Bibliotheksforum Bayern - Co.Libri - ein Literaturfestival bekommt (virtuelle) Flügel
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Bibliotheksforum Bayern Magazin 4 / 2021 Co.Libri – ein Literaturfestival bekommt (virtuelle) Flügel © Bauamt der Ludwig-Maximilians-Universität München/Medizinische Lesehalle der Universitätsbibliothek Heft 04, 15. Jahrgang, November 2021 / ISSN 0340-000X
Auf dem Cover ist die Medizinische Lesehalle der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians- Universität München am Beethovenplatz zu sehen: Schwarz sind die Wände des Kuppelsaals der Medizinischen Lesehalle. Sie spiegeln sich in den abertausenden Kristallkugeln des Lüsters und verleihen dem Raum mit seinen Lichtkuppeln schlichte Eleganz und Modernität. Zugleich verweisen sie auf die Geschichte des Gebäudes, das 1913 von dem Architekten Emanuel von Seidl für den Theaterdirektor und Kunstsammler Franz Joseph Brakl als Galerie errichtet wurde. In der Weltwirt- schaftskrise notleidend geworden, musste Brakl das Gebäude 1930 veräußern, das dank der Stiftung einer amerikanischen Mäzenatin von der Universität übernommen wurde und fortan als „Medizinische Lesehalle“ eine Außenstelle der Universitätsbibliothek bildete. Über neun Jahrzehnte hinweg hat der Jugendstilbau seine Funktion als Bibliothek beibehalten. Den Glanz vormaliger Zeiten brachte aber erst eine Kernsanierung in den Jahren 2011–2013 zurück. Die besondere Historie dieses Jugendstil-Gebäudes zu würdigen, aber seine Nutzung modern zu interpretieren, war das Ziel. Seitdem präsentiert sich die Medizinische Lesehalle als eine moderne und zugleich besonders ästhetische Bibliothek, deren 165 Leseplätze den unterschiedlichen Lern- und Arbeitsbedürfnissen mit Loungezonen und Einzelarbeitsplätzen genügen, die mit Selbstverbuchungsautomaten und RFID-Technologie alle Anforderungen zeitgemäßer Bibliotheksnutzung erfüllt und heute wegen ihrer besonderen Aufenthaltsqualität einer der at- traktivsten und meist frequentierten Standorte der Universitätsbibliothek ist. Die Medizinische Lesehalle ist ein Lernort und erzählt dabei viel von ihrer Geschichte. Der Autor Dr. Klaus-Rainer Brintzinger ist Direktor der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Liebe Leserin, lieber Leser! © Bayerische Staatsbibliothek / H. R. Schulz Noch im Sommer und Frühherbst schien die Welt aus der Starre zu erwachen, in die uns die Corona-Pande- mie seit über 18 Monaten bereits zwingt: allerorten wurde wieder geplant und organisiert. Zwischenzeitlich meinten wir fast, ein Ende der epidemischen Lage sei möglich. So waren auch die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie erheblich gelockert worden. Ganz gleich, was die nächsten Wochen bringen: Es wird Zeit für Rück- und Ausblicke. So liefert das vorliegende Bibliotheksforum Bayern viele Beispiele für das Anwachsen digitaler, aber auch für das Wiedererwachen analoger Bibliotheksangebote aller Art – und der Mischung von beidem: So hat im April mit einem Jahr Verspätung das Straubinger Literaturfestival ‚Co.Libri‘ stattgefunden. Nicht nur später, sondern angesichts der jüngsten Erfahrungen in erweitertem Format, als Hybridveranstaltung. Bibliotheken haben in der Pandemie den Kopf nicht in den Sand gesteckt, sondern neu gedacht. Genauso die Staatsbibliothek Bamberg, welche die „Krise als Chance“ sah und Online-Vorträge jetzt verstärkt zur Vermittlung von Wissen nutzt und Hybridformate für die Zukunft ebenfalls schon in den Blick nimmt. Statt im Lockdown in Lethargie zu verfallen, nutzten viele Häuser die Zwangspause: Einige stellten z. B. auf eine benutzerfreundliche Klartext-Systematik um, andere verbesserten ihre technische Ausstattung, boten Lieferdienste oder ‚Click & Collect‘ an u. v. m., wie Ute Palmer in ihrem Bericht ,Veränderung ad hoc‘ aufzeigt. Das Spektrum der Aktivitäten reicht von Renovierungen – eine solche führte etwa die Gemeindebibliothek Neubiberg durch und realisierte zusätzliche Räume für Kleinkinder und Jugendliche – bis zur Verleihung von Förderpreisen, gestiftet z. B. vom Bayernwerk für Kinderbibliotheken. Zeugnisse für die Vitalität der Bibliothe- ken gibt es also reichlich. Darüber hinaus gibt es neue Initiativen zur Förderung von Demokratie in der Gesellschaft und der Rolle der Bibliotheken in diesem Kontext; diese haben aufmerksamkeitsstarke Titel wie ,Bitte stören!‘, siehe Tom Beckers Bericht in diesem Heft. Und nicht zuletzt bringen verschiedene Projekte neues Forschungsmaterial hervor, z. B. ermöglicht die DFG-Förderung einer bundesweiten Kooperation umfangreiche Digitalisierungen von Kinder- und Jugendliteratur des 19. Jahrhunderts, zu der die Internationale Jugendbibliothek als Beteiligte einen Artikel beisteuert. Zu aller Betriebsamkeit gehören auch Abschiede. So wird zum Eintritt in den Ruhestand zwei regen Persönlich- keiten der BSB Tribut gezollt: Dr. Helga Rebhan und Klaus Kempf, zu denen der Begrif „Ruhestand“ allerdings nicht wirklich passt. Lassen auch Sie sich nicht den Elan nehmen – planen Sie weiter! Denn irgendwann wird die Pandemie ein Ende fnden! Jetzt wünsche ich Ihnen aber erstmal viel Spaß beim Lesen dieses Heftes. Es zeigt eindrucksvoll auf, was in unseren Bibliotheken in den vergangenen Monaten trotz aller Herausforderungen möglich gemacht wurde! Ihr Peter Schnitzlein
Inhalt Colibri – Corpus Libri et Liberi Digitalisierung von Kinder- und Jugendliteratur des 19. Jahrhunderts – ein DFG-gefördertes Projekt Von Katja Wiebe und Jutta Reusch Gemeindebibliothek Neubiberg – frisch renoviert und neu gestaltete Kinderbibliothek Von Claudia Hagel Facing the Balkans Südosteuropa in Fotografen von Harald Schmitt Von Caroline Finkeldey Corona – die Krise als Chance Online-Vorträge der Staatsbibliothek Bamberg Von Prof. Dr. Bettina Wagner Veränderung ad hoc Die Pandemie als Katalysator für Veränderung Von Ute Palmer Aschafenburger Kulturerbe in bavarikon Von Florian Sepp Co.Libri – ein Literaturfestival bekommt (virtuelle) Flügel Straubinger Festival fand aufgrund von Corona online statt Von Regina Herbst „Wer macht mir meinen Schaden gut?“ Der Sekretär der Münchner Kunstakademie Rudolf Marggraf und seine Sammlung von Künstlerbriefen Von Dr. Maximilian Schreiber „Der Erwählte“ Hans Ludwig Helds Wahl zum Stadtbibliothekar vor 100 Jahren Von Dr. Gerhard Hölzle Bayernwerk Kinderbibliothekspreis Engagement bayerischer Bibliotheken wird ausgezeichnet Von Norbert Hellinger, Christin Stegerhof, Susanne Zacharias, Sabine Adolph und Christina Schnödt Ein Interview zum Abschied Helga Rebhan und Dorothea Sommer im Gespräch Sichtbar im Touchpoint Die Gandersheimer Barockbibliothek aus dem Kloster Brunshausen Von Dr. Silvia Pfster Klaus Kempf zum Abschied Von Dr. Monika Moravetz-Kuhlmann
Bitte stören! Warum demokratiepolitisches Engagement ganzjährig wichtig ist Von Dr. Tom Becker Kurz notiert Termine Impressum Autorinnen und Autoren der Ausgabe
Colibri – Corpus Libri et Liberi Digitalisierung von Kinder- und Jugendliteratur des 19. Jahrhunderts – ein DFG-gefördertes Projekt Von Katja Wiebe und Jutta Reusch © Brauseköpfchen-Ausgaben: IJB; H/D Pro-66/4108 D, H/M 185950, H/M 185900 Ausgaben von „Brauseköpfchen“ von Hedwig Prohl von 1899 und 1900 Im Rahmen des Projekts ‚Colibri: Digitalisierung von Kinder- und Jugendliteratur des 19. Jahrhunderts‘ bauen die Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, die Universitätsbibliothek der Technischen Universi- tät Braunschweig und die Universitätsbibliothek Bielefeld sowie die Internationale Jugendbibliothek München eine digitale Sammlung deutschsprachiger historischer Kinder- und Jugendliteratur auf. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und startete im Juni 2021 mit einem virtuellen Kick- Of-Meeting. Der Projektrahmen Die vier oben genannten Einrichtungen und Projektpartner verfügen auf dem Gebiet der historischen Kinder- und Jugendliteratur deutschlandweit über sehr umfangreiche und wertvolle Buchbestände. Für das ‚Colibri‘- Projekt sollen aus diesen Kollektionen 15.000 bibliographische Einheiten digitalisiert werden. Der Erschei- nungszeitraum der Einheiten liegt zwischen 1801 und 1914. Damit knüpft das Projekt einerseits an die von der DFG geförderte Digitalisierungsstrategie für Drucke des 18. Jahrhunderts im Rahmen des ‚Verzeichnisses der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 18. Jahrhunderts (VD 18)‘ an; andererseits schließt es eine Lücke zu den im Projekt ‚Europeana Collections 1914 – 1918‘ digitalisierten Kinder- und Jugendbüchern.
Die Ergebnisse des Colibri-Projekts leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Bildung eines Korpus zur Erfor- schung deutschsprachiger historischer Kinder- und Jugendliteratur des sogenannten ‚Langen 19. Jahrhunderts‘ 1 mittels Methoden der ‚Digital Humanities‘. Sie werden in einem Online-Portal zusammenfießen, das die digita- lisierten historischen Kinder- und Jugendbücher präsentiert und damit sichtbar und uneingeschränkt frei nach- nutzbar macht. Die Digitalisate der historischen Kinder- und Jugendbücher werden mit Meta- und Struktur- daten versehen, auch sollen durch Optical-Character-Recognition-Verfahren (OCR-Verfahren) Volltexte erstellt werden, um umfassende Recherchemittel für die wissenschaftliche Analyse des Korpus bereitzustellen. Auf diese Weise sollen Forschende und interessierte Nutzerinnen und Nutzer aus aller Welt die Möglichkeit haben, Zugang zu umfangreichen kinder- und jugendliterarischen Datenmengen zu erhalten und diese auszuwerten. Das Projektkonsortium wird von einem neunköpfgen Beirat unterstützt, der den antragstellenden Einrichtun- gen in bibliothekarischer, literatur- und buchwissenschaftlicher, sprachtechnologischer und informationstech- nischer Hinsicht beratend zur Seite steht. Darüber hinaus wird das gesamte Projekt mit seinem Fokus auf die Literatur- und Informationsversorgung der Wissenschaft von Literaturwissenschaftlerinnen und -wissenschaft- lern der Universitäten Bielefeld und Leipzig begleitet. Voraussetzungen und praktische Umsetzung des Colibri-Projekts Ein solches Kooperationsprojekt von vier Bibliotheken bedarf guter Planung und Vorbereitung. Seit März 2020 tauschen sich die Kooperationspartnerinnen regelmäßig in Videokonferenzen untereinander, aber auch mit Mitgliedern des Beirats aus. Die Projektpartnerinnen legten Arbeitsschritte sowie Regeln für die Erfassung und Bearbeitung der 15.000 zu digitalisierenden Kinder- und Jugendbücher fest. Allen Arbeitsschritten des Projekts liegen die ‚Praxisregeln Digitalisierung‘ der DFG zugrunde.2 Die Produktion und Speicherung der kinder- und jugendliterarischen Digitalisate erfolgen in den Digitalisierungs-Workfow-Systemen Kitodo bzw. Goobi. Beide Plattformen basieren auf den XML-basierten LOC-Metadaten-Standards METS und MODS, implementieren weitgehend identische Strukturdatenregelsätze und sind beide mit dem ‚DFG-Viewer‘ 3 kompatibel, in dem die digitalisierten Kinder- und Jugendbücher angezeigt werden. In das Colibri-Projekt fießen nur Buchbestände ein, die bereits nach bibliothekarischen Standards erfasst wor- den sind, sodass die zu digitalisierenden Bestände der vier Bibliotheken eingegrenzt, gesichtet und verglichen werden können. Damit wurde sichergestellt, dass Katalogdaten vorhanden sind, die in den jeweiligen Verbund- systemen nachgenutzt werden können. Zu Beginn des Projekts führen die Bibliotheken in Berlin, Bielefeld, Braunschweig und München in Abstimmung zunächst eine Dublettenkontrolle der für das Projekt ausgewählten Bestände durch. Mit der Überprüfung soll sichergestellt werden, dass identische Exemplare aus den verschiedenen Einrichtungen nicht doppelt digi- talisiert werden. Die ausgewählten Bestände werden weiterhin darauf geprüft, inwieweit bereits im Web frei zugängliche und qualitativ hochwertige Digitalisate vorhanden sind, sodass die entsprechenden Kinder- und Jugendbücher für das Colibri-Projekt nicht ein zweites Mal gescannt werden müssen.
Darüber hinaus wird überprüft, in welchem Umfang mit urheberrechtlich geschütztem Material bzw. Material, dessen urheberrechtliche Situation nicht eindeutig zu klären ist, gerechnet werden muss, da dieses Material für das geplante Projekt ausgeschlossen werden sollte. An diese Vorabkontrollen schließt sich dann die Vorbereitung der Bestände an, die in mehreren Lieferungen an einen Scan-Dienstleister gehen und dort nach und nach digitalisiert werden sollen. Nach dem Ausheben der Bücher aus den jeweiligen Lagern und Magazinen müssen die Bücher auf ihren konservatorischen Zustand geprüft werden, d. h. daraufhin, ob der Zustand eine Digitalisierung überhaupt zulässt. Lose Blätter oder Buch- lagen sowie ein eingeschränkter Öfnungswinkel der Bücher erschweren oder verhindern gar die Eignung. Nach dem Scannen der Bücher bei den Dienstleistern werden jeweils eine Qualitätskontrolle und möglicher- weise Reklamationen fehlerhafter Scans durch die Bibliotheken erfolgen. Als weitere Arbeitsschritte schließen sich die Meta- und Strukturdatenerfassung der Digitalisate sowie das Implementieren einer automatischen Texterkennung auf Basis von optischer Zeichenerkennung an. Es folgen die Präsentation der digitalen Ausga- ben mittels des DFG-Viewers sowie die Langzeitsicherung der Daten. Zur ersten Präsentation der Digitalisate, Metadaten und Volltexte soll in den letzten Abschnitten des Projekts ein Online-Portal angelegt werden. In diesem Projekt-Portal werden die Daten aller beteiligten vier Bibliothe- ken zusammengeführt. Bereits jetzt verfügt das Projekt über eine eigene Website (www.colibri-portal.eu). Die voraussichtlich 5.000 Bände, die die Internationale Jugendbibliothek aus ihren großen Beständen beisteuern wird, sollen nicht nur auf dem Projekt-Portal, sondern auch in der Virtuellen Bibliothek Bayern gehostet und präsentiert werden. Ein Workshop, der die Ergebnisse der Forschenden-Community vorstellt, wird zum Ab- schluss des Projekts stattfnden. Die teilnehmenden Bibliotheken freuen sich, im Zuge des Colibri-Projekts erstmals ein umfangreiches spezi- fsch kinder- und jugendliterarisches Text-Korpus aus dem ‚Langen 19. Jahrhundert‘ bereitstellen zu können, das im Rahmen der Digital-Humanities-Entwicklung in der deutschsprachigen Forschungslandschaft als Quelle für die historische Kinder- und Jugendliteraturforschung sowie verwandte Forschungsbereiche dienen kann. Die Autorinnen Katja Wiebe ist die Koordinatorin des Colibri-Projekts für die Internationale Jugendbibliothek. Jutta Reusch ist Leiterin der Bibliothekarischen Dienste in der Internationalen Jugendbibliothek. Anmerkungen 1 Der Erscheinungszeitraum der Einheiten liegt zwischen 1801 und 1914, also in dem Zeitraum des sogenannten ,Langen 19. Jahrhunderts‘. 2 www.dfg.de/formulare/12_151/12_151_de.pdf 3 http://dfg-viewer.de < zurück zur Übersicht
Gemeindebibliothek Neubiberg – frisch renoviert und neu gestaltete Kinderbibliothek Nach Abschluss der umfassenden Sanierung ist die Gemeindebibliothek wieder zurück am Rathausplatz Von Claudia Hagel © Gemeindebücherei Neubiberg / Marina Prueller Kinderbereich für die Kleinsten Die Gemeindebibliothek Neubiberg befndet sich seit 1980 im ,Haus für Weiterbildung‘ in zentraler Lage am Rathausplatz. Der Zugang zur Bibliothek und zu allen anderen Räumen im Haus ist barrierefrei. Das Gebäude fasst Gemeindebibliothek, Gemeindearchiv, Volkshochschule, Sitzungs-, Büro- und Veranstaltungsräume unter einem Dach zusammen. In den nächsten Jahren wird auch die Musikschule in das Bürgerhaus einziehen. Eine erste Modernisierung der Bibliothek erfolgte 2004. Von 2018 bis Frühjahr 2021 wurde das Haus für Weiter- bildung generalsaniert. Während dieser Zeit bezog die Gemeindebibliothek ein Interimsquartier am Bahnhofs- platz. Vorüberlegungen Die Anforderungen an die Gestaltung und Einrichtung der Bibliothek waren vielfältig: mehr Arbeitsplätze, verbesserte technische Ausstattung, zahlreiche attraktive und bequeme Sitzgelegenheiten zum Lesen und Stöbern, Lesecafé mit Loungebereich, separater Jugendbereich und eine erweiterte und völlig neu konzipierte
Kinderbibliothek. Die Besucher*innen sollen sich wohlfühlen und ihre Bibliothek als ofenen kulturellen und sozialen Trefpunkt erleben. Ausgehend von dieser Prämisse erarbeiteten Innenarchitektinnen ein passendes Konzept, welches die unterschiedlichen Interessen der Bibliotheksnutzer*innen berücksichtigt. Das Ganze wird unterstützt durch eine ausgeklügelte Kombination an Materialien, Farben und Licht, die wunderbar mitein- ander harmonieren. Dies ist beim Betreten der Bibliothek sofort zu spüren: Ein modernes und diferenziertes Raumkonzept sorgt für eine hohe Aufenthaltsqualität. Ausleihen und Aktuelles erfahren Beim Betreten der Bibliothek fällt sofort der großzügige Thekenbereich auf. Dieser ist in einem ruhigen Grau- ton gehalten. Farbliche Akzente in Rot setzen sich ab und verleihen dem Raum Wärme und Lebendigkeit. Im Thekenbereich präsentiert die Bibliothek auf einem Flachbildschirm aktuelle Meldungen auf digitale Weise und gegenüber auf Präsentationsschienen ihre Neuerscheinungen klassisch analog. Trefpunkt Bibliothek Früher kamen die Leute nur zum Ausleihen in die Bibliothek. Das ist schon lange Geschichte. Heute sind Bib- liotheken gesellschaftliche und kulturelle Trefpunkte. Bibliotheken sind Kommunikationsorte und gefragte Lernorte. Ein Pluspunkt der neuen Bibliothek ist das Zeitschriften-Lesecafé mit attraktiven Sitzgelegenheiten im Eingangsbereich. Hier können die Besucher sich zwanglos bei einer Tasse fairem Kafee mit Bekannten und Freunden trefen oder in Ruhe eine der drei Tageszeitungen lesen. Des Weiteren werden 75 Zeitschriften zum Lesen vor Ort angeboten. Vom Lesecafé aus eröfnet sich der Blick auf das Herzstück der Bibliothek, die Regalreihen, bestückt mit rund 27.000 Medien unterschiedlicher Genres. Romane, Sachbücher und Erzählungen sind nach verschiedenen Interessensgebieten, z. B. ‚Tatort Bayern‘, ‚Historisches‘, aufgestellt und alphabetisch sortiert. Zwischen den Regalbrettern fnden sich immer wieder schräg angelegte Fächer, in denen Neuerscheinungen oder Bestseller besonders zur Geltung kommen. Für die Medienrecherche stehen zwei fest installierte Touchpads und ein Sitz- OPAC bereit. Kleinere Veranstaltungen können in der Kinderbibliothek und im Bereich des Zeitschriften-Lesecafés statt- fnden. Für größere Veranstaltungen stehen der Bibliothek ein schöner und technisch voll ausgestatteter Ver- anstaltungsraum im 2. Obergeschoss des Hauses sowie die Aula der Grundschule Neubiberg zur Verfügung. Zeitgemäßes Lernen Der Klassiker unter den Lernorten ist und bleibt die Bibliothek. Daher war die Schafung von mehr Arbeits- plätzen bei der Raumplanung ein zentrales Thema. Für stilles Arbeiten, Lernen oder die Vorbereitung eines Referats sind sieben Arbeitsplätze sowie zwei PC-Plätze samt Farbdrucker vorhanden, selbstverständlich mit Stromanschluss und kostenfreiem Internet. Die Lernorte befnden sich etwas versteckt hinter Regalreihen und somit abgeschirmt von Geräuschen. Das ermöglicht ein konzentriertes Arbeiten. Spielen, lesen und lauschen in der Kinderbibliothek Ein absoluter Zugewinn für die neue Bibliothek ist ein eigens für Kinder gestalteter Bereich: die ca. 90 qm große Kinderbibliothek. Mit dem Kinderbereich erfährt die Bibliothek eine beachtliche Erweiterung ihrer Fläche. Dort, wo sich früher Büros der Beschäftigten der Bibliothek befanden, können nun Kinder – vom Krabbelalter an – spielen, Bücher entdecken, sich vorlesen lassen oder schon selbst ihre ersten Leseversuche starten. Die liebevolle und kindgerechte Gestaltung lädt dazu ein, voll und ganz in die Welt der Bücher einzutauchen. Auf dem Boden, direkt in Greifhöhe, stehen farbige Tröge, in denen bunte Bilderbücher für die Kleinsten einsortiert sind. Dazwischen schlängelt sich der Bücherwurm „Willy“ mit weiteren altersgerechten Büchern im Gepäck, die zum Durchblättern anregen. Die schon etwas größeren „Leselöwen“ können sich an kleinen Regalen ihre Lieblingsbücher aussuchen und sich mit diesen an einen bequemen Platz zum Schmökern zurückziehen. Ein Lieblingsplatz wird sicher die grün gepolsterte Sitznische werden, die in eine Bücherwand integriert wurde. Hier lässt es sich wunderbar in die faszinierende Welt der Bücher eintauchen. Ein weiteres Novum: An einer Wand ist ein großer Flachbildschirm angebracht, der für Veranstaltungen und Präsentationen genutzt werden
kann. Durch die fexible Möblierung mit fahrbaren Regalen und Trögen können kleinere Veranstaltungen im Kinderbereich stattfnden. Hier trefen sich die ‚Bücherbärchen‘ zum Spielen, die Vorschulkinder zum monat- lichen Bilderbuchkino und Grundschulkinder zum ‚Leserattenclub‘. Der Kinderbereich bietet auch Raum für Autorenlesungen, Bastelaktionen, Workshops und Spielenachmittage. Kenndaten zur Gemeindebibliothek Neubiberg Bibliothek Gemeindebibliothek Neubiberg Einwohner 15.026 Landkreis München Bauherr Gemeinde Neubiberg Bauplanung BH Architekten RS Ingenieure Innenarchitekturbüro Nett & Siebe Bauzeit Oktober 2018 – Dezember 2020 Baukosten anteilsmäßig ca. 650.000 Euro Gebäude Haus für Weiterbildung – Generalsanierung UG: Volkshochschule und Gemeindearchiv EG: Gemeindebibliothek 1. OG: Gemeindeverwaltung 2. OG: Veranstaltungs- und Sitzungssaal Nutzfäche 420 m2 Im Zuge der Sanierung wurde die Biblio- theksfläche um ca. 100 m2 erweitert. Ist-Bestand 27.608 physische Medien Ziel-Bestand erreicht Technische Ausstattung Bibliothekssofware WinBIAP.net webOPAC 2 öfentliche Internet-PCs mit Drucker 3 Benutzer-OPACs, davon 2 Touchscreens 2 Info-Monitore 1 Kopiergerät freies WLAN Einrichtung ekz: - Regalsystem DIO - Neumöblierung der Kinderbibliothek - neue Zeitschrifenschränke und Präsentationsmöbel Schreinerarbeiten: - Teilbereiche der neuen Kinderbibliothek - Lesecafé, Theke, Info- und Präsentations- bereich - eingebaute Sitzgelegenheiten Einrichtungskosten ca. 150.000 Euro Personal 5 Stellen Öfnungszeiten Di, Do, Fr 11 – 13 Uhr und 14 – 19 Uhr Mi 11 – 13 Uhr und 14 – 16 Uhr Sa 10 – 14 Uhr Adresse Rathausplatz 10, 85579 Neubiberg E-Mail gemeindebibliothek@neubiberg.de Website www.neubiberg.de/gemeindebibliothek Stand April 2021
Ein Rückzugsort für Jugendliche Auch Jugendliche wurden mit einem speziell für sie eingerichteten Rückzugsort bedacht. Im neugestalteten Ju- gendbereich wird alles für die Zielgruppe ab 13 Jahren präsentiert: Jugendromane, Mangas, Jugendsachbücher, Konsolenspiele, Hörbücher und Musik-CDs. In einer gemütlichen Sitzecke lässt es sich gut ‚chillen‘. In unmittel- barer Nähe gibt es zahl-reiche Arbeitsplätze zum Lernen und Hausaufgaben machen. Attraktive Arbeitsumgebung fördert die Kreativität Die Attraktivität der Arbeitsumgebung ist maßgeblich für das Wohlbefnden der Mitarbeiter*innen verantwort- lich. Denn nur, wenn sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen, wird deren Kreativität angeregt. Dies gilt für den Bibliotheks- und Bürobereich gleichermaßen. Im Erdgeschoss des Hauses für Weiterbildung waren früher die Gemeindebibliothek und die Volkshochschule untergebracht. Im Zuge der Sanierung wurde das Info-Zentrum der Volkshochschule ausgelagert, und die Publikums- und Bürofächen der Bibliothek konnten erweitert werden. Der neue Bürobereich für die fünf Mitarbeiterinnen umfasst ca. 75 qm. Es wurden zwei Dop- pelbüros mit 21 qm und 18 qm sowie ein Einzelbüro mit 14 qm eingerichtet. Ein ca. 7 qm großer Infrastruktur- raum ermöglichte das Auslagern der Drucker aus den Büros. Im erweiterten und ofenen Flurbereich wurden eine Küchenzeile mit Mikrowelle und Spülmaschine sowie ein Ess- und Arbeitstisch integriert. Leseterrasse wird noch gebaut Zu den Grundüberlegungen der Planungen gehörte von Anfang an eine Leseterrasse mit Blick auf den begrün- ten und autofreien Rathausanger. Ein „Freiluft-Lesesaal“ für alle Besucher, die einen Leseort oder eine Tasse Kafee unter freiem Himmel genießen möchten. Hier können auch kleinere Vorleseaktionen für Kinder statt- fnden, Hochbeete aufgestellt und bepfanzt werden. Die erforderliche Außentür zur Terrasse wurde bereits eingebaut. Der Bau der Leseterrasse musste aus Kostengründen leider verschoben werden. Das Projekt werde, so der Erste Bürgermeister Thomas Pardeller, zeitnah realisiert. Gelungenes Update Die Gemeindebibliothek Neubiberg ist eine familien- und bürgerfreundliche Einrichtung, in der Kundenservice und Informationskompetenz einen hohen Stellenwert haben. Sie ist bei Kindern und Eltern sehr beliebt und ein gern besuchter Anziehungspunkt für die ganze Familie. Nahezu alle Anforderungen, die an das Einrichtungskonzept gestellt wurden, konnten umgesetzt werden. Die Bibliothek präsentiert sich modern, einladend und ofen mit zahlreichen Arbeits- und Sitzgelegenheiten und guter technischer Ausstattung. Die Autorin Claudia Hagel ist die Leiterin der Gemeindebibliothek Neubiberg. < zurück zur Übersicht
Facing the Balkans Südosteuropa in Fotografen von Harald Schmitt Von Caroline Finkeldey „Der Balkan ist nur ein paar hundert Kilometer entfernt von uns. Grund genug, ihn zu entdecken.“ Das sagte sich der ehemalige stern-Fotograf Harald Schmitt im Jahr 2015 und machte sich auf den Weg, die Länder Südosteuropas kennenzulernen. Das Ziel seiner Reise: sich den eigenen Vorurteilen über den Balkan zu stellen. Fünfmal reiste Schmitt schließlich durch Südosteuropa. Unterwegs porträtierte er die Menschen, die ihm begegneten: Kreative Unternehmer*innen, verliebte Brautpaare, religiöse Würdenträger, aber auch Menschen auf der Flucht über die sogenannte Balkanroute. Mehr als 1.500 Aufnahmen entstanden auf diesen Reisen. Die Jahresausstellung 2021 der Bayerischen Staatsbibliothek präsentiert vom 11. November bis 4. März eine Auswahl dieser Bilder. Unter dem Titel ‚Facing the Balkans‘ zeigt sie die vielfältigen Gesichter Südosteuropas und lädt gleichzeitig dazu ein, eigene Vorstellungen über den Balkan zu hinterfragen. Für die Bayerische Staatsbibliothek ist Harald Schmitt ein alter Bekannter, gehört er doch zu den renommier- ten Fotografen des Magazins stern, dessen analoges Foto-Archiv die BSB 2019 übernahm. Mehr als 30 Jahre reiste Schmitt im Auftrag des stern um die Welt und hielt unzählige Momente der Zeitgeschichte fotografsch fest. Immer wieder führte ihn seine Arbeit auch in die Länder des östlichen Europas wie 1989, als er die ‚Samtene Revolution‘ in der Tschechoslowakei dokumentierte, oder 1991, als er den Augustputsch in Russland miterlebte. Sechsmal wurde Harald Schmitt der wichtigste Preis der Pressefotografe, der ‚World Press Photo Award‘, verliehen. Dass er nicht bloß in einer, sondern in fünf verschiedenen Kategorien – darunter Porträt, Kunst und Nachrichtenfeature – ausgezeichnet wurde, zeigt sein außergewöhnliches Talent. Dabei hat Schmitt sich selbst nie als Künstler verstanden, sondern verschrieb sich ganz dem Ethos des klassischen Fotoreporters. Seine Bilder sollen den Betrachter*innen das aktuelle Weltgeschehen nahebringen und Antworten geben. © Bayerische Staatsbibliothek / Bildarchiv / Harald Schmitt Nordmazedonien: Zentraler Platz in Skopje
Diesen Ansatz verfolgt Harald Schmitt auch in seinem jüngsten Projekt, der fotografschen Erkundung Südost- europas. Immer wieder greift er in seinen Bildern aktuelle politische Herausforderungen auf. Daher schlägt auch ‚Facing the Balkans‘ einen Bogen zu den großen Fragen unserer Zeit: Wie reagieren wir auf große gesell- schaftliche Umbrüche? Wie erinnern wir uns an vergangenes Leid? Wie gehen wir mit Menschen auf der Flucht vor Krieg und Armut um? © Bayerische Staatsbibliothek / Bildarchiv / Harald Schmitt Albanien: Geburtstagsfeier Aufgeteilt in sieben Themenblöcke zeigt die Ausstellung verschiedene Aspekte des Lebens in den südost- europäischen Ländern: Wie sich die Gesellschaften seit dem Zusammenbruch des Sozialismus wandelten, wird ebenso vorgestellt wie die diverse Erinnerungskultur. Eindrückliche Bilder beleuchten die schwierige Situation der Menschen, die über die sogenannte Balkanroute fiehen. Es bleibt aber auch Platz für Zwischenmensch- liches und Alltägliches: Zwei Themenblöcke erzählen vom Leben auf dem Land und dem sozialen Miteinander im Alltag und an Festtagen. Auch den vielfältigen Gesichtern des Tourismus ist ein Ausstellungsteil gewidmet. Wie Religion heute in den südosteuropäischen Ländern praktiziert wird, behandelt ein weiterer Abschnitt. Insgesamt präsentiert die Ausstellung Bilder aus elf Ländern: von Slowenien im Norden bis Albanien im Süden, von Kroatien im Westen bis Moldau im Osten. In 100 Farbfotografen entspinnt sich ein vielfältiges Panorama der Balkanländer. Ausgestellt werden die hochwertigen Reproduktionen im Fürstensaal und dem Prachttrep- penhaus der Bayerischen Staatsbibliothek. Begleitend erscheint im Kerber Verlag ein Ausstellungskatalog, der alle Fotografen vereint. Ergänzt werden die Bilder von eigens für den Katalog verfassten Texten: In einem einleitenden Essay skizziert der wissenschaftliche Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropastudien (IOS) in Regensburg, Prof. Dr. Ulf Brunnbauer, die Geschichte der Repräsentation des Balkans in Kunst, Medien und Wissenschaft und weist auf kommende Herausforderungen hin. Die einzelnen Kapitel werden durch prägnante Themenessays von Prof. Dr. Ulf Brunn- bauer (IOS), PD Dr. Heike Karge (Universität Regensburg) und Dr. Edvin Pezo (IOS) kontextualisiert.
© Bayerische Staatsbibliothek /Bildarchiv / Harald Schmitt, Plakatgestaltung D/ÖA/C. Kühn Das Plakat zur Ausstellung zeigt ein Graffiti in einem im Bosnienkrieg zerstörten Gebäude in Mostar Zusätzlich wird ein reichhaltiges Begleitprogramm angeboten, sofern die Pandemie Veranstaltungen zulässt. Geplant sind regelmäßige Führungen, die ergänzende Einsichten zu den historischen Hintergründen und in die Geschichten hinter den Fotografien geben. Schließlich können Besucher*innen auch einen Einblick in die Süd- osteuropastudien erhalten: Beim Science Slam präsentieren Wissenschaftler*innen ihre aktuellen Forschungs- projekte in unterhaltsamen Kurzvorträgen, um bei der anschließenden Applausabstimmung die Gunst des Publikums zu gewinnen. Orts- und pandemieunabhängig können Interessierte die Ausstellung auch virtuell auf der Website der Bayerischen Staatsbibliothek besuchen. Südosteuropa ist viel mehr als die gängigen Klischees vermuten lassen – das zeigt ‚Facing the Balkans‘. Das lernte auch Harald Schmitt, der am Ende seiner ersten Reise ein persönliches Fazit zog: „Die Idee eines einigen, großen Europas haben wir erst hier so richtig verstanden.“ Die Autorin Caroline Finkeldey ist Co-Kuratorin der Jahresausstellung 2021 und Mitarbeiterin der Osteuropaabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek. Information Katalog zur Ausstellung ,Facing the Balkans‘ Südosteuropa in Fotografien von Harald Schmitt, Herausgegeben von der Bayerischen Staatsbibliothek, Kerber Verlag, Bielefeld, 176 Seiten, 35 Euro, ISBN: 978-3-7356-0774-4 < zurück zur Übersicht
Corona – die Krise als Chance Online-Vorträge der Staatsbibliothek Bamberg Von Prof. Dr. Bettina Wagner Für Regionalbibliotheken eröfnen Online-Veranstaltungen die Chance, ihre Vermittlungsangebote über die traditionellen Formate hinaus erheblich auszuweiten. Entscheidend dafür ist eine gute Vernetzung mit etab- lierten Kooperationspartnern. Mehrere hundert Teilnehmer bei einer Veranstaltung einer Bibliothek? Und das zu Zeiten der COVID-19-Pan- demie? Was zunächst so klingt, als ob sich eine verantwortungslose Bibliotheksleitung über alle Vorschriften der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung hinweggesetzt hätte, verdankt sich dem digitalen Schub, den das Virus auch im Kulturbereich ausgelöst hat. Nie war es so einfach wie heute, virtuelle Veranstaltungen durch- zuführen. Die coronabedingten Distanzregeln erhöhten allenthalben den Wunsch, wenigstens auf elektroni- schem Wege in Verbindung zu bleiben, und trugen so dazu bei, dass sich auch Ältere an die neuen Techniken annäherten. Ein wesentlicher Vorteil ist dabei, dass Online-Veranstaltungen weit mehr Zuhörer erreichen als Veranstaltungen in Präsenz. So kann die Reichweite auf die gesamte Region und sogar darüber hinaus ausge- dehnt werden, ohne dass der Lesesaal in einen Vortragsraum umgebaut werden muss. Lokal, regional … Als Kooperationspartner bieten sich lokale Bildungseinrichtungen (wie Volkshochschule und Universität) sowie regionale Geschichtsvereine an. In Oberfranken entschied sich Dr. Günter Dippold, Bezirksheimatpfeger und Vorstand des Colloquium Historicum Wirsbergense (CHW), eines 1924 gegründeten Vereins mit über 1.750 Mitgliedern, schon Anfang 2021 dazu, digitale Veranstaltungen anzubieten. Dies erleichterte der Staatsbiblio- thek den Einstieg ins virtuelle Vortragsprogramm: Da eine Ausstellung über den Bamberger Kunstliebhaber und Dürerforscher Joseph Heller (1798–1849) verschoben werden musste, stellte Dr. Anna Scherbaum, Kunst- historikerin und Leiterin der Volkshochschule Bamberg Stadt, bei einem CHW-Vortrag einige Objekte aus Hellers Sammlung vor, darunter eine der beiden erhaltenen Abschriften von Dürers Tagebuch zur Reise in die Niederlande (1520/1) und die einzige erhaltene Druckplatte (s. Abb. S. 23) für eine Radierung Dürers. Mittels einer Dokumentenkamera konnten die Originale aus der Staatsbibliothek live zugeschaltet werden und so die Zuschauer dreidimensionale Sammlungsobjekte in dynamischer Sicht erleben: Vor den Augen des Publikums blätterte die Hand einer Bibliothekarin in Dürers Tagebuch und brachte die Druckplatte zum Glitzern. Der Vortrag kann online abgerufen werden, was die Zugrifszahlen zusätzlich erhöht. … und international Aber auch weit über die Region hinaus lassen sich neue Partner gewinnen: Die Staatsbibliothek Bamberg, deren mittelalterliche Handschriften der Bistumsgründer Kaiser Heinrich II. aus ganz Europa zusammentrug, ist eine Anlaufstelle für Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Auf Initiative der Oxforder Mediävistin Prof. Dr. Henrike Lähnemann fand am 500. Todestag von Sebastian Brant ein internationaler Workshop statt, bei dem neben Inkunabelausgaben des ,Narrenschifs‘ aus der Bodleian Library Oxford und der British Library London auch zwei Bamberger Exemplare vorgestellt wurden. Ein Vortrag des Consortium of European Research Libraries (CERL) bot zahlreichen Interessierten Gelegenheit, den außergewöhnlichen Hornplatteneinband des Bamber- ger Psalters kennenzulernen, der 2019 faksimiliert wurde.
© Staatsbibliothek Bamberg (Kupferplatte 25) Eine einzigartige Hinterlassenschaft Dürers: Die Druckplatte seiner Radierung ‚Christus am Ölberg‘ von 1515
Fortsetzung folgt Die positiven Reaktionen der Zuschauer waren Ansporn zu mehr: Im Herbst/Winter 2021/22 präsentiert die Staatsbibliothek eine Vortragsreihe mit dem Titel ,Bamberger Buch-Geschichten‘, in der Experten neue Er- kenntnisse zu ganz unterschiedlichen Objekten mitteilen. Vorgestellt werden mit Buchmalerei ausgestattete Handschriften, Raritäten aus den Anfangsjahren des Buchdrucks, einzigartige Dokumente der frühen Neuzeit sowie Quellen zum Musikleben des 18. und 19. Jahrhunderts. Zu entdecken sind auch Materialien, die man in einer Bibliothek nicht vermuten würde: In der Graphischen Sammlung fnden sich Zeichnungen von hoher künstlerischer Qualität, ja sogar ein Fächer (s. Abb. oben), den ein bambergischer Geheimkanzlist mit dekorati- ven Chinoiserien bemalte. Zwei Vorträge ergänzten die Herbstausstellung, die dem Bamberger Kunstsammler Joseph Heller gewidmet ist und vom 27. September bis zum 18. Dezember 2021 gezeigt wird. Sie vertiefen Aspekte der Rezeption Albrecht Dürers, dessen Werke im Mittelpunkt von Hellers Sammlung standen. Die Vortragsreihe vermittelt so auch einen Eindruck davon, wie die Bestände der Staatsbibliothek in ihrer über 200-jährigen Geschichte angewachsen sind. Ein besonderes Highlight war ein Workshop am 2. November 2021 zum Bamberger Drucker Albrecht Pfster, der schon in den 1460er-Jahren als erster in der Domstadt deutschsprachige Bücher druckte und mit Holz- schnittillustrationen ausstattete. Die Inkunabeln Pfsters sind von allergrößter Seltenheit. Die Staatsbibliothek Bamberg besitzt nur vier Blätter des ,Ackermann von Böhmen‘; weitere Blätter verwahren die John Rylands Library in Manchester und die Scheide Library in Princeton. In Zusammenarbeit mit ihnen kann das auseinan- dergerissene Exemplar virtuell rekonstruiert werden. Dank moderner Technik lassen sich Grenzen überwinden, die Corona dem persönlichen Kontakt setzt. Zwischen Bibliotheken, Wissenschaftlern und Kulturinteressierten haben sich neue Formen des Austauschs entwickelt, die traditionelle Vermittlungsformate ergänzen, ohne diese überfüssig zu machen. Sobald wieder physische Zusammenkünfte mit größeren Gruppen zulässig sind, werden Ausstellungseröfnungen, Vorträge und Seminare sicher wieder in Bibliotheksräumen stattfnden – wenn auch vielleicht in hybrider Form ergänzt um eine Live-Übertragung im Internet, die auf der Bibliothekswebsite für diejenigen zugänglich gemacht wird, die nicht persönlich teilnehmen können. Die Autorin Prof. Dr. Bettina Wagner ist Direktorin der Staatsbibliothek Bamberg. Linktipps Aktuelle und virtuelle Ausstellungen, aufgezeichnete Vorträge und Termine sind abrufbar über www.staatsbibliothek-bamberg.de/kulturvermittlung/ www.staatsbibliothek-bamberg.de/article/bamberger-buch-geschichten-online-vortragsreihe/ < zurück zur Übersicht
Veränderung ad hoc Die Pandemie als Katalysator für Veränderung Von Ute Palmer 2020: DAS Ausnahmejahr auch für die öfentlichen Bibliotheken in Bayern. Sie mussten fexibel reagieren, die neuesten Verordnungen beachten, sich mit Träger und dem zuständigen Landratsamt abstimmen. Und nicht immer war sofort klar, wie die aktuellen Regelungen umzusetzen sind. Es war jedoch bei aller Unsicherheit auch ein Verständnis zu spüren, dass in dieser volatilen Situation nicht alles sofort und zu aller Zufriedenheit geklärt werden konnte. Zu viele Unwägbarkeiten, eine in jüngster Zeit nie dagewesene Situation, viele an den Beschlüssen beteiligte Personen und Institutionen stellten den Rahmen für das Agieren dar. Dazu erforderten die räumliche und personelle Situation vor Ort individuelle Lösungen. War die Öfnung für Bibliotheken gene- rell erlaubt, war dies nicht immer für alle Bibliotheken möglich. Und nach wie vor gibt es noch ofene Fragen (z. B. „Quarantäne“ für Medien), die jedoch meist im Alltag in Rücksprache mit den lokal zuständigen Instanzen geklärt werden können. In der Praxis wechselten sich Schließzeiten mit ‚Click & Collect‘ (am Anfang noch ‚Abholservice‘ genannt), dem etwas kontaktstärkeren ‚Click & Meet‘, Bring- und Lieferdiensten und eigenen kreativen Lösungen ab. Erfreulich für die meisten Bibliotheken kam dann die inzidenzunabhängige Möglichkeit zur Öfnung – dies bot Planungssicherheit und verhinderte auch mancherorts Kurzarbeit. Aber auch die Schließzeiten wurden genutzt: Was Anfang 2020 noch im „Verschiebemodus“ bei vielen Bibliothe- ken war (nach der Devise: „Das machen wir irgendwann! Das müssten wir auch mal angehen.“) wurde aufgrund der Ausnahmesituation mancherorts sehr schnell umgesetzt: Bestandspfege, Umstellung auf benutzerfreund- liche Klartext-Systematik, Aufstockung der digitalen Angebote, verbesserte technische Ausstattung der Biblio- theken, Teilnahme an Webinaren. Bibliotheken wurden vermisst während der Schließzeit: von Familien, die die Herausforderung des Homeschooling zu bewältigen hatten, von Schüler*innen und Student*innen, denen etwas mehr Kontakt gutgetan hätte. Was der geschlossene „Trefpunkt Bibliothek“ für Senioren, Alleinstehende, Gefüchtete, Kinder aus bildungsferneren Familien bedeutet hat, wie die soziale Schiefage noch mehr ins Wan- ken geriet, können Sie, liebe Kolleg*innen in den Bibliotheken, am besten beurteilen. © Grafk auf Basis der Vorlage v. D. Glonegger, LfS Regensburg
© Grafk auf Basis der Vorlage v. D. Glonegger, LfS Regensburg Einige Zahlen aus der Statistik Die Bibliotheksstatistik 2020 kann nicht mit den Zahlen des Vorjahres verglichen werden: Die Schließzeit betrug mindestens zwölf Wochen, die Bibliotheken hatten 139.500 Stunden (–27 %) weniger geöfnet als 2019. Und dennoch ist eine Veröfentlichung sinnvoll, zeigt sie doch neben den erwartbaren Ergebnissen wie Rückgang der Zahl der Veranstaltungen und der Ausleihzahlen physischer Medien die Leistungen, die von den Bibliotheksteams „trotzdem“ erbracht worden sind. Die Ausleihzahl der physischen Medien ist um 13,8 % zurückgegangen. In dieser Zahl sind bei einigen Bibliothe- ken die automatisch hinzuaddierten Pauschalverlängerungen während der Schließzeit enthalten. Ohne diese Serviceleistung während der Pandemie läge der Rückgang in diesem Bereich bei 20,1 %. Die E-Medien konnten einen Zuwachs von 20 % verbuchen. Die Nutzung von Streaming-Angeboten stieg sogar um 32 %. Am dramatischsten zeigen sich die Auswirkungen der Pandemie bei den Veranstaltungen: Dort ist ein Rück- gang von zwei Dritteln (67,9 %), bei den Veranstaltungsbesuchern von über der Hälfte (57,6 %) zu verzeichnen. Ergebnisse einer Corona-Umfrage Doch waren die Bibliotheken kreativ: In einer Umfrage der Landesfachstelle 4 gaben 93,5 % an, mindestens einen der beiden Services ‚Click & Collect‘ oder Lieferdienst eingerichtet zu haben. Mehr als 70 % gaben an, dass die digitale Nutzung zugenommen hat. Durch die Digitalisierung des Angebots konnten in fast 55 % der Bibliotheken neue Nutzer*innen gewonnen werden. Über 80 % gaben an, dass sie während der Pandemie neue digitale Angebote aufgenommen haben. Darunter fallen sowohl Medienangebote wie Einstieg in die Ausleihe von E-Medien als auch digitale Veranstaltungsformate wie Rechercheschulungen, Online-Lesungen, Vorlese- stunden. Einige Bibliotheken starteten sogar mit einem eigenen YouTube-Channel. Mehr als 35 % planen ihr digitales Angebot auch in Zukunft weiter auszubauen. Interessant sind hier die Gründe von Bibliotheken, die dies nicht beabsichtigen: geringer Medienetat und fehlende Zustimmung bei den örtlichen Gremien. Selten ein Schaden ohne Nutzen: Was nehmen öfentliche Bibliotheken aus der Krise mit? Die Bibliotheken, die sich bereits auf dem Weg der Digitalisierung befanden, waren im Vorteil: Ihre Nutzer*- innen konnten von den Online-Angeboten proftieren, sei es die Ausleihe von E-Medien oder auch das
Streamen von Lesungen oder anderen Veranstaltungen. Es wurden beispielsweise digitale Klassenführungen entwickelt (Regionalbibliothek Weiden in der Oberpfalz), Autorenlesungen oder Vorlesestunden für Kinder gestreamt oder ganze Literaturfestivals digital angeboten (s. Bericht über das Straubinger Lesefestival Co.Libri in dieser Ausgabe). Bibliotheken, die bereits die Ausleihe über Selbstverbuchung organisiert hatten, konnten diesen Vorgang nach dem Lockdown kontaktlos anbieten. Auch proftierten viele bayerische Bibliotheken von den beiden Bundesprojekten ‚Vor Ort für Alle‘ und ‚Wis- sensWandel‘. Zum jetzigen Zeitpunkt sind beide Projekte noch nicht abgeschlossen, deshalb ist noch keine genaue Evaluation möglich. Förderschwerpunkte waren unter anderem: RFID-Selbstverbuchung, Erhöhung der Aufenthaltsqualität, Aufstockung der E-Medien, Bereitstellung neuer Datenbank- und Streaming-Angebote. Angebote der Landesfachstelle Auch die Kolleg*innen der Landesfachstelle haben auf die Krise reagiert. Die Webseite war das wesentliche Kommunikationstool, um Bayerns Bibliotheken schnell über neue Beschlüsse und Verordnungen, aber auch über Best-Practice-Beispiele aus den Bibliotheken zu informieren. Die zahlreichen Fortbildungen vor Ort muss- ten in den digitalen Raum verlegt werden. Es wurden Tutorials und Webinare angeboten – selbst die Buch- und WIE SCHÖN, DASS SIE WIEDER DA SIND! Bitte verhalten Sie sich umsichtig und beachten Sie einige Regeln! Halten Sie 1,50 m Abstand zueinander (auch wenn Sie warten müssen)! Das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (ab 6 Jahren) ist Pflicht. Beachten Sie die allgemeinen Hygiene- empfehlungen! Desinfizieren Sie sich die Hände! Besuchen Sie uns nur, wenn Sie sich gesund fühlen. Kindern unter 12 Jahren ist das Betreten der Regional- bibliothek nur in Begleitung eines Erwachsenen gestattet. Die Anzahl der maximal erlaubten Besucher wird über Bücherkörbe gezählt. Bitte pro Person einen Bücherkorb benutzen! Begrenzen Sie Ihren Aufenthalt auf ein Minimum: Sie können Medien zurückgeben, ausleihen, Vormerkungen abholen, den Kassenautomaten benutzen, sich beraten lassen und sich anmelden. © Stadtbibliothek Weiden / S. Guhl Tageszeitungen, WLAN, Lesecafé, Arbeitsplätze, Spielecke sowie Veranstaltungen und Flohmarkt können wir zurzeit nicht anbieten! Wir bitten Sie um Ihr Verständnis und freuen uns auf Ihren Besuch! Hygieneregeln der Regionalbibliothek Weiden
Medientage fanden auch virtuell großen Zuspruch. Schien dies zu Anfang nur zweite Wahl, werden wir hier genau evaluieren, was davon auch in die Zeit danach übernommen wird. Aber an dieser Stelle sei gesagt: Wir freuen uns, wenn wir Sie wieder vor Ort sehen und uns mit Ihnen austauschen können! Auch das laufende Jahr ist noch von der Ausnahmesituation geprägt. Nach und nach kehren Veranstaltungen, Klassenführungen und andere Services zurück. Und doch – Hygieneregeln und gewisse Einschränkungen wer- den vorerst noch bleiben. Bleiben wird der Zugewinn an digitalen Angeboten, den Erfahrungen damit. Die Ver- bindung zwischen dem Analogen und Digitalen wird weiterhin eine große Rolle spielen, dafür muss vielerorts noch mehr als bisher in die technische Ausstattung investiert werden. Viele Bibliotheken haben die Anschubfnanzierung aus den Bundesmitteln genutzt, um Aufenthaltsqualität, Technik, Infrastruktur, Kompetenzen zur Medienvermittlung zu erweitern. Und nach wie vor stehen die Förder- mittel des Freistaats Bayern zur Verfügung: Neben den Mitteln, die über die Landesfachstelle für das öfentli- che Bibliothekswesen zur Verfügung gestellt werden, stehen unter anderem noch Mittel aus der Städtebauför- derung und dem Kulturfonds bereit. Ein weiterer positiver Ausblick zum Schluss: Erfreulicherweise investieren viele kleinere Kommunen in neue Bibliotheken. Die gesellschaftliche Bedeutung einer Ortsmitte mit einem konsumfreien Raum, der mit attraktiven Angeboten die Bürger*innen erreicht, überzeugt viele Träger. Freuen Sie sich auf einige gelungene Beispiele! Die Autorin Ute Palmer ist Leiterin der Landesfachstelle für das öfentliche Bibliothekswesen. Anmerkungen 4 Es wurden 700 öfentliche Bibliotheken angeschrieben, 340 davon haben sich an der Umfrage beteiligt. < zurück zur Übersicht
Aschafenburger Kulturerbe in bavarikon Gleich zwei bavarikon-Projekte konnten am 25. Juni 2021 der Öfentlichkeit präsen- tiert werden. Die Bayerische Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach, schaltete bei einer Pressekonferenz im Ridingersaal des Aschafenburger Schlosses Johannis- burg die Projekte des Stadt- und Stiftsarchivs Aschafenburg und der Hofbibliothek Aschafenburg im Kulturportal bavarikon online. Damit sind nun wichtige Dokumente zur Geschichte Aschafenburgs und seiner Umgebung, aber auch zur Geschichte des Erzbistums Mainz weltweit zugänglich. Von Florian Sepp Die Präsentation fand unter Berücksichtigung aller Corona-Maßnahmen statt – Anwesenheitslisten, Masken und Abstände. Prominenteste Rednerin der Veranstaltung war Staatsministerin Judith Gerlach, deren Minis- terium gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst bavarikon fnanziert. Gerlach betonte vor allem den Aspekt der breiten Zugänglichkeit des Kulturerbes: „Mit Hilfe der Digitalisierung kann jetzt jede und jeder Interessierte immer und überall kostenlos in diese Historie eintauchen.“ Die Bayerische Staatsbibliothek trägt die technische, administrative und redaktionelle Verantwortung für den Betrieb von bavarikon und war andererseits über die ihr nachgeordnete Hofbibliothek Aschafenburg auch unmittelbar an den Digitalisierungsvorhaben beteiligt. Dr. Klaus Ceynowa, Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek, betonte die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten digitalisierter Kulturobjekte – von virtuellen Ausstellungen über digitale Forschungsumgebungen bis hin zum 3D-Druck. Für die gastgebende Stadt Aschafenburg bezeichnete Bürgermeister Eric Leiderer die digitale Teilhabe im Kulturbereich als zentralen Bestandteil der städtischen Digitalstrategie. Die Präsentation der Bestände übernahmen Dr. Joachim Kemper vom Stadt- und Stiftsarchiv Aschafenburg sowie die Leiterin der Hofbibliothek Aschafenburg, Karin Kuhn. Das Kulturerbe von Kurmainz Bevor Aschafenburg Anfang des 19. Jahrhunderts zu Bayern kam, war es jahrhundertelang Zentrum des so- genannten ‚Mainzer Oberstifts‘, also eines Teiles des weltlichen Herrschaftsgebiets der Erzbischöfe von Mainz. Diese waren die ranghöchsten Reichsfürsten des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation und gehörten auch zum exklusiven Kollegium der Kurfürsten, die den deutschen König wählten. Aschafenburg war mit der Johannisburg und anderen Schlössern eine der wichtigsten Nebenresidenzen der Mainzer Erzbischöfe. Das im 10. Jahrhundert gegründete Kollegiatstift St. Peter und Alexander war eng an das Mainzer Domkapitel ange- bunden, seit dem 16. Jahrhundert war der Mainzer Erzbischof auch Stiftspropst und somit Oberhaupt des Stifts. Handschriften und Inkunabeln der Hofbibliothek Aschafenburg Die Hofbibliothek Aschafenburg entstand im ausgehenden 18. Jahrhundert. Im Jahr 1794 wurden die wert- vollen Mainzer Bestände vor der anrückenden französischen Revolutionsarmee endgültig in die Johannisburg in Sicherheit gebracht. 1814 gelangte sie in den Besitz des bayerischen Staates, heute ist die Hofbibliothek Aschafenburg eine der zehn regionalen Staatlichen Bibliotheken Bayerns.
© Hofbibliothek Aschafenburg (Ms 13) Eingangsbild mit vier Evangelisten aus dem Mainzer Evangeliar (Mitte 13. Jahrhundert) Die Handschriften und Inkunabeln der Hofbibliothek stammen aus der Mainzer Dombibliothek und der Privatsammlung des Erzbischofs Friedrich Karl Joseph von Erthal (1774–1802). Dazu gehört auch eine von zwei Gutenberg-Bibeln, die sich heute im Freistaat Bayern befnden. Eine Reihe wertvoller Handschriften war ursprünglich im Privatbesitz des Erzbischofs von Magdeburg und Mainz, Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490–1545), der nicht nur als Förderer des Ablasshandels und Kontrahent Martin Luthers bekannt ist, sondern auch als bedeutender Kunstmäzen. Im Rahmen von bavarikon wurden insgesamt 35 der wertvollsten Hand- schriften und Inkunabeln dieses Bestandes im Scanzentrum der Bayerischen Staatsbibliothek gescannt. Urkunden und Amtsbücher des Stifts St. Peter und Alexander Umfangreicher war das Projekt des Stadt- und Stiftsarchivs Aschafenburg. Dieses brachte neben einer Samm- lung von 150 Ansichten der Stadt Aschafenburg die Überlieferung des Stifts St. Peter und Alexander ein, die sich in einer bayernweit einmaligen Konstellation seit 1939 als Dauerleihgabe des Freistaats Bayern im Besitz
des Archivs befndet. Dabei handelt es sich sowohl um die Urkunden als auch um die Amtsbücher und Pro- tokolle des Stifts. Diese Bestände sind als die bedeutendste Quellengruppe für die Geschichte des bayerischen Untermaingebiets anzusehen. Der Freistaat Bayern förderte dieses Digitalisierungsprojekt, bei dem knapp 2.000 Objekte online gestellt wurden, mit rund 30.000 Euro. Weitere Geldgeber waren die Stadt Aschafenburg, der Geschichts- und Kunstverein Aschafenburg sowie der Allgemeine Schul- und Studienfonds Aschafenburg. © Stadt-und Stiftsarchiv Aschafenburg / Justyna Baumgart Staatsministerin Judith Gerlach bei der Freischaltung der neuen bavarikon-Projekte Eine Kaiserurkunde Ottos II. wiederentdeckt Vorbereitungen für Digitalisierungsprojekte machen es oft notwendig, die in Auswahl einbezogenen Sammlun- gen umfassend zu sichten und wissenschaftlich zu bewerten. Dabei gibt es oft überraschende Funde. So auch in Aschafenburg: Hier wurde 2020 die seit 1912 verschollene älteste Urkunde des Archivs wieder aufgefunden, nämlich eine Urkunde Kaiser Ottos II., die dieser 982 in Capua für das Stift St. Peter und Alexander ausstellte. Schon allein die Tatsache, dass hier eine ottonische Kaiserurkunde wiederentdeckt wurde, macht diesen Fund bedeutend. Gleichzeitig handelt es sich bei diesem Stück um eines der frühesten schriftlichen Zeugnisse zur Geschichte der Stadt Aschafenburg überhaupt. Der Autor Florian Sepp ist Leiter des Referats Bavarica der Bayerischen Staatsbibliothek. Anmerkung Online-Kulturportal bavarikon: www.bavarikon.de < zurück zur Übersicht
Sie können auch lesen