
renz zu erarbeiten. Die medizinisch-               nen und Vertretern beantwortet werden               Sollte es zu einer Abschaffung des Unter-
wissenschaftliche Erkenntnislage sei               müssten. Allerdings stünde die gesetzli-            lassungszwangs kommen, würde dann
bekanntlich alles andere als eindeutig,            che Unfallversicherung bereit, hier für             auch die BK-Nr. 2108 betroffen sein, sodass
und in diesem Teil der Begutachtungs-              die Rahmenbedingungen im Sinne der                  es gegebenenfalls schon dadurch zu Ver-
empfehlung habe die gesetzliche Unfall-            genannten Gemeinsamen Empfehlung zu                 änderungen des Tatbestandes kommen
versicherung wenige Möglichkeiten, Er-             sorgen. Voraussetzung für einen Erfolg              könnte. Schon allein deswegen dürfe man
kenntnisse beizutragen. Hier handele es            sei aber ein konstruktives Miteinander              die Ergebnisse dieser Bemühungen nicht
sich um wissenschaftliche Fragen, die              aller Beteiligten.                                  kurzfristig erwarten.                   ●

      Rahmenbedingungen und Historie
      1992 Aufnahme der BK-Nummern 2108, 2109 und 2110 in die Liste der Berufskrankheiten, allerdings mit unbestimmten Rechtsbegriffen
      zum Krankheitsbild, zu den erforderlichen Expositionen sowie zum Kausalzusammenhang
      1999 Veröffentlichung des Mainz-Dortmunder-Dosismodells (MDD) zur Quantifizierung von Hebe- und Tragevorgängen unter Verwendung
      von Tagesdosen, Mindestdruckkräften sowie einer komplexen Berechnungsformel für eine kumulative Belastungsdosis im Sinne einer
      Gesamtlebensdosis als Orientierungswert für die Kausalitätsbewertung
      2005 Veröffentlichung der Konsensempfehlungen Teil I und II mit medizinischen Beurteilungskriterien für die Kausalitätsbewertung unter
      Beschreibung von Voraussetzungen einzelner Fallkonstellationen sowie Darstellung, bei welchen Bewertungsvorschlägen unter den be-
      teiligten Fachleuten Konsens bestand
      2005 Deutsche Wirbelsäulenstudie (DWS)
      2007 BSG-Urteil vom 30. Oktober 2007 (Aktenzeichen B 2 U 4/06 R) zu einem männlichen Versicherten auf der Grundlage der (in der Wis-
      senschaft noch nicht diskutierten) Ergebnisse der DWS I mit Bestätigung des MDD als bisher am besten passendes Modell für die Expo-
      sitionsbeschreibung, allerdings unter Verwerfung der Tagesdosis und Verringerung der zu berücksichtigenden Druckkräfte bei Männern.
      Zusätzlich wird mit diesem Urteil ergänzend zu dem bestätigten Orientierungswert des MDD ein neuer unterer Grenzwert in Höhe des hälf-
      tigen Orientierungswerts eingeführt. Das BSG vertritt die Ansicht, dass unterhalb dieses hälftigen Orientierungswertes eine Verursachung
      der bandscheibenbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankung durch die arbeitsbedingten Hebe- und Tragevorgänge sicher ausgeschlossen
      sei und dieser untere Grenzwert möglicherweise sogar zu gering bemessen sei. Außerdem weist das BSG die Bundesregierung darauf hin,
      dass im Sinne der Rechtsstaatlichkeit die Notwendigkeit einer Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe im Tatbestand der BK-Nr.
      2108 gesehen wird.
      2013 Veröffentlichung der Ergebnisse der Machbarkeitsstudie und der Richtwertestudie (DWS II) mit einer weiteren Auswertung der Daten
      der DWS im Hinblick auf die berufskrankheitenrechtlich relevante Verdoppelungsdosis (Expositionsdosis, bei der das Risiko, die jeweilige
      Krankheit zu erleiden, im Vergleich zur übrigen Bevölkerung doppelt so hoch ist). Ergebnis: Die Daten der DWS deuten bei erneuter Auswer-
      tung darauf hin, dass
      1. die Berücksichtigung einer Tagesdosis entgegen den Feststellungen des BSG aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll erscheint,
      2. die Verdoppelungsdosis bei 7 MNh bei Männern (MDD-Orientierungswert 25 MNh) bzw. bei 3 MNh bei Frauen (MDD-Orientierungswert
         17 MNh) liegt. Allerdings sind dies keine exakten und reproduzierbaren Punktwerte, sondern das Ergebnis mehrerer Mittelungen bei
         einer großen Range. Außerdem erreichen mehr als 35 Prozent der „unbelasteten“ Kontrollgruppe ähnliche Lebensbelastungsdosen,
         sodass fraglich ist, ob diese Belastung als „besonders“ im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB VII einzuschätzen ist,
      3. die vom BSG in seinem Urteil vom 30. Oktober 2007 zugrunde gelegten Annahmen
         zu ähnlich guten Ergebnissen führen.
      2014 Der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“ (ÄSVB) der Bundesregierung entscheidet sich in Kenntnis der Ergebnisse
      der Machbarkeitsstudie und der Richtwertestudie ohne in die Tiefe gehende inhaltlich-wissenschaftliche Prüfung nicht dazu, der Bundes-
      regierung rechtliche Konsequenzen im Sinne einer Anpassung der Formulierung der BK-Nr. 2108 vorzuschlagen. Eine Anpassung der Tatbe-
      standsmerkmale der BK-Nr. 2108 erfolgt nicht.
      2015 Am 23. April 2015 entscheidet das BSG in drei anhängigen Verfahren (Aktenzeichen B 2 U 20/14 R, B 2 U 10/14 R und B 2 U 6/13 R)
      zur BK-Nr. 2108, dass es im Hinblick auf die existierende Literatur (vgl. Begründung der genannten Urteile) kein offensichtlicher Fehler sei,
      wenn der vom BSG in seinem Urteil vom 30. Oktober 2007 neu geschaffene Grenzwert in Höhe des halben MDD-Orientierungswertes im
      Zuge der medizinischen Kausalitätsbewertung durch die ärztlichen Sachverständigen als besondere Einwirkung im Sinne der B2-Konstella-
      tion, zweiter Spiegelstrich der Konsensempfehlungen, herangezogen wird. Gleichzeitig stellt das BSG in diesen Urteilen fest, dass auch die
      Zugrundelegung des MDD-Orientierungswertes als besondere Einwirkung im Sinne der B2-Konstellation, zweiter Spiegelstrich der Konsen-
      sempfehlungen herangezogen werden kann. Das BSG weist ausdrücklich darauf hin, dass in dieser speziellen Frage nun Landessozialge-
      richte zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen könnten.

16   DGUV Forum 12/2017
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