Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6

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Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6
DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER

POLITISCHE STUDIE 6

Aufstehen!
Die Zukunft der Freiheitlichen
nach Ibiza und Wien-Wahl 2020

DEZEMBER 2020
Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6
FR E I L I C H � P O L I T I S C H E S T U D I E                            2                                             AU F S T E H E N !

Inhaltsverzeichnis

1.                      Einleitung                                                                                                      4

2.                      Lage                                                                                                            5
                                          2.1 Der Fall                                                                                   5
                                          2.2 Der blaue Riese schläft                                                                    6
                                          2.3 Die Partei des Problems                                                                    7

3.                      Positionen                                                                                                      9
                                          3.1 Martin Lichtmesz: Warum ich nicht wählen war                                             9
                                          3.2 Robert Willacker: Der letzte Akt                                                        11
                                          3.3 Andreas Unterberger: Warum die Freiheitlichen in der Krise sind                         13
                                          3.4 Andreas Unterberger: Was der Zukunft der FPÖ im Interesse Österreichs nottäte           14
                                          3.5 Werner Reichel: Neustart vor der Krise                                                  17
                                          3.6 Christoph Pöchinger: „Besser eine stabile 20-Prozent-Partei …“                          20
                                          3.7 Stefan Juritz: Populistische Alternative zum linksliberalen Establishment               22
                                          3.8 Stefan Magnet: Wer die Glaubwürdigkeit verliert, verliert alles                         23
                                          3.9 Elmar Podgorschek: Das Dilemma der dritten Kraft                                        25

4.                      Anhang                                                                                                       28
                                          4.1 Die Meinung der anderen                                                                 28
                                          4.2 Glossar                                                                                 29

                                                                                                                2
Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Das Magazin für
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Selbstdenker – jetzt
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    abonnieren!

                                                                                                                                                                                                                                                                           „Haltungs-
                                                                                                                                                                                                                                                                        journalismus?
                                                                                                                                                                                                                                                                         Nicht mit mir.“
                                                                                                                                                                                                                                                                                           Fakten, Reportagen, alternative Meinungen und mehr
                                                                                                                                                                                                                                                                                                      jetzt zweimonatlich im FREILICH-Magazin.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                             Bestellung unter freilich-magazin.at

                                                                                                                                                                                                                                                                        Freilich will ich ein Abo. Ich bestelle 6 Ausgaben als
                                                                              FREILICH

                                                                                         POLITIK
                                                                                         Interview: Der Philosoph Alain de
                                                                                         Benoist über Rechtspopulismus und
                                                                                         das Volk als Souverän. S. 10
                                                                              N o 10
                                                            FREILICH

                                                                       GESELLSCHAFT
                                                                                 WIRTSCHAFT
                                                                     Interview: Der Schriftsteller Thor
                                                                                        Die große Umverteilung
                                                                     Kunkel über Berufsverbote,     rechte

                                                                                                                                                                                                                                                                              Normal-Abo                                 Sozial-Abo*                              Förder-Abo
                                                                                        „Corona“ bringt
                                                                     Politik und die Lügenpresse.         große Eingriffe in
                                                                                                      S. 10
                                                            N o 09

                                                POLITIK
                                                                                        die Gesellschaft. S. 46
                                                Interview: Mission   R Eund
                                                                         P O Rheiliger
                                                                               T A G E Terror.
                                                Irfan Peci klärt aufSind
                                                                       überkurz
                                                                              die weg
                                                                                  Gefahren
                                                                                        ÖSTERREICH
                                                                                                                                                                                                     DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER
                                                des Islamismus für   WieEuropa.
                                                                        Europa     S. 10Der Kurz
                                                                           Bundeskanzler         Europa
                                                                                             Burschen  alteinHerrlichkeit
                                                                                                                                                                                                                                             Ausgabe No 10 / 2020
                               WIRTSCHAFT
                                                R E P O R TAG E
                                                                     den Stillstand geschickt   hat. S. 44Rolle spielen
                                                                                        Welche politische                                                                                                           freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00
                                                                                        Burschenschaften wirklich? S. 54

                                                                                                                                                                                                                                                                              für € 85,– / Jahr (DE € 94,–)              für € 49,– / Jahr (DE € 58,–)            für € 170,– / Jahr (DE € 192,–)
                               Interview: Kommt    die  Krise, oder
                                                Unter Menschenjägern:                                                                                                                                                    SEPTEMBER 2020
                               kommt sie nicht?Die
                                                 Erfolgsautor   MaxWesI Sganz
                                                     Antifa nimmt
                                                                           SENSCHAFT
                                                                                                                                                                        DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER
                                                                10 Der     Vaterpersönlich.
                                                                                  seiner Gänse
                                                ExtremistenS.gegen
                               Otte über den Systemcrash.              die Freiheit.
                                                                     Genialer          S.S30
                                                                                 Biologe
                                                                                          CHWERPUNKT
                                                                                          und Kulturkritiker:
                                                                                                                                                                                                               $XVJDEH1R̤̤
                                                                                                                                                                                        freilich-magazin.at Ǭ³ '(b̤&+)̤
FREILICH

            POLITIK
                               POLITIK                               Konrad Lorenz im Porträt. S. 78                                                                                                             JULI 2020
                                                CORONA
            Interview: Medientheoretiker  Norbert
                               Das trojanische Pferd:                                                                                        DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER
            Bolz über Selbstzensur              Die Virus-Krise mit Folgen:
                               Wasdes
                                    dieMainstreams
                                        Grünen zur echten GefahrS C H W E R P U N K T                                                                                                Ausgabe No 8 / 2020

                                                                                                                                                                                                                                                                        Erscheinungsweise zweimonatlich / 6 Ausgaben im Jahr. Das Abo verlängert sich bis auf Weiteres um den
            und gegen übles Geschwätz.  S. 10 Wiemacht.
                               für die Demokratie
                                                      sich der Stillstand auf uns alle
                                                             S. 44                                                                                     www.freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00
N o 05

                                                auswirken wird. S. 40                                                                                                          APRIL 2020
            REPORT              K R I M I N A L I TÄT
                                                                                                                    DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER
            Die endlose Geschichte
                                Wie kriminell dürfen
                                                   SCHW Ausländer
                                                          E R P U N K sein?
                                                                      T

                                                                                                                                                                                                                                                                        angegebenen Zahlungszeitraum zum gültigen Bezugspreis, wenn es nicht vier Wochen vor Ablauf schriftlich
                                                                                                                                                            Ausgabe No 7 / 2020
            Warum die FPÖ-Historikerkommission
                                Wie die Statistiken aus politischen                                                          www.freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00
            stets zum Scheitern Gründen    ist. S. 58 werden. S. 104
                                verurteilt geschönt
                                                                                                                                             FEBRUAR 2020
            DEUTSCHLAND

                                                                                                                                                                                                                                                                        gekündigt wird. * Für Schüler, Studenten, Wehrdiener ist ein Nachweis zu erbringen.
                                SCHWERPUNKT
                                                                                               DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER
            Wirtschaft gegen Nationalstaat:
                                                                                                                                Ausgabe No 5 / 2019
            Warum Rot-Grün das angelsächsische                                                      www.freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00
            Kapitalismusmodell umsetzen. S. 80                                                                         AUGUST 2019

                                   WirWir
            SCHWERPUNKT

                                                                                            Der kurze Sommer des Rechts-

                                      basteln
                                                                                            populismus ist vorbei. Manche
                                                                                            der Parteien brechen ein. Das

                                   schaff
                                      unsen
                                                                                            Establishment macht zu. Doch
                                                                                            politische Veränderung ist

                                          eine                                              wichtiger denn je.

                                   dasKrise Unpopulär        Alle auf die Knie! Denkmäler
                                                                                                                                                                                                                                                                        Vorname                                                    Nachname

                                                                                            rechts
                              Globalisierung,                stürzen! Establishment und Kon-

                                        ²0
                                                             zerne sind die Revolution! Ein
              Die etablierten Nahversorgung,
                              Medien          Wie unsere heile  Welt
                                                             Land  kriegt keine Luft mehr!
                              Weltencrash
              verlieren das Vertrauen ihrerundaus den Fugen gerät
                              Nulldefi
              Konsumenten. Kann eine   zit. Arbeiter,
                                              und wir sie stets neu
                              Angestellte undbauen müssen.
              neue Gegenöffentlichkeit
                              Unternehmer. Wir                            Schöne                                                                                                                                                                                        Straße                                                                         Hausnr./Stiege
              die Lücke füllen und aus der
                              sind Wirtschaft.
              Sackgasse der politischen
              Korrektheit ausbrechen?                                     neue Welt
              Wir sind
                                                                                         World Press Photo 2020 – Das sind die besten Pressefotos des letzten Jahres S. 60

                                                                       Fotoreportage – Alles im Fluss: vom Delta der Donau bis zur Schallaburg S. 66                                                                                                                    PLZ                  Wohnort                                                                 Land
              so frei!                              Reportage Lesbos – So explosiv ist die Lage auf der Flüchtlingsinsel S. 76

                               Fotoreportage: Syrien – Hilfe vor Ort. Wie Heimkehrer eine neue Heimat finden. S. 68
                                                                                                                                                                                                                                                                        Telefon                                                    E-Mail
            „Game of Drones“ – Die Geschichte der Drohnen in Krieg und Frieden S. 64

                                                                                                                                                                                                                                                                        Ich will FREILICH verschenken:

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                                                                         absenden                                                                                                                                                                                       Straße                                                                         Hausnr./Stiege

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                                                                       Mandellstraße 7                                                                                                                                                                                  der Marktforschung durch den Verlag gespeichert und genutzt werden. Vertrauensgarantie: Eine Weitergabe meiner Daten
                                                                       8010 Graz                                                                                                                                                                                        an andere Unternehmen erfolgt nicht. Meine Einwilligung kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.
                                                                       Österreich
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Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E                4   AU F S T E H E N !

1. Einleitung
Ibiza, Europawahl, Spesenskandal, Wienwahl … Die Frei-
heitliche Partei schüttelt es ordentlich. Und wieder einmal,
nachdem sie luftige Höhen erreicht hatte, zieht es sie nach
unten, reißt es Lücken in die Reihen, wenden sich Wähler
enttäuscht von der FPÖ ab.
    Die vermeidet einerseits aus verständlichen Gründen
eine inhaltliche Diskussion. Andererseits wäre genau jetzt
ein klarer Kurs gefragt.
    Das FREILICH-Magazin hat die unterschiedlichsten
Autoren gebeten, ihre Meinungen und Analysen zu den
Problemen und Herausforderungen der Freiheitlichen für
die Zukunft niederzulegen. Sie tun das in der Gewissheit,
dass es einerseits eine freiheitliche Kraft im Lande braucht,
dass man sich aber andererseits auch Gedanken machen
muss, wie gewisse Probleme zu vermeiden sind, die den
Charakter dieses politischen Lagers scheinbar prägen.
    Wir fassen die sehr unterschiedlichen Texte in dieser
Politischen Studie unter dem auffordernden Titel „Aufste-
hen!“ zusammen.
    Da ist der Rechtsintellektuelle Martin Lichtmesz, der
bekennt, dass er diesmal die FPÖ nicht gewählt hat. Da ist
der erfolgreichste Blogger Österreichs, Andreas Unterber-
ger, der die Krise analysiert und der FPÖ auch ein paar per-
sönliche Tipps mitgibt. Robert Willacker und Christoph
Pöchinger raten konkret, die Partei solide und mit klarer
Haltung auszurichten. FREILICH-Kolumnist Werner Rei-
chel weiß, dass in der kommenden Krise eine freiheitliche
Alternative gefragt und eine Wurzel für einen neuerlichen
Aufschwung angelegt ist. TAGESSTIMME-Chefredak-
teur Stefan Juritz will, dass die FPÖ am Puls des Volkes
bleibt. Kolumnist Stefan Magnet fordert die Glaubwürdig-
keit der Freiheitlichen ein, denn ohne Glaubwürdigkeit sei
letztendlich alles nichts.
    Zusätzlich sammeln wir wichtige Stimmen zur Diskus-
sion und stellen in dieser Politischen Studie auch Presse-
stimmen zum Thema vor.

Redaktion FREILICH
3. November 2020
Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E                5                                                     AU F S T E H E N !

2. Lage                                                             tieren, holte man mit 28 Prozent gar den ersten Platz. Bei
                                                                    Wählern, die mit dem Einkommen nicht auskommen, war
                                                                    man mit 17 Prozent Zweiter – nur hinter der SPÖ.
2.1 Der Fall                                                            Auch inhaltlich waren Reizthemen das gewohnt starke
                                                                    Wahlmotiv. Blaue Wähler diskutierten häufiger als An-
Die Wienwahl ist geschlagen, vier Fünftel der blauen Wäh-           hänger anderer Parteien über Corona, Einwanderung, In-
ler sind weg. Im Vergleich zu Umfragen der Jahre 2016/17,           tegration, Arbeitsplätze, Lebenskosten. Auch das ist eine
als man teilweise die 40-Prozent-Marke knackte, ist der Be-         Konstante – bei anderen Parteien gab es keinen merklichen
fund sogar noch ärger. Naturgemäß beginnen nun Debatten             Anstieg der Debatte in diesen Bereichen.
darüber, ob man mit dem richtigen Personal, den richtigen               Die „soziale Frage“ ist für die FPÖ ein wichtiges Re-
Schwerpunkten, dem richtigen Auftreten ans Werk ging.               servoir, sie ist in Kombination mit dem verknüpften Mi-
    Auffällig ist dabei, dass laut SORA-Wählerstromana-             grationsthema zweites Standbein. Die Idee der „sozialen
lyse von den 204.848 verlorenen Stimmen gleich 101.000,             Heimatpartei“ ist für Wähler weiterhin attraktiv. Beschä-
fast die Hälfte, ins Nichtwählerlager wechselten. Dieser            digte Glaubwürdigkeit in diesem Bereich führte nicht zur
Block von Leuten, für die die Freiheitliche die einzige wähl-       scharenweisen Abwanderung zu SPÖ und ÖVP, die jeweils
bare Partei bleibt, aber diesmal eben nicht wählbar war, ist        nur eines der beiden Themen bespielen. Lieber blieb man
also groß.                                                          gänzlich fern.

Wählerpotenzial in der Warteschleife                                Freiheitliche Inhalte als Marke unbeschädigt
Der Mitbewerber im eigenen Lager und eine im Gegensatz              Der Wähler weiß, wofür die FPÖ steht. Die Wirksamkeit
zur vorigen Wahl im blauen Kernthema der Identität und              der populistischen Parole ist so stark, dass sie kaschiert,
Einwanderung deutlich schärfere Volkspartei übernahmen              wenn freiheitliche Klubs bei parlamentarischen Abstim-
nämlich zusammen „nur“ etwa 60.000 Stimmen, die bei                 mungen nicht immer dieser Leitlinie folgten. Dem Wähler
dieser Wahl weitere etwa 8,22 Prozent wert gewesen wären.           vermittelte man trotzdem jahrelang glaubwürdig, Politik
Selbst ohne diese Verluste hätte man sein vorheriges Ergeb-         für „unsere Leute“ zu machen. Bei einer Neuausrichtung
nis also halbiert.                                                  wäre es fatal, den Populismus gänzlich über Bord zu werfen.
    Ähnliches zeigte sich bereits bei der Nationalratswahl              Dieser steht nicht im Gegensatz zu solider und konsens-
im Vorjahr, als man bundesweit zwar 258.000 Stimmen an              orientierter Sachpolitik. In Oberösterreich, wo man mitre-
die ÖVP verlor, aber immerhin auch 235.000 an die Nicht-            giert, verfügt man über gute Umfragewerte (zuletzt 22–26
wähler. Das Wählerpotenzial ist somit zu einem Gutteil              Prozent). Ein weiteres Indiz ist das Ergebnis auf Bezirksebe-
nicht verloren, sondern nur „geparkt“. Beide Hälften mo-            ne in Wien-Simmering. Während die Partei trotz des wien-
bilisiert man somit kaum durch „Anbiederung“, sondern               weiten „Topergebnisses“ von 14,89 Prozent zwei Drittel der
durch glaubwürdige Alleinstellungsmerkmale.                         Stimmen einbüßte, konnte Ex-FPÖ-Bezirksvorsteher Paul
    Die SPÖ, in deren Milieu man seit Jahren rekrutierte,           Stadler im Grätzel stolze 28,44 Prozent der Stimmen auf
profitierte noch weniger – mit 39.000 holte sie zwar um             sich vereinen.
6000 mehr Stimmen von den Blauen zurück, als bei der letz-              Die wichtigste Botschaft an die Freiheitlichen ist somit,
ten Wahl verloren gingen. Weiter Teile ihrer Wählerschaft           dass die Wahlniederlage das Resultat eines Glaubwürdig-
gingen die Roten allerdings schon bei früheren Urnengän-            keitsproblems war. Keine Probleme hat der Wähler mit
gen verlustig: Dass der „rote“ Gemeindebau 2015 zu 47 Pro-          ihren Standpunkten oder ihrer Sachpolitik. Wo diese sich
zent blau wählte, war Folge eines langjährigen Trends.              konsequent entfalten kann, ist die Partei weiter stark – un-
    Gerade in von Arbeitern geprägten Flächenbezirken               abhängig davon, ob das Personal selbst einen „bürgerliche-
verlor die FPÖ zwar besonders stark, aber blieb dort im             ren“ oder „schärferen“ Stil präferiert.
Wiener Vergleich trotzdem stark. SPÖ und ÖVP profitier-
ten kaum; in Simmering, Meidling, Floridsdorf und der               Glaubwürdigkeit als oberste Pflicht
Donaustadt schwand die Wahlbeteiligung weit über dem                Die Glaubwürdigkeit als Crux bestätigt auch, dass „Poli-
städtischen Schnitt, teils um weit über zehn Prozent.               tikverdrossenheit“ mit 38 Prozent der häufigste Grund für
                                                                    Nichtwähler war, zu Hause zu bleiben. Schon die Ibiza-Af-
Bei Arbeitern und sozialen Fragen stark                             färe als vermeintliches „Sittenbild“ war nicht annähernd
Trotz Totalabsturz hielt die FPÖ aber einige demografische          der gleiche Genickbruch wie Straches Spesenaffäre. Diese
Bastionen. Arbeiter wählten zu 26 Prozent freiheitlich.             war vor allem den „einfachen“ Bürgern nicht begreiflich.
Bei Personen, die Wien abnehmende Lebensqualität attes-                 Die Dauerhaftigkeit des folgenden Streites mit dem Ex-
Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6
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Obmann tat ein Übriges – Streithähne sind umso unbelieb-             zusammeln; für die FPÖ sollte eigentlich kaum noch
ter, wenn eine Partei damit wirbt, „anders“ zu sein. Auch            etwas übrig blieben bzw. kein Platz mehr sein.“
die deutsche Schwesterpartei AfD kann vom Richtungs-                     Während die Freiheitlichen in Wien aus leichter
streit weder in sozialpatriotischen Hochburgen im Osten              Verzweiflung teilweise eine Kampagne à la „How low
noch bei bürgerlich-konservativen Westverbänden profitie-            can you go“ gefahren sind, haben sich die Türkisen kon-
ren. Detail am Rande: Auch Letztere haben in Arbeiterbe-             zis auf freiheitliche Themen gestürzt und diese schön
zirken ihre besten Wahlergebnisse.                                   bearbeitet: den Ausländerextremismus in Favoriten und
                                                                     seine grünen Freunde, den Kinderimport aus Moria.
Einigkeit als Trumpf der Außendarstellung                            „Vor diesem Hintergrund überrascht es sehr, dass von
Personelle Debatten und solche über die inhaltliche Aus-             der Viertelmillion Stimmen, die die FPÖ vor fünf Jah-
richtung sind wiederum intern und mit Akteuren im eige-              ren erreicht hatte, jetzt nur 43.000 an die ÖVP gingen“,
nen Lager zu führen und nicht über etablierte Medien. In             analysiert Huber. „Vor allem, wenn man bedenkt, dass
den Umfragen der letzten Jahrzehnte litt die FPÖ am ehes-            die SPÖ ohne vergleichbare Töne immerhin 32.000
ten dann, wenn alles schon gesagt wurde, aber nicht von              übernehmen konnte. Das ist nicht so viel weniger.“
jedem. Dies hätte die Partei schon aus den Verwerfungen                  Die FPÖ selbst sei ja von mehr als 250.000 Stimmen
nach Knittelfeld lernen können – und eigentlich müssen.              auf rund 50.000 eingebrochen, so „Die Substanz“: „Das
    Die Pflicht zur Geschlossenheit gilt auch für die Unsit-         unterstreicht: Sehr viele Menschen haben sich zwar von
te, sich auf Zuruf von Teilen des eigenen Lagers zu distan-          ihr ab-, aber keiner anderen Partei zugewendet. Tat-
zieren. Der Wähler schätzt es nicht – und der politmediale           sächlich sind laut SORA-Wählerstromanalyse rund
Betrieb hat kein Interesse einer starken FPÖ, sondern lan-           100.000 zu Hause geblieben. Sprich: Rechts von der
ciert diese Anwürfe, um zu spalten. Will man dank der „ge-           ÖVP bleibt Freiheitlichen oder sonst jemandem, der
parkten“ Wähler wie Phönix aus der Asche auferstehen, ist            mag und sein Geschäft beherrscht, sehr, sehr viel Poten-
es sinnvoll, Geschlossenheit als Partei und als schützende           zial; diese Leute sind abholbar.“
Hand über dem gesamten Lager zu demonstrieren.                           In den 2000er-Jahren habe die FPÖ bei ihrem da-
                                                                     maligen Absturz „relativ mehr Leute an andere Parteien
                                                                     und weniger an die Gruppe der Nichtwähler verloren.
                                                                     Das ist um einiges schwerwiegender“. Die Bilanz der
2.2 Der blaue Riese schläft                                          „Substanz“: „Es ist leichter, jemanden zurückzuholen,
                                                                     der zwischendurch einfach nur zu Hause geblieben ist,
Die FPÖ hat verloren? Aber wo sind all ihre Wähler hin?              als jemanden, der zu einer anderen Partei gegangen ist;
Die Antwort ist überraschender, als manche erwarten.                 da ist mehr Überzeugungsarbeit nötig, um diese Person
    Die Wienwahl 2020 ist von der SPÖ verloren worden.               wieder zu einem Wechsel zu bewegen.“
Wirklich? Ja, weil die FPÖ 23 Prozent verloren hat, jedoch               Die FPÖ habe damals trotzdem ein Comeback
die Sozialdemokraten wenig aus dem früheren FPÖ-Pool                 zustande gebracht: „Statt Jörg Haider stand Heinz-
abbekommen haben. Am Wahlabend haben sie ihrer Ent-                  Christian Strache an der Spitze. Und die Partei stieg bei
täuschung darüber keinen Ausdruck verliehen, langfristig             Gemeinderatswahlen noch höher, nicht ‚nur‘ auf 27,9
werden sie das aber merken. Die zweite Partei, die ernüch-           Prozent (1996), sondern auf 30,8 Prozent (2015). Na-
tert sein darf, ist die ÖVP. Sie hatte ja einen Wahlkampf            türlich: Das muss sich nicht genau so wiederholen. Man
geführt, der auf „Freiheitlich light“ abzielte. Auch das hat         sollte gewisse Möglichkeiten jedoch nicht übersehen“,
nur bedingt gewirkt, obwohl der größte parteiliche Kon-              mahnt Johannes Huber.
kurrent der Freiheitlichen im Moment die Türkisen sind.                  Und er mahnt das wohl zu Recht: Wenn die Frei-
Bei der Nationalratswahl vor genau einem Jahr hatten sie             heitlichen jetzt nicht auf die Idee kommen, die Tür-
jede zweite Stimme übernommen, die die Freiheitlichen                kisen, die sie kopiert haben, ihrerseits kopieren zu
verloren. Diesmal nur jede fünfte.                                   wollen, und sich auch nicht ins eigene Schneckenhaus
    „Das ist im Grunde genommen sogar alarmierend für                zurückziehen, um auf enttäuschte traditionalistische
die Türkisen, aber auch für all jene, die glauben, die extreme       Prä-Haider-Nationalliberale zu machen, bleibt das gro-
Rechte sei hier nachhaltig geschwächt worden“, schreibt der          ße Potenzial, das von einer modernen und intelligenten
Journalist Johannes Huber in seinem Blog „Die Substanz“:             rechtspopulistischen Bewegung abgeholt werden kann.
„In Abwandlung einer Ansage von Franz Joseph Strauß                  Die Probleme des Landes haben sich nicht verändert.
verfolgt die neue ÖVP das Ziel, mit ausgeprägtem Rechts-             Der blaue Riese schläft nur, er muss wieder erwachen.
populismus möglichst viele Stimmen rechts der Mitte ein-             Und er muss sich wieder anstrengen …
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2.3 Die Partei des Problems                                         sondern einige. Für die meisten von ihnen war die FPÖ
                                                                    lange Zeit das Ventil. Diese Funktion – Protestpartei und
Wenn die Freiheitlichen meinen, dass sie sich jetzt um jeden        gleichzeitig Sprachrohr des Volkes, also des viel zitierten
Preis in eine „normale“ Partei schrumpfen müssten, sollten          „kleinen Mannes“ – haben die Freiheitlichen glaubwür-
sie mal überlegen, warum sie fast 30 Prozent hatten. Ein            dig verkörpert. Eben nicht, weil da ein Bürgertum gewesen
Plädoyer für den Populismus:                                        wäre, das sie sein wollte, sondern weil sie den politischen
    Höhen und Tiefen liegen bei den Freiheitlichen nur              Willen des einfachen Volkes hinter sich wusste: Die FPÖ
wenige Jahre auseinander: mal fast 30 Prozent, dann rapid           war so die Stimme des „populus“.
wieder hart an der Fünfprozentgrenze. Dazu mal relativ
fundamentale Opposition, mal konstruktive Regierungs-               Die Probleme des Landes
beteiligungen – aus denen sie dann aber immer wieder raus-          Es gab auch ideale Bedingungen dafür: Da war das Pro-
fallen. Der Schock der Wienwahl wiegt schwer. Und auch              blem des Proporzes. Die rote und die schwarze Macht hat-
der Versuch, innerparteilich jede Diskussion über das Er-           ten sich wie ein lähmendes Tuch über das Land gelegt und
gebnis und seine Vorläufe zu verhindern, ist organisatorisch        für Verteilung und Stillstand gesorgt. Der jugendliche Jörg
verständlich, aber nicht zielführend. Die Menschen, die             Haider agierte dagegen wie ein rotzfrecher Provokateur, der
sich abwandten, sind nicht nur gegangen, weil sie von der           im spitzzüngigen Angriff auf das großkoalitionäre Vertei-
FPÖ schockiert waren.                                               lungssystem, von dem immer mehr Menschen die Schnauze
    Sie sind weg, weil sie keine Erklärungen bekommen ha-           voll hatten (sogar solche mit entsprechendem Parteibuch),
ben, dafür aber so manches würdelose Schauspiel von Men-            stets die Lacher auf seiner Seite hatte. Zur Robin-Hood-At-
schen, die Fehler begangen haben, und von anderen, die kei-         titüde kam ein modernistischer Stil des Wahlkampfes, der
ne Fehler gemacht haben, allerdings auch nicht reflektieren         die Altparteien alt ausschauen ließ. Auch das hat sich – Ne-
wollen. Reflexion ist obendrein von denjenigen, die mit den         benbemerkung – für die FPÖ heute geändert: Ihr Stil wirkt
zwei Ibizanten jahrelang zusammengearbeitet haben, eben-            eingeschliffen und lässt sie selbst irgendwie alt ausschauen,
falls nicht gekommen. Genau das vertreibt Menschen, weil            was nicht nur ein ästhetisches Problem ist, sondern in der
damit ein unglaublicher Einbruch in die politische Glaub-           Bewegungskunde diskutiert werden muss.
würdigkeit der Freiheitlichen passiert ist. Wortlos über die            Das andere Problem, an dem die Freiheitlichen seit Hai-
Probleme hinwegzugehen, führt zum politischen Kontakt-              der gewachsen sind, war stets der ethnische Wandel in der
abbruch der Klientel, die sich „verarscht“ fühlt.                   österreichischen Gesellschaft, die Folgen der Zuwanderung.
                                                                    Als die Haider-FPÖ im Jahre 1992 ein Volksbegehren „Ös-
„It is not the populism, stupid“                                    terreich zuerst“ startete, wurde das noch als sehr provokativ
„It is not the populism, stupid“, was die Wähler verschreckt        wahrgenommen. Heute sind die Positionen von damals ei-
hat. Im Gegenteil, der ist recht vital vom türkisen Erlöser         gentlich Allgemeingut. Nur das Problem der Migration hat
übernommen worden und wird konsequent so gespielt, dass             sich nicht im Geringsten verkleinert. Der Austausch in vie-
der Klonkrieger Kurz einen auf „FPÖ light“ macht. Dabei             len Wiener Bezirken ist lebendiges Symbol dafür, dass die
ist seine Partei an sich genauso ein Wrack wie die heimische        Herausforderung nicht nur präsent ist, sondern längst ein
Sozialdemokratie, allerdings kaschieren der Wunderknabe             Kippen eingeleitet ist, das irreversibel bleibt. Migration, so
und sein Team, die das Raumschiff ÖVP fliegen, die Risse            ein Kern des Problems, ist allemal eine Einbahnstraße. Mi-
in der Fassade und präsentieren eine vitale Volkspartei als         gration und alle Folgeprobleme – von sozial bis Sicherheit
Potemkinsches Dorf, das aber der Zaubertrank Macht am               – bleiben aber auch weiter die oberste Priorität im Lande.
Leben hält, während man beim großkoalitionären Gegen-                   Die Partei des Problems hat nur dann selbst ein wesent-
über anschauen kann, wie fatal Machtentzug die Sozialde-            liches Problem, wenn sie sich das Thema halbwegs aus der
mokratie auszehrt. Und wie froh man ist, dass wenigstens            Hand nehmen lässt. Beziehungsweise: wenn sie nicht lö-
die Hochburg Wien gehalten wurde …                                  sungsorientiert und konkret an das Problem herangeht –
     Die Hochburgen der Freiheitlichen schwinden. Und               und diesen gelassenen, engagierten Zugang den Türkisen
sie werden das weiter tun, wenn die Partei nicht zu einer           überlässt. „How low can you go“ kann – siehe Wien – auch
Trendumkehr findet, die auch eine Selbsterklärung ist. Ein          sehr locker zu einer üblen Karikatur werden. Die FPÖ soll-
bürgerlicher Kurs ist eine schöne Sache, aber er ist nur ein        te sich obendrein auch darüber klar sein, dass sie nicht nur
Teil des Erfolges der Freiheitlichen, die seit der Abkehr von       die Partei derjenigen ist, „die schon länger da sind“, sondern
der nationalliberalen Honoratiorenpartei in Österreich im-          dass sie durchaus die Partei derjenigen sein sollte, die später
mer die „Partei des Problems“ waren. Und das ist verein-            eingewandert, aber mittlerweile in dieser Gesellschaft an-
facht gesagt, denn dieses Land hat nicht nur ein Problem,           gekommen sind.
Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6
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Jörg Haider und HC Strache                                            ralischer Enttäuschung über alle möglichen Facetten führen,
Ein anderes Problem liegt in der Partei – und es ist seit ihrer       die eine Partei zerlegen können. Deswegen waren es sowohl
Entfaltung zu einer rechtspopulistischen Kraft nicht ge-              der Stil von „Ibiza“ wie auch die folgenden Spesenrechnun-
löst worden. Die Probleme der Gesellschaft sind sozusagen             gen, die tiefe Einschnitte hinterlassen haben. Dass Whats-
„rechts“, deswegen auch der leichte Erfolg des Rechtspopu-            App-Verläufe dann dokumentierten, dass „eh alle gleich
lismus (der bei anderen Themenfeldern wie Umweltschutz                sind“, ist auch keine entschuldigende Erklärung für den ge-
erstaunlich wenig zu sagen weiß). Das schnelle Wachstum               lernten Österreicher (und ja, Veränderung und Konstanz in
der FPÖ hat immer auch zu Problemen in der Partei geführt.            diesem Staat passiert auch, indem Personen auf bestimmte
Hier das „Dritte Lager“, da die Dynamik der Buberlpartie,             Posten gesetzt werden und andere, die politisch nicht zuver-
mit der Haider einen neuen Stil ausleben wollte. Und auch             lässig sind, gehen müssen).
an der traditionellen Struktur gescheitert ist. Die hatte er              Nachhaltig wirkt auf die Partei auch die hartnäckige Fa-
ebenfalls ausscheiden wollen, indem er das eigene Kind, seine         schisierungsstrategie von außerhalb, die die Freiheitlichen als
erfolgreiche Partei, weglegte, um eine neue rechtspopulisti-          konsequenten „täglichen Einzelfall“ präsentiert hat, der eine
sche Partei zu gründen, die er – italienisch gesprochen: post-        braune Spur von der Gründung bis heute ziehe. Selbst wenn
faschistisch – als reine Bewegung sah, die mit der Geschichte         es Menschen gibt, die an bestimmten Tagen Eiernockerln
gebrochen hatte. Doch sein Bündnis mit der Zukunft hatte              posten, steht die Partei der Zuschreibung stets fassungslos
keinen Bestand.                                                       gegenüber, einem Deutungsdruck ausgeliefert, dem sie wenig
    Letztendlich war HC Strache das inhaltliche Original –            mehr entgegengesetzt hat als ein oberflächliches 1848er-De-
und Haider weniger. Und aus dem kleinsten gemeinsamen                 mokratiepathos. Der „Fail“ der FPÖ war, dass sie die links-
Nenner derjenigen, die Haider nicht folgten und übrig ge-             extremen Netzwerke, die sich an ihr bespaßt haben, juristisch
blieben sind, ist eine neue FPÖ geworden. Deren Kern ist im           vollkommen ungestört entkommen ließ, auch wenn klar ist,
Überlebenskampf deutlich klassisch-freiheitlicher als bei der         dass diese Netze nicht im luftleeren Raum stehen.
Haider-FPÖ, weil es vielerorten die Leute aus den Kerngrup-               Seltsam bleibt die Erfahrung, dass eine Partei mit durch-
pen des schrumpfenden Dritten Lagers waren, die die Struk-            aus intelligenten Menschen noch keine intelligente Partei
tur aufrechterhalten haben, bevor es zu neuem Wachstum                macht. Und das größte Problem ist, dass jetzt die Probleme,
kommen konnte.                                                        die den Erfolg der Partei befördert haben, der FPÖ aus der
    Die FPÖ war weiter die Partei des Problems, weil sich die         Hand genommen werden. Der Schmiedel Sebastian spielt
Probleme nicht gewandelt hatten. Und weil die Leute zum               jetzt den Schmied. Damit nimmt man den Freiheitlichen
Schmied gingen und nicht zum Schmiedel. Die Masse der                 auch die dynamische Entwicklungsmöglichkeit, und der
FP-Wähler konnte sich mit ihr identifizieren, ohne an ideo-           Rückfall in einen politischen Traditionalismus mag zwar
logische Kernthemen des klassischen Dritten Lagers glauben            im ersten Moment stabilisierend wirken, aber schlüssig ist er
zu müssen. Daran hat sich auch die Partei orientiert und sich         nicht: liberal in Voralberg, konservativ in Oberösterreich, ir-
von einer überschaubaren nationalliberalen Gemeinschaft zu            gendetwas in Wien, zerstritten in Salzburg, abgewirtschaftet
einer sozialen Heimatpartei gewandelt.                                in Kärnten, so präsentiert sich die aktuelle Lage.
    Gleichzeitig lebt der Populismus aber auch immer von                  Es wird Zeit für eine politische Erneuerung der Freiheit-
einer inhaltlichen Unschärfe. Das hat bei den Freiheitlichen          lichen, damit sie mit einheitlicher und starker Stimme die
dazu geführt, dass sie nie irgendwie vertiefende Inhalte ent-         realen Probleme der Bevölkerung in Österreich glaubwürdig
wickelt haben. Schaut man sich die politische Literatur aus           aufgreifen können. Damit sie als politische Kraft in der Re-
dem Parteiumfeld der letzten 20 Jahre an, ist das eher trau-          publik eine demokratische Stimme erhebt, die als Ausdruck
rig. Außerdem hat man dazu wenig Zeit, wenn man im per-               des Volkes auch Kritik an den Zuständen einbindet und
manenten Wahlkampf lebt. Obendrein ist man zu viel Be-                Hoffnung auf Veränderung gibt, selbst Verantwortung über-
wegung und hat keine statischen Elemente entwickelt, die              nimmt und kalkulierbare Zuverlässigkeit bietet. Eine frei-
langfristig wirken könnten. Die Probleme sind sowieso da,             heitliche Volkspartei, die als rechtspopulistisches Angebot
sie wirken aus dem Bauch und sorgen für die nötige Breite.            den nötigen Wandel im Land anführt und als konstruktive
Warum, wenn es sowieso vorwärts geht, in die Substanz in-             Kraft, die Verantwortung will, auch umzusetzen anstrebt.
vestieren …? Und so rächt sich der Erfolg um so nachhaltiger,         Dazu wird sie mehr und längerfristige intellektuelle Tiefe
wenn er nicht mehr da ist.                                            ebenso brauchen wie Offenheit für die Interessen des „klei-
                                                                      nen Mannes“. Politisch wird sie nur dann ein neues Drittes
Bewegung ohne Tiefe                                                   Lager werden, wenn sie einen Pluralismus im rechten Mosaik
Die Bewegung ohne Tiefe ist nämlich gefährdet durch zu-               zulässt und vielfältige Initiativen unterstützt, die die Veran-
sätzliche zentrifugale Kräfte, die von menschlicher und mo-           kerung neuer Ideen in der Gesellschaft möglich machen.
Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6
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3. Positionen                                                          wünschte Botschaft eintrichtern, und diese Massen sind
                                                                       bekanntlich außerordentlich leicht manipulierbar. Dies hat
                                                                       nicht zuletzt die laufende Coronavirusdressur der Regierung
3.1 Warum ich nicht wählen war                                         unter Beweis gestellt, die offenbar mit Begeisterung entdeckt
                                                                       hat, wie gut sich Panikmache zur Machtsicherung eignet. Die
                                                                       FPÖ, leider die einzige Partei, die sich des außerordentlich
VON MARTIN LICHTMESZ
                                                                       schicksalhaften Einwanderungsthemas angenommen hat, hat
Ich bin bei der diesjährigen Wienwahl zu Hause geblieben und           in Österreich immer ein bisschen mehr mitreden können als
folgte damit, ohne es zu wissen oder zu ahnen, einem größeren          andere europäische Rechtsparteien, aber dennoch bleibt auch
Trend. Die größte Gruppe waren dieses Jahr die Nichtwähler,            sie das ewige Schmuddelkind, das nicht zu 100 Prozent in den
rund 435.000. Davon waren satte 100.000 ehemalige FPÖ-                 Sandkasten passt, den sich früher Rote und Schwarze über
Wähler, wie eben auch meine Wenigkeit.                                 Jahrzehnte hinweg alternierend geteilt haben.
    Ich vermute, dass viele von ihnen ähnlich dachten und fühl-            Man empört sich über Straches großmäuliges Geschwätz
ten wie ich, darum werde ich diese Stellungnahme eher subjek-          in dem Ibiza-Video, das uns nur passend zurechtgestutzt prä-
tiv halten. Grundsätzlich bin ich ein ausgesprochener Wahl-            sentiert wurde, aber gegenüber dem Paten Kurz und der ÖVP-
muffel. „Sie sind kein Demokrat, Lichtmesz“, könnte man mich           Mafia ist er nur ein Möchtegerngauner aus einem B-Movie.
nun rügen, wie einst Gerhard Bronner Travnicek-Qualtinger,             Man muss zugeben, dass die Strategie der ÖVP genial war: Sie
und das wäre nicht einmal verkehrt. Das Bonmot „Wenn Wah-              hat Anliegen der Migrations- und Asylpolitik, die im blauen
len etwas ändern würden, wären sie längst verboten“, das unter         Eck verstaut waren, absorbiert, weichgespült, blütenreinge-
anderem Kurt Tucholsky zugeschrieben wird, hat sich gerade             waschen und in einen salonfähigen, „zentristischen“ Rahmen
in den letzten Jahren ziemlich deutlich bestätigt. „Demokra-           eingepackt. Nun konnte man diese Probleme dem sauberen
tie“ bedeutet in Österreich wie auch in den meisten anderen            Sebastian anstelle des polternden Heinz-Christian anvertrau-
Ländern die dauerhafte Herrschaft eines Machtkartells, das             en, der glücklicherweise auch rasch entsorgt wurde wie eine
sich gründlich gegen jede echte Opposition abgesichert hat.            lästige Warze. An seiner Stelle dackeln die nun fürs nationale
In Deutschland wurde der entsprechende Störenfried namens              und internationale Image günstigeren Grünen an des Kanz-
AfD von der CSU bis zu den Grünen unisono als „antidemo-               lers Seite. Berauscht von ihrer unverhofften Teilhabe an der
kratisch“ gebrandmarkt und mit allen Mitteln bekämpft. In              Macht, haben sie sich als äußerst gefügige und streichfähige
den USA hat es mit Donald Trump 2016 ein Außenseiter des               Koalitionspartner erwiesen.
Parteiensystems geschafft, das etablierte Gefüge zu sprengen,
und entsprechend bitter und verbissen wurde er seither von den         Die gründlich versemmelte Chance
Mainstreammedien, Big Tech, dem Tiefen Staat und dem Es-               Warum habe nun ich die FPÖ bzw. Herrn Nepp nicht ge-
tablishment beider Parteien bekämpft. Ob dieser Fremdkörper            wählt? Dafür gibt es mehrere Gründe, abgesehen von meiner
ausgeschieden wird oder ob er noch weitere vier Jahre als Stör-        grundsätzlich eher desillusionierten Haltung, was das gesam-
faktor bekommt, wird sich am 3. November zeigen.                       te System betrifft. Einerseits stimmt es, dass die türkis-blaue
    2016 ging ich nach einer halben Ewigkeit mal wieder ins            Regierung, die nach langen Jahren im Wartesaal endlich,
Wahllokal, weil ich zum ersten Mal überhaupt das Gefühl hat-           endlich zustande kam, mit unlauteren Mitteln bekämpft und
te, dass nun etwas Substanzielles auf dem Spiel stehe, dass eine       unter beispiellosen Druck von außen gesetzt wurde. Ande-
echte Veränderung möglich sei. Das hat sich bekanntlich als Il-        rerseits hätten die Kampagnen und Angriffe keine derartig
lusion erwiesen, was vermutlich auch mit einem Wahlsieg Nor-           zermürbende Wirkung entfaltet, wenn das Personal der FPÖ
bert Hofers so gekommen wäre. Meine damalige, für mich eher            weltanschaulich und charakterlich gefestigter gewesen wäre,
ungewöhnliche Motiviertheit korrespondiert mit meiner übli-            als es eben leider ist und offenbar bleiben will. Als besonders
chen Unlust, mich an Wahlen zu beteiligen: Am Ende wird ja             fatal hat sich erwiesen, die komplette Partei auf das Charisma
doch immer affirmiert, wer ohnehin schon im Sattel sitzt. Auf          eines Mannes zu bauen, der sich als inkompetent, selbstherr-
eine Stimme mehr oder weniger kommt es dann nicht mehr an.             lich und allzumenschlich-charakterschwach erwiesen hat.
Stimmabgaben sind Simulakren, die Teilhabe an dem politi-              Man hat versucht, sich linken Spielregeln anzubiedern, statt
schen Apparat suggerieren sollen, eine Art Opium für das Volk,         sie grundsätzlich infrage zu stellen, und man hat verabsäumt,
dem Mitbestimmung und Souveränität vorgegaukelt werden.                das metapolitische Feld zu bestellen, etwa im Bereich alterna-
                                                                       tiver Medien und außerparteilicher patriotischer Bewegun-
Das ewige Schmuddelkind                                                gen. Nach langem Warten hat die FPÖ ihre Chance noch
Wer jedoch wirklich mitreden will in der „Demokratie“,                 gründlicher versemmelt als im Jahre 2000 und sich anschlie-
braucht Geld, Macht und Medien, die den Massen die er-                 ßend in einer internen Schlammschlacht selbst zerlegt, zur
Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6
FR E I L I C H � P O L I T I S C H E S T U D I E                  10                                                       AU F S T E H E N !

Belustigung und Befriedigung ihrer Feinde.                                                  folgenreiche Themen sind, die allerdings
Wen wundert es, dass viele FPÖ-Wähler                                                       schwer zu kommunizieren sind, ohne poli-
das Vertrauen in ihre Partei verloren haben?                                                tisch korrekte Minenfelder zu betreten oder
    Hinzu kam ein ziemlich missratener                                                      ins Hetzerische abzugleiten. Sie sind unbe-
Wahlkampf. Man holte einfallslos die ur-                                                    quem und setzen einen gewissen Schmerz-
alten und schon damals eher dämlichen                                                       pegel voraus, der zur Zeit aber insgesamt
„Daham-statt-Islam“-Sprüche aus der Mot-                                                    nicht sehr hoch ist, außer in besonders be-
tenkiste, die vielleicht in Kombination mit                                                 troffenen Stadtteilen oder sozialen Schich-
der Rampensau Strache wirksam gewesen                                                       ten (so haben Strache und Nepp immer
waren, aber in Verbindung mit dem all-                                                      noch erhebliche Gewinne unter Arbeitern
zu glatten, allzu jungen, allzu profi llosen            Martin Lichtmesz                    verzeichnen können). Es ist leider so, dass
Stracheersatz Nepp wie eine witzlose Ko-                                                    Wien, wie es für Großstädte üblich ist, die
pie des Originals daherkamen. Überhaupt              wurde  1976  in Wien  geboren.         jüngeren Einwanderungsfluten weitgehend
war die Fixierung auf das Thema Islam                Nach Jahren in Berlin lebt er          „verdaut“ oder sich resigniert mit ihnen
eine schlechte Entscheidung: 2015 ist lan-            inzwischen wieder in seiner           abgefunden hat. Dabei bleibt auch unklar,
                                                        Heimat und arbeitet als             wer denn nun ein „echter“ Wiener ist und
ge vorbei, Wien hat die Asylantenwellen
                                                            freier Publizist.
weitgehend geschluckt, der Hype um den                                                      was „unser“ Wien ist. Selbst die in Wien
„Kulturkampf im Klassenzimmer“ ist wie-                                                     lebenden Bioösterreicher sind häufig „Zu-
der versandet, und bislang gab es auch noch                                                 gezogene“ (meine Wenigkeit gehört dazu),
keinen islamistischen Terroranschlag. Manche Plakate wa-                und   es gibt viele eingebürgerte Menschen mit europäischem
ren so plump, dass sie wie Parodien aus einem Deix-Cartoon              Migrationshintergrund, die seit Jahrzehnten in Wien le-
aussahen: Auf der einen Hälfte des Plakates chillte Traum-              ben. Die verbliebenen, immer mehr schwindenden Origi-
schwiegersohn Nepp mit ein paar lächelnden Tanten und                   nal-„Mundls“ können keinen ernsthaften Alleinanspruch
Omis („Für ihn gilt: Wiener zuerst!“), auf der anderen Hälf-            auf „ihr“ Wien mehr stellen. Ein weiterer Punkt ist, dass die
te spazierte ein fetter, unrasierter „Ausländer“ mit tumbem             FPÖ fast ausschließlich „negative“ Themen voller Bedrohung
Gesichtsausdruck und Halbmond auf dem Trainingsanzug                    und Stress bemühte, während praktisch alle anderen Parteien
mit einem Einkaufswagerl voller Geldscheine aus dem Ar-                 auf positive Wohlfühlbotschaften setzten. Sogar die Grünen
beitsamt davon. Völlig grotesk war ein Horrorfi lmplakat mit            hielten sich zurück mit Panikmache vor Klimakatastrophen
einer kreischenden Frau, die von einem maskierten, dunkel-              oder „rechter Gefahr“.
häutigen Mann bedroht wird („SPÖ, ÖVP, Grüne bringen
UNS in GEFAHR“), abermals kontrastiert mit Nepp, be-                    Man muss auch positiv FÜR etwas sein
gleitet von einer zufällig ausgewählten blonden Tussi, wie er           Die Angst vor dem Coronavirus hat das Asyl-, Islam- und
einen Freund-und-Helfer-Polizisten anstrahlt.                           Einwanderungsthema in den Schatten gestellt. Lockdown
                                                                        und ständig wechselnde, zum Teil unnachvollziehbare Re-
Unfreiwillig komische Plattheit                                         geln haben die Bevölkerung gereizt, unsicher und zukunfts-
Abgesehen von der unfreiwillig komischen Plattheit der Dar-             ängstlich gemacht und den Wunsch nach Normalität und
stellung: Es ist hirnrissig, zu glauben, dass ein solches Plakat        Stabilität genährt. Diese wird ihnen nun von denselben Leu-
in Wien, einer der sichersten Städte der Welt, irgendeine               ten angeboten, die diese Ängste täglich schüren. Die FPÖ
Zugkraft haben könnte. Zwischendurch muss irgendjemand                  muss wieder ihrer althergebrachten Rolle als Protest- und
den Kampagnenleitern ins Gewissen geredet haben, denn die               Oppositionspartei gerecht werden und an dieser Stelle klug
Plakate wurden nach einer Weile deutlich zahmer (wobei der              einhaken. Allerdings muss sie sich darauf einstellen, dass sie
Stephansdom, bedroht von feuerrot schimmernden, dräuen-                 auch hier nur beschränkten Erfolg haben wird: Die Gleich-
den Asylantenfluten, immer noch ein Schenkelklopfer war).               schaltung der Köpfe und Gefühle im Zeichen der „Corona-
Plötzlich entdeckte man auch ein zweites Thema außer Islam              viruskrise“ ist momentan enorm. In jedem Fall wird man als
und Ausländerbedrohung: die „Corona-Schikanen“, was ein                 bloße Ein-Thema-Partei mit inkompetentem und ignorantem
bisschen spät und ziemlich unglaubwürdig daherkam. Man                  Personal nicht mehr weiterkommen. Man muss auch positiv
kann das drehen, wie man will: Die Plakate waren durchweg               FÜR etwas sein, und hierzu bedarf es eines größeren, weit-
dümmlich, schrill und primitiv und konnten nur wenig an                 sichtigeren Konzeptes, das über ein paar suggestive Bildchen
die derzeitige Stimmung im Volk andocken.                               von Heurigenidyllen hinausgeht. Ich würde mich an dieser
    Nun bestreite ich nicht, dass Islamisierung und „Umvol-             Stelle bei Benedikt Kaiser umsehen und seinen „Solidari-
kung“ oder „großer Austausch“ immer noch wichtige und                   schen Patriotismus“ eingehend studieren.
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3.2 Der letzte Akt                                                     der damaligen Wahl zur FPÖ überwechselten. Doch auch
                                                                       die Einpreisung dieser Variable vermag eines nicht zu erklä-
VON ROBERT WILLACKER
                                                                       ren:
                                                                           Warum sind bei der Wahl am vergangenen Sonntag
„In der Politik sind Emotionen Fakten“ – dieser Satz des               über 100.000 (in Worten: einhunderttausend) ehemalige
verstorbenen CDU-Politikers Heiner Geißler zur wider-                  FPÖ-Wähler ins Lager der Nichtwähler übergewechselt?
sprüchlichen Natur der politischen Wirklichkeit transpor-                  Nun macht man sich naturgemäß nicht nur Freunde,
tiert auch eine Ahnung von der Verzweiflung, die sich zu-              sondern gerät schnell in den Verdacht der Besserwisserei,
weilen bei Protagonisten und Beobachtern des politischen               wenn man kurz nach einer verloren gegangenen Wahl die
Geschehens einstellen muss, wenn sie versuchen, gegen die-             vermeintlich genauen Gründe dafür zu kennen glaubt, je-
se Natur zu rebellieren. Einer, der diese Verzweiflung ken-            doch ist der Verfasser dieser Zeilen Bundesdeutscher, und
nengelernt hat, ist Dominik Nepp.                                      manchmal muss man dem Klischee auch entsprechen dür-
    Der Spitzenkandidat der FPÖ Wien bei der Land-                     fen.
tags- und Gemeinderatswahl 2020 hat als Person in diesem
Wahlkampf sehr viel richtiggemacht. „Presse“-Chefredak-                Die FPÖ hat keine Wähler, sie hat ein Publikum
teur Rainer Nowak hat Dominik Nepp in seinem Wahl-                     Wem daran gelegen ist, die Ursachen für den Absturz des
briefing – einer Art journalistischer Warteschleifenmusik              Dritten Lagers seit „Ibiza“ zur Gänze erfassen zu wollen,
– unlängst als „Eliteschulsprecher“ sowie als Stadtpartei-             der wird nicht umhinkommen, sich mit dem besonderen
chef „bürgerlichen Habitus“ bezeichnet und meinte das                  Verhältnis der FPÖ zu ihren Wählern zu beschäftigen,
durchaus positiv. Die Fähigkeit, sowohl auf dem Viktor-Ad-             denn dort liegt ein großer Teil des Debakels begründet.
ler-Markt im 10. Wiener Gemeindebezirk als auch in der                 Zugespitzt und etwas polemisierend kann man sagen: Die
sonntäglichen ORF-„Pressestunde“ einen authentischen                   FPÖ hat keine Wähler, sie hat ein Publikum. Und nirgends
Auftritt abliefern zu können, ist in der Politik rar gesät. Wer        wird das so deutlich wie in Wien.
dann noch die rhetorische und auch kognitive Begabung                      Sowohl Jörg Haider als auch Heinz-Christian Strache
besitzt, beide Auftritte in Sprache und Form strikt vonein-            haben zusammengerechnet Jahrzehnte darauf verwendet,
ander trennen zu können, hat als rechter Politiker in Wien             die freiheitlichen Anhänger aus einer volatilen Wähler-
nicht die schlechteste Ausgangslage.                                   schaft in ein getreues Publikum zu verwandeln. Haider
                                                                       und Strache kamen bald darauf, dass es bedeutend einfa-
Warum sind bei der Wahl über 100.000 FPÖ-Wähler ins La-                cher wäre und ihrer persönlichen Natur viel näher käme,
ger der Nichtwähler übergewechselt?                                    Wähler durch den Zauber der Inszenierung auf sich persön-
Die Erklärung, wonach die Gründe dafür allein in den                   lich einzuschwören, statt sie mit langwieriger ideologischer
Causen „Ibiza“, Spesenaffäre und Strache-Absplitterung zu              Überzeugungsarbeit mühevoll an die Partei zu binden. Die
finden seien, greift zu kurz.                                          großen ideologischen Leitlinien und freiheitlichen Identi-
    Und doch muss Dominik Nepp nun kraft seiner Posi-                  täten, wie etwa das Selbstverständnis als Teil der deutschen
tion als Spitzenkandidat und Landesparteichef das schlech-             Nation, die Gegnerschaft zur katholischen Kirche und ih-
teste FPÖ-Ergebnis bei einer Landtags- und Gemeinderats-               ren Symbolen sowie der liberale Kampf gegen überbordende
wahl der letzten Jahrzehnte mit verantworten. Die Suche                staatliche „Law-and-Order“-Fantasien, wurden zugunsten
nach den Ursachen für den – zumindest in dieser Höhe –                 der Stimmenmaximierung sukzessive aufgegeben oder im
unerwarteten Absturz der FPÖ in Wien führt naturgemäß                  Suppenkessel der politischen Beliebigkeit auf homöopathi-
schnell zu Heinz-Christian Strache, dem ehemaligen Vize-               sche Dosis heruntergekocht.
kanzler und gefallenen Bundes- bzw. Landesparteiobmann.                    Dieses Rezept – um einen Moment lang im Sprachbild
Doch auch wenn man die wenigen Prozentpunkte, die das                  der Kochnische zu verweilen – funktioniert so lange, wie
„Team HC Strache“ bei der Wahl verbuchen konnte, in die                der Starkoch anwesend ist, der es als Einziger vermag, diese
Gesamtrechnung einfließen lässt, so fehlen auch dann noch              bunt zusammengeklaubten Zutaten unter Erzeugung mög-
unterm Strich fast zwei Drittel der Wähler, die sich bei der           lichst vieler Feuer-, Rauch- und Knalleffekte kunstvoll zu
vorherigen Wiener Gemeinderatswahl im Jahr 2015 noch                   vermengen. Ein anderer, und mag er politisch noch so talen-
im Dritten Lager einfanden. Möchte man diese Rechnung                  tiert sein, wird beim Versuch, selbiges Gericht genau nach-
weiter verfeinern, so müsste man an dieser Stelle freilich             zukochen, immer zum Scheitern verurteilt sein. Denn das
noch einige der Leihstimmen aus anderen politischen La-                Publikum, das über Jahrzehnte auf die immer exakt glei-
gern wegrechnen, die durch die Sondersituation der Migra-              che Inszenierung geeicht wurde, möchte auch künftig auf
tionskrise im Spätsommer und Herbst des Jahres 2015 bei                die immer gleiche Art und Weise unterhalten werden und
FR E I L I C H � P O L I T I S C H E S T U D I E                12                                  AU F S T E H E N !

bestraft dabei jede noch so kleine Abkehr vom Drehbuch
– von einem Besetzungswechsel in der Hauptrolle ganz zu
schweigen. Auch wenn sich die Ergebnisse noch so sehr äh-
neln mögen, das Publikum verhält sich auf einmal ähnlich
irrational wie ein Kind, dem die Pizza plötzlich nicht mehr
schmeckt, wenn man sie in acht statt in vier Teile schneidet.
Dagegen anzukämpfen, ist sinnlos. In der Politik sind Emo-
tionen Fakten.

Konstruktiv innerhalb des politischen Systems wirken
    Möchte man diese hausgemachte Infantilisierung und
die darin begründete Demobilisierung überwinden, so gilt                Robert Willacker
es, zuerst die eigene Perspektive auf die Wählerschaft als             ist ein deutscher Politik-
Publikum wieder zu korrigieren und selbige nicht als unver-            berater. Ursprünglich in
brüchliche Fangemeinde, sondern als mündige Wähler zu                  Brasilien geboren und in
adressieren. Dazu gehört neben der Abkehr von infantiler             Franken aufgewachsen, stu-
Brachialrhetorik und einem folkloristischen Oppositions-              dierte er nach dem Abitur
verständnis auch das Bekenntnis, konstruktiv und zum                    Politikwissenschaften in
Wohle des Volkes innerhalb des politischen Systems wirken             Innsbruck. Er lebt derzeit
zu wollen und nicht nur zum Selbstzweck und zur Unter-                  in Wien und kommen-
haltung des Publikums gegen das politische System zu ar-              tiert in diversen Medien-
beiten. Dominik Nepp hat im Finale des Wahlkampfes den                 formaten regelmäßig das
glaubhaften Eindruck vermittelt, den konstruktiven Weg                österreichische und inter-
gehen zu wollen. Mögen viele andere seinem Beispiel folgen.          nationale Politikgeschehen.
    Der nächste Prüfstein für die Freiheitliche Partei wird
sodann die Landtagswahl in Oberösterreich im kommen-
den Jahr. Dort trägt die FPÖ seit fünf Jahren Regierungs-
verantwortung und hat ebenfalls knapp über 30 Prozent
zu verteidigen. Dann wird sich zum ersten Mal zeigen, ob
es richtig war, den Weg der ideologischen Standhaftigkeit
und kon-struktiven Vernunft zu beschreiten und dafür den
Populismus nach zwei gescheiterten Versuchen endgültig
zu beerdigen. Ich prophezeie an dieser Stelle: Wir werden
ihm keine Träne nachweinen.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E                  13                                                     AU F S T E H E N !

3.3 Warum die Freiheitlichen in                                        trennt haben. Die Totaloppositionellen haben obsiegt – und
    der Krise sind                                                     sich dann selbst wieder nach ein paar Jahren zu Regierungs-
                                                                       willigen entwickelt …
                                                                           Was aber folgt aus dieser neuerlichen Nullstunde für die
VON ANDREAS UNTERBERGER
                                                                       Zukunft der FPÖ? Braucht es sie überhaupt? Wo wäre ihr
Die Freiheitlichen sind ein seltsamer Haufen. In regelmäßi-            Platz?
gen Wellen schwappen sie zu großen Erfolgen und ekstati-
scher Begeisterung hoch, um dann wieder in tiefe Täler und             Partei im Problemfeld
Depressionen verbunden mit erbitterten internen Kämpfen
                                                                       Die nüchterne Analyse muss jedoch wissen, dass diese Zu-
zu verfallen.
                                                                       kunft in hohem Ausmaß von vielen externen und kaum be-
    Das ist freilich typisch für eine Protestpartei, die einer-
                                                                       einflussbaren Faktoren abhängig ist:
seits massiv vom jeweiligen Ausmaß der Frustration der Men-
schen über die Machthabenden abhängig ist, und andererseits            • Wie lange braucht es, bis sich das Problemfeld Strache er-
vom Vorhandensein einer starken Führungspersönlichkeit.                  ledigt? Noch Jahre, in denen ihn die Staatsanwaltschaft
    Beides lässt sich freilich nicht auf Knopfdruck beschaf-             zum Gaudium der Ränge in zahllosen Prozesse vorführt?
fen. Umso verblüffender ist die Regelmäßigkeit des Krisen-               Oder ist er nach seiner Wiener Schlappe nun endgültig
verlaufs: Kaum ist man nach großen Erfolgen an der Regie-                Vergangenheit?
rung beteiligt, beginnt es alsbald zu kriseln und man scheint          • Rutscht Österreich, rutscht Europa als Folge der Corona-
kollektiv wie unter Drogenentzug am Wegbleiben der Tes-                  Krise wirklich in eine lange Depression, wie etliche seriö-
tosteron-Schübe durch die davor ständigen Wählerzuwächse                 se Ökonomen befürchten? Das würde die Perspektiven
zu leiden. Regelmäßig bricht heftiger interner Streit aus, aber          der regierenden Parteien dramatisch verschlechtern (und
ebenso kommen auch Vorgänge ans Tageslicht, die höflich                  die der FPÖ verbessern).
ausgedrückt, auf strafrechtliches Fehlverhalten des großen             • Wie entwickelt sich die SPÖ? Konzentriert sie sich so wie
Chefs hindeuten.                                                         die deutschen Sozialdemokraten weiterhin auf die inner-
                                                                         städtischen Bobos, die Studenten- und Künstlerszene, die
Waterloo bei der Wien-Wahl                                               Alt- und Jung-68er und lässt sie damit die Arbeiterschaft,
                                                                         die Inländer, den unteren Mittelstand links liegen, wo
Gewiss ist dabei ins Kalkül zu ziehen, dass gerade die FPÖ
                                                                         sich die FPÖ wieder bedienen kann? Zumindest Michael
und gerade ihre erfolgreichsten Spitzenleute – Haider, Gras-
                                                                         Ludwigs Wahl scheint ein gewisses Abgehen von diesem
ser, Strache – unter unglaublich strenger Beobachtung einer
                                                                         Irrweg bedeuten.
hasserfüllten Justiz- und Medienszene stehen. Ihnen werden
                                                                       • Wie entwickelt sich die ÖVP, die das größte Wählerre-
Dinge zum Verhängnis, die anderswo oft ignoriert bleiben
                                                                         servoir potenzieller FPÖ-Stimmen bildet? Zweimal hat
oder gar zugedeckt werden können. Das kann aber nicht als
                                                                         sich diese zum Nachteil der FPÖ ja schon aus schweren,
Entschuldigung dienen. Denn man hat ja auch selbst jahre-
                                                                         fast letalen Fehlentwicklungen retten können: einmal
lang aggressiv wirkliche wie vermeintliche Fehlleistungen
                                                                         durch Wolfgang Schüssel, der die für bürgerliche Wäh-
anderer attackiert. Da kann es nicht überraschen, dass auch
                                                                         ler verstörende Ohne-Wenn-und-Aber-Ankettung an
die Gegenseite selbst Harmlosigkeiten aggressiv überdimen-
                                                                         die Sozialdemokratie mutig gestoppt hat, die einst schon
sioniert aufbläst, wie etwa (intellektuell peinliche, aber kein
                                                                         Alois Mock erfolglos zu beenden versucht hatte; und das
Vergehen darstellende) Rattengedichte oder den Besitz al-
                                                                         zweite Mal durch Sebastian Kurz, der ebenso kraftvoll die
ter Liederbücher. Freilich wird es wirklich kriminell, wenn
                                                                         (in der Diktion Margaret Thatchers: Waschlappen-)Linie
gegen freiheitliche Politiker Vorwürfe überhaupt erfunden
                                                                         der diversen Schüssel-Epigonen beendet und die ÖVP auf
werden.
                                                                         einen deutlichen Anti-Migrations-Kurs samt einigen wei-
    Das Waterloo der Freiheitlichen bei der Wien-Wahl ist                teren konservativen Akzenten gebracht hat. Es gibt aber
nicht zuletzt durch das Antreten gleich zweier freiheitlicher            keinerlei Sicherheit, dass die ÖVP nicht noch einmal in
Listen noch vergrößert worden: Auf der einen Seite stand da              jene alten Fehler zurückfällt.
die Partei, auf der anderen jener Mann, den man viele Jah-
re als Verkörperung der Partei verkauft hat. Das hat viele                All diese externen Faktoren, die sich zumindest bei den
vor allem der einfach gestrickten Wähler verwirrt. Das war             Wien-Wahlen sehr negativ auf die Freiheitlichen ausgewirkt
im Grund eine absolute Reprise dessen, was 15 Jahre vorher             haben, kann die FPÖ nicht wirklich beeinflussen. Dennoch
durch die BZÖ-Abspaltung passiert ist, wo sich die Regie-              beeinflussen sie umgekehrt sehr die Chancen der FPÖ. Diese
rungswilligen von den Anhängern der Totalopposition ge-                bestehen aber auch darin, dass sich fast die Hälfte der ver-
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