Bildungsaspirationen von Teenagern der Neuen Mittelschule Schopenhauerstraße in Wien - Paulo Freire Zentrum
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Instituto Paulo Freire Austria für transdisziplinäre Entwicklungsforschung und dialogische Bildung // Anna Antensteiner // Emir Orucevic // Julian Mayr // Margaux Gonzalez-Juanes Roig Bildungsaspirationen von Teenagern der Neuen Mittelschule Schopenhauerstraße in Wien Aktion & Reflexion Texte zur transdisziplinären Entwicklungsforschung und dialogischen Bildung Heft 17 Wien: Paulo Freire Zentrum, Juni 2020 1 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
// Anna Antensteiner // Emir Orucevic // Julian Mayr // Margaux Gonzalez-Juanes Roig Bildungsaspirationen von Teenagern der Neuen Mittelschule Schopenhauerstraße in Wien Forschungsbericht zum Seminar „Ungleiche Bildungswege. Transdisziplinäres Forschungsseminar“. Lehrveranstaltungsleitung Dr. Gerald Faschingeder und Dr. Birgit Fritz, SoSe 2019. Aktion & Reflexion Texte zur transdisziplinären Entwicklungsforschung und Bildung Heft 17 Wien: Paulo Freire Zentrum, Juni 2020 Diese Seminararbeit entstand im Rahmen des Master- studiums Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Alle Fotos stammen von den Autor*innen. Layout: Christina Schneider 2 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
Inhalt Vorwort ........................................................................ 5 Präambel: “Vielfalt als Stärke”...................................... 6 1. Einleitung................................................. 7 2. Theoretischer Kontext ............................. 8 2.1. Bildung............................................................ 8 2.2. Bildungsaspirationen...................................... 8 2.3. Bildung und Migrationshintergrund................ 9 2.4. Grenzsituationen........................................... 11 3. Projektpartnerin..................................... 12 4. Projektbeschreibung.............................. 13 4.1. Ausgangspunkt ............................................ 13 4.2. Methodologie............................................... 14 4.3. Verwendete Methoden ................................. 15 5. Ergebnisse.............................................. 21 5.1. Kategorienbeschreibung............................... 21 5.2. Themenbeschreibungen................................ 21 5.3. Hypothesen................................................... 23 6. Evaluation .............................................. 30 6.1. Geben die Hypothesen Antworten auf die Forschungsfrage?.......................................... 30 6.2. Wie transdisziplinär wurde geforscht?.......... 30 6.3. Diskurse über Begrifflichkeiten...................... 31 6.4. Reflexion des Forschungsprozesses............... 32 7. Fazit und Ausblick .................................. 35 Literaturverzeichnis .................................................... 36 Anhang: Workshopkonzept.................................. 39 1. Workshoptag am 24. April 2019.............................. 39 2. Workshoptag am 26. April 2019.............................. 41 3 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
Vorwort Bildungsaspiration ist eines der Keywords aus der „Echte Bildungsarbeit wird nicht von schönen neuen Welt der aktuellen Bildungsdebatte. A für B oder von A über B vollzogen, Kritische Begriffe, die den Nachwirkungen der 1968er- sondern vielmehr von A mit B, vermittelt Zeit geschuldet waren, wurden in den 1990er Jahren durch die Welt – eine Welt, die beide zunehmend von technokratischen Bildungsbegriffen Seiten beeindruckt und herausfordert ersetzt – mit deskriptivem Anspruch, scheinbar weniger oder Meinungen darüber hervorruft.“ politisch, fallweise aber durchaus mit diskriminierender (Paulo Freire, Pädagogik der Unterdrück- Subbotschaft. Einer der ganz problematischen Begriffe ten, 1973: 77) ist wohl „Migrationshintergrund“, der als Erklär- und Deuteschema für fast jede Herausforderung in der Vier junge Forscher*innen haben genau das versucht: aktuellen Bildungslandschaft fungiert. Die Autor*innen Im Austausch mit den Schüler*innen der NMS 18 der vorliegenden Publikation haben nach längerer wechselseitig voneinander zu lernen, sodass Fremder- Auseinandersetzung auf diesen (zumindest für den forschung zur Selbsterforschung und zum Selbstverste- Titel) verzichtet und stellen sich vielmehr die Frage, hen wird. Wahre Bildungsarbeit ist nach Paulo Freire was „Bildungsaspiration“ ist, was sich Teenager von immer auch Forschungsarbeit, aber keine positivistisch- Bildung erwarten. objektivierende Forschung, sondern eine, die nach der Konstruktion des Forschungsgegenstandes und der Der Begriff verschleiert, wie die Autor*innen anschau- Forschungsbeziehung fragt. Dies ist es, was wir als lich zeigen, dass auch „Aspiration“, auch das Wün- transdisziplinäre Forschung verstehen. Der Horizont ei- schen sozial nicht gerecht verteilt ist, sondern Ergebnis ner solchen Forschung ist immer ein befreiender – oder von komplexen Prozessen der Sozialisation, der Selek- sagen wir etwas vorsichtiger und mit einem anderen tion und Zuweisung ist – innerhalb einer Gesellschaft Keyword der aktuellen Debatte: ein transformativer. und mitunter zwischen den Generationen tradiert. Es geht hier um Wünsche, Selbstprojekte und Begehren Ich wünsche eine fruchtbringende Lektüre! – das Begehren, zu einer Gesellschaft zu gehören, die einen guten Teil ihrer Mitglieder wahrhaftig nicht gut Gerald Faschingeder behandelt. Dies trifft nun einmal auf die Schüler*innen Direktor des Paulo Freire Zentrums der NMS 18 – Schopenhauerstraße in Wien 18 zu. Das Paulo Freire Zentrum unterhält seit vielen Jahren eine enge Partnerschaft mit dieser Schule, die fallweise als „Brennpunktschule“ bezeichnet wurde und doch auch viel Anerkennung für ihr Engagement für Bil- dungsgerechtigkeit erhalten hat. Begonnen hat unsere Lehr-, Lern- und Forschungspartnerschaft mit dem Pro- jekt „Hauptschule trifft Hochschule“, das in den Heften der Reihe „Aktion & Reflexion“ 1 und 2 Niederschlag gefunden hat. Intensiviert wurde unser gemeinsamer Weg mit dem Projekt „Ungleiche Vielfalt der Kulturen“, dem sich die Hefte 5, 6, 7 und 8 widmeten. Ich freue mich, dass wir mit dem Heft 17 der Reihe „Aktion & Reflexion“ nun an die Geschichte dieser Partnerschaft anschließen können. Es geht um eine Bildungspartner- schaft: 5 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
Präambel: “Vielfalt als Stärke” Das Kennenlernen von Gerda Reißner ist (k)einem Zufall zu verdanken: Die engagierte Lehrerin war im Rahmen einer Podiumsdiskussion der Volksan- waltschaft eine der anwesenden ExpertInnen, um die Rechte von Kindern und Jugendlichen und die notwendigen Maßnahmen zur Gewaltprävention zu diskutieren. Ihre Beiträge in der Diskussion und ihr vielfältiges Engagement bewegten sehr und so kam es im anschließenden informellen Gespräch zu der Idee, das Forschungsprojekt mit ihrer Klasse durchzuführen. Die Bereitschaft und große Motivation von Seiten der Lehrerin ermöglichten uns nicht nur einen sehr leichten Zugang zum Forschungsfeld, sondern inspirierten auch auf allen Ebenen. Die persönliche Einstellung Gerda Reißners und der Ansatz der Schule, Vielfalt als Stärke zu sehen, scheint einen sehr positiven Einfluss auf das Schulklima zu haben. Der liebenswerte Umgang miteinander und die Offen- heit der SchülerInnen uns gegenüber berührten uns sehr und überzeugten uns von den großen Potentialen, welche in jeder und jedem Einzelnen der SchülerInnen stecken. So ist es uns ein großes Anliegen, den Schülerinnen und Schülern sowie ihrer Lehrerin Gerda Reißner ein großes DANKESCHÖN auszusprechen. Ohne euch wäre dieses Forschungsprojekt nicht möglich gewesen! An dieser Stelle gilt der Dank aber selbstverständlich auch unserer Lehrveranstaltungsleitung Birgit Fritz und Gerald Faschingeder, welche uns im Rahmen des Semi- nars zuerst auf das Feld mit den notwendigen Werk- zeugen und Wissen ausrüsteten und uns im weiteren Verlauf beratend und unterstützend zur Seite standen. Zu guter Letzt soll auch die gesamte Seminargruppe nicht unerwähnt bleiben. Das kollegial-freundschaftli- che Klima in den lebhaften Diskussionen ermöglichte bereichernde Erkenntnisse sowie viele lustige Momente beim Erproben der Theatermethoden. In diesem Sinne trifft der Leitspruch “Vielfalt als Stär- ke” mehrfach zu. Lasst ihn uns weiterhin gemeinsam leben! 6 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
1. Einleitung Was beeinflusst eigentlich die Bildungsaspirationen Ziel dieses Forschungsberichts ist nicht nur die Darle- von Jugendlichen? Über zwei Semester erstreckte sich gung der Ergebnisse, sondern er soll vielmehr als Doku- im Rahmen eines Forschungsseminars an der Univer- mentation eines transdisziplinären Forschungsprojekts sität Wien die Arbeit an dem nun hier verschriftlichen gesehen werden. Vier junge ForscherInnen begaben Forschungsprojekt, das wir zu viert planten und mit sich auf eine Reise und die nun hier vorliegende Arbeit unserer Forschungspartnerin, der Neuen Mittelschule ist das Produkt einer intensiven Auseinandersetzung Schopenhauerstraße, durchführten. Die NMS Scho- mit Transdisziplinarität, Forschungsmethoden des szeni- penhauerstraße, politisch als Brennpunktschule, deren schen Darstellens, den ForschungsteilnehmerInnen und SchülerInnen fast ausschließlich einen Migrationshin- letztlich auch sich selbst. Diesem Anspruch versucht tergrund haben, tituliert, bot uns dabei die Möglichkeit, diese Arbeit gerecht zu werden. der spannenden Frage nachzugehen, welche Faktoren die Bildungsaspirationen der SchülerInnen der Klasse 4b der Neuen Mittelschule Schopenhauerstraße beein- flussen. Methodologisch geht die Forschung dabei entlang des Prinzips der Transdisziplinarität vor und stützt sich vor allem auf Theatermethoden zur Generierung von Wissen. Dies ermöglichte es, vier Themenfelder her- auszuarbeiten, aus denen dann zumeist induktiv eine Vielzahl an Hypothesen entwickelt wurden. Die The- menfelder, die gemäß der durchgeführten Forschung einen besonderen Einfluss auf die Bildungsaspirationen der ForschungsteilnehmerInnen ausüben, sind das familiäre Umfeld, Neue Medien, monetäre Aspekte und milieuspezifische Ansichten. Diese erfahren dann im Hauptteil eine sehr detaillierte Ausführung. Zu Beginn wird der theoretische Kontext dargelegt, der zum einen kurz den Forschungsstand abreißt und zum anderen zentrale Vorannahmen darlegt. Es folgen ein Überblick über die Forschungspartnerin und eine extensive Projektbeschreibung, welche die Ausgangs- lage, Methodologie und die verwendeten Methoden skizziert. Darauf folgt das Herzstück der Forschung, die Darstellung der Ergebnisse. Die oben bereits genann- ten vier Themenfelder werden dabei beschrieben und die entwickelten Hypothesen genau beleuchtet. Dem schließt sich eine Evaluation des Forschungsprozesses und der Ergebnisse an, bevor kritisch die Relevanz der Ergebnisse diskutiert und mit einem Fazit abgeschlos- sen wird. 7 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
2. Theoretischer Kontext Die Einbettung unserer Forschungsarbeit in einen besondere Rolle zu. Zum einen bestimmt dieser, wie wir theoretischen Kontext hat eine doppelte Funktion. Zum auf andere Menschen wirken und zum anderen wohnt einen dient sie der Präsentation bisheriger Forschung ihm die Fähigkeit inne, den Wert von Bildungsinvestiti- zur Thematik, zum anderen sind es genau diese Ergeb- onen in Form von beispielsweise Zeit und Geld abzu- nisse, die die Herangehensweisen und Vorannahmen zu schätzen (ebd.: 42). Dies ist dadurch bedingt, dass der diesem Forschungsprojekt geprägt haben. Im Folgen- Habitus von allen bisherigen Erfahrungen geprägt ist den werden daher das der Arbeit zugrundeliegende und so „die jeweils spezifische Art und Weise, unseren Verständnis von Bildung, Bildungsaspirationen, Bildung Alltag wahrzunehmen, zu beurteilen, zu denken und in Verbindung mit Migrationshintergrund und zuletzt zu handeln“ bestimmt (Erler, 2007: 43). Entsprechend das Konzept der Grenzsituationen nach Paulo Freire kann dies die Fähigkeit beeinflussen, sich in einem auf dargelegt. bürgerliche Kultur zugeschnittenen Bildungswesen zu- recht zu finden (ebd.: 44). Bourdieu spricht hier zudem 2.1. Bildung vom „Schicksalseffekt“, welchen er den Bildungssys- Die Annäherung an das zentrale Konzept der Bildungs- temen zuweist. Dieser ist determinierend und dient der aspiration soll hier über die Teilung des Begriffs erreicht sozialen Reproduktion (ebd.: 46). Sprich das (trans-) werden. Nach dem hier zugrundeliegenden Verständ- nationale Bildungswesen hat nicht nur die Aufgabe der nis beschreibt Bildung deutlich mehr als nur die im Produktion qualifizierter Arbeitskräfte, sondern auch Alltag übliche Gleichsetzung mit „Wissen“ oder dem die Aufgabe der Reproduktion der Stellung dieser in „erzieherischen Unterrichten“ (Ladenthin, 2003: 238 der Sozialstruktur (Bourdieu et al., 1981: 96). f.). Die Planer des ersten PISA-Tests des Jahres 2000 sprachen den von ihnen entwickelten „Basisindikato- So kann abschließend festgehalten werden, dass ren“ die Qualität zu, ein „Grundprofil jener Kenntnisse Bildung durch ein Bildungssystem funktioniert, da- und Fähigkeiten […] [zu] bilden, die für eine aktive durch determinierend und legitimierend auf die soziale gesellschaftliche Teilhabe […] grundlegend sind“ Stellung innerhalb der Gemeinschaft wirkt, während (Baumert, 2001: 12). Die Möglichkeit der „aktiven der Erfolg im Bildungssystem aufgrund der Vererbung gesellschaftlichen Teilhabe“ beruht also auf einer Reihe von Bildungsfähigkeit durch kulturelles Kapital und den von durch Bildung erworbenen Kompetenzen, die dann Habitus bestimmt wird. Weist Bildung einen Platz in die persönliche, soziale und wirtschaftliche Entfaltung der Gesellschaft zu, so ist sie von entscheidender Rele- bedingen. Auf individueller Ebene ist Bildung also vanz bei der Lebensausgestaltung und den zukünftigen etwas Notwendiges, wenn man sich zu einem aktiven Möglichkeiten. Mitglied der Gesellschaft entwickeln möchte. 2.2. Bildungsaspirationen Doch der Platz in der Gesellschaft ist gemäß Bourdieu Der Begriff der Aspiration stammt ursprünglich aus der (1998) schon vorherbestimmt. Er betont damit die se- Sozialpsychologie und wurde dann von der Bildungs- lektive Funktion des Bildungssystems, die letztendlich soziologie übernommen, wobei unter dem Konzept die dazu führt, dass die sozialen Verhältnisse reproduziert Ansprüche, die man an sich selbst stellt, zu verstehen werden. Verantwortlich dafür macht Bourdieu die je- sind (Klein/Biedinger, 2009: 6). Unterschieden werden weilige Ausstattung mit vererbtem kulturellen Kapital, muss die Aspiration von der Erwartung. Erwartungen welches die Befähigungen der Individuen bestimmt, bezeichnen vielmehr das, was von anderen auf eine(n) sich in einem Bildungssystem zurecht zu finden und selbst projiziert wird, während die Aspiration ideeller erfolgreich zu sein (Bourdieu, 1998: 36). Das Bildungs- Natur ist und vom Individuum selbst ausgeht. Eltern wesen ist eben keine neutrale Meritokratie, d.h. die haben Erwartungen an ihre Kinder, die dann wiederum gesellschaftliche Position jeder/jedes Einzelnen wird die Aspirationen letzterer zu beeinflussen vermögen nicht bloß von ihrer/seiner Leistung bestimmt. Vielmehr (Haller, 1968: 484). Gleichzeitig können auch Eltern hängt die vermeintlich objektiv-rationale Bildungs- Aspirationen für ihre Kinder haben, wobei sich hier die fähigkeit einer Jeden/eines Jeden von ihrem/seinem Aspiration weg von der Erwartung hin zu dem Konzept kulturellen Erbe ab (ebd.: 38). Dem oft milieuspezifi- des Wunsches bewegt. Unter dem hier vorliegenden schen Habitus eines Individuums kommt dabei eine Verständnis von Bildungsaspirationen wird das Pro- 8 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
dukt der Aspirationen verstanden, die sich gegenüber sozioökonomischen Status auch höhere Bildungsaspi- formaler Bildung vor allem im Sinne des Erwerbs von rationen für ihr Kind haben und sich nicht so sehr von Abschlüssen und der sich dadurch auftuende Möglich- den schulischen Leistungen beeinflussen lassen wie El- keiten entwickeln. tern, die beispielsweise über einen “geringwertigeren” Bildungsabschluss verfügen. Sie tendieren dann eher Der Fokus auf Bildungsaspirationen liegt darin begrün- dazu, sich an den schulischen Leistungen der Kinder det, dass sie in gewisser Weise Entscheidungen über und den Empfehlungen der LehrerInnen zu orientieren. den Bildungsweg implizieren. Bildungsentscheidungen, Die Eltern projizieren so ihre Bildungsaspirationen und zum Beispiel die Schul- oder Ausbildungswahl, sind Erwartungen auf ihre Kinder und beeinflussen diese maßgeblich von den Bildungsaspirationen bestimmt dadurch (ebd.: 108f.). und deshalb für die gesamte Lebensgestaltung höchst relevant (Kurz/Paulus, 2006: 5490). Hier muss ange- Dem hier vorliegenden Verständnis nach sind Bildung- merkt werden, dass Bildungsaspirationen eben nicht saspirationen jene Aspirationen, die ein/e SchülerIn an nur als das Ergebnis eines rationalen Abwägungs- ein Bildungssystem hat. Bildung dient hier der Schaf- prozesses eines jeden Individuums selbst verstanden fung von Möglichkeiten nach der Bildungsperiode. Die werden, sondern als Produkt vieler unterschiedlicher Bildungsaspirationen können gemäß der ausgeführten Faktoren. Gleichzeitig soll der gerade beschriebene Theorie durch rationale Abwägungen, eigene Leistun- Ansatz zur Theorie der rationalen Entscheidung auch gen und durch “signifikante Andere” wie Eltern, Peers nicht vollends verworfen werden. Diese Theorie, die und Lehrer beeinflusst sein und sich entscheidend auf sich an Annahmen der klassischen Nationalökonomie die Auswahl des Bildungsweges auswirken. Adam Smiths orientiert, begreift den Menschen als In- dividuum, das nach Nutzenmaximierung und Kostenmi- 2.3. Bildung und Migrationshinter- nimierung handelt und dementsprechend entlang einer grund Präferenzordnung seine Entscheidungen fällt. Hinter In demokratischen Staaten wie Österreich besteht Bildungsentscheidungen können sehr wohl Kosten- der vermeintliche Anspruch der Chancengleichheit. Nutzen-Abwägungen stehen, aber eben nicht nur. Das Gemäß Herzog-Punzenberger bedeutet dies, dass die Erklärungsmodell aus der soziologischen Handlungs- Entfaltung von Talenten weder durch unveränderli- theorie fokussiert sich dabei vor allem auf den Einfluss che, beispielsweise physische, noch durch vererbbare der Eltern, aber auch auf die Auszubildenden selbst, die Merkmale wie den sozialen Status beeinflusst werden als rationale AkteurInnen Bildungsentscheidungen tref- solle (Herzog-Punzenberger, 2011: 58). Paragraf 3 des fen. Allerdings unterliegen diese Entscheidungen be- österreichischen Schulorganisationsgesetzes besagt grenztem Informationszugang. Hier schließt sich dann außerdem Folgendes: der Kreis mit obigen Ausführungen zur Bourdieuschen Kapitaltheorie wiederum (Wiedenhorn, 2011: 66). „Das österreichische Schulwesen [...] wird durch [...] die verschiedenen Auf die Frage, was die Bildungsaspirationen beein- Begabungen und durch die Lebensauf- flusst, nennen die Ansätze der Wisconsin-Schule aus gaben und Berufsziele [gegliedert]. Der den 1960er und 1970er Jahren (Sewell, 1969: 1970) Erwerb höherer Bildung und der Über- normative Erwartungen von „signifikanten Anderen“ tritt von einer Schulart in eine andere wie Lehrern, Eltern und Peers. “Andere”, weil Bildung- ist allen hierfür geeigneten Schülern zu saspirationen eben nicht nur von einem selbst ausge- ermöglichen. Schüler und Eltern sind hen. Daneben werden aber auch die eigenen Schulleis- über […] den nach den Interessen und tungen miteinbezogen. Das Wisconsin-Modell schlägt Leistungen des Schülers empfehlenswer- also vor, dass sich individuelle Bildungsaspirationen im ten weiteren Bildungsweg zu beraten.“ Kontext des sozialen Umfelds und in Kombination mit (Bundesministerium für Bildung, Wissen- der jeweiligen Leistung im Bildungssystem entwickeln. schaft und Forschung, 2019). Dieser „selbst-reflexive Prozess“ durch die Lernenden, in den eben auch maßgeblich die eigenen Leistungen Dies entspricht jedoch nicht der Realität. So zeigen mit einfließen, führt dann zur Ausbildung von Bildung- Studien, dass SchülerInnen mit nicht-deutscher Um- saspirationen (Zimmermann, 2018: 340). Kleine et gangssprache sehr viel seltener Allgemeinbildende al. (2009) fügen dem hinzu, dass Eltern mit höherem Höhere Schulen (AHS) besuchen als jene mit deutscher 9 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
Umgangssprache. Im Schuljahr 2016/17 schrieben beeinflusst. Dabei können die Kategorien nicht isoliert sich von den SchülerInnen mit nicht-deutscher Um- voneinander betrachtet werden, da im Zusammen- gangssprache in Wien, die die 4. Schulstufe beendeten, wirken der einzelnen Kategorien gewisse Dynamiken 36,7% in einer AHS ein. Bei den SchülerInnen mit entstehen und das Individuum an der Schnittstelle deutscher Umgangssprache waren es hingegen 66,1%, verschiedener Kategorien steht. Der Migrationshin- also rund 80% mehr (Statistik Austria, 2017). Die Bil- tergrund beeinflusst demnach ebenfalls jede dieser dungsaspirationen sind bei Kindern mit Migrationshin- einzelnen Kategorien. So strukturiert der Rechtsstatus tergrund1 zwar höher als bei Kindern ohne Migrations- beispielsweise den Zugang zu gesellschaftlichen Res- hintergrund, die durchschnittlichen Leistungen jedoch sourcen. Personen mit Migrationshintergrund werden geringer. So gelten Bildungsabschlüsse und berufliche nachteilig auf dem Arbeitsmarkt und bei Sozialleistun- Positionen der Eltern sowie die damit verbundene gen behandelt, was sich negativ auf deren sozioöko- finanzielle Lage in der Familie als Haupteinflussfakto- nomischen Status auswirkt – ein Faktor mit Langzeit- ren für die Schulwahl der Kinder (Herzog-Punzenberger, folgen, der wiederum Auswirkungen auf die Kinder der 2007: 234). Das österreichische Bildungssystem wirkt MigrantInnen und deren Zugang zu Wissen sowie den demnach stark an der Reproduktion der sozialen Ver- Bildungsweg hat (ebd.: 58). hältnisse mit. Gewisse Eigenschaften werden im diskursiven Prozess Ein weiterer Faktor, der möglicherweise einschränkend zu Unterscheidungsmerkmalen. Bezogen auf unser auf die Leistungen der SchülerInnen mit Migrations- Themengebiet bedeutet dies, dass anhand von Katego- hintergrund wirkt, ist die Bedrohung durch Stereotype. rien wie Religionszugehörigkeit und Sprachkompetenz Diese geht davon aus, dass die Existenz von negativen Grenzen zwischen verschiedenen Gruppen gezogen Stereotypen über bestimmte soziale Gruppen Einfluss werden. Die Mehrheitsgesellschaft grenzt sich durch auf deren Leistungsfähigkeit hat. Konkret bedeutet den vorherrschenden öffentlichen (politischen und dies, dass bereits die Sorge, ein negatives Stereotyp medialen) Diskurs beispielsweise gegenüber Personen, der eigenen Herkunftsgruppe zu erfüllen, schulische die dem Islam angehören, ab (ebd.: 66). Die Bedeu- Leistungen beeinträchtigen kann. Mögliche weitere tung bestimmter Unterscheidungsmerkmale ist jedoch Konsequenzen können beispielsweise Selbstbeschrän- veränderlich, so dass die Grenzen sich verschieben oder kung, Distanzierung von der Gruppe, vermindertes überschritten werden können. SchülerInnen mit Migra- Engagement oder die Veränderung beruflicher Ziele tionshintergrund befinden sich gegenwärtig in diesen sein (Herzog-Punzenberger, 2017: 5). Transformationsprozessen (ebd.: 64). Um zu verstehen, welchen Einfluss der Migrations- Erschwerend kommt hinzu, dass SchülerInnen mit Mig- hintergrund auf die Schulleistungen haben kann, ist rationshintergrund irritierende Erfahrungen im Soziali- es wichtig, die sozialen Mechanismen zu erläutern, sationsprozess machen. Die Erfahrungen aus der ersten durch die Gruppen gebildet und gefestigt werden Sozialisationsinstanz, der Familie, kann höchst unter- – sogenannte Grenzziehungsmechanismen (Herzog- schiedlich und widersprüchlich zu den Erfahrungen der Punzenberger, 2011: 55). Diese liegen in Österreich in nächsten Instanz sein, den öffentlichen Institutionen der nationalstaatlichen Ideologie begründet. Gesetze, wie Kindergärten und Schulen. Sozialisation kann folg- nationales Selbstverständnis, sowie das Bildungswesen lich als natürliches Hineinwachsen in eine Gesellschaft sind die wichtigsten institutionellen Parameter, welche oder als Reihe von Widersprüchen und Provokationen die aus der Migration resultierenden Gruppengrenzen erlebt werden, was vor allem bei Kindern mit Migrati- aufrechterhalten und damit Hindernisse für SchülerIn- onshintergrund zu Verunsicherung, Selbstverleugnung nen mit Migrationshintergrund schaffen (ebd.: 56). Der oder gar Entfremdung führen kann (ebd.: 74). soziale Status von Mitgliedern einer Gesellschaft wird durch Faktoren wie Ethnizität, Geschlecht, sozioöko- SchülerInnen mit Migrationshintergrund stehen also nomischer Hintergrund der Familie und legaler Status einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber, die vor allem struktureller Natur sind. Sie erfahren Benach- 1 Anmerkung: Da der Begriff des „Migrationshintergrundes“ teiligung, welche sich beispielsweise auf ihren Zugang der in diesem Abschnitt zitierten Studie als zentral gilt, wird von dieser vorerst übernommen. Grundsätzlich wird der Begriff aber zu höheren Schulen niederschlägt. Das österreichische von den AutorInnen dieser Forschungsarbeit als kritisch betrach- Bildungssystem wird damit seinem Anspruch nicht tet, was in einem Folgekapitel noch weitere Erklärung findet. gerecht, allen TeilnehmerInnen gleiche Möglichkeiten 10 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
zu eröffnen. Daran zeigt sich exemplarisch, wie tref- Dieses Verständnis zur Überwindung von Grenzsitu- fend Bourdieus Konzepte des kulturellen Kapitals und ationen ist essenziell, begründet es doch den Fokus des Habitus‘ sind. (Schul-) Bildung hat demnach eine auf Bildungsaspirationen. Durch die Imagination von verstärkt reproduktive Funktion, da durch vermeintlich etwas Neuem lassen sich vermeintlich gesellschaftli- gleiche Behandlung Ungleichheiten fortgeführt werden. che Zwangssituationen überwinden. Dafür müssen die Bildungsaspirationen sind hierbei insofern von Rele- Grenzsituationen allerdings explizit gemacht werden, vanz, da sie genauso Bildungsentscheidungen wie die was bei Freire durch Dialog und Reflexion geschieht. Ist Schulwahl beeinflussen und so die Reproduktion von dies erreicht, offenbaren sich die Grenzen und können Ungleichheit entweder weiterführen oder durchbre- so überwunden werden. Bildungsaspirationen können chen. zu diesem Prozess der Emanzipation entscheidend beitragen. 2.4. Grenzsituationen Die hier vorgestellte Forschung soll zudem im Kontext der Konzeption von Paulo Freires Grenzsituationen verstanden werden. Gemeint ist damit die Lage jener Individuen, die sich vor scheinbar unüberwindlichen Hindernissen und Barrieren befinden. Freire bezeichnet dabei eine Grenzsituation als „Hindernis ihrer [der Indi- viduen, Anm.] Befreiung“ (Freire, 1973: 82). Eingebettet in ihren jeweiligen historischen Zusammenhang sorgen Grenzsituationen bei den einzelnen Individuen für ein Klima der Hoffnungslosigkeit. Die Überwindung dieser Situation vollzieht sich dann durch sogenannte Grenz- aktionen (ebd.). Zentral dabei ist, dass die Grenzsitua- tionen erst explizit gemacht werden müssen, bevor sie überwunden werden können. Überdeckt durch „das Thema des Schweigens“ kommen die Grenzsituatio- nen im Angesicht der überwältigenden Macht, die sie ausstrahlen, jedoch erst gar nicht zur Sprache (ebd.: 88). Freire betont hier jedoch, dass Grenzsituationen konstruiert sind und der Aufrechterhaltung eines Status Quo dienen. Schranken und Hindernisse haben die Auf- gabe, eine Gesellschaftsordnung zu stützen und somit eine Gruppe zu unterdrücken. Ziel der Grenzakte soll es dann sein, genau diese Unterdrückung zu überwinden (ebd.: 85). Imagination spielt bei der Transzendierung dieser Grenzen eine zentrale Rolle. Dazu muss die Welt jedoch zuerst als etwas veränderbares begriffen werden und es bedarf einer Loslösung von einem Weltverständnis, dass die Natürlichkeit der Ordnung postuliert. Mithilfe der Vorstellung von etwas Neuem kann dies erreicht werden (Lütjen-Menk, o.J.: 3f.). 11 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
3. Projektpartnerin Als Praxispartnerin wählten wir die Neue Mittelschule In der siebten und achten Schulstufe finden eine Reihe Schopenhauerstraße 79 aus. Die sogenannte Brenn- von Veranstaltungen zur Berufsorientierung statt. punktschule besteht aus insgesamt 13 Klassen, wobei Durch Bewerbungsgespräche, Bewerbungstrainings, vier in der Neuen Musikmittelschule Alseggerstraße 45, soziales Engagement und Berufsinformationsmessen einer Zweigstelle mit dem Schwerpunkt Musik, geführt sollen die SchülerInnen auf den weiteren Bildungs- werden. In Summe gab es im vorherigen Schuljahr 279 bzw. Berufsweg vorbereitet werden (ebd.: 5). Interes- SchülerInnen, von denen 245 eine nicht-deutsche Erst- sen, Stärken und Kompetenzen der SchülerInnen stehen sprache haben (Tiefenbacher/Mikulovic, 2017: 2). Die dabei im Vordergrund. Hier setzte unser Forschungs- SchülerInnen stammen häufig aus sozioökonomisch be- projekt an. Die Klassenleiterin der 8. Schulstufe, Gerda nachteiligten Elternhäusern mit niedrigen Bildungsab- Reißner, die zugleich als Beratungslehrerin für die Schü- schlüssen. Einige Familien befinden sich im Asylverfah- lerInnen fungiert, ist zuständig für die Organisation der ren. Des Weiteren gibt die Schule an, dass mindestens Veranstaltungen und ist zudem unsere Ansprechpartne- ein Kind aus jeder Klasse in einer Wohngemeinschaft rin im Forschungsprojekt. untergebracht ist. Die Schülerinnen und Schüler sind aus mehr als 20 Staaten. Die kulturelle Vielfalt, die sich Eines der langfristigen Ziele, welches durch die Schule hierdurch ergibt, wird von der Schule als Bereicherung gesetzt worden ist, ist einen Umdenkprozess in Gang und Chance zur idealen Vorbereitung auf ein Leben zu bringen: Die NMS Schopenhauerstraße 79 soll nicht in der multikulturellen Gesellschaft Wiens betrachtet mehr als „Ausländerschule“ sondern „Internationale (ebd.: 7). Unter Bildung wird in dieser Schule die Ent- Schule“ wahrgenommen werden (ebd.: 8). Dies wäre wicklung der kognitiven Fähigkeiten nach den individu- ein Beispiel dafür, wie veränderlich die Bedeutung ellen Möglichkeiten der SchülerInnen sowie die Erzie- und damit auch Bewertung bestimmter Merkmale, hung zu motivierten, kommunikativen und gewaltfrei hier die kulturelle Diversität, sein kann. Kulturelle konfliktlösungsorientierten Menschen, verstanden. Um Vielfalt wird in der NMS Schopenhauerstraße 79 als dies zu erreichen, legt die NMS ein besonderes Augen- Selbstverständnis und als Bereicherung verstanden. merk auf die Unterstützung der SchülerInnen mit ande- Unsere Praxispartnerin lebt daher Offenheit vor und ist ren Erstsprachen als Deutsch und bietet beispielsweise bemüht, dieses Bild auch über die Schulmauern hinweg Deutschkurse, trilingualen Unterricht und Fortbildungs- zu transportieren. Nicht nur Studierende und Interes- veranstaltungen für die Lehrkräfte an. Der Leitsatz sierte sind gern gesehene Gäste, sondern es wird auch „Faktor I: Identität – Interkulturalität – Integration“ jährlich ein Nachbarschaftsfest von den SchülerInnen verdeutlicht dieses Bestreben (ebd.: 3). Unter den 53 organisiert. Ziel dabei ist es, Wiens multikultureller LehrerInnen gibt es jeweils vier sogenannte Mutter- Gesellschaft einen öffentlichen Raum zu geben und so sprachen- und IntegrationslehrerInnen. Diese unterrich- die Ansätze der Schule auch nach außen hin sichtbar zu ten in Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Türkisch, Romanes machen. und Arabisch. Ein weiteres Feld stellt das soziale Lernen dar. Die kulturelle Vielfalt bedingt einen respekt- und verständnisvollen Umgang miteinander, was durch die Vermittlung einer interkulturellen, globalen Weltsicht verstärkt wird. Es wird eine große Aufmerksamkeit auf Werte wie Gemeinschaftlichkeit und Solidarität gelegt und diese in den Schulalltag integriert. Hier lassen sich einige Beispiele wie etwa die Konzeption und Umset- zung von mehrsprachigen Theaterstücken, mehrtägige Schulveranstaltungen, Exkursionen, Projektwochen, Achtsamkeitsübungen sowie musische und sportliche Aktivitäten nennen (ebd.: 5). 12 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
4. Projektbeschreibung Im folgenden Teil widmen wir uns der Projektbe- bot, durch Gerda Reißner die Forschung mit der NMS schreibung indem wir zunächst einen Blick auf die Schopenhauerstraße durchzuführen, fiel die Entschei- Ausgangssituation werfen, anschließend unsere dung einhellig. methodologischen Annahmen offenlegen und uns dann dem methodischen Teil zuwenden, welcher neben der Abseits davon interessieren wir uns alle für die politi- Begründung der grundlegenden Methodenauswahl auf sche Debatte um die Fragen um Migration und Asyl, die den durchgeführten und dokumentierten Workshop, so- nach wie vor in Wahlkämpfen und Medien ganz Euro- wie auf das gewählte Auswertungsverfahren eingeht. pas geführt wird. Unsere erste Forschungsfrage legte den Fokus auf den “Migrationsdiskurs” und wie dieser 4.1. Ausgangspunkt das Sozialverhalten und die Bildungsaspirationen von Die Auswahl der Thematik basiert auf den persönlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund beeinflusst. Interessen der gesamten Forschungsgruppe. Aus der Auf Kritik der LehrveranstaltungsleiterInnen, dass Diskussion über unsere individuellen Bildungswege, ein Diskurs schwer erfassbar sei, entschieden wir uns unsere Erfahrungen im Bildungssystem generell und stattdessen für die sehr offen gehaltene Forschungsfra- in den einzelnen Schulen im Speziellen, leitete sich die ge nach den hintergründigen Faktoren für die Ent- Frage ab, warum wir unserem eigenen Empfinden nach wicklung von Bildungsaspirationen von Teenagern mit denn überhaupt, nach Beenden der Pflichtschulzeit, Migrationshintergrund. Diese Offenheit war auch darin zur Schule gegangen sind. Wir stellten also die Frage begründet, dass wir unserer Forschungsarbeit gerne nach der Motivation, die Schule zu besuchen und den eine emanzipierende und empowernde Komponente Bildungsweg einzuschlagen, auf dem wir uns nach wie durch Partizipation im Sinne der Transdisziplinarität vor befinden. Bereits zu diesem Zeitpunkt fragten wir hinzufügen wollten. Zudem sollte dies helfen, im Sinne uns nach unseren eigenen Bildungsaspirationen von Freires Grenzsituationen aufzuzeigen und diese dann früher wie von heute, und erkannten darin zumindest durch neues Wissen zu überwinden. teilweise unsere Beweggründe. Diesen Überlegungen entstammt also jener Teil der Forschungsfrage, der sich Gerade diese Komponente des “Empowerments” führ- der Untersuchung von Bildungsaspirationen widmet. te uns letztlich jedoch wieder weg von dem Begriff des Die Kombination mit dem Migrationshintergrund “Migrationshintergrundes”. Vor allem in den letzten eröffnete sich uns zuallererst in einer der Seminarein- Jahren wurde dieser mehr und mehr zu einem Stigma heiten, als wir uns zum ersten Mal tiefergehend mit der und der Begriff ist von einer großen Unschärfe geprägt. Thematik auseinandersetzten. Viele Fragen bleiben dabei offen: Migrierte die betrof- fene Person selbst oder ist sie/er bereits die zweite oder Sowohl OECD (2015) als auch Spiegler (2018) benen- dritte Generation hier in Österreich? Welcher legale nen die Korrelation zwischen Migrationshintergrund Status verbirgt sich dahinter? Meinen wir mit Migran- und schlechteren schulischen Leistungen. Der Mig- tIn nur Personen aus dem Globalen Süden oder zählen rationshintergrund scheint also auf den ersten Blick auch jene der industrialisierten Nachbarländer dazu? ein Hemmnis bei der individuellen Entfaltung zu sein, Mehr zur Debatte über diesen Begriff findet sich in un- wie sich auch aus obigen theoretischen Ausführungen serem Forschungsbericht (siehe Kapitel: Diskurse über erkennen lässt. Aus unserem persönlichen Erfah- Begrifflichkeiten). An dieser Stelle soll noch hinzuge- rungsschatz, vor allem aus Emirs freiwilliger Arbeit fügt werden, dass die kritische Auseinandersetzung mit in der Nachhilfeorganisation Wiener Lerntafel, in der dem Begriff des Migrationshintergrunds dazu führte, überwiegend SchülerInnen mit Migrationshintergrund dass wir diesen aus dem Titel herausgenommen und zur kostenlosen Nachhilfe kommen, schien sich der uns für eine potenziell weniger kontroverse Benennung Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund unseres Forschungsberichtes entschieden haben. Diese und Bildungschancen einstweilig zu bestätigen. Auch verweist nun konkret auf die ForschungsteilnehmerIn- nach einem Wechsel der Forschungspartnerin schien nen und betont so auch die begrenzte Übertragbarkeit der Migrationshintergrund als Thematik relevant zu unserer Ergebnisse auf andere SchülerInnen von Mit- bleiben. Der Zugang zur Lerntafel gestalte sich als telschulen und steht weiterhin einer Verallgemeinerung äußerst schwierig und als sich dann die Möglichkeit auf alle Personen mit Migrationshintergrund kritisch gegenüber. 13 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
4.2. Methodologie sen und Verstehen der gegenwärtigen Welt“ geschehen Als ForscherInnen unterliegen wir alle bestimmten (Faschingeder, 2012: 47). Die teilnehmenden SchülerIn- Vorannahmen und Erfahrungen, die wir bewusst und nen sind die ExpertInnen ihrer eigenen Lebenswelt und unbewusst in unsere Arbeit hineintragen. Im Rahmen auch ihre Lehrerin Frau Reißner ist Teil davon. Durch dieser Forschungsarbeit betrachten wir Wissenschaft diese wurde es erst möglich, ihre „gegenwärtige Welt als eine gesellschaftliche Aktivität, die zur Transfor- zu erfassen und die Fragen der Menschheit wirksam mation, d.h. Umwandlung, von Wissen und Realitä- zu bearbeiten“ (ebd.: 49). Unsere TeilnehmerInnen ten beiträgt. Im Sinne der Wissenschaftstheorie des werden durch diesen Ansatz subjektiviert und es ergibt Kritischen Realismus positionieren wir uns entgegen sich in Form ihrer Miteinbeziehung eine Neuinterpre- einer von positivistischen Ansätzen proklamierten tation von Macht und Wissen (ebd.: 53). Bei dieser Objektivität, die auf beobachtbaren und quantifizier- Herangehensweise geht es darum, lebensweltliche baren Ereignissen beruht (Pühretmayer, 2013: 217). Probleme zu erfassen und dann überdisziplinär und Stattdessen werden gewonnene Erkenntnisse als stets disziplinunabhängig zu bearbeiten. Das Praxiswissen vorläufig und somit veränderbar betrachtet, denn ein der ForschungsteilnehmerInnen wird dann mit wis- Forschungsprozess findet lebhaft zwischen Aktion und senschaftlichem Wissen verknüpft und so untersucht. Reflexion statt. Beschriebene Annahmen basieren auf Die lebensweltlichen Probleme liegen im Fokus und dem Realitäts- und Strukturverständnis des Critical nicht ein disziplininternes Problem. Schließlich geht es Realism. So muss Realität in unmittelbar Erfahrbares, darum, den disziplinären “Sinnkosmos” zu verlassen in nicht notwendigerweise wahrgenommene Ereignisse (ebd.: 48). Durch die “Engführung” der Disziplinen hat und in unbeobachtbare Strukturen und Mechanismen sich deren problemlösende Fähigkeit zusehends gemin- unterteilt werden. Da Strukturen und Mechanismen dert, sodass sich Transdisziplinarität für eine deutliche ihre Wirksamkeit durch die soziale Interaktion der Problemorientierung ausspricht (Mittelstraß, 2007: 3f.). jeweiligen Individuen erfahren, sind erstere auch stets In diesem Sinn war es uns auch ein Anliegen, den For- wandelbar (ebd.: 220). Dem muss hinzugefügt werden, schungsprozess möglichst transparent zu gestalten und dass gegenwärtige Strukturen nicht historisch isoliert im regen Austausch mit unserer Forschungspartnerin zu betrachtet werden können. Ursache und Auswirkung bleiben. Die Ergebnisse wurden vor der finalen Ver- können zeitlich versetzt auftreten (ebd.: 221). Pühret- schriftlichung mit den SchülerInnen besprochen, um so- mayer ergänzt hier, dass im Sinne des Critical Realism mit Machtasymmetrien vorzubeugen und die durch uns „die zu analysierenden Phänomene ein Resultat eines ForscherInnen gemachten Interpretationen bewusst zu komplexen, historisch und sozial-räumlich spezifischen hinterfragen. Es handelte sich bei unserer Forschung Zusammenspiels meist nicht direkt beobachtbarer um einen offenen, zirkulären Prozess, was dazu führte, Kräfte, Mechanismen und Tendenzen gesellschaftlicher dass nicht alles exakt planbar war. Zugleich bot dieser Strukturen (z. B. Geschlechterverhältnisse, ideologisch- jedoch die Möglichkeit, sich aufkommenden realen Ge- symbolische Verhältnisse, Produktionsverhältnisse, gebenheiten theoretisch und methodisch anzupassen Staat als materielle Verdichtung von Kräfteverhältnis- und so die Diversität und Komplexität der Forschung sen) sind“ (ebd.: 224). zu erfassen. Um diese Prozesse jedoch zu erkennen, bedarf es einer ständigen Reflexion der Situation als Konkret bedeutet dies, dass Zusammenhänge einer auch der eigenen Rollen als ForscherInnen. Denn das vielschichtigen Komplexität unterliegen, deren direk- übergeordnete Ziel der Forschung ist es, Forschungs- te Beobachtbarkeit durch beispielsweise Forschende ergebnisse zu produzieren, welche zur Generierung eingeschränkt ist. Aufgabe von kritischer Wissenschaft relevanten Wissens beitragen und so von Nutzen in ist es jedoch, genau diese Ursachen und Kräfte gesell- der außerwissenschaftlichen Welt sind (Faschingeder, schaftlicher Phänomene herauszuarbeiten und in ihren 2012: 49). Die wissenschaftlichen Rationalitätsstan- jeweiligen Zusammenhängen zu untersuchen (ebd.: dards bleiben dabei erhalten, denn Transdisziplinarität 226). argumentiert vielmehr für ein überspannendes For- schungsprinzip, das dann greift, wenn eine disziplinäre Aus genau diesem Grund nahmen wir uns in unserem Annäherung an eine Problemlage nicht mehr möglich Forschungsvorhaben explizit außer-wissenschaftlichen ist (Mittelstraß, 2007: 5). Herausforderungen an. Die Teilhabe von nicht-wissen- schaftlichen ExpertInnen ist dabei maßgeblich und soll in einer transdisziplinären Form im Sinne vom „Erfas- 14 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
Methodologisch basiert die Forschungsarbeit auf den Nicht standardisierte Formen der Beobachtung ontologischen und epistemologischen Annahmen des Das erste Aufeinandertreffen mit den SchülerInnen Critical Realism. Sie negiert eine objektivistische und fand im Rahmen eines Bewerbungstrainings beim quantifizierbare Sozialwissenschaft und ist vielmehr an österreichischen Gewerbeverein statt. Ein weite- den Leitlinien der Transdisziplinarität orientiert. Auß- res Mal trafen wir uns in dem im Anschluss an den erwissenschaftliche Probleme stehen im Vordergrund, regulären Unterricht stattfindenden Förderunterricht die in Dialog und Reflexion mit den Forschungsteilneh- mit den SchülerInnen. Vor allem der Förderunterricht merInnen behandelt werden. Wir Forschende versuchen stellte ein alltagsweltliches Ereignis, wie sie für nicht dabei, durch eine strikte Problemorientierung unsere standardisierte Formen der Beobachtung üblich sind, disziplinäre Vorbildung im besten Sinne transdisziplinär dar (Halbmayer/Salat, 2019). Gerda Reißner betonte einzusetzen. Besondere Relevanz findet dabei jedoch hier, dass der Kontakt mit Studierenden nichts Unge- das Wissen unserer Praxispartnerin, welches wir mit wöhnliches für die SchülerInnen war und wir deshalb unserem wissenschaftlichen Wissen verknüpfen, um so davon ausgehen, dass diese sich wie immer verhielten. eine nutzbare Lösung der lebensweltlichen Probleme Unsere Beobachtungen erfolgten ohne vorgefertigte zu erarbeiten. Die ForschungsteilnehmerInnen sollen Kategorien, konkrete Anhaltspunkte oder ähnlichen dringend Subjekte bleiben und nicht als zu untersu- Einschränkungen. Idee war es, „lebensweltliche Kon- chende Forschungsgegenstände verstanden werden. zepte, Erfahrungen und Strategien“ der SchülerInnen Durch regen Austausch und Partizipation soll dies kennen zu lernen sowie einander vor der Durchführung sichergestellt werden. der Workshoptage bekannt zu machen (ebd.). Ein erster grundsätzlicher Beobachtungsfokus für uns als 4.3. Verwendete Methoden ForscherInnen lag auf der schulischen Lebenswelt der Um uns dem Herzstück unserer Arbeit, den Workshop- SchülerInnen. tagen, anzunähern und uns auf diese vorzubereiten, griffen wir auf Methoden der qualitativen Sozialfor- Informelle Gespräche schung zurück. Zunächst sind hier die teilnehmende Es ergaben sich informelle Gespräche sowohl mit Beobachtung und informelle Gespräche zu nennen, der Klassenleitung als auch den SchülerInnen. Diese welche uns ein erstes Herantasten und näheres Ken- fanden an unterschiedlichen Orten in unterschiedlichen nenlernen mit den ForschungsteilnehmerInnen und un- Konstellationen statt, wie etwa vor Beginn des zweiten serer Schlüsselperson Gerda Reißner ermöglichten. Die Workshoptages mit einem Schüler, in den Pausen in Workshoptage basierten dann auf Methoden des szeni- Kleingruppen, im LehrerInnenzimmer mit verschiede- schen Forschens im Sinne Paulo Freires „Pädagogik der nen Lehrkräften oder im Anschluss an ein Treffen mit Unterdrückten“. Im Rahmen des Forschungsseminars den ForschungsteilnehmerInnen. Diese zufällig aufkom- wurden wir an die Methodik zum szenischen Forschen menden Gespräche ermöglichten uns weitere Einblicke herangeführt. Es war allerdings nicht zwingend ver- in die Lebenswelt der SchülerInnen, als auch in die pflichtend, szenische Methoden im Forschungsprojekt Ansichten der Lehrkräfte. Dabei wurde die Gesprächs- einzusetzen. Vielmehr überzeugte uns die Herange- struktur durch unsere Gegenüber geformt und die hensweise, individuelle Lebenswelten auf einer für uns zentralen Beiträge durch sie aufgebracht. Die Relevanz neuen Ebene zu erforschen. Ein zyklischer Forschungs- der hier heraus entstandenen Inhalte wurde erst im prozess, der offen für Veränderung und Anpassung Laufe der Forschung deutlich, als uns als ForscherInnen ist, war dabei elementar. Die dauerhafte Reflexion als in Diskussionen bewusst wurde, wie die informellen Forschungsgruppe, aber auch die Reflexion der eigenen Gespräche unser Vorgehen und die Formulierung von Rolle als ForscherIn war Teil des Prozesses und bot uns Fragen innerhalb der Übungen und Gespräche beein- die Möglichkeit, uns selbst sowie Wissenschaft und For- flussten. Die informellen Gespräche waren zwar metho- schung kritisch zu betrachten. Durch den ausgewählten disch zunächst nicht geplant, dürfen jedoch aufgrund Methoden-Mix strebten wir eine Annäherung an die ihres gehaltvollen Mehrwertes für die Forschung nicht Lebensrealitäten der TeilnehmerInnen an. Ziel war es so unkommentiert bleiben. Sie bilden einen Teil von dem, Zugang zu außerakademischem Wissen zu bekommen was uns ermöglicht hat, die Lebenswelt der einzelnen und dessen Mehrwert für positive Veränderung und ein SchülerInnen und als Kollektiv in Form einer Schulklas- Empowerment der ForschungsteilnehmerInnen einzu- se nachzuvollziehen. setzen. 15 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
Szenisches Forschen zu reflektieren. Zum anderen wurde es für uns For- “Thematische Forschung, die sich im Bereich des schende dadurch möglich, lebensweltliche Zusammen- Menschlichen abspielt, kann nicht auf einen mechani- hänge nachvollziehen zu können. schen Akt reduziert werden.” (Freire, 1973: 90) Da davon ausgegangen werden kann, dass Erwar- 4.3.1. Workshopplanung und -durchführung tungen von Menschen meist durch nicht bewusst Nach Absprache mit Gerda Reißner wurden uns zwei wahrgenommene Faktoren geschürt werden und so zu Workshoptage mit ihrer Klasse eingeräumt, die wäh- Grenzsituationen werden (Freire, 1973: 86), erschienen rend der Themenwoche „Stärkenschatzsuche“ stattfin- uns die Methodik der “Pädagogik der Unterdrückten” den sollten. nach Paulo Freire und der Theatermethoden nach Au- gusto Boal passend, um Einflussfaktoren bei Jugend- Ursprünglich war geplant, mehrere Konzepte vorzube- lichen auf Bildungsaspirationen zu untersuchen. Die reiten, um dann je nach Rezeption und Interesse der Gruppengröße von etwas mehr als 20 TeilnehmerInnen ForschungsteilnehmerInnen dieses flexibel und spon- ermöglichte uns darüber hinaus das Durchführen eines tan anzupassen. Letztlich entschieden wir uns für ein Forumtheaters, was auch von Seiten der Klassenleitung relativ klar strukturiertes Konzept. Wir behielten uns gewünscht war. Diese interaktive Form von Theater mit allerdings einige Alternativen im Gedächtnis, die dann dem Ziel der Transformation sozialer Realität, erlaubt variabel eingesetzt werden konnten, falls sich eine einen demokratischen Dialog (Fritz, 2011: 280). Übung als nur eingeschränkt durchführbar herausstel- len oder die Zeit noch zusätzliche Übungen zulassen Die Verfahren des Theaters der Unterdrückten können sollte. Darauf trafen wir uns mit Birgit Fritz sowie auch als Reflexions- und Erkenntniswerkzeuge verstanden innerhalb der Forschungsgruppe, um Ideen zu sammeln werden. So beinhalten die verschiedenen Übungen ne- und zu besprechen. Eine Herausforderung bestand ben Sprache auch die Verwendung der eigenen Körper. darin, dass wir uns an zwei Aspekten orientieren muss- Diese werden dabei als eine Art Projektionsfläche für ten, zu denen unser Konzept passen sollte. Zum einen die eigenen Empfindungen verstanden. Die Übungen wünschte sich Gerda Reißner, da die Workshoptage bedeuten neben einem Perspektivenwechsel auf sich im Rahmen der Themenwoche „Stärkenschatzsuche“ selbst auch eine aktive Art und Weise des persönlichen stattfanden, dass wir die SchülerInnen bei der Heraus- Ausdrucks (ebd.: 15). Sind die TeilnehmerInnen daran arbeitung eben dieser Stärken unterstützen. Zum ande- interessiert, so kann hier Raum geschaffen werden, um ren wollten wir natürlich Erkenntnisse bezüglich unse- einen Teil des emotionalen Innenlebens zum Vorschein res Forschungsinteresses gewinnen. Dies stellte jedoch zu bringen und einen Prozess des Bewusstwerdens in keinen Widerspruch dar und wir konnten die Aspekte in Gang zu setzen. einigen Übungen teilweise miteinander verbinden, da die Aspirationen der Jugendlichen womöglich mit ihren Wohingegen bei rein sprachlich verwendeten Metho- Stärken und Interessen zusammenhängen. So erstellten den der Fokus auf dem gesprochenen Wort liegt, findet wir ein vorläufiges Konzept und ließen uns sowohl hier im ständigen Wechsel von Aktion und Reflexion von Birgit Fritz als auch Gerda Reißner Feedback dazu ein Austausch statt, der über die gängigen Methoden geben. Zunächst war angedacht die Übung “6-Bilder- hinausgeht und „eine neue Chance, Wirklichkeit zu Geschichte” und das Forumtheater miteinander zu erfahren und anderen diese Erfahrungen mitzuteilen“, verbinden, indem wir die in der ersteren Übung gene- entsteht (Boal, 1989: 42). rierten Themen für das Forumtheater verwenden. Birgit Fritz führte daraufhin an, dass dies nicht möglich sei, Im Gegensatz zu den ungeplanten informellen Ge- da damit die in der “6-Bilder-Geschichte” vorgestellten sprächen wurden in Form der Reflexionsgespräche, Lösungen nichtig gemacht würden. Stattdessen könn- im Anschluss an verschiedene Übungen, gezielt das ten Probleme, die bei der Übung “Realbild/Idealbild” Gespräch mit den SchülerInnen gesucht. Der Anstoß auftreten, als Themen für das Forumtheater dienen. zur Selbstreflexion erfolgte dabei durch uns anhand konkreter Fragestellungen innerhalb der Kleingruppen. Des Weiteren verwarfen wir die Idee, den SchülerInnen Die Reflexionsgespräche hatten zum einen das Ziel, eine Hausübung aufzutragen, da dies ein Vorausdenken den SchülerInnen die Möglichkeit zu bieten, die für sie bewirken und den Übungen damit die Spontanität ent- relevanten Aspekte hervorzuheben und laut denkend ziehen würde. Durch den gemeinsamen Austausch mit 16 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
unserer Schlüsselperson, der Forschungsseminarleitung “Generating Issues”, die “Generierung von Themen”, und Diskussionen innerhalb der Gruppe ergab sich ein soll dazu beitragen, relevante Themen und Probleme Konzept zur Durchführung der Workshoptage. auf partizipativer Weise zu identifizieren. Zu den wich- tigsten Übungen gehörte hier die “6-Bilder-Geschich- Dieses erstellten wir entlang der vier Elemente „Crea- te”. Bei dieser verteilten sich die TeilnehmerInnen ting common ground“, „Generating Issues“, „Repre- im Raum und malten eine Geschichte bestehend aus sentation“ und „Sharing“ (Konzept siehe Anhang 1). sechs Teilen. Im ersten Bild sollte der/die ProtagonistIn Mithilfe der Konzeption eines “common grounds”, (Person, Tier, Wesen, Gegenstand, etc.), im zweiten eines “gemeinsamen Bodens”, soll die Gruppe ge- das Ziel oder der Wunsch, im nächsten die HelferInnen stärkt und eine vertraute und entspannte Atmosphäre bei diesem Vorhaben, als viertes ein Hindernis oder hergestellt werden, in der gelacht und Fehler gemacht Problem, gefolgt von der Lösung und schließlich das werden dürfen. Spiele eignen sich hierfür sehr gut. Ergebnis dargestellt werden. Beispielsweise führten wir am Anfang des ersten Tages ein Namensspiel durch, bei dem wir einen Kreis “Representation” bedeutet ”Darstellung” und erfolgte bildeten und uns gegenseitig einen Ball zuwarfen. Der/ durch das szenische Arbeiten. Reale Situationen, Prob- Die Fangende stellte sich auf einer Sprache seiner/ihrer leme, Konflikte etc. werden in diesen Übungen präsen- Wahl vor und nannte zudem, welche Sprachen er/sie tiert. Nach einigen Einstiegsübungen in die Theaterme- beherrscht. Dies diente dem Kennenlernen der Gruppe thoden, sind hier vor allem zwei Übungen zu nennen, und zeigte Stärken und Gemeinsamkeiten auf. Außer- wobei zunächst auf “Realbild/Idealbild” eingegangen dem konnten wir damit die Vielfalt an gesprochenen wird. Hierfür stellten die SchülerInnen Bilder ihrer Sprachen positiv hervorheben. jetzigen Lebenssituation und anschließend Zukunfts- visionen hinsichtlich ihres Lebens in 10 Jahren dar. Sie konnten dafür andere TeilnemehrInnen als weitere Abbildung 1: SchülerInnen beim Zeichnen der “6-Bilder-Geschichte” (eigene Aufnahme) 17 // Bildungsaspirationen von Teenagern // Aktion & Reflexion
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