MIETER ECHO Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft e.V. www.bmgev.de Nr. 412 Oktober 2020
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
IMPRESSUM GESCHÄFTSSTELLE Herausgeberin: Berliner MieterGemeinschaft e.V. Berliner MieterGemeinschaft e.V. Möckernstraße 92 (Ecke Yorckstraße), 10963 Berlin Redaktion MieterEcho: Joachim Oellerich (V.i.S.d.P./ Chefredaktion), Telefon: 030 - 2168001, Telefax: 030 - 2168515 Andreas Hüttner, Philipp Mattern, Rainer Balcerowiak, Hermann Werle, www.bmgev.de Philipp Möller, Matthias Coers (Bildredaktion), Jutta Blume (Schlussredaktion/ CvD), G. Jahn (Mietrecht) ÖFFNUNGSZEITEN Montag, Dienstag, Donnerstag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 17 Uhr Kontakt: Telefon: 030 - 21002584, E-Mail: me@bmgev.de Mittwoch 10 bis 13 Uhr Grafik: nmp (Gestaltung/ Satz/ Bildredaktion) Freitag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 16 Uhr Titelbild: Fotos: Matthias Coers, Gewobag.de/ Tina Merkau, Collage: nmp Fahrverbindung: Belichtung und Druck: Königsdruck Berlin u Möckernbrücke, Mehringdamm, Yorckstraße, i Yorckstraße, ; M19 Redaktionsschluss: 29.09.2020 Bankverbindung: Postbank Berlin, IBAN: DE62 1001 0010 0083 0711 09, BIC: PBNKDEFF © Berliner MieterGemeinschaft e.V. Nachdruck nur nach vorheriger Rücksprache. Der Bezugspreis ist durch den Die Berliner MieterGemeinschaft bietet ihren Mitgliedern persönliche Mitgliedsbeitrag abgegolten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen Mietrechtsberatung an (siehe Seite 31 und hintere Umschlagseite). nicht notwendigerweise mit der Meinung der Redaktion überein. Für unverlangt Die rollstuhlgerechten Beratungsstellen sind durch - gekennzeichnet. eingesandte Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Achtung! In unserer Geschäftsstelle und in den Vor-Ort-Büros findet während der Öffnungszeiten keine Rechtsberatung statt. PROBLEME MIT DEM VERMIETER? Bei der Berliner MieterGemeinschaft können Ratsuchende kostenlos Bitte ankreuzen und mit Briefmarken im Wert von 0,95 € einfach an folgende Informationsblätter bestellen: folgende Adresse schicken: B ERLINER M IETERG EMEINSCHAFT E. V. Möckernstraße 92 · 10963 Berlin · Telefon 216 80 01 Berliner MieterGemeinschaft e.V. Betriebskostenabrechnung Mietvertrag Möckernstraße 92 Eigentümerwechsel Modernisierung 10963 Berlin Heizkostenabrechnung Schönheitsreparaturen NAME Kündigung durch den Umwandlung und Vermieter Wohnungsverkauf VORNAME Mängelbeseitigung Untermiete STRASSE Mieterhöhung Wohnfläche PLZ ORT Mietpreisbremse Wohnungsbewerbung Mietsicherheit/Kaution Zutritt und Besichtigung BEZIRKSGRUPPENTREFFEN Neukölln Jeden letzten Montag im Monat, 19 Uhr Beratungsstelle, Sonnenallee 101 u Rathaus Neukölln ; M41, 104, 167 Friedrichshain Jeden 3. Donnerstag im Monat, 19.30 Uhr E-Mail: neukoelln@bmgev.de Stadtteilbüro, Warschauer Straße 23, - u Frankfurter Tor Ee M10 Prenzlauer Berg Jeden 2. Mittwoch im Monat, 20 Uhr E-Mail: friedrichshain@bmgev.de im Nachbarschaftshaus Helmholtzplatz, Raumerstraße 10 u Eberswalder Straße Ee M10, M2 Kreuzberg Jeden 1. Donnerstag im Monat, 19 Uhr i Prenzlauer Allee i Schönhauser Allee Geschäftsstelle der Berliner MieterGemeinschaft, Möckernstraße 92 u Möckernbrücke, Mehringdamm, Yorckstraße i Yorckstraße ; M19 Wedding Jeden 2. Donnerstag im Monat, 19 Uhr E-Mail: kreuzberg@bmgev.de Tageszentrum Wiese 30, Wiesenstraße 30 u und i Wedding u Nauener Platz i Humboldthain Lichtenberg Jeden 1. Montag im Monat, 18 Uhr E-Mail: wedding@bmgev.de Kiezspinne, Schulze-Boysen-Straße 38 u und i Frankfurter Allee ; 240 Folgende Bezirksgruppen treffen sich unregelmäßig: E-Mail: lichtenberg@bmgev.de Schöneberg, Spandau, Tempelhof Ort und Termin der Treffen bitte erfragen unter 030 – 21002584. Marzahn Jeden letzten Montag im Monat, 19 Uhr Aktuelle Termine unter: www.bmgev.de/verein/bezirksgruppen.html Lebensnähe e.V. Begegnungsstätte, Alt-Marzahn 30 Bei den Bezirksgruppentreffen findet keine Rechtsberatung statt. Rechtsbe- i Marzahn Ee M6, M8, 18 ; X54, 154, 192, 195 ratung erfolgt ausschließlich durch Rechtsberater/innen in den dafür ausge- wiesenen Beratungsstellen (siehe hintere Umschlagseite).
INHALT Liebe Leserinnen und Leser, TITEL durch die Mietpreisbremse, die in vielen Städten – so auch in 4 Bezahlbarer Neubau ist Mangelware Berlin – seit dem 1. Januar 2015 gilt, gewann der Mietspiegel Selbst der kommunale Wohnungsbau verfehlt die Ziele an Bedeutung. Neben seiner Funktion, über die ortsübliche Andrej Holm Vergleichsmiete als Grundlage für die Erhöhungen der Be- standsmieten Auskunft zu geben, wurde er zur Referenz für 6 Steuerungsinstrumente konsequenter einsetzen die Neuvermietungen, deren Mieten 10% des Mietspiegel- Betriebswirtschaftliche Logik der landeseigenen Unternehmen wertes nicht übersteigen dürfen. Weil aber bei der angespann- Andrej Holm ten Wohnungsmarktlage viele Vermieter/innen eine solche Be- grenzung der Miethöhe als vollkommen willkürliche Knebe- 8 Ein Blick in die Bilanzen lung empfunden haben, wundern die massiven Attacken ge- Wohnungsbaugesellschaften in der Ära von Wowereit und Müller gen das den Bezugswert liefernde Instrument Mietspiegel Marcel Schneider nicht. Hervorgetan hatte sich neben anderen Eigentümern insbeson- 10 Wer überwacht die landeseigenen Gesellschaften? dere die Deutsche Wohnen in Berlin. Sie zweifelte die in Marktkonforme Akteur/innen dominieren die Aufsichtsräte Joachim Maiworm § 558d BGB geforderten wissenschaftlichen Grundsätze für die Erstellung des Berliner Mietspiegels an und präsentierte an seiner Stelle zur Begründung der Mieterhöhungen drei Ver- 13 Soziale Wohnraumversorgung im Bonsai-Format Das geschützte Segment – wenig mehr als ein Placebo gleichswohnungen aus ihrem Bestand. Auch wenn die Ge- Rainer Balcerowiak richte der Auffassung der Deutschen Wohnen und ihres An- hangs nicht folgten, zeigte das Beispiel die Dringlichkeit der 14 Von wegen „Gemeinwohlorientierung“ bereits seit 2015 geplanten Mietspiegelreform. Kommunale Beteiligungen in der Privatwirtschaft Der jetzt im Oktober vorgelegte Referentenentwurf eines Ge- Rainer Balcerowiak setzes zur Reform des Mietspiegelrechts „sieht ein Bündel an Maßnahmen vor, um die Rechtssicherheit qualifizierter Miet- 16 Wohnungsbau vor 100 Jahren spiegel und ihre Bedeutung zu stärken und um zu gewährlei- Berlins Umgang mit der Wohnungskrise in den 1920er Jahren sten, dass qualifizierte Mietspiegel die ortsübliche Vergleichs- Andreas Ludwig miete möglichst realitätsgetreu und differenziert abbilden und mit vertretbarem Aufwand erstellt werden können“. BERLIN Zur Realisierung dieser Absichten wird die Bundesregierung ermächtigt, so der § 558c Absatz 5 des Referentenentwurfs, 18 Die skandinavische Investitionsoffensive „durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Die umstrittene Skjerven-Group kauft Wohnungen in Berlin Vorschriften zu erlassen über den näheren Inhalt von Miet- Joachim Maiworm spiegeln und das Verfahren zu deren Erstellung und Anpas- sung einschließlich Dokumentation und Veröffentlichung“. 20 Unter Druck Entspricht der Mietspiegel diesen, allerdings noch nicht vor- Corona, Mietendeckel und Proteste setzen Covivio zu Philipp Möller liegenden, Vorschriften, „so gilt er als nach wissenschaftli- chen Grundsätzen erstellt“. Eine Anerkennung durch die Inte- 21 Vorkauf gerichtlich gekippt ressenvertreter/innen der Vermieter/innen und der Mieter/in- Das Land Berlin verliert im Fall von drei Häusern in Schöneberg nen verstärkt zusätzlich die Vermutung, dass der Mietspiegel Elisabeth Voß „wissenschaftlichen Grundsätzen entspricht“. Es bleibt zu hoffen, dass mit diesen Festlegungen über die MIETRECHT AKTUELL „Wissenschaftlichkeit der Grundsätze“ den Unterstellungen der Vermieter/innen in gerichtlichen Auseinandersetzungen, 22 Die Mietabsenkung nach dem MietenWoG Bln (Mietendeckel) dass die zugrunde gelegten Mietspiegel so mangelhaft seien, Ab dem 23. November müssen überhöhte Mieten abgesenkt werden dass sie als Begründung für eine Mieterhöhung nicht taugen Rechtsanwältin Daniela Rohrlack und daher andere Begründungen herangezogen werden könnten, der Boden entzogen wird. Hinzu kommt, dass künf- 24 Mieter/innen fragen – wir antworten tig die Möglichkeit, Mieterhöhungen mit Vergleichswoh- Mieterseitige Beendigung des Mietverhältnisses – Teil 2 Rechtsanwältin Juliane Richter nungen zu begründen, entfallen soll. Das könnte nicht nur die allseits immer wieder beschworene „Rechtssicherheit“ stär- ken, sondern auch im Interesse der Mieter/innen sein. 27 RECHT UND RECHTSPRECHUNG 31 SERVICE 32 RECHTSBERATUNG IHR MIETERECHO MieterEcho 412 Oktober 2020 3
TITEL Bezahlbarer Neubau ist Mangelware Selbst der kommunale Wohnungsbau verfehlt die Ziele Von Andrej Holm Die Berliner Verwaltung geht offensichtlich davon aus, dass diese Versorgungslücke nicht vollständig durch Neubau geschlossen Berlin braucht mehr Wohnungen, vor allem mehr Wohnun- werden kann. Im Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030 jeden- gen zu Mietpreisen, die auch für Haushalte mit geringen und falls wird dieser Bedarf nur zum Teil abgedeckt. Dort heißt es: mittleren Einkommen leistbar sind. Da sich mit günstigem „Die Hälfte des erforderlichen Neubaus soll als gemeinwohlo- Neubau kein Geld verdienen lässt, ist der öffentliche Woh- rientierter Wohnungsbau entstehen (rund 100.000 Wohnungen nungsbau gefragt. Aber ausgerechnet der kommunale Woh- bis 2030).“ Um dieses Ziel zu erreichen, müssten pro Jahr etwa nungsbau kann die selbstgesteckten Ziele nicht erreichen. 10.000 günstige Neubauwohnungen erstellt werden. Die Zahl der Haushalte ist in den letzten 10 Jahren (2010 bis Wer baut die gemeinwohlorientierten Wohnungen? 2019) um etwa 180.000 gestiegen – im selben Zeitraum wurden Der relativ vage Begriff der „Gemeinwohlorientierung“ wird knapp 100.000 Wohnungen neu gebaut. Das akute Defizit für im Stadtentwicklungsplan mit vier Merkmalen definiert: Be- eine ausgeglichene Wohnversorgungsquote betrug Ende 2019 zahlbarkeit, öffentlicher Einfluss auf Mietgestaltung und Bele- etwa 65.000 Wohnungen. Die müssten gebaut werden, um alle gung, langfristige Wirkung und eine soziale Bewirtschaftung. schon jetzt in der Stadt Lebenden mit Wohnungen zu versor- Die Umsetzung des gemeinwohlorientierten Wohnungsbaus gen. Hinzu kommen Wohnungen für den weiter erwartbaren kann in drei möglichen Konstellationen erfolgen: als landesei- Zuzug und zum Ersatz von Gebäuden, die nicht weiter genutzt gener Wohnungsbau, als Wohnungsbau von Genossenschaften werden können. Die Senatsverwaltung geht deshalb in ihren bzw. sozialen Trägern (wenn die Wohnungen Haushalten mit Planungsgrundlagen davon aus, dass bis 2030 etwa 200.000 geringen und mittleren Einkommen offen stehen), sowie als öf- neue Wohnungen gebaut werden müssen. Das entspricht einer fentlich geförderter Neubau mit Mietpreis- oder Belegungsbin- Baufertigstellung von mindestens 20.000 Wohneinheiten pro dungen durch private Wohnungsunternehmen. Genutzt werden Jahr. soll dazu insbesondere das Berliner Modell der kooperativen Doch „Bauen, bauen, bauen“ allein reicht nicht aus, denn auch Baulandentwicklung, bei dem auf neu geschaffenen Bauflä- die soziale Wohnversorgungslücke bewegt sich in einer ähn- chen 30% der Wohnfläche mit Mietpreis- und Belegungsbin- lichen Dimension. Nicht jede Wohnung hilft, denn es werden dung erstellt werden sollen. Die Bilanzen der drei Wege zum vor allem günstige Wohnungen benötigt. Laut Wohnraumbe- bezahlbaren Neubau fallen allerdings bescheiden aus: darfsbericht des Senats fehlten im Jahr 2017 für die 370.000 Die landeseigenen Wohnungsunternehmen konnten ihre Bau- Bedarfsgemeinschaften (Transferleistungen) etwa 70.000 leistung zwar in den letzten Jahren deutlich steigern, sind aber Wohnungen mit angemessenen Mietpreisen (nach der AV von ihren selbstgesteckten Zielen (6.000 Wohnungen pro Jahr) Wohnen). Für weitere 300.000 Haushalte mit geringen Ein- weit entfernt. Nach Angaben des aktuellen Berichts zur Ko- kommen fehlten 105.000 leistbare Wohnungen, um eine Miet- operationsvereinbarung wurden in den Jahren 2017 bis 2019 kostenbelastung von 30% nicht zu überschreiten. Zusammen insgesamt 10.315 Wohnungen neu gebaut (etwa 3.400 pro beträgt die soziale Versorgungslücke etwa 175.000 Wohnun- Jahr). Die Neubauquote der Landeseigenen beträgt etwa 1,1% gen – gebraucht werden vor allem kleine Wohnungen zu Miet- des Bestandes. Etwas verwirrend ist jedoch, dass in den Be- preisen um die 5,50 Euro/qm. richten des Statistischen Amtes Berlin-Brandenburg im selben Baufertigstellungen 2017 bis 2019 Neubau gesamt Mietwohnungen Gemeinwohlorientiert Landeseigene 10.315 10.315 10.315 Genossenschaften 2.036 2.036 1.018 Private Unternehmen 26.985 18.471 343 Sonstige 4.545 492 0 Gesamt 43.881 31.314 11.676 pro Jahr 14.627 10.438 3.892 Anteil an allen Neubauten 71% 27% Quelle: IBB Wohnungsmarktberichte, WVB Bericht zur Kooperationsvereinbarung, Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 4 MieterEcho 412 Oktober 2020
TITEL TITEL Zeitraum nur knapp 7.500 Fertigstellungen durch öffentliche Bauherren dokumentiert werden. Die Lücke lässt sich damit erklären, dass einige der öffentlichen Wohnungsunternehmen nicht selber bauen und fertige Wohnungen von privaten Bau- trägern übernehmen. Tatsächlich selbst gebaut wurden dem- nach lediglich 2.500 Wohnungen pro Jahr. Die Genossenschaften und sozialen Träger haben in den letz- ten Jahren eher zurückhaltend zum gemeinwohlorientierten Wohnungsbau beigetragen. Mit etwa 2.000 Wohnungen in den Jahren 2017 bis 2019 liegt die durchschnittliche Bauleistung bei 680 Wohnungen pro Jahr. Bezogen auf den Bestand der Ge- nossenschaften ist das eine Neubauquote von 0,4%. Die För- derprogramme des Landes werden von den Genossenschaften kaum abgerufen, sodass die meisten neuen Wohnungen ohne Mietpreis- und Belegungsbindung vermietet werden. Im IBB- Wohnungsmarktbericht wird der Genossenschaftsanteil an den geförderten Neubauten für den Zeitraum 2014 bis 2019 mit 0,5% angegeben. In den letzten drei Jahren waren es demnach gerade einmal 19 gemeinwohlorientierte Wohnungen. Selbst unter der Annahme, dass die Hälfte der freifinanzierten Neu- bauten von Genossenschaften für Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen geeignet ist, liegt der Jahresbeitrag für den gemeinwohlorientierten Neubau bei etwa 340 Wohnungen. Auch die privaten Unternehmen leisten nur einen geringen Beitrag für die soziale Wohnversorgung, obwohl zwischen 2017 und 2019 fast 27.000 Wohnungen von privaten Bauherren fertiggestellt wurden. Zum einen, weil der freifinanzierte Woh- nungsbau etwa 8.500 Eigentumswohnungen einschließt und Neubauprojekt der Degewo. Günstige Wohnungen werden fast nur von landesei- zum anderen, weil nur knapp 350 geförderte Wohnungen mit genen Wohnungsunternehmen gebaut, allerdings viel zu wenige. Foto: Matthias Coers Mietpreis- und Belegungsbindungen von privaten Unterneh- men fertiggestellt wurden. Pro Jahr entspricht das im Durch- schnitt etwa 115 gemeinwohlorientierten Wohnungen. Kommunaler Wohnbau ist der Schlüssel Berliner Wohnungspolitik als Scheinriese Als Träger für bezahlbaren Wohnraum kommt vor allem die Die Zahlen zeigen, dass die Neubauwohnungen in fast allen kommunale Wohnungswirtschaft in Frage. Der Beitrag von Bereichen zu wenige sind. Statt der 20.000 Fertigstellungen Genossenschaften (9%) und privaten Unternehmen (3%) am pro Jahr, die notwendig wären, das Mengendefizit aufzuho- günstigen Neubau in den letzten Jahren war überschaubar. Mit len, lag die durchschnittliche Zahl neugebauter Wohnungen in knapp 90% war der gemeinwohlorientierte Wohnungsbau vor den letzten Jahren bei knapp 14.700 und steht für eine Zie- allem eine Angelegenheit der landeseignen Wohnungsunter- lerfüllung von knapp 75%. Werden die Eigentumsprojekte ab- nehmen. gezogen, bleiben sogar nur 10.500 Mietwohnungen pro Jahr Da der Bau von günstigen Mietwohnungen keine Gewinne in der Bilanz stehen. Noch drastischer fällt der Rückblick auf bringt, werden private Unternehmen immer nur ausnahms- die bezahlbaren Neubauten aus. Nach den Kriterien des Stadt- weise oder unter Zwang günstige Wohnungen errichten. entwicklungsplans wurden in den Jahren 2017 bis 2019 gera- Auch das genossenschaftliche Baupotenzial ist begrenzt. de einmal 3.900 gemeinwohlorientierte Wohnungen pro Jahr Der Neubau von dauerhaft sozialen Wohnungen wird eine fertiggestellt – das entspricht beim selbstgesteckten Ziel von öffentliche Aufgabe bleiben. Die aktuellen Bauzahlen der 10.000 Wohnungen pro Jahr einer Zielerfüllung von etwa 40%. landeseigenen Wohnungsunternehmen zeigen aber auch, Die Bauleistung im Bereich der gemeinwohlorientierten Woh- dass die Zielzahlen mit einem „weiter so“ nicht erreicht nungen müsste also nahezu verdreifacht werden. werden können. Eine soziale Wohnversorgung durch ei- In der Addition der wohnungspolitischen Instrumente könnten nen neuen kommunalen Wohnungsbau setzt den Umbau der schon jetzt deutlich höhere Zielzahlen erreicht werden. Zusam- landeseigenen Wohnungswirtschaft in Berlin voraus. h mengenommen für die letzten drei Jahre würde die Zahl der kommunalen Bautätigkeit (3.500 Wohnungen p.a.), der För- derprogramme (2.800 Bewilligungen p.a.) und der Belegungs- Quellen: bindungen nach dem Berliner Modell (1.600 vertragliche ge- Stadtentwicklungsplan (StEP) Wohnen 2030: https://www.stadtentwicklung.berlin.de/ planen/stadtentwicklungsplanung/de/wohnen/download/StEPWohnen2030- sicherte Belegungsbindungen p.a.) bei fast 7.800 Wohnungen Kurzfassung.pdf liegen. Da aber die Förderprogramme zu 87% von den landes- IBB-Wohnungsmarktbericht 2019: https://www.ibb.de/media/dokumente/publikationen/ eigenen Gesellschaften abgerufen werden und auch die Bele- berliner-wohnungsmarkt/wohnungsmarktbericht/ibb_wohnungsmarktbericht_2019.pdf gungsbindungen im Berliner Modell regelmäßig durch eine Bericht zur Kooperationsvereinbarung 2019: https://www.stadtentwicklung.berlin.de/ wohnen/wohnraumversorgung/download/WVB-Bericht-KoopV2019.pdf Übertragung an die Landeseigenen erfüllt werden, schrumpft Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Statistischer Bericht zu Baufertigstellungen, der Scheinriese der wohnungspolitischen Strategie bei näherer Bauüberhang und Bauabgang in Berlin: https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/ Betrachtung auf etwa die Hälfte seiner Größe. publikationen/Stat_Berichte/2020/SB_F02-02-00_2019j01_BE.pdf MieterEcho 412 Oktober 2020 5
TITEL Steuerungsinstrumente konsequenter einsetzen Trotz Vorgaben zur Wohnraumversorgung folgen die landeseigenen Wohnungsunternehmen einer betriebswirtschaftlichen Logik Von Andrej Holm Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin“, kurz „Wohnraumversorgungsgesetz (WoVG)“. Das Gesetz war Die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen mit mehr eine direkte Reaktion des damaligen Senats auf den Mieten- als 320.000 Wohnungen sind die wichtigste Ressource zur volksentscheid, der mit einem sogenannten Artikelgesetz eine Sicherung einer sozialen Wohnversorgung in Berlin. Im Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung durch- Gegensatz zu den knapp 100.000 Sozialwohnungen, deren setzen wollte und unter anderem die Umwandlung der sechs Bindungen in den nächsten Jahren verloren gehen, könn- landeseigenen Gesellschaften in Anstalten öffentlichen Rechts ten die landeseigenen Wohnungen dauerhaft mit Auflagen (AöR) forderte. Mit dem eigenen Gesetzentwurf der Regierung zu Mietpreis- und Belegungsbindungen angeboten wer- wurde der beantragte Volksentscheid der Initiativen verhindert den. Zudem steht die öffentliche Wohnungswirtschaft in – auch wenn nicht alle Forderungen übernommen wurden. der Verantwortung, den Neubau von preiswerten Wohnun- Insbesondere die Vorschläge zu strukturellen Veränderungen gen zu forcieren, um das selbstgesteckte Ziel von 100.000 der landeseigenen Wohnungswirtschaft wurden ausgespart. gemeinwohlorientierten Wohnungen bis 2030 zu erreichen. Dennoch ist das Wohnraumversorgungsgesetz ein bundesweit einmaliger politischer Erfolg der Mieterbewegung, weil es die Ein Beitrag zur sozialen Wohnversorgung und zum bezahl- soziale Ausrichtung der öffentlichen Wohnungswirtschaft Ber- baren Neubau sollte für die öffentliche Wohnungswirtschaft lins per Gesetz vorschreibt. Im Artikel 2 des WoVG werden die eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Doch die sechs Aufgaben der landeseigenen Wohnungsunternehmen definiert: Gesellschaften sind als Aktiengesellschaften und GmbHs Neben der „Sicherung und Erweiterung preisgünstigen Miet- in privaten Rechtsform organisiert und unterliegen den ent- wohnraumes“ und der „Versorgung benachteiligter Haushalte“ sprechenden Spielregeln für Kapitalgesellschaften. Diese werden auch der Ankauf und Neubau von Wohnungen sowie Konstruktion bringt es mit sich, dass die Interessen der Un- die Einrichtung von Mieterräten mit Sitzen in den Aufsichts- ternehmen und des Landes als Gesellschafter nicht immer de- räten im Gesetz benannt. Darüber hinaus werden konkrete ckungsgleich sind. Zurzeit gibt es drei zentrale Instrumente, Vorgaben zur Vermietung und Mietpreisgestaltung gemacht. die landeseigene Wohnungswirtschaft zu steuern. Unter anderem müssen 55% aller freiwerdenden Wohnungen an WBS-berechtigte Haushalte vergeben werden, 20% davon Wohnraumversorgungsgesetz (WoVG) an Wohnungssuchende mit besonderen Bedarfen. Eine zentrale Rahmensetzung für die landeseigenen Woh- Das WoVG legt Regeln für Vermietung und Bewirtschaftung nungsunternehmen ist das 2015 beschlossene „Gesetz über die fest, der mangelnde Durchgriff des Gesellschafters (Land Berlin) in die investiven und strategischen Entscheidungen der landeseigenen Wohnungsunternehmen wird mit dem Ge- setz allerdings nicht behoben. Weiterhin kann der Einfluss des Landes darauf nur im Rahmen von Aufsichtsratsentscheidun- gen geltend gemacht werden. Kooperationsvereinbarung (KoopV) Der von Rot-Rot-Grün abgeschlossene Vertrag zwischen Wohnungsunternehmen und dem Land, genannt Kooperati- onsvereinbarung (KoopV), konkretisiert verschiedene Vorga- ben zum Neubau und zum Ankauf und verschärft die sozialen Vermietungsauflagen. Dem Koalitionsvertrag entsprechend wurde in der Kooperationsvereinbarung das Ziel von 30.000 kommunalen Neubauwohnungen bis 2021 sowie der Ankauf von 10.000 Wohnungen durch die landeseigenen Wohnungs- unternehmen vereinbart. Insgesamt soll deren Bestand bis zum Ende der Wahlperiode auf 360.000 Wohnungen anwachsen. Im Neuen Kreuzberger Zentrum, 2017 von der landeseigenen Gewobag über- Für alle Neubauprojekte mit einem Baubeginn ab dem 1. Juli nommen, engagiert sich ein Mieterrat für die 295 Mietparteien und 90 Gewerbe- 2017 gilt eine Quote von 50% an mietpreis- und belegungsge- treibenden. Fotos: Matthias Coers bundenen Wohnungen. Der freifinanzierte Neubauanteil darf 6 MieterEcho 412 Oktober 2020
TITEL Sozialen und kommunalen Neubau fordert die Berliner MieterGemeinschaft seit langem. Die Politik muss hierfür die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. durchschnittlich eine Nettokaltmiete von 10 Euro/qm nicht Statt die Chance einer übergreifenden Steuerungseinrichtung überschreiten. Für die Wiedervermietung von Wohnungen im zu nutzen, wurde die Anstalt aber bisher vor allem als Dienst- Bestand wurde der Anteil der gebundenen Vergabe an Haushal- leister der Wohnungsbaugesellschaften eingesetzt. Hier wäre te mit WBS-Berechtigung auf 60% erhöht. Die Wohnraumver- mehr Mut des Gesellschafters Land Berlin notwendig, um der sorgung Berlin soll die Kooperationsvereinbarung regelmäßig WVB tatsächliche Befugnisse für das Fachcontrolling und für in öffentlichen Berichten evaluieren, eine Sanktion bei Nicht- die Umsetzung von Leitlinien zur Geschäftspolitik der Unter- erfüllung der Zielvorgaben ist aber nicht vorgesehen. nehmen einzuräumen. Im Vergleich zum Wohnraumversorgungsgesetz ist die Koope- rationsvereinbarung viel konkreter und definiert auch Zielzah- Politische Steuerung len für die einzelnen Wohnungsunternehmen. Die Lücke der Die sechs Gesellschaften sind privatrechtlich als GmbH und strategischen Steuerung kann aber auch die KoopV bisher nicht AG organisiert und werden im Sinne unternehmerischer Effizi- schließen. Zurzeit wird die Aktualisierung der Kooperations- enz geleitet. Bis auf mietenpolitische Vorgaben folgt die Praxis vereinbarung zwischen den Senatsverwaltungen für Wohnen der Gesellschaften der traditionellen Betriebswirtschaftslogik. und für Finanzen, den Wohnungsbaugesellschaften und der Dadurch werden die sozialen Anforderungen (von Mietbe- Wohnraumversorgung Berlin ausgehandelt. Ein Eingriff in die grenzung bis zu Förderquoten) eher als Störung und Belastung Strukturen der landeseigenen Wohnungsunternehmen ist nicht und nicht als das eigentliche Ziel der öffentlichen Unterneh- zu erwarten und bereits die Vorschläge für eine Anhebung der men wahrgenommen. Die sechs Gesellschaften agieren zudem Belegungsquoten führte zum Widerspruch der Gesellschaften. unabhängig voneinander, was übergreifende Kooperationen und damit eine einheitliche strategische Steuerung erschwert. Wohnraumversorgung Berlin (WVB) Auch wenn es vertrauliche Berichte und Kennzahlen für alle Als öffentliche Einrichtung ohne eigenes Vermögen und ohne Unternehmen gibt, stehen der Öffentlichkeit nicht genügend operative Rechte für wirtschaftliche Tätigkeiten soll die WVB Informationen über das konkrete wirtschaftliche Handeln der „politische Leitlinien in Bezug auf die Wahrnehmung des Ver- Unternehmen zur Verfügung. sorgungs- und Wohnungsmarktauftrages durch die landeseige- Mit der aktuellen Bauleistung von etwa 4.000 Wohnungen im nen Wohnungsunternehmen (…) entwickeln, evaluieren und Jahr scheinen die landeseigenen Gesellschaften derzeit ihre fortschreiben“. Zu den Aufgaben gehören auch „Vorschläge Kapazitätsgrenze erreicht zu haben, obwohl jährlich ca. 6.000 zur Struktur der Unternehmen“. Wohnen gebaut werden sollten. Jede neue Auflage für mehr In Folge der gesetzlich festgelegten Trägerschaft durch die Sozialwohnungen und weitere Mietbegrenzungen im Bestand Senatsverwaltung für Finanzen und die Senatsverwaltung für werden von den Unternehmensleitungen als Zumutung emp- Stadtentwicklung und Wohnen agiert die Anstalt nur begrenzt funden, die wegen begrenzter Einnahmen die Neubauziele ge- unabhängig und unterliegt trotz des weitgehenden Auftrags fährden würden. Im Umkehrschluss bedeutet dieses Lamento letztendlich der Regierungspolitik. Zu den Aufgaben der WVB der Geschäftsführungen, dass eine Steigerung der Bauleistung gehören unter anderem der Aufbau eines Monitoringsystems für bezahlbare Wohnungen unter den aktuellen Konstellationen zur Senkung von Baukosten, die Unterstützung der Zusam- nicht zu erwarten ist. menarbeit der Wohnungsunternehmen, die Evaluation der Eine Landespolitik, die auf mehr kommunalen Neubau setzt, Modernisierungsstrategien (gemeinsam mit den Mieterräten), müsste die entsprechenden Rahmenbedingungen schaf- die Beratung der Mieterräte und -beiräte, die Evaluation der fen. In aktuellen Diskussionen werden unter anderem eine rechtlichen Vorgaben (Wohnraumversorgungsgesetz, Koopera- langfristige Investitionsgarantie durch den Landeshaushalt, tionsvereinbarung u.ä.) und die Unterbreitung von Vorschlägen die Einrichtung von gesellschaftsübergreifenden Finanzie- zur Weiterentwicklung der politischen Leitlinien für die Arbeit rungs- und Planungsstrukturen und der Aufbau von kommu- der landeseigenen Wohnungsunternehmen. nalen Baukapazitäten als zentrale Bausteine für den Umbau der öffentlichen Wohnungswirtschaft in Berlin benannt. h MieterEcho 412 Oktober 2020 7
TITEL Ein Blick in die Bilanzen Die Wohnungsbaugesellschaften in der Ära Wowereit und Müller Von Marcel Schneider vorgabe auch für den Wohnungsbestand im Westteil übernom- men wurde. Das Soll der vorgeblichen „Mieterprivatisierung“ Als Klaus Wowereit Mitte 2001 mit den Stimmen der SPD, betrug in beiden Stadthälften knapp 66.000 Wohnungen. Bis der PDS und der Grünen zum Regierenden Bürgermeister Ende 2000 wurden im Westteil auf Basis des 1994er-Senats- von Berlin gewählt wurde, übernahm er eine bereits arg beschlusses 10.642 Wohnungen verkauft; an Mieter/innen aber geschrumpfte städtische Wohnungswirtschaft. Von den nur 21,6%. Im Ostteil wurden auf Basis des ASHG 35.792 insgesamt 482.000 kommunalen Wohnungen des Jahres Wohnungen verkauft, davon nur 20% an Mieter/innen. 1990, davon 236.000 im Westen und 246.000 im Osten der Stadt, waren nur noch 357.000 im Eigenbestand übrig, da- Gewinnabführungen und Mieterhöhungen von 65.700 von der im Jahr 2004 dann veräußerten GSW. Zwei weitere Maßnahmen der 1990er Jahre wirken bis heute nach. Zum einen begann der Senat, Gewinnabführungen von Die massive Schrumpfung hatte mehrere Ursachen: Im Ostteil den Wohnungsbaugesellschaften mit Verweis auf die prekäre wurden Wohnungen an Alteigentümer/innen rückübertragen Haushaltslage einzufordern. Bis zur Abschaffung des Wohnge- und sogar wegen Leerstands abgerissen. Die Wohnungsbau- meinnützigkeitsgesetzes (WGG) war nur eine geringe Abfüh- gesellschaft Gehag wurde an private Investoren, die Apart- rung in Höhe von 4% der eingezahlten Kapitaleinlage (Grund- mentgesellschaft Arwobau an die Berliner Bankgesellschaft kapital) möglich. Diese Sonderdividenden summierten sich verkauft (die Bestände der Arwobau finden sich heute teilwei- auf 478 Millionen. Euro. Zudem wurde die Anzahl der Ge- se bei der städtischen Berlinovo). Zudem wurden im Rahmen sellschaften durch sogenannte In-sich-Geschäfte reduziert, bei des Altschuldenhilfegesetzes (ASHG) umfangreiche Bestände denen eine Wohnungsbaugesellschaft eine andere kaufte. Der verkauft. Erlös floss direkt in den Landeshaushalt. Aus den ursprünglich Das ASHG ist ein weiteres düsteres Detail des Einigungsver- 17 (ohne die an Dritte verkauften Gehag und GSW) entstanden trags, der den Kommunen die Schulden der VEB Kommu- so die heutigen sechs Wohnungsbaugesellschaften. Durch die- nale Wohnungsbauverwaltung (KWV) übertrug, obwohl die se Verkäufe erlöste das Land 622 Millionen Euro. Zusammen Verbindlichkeiten bei der Staatsbank der DDR im planwirt- wurden den Gesellschaften so 1,1 Milliarden Euro Eigenkapi- schaftlichen System reine Buchungseinheiten waren. In Berlin tal entzogen. Der Sozialwissenschaftler Andrej Holm schätzte wurden die Schulden der KWV an die im Osten neu gegrün- Mitte der Nullerjahre den hieraus resultierenden Privatisie- deten Wohnungsbaugesellschaften weitergereicht. Um trotz rungsdruck zur Refinanzierung auf 35.000 Wohnungen. der Schuldenlast die nötigen Modernisierungen vornehmen zu Im Jahr 2001 starteten die sechs Gesellschaften mit 291.000 können, ermöglichte das ASHG eine Teilentschuldung gegen Wohnungen und bilanziellen Verbindlichkeiten von 9,4 Mil- die Auflage der Privatisierung von 15% des Bestands. Nach liarden Euro. Bis 2009 reduzierte sich der Eigenbestand auf Möglichkeit sollte an die Mieter/innen verkauft werden. Diese 258.000 Wohnungen und die Verbindlichkeiten fielen auf 7,2 von Bonn ausgeheckte Privatisierungsagenda überzeugte den Milliarden Euro. Pro Wohnung reduzierten sich die Verbind- damaligen Diepgen-Senat so sehr, dass diese Privatisierungs- lichkeiten von 32.400 Euro auf 27.800 Euro. Im gesamten Zeit- Eigenkapitalquoten der Wohnungsbaugesellschaften 2001 2005 2009 2012 2015 2018 Gewobag 2,5% 6,2% 6,6% negativ negativ 4,1% Howoge 34,1% 36,7% 44,3% 49,5% 50,4% 48,9% Gesobau 14,7% 19,7% 21,1% 21,6% 24,9% 26,2% Degewo 14,9% 13,0% 17,1% 20,0% 25,7% 31,9% WBM 17,5% 20,3% 32,5% 28,9% 35,9% 37,3% Stadt und Land 18,5% 13,5% 18,3% 23,3% 26,2% 28,3% Gewichteter 18,1% 18,5% 24,0% 24,8% 27,8% 29,5% Durchschnitt Quelle: Beteiligungsberichte des Landes Berlin, Berechnungen des Autors 8 MieterEcho 412 Oktober 2020
TITEL Anstieg der Bestandsmieten und Lohnentwicklung in Berlin (2001=100%) Gewobag Howoge Gesobau Degewo WBM Stadt und Land Bruttolöhne und Gehälter Mittleres Haushaltsnettoein- je Arbeitnehmer in Berlin kommen in Berlin (Mikrozensus) Quelle: Beteiligungsberichte des Landes Berlin, Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Berechnungen des Autors raum wurden – bei wieder langsam steigender Bevölkerung ne Bewertung der Aktiva hat ergeben, dass die GEWOBAG – nur knapp 38.000 Wohnungen fertiggestellt, davon 2.337 ge- im Anlagevermögen über ausreichend stille Aktiva verfügt.“ förderte Wohnungen, die fast komplett auf das Jahr 2001 entfal- len. Auch die rückläufigen Leerstandsquoten waren für die Ent- Private Rechtsform als Hemmschuh schuldung verantwortlich. So lag die Quote beispielsweise bei Wenig überraschend hielt die Dynamik bei den Mieterhöhun- der Howoge 2009 nur noch bei 2%. 2001 waren es noch 8,4%. gen unverändert an. Im Jahr 2018 liegen die Bestandsmie- Der wesentliche Treiber der Entschuldung liegt jedoch in den ten der Gesellschaften zwischen 148% (Howoge) und 170% Mieterhöhungen im Bestand. Die Mieten für alle Wohnungen (Degewo) des Niveaus von 2001. Die Bruttogehälter (140%) legten durchschnittlich zwischen 21% (Howoge) und 35% und die mittleren Haushaltsnettoeinkommen (142%) wurden (Gewobag) zu. Damit stiegen die Bestandsmieten deutlich so weit abgehängt. Die Mieter/innen finanzieren demnach stärker als die Löhne und Gehälter der Mieter/innen. Die Brut- beispielsweise die Ankaufpolitik von ehemaligen GSW-Woh- tolöhne pro Arbeitnehmer/in stiegen um 9% und das mittlere nungen, die der Senat 2004 zum Spottpreis an Heuschrecken- Haushaltsnettoeinkommen nach dem Mikrozensus um nur 5%. Investoren verscherbelte. Die schlechte Gehaltsentwicklung in diesen Jahren ist auch auf Bei einem Kreditvolumen von 10 Milliarden Euro stellt sich die vom SPD-PDS-Senat durchgesetzten Gehalts- und Besol- jedoch die Frage, ob die Kreditaufnahme durch Gesellschaften dungskürzungen der Landesbeschäftigten zwischen 8% und in privater Rechtsform wirtschaftlich ist. So beträgt der Zins- 12% zurückzuführen. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe unterschied zwischen zehnjährigen deutschen Staatsanleihen und Einführung der Grundsicherung (Hartz IV) schlägt sich im und Anleihen der Bahn AG ca. 0,85%. Allerdings können sich Haushaltsnettoeinkommen nieder. die kleineren Wohnungsbaugesellschaften nicht über Anleihen Zwischen 2009 und 2018 stiegen die Bestände der sechs Woh- verschulden, sondern nur bei Geschäfts- oder Förderbanken. nungsbaugesellschaften erneut an; von 258.000 auf 308.000 Der Zinsunterschied zu Berliner Landesanleihen dürfte daher Wohnungen. Parallel zur Bestandserhöhung durch Ankauf er- ca. bei 1,5% liegen. Dies sind 150 Millionen Euro unnötige höhten sich die Verbindlichkeiten von 7,2 Milliarden auf 11 Zinskosten pro Jahr. Eine Alternative zur Kreditaufnahme der Milliarden Euro, davon 10 Milliarden Euro Kreditverbindlich- Gesellschaften wären Eigenkapitalzuführungen aus dem Lan- keiten. Die Ankaufpolitik spiegelt sich auch in einer leicht ge- deshaushalt, die bei der Landesschuldenbremse unberücksich- stiegenen Verschuldung pro Wohnung, die nunmehr bei 35.600 tigt bleiben. Das Mietenvolksbegehren hatte Eigenkapitalzu- Euro liegt. Die gestiegene absolute Verschuldung ist jedoch führungen bereits 2015 in seinem Gesetzentwurf gefordert. kein Indiz für eine Überschuldung. Dies zeigen die Eigenkapi- Pro Wohnung sollten 1.800 Euro Kapital zugeführt werden, talquoten, die bereits von 2001 bis 2009 anstiegen. Dieser Trend um den Wohnungsbestand durch Ankauf oder Neubau zu erhö- hält trotz der kreditfinanzierten Ankaufpolitik an, da die zuge- hen. Sofern nicht der laufende Geschäftsbetrieb subventioniert kauften Wohnungen zu Anschaffungskosten bilanziert werden. wird, wäre eine solche Kapitalzuführung vermutlich auch kon- Im gewichteten Durchschnitt liegt die Eigenkapitalquote aller form mit dem Beihilferecht der EU. Eine weitere Forderung Gesellschaften im Jahr 2018 mit knapp 30% über der Quote des Mietenvolksbegehrens bestand in der Umwandlung der von 2009 mit 24%. Die Spannbreite ist jedoch gewaltig. Bei Gesellschaften, die bisher als GmbH oder AG verfasst sind, in der Gewobag sind es 4% und bei der Howoge 49%. Die Gewo- Anstalten öffentlichen Rechts (AöR). Die Initiative versprach bag kann als Sonderfall betrachtet werden. Es ist anzunehmen, sich so eine bessere Durchsetzung des Rechts auf angemes- dass der hohe abgeschriebene Altbaubestand die Quote drückt. senen Wohnraum, insbesondere für Menschen mit geringem Nur Neubauten, Ankäufe und vorgenommene Modernisierun- Einkommen (Artikel 28 Landesverfassung) durch eine öffent- gen werden im bilanziellen Sachanlagevermögen berücksich- lich-rechtliche Unternehmensverfassung. Den Hauptvorteil ei- tigt. So war das Eigenkapital der Gewobag zwischen 2010 ner AöR nannten sie aber nicht. Dieser besteht darin, dass das und 2015 negativ. Im Beteiligungsbericht 2010 des Landes Land in Form der Gewährträgerhaftung für die Anstalt einsteht heißt es hierzu: „Die bei bilanzieller Überschuldung gebote- und diese sich so deutlich günstiger refinanzieren kann. h MieterEcho 412 Oktober 2020 9
Auch in der Gewobag AG wirken Aufsichtsräte daran mit, TITEL dass sie wie ein privates Unternehmen agiert, trotz sozi- alen Versorgungsauftrags. Foto: Matthias Coers Wer überwacht die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften? Marktkonforme Akteur/innen dominieren die Aufsichtsräte Von Joachim Maiworm gesichts der Dringlichkeit des Wohnungsproblems ein direkter Zugriff auf die Geschäftspolitik der Unternehmen zu erwar- In ihren Organisationsformen als Aktiengesellschaf- ten sein. Zumal Geschäftsführer/innen von GmbHs nach dem ten (AG) oder GmbHs müssen die sechs landeseigenen GmbH-Gesetz stets mit Weisungen der Gesellschafter rechnen Wohnungsbauunternehmen in Berlin „wirtschaftlich“ müssen. Für die drei Berliner landeseigenen Wohnungsbau- agieren. Die öffentliche Hand ist dagegen gehalten, sich GmbHs stellt der Senat in seinen „Hinweisen“ jedoch klar, ausreichende Einflussnahmerechte bei den ihr selbst dass vom Recht auf Einflussnahme nur in Ausnahmefällen Ge- gehörenden Unternehmen zu sichern, um den sozia- brauch gemacht werden soll. len Versorgungsauftrag erfüllen zu können. Am Beispiel Die Vorstände von AGs leiten nach dem Aktiengesetz da- der Auswahl der Aufsichtsräte lässt sich hingegen zei- gegen ihre Gesellschaften „unter eigener Verantwortung“. gen, dass es am politischen Willen fehlt, die öffentli- Auch ein Aufsichtsrat hat kein Weisungsrecht gegenüber dem chen Gesellschaften gemeinwohlorientiert zu steuern. Vorstand einer AG oder der Geschäftsführung einer GmbH, sondern lediglich eine überwachende und beratende Funkti- In der Kooperationsvereinbarung zwischen Senat und städti- on. Nach dem Berliner Corporate Governance Kodex haben schen Wohnungsbaugesellschaften werden letztere als „Anker Aufsichtsrat und Geschäftsleitung zudem „zum Wohle der einer auf sozialen Ausgleich ausgerichteten Mieten- und Woh- Gesellschaft“ eng und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. nungspolitik Berlins“ bezeichnet. Gemäß der „Hinweise für Damit es nicht trotzdem zu politisch motivierten Reibereien Beteiligungen des Landes Berlin an Unternehmen“ aus dem zwischen Kontrollgremium und Management kommt, ernennt Jahr 2015 soll deshalb der Einfluss Berlins „insbesondere dem der Senat auf Vorlage des Finanzsenators geeignete Aufsichts- Zweck, der Höhe und der Bedeutung der Beteiligung angemes- räte (außer die Vertreter/innen der Arbeitnehmerseite und der sen sein“. Da die Stadt alleinige Gesellschafterin ist, sollte an- Mieterräte). Da in Berlin die Senatsverwaltung für Finanzen 10 MieterEcho 412 Oktober 2020
TITEL eine Bastion der SPD ist, wirken in den Aufsichtsräten vor- und ehrenamtlich aktiv als stellvertretender Sprecher des Ma- nehmlich sozialdemokratisch orientierte Mandatsträger/ nagerkreises der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. innen daran mit, dass die öffentlichen Gesellschaften trotz ihres sozialen Versorgungsauftrags letztlich wie private Un- Gesobau AG ternehmen agieren (MieterEcho 391/ November 2017). Die Juristin Gisela von der Aue übernahm 2015 den Aufsichts- ratsvorsitz bei der Gesobau. Sie ist seit 1968 Mitglied der Gewobag AG SPD und wurde 1998 vom Potsdamer Landtag zur Präsidentin Die seit August 2019 amtierende Aufsichtsratsvorsitzende der des Landesrechnungshofes gewählt. Diese Funktion übte sie Gewobag AG, Anke Brummer-Kohler, war von 2005 bis 2009 bis 2006 aus, bevor sie anschließend bis 2011 Berliner Jus- Büroleiterin im von Sigmar Gabriel (SPD) geleiteten Bundes- tizsenatorin war. Sie wurde ebenfalls in die Aufsichtsräte der umweltministerium. Danach wurde sie unter anderem Abtei- Degewo AG (2014 bis 2016) und der GSW Immobilien AG lungsleiterin für Stadtentwicklung, Wohnen und öffentliches (2012 bis 2014) berufen. Die ehemalige Gemeinnützige Sied- Baurecht im neu zugeschnittenen Bundesministerium für Um- lungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) mit über 65.000 welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Sie war daneben Wohneinheiten war bereits 2004 von der rot-roten Koalition an Vorstandsmitglied im Deutschen Verband für Wohnungswe- internationale Investoren verkauft und 2013 von der ebenfalls sen, Städtebau und Raumordnung. Der Lobbyverband sieht es rein renditeorientierten Deutsche Wohnen übernommen wor- als seine Aufgabe, Bund, Länder und Kommunen, die öffentli- den. Die GSW galt über lange Jahre als Mietpreistreiber in der che, genossenschaftliche und private Wohnungswirtschaft, Fi- Stadt, „wobei allerdings hinzugefügt werden muss, dass vier nanzinstitute und die Bauwirtschaft ins Gespräch zu bringen. der sechs landeseigenen Gesellschaften bis 2014 in ähnlicher „Damit überschreiten wir Grenzen zwischen Branchen und Weise die Mieten angezogen hatten, sich also wie ganz nor- Disziplinen, zwischen öffentlich und privat, zwischen Markt male gewinnorientierte Marktakteure verhielten“(MieterEcho und Staat“, heißt es auf der Webseite des Vereins. Zu seinen 396/ Juli 2018). Forderungen gehört unter anderem, mehr Anreize für die pri- Im Jahr 2015 wurde auch Dieter Cordes, ehemaliger Ge- vate Altersvorsorge zu schaffen. Als Vizepräsident des Vereins schäftsführer der städtischen Gesellschaft für Bauen und fungiert Rolf Buch, Vorstandsvorsitzender von Vonovia, dem Wohnen Hannover mbH (GBH) und Mitglied der SPD, in den größten privaten deutschen Wohnungsunternehmen. Aufsichtsrat entsandt. Er leitete das niedersächsische Unter- Die Aufsichtsrätin Dorette König studierte in Kiew Volkswirt- nehmen von 2003 bis 2013, war zuvor bei der Gewoba AG schaftsplanung und war in den späten 1980er Jahren bis zum in Bremen tätig, die sich im Mehrheitsbesitz der Hansestadt Ende der DDR als „überzeugtes Mitglied der SED“ – wie Wi- befindet. Seit Amtsantritt des Bremer Managers bei der GBH kipedia weiß – im Ministerium für Bildung und Wissenschaft wurden dort Wohnungen in großem Stil verkauft. Die Woh- in Ost-Berlin beschäftigt. Eine Anschlussbeschäftigung fand nungsbestände des kommunalen Wohnungsunternehmens ge- sie von 1995 bis 2006 bei der Brandenburgischen Boden Ge- rieten trotz Mieterschutzversprechen in die Hände von inter- sellschaft für Grundstücksverwaltung und -verwertung mbH, national agierenden Fondsgesellschaften. Die Teilverkäufe an zuletzt als deren Geschäftsführerin. Von 2006 bis 2007 ar- Finanzinvestoren rechtfertigte Cordes Ende der 2000er Jahre beitete sie als parteilose Staatssekretärin im SPD-geführten als unvermeidlichen Schritt angesichts der Finanzprobleme der Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung des Landes Stadt Hannover zu dieser Zeit. Brandenburg. Danach folgte ein weiterer Wechsel in die freie Wirtschaft; von 2008 bis 2011 war sie Geschäftsführerin der Howoge GmbH europaweit tätigen Immobilienberatungsfirma Savills. Seitdem Seit September 2018 fungiert Hendrik Jellema als Aufsichts- ist sie als Autolobbyistin in der Funktion der hauptamtlichen ratsvorsitzender der Howoge GmbH. Seine berufliche Lauf- Geschäftsführerin des ADAC Berlin-Brandenburg tätig. bahn ist eng mit der Gagfah verbunden. Über den Posten des König hatte sich zwar 2003 für ein CDU-Mandat in der Stadt- Vorstandsassistenten im Jahr 1992 und dem des Geschäfts- verordnetenversammlung Königs Wusterhausen beworben, führers Nordrhein-Westfalen drei Jahre später stieg er nach galt aber laut Ministerpräsident Matthias Platzeck als „SPD- der Übernahme der ehemals gemeinnützigen Gagfah durch nah“. Im Juli 2007 beschloss der Senat auf Vorschlag des da- den Private Equity Fonds Fortress 2004 zum Ressortleiter der maligen Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) Dorette König, Gagfah-Nileg auf. Ab Juni 2015 war er für knapp drei Jahre zu dem Zeitpunkt Staatssekretärin in Brandenburg, in den Mitglied des Aufsichtsrates bei Vonovia – dem Konzern, der Aufsichtsrat der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH im gleichen Jahr unter dem Namen Deutsche Annington die (WBM) zu entsenden. Gagfah übernahm. 2017 erhielt er dort für seine Tätigkeit eine Gesamtvergütung von 140.000 Euro. Die jährliche Einnahme Degewo AG als Vorsitzender des Aufsichtsrats bei der Howoge lag 2019 bei Volker Halsch, seit 2013 Aufsichtsratsvorsitzender der De- 9.758 Euro. gewo AG, war von 1997 bis 1999 Landesgeschäftsführer der Die in Kärnten geborene Wirtschaftsprüferin und Steuerbera- hessischen SPD und wechselte danach als Chef des Leitungs- terin Elfriede Baumann stieg im April 2019 in den Aufsichtsrat stabs ins Bundesfinanzministerium, damals geführt von Hans der Howoge ein. Bis zu ihrem Rückzug aus dem Berufsleben Eichel (SPD). Detlef Bimboes schrieb im MieterEcho 391/ 2017 war sie über Jahrzehnte für EY Österreich (vormals Ernst November 2017: „Er hat maßgeblich die neoliberale Steuerpo- & Young) tätig, seit 1995 als Mitglied der Geschäftsführung. litik der damaligen rot-grünen Bundesregierung unter Bundes- EY gehört zu den „Big Four“ der weltweit umsatzstärksten kanzler Gerhard Schröder (SPD) mitverantwortet.“ Von 2013 Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Schon vor dem aktuellen bis 2016 arbeitete Halsch bei der zum Bertelsmann-Konzern Wirecard-Skandal wurde Kritik an der Zunft der Wirtschafts- gehörenden Arvato AG, einem international agierenden Out- prüfer/innen laut. Der Publizist Werner Rügemer stellte schon sourcing-Anbieter. Seit 2017 ist er als Partner bei IBM tätig 2013 in einem Artikel fest, dass diese keine objektive Prü- MieterEcho 412 Oktober 2020 11
TITEL Privatwirtschaft zu übernehmen, da Annington über keinen be- deutenden Wohnungsbestand in Hamburg verfüge. Aufgrund öffentlicher Proteste musste Basse sein Mandat im September 2015 niederlegen. Heidemarie Wagner, seit 2019 Vorstand und Partnerin der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth & Klein Grant Thorn- ton, übt seit August 2017 ihr Mandat im Aufsichtsrat der WBM GmbH aus. Zu den Schwerpunkten der Arbeit gehören neben der Wirtschaftsprüfung die Steuer-, Rechts- und Finanzie- rungsberatung. Zu den Mandanten des Unternehmens zählen auch börsennotierte Wohnungsunternehmen und internationa- le Investoren. Wagner ist Mitglied im Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA), der als Lobbyorganisation vor allem kapital- marktorientierte Unternehmen der Immobilienbranche reprä- sentiert. Resümee Die Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder belegt den weitgehen- den Verzicht des Senats, die kommunalen Wohnungsunterneh- men sozial auszurichten. Dass dies kaum öffentlich kritisiert wird, verblüfft. Für den Berliner Senat als alleiniger Gesell- schafter ist es höchste Zeit, die Zurückhaltung gegenüber den Aufsichtsräte, die von Immobilienunternehmen und Wirtschaftsprüfungsgesell- eigenen Wohnungsgesellschaften abzulegen. Das schließt ein, schaften kommen, werden die kommunalen Wohnungsunternehmen nie sozial die geltenden rechtlichen Regelungen ernst zu nehmen. Laut ausrichten. Landeshaushaltsordnung soll das Land Berlin nur dann ein Un- ternehmen in einer Rechtsform des privaten Rechts gründen oder sich an einem bereits bestehenden Unternehmen in einer fungsinstanz, sondern Kompliz/innen der Unternehmenslei- solchen Rechtsform beteiligen, wenn „ein wichtiges Interes- tungen seien, denn sie würden schließlich von ihnen bezahlt. se Berlins vorliegt und sich der von Berlin angestrebte Zweck Als Multiaufsichtsrätin sitzt Baumann unter anderem auch in nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen den Kontrollgremien der Österreichischen Bundesbahnen, der lässt“. Will die Stadt tatsächlich für eine soziale Wohnungs- Wiener Stadtwerke und der Bundestheater Holding in Wien. politik sorgen, lässt sich dieses Ziel offenkundig nur auf die zitierte „andere Weise erreichen“. Die Idee, die Aufgaben im Stadt und Land GmbH Rahmen einer neu zu begründenden öffentlich-rechtlichen 2004 wurde der Soziologe Christoph Landerer Mitglied und Struktur zu bewältigen, drängt sich damit auf. h 2010 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Stadt und Land GmbH. Er gehört der SPD und der Gewerkschaft Ver.di an und ist seit etwa 16 Jahren geschäftsführender Gesellschafter der Tricon Unternehmensberatung in Berlin. Davor, von 1995 bis 2004, arbeitete er als Personalvorstand der Berliner Stadtreinigungs- betriebe (BSR). In einer Mitteilung der BSR vom April 2004 wird Landerer für den „reibungslosen Abbau von rund 4.000 Arbeitsplätzen“ gelobt und sein „ehrgeiziges Programm“, in nur drei Jahren die Kosten um über 90 Millionen Euro „nach- haltig“ gesenkt zu haben, positiv gewürdigt. Landerer ist auch im Lenkungsausschuss der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD tätig. WBM GmbH Vorsitzender des Aufsichtsrats ist seit Ende 2015 der ehema- lige Vorstandsvorsitzende der kommunalen Saga Siedlungs- Aktiengesellschaft Hamburg, Lutz Basse. Mediales Aufsehen erregte er im Herbst 2014, als er sich daneben zum Aufsichts- ratsmitglied der Deutschen Annington bestellen ließ. Die Pres- se berichtete, dass sein Einkommen als Saga-Chef im Jahr 2012 rund 328.000 Euro betrug. Die Vergütung des damals größten privaten Immobilienunternehmens Deutsche Annington belief sich auf 100.000 Euro. Pikant war, dass Hamburgs Bausenato- rin Jutta Blankau (SPD) die Annahme des Aufsichtsratspostens genehmigt hatte. Basse versicherte nach Medienberichten, er Die WBM: Ein Aufsichtsratsvorsitzender, der gleichzeitig für öffentliche und private sähe keinen Interessenskonflikt darin, als Manager eines öf- tätig war und ein Aufsichtsratsmitglied, das einer Immobilien-Lobbyorganisation fentlichen Unternehmens die hoch bezahlte Tätigkeit in der angehört. 12 MieterEcho 412 Oktober 2020
TITEL Soziale Wohnraumversorgung im Bonsai-Format Das geschützte Segment der landeseigenen Wohnungsunternehmen ist wenig mehr als ein Placebo gegen Wohnungsnot Von Rainer Balcerowiak Seit April 2017 gilt die aktuelle Kooperationsvereinbarung des Berliner Senats mit den sechs landeseigenen Woh- nungsunternehmen (LWU). Unter dem Titel „Leistbare Mie- ten, Wohnungsneubau und soziale Wohnraumversorgung" werden allerlei hehre Ziele aufgeführt. So sollen die Mög- lichkeiten einkommensschwächerer Haushalte erhöht wer- den, trotz steigender Mieten in der inneren Stadt zu wohnen. Neben Deckelung der Mieten bei Bestandsverträgen einkom- mensschwacher Haushalte sind vor allem bestimmte Kontin- gente bei der Neuvermietung vereinbart. So sollen 60% der jährlich zur Wiedervermietung kommenden Wohnungen an WBS-Berechtigte zur ortsüblichen Vergleichsmiete „unter Beachtung der Berliner Mischung“ vermietet werden. 25% der WBS-Wohnungen sind „besonderen Bedarfsgruppen“ Angesichts zehntausender Wohnungs- und Obdachloser ist die Kooperationsver- vorbehalten, die auf dem freien Wohnungsmarkt weitgehend einbarung nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Zur Behebung der dramatischen chancenlos sind. Der Kreis der Berechtigten wurde erweitert, Wohnungsnot bräuchte es ein engagiertes, kommunales Wohnungsbaupro- er umfasst nunmehr Transferleistungsbeziehende, Obdachlo- gramm. Foto: Matthias Coers se, Geflüchtete, Student/innen, Schüler/innen, Auszubildende und betreute Wohnformen. Bezogen auf alle Neuvermietungen innen und Auszubildende mit 954. Weitere 562 Mietverträge gibt es für diese Gruppen also ein geschütztes Segment von gingen an Angehörige nicht weiter aufgeschlüsselter „sonsti- 15%. Erstbezüge von Neubauten unterliegen nicht dieser Quo- ger Bedarfsgruppen“. tenregelung. Ferner gibt es Ausnahmeregelungen für einzelne Angesichts der dramatischen Wohnungsnot ist das aber we- Siedlungen. Dort können die Quoten „zur Stabilisierung der nig mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Zahl der sozialen Zusammensetzung“ abgesenkt werden, auf 40% für Menschen ohne mietvertraglich gesicherte, eigene Wohnung WBS-Berechtigte und 10% für Haushalte mit besonderem Be- geht in die Zehntausende. Aktuell sind laut Sozialverwal- darf. Das betraf unter anderem Bestände im Märkischen Vier- tung knapp 40.000 Menschen provisorisch untergebracht, tel, in Hellersdorf, die Paul-Hertz-Siedlung und Wohnbauten die sich bei den Bezirken als wohnungslos gemeldet haben. entlang des Spektegrünzugs. Darunter auch rund 12.000 Geflüchtete mit Aufenthaltstitel, 2019 gab es bei den LWU insgesamt 15.201 Neuvermietun- die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz er- gen im Bestand. Damit ist das Wohnungsangebot der LWU halten und noch immer in Sammel- oder Gemeinschaftsun- trotz vergrößerter Bestände erneut gesunken, 2013 gab es noch terkünften leben müssen. Dazu kommen noch Obdachlose 21.115 Neuvermietungen, doch der zunehmende Wohnungs- und Menschen, die bei Verwandten oder Bekannten mal hier mangel und die explodierenden Mieten auf dem „freien Markt“ und mal da unterkommen. Die Grauzone der Wohnungs- haben die Fluktuation deutlich sinken lassen. losigkeit ist riesig, prekäre Wohnformen, wie etwa illegale Untervermietung, erleben einen regelrechten Boom. Das gilt Weiterhin dramatischer Wohnungsmangel auch für die als „innere Verdichtung“ bezeichnete Überbele- Laut dem Jahresbericht zur Umsetzung der Kooperationsver- gung von Wohnungen oder das quasi zwangsweise Verblei- einbarung der Wohnraumversorgung Berlin (WVB), einer ben jüngerer Erwachsener in den elterlichen Wohnungen. Anstalt öffentlichen Rechts, wurde die Quote für die Vergabe Die Kooperationsvereinbarung zwischen Senat und LWU zur an besondere Bedarfsgruppen 2019 deutlich übererfüllt, ins- sozialen Wohnraumversorgung ist sicherlich ein Schritt in die gesamt wurden 5.477 Wohnungen nach diesen Kriterien ver- richtige Richtung. Doch sie reicht längst nicht aus, um die dra- geben. Davon gingen 2.060 an Transferleistungsbeziehende. matische Wohnungsnot auch nur einzudämmen. Dazu bräuch- Im traditionellen „geschützten Marktsegment“, das vor allem te es ein engagiertes, kommunales Wohnungsbauprogramm. Wohnungslosen zugutekommt, waren es 1.133. Geflüchtete Bei dieser neben der Mietenregulierung entscheidenden Stell- sind mit 768 Wohnungen aufgeführt, Studierende, Schüler/ schraube hat der rot-rot-grüne Senat auf ganzer Linie versagt. h MieterEcho 412 Oktober 2020 13
Sie können auch lesen