BERLIN 1-2019 - BMU Musik
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BERLIN 1-2019 Für musikalische Bildung an Schulen www.be.bmu-musik.de www.bmu-musik.de Diskussion Fortbildung Berichte Themenschwerpunkt: Musiktheater
1 Editorial von Carl Parma Als Themenschwerpunkt unseres Magazins haben wir diesmal – auch in Vorbereitung auf unseren Landes- schulmusiktag am 14.2.2019 zum gleichen Thema - das MUSIKTHEATER gewählt. Es ist einer der spannendsten, aber auch didaktisch-me- thodisch anspruchsvollsten Bereiche des Musikunterrichts. Das liegt zum einen im reinen Umfang eines zumeist abendfüllenden Werkes begründet, zum anderen aber auch an der Besonderheit des Stimmeinsatzes wie einer gewissen Kompliziertheit der Plots wie der Künstlichkeit der Situation: noch im Sterben singt Desdemona eine veritable Arie. Es ist aber gerade diese Überhöhung des Augenblicks im Gesang, der durch seine emotionale Direktheit den Zuschauer unmittelbar berührt und Opernheldin- nen und -helden so zu Symbolfiguren für menschliche Zustände oder Charaktere werden lässt: Orpheus, Don Giovanni, Fidelio, Carmen, Wozzeck. In Opern werden die großen Menschheitsfragen von Liebe, Macht und Tod exemplarisch durch die sinnliche Kraft der Musik erlebbar gemacht: der Geschlechter- und „Klassen“- Kampf bei Mozart, die Eman- zipation von Frauen und Nationen im 19. Jahrhundert, die Verlorenheit in der Moderne. Insofern ist die Oper politisch und zeitgenössisch. Insbesondere seitdem Regisseure die „alten Kamellen“ aufbrechen und sie für ein heutiges Publikum zu übersetzen versu- chen! Wenn auch nicht immer von ästhetischem Erfolg gekrönt, regen sie gesellschaft- liche Debatten an wie es weder die klassische noch die Popularmusik können. Zur Popularisierung des Genres haben aber haben auch Werke wie die „Dreigroschen- oper“ oder die Entstehung des Musicals beigetragen. Mal dialektisch, mal affirmativ wird hier dem Genre ein ästhetisch populäreres Gewand verpasst, schwankend zwi- schen gesellschaftsrelevanten Themen (Westsidestory) und seichter kommerzieller Unterhaltung (König Ludwig). Gerade aber im pädagogischen Kontext bieten sich hier vielfältige Betätigungsmöglichkeiten: vom selber Entwickeln und Schreiben eines Stückes über das Aufführen fertiger Werke stellen Musicals einen guten Einstieg in den Bereich Musiktheater dar. Ein Highlight im Schulleben und unvergesslich für Zuschauer und Akteure! Und was wäre der Bereich „Musiktheater in der Schule“ ohne den unermüdlichen Ein- satz der Musiktheaterpädagogen? Mit der „Szenischen Interpretation“ und anderen Näherungsweisen ist es ihnen gelungen, dieses Genre für Kinder und Jugendliche zu er- schließen. Sie haben dieses Format in der Educationarbeit in Deutschland fest etabliert. Wir wollen sie deshalb in diesem Heft besonders zu Wort kommen lassen.
2 3 Inhalt Landesvorstand Berlin 1. Halbjahr 2019 Carl Parma Gisela Schröder-Fink Präsident Vizepräsidentin (Landesmusikrat-Präsidi- (Landesschulmusiktag, um, Senatsverwaltung, Jugend musiziert, Finanzen, Editorial / Carl Parma 1 Gymnasien, Mentoren Edition BMU-Magazin) Landesvorstand Berlin 3 Programm, BMU-Magazin) Mail: schroederfink@ Mail: carl.parma@gmx.de yahoo.de BMU-Berlin Schwerpunkt Arno Eberhard Lisa Behrens-Heinrich Gisela Schröder-Fink Vizepräsident (Kursplanung und Bühne frei - Musiktheater in und für Schulen 4 MuPäTage) (GV Landesmusikrat, Fort- Mail: lisa.behrens Carl Parma bildungen, Kurse, BMU-Ma- @bmu-musik.de gazin); Mail:arno.eberhard Und langsam stirbt Desdemona 10 @bmu-musik.de Anne-Kathrin Ostrop Warum Musikvermittlung an Opernhäusern? 14 Meinhard Ansohn René Fleischmann (Fort- und Weiterbildung, (Musikbetonte Grund- Landesschulmusiktag18 Landesmusikakademie, schulen, Regionale Jahreskurs, Singenach- Fortbildung); Nadine Grenzendörfer mittag); Mail: meinhard. Mail: rene.fleischmann Spiel mal Verkehrsunfall – Komponieren mit Jugendlichen 20 ansohn@berlin.de @t-online.de Regina Lux-Hahn Das Kinderopernhaus 22 Tobias Hömberg Anja Hofbauer (netzwerk junge ohren) (Kursplanung) Lena Maron Mail: tobias.hoemberg Mail: anja.hofbauer „Anatevka“ and der Komischen Oper Berlin 24 @bmu-musik.de @gmx.net Aaron Grahovac SchülerInnen gestalten Musiktheater 25 Fortbildungsveranstaltungen Friedrich Neumann Bernd Otten Kursübersicht28/29 (Kooperationen, Senats- (Homepage, Newsletter) verwaltung); Mail: otten.bernd Kursbetreuung / Anmeldeverfahren 30 / 32 @gmail.com Mail: friedrich.neumann Aufnahmeantrag BMU 34 @bmu-musik.de Die Kurse im Einzelnen ab 35 Berichte Matthias Peuthert 40 Jahre Landesmusikrat Berlin 55 (Musikalische Werkstät- ten, Multiplikatoren) Musikpädagogische Tage 2018 56 Mail: matthias.Peuthert @freenet.de Neue Musiklehrkräfte braucht das Land 58 Zur Lage der Schulmusikausbildung in Berlin 62 Bettina Wallroth Termine 2019 63 (Musikpädagogische Glosse 64 Tage); Mail: bettinawallroth @web.de
4 5 Magazin Doch auch der gemeinsame Opern- oder Musicalbesuch stellt an sich schon einen Wert dar, um den Schülern die Möglichkeiten zu geben „(...) an Ausschnitten des musikalisch-kulturel- len Lebens aktiv teilzu- Bühne frei – haben und so ihre eigene musikalische Identität zu Musiktheater für und in Schulen gestalten“.3 Ausgehend vom kons- Von Gisela Schröder-Fink truktivistischen, kom- petenzorientierten und Wollen wir Musiktheater unterrichten, haben wir die Wahl zwischen der eigenen Inszenie- aufbauend-handelnden rung eines Bühnenwerks, dem Selbsterfinden und Entwickeln einer wie auch immer ge- Unterricht lassen sich über- arteten musiktheatralischen Form und dem Rezipieren eines Werkes an einer der Bühnen zeugende Argumente für die Ein- der Stadt. Welche Vielfalt gibt es hier in Berlin, um Musiktheater live zu erleben! beziehung von Musiktheater in den Unterricht finden, gleich in welcher der Ein Bühnenprojekt mit unseren Schülern gemeinsam auf die Beine zu stellen ist verfüh- oben erwähnten Formen, eigentlich stellen rerisch, wenn da nur nicht der hohe Aufwand wäre, der neben dem normalen Unterrichts Unterrichtsreihen zu Musiktheater für diese didaktischen Alltag kaum zu bewältigen ist. Aber die positiven Aspekte sind überwältigend, sodass der Ansätze den idealen Raum dar. Wert eines solchen Projektes kaum in Frage gestellt werden kann, geht es doch darum, „einem Menschen die musikalisch-kulturelle Wirklichkeit zu erschließen und zugleich Bei der Vermittlung geht es natürlich um kulturelle Tradition umgekehrt darum, dass der Mensch selbst, dank des eigenen Erlebens, Erfahrens, Ge- und die zu Recht geforderte kulturelle Teilhabe. Warum soll- brauchens und Reflektierens im Umgang mit Musik, sich musizierend, hörend, untersu- ten wir einen wesentlichen Teil des kulturellen Erbes unseren chend und beschreibend der musikalisch-kulturellen Welt aufschließt“1 Schöne Worte, Schülern und Schülerinnen nicht zur Verfügung stellen? Doch es beinahe zu schön, aber sie beschreiben genau das, was wir bei Schülern auslösen, wenn steckt mehr dahinter als nur die Vermittlung bedeutender Kultur- wir uns an diese Arbeit machen. leistungen großer Meister. Über die Identifikation mit den handeln- den, singenden Personen erfahren wir von einer Welt außerhalb unseres Anders sieht es mit dem Besuch einer Opernaufführung aus, Musicalaufführungen hier eigenen Seins und erweitern unser Bewusstsein für die Vielfalt der Schick- ausgenommen. Hier verschrecken oftmals die historische Patina und der bürgerliche sale und Lebensformen. „Wir werden in ein artistisches Spiel verwickelt, (...) das Habitus den Zugang. Der Gegenargumente sind viele: zu elitär, ein ‚altes’ Publikum, die (...) durch Unberechenbarkeit, Offenheit, Ambivalenz, Freiheit und Fremdheit gekenn- dargestellte Problematik geht an den jungen Menschen vorbei, die Inszenierungen sind zeichnet ist“.4 durch die Auswüchse des Regietheaters für junge Zuschauer nicht tauglich. Seit der Bil- dungsbegriff ins Wanken geraten ist, suchen wir nach realen Anknüpfungspunkten im Le- Der Fatalismus einer Carmen, die Verführbarkeit eines Max, die Intrigen eines Jago, der ben und in der Persönlichkeit der Schüler, um die Distanz zwischen „Mensch und Kultur“ Neid eines Kaspar, die Großzügigkeit eines Bassa Selim, der Furor der Königin der Nacht, zu verringern, indem Schüler das Kunstwerk „(...) nicht aus dem dualistischen Gegenüber die unbeirrbare Liebe einer Pamina, die sinnliche, aber letztendlich todbringende Ver- heraus (...) ergründen, sondern aus dem Prozess, in dem Menschen ihren Umgang mit führung eines Grafen Krolock, die dämonische Überlegenheit eines Frank, sie stellen Le- Musik bzw. Kultur ganzheitlich handelnd vollziehen.“2 Die Berliner Opernhäuser verfolgen bensentwürfe und Haltungen vor, die über ein normales Leben hinausgehen und „große“ diesen Ansatz sehr erfolgreich mit ihrer musiktheater-pädagogischen Arbeit, kaum eine/r Fragen stellen, vielleicht sogar beantworten! Das Kaleidoskop menschlicher Verhaltens- der Musikkolleginnen und -kollegen der Stadt, die nicht mit der „Szenischen Interpreta- weisen im Musiktheater kann Entscheidungshilfe, Ermutigung und Abschreckung sein. tion“ und dem „Szenischen Spiel“ in Berührung gekommen sind und deren Unterricht dadurch nicht bereichert wurde. 1 Werner Jank: Musikdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2013, S.95 3 ebd., S. 99 2 ebd., S. 96 4 ebd. , S. 110
6 7 Magazin Welche Rolle spielt die Musik darin? Oft genug werden die überlangen Stimmungsfun- „unrealistischen“ Sterbeszenen kritisiert, die mit ständigen Wiederholungen dament mitgeteilt den eigentlich schon längst in Realzeit erfolgten Tod zelebrieren, das wird! überdehnte Zeitmaß, das die Handlung auf der Bühne erstarren Oben wurde von der lässt. Kann man all dies nicht viel weniger aufwendig und teu- Mühsal bei der Erarbei- er, lesend oder auf der Sprechbühne erfahren? Ohne die tung und Inszenierung eigener Kosten eines Supermonstrums Opernhaus? Bühnenwerke in der Schule ge- Ohne Menschen, die in extremen Situationen sprochen. Die eben beschriebene Er- immer noch singen und nicht, wie es natür- fahrung einer solchen Szene wird kollektiv lich wäre, verstummen? erlebt und schafft eine positive Arbeitsatmo- Die aktuelle wissenschaftliche For- sphäre. Klaus Dörr, der Interimsintendant der Volks- schung ist der Meinung, dass bühne, sagt: ein theatraler Vorgang, wenn „Theater ist immer Mannschaftssport“.7 Die Ironie der Aussage er musikalisch und visuell mindert nicht, dass das gemeinschaftliche Agieren in spielerischer gestützt wird, sehr viel Form Schülerinnen und Schülern, die je an solchem Projekt teilgenommen mehr Wirkung her- haben, es als eines ihrer spannendsten Schulerlebnisse in Erinnerung bleibt, her- vorruft. „Musik wird vorgerufen durch die partnerschaftliche Arbeit miteinander und das durch den Rollen- unter Einfluss der schutz ermöglichte Heraustreten aus der eigenen Person, durch die Gleichzeitigkeit von Omnipräsenz au- Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft und durch die Konzentration auf sich selbst! diovisueller Medien „nicht Anders gesagt: „Die Interpretation entsteht im Spannungsfeld von Musikstück, Musikthe- nur gehört“, son- dern fungiert „in aterwerk oder Lied (dem äußeren Gegenstand der Interpretation), biographischem oder der Regel als audiovisu- elles Permanenzmedium“.5 sozialem Hintergrund der Teilnehmer (den Interpretierenden), der Art, wie interpretiert „In der Musikpsychologie und der Rezeptionsforschung geht man ohnehin davon aus, wird, in welchem Kontext und mit welchen Mitteln (der Interpretationsmethode) “.8 dass musikalisches Erleben grundsätzlich durch Koppelung von auditiven Reizen mit opti- schen Eindrücken bzw. Imaginationen zustande (kommt)“. 6 Von Stanislawski, dem großen Theaterpädagogen, hören wir über den Darsteller: „Es er- hebt sich (...) die Frage nach den Vorräten unseres emotionalen Gedächtnisses. Diese Welche Gewissensqualen hätte sich Kirchenvater Augustinus im 6. Jahrhundert bei seinem Vorräte müssen ununterbrochen, laufend aufgefüllt werden. (...) wir gewinnen unsere (...) Konflikt zwischen Musik und Wort ersparen können, wäre diese Erkenntnis ihm bereits be- Eindrücke, Empfindungen, Erlebnisse sowohl aus der Wirklichkeit als auch aus dem Le- kannt gewesen! ben der Phantasie, aus Erinnerungen, aus Büchern, aus der Kunst, aus der Wissenschaft, Die Filmmusik beweist uns permanent die Richtigkeit der oben erwähnten Aussage. Aber (...) der Schauspieler (Darsteller) muss ... seinen Geist anstrengen, die unzulänglichen Filmmusik „dient“ – zumindest überwiegend. Bei Musik im Musiktheater hat die Musik eine Kenntnisse erweitern, seine Anschauungen überprüfen (...) Er darf das Leben nicht als gleichberechtigte oder sogar bedeutendere Rolle. Sie vertieft die Aussage oder führt da wei- Spießer betrachten. (...) Er entnimmt dem realen oder erdachten Leben alles, was er dem ter, wo die Sprache verstummt, wo man etwas nicht mehr oder noch nicht wieder sagen Menschen zu geben mag. Doch alle Eindrücke und Genüsse, alles, was die anderen für kann. Bei aller sprachlichen Verkürzung einerseits ist sie andererseits ein differenzierteres sich erleben, verwandelt sich bei ihm in Material für sein Schaffen“.9 Mittel der Kommunikation! Diese Aspekte treffen nicht in diesem Umfang für unsere Arbeit mit Schülern zu, aber sie Wir stellen uns folgende Szene vor: Ein Paar in einer schwierigen Situation, schweigend, erklären, warum auch die minimalste Form von Bühnenarbeit eine so nachhaltige Wir- Musik welcher Art auch immer setzt ein, ein Blick oder kein Blick – wir verstehen und kung auf uns hat. sind mitten in einer zeitlosen Szene, bei der durch die Musik die Gefühlsbreite und das 5 Heinz Geuen/ Stefan Orgass: Partizipation – Relevanz – Kontinuität. 7 Rüdiger Schaper/ Klaus Dörr: “Theater ist immer Mannschaftssport“. Der Tagesspiegel, 11. 9. 18, S. 23 Musikalische Bildung und Kompetenzentwicklung in musikdidaktischer Perspektive, Aachen 2007 in: Stefan Gies: Auge und Ohr, in: Werner Jank, Musikdidaktik. Berlin 2013, S. 146 8 Markus Kosuch: Szenische Interpretation von Musik. in: Musikdidaktik, hrsg. von Werner Jank in der Grundschule. S. 2015, S. 183 6 Helmut Rösing: Bilderwelt der Klänge – Klangwelt der Bilder. Beobachtungen zur Konvergenz der Sinne, ebd. S. 149 9 Konstantin Stanislawski, Stanislawski Lesebuch. Berlin 1990, S. 74)
8 9 Magazin Übertragen auf den uns möglichen Rahmen Schule bleibt als Erziehungsziel: sich durch det. Aus dem Zusammenhang gerissen und ohne die Botschaft wirkt er oft affektiert und Rollen kennenlernen, über sich selbst hinauswachsen, über das Leben lernen. Für die künstlich. Über das Musical lässt sich ein leichterer Zugang schaffen. Die Aufmerksamkeit Schülerinnen und Schüler bedeutet das: Das Leben in einem geschützten Raum spiele- für einen Musicalsong darf wesentlich geringer sein, Länge und musikalische Gestaltung risch verstehen, Illusionen und Utopien ausleben, ohne den sicheren Boden zu ver- machen die Songs leichter konsumierbar. Und natürlich trägt die Band mit E-Gitarren und lassen; Erfahrungen zu machen, aber bei sich bleiben; aus sich heraustreten, aber sich Schlagzeug, mit poppigen und jazzigen Harmonien, Sound-Effekten und Lautstärke zum nicht verlieren; sich in Existenzkrisen stürzen, aber nicht krepieren, die Empathie-Fähig- Erfolg bei. Allein das „Ohrwurm-Phänomen“ zeigt die durchschlagende Wirkung, aber auch keit schulen an Freunden, Verrätern, Betrogenen, Liebhabern, Schurken, Siegern, Ver- die gleichzeitige Begrenztheit der Komposition. Vielleicht sollte man einen Opernsänger/ lierern, armen Schweinen, Herzensbrechern usw. Was hier zunächst nur wie ein Plädo- eine Opernsängerin einladen und den vielfältigen künstlerischen Umgang mit der Stimme yer für Darstellendes Spiel/ Theater klingt, bekommt durch die Musik eine besondere demonstrieren lassen. Dimension und Tiefe. Beispiele für eine sanfte Gewöhnung an anspruchsvollere Formen lassen sich finden: Die Musik hilft bei der Darstellung formal, indem sie untermalt, verbindet, gliedert, Freddy Mercury und „Queen“ mit der „Kurzoper“ ‚Bohemian Rhapsody’, der Opernbesuch erinnert. Sie unterstützt emotional, indem sie Stimmung schafft, Gefühle beschreibt, in „Pretty Woman“, die Songs der „Dreigroschenoper“ samt ihrem Theaterkonzept. Auch Nähe und Ferne, Einsamkeit, Trauer, Gemeinschaft darstellt und nicht vorhersehbare, Filmmusiken können einen Übergang zu komplexeren Kompositionsformen schaffen: überraschende Wirkungen entfaltet. Die Verse tragen die Sprache, durch die Rhythmisie- „Amadeus“ zu Mozarts Requiem (die „Confutatis“-Szene ist wohl eine der stärksten Film- rung, die Melodie, die Harmonik und die Begleitung kann der Inhalt spannend, komisch, musik-Szenen überhaupt) oder der Soundtrack zum „Herrn der Ringe“ oder „Harry Potter“ tragisch, kurz: unterhaltend und bewegend werden. zur Gewöhnung an großen Orchesterklang und Leitmotivtechnik! Affekte, Formabläufe, harmonische und melodische Wendungen, Orchesterfarben und Die „Szenischen Interpretation“ verbindet die Aspekte der aktiven Musiktheatererfahrung der musikalische Aufbau und Spannungsbogen, das Bühnenbild, die Kostüme, das mit der rezipierenden in ebenfalls leicht zugänglicher Weise. Sie könnte sich in weniger Licht, allmählich fügen sich die Teile zusammen zu einem hochkomplexen Ganzen. handlungs- und personenorientierte Bereiche vorwagen und eine Weiterentwicklung der Die Betrachtung der Charaktere wird mit jeder weiteren Aufführung, durch jede neue Arbeit von kurzen Motiven zur Gestaltung von längeren Musikstücken anregen. „Wie spielt Sängerpersönlichkeit differenzierter. Ist Sarastro wirklich nur gut und die Königin der und singt ihr, wenn die Musik die eben gehörte Wendung nimmt?“ „Was bedeuten diese Nacht nur böse? Ist Tamino mutig und Pamina schwach? Ist Papageno wirklich nur lustig musikalischen Merkmale für die darzustellende Person?“ Eine an der Vertiefung und Ent- und naiv? Die Musik gibt hier die Hinweise, die das Verständnis erweitern und das sicher wicklung der darzustellenden Charaktere anknüpfende Fragestellung könnte ein möglicher Geglaubte in jeder neuen Inszenierung, in jeder Probe in Frage stellen. Jedes Werk in Weg sein. seiner Epoche gibt Anlass zu Vergleichen mit der Gegenwart und zur Beurteilung des Der Reiz des aktiven Erlebens einer Rolle und des Verstehens einer gestalteten, von Musik aktuellen Zeitgeistes. getragenen Handlung ist ein Entwicklungsprozess. Kommt es zur Aufführung, waren Kon- Denn das Musiktheater spiegelt auch soziale Realität. Frauenrollen sind deutlich zentration, Fokussierung, Timing, Gestaltung und musikalische Ausführung das Optimum, unterrepräsentiert und oft stellen sie ein traditionelles, abhängiges, duldend-demüti- das zu leisten war, sei es auf der Opern- oder der Aulabühne, stellt sich ein besonderes ges Frauenbild dar. Zwar gibt es starke solistische weibliche Hauptrollen wie Carmen, Glücksgefühl ein, das alle, Schüler wie Lehrer, zu Wiederholungstätern macht! Leonore, Susanna, Elektra und die Königin der Nacht, aber selbst im ‚fortschrittlichen’, modernen Musical sind emanzipierte aktive Frauen nicht gerade in der Überzahl, sehen wir von Bess und den weiblichen Personen in „Rent“ einmal ab. In „Grease“ richtet sich Hinweise für die weitere Arbeit: Sandy nach den Schönheitsidealen ihres Danny, in „Tanz der Vampire“ folgt Sarah ihrem Institut für Szenische Interpretation von Musik und Theater, raffinierten Verführer Graf Krolock, in „Les Miserables“ opfert sich Eponine für Marius. In 32 Videoclips zum Methodenkatalog der Szenischen Interpretation „Anatevka“ sind sieben Töchter zu verheiraten! In der „Rocky Horror Show wird Janet von Universitätsbibliothek Oldenburg, http://oops.uni-oldenburg.de/1701 (Stand: 20.08.2015) Frank ‚vernascht’! Maria in „Westside Story“ überlebt und lässt erneut auf eine gleichbe- http://www.isim-online.de/03_02.pphp (Stand: 23.04.2015) rechtigte nächste Beziehung hoffen. http://www.musik-for.uni-oldenburg.deszene/index.html (stand: 23.04.2015) Beim Vergleich zwischen Oper und Musical gewinnt bei jungen Menschen eindeutig das Klaus Dörr in Tagesspiegel v. 11. 9. 2018, S. 23 Musical. Der Gesangsstil der Oper ist gewöhnungsbedürftig, stärker noch, er befrem- Sämtliche Bilder G.S.F.
10 11 Und langsam stirbt Magazin Desdemona Nicht von ungefähr ist Mozart der Liebling aller Regisseure. Hier findet sich ein rei- ches Arsenal an Anknüpfungspunkten zu unserer Gegenwart: angefangen mit der De- maskierung des Salzburger Götterlieblings zu einem triebhaft-kichernden Genie-Punk (Amadeus) und kulminierend in den sadomasochistischen Exzessen eines Calixto Bi- eito in der Komischen Oper. Der Mozartsche Realismus und die Geschlechterthematik findet dann im „musikali- schen Realismus“ (Dahlhaus) als Frauenthematik des 19. Jahrhundert seine konse- Und langsam stirbt Desdemona – quente Fortsetzung -titelgebend werden weibliche Hauptfiguren, Outlaws, die die gesellschaftlichen Widersprüche grell beleuchten, um am Ende an ihnen tragisch zu Überlegungen zu einem besonderen Genre scheitern: Carmen, Violetta, Desdemona, Madame Butterfly. Konsequent werden die aufkommenden gesellschaftlichen Konflikte eines sich emanzipierenden Bürgertums von Carl Parma entweder als Emanzipationsgeschichte der Frau oder aber der sich formierenden Natio- nalstaaten (Italien) thematisiert. So bilden Stoffe aus grauer Vorzeit die Hintergrundfolie für nationale Emanzipationsbestrebungen der Italiener (Nabucco/Aida), in die Partitur JOSEPH Sag er mir, Mozart, hat man Ihm unseren Auftrag für die Oper übermittelt? werden geheime Botschaften (Verdi: Emanuele II.) hineinkomponiert und die Chöre der MOZART Sehr wohl, Euer Majestät! (…) Ich habe auch schon ein Libretto. (…) Die Verdi-Opern zu Schlachtgesängen der Unabhängigkeitsbewegung. So (real)politisch Geschichte ist wirklich amüsant, Euer Majestät. Sie spielt in einem... (kichert) in kann Oper sein, trotz ihres konventionellen Habitus und traditionellen Rahmens. einem Serail. Dem Harem eines Paschas. Revolutionäres vollzieht sich aber auch im Inneren, in der Tonsprache: ausgerechnet in ROSENBERG Und das soll in Ihren Augen ein passendes Thema für eine Auf- den mythenschweren Mittelalterepen eines Richard Wagners - einst als Anarchist nach führung im Nationaltheater sein? MOZART (in Panik) Ja! Nein! Ja, ich meine, Paris geflüchtet – kündigt sich die Abkehr von der traditionellen Dur-Moll-Tonalität an, ja, jawohl! Warum denn nicht? Die Handlung ist sehr komisch. (…) Sie ist voll die dann in der reinen Expressivität und freien Atonalität von Bergs „Wozzeck“ gipfelt. echter deutscher Tugenden (…) Liebe, Euer Majestät. Die Auflösung der Tonalität korrespondiert nicht von ungefähr mit der Auflösung der Ich habe noch in keiner Oper Liebe ausgedrückt gesehen. (…) politischen Verhältnisse. Allerdings lässt die Reaktion der Reaktionäre - der Verteidi- Ich meine die Liebe eines Mannes, Signore – nicht die eines krähenden männ- ger der alten Ordnung – nicht lange auf sich warten: nachdem die Rechte immer wieder die Beendigung des „Kulturbolschewismus“ im Avantgardetheater der Weimarer Repu- lichen Soprans – oder die törichter, augenrollender Paare – dieser ganze, blik, der Kroll-Oper, gefordert hatte, wurde sie 1931 schließlich aus vorgeblich öko- alberne italienische Quatsch. nomischen Gründen endgültig geschlossen. Hier kündigte sich bereits der Anti-Kunst- furor an, der ab 1933 zur Staatsdoktrin werden sollte: Pfitzner statt Berg und Wagner Was könnte das Problem der Oper, dieser seit über 400 Jahren gehuldigten Kunstform, aller Orten, empfand Hitler Wagner doch als Seelenverwandten, dessen Werke ihm als besser auf den Punkt bringen als dieser Dialog aus Peter Schaffers „Amadeus“. Voller Blaupause seiner Wahnvorstellungen dienten und dessen Sippe die glühendsten Hit- eigenartiger Konventionen und Setzungen: nur auf Italienisch sollte sie sein (obwohl dies ler-Verehrer waren. Diese Nähe der politischen Klasse zu Bayreuth besteht bis heute: kaum jemand verstand), mit statuarischen Themen in unglaubwürdigen Konstellationen alljährlich pilgern unsere Volksvertreter zum Grünen Hügel und lassen sich dabei dank- und artifiziellem Gesang: eben „liebemachenden“ Kastraten! Dem versuchte Mozart ei- bar ablichten. nen neuen Realismus entgegenzustellen: einem sein Ehebett vermessenden Handwerker Diese Staatsnähe der Gattung Oper – in Diktatur wie Demokratie – hat sicherlich viel (Figaro), der seine Susanna nicht mit einem lüsternen Grafen teilen möchte und schließ- mit den verhandelten Stoffen, aber auch mit der feudalen Entstehungsgeschichte – lich die echte Liebe triumphieren lässt. Oder dem promisken Edelmann Giovanni, der Fürsten schmückten sich gerne mit ihren Operntempeln – und ihrem neo-feudalen seinen Diener seine tausenden „Eroberungen“ in einem „Leporello“ festhalten lässt und Repräsentationshabitus zu tun. der am Ende von einer überdrüssigen Gesellschaft gestürzt wird ( quasi der Vorläufer des Me-Too-Dramas von heute). Als Objekt der Begierde der jeweiligen Geschmacks- und Machteliten konnte sich die Oper trotz aller Widersprüche, Willkürlich- und Künstlichkeiten – im Sinne eines am- bitionierten Minderheitenprogramms, gewissermaßen – über 400 Jahre lang halten.
12 13 Magazin Dabei konnte sie sich als rein kommerzielle Veranstaltung am Markt nie ganz behaupten, wie Händel im London des Jahres 1728 leidvoll erfahren musste: ausgerechnet von der populären „Beggar’s Opera“ wurde sein unternehmerischer Höhenflug mit Produktionen der italienischen Oper jäh gestoppt. Einer Bettleroper, die – wie es in ihrem späteren Remake als „Dreigroschenoper“ später heißen sollte – so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen – und so billig, dass nur Bettler sie bezahlen können. Zugleich schlummert in der Oper als Musiktheater so viel revolutionäres Potential: Da ist der überreiche Fundus der großen Menschheitsfragen in immer neuen zeitgeschichtli- chen Gewandungen: der früh-barocke „Orfeo“, die klassizistischen „Orpheus & Eurydice“ und „Orpheus in der Unterwelt“. Übergroße Figuren mit menschlichen Schwächen, die zu Vor allem aber in den Schulen wurde das Musical zu einem Renner: eingängig, leicht zu- kleineren und großen Katastrophen führen. Paradigmatisch bis realistisch. Die Heroinen gänglich und für Laien noch realisierbar. Die Musical-AG ist mittlerweile fester Bestandteil des 19. Jh. – allesamt tragische Outlaws einer selbstvergessenen Gesellschaft. Da ist die des Musikangebotes vieler Schulen, zumal hier sich geradezu naturwüchsig ein weites Kraft des Erotischen: der dargestellten Figuren wie ihrer Darsteller, Don Giovanni bis zur Feld überfachlicher Kooperationsmöglichkeiten bietet: Sprachen, Theater, Kunst, Sport, „Göttin“ Callas. Die Überhöhung macht noch die tragischsten Figuren. Dem Brecht’schen Technik. Und vielleicht die einzige Möglichkeit, schulisch die große Form zu bedienen „Glotz nicht so romantisch“ hält der Opern-Afficionado trotzig die vollkommene Identi- – sowohl vom musikalisch-dramaturgischen Spannungsbogen als auch vom zeit- und fikation entgegen – er reist den Darstellern wie ein Groupie nach und ergibt sich ihrer kraftintensiven Engagement für ein solches Großprojekt. Der Erfolg ist dabei auch zu- stimmlichen Erotik wie der Postbote Jules im französischen Film „Diva“. Und es ist diese meist gesichert und es ergibt sich beinahe zwangsläufig eine enorme Ausstrahlung in die Sinnlichkeit der Stimmen, die aus einem guten Dramenstoff ein überwältigendes Ereignis Schulgemeinschaft. Schwierig bleibt aber immer noch die Frage der Aufführungsrechte machen kann. Es sind aber eben auch just die pathetischen und auf Virtuosität ausgeleg- (hohe Kosten, enge Vorgaben der Verlage), weshalb nicht selten zum selbstgeschriebe- ten Opernstimmen, die ihre ärgsten Kritiker von je her beflügeln: nicht nur der mangelnde nen Musical gegriffen wird. Das hat den Reiz wahrer Urheberschaft, zeigt aber auch gewis- Realismus der Desdemonaschen Sterbe-Epiphanie, sondern die Künstlichkeit, die Affek- se Limitationen auf. Weil ein schlüssiges Handlungsgerüst mit hitverdächtigen Solo- und tiertheit, die als barocker Affekt noch in hohen Ehren stand – sie macht es dem modernen Ensemblenummern auf die Bühne zu bringen großer Meisterschaft bedarf. Dennoch ist Musikkonsumenten so schwer, dem Belcanto einer Primadonna etwas abzugewinnen, der Identifikationsgrad mit dem Selbstgemachten deutlich höher und ein guter Einstieg auch wenn er nicht viel künstlicher ist als die falsettierenden Popikonen unserer Zeit. ins eigene Texten und komponieren. Akzeptiert dagegen scheint das dem Pop-Idiom nähere Musical. Die an heutigen Hörkon- Aber auch im Bereich der schulischen Beschäftigung mit dem Musiktheater hat sich dank ventionen orientierte Gattung – Popsong-Länge, harmonisch-melodische Zugänglichkeit, des unermüdlichen Einsatzes zahlreicher Musiktheaterpädagogen und des Ansatzes der Band bis satte Streicherbegleitung – schafft es auch, abseitigste Themen und Stoffe (Star- „Szenischen Interpretation“ viel getan. So haben in den letzten 20 Jahren zehntausende light-Express) zu gut konsumierbaren Markenartikeln zu machen. Ähnlich der Operette SchülerInnen und hunderte Lehrkräfte die Workshops der Opernhäuser zu ihren Inszenie- umschmeicheln hier Ohrwürmer aus der Wohlklangsküche den geneigten Hörer, nicht sel- rungen durchlaufen und haben damit den Blick auf ein vermeintlich sperriges Genre ver- ten hart am musikalischen Kitsch – weshalb es auch hier wahre Hasser der Gattung gibt. ändert: weg von einer angestaubten Repräsentationsgattung, hin zu einem Laboratorium, Meisterwerke wie West Side Story, denen es gelingt, klassische Stoffe kongenial in zeitge- in dem die alten Menschheitsfragen wie die drängenden Gegenwartsfragen in einem zeit- nössisch-sozialkritische Libretti zu übersetzen und eine musikalische Sprache zu finden, genössischen Gewand ästhetisch erlebt werden können. die bei aller popular-musikalischen Grundierung handwerklich höchst anspruchsvoll und ihrem Erfindungsreichtum geradezu ikonisch ist, bilden leider eher die Ausnahme. Aber abgesehen vom Broadway und einigen Klassikern ist es auch dem Musical – mindestens in Deutschland – nicht gelungen, sich wirtschaftlich selbst zu tragen. Der Musicalhype der 1980er Jahre endete keine 20 Jahre später jäh in der Pleite: die mit übergroßen Ge- winner-wartungen in die Provinz geklotzten Paläste wurden schnell zu Sanierungsfällen, städtische Mehrspartenhäuser übernahmen und peppten ihr Hochkulturprogramm mit der vermeintlich leichteren Muse auf.
14 15 Magazin Warum Musiktheatervermittlung an Opernhäusern? Es wird gestrichen, fusioniert und komprimiert – auf der Bühne wie auch in der Institu- tion. Abgesehen von dieser Betrachtung hat die Oper stets eine starke gesellschaftliche Funktion. Die längste Zeit ihrer Existenz war sie eine exklusive – und damit exkludierende – Veranstaltung, die dazu diente, das exklusive Selbstverständnis einer sozialen Schicht Die Komische Oper Berlin durch den Ausschluss anderer, bildungsfernerer – und jüngerer – Schichten zu manifes- tieren. und ihr Vermittlungs Schaut man sich nun aber das Leben der Menschen – und damit den zweiten oben er- programm wähnten Protagonisten – in den Städten und Gemeinden an (und nimmt dazu die Er- kenntnisse der Soziologen und Demographen zu Hilfe), dann zeichnen sich in Deutschland starke gesellschaftliche Veränderungen ab. Deutschland wird bunter. Immer mehr Menschen aus unterschiedlichen Kulturen leben und arbei- von Anne-Kathrin Ostrop ten in Deutschland. Feststehende Gruppenzugehörigkeiten mit ihren tradierten Warum Musiktheatervermittlung an einem Opern- Kenntnissen, Haltungen und Lebensgestaltungen lösen sich auf, der Gedanke von haus? Diese Frage erscheint uns heute geradezu Transkulturalität setzt sich durch. Nicht die Exklusion ist gefragt, sondern die Inklu- absurd, hat doch mittlerweile beinahe jedes sion und die Anerkennung von der Verschiedenheit der Menschen und ihrer Lebens- professionelle Opernhaus eine Vermittlungsabtei- entwürfe. Der Konstruktivismus als Erkenntnistheorie besagt, dass jeder Mensch lung. Aber was sind genau die Beweggründe, die aufgrund seiner Lebenserfahrung seine eigene Realität kreiert. Gleichzeitig wird die dazu geführt haben, dass die Komische Oper Vermittlung künstlerischer Fächer im schulischen Unterricht immer geringer. Nur noch Berlin sich mit großer Leidenschaft und erheb- 20% der Berliner Grundschüler haben Musikunterricht bei einem ausgebildeten Mu- lichem Aufwand der Musiktheatervermittlung siklehrer (und da Oper wegen ihrer Komplexität nicht leicht zu vermitteln ist, fällt diese widmet? meist als erstes aus dem Curriculum heraus). Die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft, Gehen wir die Fragestellung von den drei die Kinder, bekommen also nicht mehr flächendeckend Kontakt mit dieser Kunstform. Die beteiligten Protagonisten an, die alle negativen Folgen für die Gesellschaft, in denen die Kulturvermittlung aus dem Bildungs- ernst zu nehmen sich gebietet. Wer sie kanon quasi gestrichen wurde, werden wir alle in ca. 25 Jahren zu spüren bekommen. sind? Die Kunst – das Leben – und das Kommen wir zum dritten Protagonisten – dem „Dazwischen“. Genau an dieser Stelle be- Dazwischen. tritt die Musiktheatervermittlung an Opernhäusern die Bühne. Denn die Musiktheaterver- Starten wir mit der Kunst, in unserem mittlung, wie ich sie verstehe (nach dem Methodenkonzept der Szenischen Interpretation Falle der Oper. Sie ist eine komplexe, von Musik und Theater ISIM), versucht in Workshops einen Erfahrungsraum für Menschen ursprünglich abendländische Kunstform, in der jeden Alters, jeder Herkunft und jeden Geschlechts, jeder Vorkenntnis und Erfahrung mit verschiedene Ausdrucksmittel – unter anderem Musik der Kunstform Oper zu schaffen, indem sie auf der Basis ihrer eigenen Lebenserfahrung und Szene – Geschichten erzählen, in denen die Kernfragen eine Oper, eine Musik, einen Text, eine Szene interpretieren. Bei dieser Methode geht es des Menschseins emotional wie intellektuell kunstvoll verdichtet sowie also NICHT um die Vermittlung einer Inszenierung oder gar um die Vermittlung der Insti- symbolhaft verhandelt werden. Das Opernhaus als Institution hat die primäre Auf- tution Opernhaus und auch nicht darum, herauszufinden, „was die Meister (also Kompo- gabe, diese Kunstform auf höchstmöglichem, professionellem Niveau für das Publikum nist*in, Librettist*in oder Regisseur*in) uns sagen wollen?“ und erst recht nicht um die auf der Bühne sichtbar und hörbar werden zu lassen. Dabei greift sie im Inszenierungs- Schaffung eines schnellen, coolen Erlebnisses. prozess auf wissenschaftliche Erkenntnisse aller Art zurück: Musik- wie Theaterwissen- Sondern die Teilnehmer*innen schlüpfen in unterschiedliche Rollen und erleben aus der schaft, Kultur- und Religionsgeschichte, Philosophie und Psychoanalyse etc. Soweit – so Rolle heraus einzelne Szenen und Musikausschnitte und werden durch die Methoden verkürzt – so simpel. Selbstverständlich hat sich die Kunstform über die Jahrhunderte dazu angeregt, diese mit ihrer eigenen Lebenserfahrung anzureichern und zu interpretie- gewandelt, sie wurde performativer, das Material wird postmodern zunehmend wie ein ren, so dass plötzlich vieles aus ihrem Leben in der Oper (während des Workshops) ver- Steinbruch genutzt, es gibt Mischformen von Stilen, Ausdrucksmitteln und Deutungen. handelt wird. Ihr Leben und die Kunstform Oper kommen miteinander in Berührung. Da
16 17 Magazin unterhält sich plötzlich die arabische Vätergruppe im Workshop zur Insektenoper Mikro- man untrüglich feststellen, an welchen Stellen eine Oper im Text oder in der Musik stark polis über die unterschiedlichen Geräusche in den Wüstenregionen ihrer Heimat oder schwach ist, wo sie trägt oder wo sie nicht stringent ist, wo sie den „Belastungen des und die Kinder, die das Land ihrer Väter nie betreten haben, hören Lebens“ standhält und wo nicht. Bei der Beauftragung von Uraufführungen und auch im fasziniert zu. Da erzählen sich Kin- der gegenseitig bei einem Inszenierungsprozess fließen diese Erkenntnisse nun häufig mit ein. Workshop zu Hänsel und Gretel, wie in ihrer Patchwork-Fa- Die Erfahrungen aus der musiktheaterpädagogischen Arbeit haben auch zu der Entwick- milie Eltern und Kinder mit- einander umgehen. Da lung des interkulturellen Projektes „Selam Opera“ an der Komischen Oper Berlin geführt, spielen Jugendliche im Work- shop zu Don Giovanni denn in den Workshops konnte ich feststellen, dass die Menschen aus unterschiedlichen ihre Träume von Treue und singen wütende Rezita- Ländern, mit anderem religiös-musikalisch-kulturellem Hintergrund, die Opernszenen tive der Donna Elvira. Da ge- staltet die Angestellte anders interpretieren, was ja – wie oben erwähnt – durch die Methode der Szenischen mit ihrer Chefin gemeinsam eine Szene aus „Die Interpretation als gemäßigt konstruktivistisches Verfahren genauso gewollt ist. So ver- Hochzeit des Figaro“ und dis- kutieren danach über standen ist die Musikvermittlung am Opernhaus ein Katalysator für die Entwicklung eines gesellschaftliche Abhängig- keiten und Hierarchien (neuen) Publikums, aber auch für die Entwicklung der Oper als Kunstform. in ihrem Unternehmen. Beson- ders interessant ist es, wenn nun die Teilnehmer*innen nach dem Workshop eine Um diese Musiktheatervermittlung leisten zu können, bedarf es intensiv ausgebildeter Opernvorstellung besuchen und ihre im Workshop gespielte Musiktheatervermittler*innen. Die von uns regelmäßig durchgeführten Symposien rei- und durch ihr Leben angereicher- te Rolle auf der chen dazu nicht aus. Anders als für Theater- und Konzertpädagog*innen gab es bis vor Bühne wieder finden. Dann erkennen sie Unterschiede wenigen Jahren weltweit keine Ausbildungsmöglichkeit für angehende Musiktheaterpä- und Gemeinsamkeiten ihrer Lebenserfahrung und der auf dagog*innen. Mit dem Universitätslehrgang Musiktheatervermittlung, der in Kooperation der Bühne beispielhaft erzählten Geschichte. Dann be- mit der Universität Mozarteum in Salzburg, der Komischen Oper Berlin, der Staatsoper Ber- kommt die zuvor oft unverstandene, flüchti- ge Musik lin und dem ISIM nun seit 4 Jahren stattfindet und von Rainer O. Brink- eine für sie wichtige Bedeutung. Die Musik, die Sze- mann und mir geleitet wird, können sich Musiker*innen, ne – ja die Oper – wird durch die Workshop- teilneh- Lehrer*innen, Sänger*innen zu Musiktheaterpädagog*in- mer*innen mit Bedeutung gefüllt. Häufig ent- stehen nen umfassend weiterbil- den. An der Schaffung eines in den Opernvorstellungen genau diese be- sonderen Weiterbildungs-Master- studienganges arbeiten auratischen Momente, die wir alle kennen, wenn die wir derzeit. Die Profes- sionalisierung in diesem Musiker*innen, die Darsteller*innen auf der Bühne und Bereich ist für die Opern- häuser nicht nur aus dem das Publikum in engem emotionalem Kontakt stehen. Wunsch der Steigerung der Auslastungszahlen heraus wichtig, sondern auch, um die Kunstform An der Komischen Oper Berlin, an der mir die Konzeptent- wicklung, der Aufbau Oper und die Institution Opernhaus als Austra- und die Leitung der musiktheaterpädagogischen Abteilung, zur Dramaturgie gehörend, gungsort menschlich-ge- sellschaftlicher Ausein- vor 15 Jahren übertragen wurden, richtet sich die Musiktheatervermittlung längst nicht andersetzungsprozesse weiterhin legitimieren zu mehr nur an Kinder, sondern an alle Menschen in unterschiedlichsten Gruppierungen, können und ihn lebendig zu erhalten. Nur so kann die seien es Studierende, Familien, Firmenmitarbeiter*innen, Schulklassen, Senior*innen, politisch geforderte kulturelle Teilhabe aller Menschen an der Manager*innen, Väter-, Frauen-, Migrant*innen- oder Touristengruppen etc. In weit mehr „Hochkultur“ geleistet werden – denn letztlich möchten wir, die wir als 350 Workshops im Jahr beschäftigen sich die Teilnehmer*innen mit allen Opern des bereits von der Faszination Oper er- fasst sind, das Feuer der Begeisterung Spielplanes und besuchen anschließend eine Opernvorstellung. Kinderkonzerte auf der für diese Kunstform weitertragen. großen Bühne laden insbesondere Kitakinder und ihre Eltern ein. In Projekten aller Art arbeiten die Musiktheaterpädagog*innen (mittlerweile besteht das Team aus 14 freien Veröffentlichungen und Infos: und festangestellten Musiktheaterpädagog*innen) langfristig und intensiv mit diversen Frisch erschienen ist das Buch Oper Jung – Musiktheater zwischen Bühne und Bildung, das die Arbeit der Komischen Oper Gruppen zusammen. Über 45.000 Kinder und Jugendliche kommen so jährlich in die Ko- Berlin umfassend und mit vielen Fotos etc. dokumentiert. mische Oper Berlin und sorgen dafür, dass das Opernhaus in der Behrenstraße mit durch- Die Komische Oper Berlin hat eine CD von Peter und der Wolf in deutscher und arabischer Sprache und in einer rein instru- schnittlich weit unter 40 Jahren das jüngste Opernpublikum überhaupt hat. Der Anteil von mentalen Version eingespielt, die die Arbeit in Willkommensklassen und vielsprachigen Klassen unterstützen soll. Kindern und Jugendlichen im Gesamtpublikum macht mittlerweile über 20 Prozent aus. Zu allen Opern des Spielplanes erscheinen aufwändige Hörbücher. Da ich mich immer zur einen Hälfte als Musiktheatervermittlerin nach außen für das Pu- Der nächste Universitätslehrgang Musiktheatervermittlung startet zum Wintersemester 2019/20. Infos dazu unter blikum und zur anderen Hälfte nach innen für das Opernhaus verstehe, kommt es durch www.mozarteum.ac.at die intensive Arbeit mit dem Publikum auch zu Rückübertragungen der Erkenntnisse aus den Workshops in die künstlerische Produktion auf der Bühne. Denn im Workshop kann
18 19 Landesschulmusiktag 14. Februar 2019 Tagesablauf 8.30 Uhr Einlass und Anmeldung 9.00 Uhr Plenum Präsentation von Ergebnissen des Kompositionsworkshops der Staatsoper Berlin (mit dem Jugendchor der Staatsoper) Carl Parma Begrüßung MUSIKTHEATER Impulsreferat „Musiktheater in der Schule - Ursprünge, Tendenzen, Ausblicke“ Rainer O. Brinkmann IN DER SCHULE 10.15 Uhr Kaffeepause 10.30 Uhr WORKSHOP-BLOCK I Konzepte und Perspektiven Workshop 1 Rainer O. Brinkmann Szenische Gestaltung – Das Lied als Miniaturdrama am Beispiel von Donnerstag, 14. Februar 2019 - Landesmusikakademie/FEZ - 9 bis 16 Uhr Schubert-Liedern und ausgewählten Rekompositionen Liebe Kolleginnen und Kollegen, Workshop 2 Sophie Bauer Musiktheater in der Schule ist ein komplexes Feld: denken wir an Oper, sticht das Bewegung, szenisches Spiel – die Herausforderung, mehrere Dinge Moment der Fremdheit ins Auge. Obwohl die verhandelten Stoffe zu den großen gleichzeitig zu tun Menschheitsthemen gehören, stellen sowohl der Gesangsstil wie auch der zeitliche Umfang eine pädagogische Herausforderung dar, die nach Vermittlung verlangt. Workshop 3 Anne-Kathrin Ostrop Nicht umsonst haben sich gerade an den Opernhäuser vielfältige Education- Die Westside Story zwischen Protest und Podest, Treue und Trump, Bühnen Programme entwickelt. Beim Musical scheint die Nähe zu heutigen Hörkonventionen und Bildung schon eher gegeben zu sein, aber auch da gilt es immer wieder neue Zugangswege zu schaffen. Wir haben uns bewusst für Stücke entschieden, die auf den aktuellen Workshop 4 Spielplänen der Berliner Opernhäuser stehen und für Dozenten, die zumeist als Aaron Grahovac Opern-Praktiker sehr unmittelbar an die Stücke, aber auch an exemplarische Fragen Gestaltung von Musiktheater in den Jahrgängen 7 - 13 der Vermittlung von Musiktheater führen können: Workshop 5 Rainer O. Brinkmann Profilierter Kenner im Bereich der Musiktheater-Vermittlung , Dozent Annemarie Hoff Das Musical ANATEVKA – Tradition und Aufbruch Sophie Bauer Leiterin des Kinderchors der Leipziger Oper, Dozentin der HMT Leipzig 12.00 Uhr Mittagspause 12.45 Uhr WORKSHOP-BLOCK II (s.o.) Anne-Kathrin Ostrop Leiterin der Musikvermittlung an der Komischen Oper, 14.30 Uhr Abschlussforum Fortbildnerin Teilnahmegebühr Aaron Grahovac Leiter der Musical-AG der Bettina-von-Arnim-Sekundarschule 10 € für Mitglieder des BMU, Referendare und Quereinsteiger Annemarie Hoff Fachseminarleiterin für Sek. I/II, Chorleiterin 20 € für Nicht-Mitglieder des BMU* *Bei Eintritt in den BMU, Landesverband Berlin, am Tage der Veranstaltung Den Abschluss des Tages bildet ein offenes Forum mit Experten zu praktischen Fragen der beträgt der Tagungsbeitrag nur 10,-€ und der Jahresbeitrag für 2019 entfällt. Vermittlung im Bereich Musiktheater und Hinweisen zu eigenen Musical- oder Musiktheater- Produktionen. Impressum Carl Parma, Vorsitzender des BMU LV Berlin Landesgeschäftsstelle BMU LV Berlin E-Mail: bmu.berlin@bmu-musik.de Tel.: 030 20 66 22 93 www.bmu-musik-berlin.de www.bmu-musik-berlin.de
20 21 »Spiel mal Magazin Fragen gelegt: „Was höre ich?“ und „Was interpretiere ich?“. Erstere setzt das Augenmerk eher auf die technischen Aspekte, Zweitere auf Hörerfahrungen und damit verbundene Verkehrsunfall« Inhalte. Häufig deckt sich die Analyse des Gehörten in großen Teilen mit den Ideen der Verkehrsunfall Spielenden. Es entsteht Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten. » Die dritte Aufgabe: Nach der Analyse folgt die Kritik. Die spielenden Teams verraten ihre ursprüngliche Aufgabe, die nun im Plenum in Relation zum Höreindruck der Gruppe gesetzt wird. So entstehen erweiternde Ideen und Tipps von der Werkstattleitung, die jede Gruppe für sich versucht, umzusetzen. In einer weiteren Präsentationsrunde werden die »Spiel mal Verkehrsunfall« Veränderungen diskutiert. Das Grundprinzip der Arbeit ist somit gelegt und kann im Folgenden variiert werden. Die Komponieren mit Jugendlichen an der Teilnehmenden finden immer wieder in neuen Besetzungen zusammen und entwickeln zunehmend eigene Ideen. Die meisten Entscheidungen für die Kompositionen werden in Staatsoper Unter den Linden diesem Prozess von den Jugendlichen selbst getroffen. Die täglichen Präsentationen vor der Gruppe und die daran anknüpfende Diskussion set- von Nadine Grenzendörfer zen immer wieder kompositorische Idee und Höreindruck in Relation. Die Werkstattlei- tung nimmt dabei häufig die Rolle des „Vereinfachers/Klärers“ ein. Erstens mangelt es anfänglich in den meisten Ergebnissen an Struktur. So kann folgende Aufgabe viel bewir- Vor Publikum eigene Kompositionen auf dem eigenen Instrument spielen und das nach ken: „Findet einen gemeinsamen Beginn und findet einen gemeinsamen Schluss.“ Eine nur fünf Tagen. Jedes Jahr in den Winterferien haben junge Musiker*innen die Möglich- ebenso oft auftretende Hürde für die Teilnehmenden ist das eigene Unvermögen auf dem keit, dem Feld des Komponierens näher zu kommen und Hilfestellung bei der Entwicklung Instrument, das im Kontrast zur Idee des Komponierens als äußerst komplexen Vorgang erster Ideen zu erhalten. Fragt man die Teilnehmenden, was das denn sei, Komponieren, steht und dem damit verbundenen Anspruch, auf allen Ebenen (Rhythmik, Stimmführung, so wird schnell klar, dass die Vorstellungen divers sind. Ebenso existieren häufig große Länge eines Stückes etc.) einen hohen Schwierigkeitsgrad zu erreichen. An dieser Stelle Erwartungen an den Kompositionsunterricht. Daher werden beide Themen zu Beginn ver- immer wieder Mut zur Reduktion zu machen, ist eine wichtige Aufgabe. balisiert, um in der Gruppe gemeinsam eine Richtlinie für die Woche zu definieren, die Über die gesamte Woche entsteht auch eine Improvisation in der Gruppe. Hier ein Bei- auch berücksichtigt, was eine fünftägige Werkstatt leisten kann. Harmonie- und Satzlehre spiel: Es wird ein Metrum vorgegeben. Beginnend mit einer Person, wird auf eine selbst sowie Fragen der Notation spielen eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist Freude am ge- gewählte Zählzeit ein kurzes Motiv improvisiert (Ton[folge], Rhythmus, Akkordfolge o.Ä.). meinsamen Musizieren und Experimentieren mit Klängen. Nacheinander steigen weitere Personen ein. Alle behalten dabei ihr Motiv und ihre Zähl- » Die erste Aufgabe: Zwei Jugendliche werden aufgefordert, ohne vorherige Absprache zeit. Schließlich wird geklärt, wie begonnen und geendet wird und ob es im Verlauf Pau- sen, Tempovariationen, Änderungen in der Dynamik etc. geben soll. einen Begriff spontan in Klang umzusetzen. Der Verkehrsunfall als klangliches Ereignis Für ein Konzert ist es notwendig, die entstandenen musikalischen Ideen reproduzierbar kann hierbei ein machbarer Einstieg sein. Auch ein Streit, in dem jedes Instrument einen zu machen. Dafür wird empfohlen, die Aufzeichnungen so gering wie möglich zu halten. Part einnehmen kann, ist eine Aufgabe, die gut umsetzbar ist. Je konkreter die klangliche Beginnen die Gruppen einmal mit dem Notieren einzelner Stimmen, so probieren sie Vorstellung des Begriffs, desto einfacher. meist nur allzu verbissen, diese zu trainieren und perfekt wiederzugeben. Wichtiger er- Nach ein paar Durchläufen werden Hemmungen abgebaut, der Gedanke an die eigenen scheint es doch, dass die Jugendliche das Konzert ganz zu ihrem eigenen machen: ihren SpielUNfertigkeiten auf dem Instrument werden geringer, der Musikbegriff und auch der Stücken Titel geben, die Konzertreihenfolgen festlegen, entscheiden, ob sie etwas mode- Kompositionsbegriff werden geöffnet. rieren möchten etc. Eine Generalprobe in der Oper legt all diese Aspekte fest und trainiert zusätzlich die Bühnenpräsenz der jungen Musiker*innen. » Die zweite Aufgabe: Zweierteams erhalten je einen geheimen Begriff, den sie inner- Auch wenn die Kompositionswerkstatt nicht erklärt, wie man Songs schreibt oder was halb von fünf Minuten musikalisch umsetzen sollen. Die kurze Zeitvorgabe lässt nur ein beim Komponieren für Chor zu beachten ist, so kann sie doch Ideen weiten, Zuschrei- paar Versuche sowie rudimentäre Absprachen zu und zwingt zu Ergebnissen, die nun in bungen verändern und ein kleines Handwerkzeug geben, Freude am Experimentieren mit der Öffentlichkeit der Gruppe präsentiert werden. Die Zuhörer*innen haben die Aufgabe, Klängen zu haben. das Klangerlebnis genau zu analysieren und zu beschreiben und eine thematische Zu- ordnung des Gehörten vorzunehmen. Dabei wird Wert auf die Unterscheidung folgender
22 23 Das Kinderopernhaus Berlin – Magazin unterrichtet und erhalten einen spielerischen ersten Einblick in die Welt der Oper und der klassischen Musik, durch Basisübungen in Tanz, Gesang, Schauspiel und Rhythmus. Das Besondere an den Kinderoper-AGs sind die kontinuierliche Probenarbeit und die Rituale, die die Proben strukturieren und dazu beitragen, dass die Kinder im Laufe des Schuljahrs zu einem Ensemble zusammenwachsen. Durch die kontinuierliche Teilnahme lernen sie, sich auf ein Projekt über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren. Am Ende des Schuljahrs präsentieren sie ihre erarbeiteten Szenen in Werkschauen vor Lehrern, An- gehörigen und Freunden. Die Kinderoper-AGs werden von den Schülerinnen und Schülern sehr gut angenommen. Zum Erfolg trägt auch die gute und enge Zusammenarbeit zwi- schen Schule und Kinderopernhaus bei, so stellen die Lehrer das Angebot im Unterricht Grundschulkinder und auf Elternabenden vor, außerdem wird großer Wert auf den Austausch zwischen den AG-Leiterinnen und den jeweiligen Musiklehrenden gelegt. entdecken die Welt des Die Kinder bleiben in den AGs ein bis zwei Jahre. Wer danach noch intensiver in die Welt Musiktheaters des Musiktheaters eintauchen möchte, ist in den vier Kinderopernhäusern willkommen. Dort gibt es ebenfalls regelmäßige Proben in den Bereichen Chor, Stimmbildung und Dar- von Regina Lux-Hahn stellendes Spiel mit jeweils 25 bis 35 Kindern. Die auf diese Weise entstehenden Musik- theaterproduktionen werden vor den Sommerferien öffentlich aufgeführt, darunter eine „Normalerweise spielen ja Erwachsene in Opern – besondere Produktion im Kinderopernhaus Unter den Linden, die Kinder und Opernprofis hier spielen die Kinder.“ (Lara, 12 Jahre) gemeinsam entwickeln und im Alten Orchesterprobensaal der Staatsoper aufführen. Ein Ort, um Oper zu machen, als sei es das Selbstverständlichste Mit seiner Arbeit will das Kinderopernhaus Berührungsängste abbauen, indem es Kin- auf der Welt, das ist das 2010 von Regina Lux-Hahn initiierte Kin- der für die Oper begeistert – und Musiktheater auch für die nächste Generation re- deropernhaus für Kinder von 8 bis 12 Jahren, unabhängig von Her- levant macht. Darüber hinaus eröffnet die aktive Beschäftigung mit Musiktheater kunft und Bildungshintergrund. Das Kinderopernhaus startete in vielfältige Bildungschancen und stellt eine Bereicherung der persönlichen Lichtenberg als Kooperationsprojekt der Staatsoper Unter den Entwicklung dar. In der kontinuierlichen Probenarbeit werden kreative Fä- Linden, des Caritasverbands für das Erzbistum Berlin sowie des higkeiten aktiviert, soziale Kompetenzen entwickelt und die Sprachent- Bezirks Lichtenberg und entwickelte sich im Laufe der Jahre zu wicklung gefördert: „Bildung durch Musik“ – das Anliegen Daniel Baren- einem höchst erfolgreichen und nachgefragten kulturellen Bil- boims wird hier immer wieder neu belebt. dungsprojekt. Um noch mehr Kindern die Mitwirkung im Kin- Das Kinderopernhaus wurde für seine erfolgreiche Bildungsarbeit deropernhaus zu ermöglichen, verankerte die Staatsoper das mit diversen Auszeichnungen gewürdigt (u.a. Ideen für die Bil- Projekt stärker im Haus und begann mit Beginn des Schuljahrs dungsrepublik 2013, Hidden Movers Award 2015, Best Practice des 2018/19 dessen Aktivitäten unter dem Namen „Kinderopern- Programms „Kultur macht stark“ – Auszeichnung vom Verband haus Berlin“ auf sechs Berliner Bezirke auszudehnen. deutscher Musikschulen 2017). Über Lichtenberg hinaus sind in fünf weiteren Berliner Bezirken Der Erfolg des Kinderopernhauses spricht für sich: In den ver- umfangreiche Aktivitäten entfaltet worden, die Kindern eine ers- gangenen Jahren haben über 400 Kinder begeistert an Produk- te Begegnung mit der Oper ermöglichen. Neben den vier Kinder- tionen des Kinderopernhauses teilgenommen, viele von ihnen opernhäusern bilden die zehn Kinderoper-AGs an kooperieren- über mehrere Jahre hinweg. Im laufenden Schuljahr sind über den Grundschulen das Fundament. Diese Kinderoper-AGs sind 180 Kinder in die vielfältigen Aktivitäten des Kinderopernhau- sehr niedrigschwellig konzipiert: Sie finden als freiwillige Veran- ses Berlin eingebunden und erfahren unmittelbar durch aktives staltung am Nachmittag statt und stehen allen Kindern ab der 3. Mitwirken die Freude am Musiktheater. Klasse offen. Es gibt keine Aufnahmebedingen, außer der Motivati- on zur regelmäßigen Teilnahme über das gesamte Schuljahr hinweg. Die jeweils ca. 10-15 teilnehmenden Schüler und Schülerinnen werden Leitung Kinderopernhaus Berlin pro Woche 90 Minuten von einer erfahrenen Musiktheaterpädagogin Staatsoper Unter den Linden Unter den Linden 7, 10117 Berlin r.lux-hahn@staatsoper-berlin.de www.kinderopernhaus-berlin.de
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