BERLIN 1-2019 - BMU Musik

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BERLIN 1-2019 - BMU Musik
BERLIN                                1-2019
                        Für musikalische Bildung an Schulen

  www.be.bmu-musik.de
  www.bmu-musik.de      Diskussion     Fortbildung      Berichte

Themenschwerpunkt: Musiktheater
1

Editorial               von Carl Parma
Als Themenschwerpunkt unseres
Magazins haben wir diesmal – auch
in Vorbereitung auf unseren Landes-
schulmusiktag am 14.2.2019 zum
gleichen Thema - das MUSIKTHEATER
gewählt.
Es ist einer der spannendsten, aber auch didaktisch-me-
thodisch anspruchsvollsten Bereiche des Musikunterrichts. Das liegt zum
einen im reinen Umfang eines zumeist abendfüllenden Werkes begründet, zum anderen
aber auch an der Besonderheit des Stimmeinsatzes wie einer gewissen Kompliziertheit
der Plots wie der Künstlichkeit der Situation: noch im Sterben singt Desdemona eine
veritable Arie. Es ist aber gerade diese Überhöhung des Augenblicks im Gesang, der
durch seine emotionale Direktheit den Zuschauer unmittelbar berührt und Opernheldin-
nen und -helden so zu Symbolfiguren für menschliche Zustände oder Charaktere werden
lässt: Orpheus, Don Giovanni, Fidelio, Carmen, Wozzeck. In Opern werden die großen
Menschheitsfragen von Liebe, Macht und Tod exemplarisch durch die sinnliche Kraft der
Musik erlebbar gemacht: der Geschlechter- und „Klassen“- Kampf bei Mozart, die Eman-
zipation von Frauen und Nationen im 19. Jahrhundert, die Verlorenheit in der Moderne.
Insofern ist die Oper politisch und zeitgenössisch. Insbesondere seitdem Regisseure die
„alten Kamellen“ aufbrechen und sie für ein heutiges Publikum zu übersetzen versu-
chen! Wenn auch nicht immer von ästhetischem Erfolg gekrönt, regen sie gesellschaft-
liche Debatten an wie es weder die klassische noch die Popularmusik können.
Zur Popularisierung des Genres haben aber haben auch Werke wie die „Dreigroschen-
oper“ oder die Entstehung des Musicals beigetragen. Mal dialektisch, mal affirmativ
wird hier dem Genre ein ästhetisch populäreres Gewand verpasst, schwankend zwi-
schen gesellschaftsrelevanten Themen (Westsidestory) und seichter kommerzieller
Unterhaltung (König Ludwig). Gerade aber im pädagogischen Kontext bieten sich hier
vielfältige Betätigungsmöglichkeiten: vom selber Entwickeln und Schreiben eines
Stückes über das Aufführen fertiger Werke stellen Musicals einen guten Einstieg in den
Bereich Musiktheater dar. Ein Highlight im Schulleben und unvergesslich für Zuschauer
und Akteure!
Und was wäre der Bereich „Musiktheater in der Schule“ ohne den unermüdlichen Ein-
satz der Musiktheaterpädagogen? Mit der „Szenischen Interpretation“ und anderen
Näherungsweisen ist es ihnen gelungen, dieses Genre für Kinder und Jugendliche zu er-
schließen. Sie haben dieses Format in der Educationarbeit in Deutschland fest etabliert.
Wir wollen sie deshalb in diesem Heft besonders zu Wort kommen lassen.
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                               Inhalt

                                                                    Landesvorstand Berlin

1. Halbjahr 2019
                                                                                 Carl Parma                   Gisela Schröder-Fink
                                                                                 Präsident                    Vizepräsidentin
                                                                                 (Landesmusikrat-Präsidi-     (Landesschulmusiktag,
                                                                                 um, Senatsverwaltung,        Jugend musiziert, Finanzen,
Editorial / Carl Parma                                         1                Gymnasien, Mentoren          Edition BMU-Magazin)
Landesvorstand Berlin                                          3                Programm, BMU-Magazin)       Mail: schroederfink@
                                                                                 Mail: carl.parma@gmx.de      yahoo.de
BMU-Berlin Schwerpunkt                                                           Arno Eberhard                Lisa Behrens-Heinrich
    Gisela Schröder-Fink                                                         Vizepräsident                (Kursplanung und
    Bühne frei - Musiktheater in und für Schulen               4                                             MuPäTage)
                                                                                 (GV Landesmusikrat, Fort-
                                                                                                              Mail: lisa.behrens
    Carl Parma                                                                   bildungen, Kurse, BMU-Ma-
                                                                                                              @bmu-musik.de
                                                                                 gazin); Mail:arno.eberhard
    Und langsam stirbt Desdemona                              10
                                                                                 @bmu-musik.de
    Anne-Kathrin Ostrop
    Warum Musikvermittlung an Opernhäusern?                   14               Meinhard Ansohn               René Fleischmann
                                                                                (Fort- und Weiterbildung,     (Musikbetonte Grund-
    Landesschulmusiktag18                                                      Landesmusikakademie,          schulen, Regionale
                                                                                Jahreskurs, Singenach-        Fortbildung);
    Nadine Grenzendörfer                                                        mittag); Mail: meinhard.      Mail: rene.fleischmann
    Spiel mal Verkehrsunfall – Komponieren mit Jugendlichen   20               ansohn@berlin.de              @t-online.de
    Regina Lux-Hahn
    Das Kinderopernhaus                                       22                Tobias Hömberg               Anja Hofbauer
                                                                                 (netzwerk junge ohren)       (Kursplanung)
    Lena Maron                                                                   Mail: tobias.hoemberg        Mail: anja.hofbauer
    „Anatevka“ and der Komischen Oper Berlin                  24                @bmu-musik.de                @gmx.net
    Aaron Grahovac
    SchülerInnen gestalten Musiktheater                       25
Fortbildungsveranstaltungen                                                    Friedrich Neumann             Bernd Otten
    Kursübersicht28/29                                                         (Kooperationen, Senats-       (Homepage, Newsletter)
                                                                                verwaltung);                  Mail: otten.bernd
    Kursbetreuung / Anmeldeverfahren 30 / 32                                                                 @gmail.com
                                                                                Mail: friedrich.neumann
    Aufnahmeantrag BMU                    34                                   @bmu-musik.de
    Die Kurse im Einzelnen            ab 35
Berichte                                                                        Matthias Peuthert
    40 Jahre Landesmusikrat Berlin                            55               (Musikalische Werkstät-
                                                                                ten, Multiplikatoren)
    Musikpädagogische Tage 2018                               56               Mail: matthias.Peuthert
                                                                                @freenet.de
    Neue Musiklehrkräfte braucht das Land                     58
    Zur Lage der Schulmusikausbildung in Berlin               62
                                                                                Bettina Wallroth
    Termine 2019                                              63               (Musikpädagogische
    Glosse                        64                                           Tage);
                                                                                Mail: bettinawallroth
                                                                                @web.de
4                                                                                                                           5

                                                  Magazin

                                                                                                   Doch auch der gemeinsame Opern-
                                                                                                   oder Musicalbesuch stellt an sich
                                                                                                   schon einen Wert dar, um den
                                                                                                   Schülern die Möglichkeiten zu
                                                                                                   geben „(...) an Ausschnitten
                                                                                                   des musikalisch-kulturel-
                                                                                                   len Lebens aktiv teilzu-

Bühne frei –                                                                                       haben und so ihre eigene
                                                                                                   musikalische Identität zu

Musiktheater für und in Schulen                                                                    gestalten“.3
                                                                                                   Ausgehend vom kons-
Von Gisela Schröder-Fink                                                                           truktivistischen,     kom-
                                                                                                   petenzorientierten      und
Wollen wir Musiktheater unterrichten, haben wir die Wahl zwischen der eigenen Inszenie-            aufbauend-handelnden
rung eines Bühnenwerks, dem Selbsterfinden und Entwickeln einer wie auch immer ge-                 Unterricht lassen sich über-
arteten musiktheatralischen Form und dem Rezipieren eines Werkes an einer der Bühnen               zeugende Argumente für die Ein-
der Stadt. Welche Vielfalt gibt es hier in Berlin, um Musiktheater live zu erleben!                beziehung von Musiktheater in den
                                                                                                   Unterricht finden, gleich in welcher der
Ein Bühnenprojekt mit unseren Schülern gemeinsam auf die Beine zu stellen ist verfüh-
                                                                                                   oben erwähnten Formen, eigentlich stellen
rerisch, wenn da nur nicht der hohe Aufwand wäre, der neben dem normalen Unterrichts
                                                                                                   Unterrichtsreihen zu Musiktheater für diese didaktischen
Alltag kaum zu bewältigen ist. Aber die positiven Aspekte sind überwältigend, sodass der
                                                                                                   Ansätze den idealen Raum dar.
Wert eines solchen Projektes kaum in Frage gestellt werden kann, geht es doch darum,
„einem Menschen die musikalisch-kulturelle Wirklichkeit zu erschließen und zugleich                Bei der Vermittlung geht es natürlich um kulturelle Tradition
umgekehrt darum, dass der Mensch selbst, dank des eigenen Erlebens, Erfahrens, Ge-                 und die zu Recht geforderte kulturelle Teilhabe. Warum soll-
brauchens und Reflektierens im Umgang mit Musik, sich musizierend, hörend, untersu-                ten wir einen wesentlichen Teil des kulturellen Erbes unseren
chend und beschreibend der musikalisch-kulturellen Welt aufschließt“1 Schöne Worte,                Schülern und Schülerinnen nicht zur Verfügung stellen? Doch es
beinahe zu schön, aber sie beschreiben genau das, was wir bei Schülern auslösen, wenn              steckt mehr dahinter als nur die Vermittlung bedeutender Kultur-
wir uns an diese Arbeit machen.                                                                    leistungen großer Meister. Über die Identifikation mit den handeln-
                                                                                                   den, singenden Personen erfahren wir von einer Welt außerhalb unseres
Anders sieht es mit dem Besuch einer Opernaufführung aus, Musicalaufführungen hier
                                                                                                   eigenen Seins und erweitern unser Bewusstsein für die Vielfalt der Schick-
ausgenommen. Hier verschrecken oftmals die historische Patina und der bürgerliche
                                                                                                   sale und Lebensformen. „Wir werden in ein artistisches Spiel verwickelt, (...) das
Habitus den Zugang. Der Gegenargumente sind viele: zu elitär, ein ‚altes’ Publikum, die
                                                                                                   (...) durch Unberechenbarkeit, Offenheit, Ambivalenz, Freiheit und Fremdheit gekenn-
dargestellte Problematik geht an den jungen Menschen vorbei, die Inszenierungen sind
                                                                                                   zeichnet ist“.4
durch die Auswüchse des Regietheaters für junge Zuschauer nicht tauglich. Seit der Bil-
dungsbegriff ins Wanken geraten ist, suchen wir nach realen Anknüpfungspunkten im Le-              Der Fatalismus einer Carmen, die Verführbarkeit eines Max, die Intrigen eines Jago, der
ben und in der Persönlichkeit der Schüler, um die Distanz zwischen „Mensch und Kultur“             Neid eines Kaspar, die Großzügigkeit eines Bassa Selim, der Furor der Königin der Nacht,
zu verringern, indem Schüler das Kunstwerk „(...) nicht aus dem dualistischen Gegenüber            die unbeirrbare Liebe einer Pamina, die sinnliche, aber letztendlich todbringende Ver-
heraus (...) ergründen, sondern aus dem Prozess, in dem Menschen ihren Umgang mit                  führung eines Grafen Krolock, die dämonische Überlegenheit eines Frank, sie stellen Le-
Musik bzw. Kultur ganzheitlich handelnd vollziehen.“2 Die Berliner Opernhäuser verfolgen           bensentwürfe und Haltungen vor, die über ein normales Leben hinausgehen und „große“
diesen Ansatz sehr erfolgreich mit ihrer musiktheater-pädagogischen Arbeit, kaum eine/r            Fragen stellen, vielleicht sogar beantworten! Das Kaleidoskop menschlicher Verhaltens-
der Musikkolleginnen und -kollegen der Stadt, die nicht mit der „Szenischen Interpreta-            weisen im Musiktheater kann Entscheidungshilfe, Ermutigung und Abschreckung sein.
tion“ und dem „Szenischen Spiel“ in Berührung gekommen sind und deren Unterricht
dadurch nicht bereichert wurde.

1
    Werner Jank: Musikdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2013, S.95   3
                                                                                                       ebd., S. 99
2
    ebd., S. 96                                                                                    4
                                                                                                       ebd. , S. 110
6                                                                                                                                                                             7

                                                   Magazin

Welche Rolle spielt die Musik darin? Oft genug werden die überlangen                                                                                                                                                        Stimmungsfun-
„unrealistischen“ Sterbeszenen kritisiert, die mit ständigen Wiederholungen                                                                                                                                               dament mitgeteilt
den eigentlich schon längst in Realzeit erfolgten Tod zelebrieren, das                                                                                                                                                  wird!
überdehnte Zeitmaß, das die Handlung auf der Bühne erstarren                                                                                                                                         Oben wurde von der
lässt. Kann man all dies nicht viel weniger aufwendig und teu-                                                                                                                                    Mühsal bei der Erarbei-
er, lesend oder auf der Sprechbühne erfahren? Ohne die                                                                                                                                        tung und Inszenierung eigener
Kosten eines Supermonstrums Opernhaus?                                                                                                                                                    Bühnenwerke in der Schule ge-
Ohne Menschen, die in extremen Situationen                                                                                                                                            sprochen. Die eben beschriebene Er-
immer noch singen und nicht, wie es natür-                                                                                                                                        fahrung einer solchen Szene wird kollektiv
lich wäre, verstummen?                                                                                                                                                        erlebt und schafft eine positive Arbeitsatmo-
Die aktuelle wissenschaftliche For-                                                                                                                                      sphäre. Klaus Dörr, der Interimsintendant der Volks-
schung ist der Meinung, dass                                                                                                                                         bühne, sagt:
ein theatraler Vorgang, wenn                                                                                                                    „Theater ist immer Mannschaftssport“.7 Die Ironie der Aussage
er musikalisch und visuell                                                                                                                mindert nicht, dass das gemeinschaftliche Agieren in spielerischer
gestützt wird, sehr viel                                                                                                           Form Schülerinnen und Schülern, die je an solchem Projekt teilgenommen
mehr Wirkung her-                                                                                                             haben, es als eines ihrer spannendsten Schulerlebnisse in Erinnerung bleibt, her-
vorruft. „Musik wird                                                                                                   vorgerufen durch die partnerschaftliche Arbeit miteinander und das durch den Rollen-
unter Einfluss der                                                                                                     schutz ermöglichte Heraustreten aus der eigenen Person, durch die Gleichzeitigkeit von
Omnipräsenz au-                                                                                                        Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft und durch die Konzentration auf sich selbst!
diovisueller Medien                                                             „nicht
                                                                                                                       Anders gesagt: „Die Interpretation entsteht im Spannungsfeld von Musikstück, Musikthe-
nur gehört“, son-                                                       dern fungiert „in
                                                                                                                       aterwerk oder Lied (dem äußeren Gegenstand der Interpretation), biographischem oder
der Regel als audiovisu-                                       elles Permanenzmedium“.5
                                                                                                                       sozialem Hintergrund der Teilnehmer (den Interpretierenden), der Art, wie interpretiert
„In der Musikpsychologie und der Rezeptionsforschung geht man ohnehin davon aus,
                                                                                                                       wird, in welchem Kontext und mit welchen Mitteln (der Interpretationsmethode) “.8
dass musikalisches Erleben grundsätzlich durch Koppelung von auditiven Reizen mit opti-
schen Eindrücken bzw. Imaginationen zustande (kommt)“. 6                                                               Von Stanislawski, dem großen Theaterpädagogen, hören wir über den Darsteller: „Es er-
                                                                                                                       hebt sich (...) die Frage nach den Vorräten unseres emotionalen Gedächtnisses. Diese
Welche Gewissensqualen hätte sich Kirchenvater Augustinus im 6. Jahrhundert bei seinem
                                                                                                                       Vorräte müssen ununterbrochen, laufend aufgefüllt werden. (...) wir gewinnen unsere (...)
Konflikt zwischen Musik und Wort ersparen können, wäre diese Erkenntnis ihm bereits be-
                                                                                                                       Eindrücke, Empfindungen, Erlebnisse sowohl aus der Wirklichkeit als auch aus dem Le-
kannt gewesen!
                                                                                                                       ben der Phantasie, aus Erinnerungen, aus Büchern, aus der Kunst, aus der Wissenschaft,
Die Filmmusik beweist uns permanent die Richtigkeit der oben erwähnten Aussage. Aber                                   (...) der Schauspieler (Darsteller) muss ... seinen Geist anstrengen, die unzulänglichen
Filmmusik „dient“ – zumindest überwiegend. Bei Musik im Musiktheater hat die Musik eine                                Kenntnisse erweitern, seine Anschauungen überprüfen (...) Er darf das Leben nicht als
gleichberechtigte oder sogar bedeutendere Rolle. Sie vertieft die Aussage oder führt da wei-                           Spießer betrachten. (...) Er entnimmt dem realen oder erdachten Leben alles, was er dem
ter, wo die Sprache verstummt, wo man etwas nicht mehr oder noch nicht wieder sagen                                    Menschen zu geben mag. Doch alle Eindrücke und Genüsse, alles, was die anderen für
kann. Bei aller sprachlichen Verkürzung einerseits ist sie andererseits ein differenzierteres                          sich erleben, verwandelt sich bei ihm in Material für sein Schaffen“.9
Mittel der Kommunikation!
                                                                                                                       Diese Aspekte treffen nicht in diesem Umfang für unsere Arbeit mit Schülern zu, aber sie
Wir stellen uns folgende Szene vor: Ein Paar in einer schwierigen Situation, schweigend,                               erklären, warum auch die minimalste Form von Bühnenarbeit eine so nachhaltige Wir-
Musik welcher Art auch immer setzt ein, ein Blick oder kein Blick – wir verstehen und                                  kung auf uns hat.
sind mitten in einer zeitlosen Szene, bei der durch die Musik die Gefühlsbreite und das

5
    Heinz Geuen/ Stefan Orgass: Partizipation – Relevanz – Kontinuität.                                                7
                                                                                                                           Rüdiger Schaper/ Klaus Dörr: “Theater ist immer Mannschaftssport“. Der Tagesspiegel, 11. 9. 18, S. 23
     Musikalische Bildung und Kompetenzentwicklung in musikdidaktischer Perspektive,
     Aachen 2007 in: Stefan Gies: Auge und Ohr, in: Werner Jank, Musikdidaktik. Berlin 2013, S. 146
                                                                                                                       8
                                                                                                                           Markus Kosuch: Szenische Interpretation von Musik. in: Musikdidaktik, hrsg. von Werner Jank in der Grundschule. S. 2015,
                                                                                                                             S. 183
6
    Helmut Rösing: Bilderwelt der Klänge – Klangwelt der Bilder. Beobachtungen zur Konvergenz der Sinne, ebd. S. 149   9
                                                                                                                           Konstantin Stanislawski, Stanislawski Lesebuch. Berlin 1990, S. 74)
8                                                                                                                                    9

                                    Magazin

Übertragen auf den uns möglichen Rahmen Schule bleibt als Erziehungsziel: sich durch          det. Aus dem Zusammenhang gerissen und ohne die Botschaft wirkt er oft affektiert und
Rollen kennenlernen, über sich selbst hinauswachsen, über das Leben lernen. Für die           künstlich. Über das Musical lässt sich ein leichterer Zugang schaffen. Die Aufmerksamkeit
Schülerinnen und Schüler bedeutet das: Das Leben in einem geschützten Raum spiele-            für einen Musicalsong darf wesentlich geringer sein, Länge und musikalische Gestaltung
risch verstehen, Illusionen und Utopien ausleben, ohne den sicheren Boden zu ver-             machen die Songs leichter konsumierbar. Und natürlich trägt die Band mit E-Gitarren und
lassen; Erfahrungen zu machen, aber bei sich bleiben; aus sich heraustreten, aber sich        Schlagzeug, mit poppigen und jazzigen Harmonien, Sound-Effekten und Lautstärke zum
nicht verlieren; sich in Existenzkrisen stürzen, aber nicht krepieren, die Empathie-Fähig-    Erfolg bei. Allein das „Ohrwurm-Phänomen“ zeigt die durchschlagende Wirkung, aber auch
keit schulen an Freunden, Verrätern, Betrogenen, Liebhabern, Schurken, Siegern, Ver-          die gleichzeitige Begrenztheit der Komposition. Vielleicht sollte man einen Opernsänger/
lierern, armen Schweinen, Herzensbrechern usw. Was hier zunächst nur wie ein Plädo-           eine Opernsängerin einladen und den vielfältigen künstlerischen Umgang mit der Stimme
yer für Darstellendes Spiel/ Theater klingt, bekommt durch die Musik eine besondere           demonstrieren lassen.
Dimension und Tiefe.                                                                          Beispiele für eine sanfte Gewöhnung an anspruchsvollere Formen lassen sich finden:
Die Musik hilft bei der Darstellung formal, indem sie untermalt, verbindet, gliedert,         Freddy Mercury und „Queen“ mit der „Kurzoper“ ‚Bohemian Rhapsody’, der Opernbesuch
erinnert. Sie unterstützt emotional, indem sie Stimmung schafft, Gefühle beschreibt,          in „Pretty Woman“, die Songs der „Dreigroschenoper“ samt ihrem Theaterkonzept. Auch
Nähe und Ferne, Einsamkeit, Trauer, Gemeinschaft darstellt und nicht vorhersehbare,           Filmmusiken können einen Übergang zu komplexeren Kompositionsformen schaffen:
überraschende Wirkungen entfaltet. Die Verse tragen die Sprache, durch die Rhythmisie-        „Amadeus“ zu Mozarts Requiem (die „Confutatis“-Szene ist wohl eine der stärksten Film-
rung, die Melodie, die Harmonik und die Begleitung kann der Inhalt spannend, komisch,         musik-Szenen überhaupt) oder der Soundtrack zum „Herrn der Ringe“ oder „Harry Potter“
tragisch, kurz: unterhaltend und bewegend werden.                                             zur Gewöhnung an großen Orchesterklang und Leitmotivtechnik!
Affekte, Formabläufe, harmonische und melodische Wendungen, Orchesterfarben und               Die „Szenischen Interpretation“ verbindet die Aspekte der aktiven Musiktheatererfahrung
der musikalische Aufbau und Spannungsbogen, das Bühnenbild, die Kostüme, das                  mit der rezipierenden in ebenfalls leicht zugänglicher Weise. Sie könnte sich in weniger
Licht, allmählich fügen sich die Teile zusammen zu einem hochkomplexen Ganzen.                handlungs- und personenorientierte Bereiche vorwagen und eine Weiterentwicklung der
Die Betrachtung der Charaktere wird mit jeder weiteren Aufführung, durch jede neue            Arbeit von kurzen Motiven zur Gestaltung von längeren Musikstücken anregen. „Wie spielt
Sängerpersönlichkeit differenzierter. Ist Sarastro wirklich nur gut und die Königin der       und singt ihr, wenn die Musik die eben gehörte Wendung nimmt?“ „Was bedeuten diese
Nacht nur böse? Ist Tamino mutig und Pamina schwach? Ist Papageno wirklich nur lustig         musikalischen Merkmale für die darzustellende Person?“ Eine an der Vertiefung und Ent-
und naiv? Die Musik gibt hier die Hinweise, die das Verständnis erweitern und das sicher      wicklung der darzustellenden Charaktere anknüpfende Fragestellung könnte ein möglicher
Geglaubte in jeder neuen Inszenierung, in jeder Probe in Frage stellen. Jedes Werk in         Weg sein.
seiner Epoche gibt Anlass zu Vergleichen mit der Gegenwart und zur Beurteilung des            Der Reiz des aktiven Erlebens einer Rolle und des Verstehens einer gestalteten, von Musik
aktuellen Zeitgeistes.                                                                        getragenen Handlung ist ein Entwicklungsprozess. Kommt es zur Aufführung, waren Kon-
Denn das Musiktheater spiegelt auch soziale Realität. Frauenrollen sind deutlich              zentration, Fokussierung, Timing, Gestaltung und musikalische Ausführung das Optimum,
unterrepräsentiert und oft stellen sie ein traditionelles, abhängiges, duldend-demüti-        das zu leisten war, sei es auf der Opern- oder der Aulabühne, stellt sich ein besonderes
ges Frauenbild dar. Zwar gibt es starke solistische weibliche Hauptrollen wie Carmen,         Glücksgefühl ein, das alle, Schüler wie Lehrer, zu Wiederholungstätern macht!
Leonore, Susanna, Elektra und die Königin der Nacht, aber selbst im ‚fortschrittlichen’,
modernen Musical sind emanzipierte aktive Frauen nicht gerade in der Überzahl, sehen
wir von Bess und den weiblichen Personen in „Rent“ einmal ab. In „Grease“ richtet sich        Hinweise für die weitere Arbeit:
Sandy nach den Schönheitsidealen ihres Danny, in „Tanz der Vampire“ folgt Sarah ihrem         Institut für Szenische Interpretation von Musik und Theater,
raffinierten Verführer Graf Krolock, in „Les Miserables“ opfert sich Eponine für Marius. In   32 Videoclips zum Methodenkatalog der Szenischen Interpretation
„Anatevka“ sind sieben Töchter zu verheiraten! In der „Rocky Horror Show wird Janet von       Universitätsbibliothek Oldenburg, http://oops.uni-oldenburg.de/1701 (Stand: 20.08.2015)
Frank ‚vernascht’! Maria in „Westside Story“ überlebt und lässt erneut auf eine gleichbe-     http://www.isim-online.de/03_02.pphp (Stand: 23.04.2015)
rechtigte nächste Beziehung hoffen.                                                           http://www.musik-for.uni-oldenburg.deszene/index.html (stand: 23.04.2015)
Beim Vergleich zwischen Oper und Musical gewinnt bei jungen Menschen eindeutig das            Klaus Dörr in Tagesspiegel v. 11. 9. 2018, S. 23
Musical. Der Gesangsstil der Oper ist gewöhnungsbedürftig, stärker noch, er befrem-           Sämtliche Bilder G.S.F.
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Und langsam stirbt
                                   Magazin

Desdemona
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                                                                                            ches Arsenal an Anknüpfungspunkten zu unserer Gegenwart: angefangen mit der De-
                                                                                            maskierung des Salzburger Götterlieblings zu einem triebhaft-kichernden Genie-Punk
                                                                                            (Amadeus) und kulminierend in den sadomasochistischen Exzessen eines Calixto Bi-
                                                                                            eito in der Komischen Oper.
                                                                                            Der Mozartsche Realismus und die Geschlechterthematik findet dann im „musikali-
                                                                                            schen Realismus“ (Dahlhaus) als Frauenthematik des 19. Jahrhundert seine konse-
Und langsam stirbt Desdemona –                                                              quente Fortsetzung -titelgebend werden weibliche Hauptfiguren, Outlaws, die die
                                                                                            gesellschaftlichen Widersprüche grell beleuchten, um am Ende an ihnen tragisch zu
Überlegungen zu einem besonderen Genre                                                      scheitern: Carmen, Violetta, Desdemona, Madame Butterfly. Konsequent werden die
                                                                                            aufkommenden gesellschaftlichen Konflikte eines sich emanzipierenden Bürgertums
von Carl Parma                                                                              entweder als Emanzipationsgeschichte der Frau oder aber der sich formierenden Natio-
                                                                                            nalstaaten (Italien) thematisiert. So bilden Stoffe aus grauer Vorzeit die Hintergrundfolie
                                                                                            für nationale Emanzipationsbestrebungen der Italiener (Nabucco/Aida), in die Partitur
JOSEPH Sag er mir, Mozart, hat man Ihm unseren Auftrag für die Oper übermittelt?
                                                                                            werden geheime Botschaften (Verdi: Emanuele II.) hineinkomponiert und die Chöre der
MOZART Sehr wohl, Euer Majestät! (…) Ich habe auch schon ein Libretto. (…) Die              Verdi-Opern zu Schlachtgesängen der Unabhängigkeitsbewegung. So (real)politisch
Geschichte ist wirklich amüsant, Euer Majestät. Sie spielt in einem... (kichert) in         kann Oper sein, trotz ihres konventionellen Habitus und traditionellen Rahmens.
einem Serail. Dem Harem eines Paschas.                                                      Revolutionäres vollzieht sich aber auch im Inneren, in der Tonsprache: ausgerechnet in
ROSENBERG Und das soll in Ihren Augen ein passendes Thema für eine Auf-                     den mythenschweren Mittelalterepen eines Richard Wagners - einst als Anarchist nach
führung im Nationaltheater sein? MOZART (in Panik) Ja! Nein! Ja, ich meine,                 Paris geflüchtet – kündigt sich die Abkehr von der traditionellen Dur-Moll-Tonalität an,
ja, jawohl! Warum denn nicht? Die Handlung ist sehr komisch. (…) Sie ist voll               die dann in der reinen Expressivität und freien Atonalität von Bergs „Wozzeck“ gipfelt.
echter deutscher Tugenden (…) Liebe, Euer Majestät.                                         Die Auflösung der Tonalität korrespondiert nicht von ungefähr mit der Auflösung der
Ich habe noch in keiner Oper Liebe ausgedrückt gesehen. (…)                                 politischen Verhältnisse. Allerdings lässt die Reaktion der Reaktionäre - der Verteidi-
Ich meine die Liebe eines Mannes, Signore – nicht die eines krähenden männ-                 ger der alten Ordnung – nicht lange auf sich warten: nachdem die Rechte immer wieder
                                                                                            die Beendigung des „Kulturbolschewismus“ im Avantgardetheater der Weimarer Repu-
lichen Soprans – oder die törichter, augenrollender Paare – dieser ganze,
                                                                                            blik, der Kroll-Oper, gefordert hatte, wurde sie 1931 schließlich aus vorgeblich öko-
alberne italienische Quatsch.
                                                                                            nomischen Gründen endgültig geschlossen. Hier kündigte sich bereits der Anti-Kunst-
                                                                                            furor an, der ab 1933 zur Staatsdoktrin werden sollte: Pfitzner statt Berg und Wagner
Was könnte das Problem der Oper, dieser seit über 400 Jahren gehuldigten Kunstform,         aller Orten, empfand Hitler Wagner doch als Seelenverwandten, dessen Werke ihm als
besser auf den Punkt bringen als dieser Dialog aus Peter Schaffers „Amadeus“. Voller        Blaupause seiner Wahnvorstellungen dienten und dessen Sippe die glühendsten Hit-
eigenartiger Konventionen und Setzungen: nur auf Italienisch sollte sie sein (obwohl dies   ler-Verehrer waren. Diese Nähe der politischen Klasse zu Bayreuth besteht bis heute:
kaum jemand verstand), mit statuarischen Themen in unglaubwürdigen Konstellationen          alljährlich pilgern unsere Volksvertreter zum Grünen Hügel und lassen sich dabei dank-
und artifiziellem Gesang: eben „liebemachenden“ Kastraten! Dem versuchte Mozart ei-         bar ablichten.
nen neuen Realismus entgegenzustellen: einem sein Ehebett vermessenden Handwerker           Diese Staatsnähe der Gattung Oper – in Diktatur wie Demokratie – hat sicherlich viel
(Figaro), der seine Susanna nicht mit einem lüsternen Grafen teilen möchte und schließ-     mit den verhandelten Stoffen, aber auch mit der feudalen Entstehungsgeschichte –
lich die echte Liebe triumphieren lässt. Oder dem promisken Edelmann Giovanni, der          Fürsten schmückten sich gerne mit ihren Operntempeln – und ihrem neo-feudalen
seinen Diener seine tausenden „Eroberungen“ in einem „Leporello“ festhalten lässt und       Repräsentationshabitus zu tun.
der am Ende von einer überdrüssigen Gesellschaft gestürzt wird ( quasi der Vorläufer des
Me-Too-Dramas von heute).                                                                   Als Objekt der Begierde der jeweiligen Geschmacks- und Machteliten konnte sich die
                                                                                            Oper trotz aller Widersprüche, Willkürlich- und Künstlichkeiten – im Sinne eines am-
                                                                                            bitionierten Minderheitenprogramms, gewissermaßen – über 400 Jahre lang halten.
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                                   Magazin

Dabei konnte sie sich als rein kommerzielle Veranstaltung am Markt nie ganz behaupten,
wie Händel im London des Jahres 1728 leidvoll erfahren musste: ausgerechnet von der
populären „Beggar’s Opera“ wurde sein unternehmerischer Höhenflug mit Produktionen
der italienischen Oper jäh gestoppt. Einer Bettleroper, die – wie es in ihrem späteren
Remake als „Dreigroschenoper“ später heißen sollte – so prunkvoll gedacht war, wie nur
Bettler sie erträumen – und so billig, dass nur Bettler sie bezahlen können.
Zugleich schlummert in der Oper als Musiktheater so viel revolutionäres Potential: Da
ist der überreiche Fundus der großen Menschheitsfragen in immer neuen zeitgeschichtli-
chen Gewandungen: der früh-barocke „Orfeo“, die klassizistischen „Orpheus & Eurydice“
und „Orpheus in der Unterwelt“. Übergroße Figuren mit menschlichen Schwächen, die zu         Vor allem aber in den Schulen wurde das Musical zu einem Renner: eingängig, leicht zu-
kleineren und großen Katastrophen führen. Paradigmatisch bis realistisch. Die Heroinen       gänglich und für Laien noch realisierbar. Die Musical-AG ist mittlerweile fester Bestandteil
des 19. Jh. – allesamt tragische Outlaws einer selbstvergessenen Gesellschaft. Da ist die    des Musikangebotes vieler Schulen, zumal hier sich geradezu naturwüchsig ein weites
Kraft des Erotischen: der dargestellten Figuren wie ihrer Darsteller, Don Giovanni bis zur   Feld überfachlicher Kooperationsmöglichkeiten bietet: Sprachen, Theater, Kunst, Sport,
„Göttin“ Callas. Die Überhöhung macht noch die tragischsten Figuren. Dem Brecht’schen        Technik. Und vielleicht die einzige Möglichkeit, schulisch die große Form zu bedienen
„Glotz nicht so romantisch“ hält der Opern-Afficionado trotzig die vollkommene Identi-       – sowohl vom musikalisch-dramaturgischen Spannungsbogen als auch vom zeit- und
fikation entgegen – er reist den Darstellern wie ein Groupie nach und ergibt sich ihrer      kraftintensiven Engagement für ein solches Großprojekt. Der Erfolg ist dabei auch zu-
stimmlichen Erotik wie der Postbote Jules im französischen Film „Diva“. Und es ist diese     meist gesichert und es ergibt sich beinahe zwangsläufig eine enorme Ausstrahlung in die
Sinnlichkeit der Stimmen, die aus einem guten Dramenstoff ein überwältigendes Ereignis       Schulgemeinschaft. Schwierig bleibt aber immer noch die Frage der Aufführungsrechte
machen kann. Es sind aber eben auch just die pathetischen und auf Virtuosität ausgeleg-      (hohe Kosten, enge Vorgaben der Verlage), weshalb nicht selten zum selbstgeschriebe-
ten Opernstimmen, die ihre ärgsten Kritiker von je her beflügeln: nicht nur der mangelnde    nen Musical gegriffen wird. Das hat den Reiz wahrer Urheberschaft, zeigt aber auch gewis-
Realismus der Desdemonaschen Sterbe-Epiphanie, sondern die Künstlichkeit, die Affek-         se Limitationen auf. Weil ein schlüssiges Handlungsgerüst mit hitverdächtigen Solo- und
tiertheit, die als barocker Affekt noch in hohen Ehren stand – sie macht es dem modernen     Ensemblenummern auf die Bühne zu bringen großer Meisterschaft bedarf. Dennoch ist
Musikkonsumenten so schwer, dem Belcanto einer Primadonna etwas abzugewinnen,                der Identifikationsgrad mit dem Selbstgemachten deutlich höher und ein guter Einstieg
auch wenn er nicht viel künstlicher ist als die falsettierenden Popikonen unserer Zeit.      ins eigene Texten und komponieren.
Akzeptiert dagegen scheint das dem Pop-Idiom nähere Musical. Die an heutigen Hörkon-         Aber auch im Bereich der schulischen Beschäftigung mit dem Musiktheater hat sich dank
ventionen orientierte Gattung – Popsong-Länge, harmonisch-melodische Zugänglichkeit,         des unermüdlichen Einsatzes zahlreicher Musiktheaterpädagogen und des Ansatzes der
Band bis satte Streicherbegleitung – schafft es auch, abseitigste Themen und Stoffe (Star-   „Szenischen Interpretation“ viel getan. So haben in den letzten 20 Jahren zehntausende
light-Express) zu gut konsumierbaren Markenartikeln zu machen. Ähnlich der Operette          SchülerInnen und hunderte Lehrkräfte die Workshops der Opernhäuser zu ihren Inszenie-
umschmeicheln hier Ohrwürmer aus der Wohlklangsküche den geneigten Hörer, nicht sel-         rungen durchlaufen und haben damit den Blick auf ein vermeintlich sperriges Genre ver-
ten hart am musikalischen Kitsch – weshalb es auch hier wahre Hasser der Gattung gibt.       ändert: weg von einer angestaubten Repräsentationsgattung, hin zu einem Laboratorium,
Meisterwerke wie West Side Story, denen es gelingt, klassische Stoffe kongenial in zeitge-   in dem die alten Menschheitsfragen wie die drängenden Gegenwartsfragen in einem zeit-
nössisch-sozialkritische Libretti zu übersetzen und eine musikalische Sprache zu finden,     genössischen Gewand ästhetisch erlebt werden können.
die bei aller popular-musikalischen Grundierung handwerklich höchst anspruchsvoll und
ihrem Erfindungsreichtum geradezu ikonisch ist, bilden leider eher die Ausnahme. Aber
abgesehen vom Broadway und einigen Klassikern ist es auch dem Musical – mindestens
in Deutschland – nicht gelungen, sich wirtschaftlich selbst zu tragen. Der Musicalhype
der 1980er Jahre endete keine 20 Jahre später jäh in der Pleite: die mit übergroßen Ge-
winner-wartungen in die Provinz geklotzten Paläste wurden schnell zu Sanierungsfällen,
städtische Mehrspartenhäuser übernahmen und peppten ihr Hochkulturprogramm mit
der vermeintlich leichteren Muse auf.
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                                   Magazin

Warum Musiktheater­vermittlung
an Opernhäusern?                                                                           Es wird gestrichen, fusioniert und komprimiert – auf der Bühne wie auch in der Institu-
                                                                                           tion. Abgesehen von dieser Betrachtung hat die Oper stets eine starke gesellschaftliche
                                                                                           Funktion. Die längste Zeit ihrer Existenz war sie eine exklusive – und damit exkludierende
                                                                                           – Veranstaltung, die dazu diente, das exklusive Selbstverständnis einer sozialen Schicht
 Die Komische Oper Berlin                                                                 durch den Ausschluss anderer, bildungsfernerer – und jüngerer – Schichten zu manifes-
                                                                                           tieren.
 und ihr Vermittlungs­                                                                    Schaut man sich nun aber das Leben der Menschen – und damit den zweiten oben er-

 programm                                                                                   wähnten Protagonisten – in den Städten und Gemeinden an (und nimmt dazu die Er-
                                                                                                      kenntnisse der Soziologen und Demographen zu Hilfe), dann zeichnen sich
                                                                                                      in Deutschland starke gesellschaftliche Veränderungen ab. Deutschland wird
                                                                                                     bunter. Immer mehr Menschen aus unterschiedlichen Kulturen leben und arbei-
 von Anne-Kathrin Ostrop                                                                            ten in Deutschland. Feststehende Gruppenzugehörigkeiten mit ihren tradierten
 Warum Musiktheatervermittlung an einem Opern-                                                     Kenntnissen, Haltungen und Lebensgestaltungen lösen sich auf, der Gedanke von
 haus? Diese Frage erscheint uns heute geradezu                                                   Transkulturalität setzt sich durch. Nicht die Exklusion ist gefragt, sondern die Inklu-
 absurd, hat doch mittlerweile beinahe jedes                                                     sion und die Anerkennung von der Verschiedenheit der Menschen und ihrer Lebens-
 professionelle Opernhaus eine Vermittlungsabtei-                                               entwürfe. Der Konstruktivismus als Erkenntnistheorie besagt, dass jeder Mensch
 lung. Aber was sind genau die Beweggründe, die                                               aufgrund seiner Lebenserfahrung seine eigene Realität kreiert. Gleichzeitig wird die
 dazu geführt haben, dass die Komische Oper                                                  Vermittlung künstlerischer Fächer im schulischen Unterricht immer geringer. Nur noch
 Berlin sich mit großer Leidenschaft und erheb-                                             20% der Berliner Grundschüler haben Musikunterricht bei einem ausgebildeten Mu-
 lichem Aufwand der Musiktheatervermittlung                                                siklehrer (und da Oper wegen ihrer Komplexität nicht leicht zu vermitteln ist, fällt diese
 widmet?                                                                                   meist als erstes aus dem Curriculum heraus). Die jüngsten Mitglieder der Gesellschaft,
 Gehen wir die Fragestellung von den drei                                                  die Kinder, bekommen also nicht mehr flächendeckend Kontakt mit dieser Kunstform. Die
 beteiligten Protagonisten an, die alle                                                    negativen Folgen für die Gesellschaft, in denen die Kulturvermittlung aus dem Bildungs-
 ernst zu nehmen sich gebietet. Wer sie                                                    kanon quasi gestrichen wurde, werden wir alle in ca. 25 Jahren zu spüren bekommen.
 sind? Die Kunst – das Leben – und das                                                     Kommen wir zum dritten Protagonisten – dem „Dazwischen“. Genau an dieser Stelle be-
 Dazwischen.                                                                               tritt die Musiktheatervermittlung an Opernhäusern die Bühne. Denn die Musiktheaterver-
 Starten wir mit der Kunst, in unserem                                                     mittlung, wie ich sie verstehe (nach dem Methodenkonzept der Szenischen Interpretation
 Falle der Oper. Sie ist eine komplexe,                                                    von Musik und Theater ISIM), versucht in Workshops einen Erfahrungsraum für Menschen
 ursprünglich abendländische Kunstform, in der                                             jeden Alters, jeder Herkunft und jeden Geschlechts, jeder Vorkenntnis und Erfahrung mit
 verschiedene Ausdrucksmittel – unter anderem Musik                                        der Kunstform Oper zu schaffen, indem sie auf der Basis ihrer eigenen Lebenserfahrung
 und Szene – Geschichten erzählen, in denen die Kernfragen                                 eine Oper, eine Musik, einen Text, eine Szene interpretieren. Bei dieser Methode geht es
 des Menschseins emotional wie intellektuell kunstvoll verdichtet sowie                    also NICHT um die Vermittlung einer Inszenierung oder gar um die Vermittlung der Insti-
 symbolhaft verhandelt werden. Das Opernhaus als Institution hat die primäre Auf-          tution Opernhaus und auch nicht darum, herauszufinden, „was die Meister (also Kompo-
 gabe, diese Kunstform auf höchstmöglichem, professionellem Niveau für das Publikum        nist*in, Librettist*in oder Regisseur*in) uns sagen wollen?“ und erst recht nicht um die
 auf der Bühne sichtbar und hörbar werden zu lassen. Dabei greift sie im Inszenierungs-    Schaffung eines schnellen, coolen Erlebnisses.
 prozess auf wissenschaftliche Erkenntnisse aller Art zurück: Musik- wie Theaterwissen-    Sondern die Teilnehmer*innen schlüpfen in unterschiedliche Rollen und erleben aus der
 schaft, Kultur- und Religionsgeschichte, Philosophie und Psychoanalyse etc. Soweit – so   Rolle heraus einzelne Szenen und Musikausschnitte und werden durch die Methoden
 verkürzt – so simpel. Selbstverständlich hat sich die Kunstform über die Jahrhunderte     dazu angeregt, diese mit ihrer eigenen Lebenserfahrung anzureichern und zu interpretie-
 gewandelt, sie wurde performativer, das Material wird postmodern zunehmend wie ein        ren, so dass plötzlich vieles aus ihrem Leben in der Oper (während des Workshops) ver-
 Steinbruch genutzt, es gibt Mischformen von Stilen, Ausdrucksmitteln und Deutungen.       handelt wird. Ihr Leben und die Kunstform Oper kommen miteinander in Berührung. Da
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                                  Magazin

unterhält sich plötzlich die arabische Vätergruppe im Workshop zur Insektenoper Mikro-     man untrüglich feststellen, an welchen Stellen eine Oper im Text oder in der Musik stark
polis über die unterschiedlichen Geräusche       in den Wüstenregionen ihrer Heimat        oder schwach ist, wo sie trägt oder wo sie nicht stringent ist, wo sie den „Belastungen des
und die Kinder, die das Land ihrer                      Väter nie betreten haben, hören    Lebens“ standhält und wo nicht. Bei der Beauftragung von Uraufführungen und auch im
fasziniert zu. Da erzählen sich Kin-                       der gegenseitig bei einem       Inszenierungsprozess fließen diese Erkenntnisse nun häufig mit ein.
Workshop zu Hänsel und Gretel,                                wie in ihrer Patchwork-Fa-
                                                                                           Die Erfahrungen aus der musiktheaterpädagogischen Arbeit haben auch zu der Entwick-
milie Eltern und Kinder mit-                                   einander umgehen. Da
                                                                                           lung des interkulturellen Projektes „Selam Opera“ an der Komischen Oper Berlin geführt,
spielen Jugendliche im Work-                                    shop zu Don Giovanni
                                                                                           denn in den Workshops konnte ich feststellen, dass die Menschen aus unterschiedlichen
ihre Träume von Treue und                                        singen wütende Rezita-
                                                                                           Ländern, mit anderem religiös-musikalisch-kulturellem Hintergrund, die Opernszenen
tive der Donna Elvira. Da ge-                                    staltet die Angestellte
                                                                                           anders interpretieren, was ja – wie oben erwähnt – durch die Methode der Szenischen
mit ihrer Chefin gemeinsam                                       eine Szene aus „Die
                                                                                           Interpretation als gemäßigt konstruktivistisches Verfahren genauso gewollt ist. So ver-
Hochzeit des Figaro“ und dis-                                    kutieren danach über
                                                                                           standen ist die Musikvermittlung am Opernhaus ein Katalysator für die Entwicklung eines
gesellschaftliche Abhängig-                                      keiten und Hierarchien
                                                                                           (neuen) Publikums, aber auch für die Entwicklung der Oper als Kunstform.
in ihrem Unternehmen. Beson-                                   ders interessant ist es,
wenn nun die Teilnehmer*innen                                 nach dem Workshop eine       Um diese Musiktheatervermittlung leisten zu können, bedarf es intensiv ausgebildeter
Opernvorstellung besuchen und                               ihre im Workshop gespielte     Musiktheatervermittler*innen. Die von uns regelmäßig durchgeführten Symposien rei-
und durch ihr Leben angereicher-                                      te Rolle auf der     chen dazu nicht aus. Anders als für Theater- und Konzertpädagog*innen gab es bis vor
Bühne wieder finden. Dann erkennen sie                                    Unterschiede     wenigen Jahren weltweit keine Ausbildungsmöglichkeit für angehende Musiktheaterpä-
und Gemeinsamkeiten ihrer Lebenserfahrung                                   und der auf    dagog*innen. Mit dem Universitätslehrgang Musiktheatervermittlung, der in Kooperation
der Bühne beispielhaft erzählten Geschichte.                                  Dann be-     mit der Universität Mozarteum in Salzburg, der Komischen Oper Berlin, der Staatsoper Ber-
kommt die zuvor oft unverstandene, flüchti-                                    ge Musik    lin und dem ISIM nun seit 4 Jahren                   stattfindet und von Rainer O. Brink-
eine für sie wichtige Bedeutung. Die Musik,                                    die Sze-    mann und mir geleitet wird,                              können sich Musiker*innen,
ne – ja die Oper – wird durch die Workshop-                                    teilneh-    Lehrer*innen, Sänger*innen                                  zu Musiktheaterpädagog*in-
mer*innen mit Bedeutung gefüllt. Häufig ent-                                   stehen      nen umfassend weiterbil-                                      den. An der Schaffung eines
in den Opernvorstellungen genau diese be-                                      sonderen    Weiterbildungs-Master-                                          studienganges     arbeiten
auratischen Momente, die wir alle kennen,                                     wenn die     wir derzeit. Die Profes-                                         sionalisierung in diesem
Musiker*innen, die Darsteller*innen auf der                                 Bühne und      Bereich ist für die Opern-                                       häuser nicht nur aus dem
das Publikum in engem emotionalem Kontakt                                stehen.           Wunsch der Steigerung                                            der Auslastungszahlen
                                                                                           heraus wichtig, sondern                                          auch, um die Kunstform
An der Komischen Oper Berlin, an der mir die Konzeptent-         wicklung, der Aufbau
                                                                                           Oper und die Institution                                         Opernhaus als Austra-
und die Leitung der musiktheaterpädagogischen Abteilung, zur Dramaturgie gehörend,
                                                                                           gungsort menschlich-ge-                                         sellschaftlicher   Ausein-
vor 15 Jahren übertragen wurden, richtet sich die Musiktheatervermittlung längst nicht
                                                                                           andersetzungsprozesse                                          weiterhin legitimieren zu
mehr nur an Kinder, sondern an alle Menschen in unterschiedlichsten Gruppierungen,
                                                                                           können und ihn lebendig                                      zu erhalten. Nur so kann die
seien es Studierende, Familien, Firmenmitarbeiter*innen, Schulklassen, Senior*innen,
                                                                                           politisch geforderte kulturelle                            Teilhabe aller Menschen an der
Manager*innen, Väter-, Frauen-, Migrant*innen- oder Touristengruppen etc. In weit mehr
                                                                                           „Hochkultur“ geleistet werden –                        denn letztlich möchten wir, die wir
als 350 Workshops im Jahr beschäftigen sich die Teilnehmer*innen mit allen Opern des
                                                                                           bereits von der Faszination Oper er-              fasst sind, das Feuer der Begeisterung
Spielplanes und besuchen anschließend eine Opernvorstellung. Kinderkonzerte auf der
                                                                                           für diese Kunstform weitertragen.
großen Bühne laden insbesondere Kitakinder und ihre Eltern ein. In Projekten aller Art
arbeiten die Musiktheaterpädagog*innen (mittlerweile besteht das Team aus 14 freien        Veröffentlichungen und Infos:
und festangestellten Musiktheaterpädagog*innen) langfristig und intensiv mit diversen
                                                                                           Frisch erschienen ist das Buch Oper Jung – Musiktheater zwischen Bühne und Bildung, das die Arbeit der Komischen Oper
Gruppen zusammen. Über 45.000 Kinder und Jugendliche kommen so jährlich in die Ko-         Berlin umfassend und mit vielen Fotos etc. dokumentiert.
mische Oper Berlin und sorgen dafür, dass das Opernhaus in der Behrenstraße mit durch-     Die Komische Oper Berlin hat eine CD von Peter und der Wolf in deutscher und arabischer Sprache und in einer rein instru-
schnittlich weit unter 40 Jahren das jüngste Opernpublikum überhaupt hat. Der Anteil von   mentalen Version eingespielt, die die Arbeit in Willkommensklassen und vielsprachigen Klassen unterstützen soll.
Kindern und Jugendlichen im Gesamtpublikum macht mittlerweile über 20 Prozent aus.         Zu allen Opern des Spielplanes erscheinen aufwändige Hörbücher.
Da ich mich immer zur einen Hälfte als Musiktheatervermittlerin nach außen für das Pu-     Der nächste Universitätslehrgang Musiktheatervermittlung startet zum Wintersemester 2019/20. Infos dazu unter
blikum und zur anderen Hälfte nach innen für das Opernhaus verstehe, kommt es durch        www.mozarteum.ac.at
die intensive Arbeit mit dem Publikum auch zu Rückübertragungen der Erkenntnisse aus
den Workshops in die künstlerische Produktion auf der Bühne. Denn im Workshop kann
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           Landesschulmusiktag 14. Februar 2019
                                                                                                      Tagesablauf

                                                                                                          8.30 Uhr        Einlass und Anmeldung
                                                                                                          9.00 Uhr        Plenum Präsentation von Ergebnissen des Kompositionsworkshops
                                                                                                                                   der Staatsoper Berlin (mit dem Jugendchor der Staatsoper)
                                                                                                                                                        Carl Parma Begrüßung

                          MUSIKTHEATER                                                                                                                  Impulsreferat
                                                                                                                                „Musiktheater in der Schule - Ursprünge, Tendenzen, Ausblicke“
                                                                                                                                                    Rainer O. Brinkmann
                                    IN DER SCHULE                                                        10.15 Uhr        Kaffeepause
                                                                                                         10.30 Uhr        WORKSHOP-BLOCK I

                       Konzepte und Perspektiven                                                                                                         Workshop 1
                                                                                                                                                    Rainer O. Brinkmann
                                                                                                                               Szenische Gestaltung – Das Lied als Miniaturdrama am Beispiel von
    Donnerstag, 14. Februar 2019 - Landesmusikakademie/FEZ - 9 bis 16 Uhr                                                            Schubert-Liedern und ausgewählten Rekompositionen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,                                                                                                                           Workshop 2
                                                                                                                                                         Sophie Bauer
Musiktheater in der Schule ist ein komplexes Feld: denken wir an Oper, sticht das                                                Bewegung, szenisches Spiel – die Herausforderung, mehrere Dinge
Moment der Fremdheit ins Auge. Obwohl die verhandelten Stoffe zu den großen                                                                            gleichzeitig zu tun
Menschheitsthemen gehören, stellen sowohl der Gesangsstil wie auch der zeitliche
Umfang eine pädagogische Herausforderung dar, die nach Vermittlung verlangt.                                                                             Workshop 3
                                                                                                                                                    Anne-Kathrin Ostrop
Nicht umsonst haben sich gerade an den Opernhäuser vielfältige Education-
                                                                                                                           Die Westside Story zwischen Protest und Podest, Treue und Trump, Bühnen
Programme entwickelt. Beim Musical scheint die Nähe zu heutigen Hörkonventionen
                                                                                                                                                         und Bildung
schon eher gegeben zu sein, aber auch da gilt es immer wieder neue Zugangswege
zu schaffen. Wir haben uns bewusst für Stücke entschieden, die auf den aktuellen                                                                               Workshop 4
Spielplänen der Berliner Opernhäuser stehen und für Dozenten, die zumeist als                                                                                Aaron Grahovac
Opern-Praktiker sehr unmittelbar an die Stücke, aber auch an exemplarische Fragen                                                           Gestaltung von Musiktheater in den Jahrgängen 7 - 13
der Vermittlung von Musiktheater führen können:
                                                                                                                                                              Workshop 5
Rainer O. Brinkmann            Profilierter Kenner im Bereich der Musiktheater-Vermittlung , Dozent                                                         Annemarie Hoff
                                                                                                                                              Das Musical ANATEVKA – Tradition und Aufbruch
Sophie Bauer                   Leiterin des Kinderchors der Leipziger Oper, Dozentin der HMT
                               Leipzig                                                                   12.00 Uhr        Mittagspause
                                                                                                         12.45 Uhr        WORKSHOP-BLOCK II (s.o.)
Anne-Kathrin Ostrop            Leiterin der Musikvermittlung an der Komischen Oper,                      14.30 Uhr        Abschlussforum
                               Fortbildnerin
                                                                                                                                                 Teilnahmegebühr
Aaron Grahovac                 Leiter der Musical-AG der Bettina-von-Arnim-Sekundarschule
                                                                                                                           10 € für Mitglieder des BMU, Referendare und Quereinsteiger
Annemarie Hoff                 Fachseminarleiterin für Sek. I/II, Chorleiterin                                                          20 € für Nicht-Mitglieder des BMU*
                                                                                                                  *Bei Eintritt in den BMU, Landesverband Berlin, am Tage der Veranstaltung
Den Abschluss des Tages bildet ein offenes Forum mit Experten zu praktischen Fragen der                          beträgt der Tagungsbeitrag nur 10,-€ und der Jahresbeitrag für 2019 entfällt.
Vermittlung im Bereich Musiktheater und Hinweisen zu eigenen Musical- oder Musiktheater-
Produktionen.
                                                                                                                                                                Impressum
Carl Parma, Vorsitzender des BMU LV Berlin                                                            Landesgeschäftsstelle BMU LV Berlin     E-Mail: bmu.berlin@bmu-musik.de      Tel.: 030 20 66 22 93

                                                                           www.bmu-musik-berlin.de                                                                                www.bmu-musik-berlin.de
20                                                                                                                                   21

»Spiel mal
                                   Magazin

                                                                                            Fragen gelegt: „Was höre ich?“ und „Was interpretiere ich?“. Erstere setzt das Augenmerk
                                                                                            eher auf die technischen Aspekte, Zweitere auf Hörerfahrungen und damit verbundene

Verkehrsunfall«
                                                                                            Inhalte. Häufig deckt sich die Analyse des Gehörten in großen Teilen mit den Ideen der

Verkehrsunfall
                                                                                            Spielenden. Es entsteht Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten.

                                                                                            » Die dritte Aufgabe: Nach der Analyse folgt die Kritik. Die spielenden Teams verraten
                                                                                            ihre ursprüngliche Aufgabe, die nun im Plenum in Relation zum Höreindruck der Gruppe
                                                                                            gesetzt wird. So entstehen erweiternde Ideen und Tipps von der Werkstattleitung, die jede
                                                                                            Gruppe für sich versucht, umzusetzen. In einer weiteren Präsentationsrunde werden die
»Spiel mal Verkehrsunfall«                                                                  Veränderungen diskutiert.
                                                                                            Das Grundprinzip der Arbeit ist somit gelegt und kann im Folgenden variiert werden. Die

Komponieren mit Jugendlichen an der                                                         Teilnehmenden finden immer wieder in neuen Besetzungen zusammen und entwickeln
                                                                                            zunehmend eigene Ideen. Die meisten Entscheidungen für die Kompositionen werden in

Staatsoper Unter den Linden                                                                 diesem Prozess von den Jugendlichen selbst getroffen.
                                                                                            Die täglichen Präsentationen vor der Gruppe und die daran anknüpfende Diskussion set-
von Nadine Grenzendörfer                                                                    zen immer wieder kompositorische Idee und Höreindruck in Relation. Die Werkstattlei-
                                                                                            tung nimmt dabei häufig die Rolle des „Vereinfachers/Klärers“ ein. Erstens mangelt es
                                                                                            anfänglich in den meisten Ergebnissen an Struktur. So kann folgende Aufgabe viel bewir-
Vor Publikum eigene Kompositionen auf dem eigenen Instrument spielen und das nach           ken: „Findet einen gemeinsamen Beginn und findet einen gemeinsamen Schluss.“ Eine
nur fünf Tagen. Jedes Jahr in den Winterferien haben junge Musiker*innen die Möglich-       ebenso oft auftretende Hürde für die Teilnehmenden ist das eigene Unvermögen auf dem
keit, dem Feld des Komponierens näher zu kommen und Hilfestellung bei der Entwicklung       Instrument, das im Kontrast zur Idee des Komponierens als äußerst komplexen Vorgang
erster Ideen zu erhalten. Fragt man die Teilnehmenden, was das denn sei, Komponieren,       steht und dem damit verbundenen Anspruch, auf allen Ebenen (Rhythmik, Stimmführung,
so wird schnell klar, dass die Vorstellungen divers sind. Ebenso existieren häufig große    Länge eines Stückes etc.) einen hohen Schwierigkeitsgrad zu erreichen. An dieser Stelle
Erwartungen an den Kompositionsunterricht. Daher werden beide Themen zu Beginn ver-         immer wieder Mut zur Reduktion zu machen, ist eine wichtige Aufgabe.
balisiert, um in der Gruppe gemeinsam eine Richtlinie für die Woche zu definieren, die
                                                                                            Über die gesamte Woche entsteht auch eine Improvisation in der Gruppe. Hier ein Bei-
auch berücksichtigt, was eine fünftägige Werkstatt leisten kann. Harmonie- und Satzlehre
                                                                                            spiel: Es wird ein Metrum vorgegeben. Beginnend mit einer Person, wird auf eine selbst
sowie Fragen der Notation spielen eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist Freude am ge-
                                                                                            gewählte Zählzeit ein kurzes Motiv improvisiert (Ton[folge], Rhythmus, Akkordfolge o.Ä.).
meinsamen Musizieren und Experimentieren mit Klängen.
                                                                                            Nacheinander steigen weitere Personen ein. Alle behalten dabei ihr Motiv und ihre Zähl-

» Die erste Aufgabe: Zwei Jugendliche werden aufgefordert, ohne vorherige Absprache         zeit. Schließlich wird geklärt, wie begonnen und geendet wird und ob es im Verlauf Pau-
                                                                                            sen, Tempovariationen, Änderungen in der Dynamik etc. geben soll.
einen Begriff spontan in Klang umzusetzen. Der Verkehrsunfall als klangliches Ereignis
                                                                                            Für ein Konzert ist es notwendig, die entstandenen musikalischen Ideen reproduzierbar
kann hierbei ein machbarer Einstieg sein. Auch ein Streit, in dem jedes Instrument einen
                                                                                            zu machen. Dafür wird empfohlen, die Aufzeichnungen so gering wie möglich zu halten.
Part einnehmen kann, ist eine Aufgabe, die gut umsetzbar ist. Je konkreter die klangliche
                                                                                            Beginnen die Gruppen einmal mit dem Notieren einzelner Stimmen, so probieren sie
Vorstellung des Begriffs, desto einfacher.
                                                                                            meist nur allzu verbissen, diese zu trainieren und perfekt wiederzugeben. Wichtiger er-
Nach ein paar Durchläufen werden Hemmungen abgebaut, der Gedanke an die eigenen             scheint es doch, dass die Jugendliche das Konzert ganz zu ihrem eigenen machen: ihren
SpielUNfertigkeiten auf dem Instrument werden geringer, der Musikbegriff und auch der       Stücken Titel geben, die Konzertreihenfolgen festlegen, entscheiden, ob sie etwas mode-
Kompositionsbegriff werden geöffnet.                                                        rieren möchten etc. Eine Generalprobe in der Oper legt all diese Aspekte fest und trainiert
                                                                                            zusätzlich die Bühnenpräsenz der jungen Musiker*innen.
» Die zweite Aufgabe: Zweierteams erhalten je einen geheimen Begriff, den sie inner-        Auch wenn die Kompositionswerkstatt nicht erklärt, wie man Songs schreibt oder was
halb von fünf Minuten musikalisch umsetzen sollen. Die kurze Zeitvorgabe lässt nur ein      beim Komponieren für Chor zu beachten ist, so kann sie doch Ideen weiten, Zuschrei-
paar Versuche sowie rudimentäre Absprachen zu und zwingt zu Ergebnissen, die nun in         bungen verändern und ein kleines Handwerkzeug geben, Freude am Experimentieren mit
der Öffentlichkeit der Gruppe präsentiert werden. Die Zuhörer*innen haben die Aufgabe,      Klängen zu haben.
das Klangerlebnis genau zu analysieren und zu beschreiben und eine thematische Zu-
ordnung des Gehörten vorzunehmen. Dabei wird Wert auf die Unterscheidung folgender
22                                                                                                             23

                 Das Kinderopernhaus Berlin –
                              Magazin

                                                                      unterrichtet und erhalten einen spielerischen ersten Einblick in die Welt der Oper und
                                                                      der klassischen Musik, durch Basisübungen in Tanz, Gesang, Schauspiel und Rhythmus.
                                                                      Das Besondere an den Kinderoper-AGs sind die kontinuierliche Probenarbeit und die
                                                                      Rituale, die die Proben strukturieren und dazu beitragen, dass die Kinder im Laufe des
                                                                      Schuljahrs zu einem Ensemble zusammenwachsen. Durch die kontinuierliche Teilnahme
                                                                      lernen sie, sich auf ein Projekt über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren. Am Ende
                                                                      des Schuljahrs präsentieren sie ihre erarbeiteten Szenen in Werkschauen vor Lehrern, An-
                                                                      gehörigen und Freunden. Die Kinderoper-AGs werden von den Schülerinnen und Schülern
                                                                      sehr gut angenommen. Zum Erfolg trägt auch die gute und enge Zusammenarbeit zwi-
                                                                      schen Schule und Kinderopernhaus bei, so stellen die Lehrer das Angebot im Unterricht
Grundschulkinder                                                      und auf Elternabenden vor, außerdem wird großer Wert auf den Austausch zwischen den
                                                                      AG-Leiterinnen und den jeweiligen Musiklehrenden gelegt.
entdecken die Welt des                                                Die Kinder bleiben in den AGs ein bis zwei Jahre. Wer danach noch intensiver in die Welt
Musiktheaters                                                         des Musiktheaters eintauchen möchte, ist in den vier Kinderopernhäusern willkommen.
                                                                      Dort gibt es ebenfalls regelmäßige Proben in den Bereichen Chor, Stimmbildung und Dar-
von Regina Lux-Hahn                                                   stellendes Spiel mit jeweils 25 bis 35 Kindern. Die auf diese Weise entstehenden Musik-
                                                                      theaterproduktionen werden vor den Sommerferien öffentlich aufgeführt, darunter eine
„Normalerweise spielen ja Erwachsene in Opern –                       besondere Produktion im Kinderopernhaus Unter den Linden, die Kinder und Opernprofis
hier spielen die Kinder.“ (Lara, 12 Jahre)                            gemeinsam entwickeln und im Alten Orchesterprobensaal der Staatsoper aufführen.
Ein Ort, um Oper zu machen, als sei es das Selbstverständlichste      Mit seiner Arbeit will das Kinderopernhaus Berührungsängste abbauen, indem es Kin-
auf der Welt, das ist das 2010 von Regina Lux-Hahn initiierte Kin-    der für die Oper begeistert – und Musiktheater auch für die nächste Generation re-
deropernhaus für Kinder von 8 bis 12 Jahren, unabhängig von Her-      levant macht. Darüber hinaus eröffnet die aktive Beschäftigung mit Musiktheater
kunft und Bildungshintergrund. Das Kinderopernhaus startete in        vielfältige Bildungschancen und stellt eine Bereicherung der persönlichen
Lichtenberg als Kooperationsprojekt der Staatsoper Unter den          Entwicklung dar. In der kontinuierlichen Probenarbeit werden kreative Fä-
Linden, des Caritasverbands für das Erzbistum Berlin sowie des        higkeiten aktiviert, soziale Kompetenzen entwickelt und die Sprachent-
Bezirks Lichtenberg und entwickelte sich im Laufe der Jahre zu        wicklung gefördert: „Bildung durch Musik“ – das Anliegen Daniel Baren-
einem höchst erfolgreichen und nachgefragten kulturellen Bil-         boims wird hier immer wieder neu belebt.
dungsprojekt. Um noch mehr Kindern die Mitwirkung im Kin-             Das Kinderopernhaus wurde für seine erfolgreiche Bildungsarbeit
deropernhaus zu ermöglichen, verankerte die Staatsoper das            mit diversen Auszeichnungen gewürdigt (u.a. Ideen für die Bil-
Projekt stärker im Haus und begann mit Beginn des Schuljahrs          dungsrepublik 2013, Hidden Movers Award 2015, Best Practice des
2018/19 dessen Aktivitäten unter dem Namen „Kinderopern-              Programms „Kultur macht stark“ – Auszeichnung vom Verband
haus Berlin“ auf sechs Berliner Bezirke auszudehnen.                  deutscher Musikschulen 2017).
Über Lichtenberg hinaus sind in fünf weiteren Berliner Bezirken       Der Erfolg des Kinderopernhauses spricht für sich: In den ver-
umfangreiche Aktivitäten entfaltet worden, die Kindern eine ers-      gangenen Jahren haben über 400 Kinder begeistert an Produk-
te Begegnung mit der Oper ermöglichen. Neben den vier Kinder-         tionen des Kinderopernhauses teilgenommen, viele von ihnen
opernhäusern bilden die zehn Kinderoper-AGs an kooperieren-           über mehrere Jahre hinweg. Im laufenden Schuljahr sind über
den Grundschulen das Fundament. Diese Kinderoper-AGs sind             180 Kinder in die vielfältigen Aktivitäten des Kinderopernhau-
sehr niedrigschwellig konzipiert: Sie finden als freiwillige Veran-   ses Berlin eingebunden und erfahren unmittelbar durch aktives
staltung am Nachmittag statt und stehen allen Kindern ab der 3.       Mitwirken die Freude am Musiktheater.
Klasse offen. Es gibt keine Aufnahmebedingen, außer der Motivati-
on zur regelmäßigen Teilnahme über das gesamte Schuljahr hinweg.
Die jeweils ca. 10-15 teilnehmenden Schüler und Schülerinnen werden   Leitung Kinderopernhaus Berlin
pro Woche 90 Minuten von einer erfahrenen Musiktheaterpädagogin       Staatsoper Unter den Linden
                                                                      Unter den Linden 7, 10117 Berlin
                                                                      r.lux-hahn@staatsoper-berlin.de
                                                                      www.kinderopernhaus-berlin.de
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