Deutschland sucht die Bildungsmilliarden - Erziehung & Wissenschaft 02/2021 - GEW
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Erziehung & Wissenschaft 02/2021 Zeitschrift der Bildungsgewerkschaft GEW Deutschland sucht die Bildungsmilliarden
2 GASTKOMMENTAR Foto: Rainer Sievert MECHTHILD SCHROOTEN Mangelwirtschaft beenden! Covid-19 verursacht in vielen Lebensbereichen großes Leid. Investitions- und Innovationsstau passen nicht zu harten Die Pandemie hat das chronisch unterfinanzierte Bildungs- Hygienestandards. Zwar hat die öffentliche Hand für Bildung system an die Grenzen seiner Belastbarkeit gebracht. Die pandemiebedingt kurzfristig Finanzmittel bereitgestellt. Aber jahrelange Mangelwirtschaft verursacht aktuell hohe Kos- in einer Katastrophenzeit aufzuholen, was jahrelang vernach- ten. Diese Krisenkosten fallen jedoch kaum bei den politisch lässigt wurde, ist eine besondere Herausforderung. Verantwortlichen an. Die immensen direkten und indirekten Tatsächlich meistert der Bildungssektor in der Pandemiezeit Kosten werden aktuell von engagierten Beschäftigten, Schü- komplexeste Herausforderungen innerhalb kürzester Zeit. lerinnen und Schülern, Kindern, Studierenden und Eltern ge- Wenn er das schafft, so geht dies aber kaum auf kluge politi- tragen. sche Entscheidungen zurück. Vielmehr hält das außerordent- Dabei wird immer klarer: Kinder wollen Schule und Kita! El- liche Engagement der Beteiligten die Bildungsinfrastruktur tern wollen Schule und Kita! Studierende wollen Hochschule! am Laufen. „Ehrenamt im Hauptamt“ und Improvisation mö- Selten hat Schule, selten hat Bildung eine solche gesamtge- gen zwar kurzfristig weiterhelfen, ersetzen jedoch kein trag- sellschaftliche Wertschätzung erfahren. Die Beschäftigten fähiges Konzept. im Bildungssektor wachsen aktuell vielfach über sich hinaus, Während die meisten Menschen noch mit der Pandemiebe- entwickeln neue Formate und Vermittlungsformen. Das alles wältigung im Alltag beschäftigt sind, ist auf der politischen ist eine wunderbare Ausgangslage für eine kräftige Bildungs- Ebene längst ein Verteilungskampf um die zukünftige Staatsfi- offensive. nanzierung entbrannt. Die aktuelle Kreditfinanzierung außer- Doch eine Bildungsoffensive bedeutet mehr als eine halbher- ordentlicher Ausgabenprogramme wird mit Sicherheit nicht zige Digitalisierung vorhandener Prozesse. Sie setzt voraus, dauerhaft aufrechterhalten werden können. Der Bildungs- dass der in jeder Hinsicht systemrelevante Bildungssektor sektor darf nicht wieder der Kassenlage von Kommunen und dauerhaft gut finanziert wird. Der internationale Vergleich Bundesländern ausgeliefert werden. Der Bildungsföderalis- zeigt, dass Deutschland einen erheblichen Nachholbedarf mus steht vor einer Bewährungsprobe. hat. In der Bundesrepublik liegen die Bildungsausgaben sys- Der Bildungssektor liefert viel mehr als Wissen. Zentrale tematisch unter dem Durchschnitt in den Staaten der Organi- Stichworte sind neben Chancen, Betreuung und Erziehung sation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vor allem individuelle Förderung und emotionale Ansprache – (OECD). So erreichten die Ausgaben für die Primarstufe bis dies und vieles mehr wird im Kontext von Bildung geboten. zum Tertiärbereich 2017 gerade einmal 4,2 Prozent des Brut- Genügend Geld für Bildung muss da sein, sonst droht unsere toinlandsprodukts; der OECD-Durchschnitt lag bei 4,9 Pro- Gesellschaft, noch weiter auseinander zu driften. Bildung hat zent. Gemessen in Euro entspricht die Differenz zum Durch- im Kern weitreichende verteilungspolitische Konsequenzen. schnitt in etwa 23 Milliarden Euro. Diese Summe ist erheblich; Eltern, Kinder, Schülerinnen und Schüler, Studierende und die diese Finanzmittel fehlen jedes Jahr. Beschäftigten im Bildungssektor haben es verdient, dass die Die Mangelwirtschaft im deutschen Bildungssektor ist seit Mangelwirtschaft der Vergangenheit angehört. langem bekannt. Marode Schulgebäude symbolisieren Poli- tikversagen. In der Pandemie-Zeit entstand aus der chroni- Mechthild Schrooten, schen Unterfinanzierung eine massive zusätzliche Belastung. Professorin für Volkswirtschaftslehre, Hochschule Bremen Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
INHALT 3 Prämie Inhalt des Monat s Seite 5 IMPRESSUM Erziehung und Wissenschaft Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung · 73. Jg. Herausgeberin: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund Vorsitzende: Marlis Tepe Redaktionsleiter: Ulf Rödde Gastkommentar Redaktion: Jürgen Amendt Redaktionsassistentin: Katja Wenzel Mangelwirtschaft beenden! Seite 2 Postanschrift der Redaktion: Reifenberger Straße 21 60489 Frankfurt am Main Telefon 069 78973-0 Impressum Seite 3 Fax 069 78973-202 katja.wenzel@gew.de www.gew.de Auf einen Blick Seite 4 facebook.com/GEW.DieBildungsgewerkschaft twitter.com/gew_bund Redaktionsschluss ist in der Regel Prämie des Monats Seite 5 der 7. eines jeden Monats. Erziehung und Wissenschaft erscheint elfmal jährlich. Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste und Internet Schwerpunkt: Bildungsfinanzierung sowie Vervielfältigung auf Datenträger der „Erziehung und Wissenschaft“ auch auszugweise nur nach vorheri- 1. Der Putz ist ab: Deutschland sucht die Bildungsmilliarden Seite 6 ger schriftlicher Genehmigung der Redaktion. 2. GEW-Kommentar von Marlis Tepe: Mischen wir uns ein! Seite 9 Die E&W finden Sie als PDF auf der GEW-Website unter: www.gew.de/eundw. 3. Blick hinter die Kulissen: Hilfreicher Corona-Schock? Seite 10 Hier wird die E&W auch archiviert. 4. Digitalpakt Weiterbildung: Es fehlt an allem Seite 14 Gestaltung: 5. Finanzierung der Pandemie-Kosten: „Schuldenbremse ist eine Todsünde“ Seite 16 Werbeagentur Zimmermann GmbH Kurhessenstraße 14 6. Privatschulen im Aufwind: Das Ungleichgewicht nimmt zu Seite 18 60431 Frankfurt am Main Für die Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitglieds- beitrag enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Gesellschaftspolitik Bezugspreis jährlich Euro 7,20 zuzüglich Euro 11,30 Zustellgebühr inkl. MwSt. Für die Mitglieder der 1. Die GEW und das NS-Erbe: Keine Geschichte von Helden und Schurken Seite 20 Landesverbände Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, 2. Die GEW und die Berufsverbote: „Verhärtung und Frontenbildung“ Seite 42 Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen werden die jeweiligen Landeszeitungen der E&W beigelegt. Für un- verlangt eingesandte Manuskripte und Rezensionsexem- Dialog: Zeitschrift für Seniorinnen und Senioren Seite 23 plare wird keine Verantwortung übernommen. Die mit dem Namen des Verfassers gekennzeichneten Beiträge stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der Herausgeberin dar. Schule Verlag mit Anzeigenabteilung: 1. Musikalische Mathe-Nachhilfe auf YouTube: Die Transzendenz von Pi Seite 27 Stamm Verlag GmbH Goldammerweg 16 2. Deutschland in der TIMSS-Studie 2019: Im Mittelmaß eingerichtet Seite 36 45134 Essen Verantwortlich für Anzeigen: Mathias Müller Telefon 0201 84300-0 Fax 0201 472590 Hintergrund: Digitalisierung in der Corona-Pandemie anzeigen@stamm.de www.erziehungundwissenschaft.de 1. Digitale Technik für Lehrkräfte: Das Gerätedilemma Seite 28 gültige Anzeigenpreisliste Nr. 41 vom 01.01.2019, 2. Lernen im Lockdown: Hybridunterricht meist zum Scheitern verurteilt Seite 30 Anzeigenschluss 3. Distanzunterricht der Berufskollegs in NRW: Die Lehrkräfte haben es gewuppt Seite 32 ca. am 5. des Vormonats 4. Systemfehler mit Folgen: Keine Tablets für Geflüchtete Seite 34 Nutzungsrechte für digitale Pressespiegel erhalten Sie über die PMG Presse-Monitor GmbH unter www.presse-monitor.de Berufliche Bildung Erfüllungsort und Gerichtsstand: Frankfurt am Main 2020 deutlich weniger Ausbildungsverträge: Hausgemacher Fachkräftemangel Seite 38 Jugendhilfe und Sozialarbeit Aufwachsen mit Mehrsprachigkeit: Deutsch bleibt dominant Seite 40 ISSN 0342-0671 e Die E&W wird auf 100 Prozent chlorfrei gebleichtem Recyclingpapier gedruckt. emi Leserforum d Seite 44 Pan a - n on oro a Diesmal r Seite 48 c o ur de/ C s z . nfo gew Titel: Werbeagentur Zimmermann I elle w. u Ak ww t
4 AUF EINEN BLICK Britta Ernst: KMK-Vereinbarungen umsetzen Internationale Solidarität Die neue Präsidentin der Kultusminister- Die Corona-Krise ist eine weltweite Bildungskrise: Bildungs- konferenz (KMK), die brandenburgische ungleichheit und Kinderarbeit nehmen zu, die Verwirk- Foto: imago images/Martin Müller Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), lichung des Nachhaltigkeitsziels Bildung der Vereinten hat angekündigt, die einzelnen Auf- Nationen ist gefährdet. Bildungsgewerkschaften stehen gaben der im Oktober 2020 beschlos- weltweit für öffentliche, inklusive Bildung und gute Ar- senen Ländervereinbarung über die beitsbedingungen. Dabei werden sie oft selbst zur Ziel- gemeinsame Grundstruktur des Schul- scheibe, denn die Verletzung von Gewerkschaftsrechten wesens und die gesamtstaatliche Ver- nimmt weltweit zu. Internationale Solidarität bleibt wich- Britta Ernst antwortung der Länder in zentralen bil- tiger denn je. Die GEW bietet daher 2021 eine Online- dungspolitischen Fragen umzusetzen. Veranstaltungsreihe zu den Themen Internationale Soli- Die GEW hatte die Beschlüsse der KMK im vergangenen Ok- daritätsarbeit, Globale Bildungskampagne, Kinderarbeit tober als „schwarzen Tag für die Bildung“ kritisiert. Prüfungen und Friedenspolitik an. Die Veranstaltungen finden in würden zentralisiert und normiert, Qualität solle über noch deutscher Sprache bzw. mit Übersetzung statt. Den Auf- mehr Tests und Bildungsstandards gesichert und veraltete takt der Reihe macht die Veranstaltung zur Internationa- Pädagogik jetzt auch digital betrieben werden, so die GEW- len Solidaritätsarbeit am 5. März. Weitere Informationen: Vorsitzende Marlis Tepe. www.gew.de/seminare-internationales Leichter Mitgliedergewinn Corona-Prämie für alle Die Mitgliederzahl der GEW ist 2020 stabil über 280.000 ge- Im Tarifabschluss vom Oktober 2020 für die im öffentlichen blieben. Im Vergleich zu 2019 hat die Bildungsgewerkschaft Dienst bei Bund und Kommunen Beschäftigten wurde an- über 100 Mitglieder gewonnen. Sie verzeichnete zum Stichtag stelle einer Lohnerhöhung für 2020 eine sogenannte Coro- 31. Dezember 2020 280.452 Mitglieder. „Obwohl wir wegen na-Prämie vereinbart. Die kommunalen Arbeitgeber meinen der Pandemie über Monate nicht in den Bildungseinrichtun- nun, dass diese Einmalzahlung Beschäftigten, die bereits gen präsent sein konnten, haben wir unter dem Strich einen in der Freistellungsphase einer Altersteilzeit nach dem Ta- kleinen Mitgliederzuwachs. Damit festigt die GEW ihre Posi- rifvertrag zu flexiblen Arbeitszeitregelungen für ältere Be- tion als mitgliederstärkste Lehrkräfte- und Bildungsgewerk- schäftigte (TV FlexAZ) (Blockmodell) sind, nicht zustehe. Die schaft in Deutschland“, so Vorsitzende Marlis Tepe. Gewerkschaften vertreten hingegen die Auffassung, dass auch Beschäftigte in Altersteilzeit in der Freistellungsphase Neue GEW-Spitze in Bayern entsprechend ihrem Entgeltanspruch die Hälfte der Corona- Die GEW Bayern hat eine neue Spit- Prämie bekommen müssen. Kommunale Beschäftigte in studioline Photography München ze: Ende 2020 wählten die Delegier- der Freistellungsphase der Altersteilzeit, die im Dezember ten des Landesverbandes in einer keine anteilige Corona-Prämie (also je nach Entgeltgruppe ausschließlich digitalen Konferenz 150, 200 oder 300 Euro) zusätzlich zum Gehalt bekommen Martina Borgendale zur neuen Vor- haben, sollten sich möglichst bald mit ihrer GEW-Landes- sitzenden. Die 41-Jährige ist Lehrerin rechtsschutzstelle in Verbindung setzen, da die Corona- an einer kommunalen Ganztagsreal- Prämie wegen der tarifvertraglichen Ausschlussfrist bis schule in Nürnberg. Sie hat bereits Martina Borgendale Ende Juni 2021 geltend gemacht werden muss. seit 2017 als stellvertretende Vorsit- zende der GEW Bayern Erfahrungen gesammelt. Borgendale löst Anton Salzbrunn ab, der seit Juni 2015 Chef der GEW Beitragsbescheinigung Bayern war. Die Beitragsbescheinigung für 2020 wird bei dem nächs- ten Beitragseinzug in 2021 auf dem Kontoauszug mit Wochen gegen Rassismus ausgedruckt. Alternativ geht es online über die GEW- Die GEW ruft dazu auf, sich vom 15. bis 28. März an den Homepage: www.gew.de – auf der Startseite oben UN-Wochen gegen Rassismus zu beteiligen. Die Aktionswo- rechts im Bereich „Meine GEW“ mit einem stilisierten chen stehen unter dem Motto „Solidarität. Grenzenlos“. Sie Vorhängeschloss. bieten eine gute Gelegenheit, um in der schulischen oder Wer noch keinen Zugang zum Mitgliederbereich hat, außerschulischen Bildungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen muss sich einmalig registrieren. Nach Überprüfung der und Erwachsenen sowie in zivilgesellschaftlichen Bündnis- Daten kann man die Beitragsquittierung dann ausdru- sen gegen Rassismus und für eine offene, demokratische cken. Siehe auch: www.gew.de/beitragsbescheinigung. und solidarische Gesellschaft aktiv zu werden. Anregungen Hinweis: Es kann immer nur die aktuelle Beitragsbeschei- und Tipps sowie Materialien zu den Wochen gibt es unter nigung für das vergangene Jahr heruntergeladen wer- https://stiftung-gegen-rassismus.de/iwgr. den. Die EDV der GEW arbeitet jedoch an einer Lösung, Eine erweiterte Zusammenstellung mit Handreichungen, Lite- künftig auch ältere Beitragsbescheinigungen anbieten ratur und Materialien zur rassismuskritischen Bildungsarbeit zu können. gibt es unter www.gew.de/material-rkb. Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
Mitmachen lohnt sich ... ... für jedes neu geworbene GEW-Mitglied erwartet Sie eine Bluetooth-Box.* Prämie des Monats Februar: Bluetooth-Box Der kleine, kabellose Lautsprecher wartet mit sattem Sound, kraftvollem Bass und langer Akku-Laufzeit auf. Für langes Hörvergnügen unterwegs! Neues Mitglied werben und Prämie online anfordern www.gew.de/praemienwerbung *Dieses Angebot gilt nicht für Mitglieder des GEW-Landesverbandes Niedersachsen. Keine Lust auf unser Online-Formular? Fordern Sie den Prämienkatalog an! Per E-Mail: mitglied-werden@gew.de | Per Telefon: 0 69 / 7 89 73-211 oder per Coupon: E&W-Prämie des Monats Februar 2021/Bluetooth-Box Bitte in Druckschrift ausfüllen. Vorname/Name GEW-Landesverband Straße/Nr. Telefon Fax PLZ/Ort E-Mail Bitte den Coupon vollständig ausfüllen und an folgende Adresse senden: # Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Reifenberger Straße 21, 60489 Frankfurt a. M., Fax: 0 69 / 7 89 73-102
6 BILDUNGSFINANZIERUNG Deutschland sucht die Bildungsmilliarden Die Investitionen in Bildung und For- Verantwortlich dafür, dass die Politik Die Schuldenbremse, die Bund und schung verharren in Deutschland seit ihr selbst gestecktes Ziel nicht er- Länder dazu verpflichtet, ihre Haushal- Jahrzehnten auf einem im internatio- reicht hat, ist die Politik selbst. Der te ohne Einnahmen aus Krediten aus- nalen Vergleich niedrigen Niveau. Die Anteil der öffentlichen Bildungsaus- zugleichen, hat die Unterfinanzierung Ausgaben sind in den vergangenen 25 gaben am BIP hat sich hierzulande des Bildungssystems weiter verstärkt. Jahren zwar gestiegen – 2019 betru- unterdurchschnittlich entwickelt; er Allein bei den Kommunen gibt es des- gen sie rund 150 Milliarden Euro. Das stieg zwischen 1995 und 2019 ledig- halb einen Investitionsstau von 44 Mil- auf dem Dresdner Bildungsgipfel 2008 lich von 4 auf 4,4 Prozent. Zum Ver- liarden Euro nur bei den Schulen. ausgegebene Ziel, bis 2015 10 Prozent gleich: In Norwegen betrug der Anteil Das Ergebnis ist für alle sichtbar: des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für der Ausgaben der öffentlichen Hand marode Gebäude. Auf dieser und den Bildung und Forschung auszugeben – für Bildung und Forschung 2017 nach nachfolgenden Seiten hat der Foto- 7 Prozent für Bildung, 3 Prozent für Angaben des Statistischen Amtes graf Kay Herschelmann für die E&W Forschung – ist jedoch bis heute nicht der Europäischen Union (Eurostat) bei einem Streifzug durch Berlin mit erreicht; der Anteil liegt derzeit bei 7,91 Prozent, in Finnland 6,38 und in der Kamera entsprechende Eindrücke knapp 9 Prozent. Großbritannien 5,44 Prozent. festgehalten. >>> Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
8 BILDUNGSFINANZIERUNG >>> >>> Vermögensabgabe jetzt! Mit der auf dem Dresdner Bildungs- Eine solche Abgabe hat durchaus gensteuer ersetzt, die später auch in gipfel 2008 beschworenen „Bildungs- historische Vorbilder. So führte der der Bundesrepublik erhoben, 1997 im republik Deutschland“ ist es nicht weit konservative (!) Reichsfinanzminister Zuge der neoliberalen Wende in der her. Der E&W-Schwerpunkt in dieser Matthias Erzberger (Zentrum) 1919 Steuer- und Finanzpolitik jedoch aus- Ausgabe beschreibt die Misere, nennt zur Finanzierung der Kriegsschulden gesetzt – und nicht mehr wieder ein- aber auch mögliche Wege zu einer bes- das „Reichsn oto pfer“ ein, das die geführt – wurde. seren Finanzierung von Kita, Schule, Reichen entrichten mussten. Um die Hochschule und Weiterbildung. Ange- Steuereinnahmen zu steigern, wurde Jürgen Amendt, sichts des enormen Finanzbedarfs, den die Abgabe 1922 durch eine Vermö- Redakteur der „Erziehung und Wissenschaft“ die Bekämpfung der Corona-Pandemie erfordert, schlägt der Ökonom Rudolf Hickel im Interview (S. 16 f.) eine Ver- mögensabgabe vor, mit der oberhalb eines Freibetrages für ein Vermögen von zwei Millionen Euro bei Privatper- sonen und fünf Millionen bei Betriebs- vermögen eine Abgabe von 1 Prozent (bei höheren Vermögen bis zu 30 Pro- zent) entrichtet werden soll. Damit, so Hickel, würden in den kommenden 20 Jahren etwa 310 Milliarden Euro in die Kassen von Bund, Ländern und Kommunen gespült, um die Corona- Fotos: Kay Herschelmann bedingten Schulden zurückzuzahlen. Perspektivisch müsste die Abgabe in eine Vermögensteuer umgewandelt werden, wie sie im Grundgesetzartikel 106 nach wie vor vorgesehen ist. Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
BILDUNGSFINANZIERUNG 9 Foto: Kay Herschelmann MARLIS TEPE Mischen wir uns ein! 2021 steht uns ein Superwahljahr ins Haus. Gute Bildung und • das Interesse der Wirtschaft an der ganztägigen Bildung deren deutlich bessere Finanzierung müssen Topthema blei- und Betreuung im Kampf um die knappe Ressource ben – auch wenn die Politik schon jetzt signalisiert, dass das Personal. Geld nach der Pandemie knapp wird und die Schulden schnell Neben diesen Defiziten fehlen die Ausrichtung auf gute Bil- zurückgezahlt werden sollen. Dem stellt sich die GEW entge- dung in der Migrationsgesellschaft, die Ausstattung mit mul- gen. Tilgung kann auch über einen Fünfzigjahresplan laufen. tiprofessionellen Teams für eine inklusive Bildung und mehr Die Parteien fordern wir auf, unsere Vorschläge in die Wahl- Zeit für politische Bildung und Demokratielernen. Dazu ge- programme aufzunehmen. Als Reaktion auf die Pandemie hat hört auch eine bessere Bezahlung der Beschäftigten. die Politik zwar angefangen, an den Defiziten zu arbeiten und Den Kampf dafür, dass alle diese Defizite in Angriff genom- auf unseren Druck hin auch eine Reihe Finanzbeschlüsse ge- men werden und Bildung gut ausgestattet wird, gewinnen wir fasst – etwa für befristet Beschäftigte in der Wissenschaft, für nicht, wenn wir ihn allein führen. Dafür braucht die GEW die Studierende, für Soloselbstständige in der Weiterbildung, für Eltern als Bündnispartner:innen, ebenso wie die Schüler:innen Endgeräte für Lehrkräfte und benachteiligte Schüler:innen, und Studierenden, aber auch andere Verbände und Organisa- für Systemadministrator:innen. Mit der politischen Beschluss- tionen, die ein Interesse an guter Bildung haben. fassung und der stolzen Verkündung dieser Beschlüsse war Politik hat die dafür notwendigen Finanzmittel bislang nicht für die Politiker:innen aber offenbar fast alles erledigt. Wir zur Verfügung gestellt. Deshalb muss die GEW nachhelfen. wissen jedoch, dass diese Gelder bisher nicht überall ange- Das Engagement für eine bessere Bildungsfinanzierung ist kommen sind und es vielfach an der Umsetzung hapert. Wir eine Aufgabe der GEW-Mitglieder auf allen Ebenen. Es reicht konstatieren eine föderale Finanzierungsblockade. Statt eines nicht, auf dem Gewerkschaftstag und anderen Versamm- vielfachen Schwarze-Peter-Spiels braucht es einen Schulter- lungen über jedes einzelne Wort erbittert zu diskutieren. schluss zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Es kommt darauf an, unsere Beschlüsse mit Leben zu füllen Defizite und Bedeutung von Bildung sind wie unter einem und in der Realität umzusetzen. Dafür haben wir die Initiative Brennglas sichtbar und politisches Tagesgespräch: „Bildung. Weiter denken!“* gestartet. Gemeinsam haben wir • der Wert der Bildung in der direkten Begegnung in Kita, viele Ideen und Hilfen entwickelt sowie Expertisen erstellt. Schule, Studium und Erwachsenenbildung, Es geht um die Bildung selbst, aber auch um die Arbeitsbedin- • die Vernachlässigung benachteiligter Kinder und gungen. Gute Bildung und gute Arbeit sind zwei Seiten einer Erwachsener, Medaille. Für eine nachhaltige Verbesserung zu kämpfen, da- • der allgegenwärtige Mangel an Personal, für haben wir jetzt ein gutes Zeitfenster. Nutzen wir dieses. • der viel zu knappe Personalschlüssel in allen Sektoren Mischen wir uns ein, machen wir Druck! von Bildung, • die mangelhafte digitale Ausstattung und Fortbildung, Marlis Tepe, • der Investitionsstau bei den Gebäuden, GEW-Vorsitzende • das unzureichende BAföG, • der Bedarf an Ganztagsversorgung in Kita und Schule, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, *www.gew.de/weiter-denken Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
10 BILDUNGSFINANZIERUNG Hilfreicher Corona-Schock? // Die Mahnung kommt aus Wäre ja auch zu einfach, den Bösewicht und Erzieher gehen auf dem Zahn- berufenem Mund. Prof. Andreas dort ausgemacht haben zu können. Im fleisch. „Bei uns darf wirklich niemand Schleicher, Chef des Direktorats Gegenteil: Spötter danken ihm sogar. ausfallen, sonst droht unser fragiles für Bildung bei der Organisation Nur so wurde der Zug Digitalisierung aufs System wie ein Kartenhaus zusammen- für wirtschaftliche Zusammen- Gleis gesetzt, auch wenn dieses eher für zubrechen“, sagt Elke W.* Sie möchte arbeit und Entwicklung (OECD), einen Bummel- als für einen Hochge- nicht erkannt werden, der Träger ihrer sieht ein Ende der Dynamik, die schwindigkeitszug geeignet scheint. Einrichtung könnte verstimmt sein. Sie Deutschland nach dem PISA- verrät: „Ich bete jeden Morgen, dass Schock im Jahre 2001 entwi- Kartenhaus Kita sich niemand krankmeldet.“ Selbst ckelte, um der ihm attestierten Covid-19 trägt auch keine Verantwor- wenn alle Kolleginnen und Kollegen an Bildungskrise Herr zu werden. Ein tung für den dramatischen Personalman- Bord sind, falle es, so Elke W., schwer, Blick hinter die Kulissen der Bil- gel in den Kindertageseinrichtungen, sich auf jedes Kind zu konzentrieren, es dungsinstitutionen untermauert überfüllte Seminare an den Hochschulen individuell zu fördern. Schleichers Befürchtung. // oder die Rahmenbedingungen, die die Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm berufliche Bildung erschweren. Money geht von etwa 50.000 fehlenden Mit- An marode Schulgebäude haben sich makes the world go round. Doch wenn arbeiterinnen und Mitarbeitern in den Schülerinnen und Schüler, ihre Lehrkräf- es fehlt oder sich im Dschungel der Zu- westlichen Bundesländern aus. Im Os- te und Eltern fast schon gewöhnt. Sie ständigkeiten (Bund, Länder, Kommu- ten gebe es dagegen fast schon einen sind – von viel beachteten Ausnahmen nen) verheddert, bleibt dies nicht ohne Personalüberhang. Doch der finanziel- abgesehen – ebenso Alltag wie Unter- Folgen. Auch nicht für die Bildung. le Anreiz, sich räumlich zu verändern, richtsausfall, den manche Länder aus Dass der Grundstein für gute Bildung sei gering, erläutert Klemm. Aufgrund Sorge vor den schauerlichen Ergebnis- und damit eine fairere Verteilung von des Personalmangels gerade in Kitas sen lieber erst gar nicht berechnen. An Bildungschancen auch in den Kinderta- in sozial schwierigen Lagen hätten beidem trägt das seit bald einem Jahr gesstätten gelegt wird, ist ein offenes insbesondere Eltern aus weniger gut- grassierende Corona-Virus keine Schuld. Geheimnis. Doch viele Erzieherinnen bürgerlichen Kreisen Probleme, einen Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
BILDUNGSFINANZIERUNG 11 Betreuungsplatz für ihr Kind zu finden. ziale Lernen bleiben ein Stück weit auf Klemm: „Und die hätten es besonders der Strecke“, bedauern die beiden. nötig. Schließlich wissen wir nicht erst seit gestern, dass die Zahl der Jahre, die Mangel an Lehrkräften Kinder in Kita und Krippe verbringen, Ebenso wie Klemm hält auch sein Kolle- maßgeblichen Einfluss auf die Schul- ge Prof. Ludger Wößmann den frühkind- leistung und damit auf Lebenschancen lichen Bereich für unterfinanziert. Daher hat.“ Positive Effekte seien etwa im fehlten unter anderem die finanziellen U-3-Alter möglich. „35 Prozent der Kin- Anreize für junge Menschen, in den Er- der in diesem Alter werden betreut. zieherberuf einzusteigen. „Diejenigen, Fotos: Kay Herschelmann Doch die Nachfrage ist viel größer“, be- die eine Familie ernähren müssen, be- richtet der emeritierte Professor für Bil- nötigen eindeutig mehr Geld“, bilanziert dungsforschung und Bildungsplanung der Leiter des ifo-Zentrums für Bildungs- an der Universität Duisburg-Essen. ökonomik an der Ludwig-Maximilians- Marta und Elias können davon ein Lied Universität München. Er empfiehlt den singen. Trotz des Anspruchs auf einen Gewerkschaften, von ihrer bisherigen Obwohl es einen Rechtsanspruch gibt, suchen Eltern nach Kita-Platz klapperten sie nahezu alle Strategie abzuweichen und bei Tarif- wie vor häufig vergeblich nach einem Kita-Platz für ihre Tagesstätten erst im nahen, dann im verhandlungen zu versuchen, für Erzie- Kinder. fernen Umfeld ab. „Es wirkte fast schon herinnen und Erzieher einmal eine ge- wie ein Almosen, als uns eine Kita-Lei- sonderte, besonders kräftig ausfallende terin erklärte, ihr Haus sei voll, aber sie Tariferhöhung anzustreben. Vorstellen Kinder aus materiell benachteiligten wolle mal sehen, was machbar sei“, be- könnte er sich auch klar gestaffelte Kita- Familien profitierten tendenziell mehr richten die beiden. Die Hoffnung starb Gebühren. „Einkommensschwache dür- von einer öffentlichen Finanzierung des schnell. Schweren Herzens griffen die fen nichts bezahlen, gut Verdienende frühkindlichen Bereichs, erläutert Wöß- junge Mutter und ihr Partner auf eine allerdings schon“, meint er. Schließlich mann. Wohingegen die individuellen Bil- Tagesmutter zurück. Diese erwies sich seien gerade für Kinder aus weniger fi- dungserträge im Erwachsenenbereich in als herzlicher und kompetenter Glücks- nanzstarken Familien der frühe Besuch der Regel für Menschen höher seien, die fall, „doch die große Gemeinschaft ei- einer Kita und die damit verbundene bereits eine hochwertige Bildung genos- ner Kita und das damit verbundene so- Förderung wichtig. sen hätten. Damit gebe es zwischen Ge- >>> An vielen Schulen sieht die IT-Technik aus wie aus einem Computer-Museum entlie- hen. Statt moderner Notebooks oder Tablets müssen Schülerinnen und Schüler an alten PCs arbeiten. Neu sind nur die Stühle. Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
12 BILDUNGSFINANZIERUNG die offenen Stellen gebe, erübrige sich führt dazu, dass die TU Braunschweig eine solche Debatte. schätzungsweise zwei Millionen Euro Unbeschadet der Tatsache, dass Klemm einsparen muss.“ Dadurch werde das die im Vergleich zu der in anderen Lehr- Studienangebot eventuell komprimier- ämtern niedrigeren Bezahlung für „völlig ter, was unter anderem den Standort unverständlich bei gleicher Ausbildungs- seiner TU auf lange Sicht schwächen dauer“ hält, sieht er die Hauptursache könnte. Wörtlich weist er daraufhin, für die hohe Zahl fehlender Grund- dass sich „in einer Zeit, in der das Stu- schullehrerinnen und -lehrer im Nume- dieren durch Corona eine Transformati- rus clausus (NC) für das Studium dieses on durchläuft, globale Minderausgaben Lehramtes: „Wenn eine Abi-Note von 1,9 und an Studierendenzahlen gekoppelte Foto: Kay Herschelmann oder besser erforderlich ist, um Grund- Studienqualitätsmittel (SQM) negativ schullehrerin oder -lehrer zu werden, auswirken. Es muss daher klar sein, dass weil die Universitäten zu wenige Plätze man durch geringere Ausgaben auch anbieten können, dann verbauen wir eine geringere Studienqualität in Kauf Die jahrelange Unterfinanzierung des interessierten jungen Menschen diesen nimmt.“ Sinkende SQM gefährden kon- Bildungssystems hat zu einem dramati- Weg.“ Er erinnert an einen Vorfall von kret Orientierungswochen für Studien schen Lehrkräftemangel geführt. 2014 an der Universität Münster: „Zahl- einsteigerinnen und -einsteiger oder reiche junge Frauen wollten, durften erweiterte Öffnungszeiten von Zeichen- aber angesichts des geforderten Schnitts sälen und Werkstätten, etwa für ange- >>> rechtigkeit und Effizienz einen Einklang von 1,7 ihren Traum vom Job als Grund- hende Architektinnen und Architekten. in frühen und einen Widerstreit in spä- schullehrerin nicht verwirklichen.“ Will Wer sich an der TU Braunschweig mit die- ten Phasen des Bildungslebenszyklus. aus seiner Sicht heißen: Mehr Geld für sen Problemen „herumschlägt“, ist zu- Im Gegensatz zu dem von dieser Lebens- die Hochschulen, bedeutet kein NC, be- mindest einen Schritt weiter als viele, die zyklusperspektive nahegelegten Muster deutet mehr Lehrkräfte. So könne man auf berufliche Bildung setzen. Bildungs- fielen die öffentlichen Bildungsinvestiti- einen stärkeren Puffer aufbauen, „auch forscher Klemm bedauert, dass immer onen in Deutschland im internationalen auf die Gefahr hin, dass einmal zu viele noch zu viele Menschen keinen Ausbil- Vergleich allerdings im frühkindlichen Lehrkräfte ausgebildet werden“. dungsplatz finden oder aber nicht quali und Grundschulbereich relativ gering fiziert genug seien, um einen solchen er- und im Tertiärbereich relativ hoch aus. Schlechteres Studienangebot folgreich abzuschließen (s. S. 38 f.). Und Wößmann: „Eine Verlagerung der öf- Davon aber ist Deutschland noch Licht- landet in seiner Analyse wieder bei den fentlichen Bildungsausgaben aus den jahre entfernt. Also wird in die Trickkiste Finanzen. „Wir brauchen mehr Ressour späten in die frühen Phasen des Bil- gegriffen. Beispielsweise in Nordrhein- cen für berufsbegleitende Unterstüt- dungslebenszyklus‘ würde die deutsche Westfalen. Lehramtsanwärterinnen und zung.“ Ebenso wie für die Abschaffung Bildungsfinanzierung sowohl gerechter -anwärter können im Schuljahr 2020/21 jeglicher Ausbildungsgebühren. als auch effizienter machen.“ freiwillig bis zu sechs Stunden zusätzli- Geld für Bildung ist gut investiertes Personalmangel beklagen nicht nur chen Unterricht (statt bislang drei) an Geld. Das weiß nicht nur die Wissen- die Kitas. Auch im Schulsystem fehlt ihrer Ausbildungsschule erteilen. Dass schaft. Auch die Politik ist sich dessen es an Lehrkräften. In den vergangenen angesichts dieser Faktenlage von kleine- bewusst. Unter anderem ihr schreibt Jahren suchte die Politik daher ihr Heil ren Klassen nur geträumt werden kann, OECD-Bildungsexperte Schleicher auf in Quereinsteigermodellen (s. E&W leuchtet ein. Allerdings weist Klemm auch die Frage, ob Deutschland den An- 9/2018). Laut einer Studie der Bertels- darauf hin: „Wissenschaftlich ist es nicht schluss an führende Nationen verliere, mann Stiftung (2019), an der Klemm belegt, dass kleinere Klassen automa- die Warnung ins Stammbuch: „Ja, ganz mitgearbeitet hat, wird das Minus in tisch bessere Ergebnisse bringen.“ Wobei klar.“ Doch er möchte auch ein wenig den nächsten Jahren insbesondere seine Betonung auf „automatisch“ liegt. Hoffnung verbreiten: „Ich glaube, die an den Grundschulen in Deutschland Eine bessere finanzielle Ausstattung der Corona-Krise hat die Bedeutung von Bil- deutlich größer als erwartet sein. Hochschulen könnte zudem eine bessere dung verdeutlicht und wieder zu einem Demnach liegt die Zahl der Lehrkräf- individuelle Betreuung der Studierenden gemeinsamen gesellschaftlichen Pro- te, die bis 2025 fehlen, mit mindes- ermöglichen. Klemm wünscht sich ent- jekt gemacht.“ Man könnte auch sagen: tens 26.300 erheblich höher als bisher sprechend eine Obergrenze an Semin- Der PISA-Schock hat im Corona-Schock prognostiziert. Die Kultusminister wa- arteilnehmerinnen und -teilnehmern: seinen Nachfolger gefunden. ren 2018 noch von 15.300 fehlenden „Mehr als 20 bis 30 dürfen es nicht sein.“ Grundschullehrkräften ausgegangen. Aus dem Innenleben einer Hochschule Stephan Lüke, Der Bildungsforscher hält daher auch berichtet Mattis Bohne. Er gehört dem freier Journalist eine Debatte über eine Stellenreserve AStA-Vorstand der TU Braunschweig für aberwitzig. Wenn es nicht einmal an. Bohne weiß: „Die Globale Minder- genügend Lehrerinnen und Lehrer für ausgabe des Landes Niedersachsen *Name von der Redaktion geändert Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
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14 BILDUNGSFINANZIERUNG Foto: mauritius images/Pitopia/kebox Die öffentlich geförderte Weiterbildung ist nach wie vor unterfinanziert. Das gilt auch für die digitale Ausstattung. Es fehlt an allem // Weiterbildung halten Unterneh- Beim Digitalpakt Schule ist die öffentlich das Teil der Weiterbildungsstrategie ist, men und Politik für wichtig. Trotz- finanzierte Weiterbildung aber außen und das 2019 verankerte Recht auf eine dem ist der öffentlich finanzierte vor geblieben – trotz des großen Be- Weiterbildungsberatung. „Nun muss Bereich an Volkshochschulen darfs. Die Politik habe sich der Verant- der Rechtsanspruch auf eine Weiterbil- (VHS), Musikschulen und bei den wortung entledigt, anstatt Professiona- dung für alle Beschäftigten folgen“, sagt Maßnahmen der Bundesagentur lisierungsvorgaben zu machen und den Bahr. für Arbeit (BA) im Digitalpakt Bereich zu unterstützen, sagt Klinger. Eine Ausweitung des Digitalpakts Schu- Schule außen vor geblieben. Ob „Corona hat deutlich gemacht, dass das le hält Bahr nicht für sinnvoll. „Es hilft sich das nach der Bundestagswahl Bildungswesen nicht krisenfest ist und keinem, wenn wir die Gelder breiter ändert, ist fraglich. // mehr Anstrengungen erforderlich sind.“ streuen und die Schulen sowie Weiter- Der Digitalpakt müsse erweitert werden. bildungsträger gegeneinander ausspie- Eigentlich sind sich alle einig. Fragt man len.“ Besser wäre aus Bahrs Sicht ein bei den Parteien im Bundestag nach, Digitalpakt Weiterbildung Digitalpakt Weiterbildung. In diesen trifft man nur auf große Fans der Wei- Was aber planen die Parteien? „Wir sollten alle Formen von Grundbildung, terbildung. Enorm wichtig sei das le- wollen eine Kultur der Weiterbildung allgemeiner Weiterbildung bis hin zur benslange Lernen, heißt es immer wie- etablieren“, erklärt Astrid Mannes, die Seniorenbildung mit eingeschlossen der, Weiterbildung müsse gestärkt und für die CDU/CSU-Fraktion im Bundes- sein. Auch die Länder müssten mitzie- gefördert werden, gerade im Bereich tagsausschuss für Bildung, Forschung hen, so Bahr. Allerdings sieht sie dabei der Digitalisierung. Doch wie genau die- und Technikfolgenabschätzung sitzt, „ähnlich große Herausforderungen“ se Stärkung und Förderung aussehen auf Nachfrage. Konkrete Vorhaben wie beim Digitalpakt Schule. „Das Pro- sollte, ist sehr viel weniger klar. nennt Mannes nicht, sondern verweist blem ist die Vielschichtigkeit“, sagt die Nötig wäre es allemal, mehr in die auf die Nationale Weiterbildungsstrate- Bildungspolitikerin. „Volkshochschulen Weiterbildung zu investieren. Das gilt gie von 2019. „Damit hat die Bundesre- oder Musikschulen sind elementar für sowohl für die betriebliche wie auch gierung ein deutliches Zeichen gesetzt.“ die Bildung, denn sie vermitteln weit für die im öffentlichen Auftrag statt- Außerdem fördere der Bund bereits seit mehr als nur berufsrelevante Fähigkei- findende Weiterbildung – an VHSn, 2014 das VHS-Lernportal mit rund 14 ten. Aber eben diese Berufsrelevanz Musikschulen und mit Blick auf die Millionen Euro und habe mit der Ände- ist vielfach der Gradmesser, mit dem Lehrgänge sowie Sprach- und Integra- rung des Fernunterrichtsschutzgeset- die Kostenübernahme durch den Staat tionskurse der BA. „Der Bereich ist un- zes 2017 den Fernunterricht gestärkt. gemessen wird.“ Dafür Lösungen zu fin- terfinanziert“, sagt Ansgar Klinger, Vor- Auch Ulrike Bahr, die für die SPD im Bil- den, müsse diskutiert werden. standsmitglied für Berufliche Bildung dungsausschuss sitzt, verweist auf ein- Auch die FDP ist gegen eine „direkte und Weiterbildung der GEW. „Es fehlt zelne Verbesserungen, die die jetzige Übertragung“ des Digitalpakts Schule. bei der digitalen Ausstattung, Adminis- Regierung schon auf den Weg gebracht Dieser sei „ohnehin schon viel zu bü- tration und Fortbildung.“ habe, etwa das neue Aufstiegs-BAföG, rokratisch und schwerfällig“, sagt der Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
BILDUNGSFINANZIERUNG 15 bildungspolitische Sprecher der Partei, setzungen, da kann der Bund anders Geld solle eine „digitale Grundsiche- Jens Brandenburg, auf Anfrage. Nach agieren.“ Ohnehin seien die Gelder des rung“ verbrieftes Recht werden. „Diese den Vorstellungen der FDP sollen volljäh- Digitalpakts Schule nicht annähernd Förderung ist eine Daueraufgabe und rige Bürgerinnen und Bürger mit einem ausreichend für eine adäquate digita- deshalb nicht mit temporären Förder- „persönlichen Freiraumkonto selbstbe le Ausstattung der Schulen sowie der programmen lösbar.“ stimmt Bildungsguthaben ansammeln“ Schülerinnen und Schüler, „von guter Allerdings dämpft CDU-Politikerin Man- können. Geringverdiener sollen mit ei- Internetanbindung, Wartung und Ser- nes bereits die Erwartungen. „Durch die nem „staatlichen Midlife-BAföG“ unter- vice bei den Geräten ganz zu schwei- Corona-Krise sind große außerplanmäßi- stützt werden. „Vom Abendkurs über gen“. Die Grünen wollen ein Recht auf ge Hilfsprogramme aufgesetzt worden, das E-Learning-Modul in der Straßen- Weiterbildung einführen und die Bil- die zu einer gewaltigen Neuverschuldung bahn bis zum mehrmonatigen Vollzeit dungsmaßnahmen durch öffentliche führen“, sagt sie. Der Bund werde nicht studiengang soll alles möglich sein“, Gelder finanzieren. Kursanbietende mehr die finanziellen Spielräume haben sagt Brandenburg. sollen bei der Digitalisierung ihrer wie vor der Pandemie. „Ich halte es für Angebote unterstützt werden. fraglich, ob der Bund weiterhin Länder Förderung eine Daueraufgabe „Wir brauchen einen Digitalpakt Bil- und Kommunen im bisherigen Umfang Bildung sollte nicht gegen Bildung dung“, sagt die Bildungspolitikerin der im Bereich ihrer eigenen Zuständigkeit ausgespielt werden, sagen auch die Linken, Birke Bull-Bischoff. „Die not- entlasten kann.“ Für die öffentlich finan- Grünen. „Es war hart genug, den Di- wendigen digitalen Lehr- und Lernmit- zierte Weiterbildung sind das nicht die gitalpakt Schule verfassungskonform tel müssen allen jungen Leuten und Er- besten Aussichten. zu verhandeln“, so die grüne Bildungs- wachsenen für Aus- und Weiterbildung politikerin Beate Walter-Rosenheimer. sowie den Trägern und den dort arbei- Verena Kern, „Bei der öffentlich geförderten Wei- tenden Beschäftigten zur Verfügung ge- stellvertretende Chefredakteurin des terbildung haben wir andere Voraus- stellt werden.“ Für Menschen mit wenig Online-Magazins klimareporter° 22. 04. 2021 Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
16 BILDUNGSFINANZIERUNG „Die Schuldenbremse ist eine Todsünde“ // Der Staat sollte seine Corona- E&W: Erst später? Warum nicht beides Schulden nicht durch Einsparungen gleichzeitig? tilgen, sondern besser durch eine Hickel: Beides auf einmal ist politisch Sonderabgabe auf höhere Vermö- nicht machbar. Es gibt ein historisches gen. Das fordert der Bremer Wirt- Vorbild für eine solche Abgabe: Um die schaftsprofessor Rudolf Hickel. // Folgekosten des Zweiten Weltkriegs zu finanzieren, wurde 1952 ein Lastenaus- Foto: Eckhard Stengel E&W: Zum Jahreswechsel ist für die gleich eingeführt. meisten Steuerzahlenden der Solidari- E&W: Was könnte der Staat sonst noch tätszuschlag weggefallen. Freuen Sie sich tun, damit er mehr Geld in die Bildung darüber, oder würden Sie den „Soli“ am stecken kann? liebsten gleich wieder einführen – dies- Hickel: Bei der Einkommensteuer sollte Professor Rudolf Hickel, 79, ist Finanz- mal nicht für den „Aufbau Ost“, sondern der Spitzensteuersatz erhöht werden. wissenschaftler und Mitbegründer der vielleicht für den „Aufbau Bildung“? Die derzeit geltenden 42 Prozent (bezie- kapitalismuskritischen „Arbeitsgruppe Rudolf Hickel: Ich finde es völlig richtig, hungsweise 45 Prozent bei besonders Alternative Wirtschaftspolitik“ („Memo- dass der „Soli“ zum großen Teil abge- Reichen) sind zu niedrig. Man sollte den randum-Gruppe“). Bis 2009 leitete er schafft wurde, denn er war ja nur zur Satz nach und nach auf 53 Prozent erhö- das „Institut Arbeit und Wirtschaft“ an Finanzierung der Ost-West-Angleichung hen, wie zu CDU-Kanzler Helmut Kohls der Universität Bremen. gedacht. Die dahintersteckende Idee, Zeiten. Außerdem sollten Kapitalerträge nämlich die Reichen bei Sonderaufga- wieder voll als Einkommen versteuert ben wie jetzt in der Corona-Krise stär- werden und nicht nur wie derzeit mit man ja an den Schulen, wo teilweise ker heranzuziehen, sollte aber wieder 25 Prozent Abgeltungssteuer. Und als nicht mal mehr Reparaturen finanziert aufgegriffen werden – und zwar in Form Schmankerl obendrauf könnte die lang werden, geschweige denn neue Gebäu- einer Vermögensabgabe. diskutierte Finanztransaktionssteuer auf de. Bei den Kommunen gibt es – durch E&W: Wie sollte die aussehen? Börsengeschäfte eingeführt werden. den Druck der Null-Verschuldung bei Hickel: Die Spitzenverdiener sollten für E&W: Wäre auch eine Erhöhung der den Ländern – einen Investitionsstau in die durch Corona entstandenen Staats- Mehrwertsteuer sinnvoll? Höhe von 44 Milliarden Euro allein bei schulden zur Kasse gebeten werden. Ich Hickel: Nein, denn sie belastet über- den Schulen. Der lässt sich nur durch wäre für einen großzügigen Freibetrag proportional Menschen mit geringerem neue Kredite abbauen. Die Schulden- von bis zu zwei Millionen Euro bei Pri- Einkommen. Aber dass der reduzierte bremse ist zu einer Investitions-, ja: vatpersonen und fünf Millionen bei Be- Satz von 7 Prozent zum Beispiel für Blu- Zukunftsbremse geworden. Kein Unter- triebsvermögen. Oberhalb dieser Gren mensträuße oder bestimmte Luxusgü- nehmen käme auf die Idee, auf Kredite zen müsste 1 Prozent des Vermögens ter wie Trüffel gilt, während etwa Win- für seine später rentierlichen Investitio- als Abgabe bezahlt werden. Dieser Satz deln oder Schulhefte mit den vollen 19 nen zu verzichten. könnte bei höheren Vermögen auch bis Prozent besteuert werden – das müsste E&W: Wirkt die Schuldenbremse also auf 30 Prozent steigen. Bei einer Lauf- dringend überarbeitet werden. ungefähr so, als würden Eltern ihren zeit von 20 Jahren brächte das etwa E&W: Hat sich die Schuldenbremse be- Kindern ein zwar abbezahltes, aber ver- 310 Milliarden Euro. Bund, Länder und währt? Sie verbietet dem Staat zwar fallenes Haus vererben – obwohl die Kommunen könnten ihre Corona-be- grundsätzlich eine größere Neuver- Kinder wahrscheinlich lieber ein intak- dingten Schulden in einen Fonds ein- schuldung, enthält aber immerhin eine tes Haus bekämen, auch wenn sie dafür bringen, der durch die Vermögensabga- Ausnahmeregelung für Notlagen, also Darlehen abbezahlen müssten? be abfinanziert würde. So könnten die auch für die aktuelle Corona-Krise. Hickel: Absolut richtig! Dass Staatsschul- öffentlichen Haushalte von der Tilgung Hickel: Die Schuldenbremse ist eine Ka- den künftige Generationen zu sehr belas- entlastet werden, der Spielraum auch tastrophe und eine Todsünde, denn sie ten würden, ist ein dummes Argument. für Bildungsinvestitionen würde größer verhindert, dass gesellschaftlich wichti- Wir belasten künftige Generationen und die Unterfinanzierung des Bildungs- ge, nachhaltige Investitionen auch über eher durch mangelnde Zukunftsinvestiti- systems ließe sich abbauen. Später soll- Kredite finanziert werden. Sie hat den onen. Wenn wir heute investieren, dann te man die zeitlich befristete Abgabe in Staat gezwungen, in wichtigen Infra- profitieren davon auch die späteren eine Vermögenssteuer umbauen. strukturbereichen zu kürzen. Das sieht Generationen. Deshalb können sie sich Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
BILDUNGSFINANZIERUNG 17 auch an der Refinanzierung beteiligen. oder verschwenderischen Ausgaben gelder zum Beispiel eher in den Stra- Wenn wir Zukunftsinvestitionen allein für Unternehmensansiedlungen. Aber ßenbau fließen? aus laufenden Steuereinnahmen zahlen, zweitens brauchen wir eben auch eine Hickel: Das ist der Kampf um die Priori- dann finanziert die aktuelle Generation Erhöhung der Einnahmen, indem die täten. Denkbar wäre ein bundesweiter Investitionen, die erst für künftige Ge- Vermögenden mehr herangezogen Bildungsfinanzierungsplan. Darin könn- nerationen wirksam werden. Das ist erst werden und Steuerhinterziehung bes- te fixiert werden, wie hoch der Bedarf recht nicht generationengerecht. ser bekämpft wird. Und drittens die hö- ist und wie sich die Finanzierung über E&W: Finden Sie es deshalb richtig, dass here Staatsverschuldung. Die Schulden- mehrere Jahre auf Bund, Länder und der Staat zur Bewältigung der Corona-Fol- bremse muss weg! Kommunen verteilen sollte. In einer Fi- gen neue Schulden aufgenommen hat? E&W: Das Bildungssystem braucht nanzierungsvereinbarung könnte fest- Hickel: Was die unmittelbaren Corona- längerfristige Strukturverbesserungen, gelegt werden, dass diese Beträge dann Kosten betrifft, hat die Politik überra- zum Beispiel mehr Personal oder einen tatsächlich bei den Haushaltsberatun- schend problembewusst reagiert, indem weiteren Ausbau des Ganztagsange- gen berücksichtigt werden. sie alles Notwendige über Kredite finan- bots. Wie sollte das finanziert werden? E&W: Bund und Länder haben 500 Mil- ziert hat. Auch das unsinnige Kooperati- Hickel: Eine Voraussetzung dafür wäre lionen Euro für mobile Endgeräte in onsverbot für Bund und Länder bei den die Entlastung von den Corona-Schul- den Schulen bereitgestellt. Sollten die Bildungsausgaben wurde inzwischen den durch die Vermögensabgabe. Bei knappen Steuergelder besser in Luftfil- enttabuisiert, wie man am Digitalpakt der Haushaltsaufstellung müssten dann ter und Lüftungsanlagen statt in Tablets für die Schulen sehen kann. Es wäre eine klare Prioritäten für die Bildung gesetzt investiert werden? absolute Katastrophe, wenn die Corona- werden. In einem mittelfristigen In- Hickel: Das eine schließt das andere Schulden später durch Einsparungen vestitionsprogramm könnte für einen nicht aus. Aber Technik allein reicht als getilgt werden müssten, denn die träfen Zeitraum von mindestens vier Jahren Lösung nicht. Die Lehre aus Corona ist ja auch das Bildungssystem. festgelegt werden, dass der 44-Mil- unglaublich brutal. Plötzlich merken wir, E&W: Gibt es neben Steuererhöhungen liarden-Rückstau abgebaut wird und wie wichtig Hygiene ist und wie dringend und neuen Krediten auch die Möglich- zusätzlich 20 Milliarden für Strukturver- Toiletten repariert werden müssen. Und keit, Ausgaben zu kürzen? besserungen fließen. Ein Sonderfonds plötzlich fällt auf, dass sich viele Fenster Hickel: Ja, das ist ein Dreigestirn. Na- nur für Bildung ist nicht zu empfehlen. nicht richtig öffnen lassen. Das ist un- türlich brauchen wir auch eine Aus- Die Bildungsausgaben müssen dauer- glaublich. Um jetzt zu handeln, bedarf gaben- und Aufgabenkontrolle. Dazu haft im normalen Haushalt unterge- es wohl des Schocks dieser Krise. gehört zum Beispiel, alle ökologisch bracht werden. belastenden Subventionen abzubauen, E&W: Aber besteht dann nicht die Interview: Eckhard Stengel, aber auch bei der Rüstung zu kürzen Gefahr, dass die knappen Haushalts- freier Journalist Durch eine Steuer auf hohe Vermögen ließen sich unter anderem dringend notwendige Investitionen in das Bildungswesen finanzieren. Foto: imago images/Steinach Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
18 BILDUNGSFINANZIERUNG Das Ungleichgewicht nimmt zu // Eltern, die ihre Kinder auf Die sogenannten Ersatzschulen werden forschung und Lehrerbildung, sieht private Schulen schicken, tun getragen von konfessionellen, gemein- in der „Sparpolitik der öffentlichen das nicht nur der alternativen nützigen oder gewerblichen Organisati- Hand“ den Hauptgrund für den steti- pädagogischen Konzepte wegen. onen und vergeben Abschlüsse, die der gen Zulauf bei Privatschulen. 1992 lag Grund ist auch die schlechte Staat anerkennt. Dafür beteiligt sich der Anteil der Privatschülerinnen und finanzielle Lage der öffentlichen dieser an den Kosten – je nach Bundes- -schüler bei knapp 5 Prozent. Heute Einrichtungen. // land mit 45 bis knapp 100 Prozent des- besucht jeder elfte der rund elf Milli- sen, was eine Schülerin oder ein Schüler onen Schülerinnen und Schüler eine Das Angebot klingt vielversprechend: im öffentlichen Schulsystem kostet. Die allgemeinbildende Schule in freier Förderung individueller Stärken, mu- Finanzierungslücke, die dem Verband Trägerschaft, die oft dort entstanden sikalische Erziehung, viel Sport, Mo- Deutscher Privatschulverbände (VDP) sind, wo öffentliche Einrichtungen we- tivation für grenzenloses Denken und zufolge im Jahr 2016 durchschnittlich gen der schrumpfenden Zahl an Schü- mehr verspricht Rahn Education auf 2.300 Euro pro Kind betrug, stopfen lerinnen und Schülern geschlossen seiner Webseite. Der Anbieter von die Privaten mit eigenen Mitteln und wurden. Bildungsdienstleistungen betreibt an Spenden. Hinzu kommt in der Regel ein Für Bildungsforscher Prof. Heiner Barz neun Standorten in Ostdeutschland Schulgeld, das laut Destatis im gleichen von der Uni Düsseldorf hat die At- unter anderem Kitas, Grundschulen, Jahr bei durchschnittlich 2.000 Euro lag. traktivität von Waldorf-, Montessori- Sekundarschulen, Gymnasien sowie Zwar müssen sich die Schulen an das oder kirchlichen Einrichtungen auch Berufsbildungszentren. Er steht stell- Sonderungsverbot halten, also die Bei- mit „einer Frustration der Eltern über vertretend für eine Entwicklung, die träge so bemessen, dass alle sich diese das staatliche Schulsystem“ zu tun. sich seit rund 30 Jahren vollzieht. leisten können. Konkrete Vorgaben gibt „Eltern, die ihre Kinder auf eine Pri- Vergangenes Schuljahr zählte das Sta- es jedoch keine (s. E&W 1/2021, Seite vatschule schicken, suchen in erster tistische Bundesamt (Destatis) unter 18 ff.). Deshalb unterscheiden sich die Linie eine pädagogische Alternative den 40.866 allgemeinbildenden und Schulgelder mitunter deutlich. zum klassischen Schulbetrieb“, sagt beruflichen Schulen 14 Prozent priva- Barz. Ihre Hoffnung: Moderne Bil- te Einrichtungen, ein Anstieg um 81 Soziale Segregation dungskonzepte, kleinere Klassen und Prozent seit 1992. Die Bildungsstätten Das Wissenschaftszentrum Berlin für eine stärkere Betreuung sorgen für hinter diesen Zahlen befinden sich zu Sozialforschung hält Privatschulen bis bessere Leistungen der Sprösslinge. einem guten Teil in Ostdeutschland. Zu auf wenige Ausnahmen für „auskömm- Untersuchungen zeigen jedoch, dass DDR-Zeiten gab es bis auf wenige Aus- lich finanziert“. Bei den öffentlichen sich nicht nur die Klassengrößen kaum nahmen keine privaten Lehranstalten. Einrichtungen mangelt es derweil an unterscheiden, auch die Lern- Heute sind die ostdeutschen Länder Investitionen in Höhe von 43 Milliarden erfolge sind bei Spitzenreiter. Euro, wie das Deutsche Institut für Urbanistik ermittelt hat. Die öffentli- chen Ausgaben für Bildung liegen seit Jahren bei etwas mehr als 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). In Das ist weniger als die Staaten der Or- Mecklenburg- ganisation für wirtschaftliche Zusam- Vorpommern ist knapp menarbeit und Entwicklung (OECD) jede fünfte allgemeinbildende im Durchschnitt für den Bildungsbe- Schule in privater Hand, in Sach- reich aufwenden. sen knapp die Hälfte der Berufszen- Prof. Tim Engartner, Direktor der tren. Frankfurter Akademie für Bildungs- Erziehung und Wissenschaft | 02/2021
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