Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 - POLITISCHE STUDIE 6
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DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER POLITISCHE STUDIE 6 Aufstehen! Die Zukunft der Freiheitlichen nach Ibiza und Wien-Wahl 2020 DEZEMBER 2020
FR E I L I C H � P O L I T I S C H E S T U D I E 2 AU F S T E H E N ! Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Lage 5 2.1 Der Fall 5 2.2 Der blaue Riese schläft 6 2.3 Die Partei des Problems 7 3. Positionen 9 3.1 Martin Lichtmesz: Warum ich nicht wählen war 9 3.2 Robert Willacker: Der letzte Akt 11 3.3 Andreas Unterberger: Warum die Freiheitlichen in der Krise sind 13 3.4 Andreas Unterberger: Was der Zukunft der FPÖ im Interesse Österreichs nottäte 14 3.5 Werner Reichel: Neustart vor der Krise 17 3.6 Christoph Pöchinger: „Besser eine stabile 20-Prozent-Partei …“ 20 3.7 Stefan Juritz: Populistische Alternative zum linksliberalen Establishment 22 3.8 Stefan Magnet: Wer die Glaubwürdigkeit verliert, verliert alles 23 3.9 Elmar Podgorschek: Das Dilemma der dritten Kraft 25 4. Anhang 28 4.1 Die Meinung der anderen 28 4.2 Glossar 29 2
FR E I L I C H � P O L I T I S C H E S T U D I E 3 AU F S T E H E N ! Das Magazin für Selbstdenker – jetzt abonnieren! „Haltungs- journalismus? Nicht mit mir.“ Fakten, Reportagen, alternative Meinungen und mehr jetzt zweimonatlich im FREILICH-Magazin. Bestellung unter freilich-magazin.at Freilich will ich ein Abo. Ich bestelle 6 Ausgaben als FREILICH POLITIK Interview: Der Philosoph Alain de Benoist über Rechtspopulismus und das Volk als Souverän. S. 10 N o 10 FREILICH GESELLSCHAFT WIRTSCHAFT Interview: Der Schriftsteller Thor Die große Umverteilung Kunkel über Berufsverbote, rechte Normal-Abo Sozial-Abo* Förder-Abo „Corona“ bringt Politik und die Lügenpresse. große Eingriffe in S. 10 N o 09 POLITIK die Gesellschaft. S. 46 Interview: Mission R Eund P O Rheiliger T A G E Terror. Irfan Peci klärt aufSind überkurz die weg Gefahren ÖSTERREICH DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER des Islamismus für WieEuropa. Europa S. 10Der Kurz Bundeskanzler Europa Burschen alteinHerrlichkeit Ausgabe No 10 / 2020 WIRTSCHAFT R E P O R TAG E den Stillstand geschickt hat. S. 44Rolle spielen Welche politische freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 Burschenschaften wirklich? S. 54 für € 85,– / Jahr (DE € 94,–) für € 49,– / Jahr (DE € 58,–) für € 170,– / Jahr (DE € 192,–) Interview: Kommt die Krise, oder Unter Menschenjägern: SEPTEMBER 2020 kommt sie nicht?Die Erfolgsautor MaxWesI Sganz Antifa nimmt SENSCHAFT DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER 10 Der Vaterpersönlich. seiner Gänse ExtremistenS.gegen Otte über den Systemcrash. die Freiheit. Genialer S.S30 Biologe CHWERPUNKT und Kulturkritiker: $XVJDEH1R̤̤ freilich-magazin.at Ǭ³ '(b̤&+)̤ FREILICH POLITIK POLITIK Konrad Lorenz im Porträt. S. 78 JULI 2020 CORONA Interview: Medientheoretiker Norbert Das trojanische Pferd: DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER Bolz über Selbstzensur Die Virus-Krise mit Folgen: Wasdes dieMainstreams Grünen zur echten GefahrS C H W E R P U N K T Ausgabe No 8 / 2020 Erscheinungsweise zweimonatlich / 6 Ausgaben im Jahr. Das Abo verlängert sich bis auf Weiteres um den und gegen übles Geschwätz. S. 10 Wiemacht. für die Demokratie sich der Stillstand auf uns alle S. 44 www.freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 N o 05 auswirken wird. S. 40 APRIL 2020 REPORT K R I M I N A L I TÄT DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER Die endlose Geschichte Wie kriminell dürfen SCHW Ausländer E R P U N K sein? T angegebenen Zahlungszeitraum zum gültigen Bezugspreis, wenn es nicht vier Wochen vor Ablauf schriftlich Ausgabe No 7 / 2020 Warum die FPÖ-Historikerkommission Wie die Statistiken aus politischen www.freilich-magazin.at / Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 stets zum Scheitern Gründen ist. S. 58 werden. S. 104 verurteilt geschönt FEBRUAR 2020 DEUTSCHLAND gekündigt wird. * Für Schüler, Studenten, Wehrdiener ist ein Nachweis zu erbringen. SCHWERPUNKT DAS MAGA ZIN FÜR SELBSTDENKER Wirtschaft gegen Nationalstaat: Ausgabe No 5 / 2019 Warum Rot-Grün das angelsächsische www.freilich-magazin.at � Ö & DE: € 13,00 / CHF 13,00 Kapitalismusmodell umsetzen. S. 80 AUGUST 2019 WirWir SCHWERPUNKT Der kurze Sommer des Rechts- basteln populismus ist vorbei. Manche der Parteien brechen ein. Das schaff unsen Establishment macht zu. Doch politische Veränderung ist eine wichtiger denn je. dasKrise Unpopulär Alle auf die Knie! Denkmäler Vorname Nachname rechts Globalisierung, stürzen! Establishment und Kon- ²0 zerne sind die Revolution! Ein Die etablierten Nahversorgung, Medien Wie unsere heile Welt Land kriegt keine Luft mehr! Weltencrash verlieren das Vertrauen ihrerundaus den Fugen gerät Nulldefi Konsumenten. Kann eine zit. Arbeiter, und wir sie stets neu Angestellte undbauen müssen. neue Gegenöffentlichkeit Unternehmer. Wir Schöne Straße Hausnr./Stiege die Lücke füllen und aus der sind Wirtschaft. Sackgasse der politischen Korrektheit ausbrechen? neue Welt Wir sind World Press Photo 2020 – Das sind die besten Pressefotos des letzten Jahres S. 60 Fotoreportage – Alles im Fluss: vom Delta der Donau bis zur Schallaburg S. 66 PLZ Wohnort Land so frei! Reportage Lesbos – So explosiv ist die Lage auf der Flüchtlingsinsel S. 76 Fotoreportage: Syrien – Hilfe vor Ort. Wie Heimkehrer eine neue Heimat finden. S. 68 Telefon E-Mail „Game of Drones“ – Die Geschichte der Drohnen in Krieg und Frieden S. 64 Ich will FREILICH verschenken: ausfüllen Geschenk-Abo Lieferanschrift des Abo-Empfängers Rechnungsanschrift fotografieren Vorname Nachname absenden Straße Hausnr./Stiege E-Mail abo@freilich-magazin.at PLZ Wohnort Land Adresse Aboservice Datenschutzhinweis: Ich bin einverstanden, dass mir schriftlich, per E-Mail oder telefonisch weitere interessante Angebote Freilich Medien GmbH der Freilich Medien GmbH unterbreitet werden und dass die von mir angegebenen Daten für Beratung, Werbung und zum Zweck Mandellstraße 7 der Marktforschung durch den Verlag gespeichert und genutzt werden. Vertrauensgarantie: Eine Weitergabe meiner Daten 8010 Graz an andere Unternehmen erfolgt nicht. Meine Einwilligung kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Österreich Online freilich-magazin.at Datum Unterschrift
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 4 AU F S T E H E N ! 1. Einleitung Ibiza, Europawahl, Spesenskandal, Wienwahl … Die Frei- heitliche Partei schüttelt es ordentlich. Und wieder einmal, nachdem sie luftige Höhen erreicht hatte, zieht es sie nach unten, reißt es Lücken in die Reihen, wenden sich Wähler enttäuscht von der FPÖ ab. Die vermeidet einerseits aus verständlichen Gründen eine inhaltliche Diskussion. Andererseits wäre genau jetzt ein klarer Kurs gefragt. Das FREILICH-Magazin hat die unterschiedlichsten Autoren gebeten, ihre Meinungen und Analysen zu den Problemen und Herausforderungen der Freiheitlichen für die Zukunft niederzulegen. Sie tun das in der Gewissheit, dass es einerseits eine freiheitliche Kraft im Lande braucht, dass man sich aber andererseits auch Gedanken machen muss, wie gewisse Probleme zu vermeiden sind, die den Charakter dieses politischen Lagers scheinbar prägen. Wir fassen die sehr unterschiedlichen Texte in dieser Politischen Studie unter dem auffordernden Titel „Aufste- hen!“ zusammen. Da ist der Rechtsintellektuelle Martin Lichtmesz, der bekennt, dass er diesmal die FPÖ nicht gewählt hat. Da ist der erfolgreichste Blogger Österreichs, Andreas Unterber- ger, der die Krise analysiert und der FPÖ auch ein paar per- sönliche Tipps mitgibt. Robert Willacker und Christoph Pöchinger raten konkret, die Partei solide und mit klarer Haltung auszurichten. FREILICH-Kolumnist Werner Rei- chel weiß, dass in der kommenden Krise eine freiheitliche Alternative gefragt und eine Wurzel für einen neuerlichen Aufschwung angelegt ist. TAGESSTIMME-Chefredak- teur Stefan Juritz will, dass die FPÖ am Puls des Volkes bleibt. Kolumnist Stefan Magnet fordert die Glaubwürdig- keit der Freiheitlichen ein, denn ohne Glaubwürdigkeit sei letztendlich alles nichts. Zusätzlich sammeln wir wichtige Stimmen zur Diskus- sion und stellen in dieser Politischen Studie auch Presse- stimmen zum Thema vor. Redaktion FREILICH 3. November 2020
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 5 AU F S T E H E N ! 2. Lage tieren, holte man mit 28 Prozent gar den ersten Platz. Bei Wählern, die mit dem Einkommen nicht auskommen, war man mit 17 Prozent Zweiter – nur hinter der SPÖ. 2.1 Der Fall Auch inhaltlich waren Reizthemen das gewohnt starke Wahlmotiv. Blaue Wähler diskutierten häufiger als An- Die Wienwahl ist geschlagen, vier Fünftel der blauen Wäh- hänger anderer Parteien über Corona, Einwanderung, In- ler sind weg. Im Vergleich zu Umfragen der Jahre 2016/17, tegration, Arbeitsplätze, Lebenskosten. Auch das ist eine als man teilweise die 40-Prozent-Marke knackte, ist der Be- Konstante – bei anderen Parteien gab es keinen merklichen fund sogar noch ärger. Naturgemäß beginnen nun Debatten Anstieg der Debatte in diesen Bereichen. darüber, ob man mit dem richtigen Personal, den richtigen Die „soziale Frage“ ist für die FPÖ ein wichtiges Re- Schwerpunkten, dem richtigen Auftreten ans Werk ging. servoir, sie ist in Kombination mit dem verknüpften Mi- Auffällig ist dabei, dass laut SORA-Wählerstromana- grationsthema zweites Standbein. Die Idee der „sozialen lyse von den 204.848 verlorenen Stimmen gleich 101.000, Heimatpartei“ ist für Wähler weiterhin attraktiv. Beschä- fast die Hälfte, ins Nichtwählerlager wechselten. Dieser digte Glaubwürdigkeit in diesem Bereich führte nicht zur Block von Leuten, für die die Freiheitliche die einzige wähl- scharenweisen Abwanderung zu SPÖ und ÖVP, die jeweils bare Partei bleibt, aber diesmal eben nicht wählbar war, ist nur eines der beiden Themen bespielen. Lieber blieb man also groß. gänzlich fern. Wählerpotenzial in der Warteschleife Freiheitliche Inhalte als Marke unbeschädigt Der Mitbewerber im eigenen Lager und eine im Gegensatz Der Wähler weiß, wofür die FPÖ steht. Die Wirksamkeit zur vorigen Wahl im blauen Kernthema der Identität und der populistischen Parole ist so stark, dass sie kaschiert, Einwanderung deutlich schärfere Volkspartei übernahmen wenn freiheitliche Klubs bei parlamentarischen Abstim- nämlich zusammen „nur“ etwa 60.000 Stimmen, die bei mungen nicht immer dieser Leitlinie folgten. Dem Wähler dieser Wahl weitere etwa 8,22 Prozent wert gewesen wären. vermittelte man trotzdem jahrelang glaubwürdig, Politik Selbst ohne diese Verluste hätte man sein vorheriges Ergeb- für „unsere Leute“ zu machen. Bei einer Neuausrichtung nis also halbiert. wäre es fatal, den Populismus gänzlich über Bord zu werfen. Ähnliches zeigte sich bereits bei der Nationalratswahl Dieser steht nicht im Gegensatz zu solider und konsens- im Vorjahr, als man bundesweit zwar 258.000 Stimmen an orientierter Sachpolitik. In Oberösterreich, wo man mitre- die ÖVP verlor, aber immerhin auch 235.000 an die Nicht- giert, verfügt man über gute Umfragewerte (zuletzt 22–26 wähler. Das Wählerpotenzial ist somit zu einem Gutteil Prozent). Ein weiteres Indiz ist das Ergebnis auf Bezirksebe- nicht verloren, sondern nur „geparkt“. Beide Hälften mo- ne in Wien-Simmering. Während die Partei trotz des wien- bilisiert man somit kaum durch „Anbiederung“, sondern weiten „Topergebnisses“ von 14,89 Prozent zwei Drittel der durch glaubwürdige Alleinstellungsmerkmale. Stimmen einbüßte, konnte Ex-FPÖ-Bezirksvorsteher Paul Die SPÖ, in deren Milieu man seit Jahren rekrutierte, Stadler im Grätzel stolze 28,44 Prozent der Stimmen auf profitierte noch weniger – mit 39.000 holte sie zwar um sich vereinen. 6000 mehr Stimmen von den Blauen zurück, als bei der letz- Die wichtigste Botschaft an die Freiheitlichen ist somit, ten Wahl verloren gingen. Weiter Teile ihrer Wählerschaft dass die Wahlniederlage das Resultat eines Glaubwürdig- gingen die Roten allerdings schon bei früheren Urnengän- keitsproblems war. Keine Probleme hat der Wähler mit gen verlustig: Dass der „rote“ Gemeindebau 2015 zu 47 Pro- ihren Standpunkten oder ihrer Sachpolitik. Wo diese sich zent blau wählte, war Folge eines langjährigen Trends. konsequent entfalten kann, ist die Partei weiter stark – un- Gerade in von Arbeitern geprägten Flächenbezirken abhängig davon, ob das Personal selbst einen „bürgerliche- verlor die FPÖ zwar besonders stark, aber blieb dort im ren“ oder „schärferen“ Stil präferiert. Wiener Vergleich trotzdem stark. SPÖ und ÖVP profitier- ten kaum; in Simmering, Meidling, Floridsdorf und der Glaubwürdigkeit als oberste Pflicht Donaustadt schwand die Wahlbeteiligung weit über dem Die Glaubwürdigkeit als Crux bestätigt auch, dass „Poli- städtischen Schnitt, teils um weit über zehn Prozent. tikverdrossenheit“ mit 38 Prozent der häufigste Grund für Nichtwähler war, zu Hause zu bleiben. Schon die Ibiza-Af- Bei Arbeitern und sozialen Fragen stark färe als vermeintliches „Sittenbild“ war nicht annähernd Trotz Totalabsturz hielt die FPÖ aber einige demografische der gleiche Genickbruch wie Straches Spesenaffäre. Diese Bastionen. Arbeiter wählten zu 26 Prozent freiheitlich. war vor allem den „einfachen“ Bürgern nicht begreiflich. Bei Personen, die Wien abnehmende Lebensqualität attes- Die Dauerhaftigkeit des folgenden Streites mit dem Ex-
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 6 AU F S T E H E N ! Obmann tat ein Übriges – Streithähne sind umso unbelieb- zusammeln; für die FPÖ sollte eigentlich kaum noch ter, wenn eine Partei damit wirbt, „anders“ zu sein. Auch etwas übrig blieben bzw. kein Platz mehr sein.“ die deutsche Schwesterpartei AfD kann vom Richtungs- Während die Freiheitlichen in Wien aus leichter streit weder in sozialpatriotischen Hochburgen im Osten Verzweiflung teilweise eine Kampagne à la „How low noch bei bürgerlich-konservativen Westverbänden profitie- can you go“ gefahren sind, haben sich die Türkisen kon- ren. Detail am Rande: Auch Letztere haben in Arbeiterbe- zis auf freiheitliche Themen gestürzt und diese schön zirken ihre besten Wahlergebnisse. bearbeitet: den Ausländerextremismus in Favoriten und seine grünen Freunde, den Kinderimport aus Moria. Einigkeit als Trumpf der Außendarstellung „Vor diesem Hintergrund überrascht es sehr, dass von Personelle Debatten und solche über die inhaltliche Aus- der Viertelmillion Stimmen, die die FPÖ vor fünf Jah- richtung sind wiederum intern und mit Akteuren im eige- ren erreicht hatte, jetzt nur 43.000 an die ÖVP gingen“, nen Lager zu führen und nicht über etablierte Medien. In analysiert Huber. „Vor allem, wenn man bedenkt, dass den Umfragen der letzten Jahrzehnte litt die FPÖ am ehes- die SPÖ ohne vergleichbare Töne immerhin 32.000 ten dann, wenn alles schon gesagt wurde, aber nicht von übernehmen konnte. Das ist nicht so viel weniger.“ jedem. Dies hätte die Partei schon aus den Verwerfungen Die FPÖ selbst sei ja von mehr als 250.000 Stimmen nach Knittelfeld lernen können – und eigentlich müssen. auf rund 50.000 eingebrochen, so „Die Substanz“: „Das Die Pflicht zur Geschlossenheit gilt auch für die Unsit- unterstreicht: Sehr viele Menschen haben sich zwar von te, sich auf Zuruf von Teilen des eigenen Lagers zu distan- ihr ab-, aber keiner anderen Partei zugewendet. Tat- zieren. Der Wähler schätzt es nicht – und der politmediale sächlich sind laut SORA-Wählerstromanalyse rund Betrieb hat kein Interesse einer starken FPÖ, sondern lan- 100.000 zu Hause geblieben. Sprich: Rechts von der ciert diese Anwürfe, um zu spalten. Will man dank der „ge- ÖVP bleibt Freiheitlichen oder sonst jemandem, der parkten“ Wähler wie Phönix aus der Asche auferstehen, ist mag und sein Geschäft beherrscht, sehr, sehr viel Poten- es sinnvoll, Geschlossenheit als Partei und als schützende zial; diese Leute sind abholbar.“ Hand über dem gesamten Lager zu demonstrieren. In den 2000er-Jahren habe die FPÖ bei ihrem da- maligen Absturz „relativ mehr Leute an andere Parteien und weniger an die Gruppe der Nichtwähler verloren. Das ist um einiges schwerwiegender“. Die Bilanz der 2.2 Der blaue Riese schläft „Substanz“: „Es ist leichter, jemanden zurückzuholen, der zwischendurch einfach nur zu Hause geblieben ist, Die FPÖ hat verloren? Aber wo sind all ihre Wähler hin? als jemanden, der zu einer anderen Partei gegangen ist; Die Antwort ist überraschender, als manche erwarten. da ist mehr Überzeugungsarbeit nötig, um diese Person Die Wienwahl 2020 ist von der SPÖ verloren worden. wieder zu einem Wechsel zu bewegen.“ Wirklich? Ja, weil die FPÖ 23 Prozent verloren hat, jedoch Die FPÖ habe damals trotzdem ein Comeback die Sozialdemokraten wenig aus dem früheren FPÖ-Pool zustande gebracht: „Statt Jörg Haider stand Heinz- abbekommen haben. Am Wahlabend haben sie ihrer Ent- Christian Strache an der Spitze. Und die Partei stieg bei täuschung darüber keinen Ausdruck verliehen, langfristig Gemeinderatswahlen noch höher, nicht ‚nur‘ auf 27,9 werden sie das aber merken. Die zweite Partei, die ernüch- Prozent (1996), sondern auf 30,8 Prozent (2015). Na- tert sein darf, ist die ÖVP. Sie hatte ja einen Wahlkampf türlich: Das muss sich nicht genau so wiederholen. Man geführt, der auf „Freiheitlich light“ abzielte. Auch das hat sollte gewisse Möglichkeiten jedoch nicht übersehen“, nur bedingt gewirkt, obwohl der größte parteiliche Kon- mahnt Johannes Huber. kurrent der Freiheitlichen im Moment die Türkisen sind. Und er mahnt das wohl zu Recht: Wenn die Frei- Bei der Nationalratswahl vor genau einem Jahr hatten sie heitlichen jetzt nicht auf die Idee kommen, die Tür- jede zweite Stimme übernommen, die die Freiheitlichen kisen, die sie kopiert haben, ihrerseits kopieren zu verloren. Diesmal nur jede fünfte. wollen, und sich auch nicht ins eigene Schneckenhaus „Das ist im Grunde genommen sogar alarmierend für zurückziehen, um auf enttäuschte traditionalistische die Türkisen, aber auch für all jene, die glauben, die extreme Prä-Haider-Nationalliberale zu machen, bleibt das gro- Rechte sei hier nachhaltig geschwächt worden“, schreibt der ße Potenzial, das von einer modernen und intelligenten Journalist Johannes Huber in seinem Blog „Die Substanz“: rechtspopulistischen Bewegung abgeholt werden kann. „In Abwandlung einer Ansage von Franz Joseph Strauß Die Probleme des Landes haben sich nicht verändert. verfolgt die neue ÖVP das Ziel, mit ausgeprägtem Rechts- Der blaue Riese schläft nur, er muss wieder erwachen. populismus möglichst viele Stimmen rechts der Mitte ein- Und er muss sich wieder anstrengen …
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 7 AU F S T E H E N ! 2.3 Die Partei des Problems sondern einige. Für die meisten von ihnen war die FPÖ lange Zeit das Ventil. Diese Funktion – Protestpartei und Wenn die Freiheitlichen meinen, dass sie sich jetzt um jeden gleichzeitig Sprachrohr des Volkes, also des viel zitierten Preis in eine „normale“ Partei schrumpfen müssten, sollten „kleinen Mannes“ – haben die Freiheitlichen glaubwür- sie mal überlegen, warum sie fast 30 Prozent hatten. Ein dig verkörpert. Eben nicht, weil da ein Bürgertum gewesen Plädoyer für den Populismus: wäre, das sie sein wollte, sondern weil sie den politischen Höhen und Tiefen liegen bei den Freiheitlichen nur Willen des einfachen Volkes hinter sich wusste: Die FPÖ wenige Jahre auseinander: mal fast 30 Prozent, dann rapid war so die Stimme des „populus“. wieder hart an der Fünfprozentgrenze. Dazu mal relativ fundamentale Opposition, mal konstruktive Regierungs- Die Probleme des Landes beteiligungen – aus denen sie dann aber immer wieder raus- Es gab auch ideale Bedingungen dafür: Da war das Pro- fallen. Der Schock der Wienwahl wiegt schwer. Und auch blem des Proporzes. Die rote und die schwarze Macht hat- der Versuch, innerparteilich jede Diskussion über das Er- ten sich wie ein lähmendes Tuch über das Land gelegt und gebnis und seine Vorläufe zu verhindern, ist organisatorisch für Verteilung und Stillstand gesorgt. Der jugendliche Jörg verständlich, aber nicht zielführend. Die Menschen, die Haider agierte dagegen wie ein rotzfrecher Provokateur, der sich abwandten, sind nicht nur gegangen, weil sie von der im spitzzüngigen Angriff auf das großkoalitionäre Vertei- FPÖ schockiert waren. lungssystem, von dem immer mehr Menschen die Schnauze Sie sind weg, weil sie keine Erklärungen bekommen ha- voll hatten (sogar solche mit entsprechendem Parteibuch), ben, dafür aber so manches würdelose Schauspiel von Men- stets die Lacher auf seiner Seite hatte. Zur Robin-Hood-At- schen, die Fehler begangen haben, und von anderen, die kei- titüde kam ein modernistischer Stil des Wahlkampfes, der ne Fehler gemacht haben, allerdings auch nicht reflektieren die Altparteien alt ausschauen ließ. Auch das hat sich – Ne- wollen. Reflexion ist obendrein von denjenigen, die mit den benbemerkung – für die FPÖ heute geändert: Ihr Stil wirkt zwei Ibizanten jahrelang zusammengearbeitet haben, eben- eingeschliffen und lässt sie selbst irgendwie alt ausschauen, falls nicht gekommen. Genau das vertreibt Menschen, weil was nicht nur ein ästhetisches Problem ist, sondern in der damit ein unglaublicher Einbruch in die politische Glaub- Bewegungskunde diskutiert werden muss. würdigkeit der Freiheitlichen passiert ist. Wortlos über die Das andere Problem, an dem die Freiheitlichen seit Hai- Probleme hinwegzugehen, führt zum politischen Kontakt- der gewachsen sind, war stets der ethnische Wandel in der abbruch der Klientel, die sich „verarscht“ fühlt. österreichischen Gesellschaft, die Folgen der Zuwanderung. Als die Haider-FPÖ im Jahre 1992 ein Volksbegehren „Ös- „It is not the populism, stupid“ terreich zuerst“ startete, wurde das noch als sehr provokativ „It is not the populism, stupid“, was die Wähler verschreckt wahrgenommen. Heute sind die Positionen von damals ei- hat. Im Gegenteil, der ist recht vital vom türkisen Erlöser gentlich Allgemeingut. Nur das Problem der Migration hat übernommen worden und wird konsequent so gespielt, dass sich nicht im Geringsten verkleinert. Der Austausch in vie- der Klonkrieger Kurz einen auf „FPÖ light“ macht. Dabei len Wiener Bezirken ist lebendiges Symbol dafür, dass die ist seine Partei an sich genauso ein Wrack wie die heimische Herausforderung nicht nur präsent ist, sondern längst ein Sozialdemokratie, allerdings kaschieren der Wunderknabe Kippen eingeleitet ist, das irreversibel bleibt. Migration, so und sein Team, die das Raumschiff ÖVP fliegen, die Risse ein Kern des Problems, ist allemal eine Einbahnstraße. Mi- in der Fassade und präsentieren eine vitale Volkspartei als gration und alle Folgeprobleme – von sozial bis Sicherheit Potemkinsches Dorf, das aber der Zaubertrank Macht am – bleiben aber auch weiter die oberste Priorität im Lande. Leben hält, während man beim großkoalitionären Gegen- Die Partei des Problems hat nur dann selbst ein wesent- über anschauen kann, wie fatal Machtentzug die Sozialde- liches Problem, wenn sie sich das Thema halbwegs aus der mokratie auszehrt. Und wie froh man ist, dass wenigstens Hand nehmen lässt. Beziehungsweise: wenn sie nicht lö- die Hochburg Wien gehalten wurde … sungsorientiert und konkret an das Problem herangeht – Die Hochburgen der Freiheitlichen schwinden. Und und diesen gelassenen, engagierten Zugang den Türkisen sie werden das weiter tun, wenn die Partei nicht zu einer überlässt. „How low can you go“ kann – siehe Wien – auch Trendumkehr findet, die auch eine Selbsterklärung ist. Ein sehr locker zu einer üblen Karikatur werden. Die FPÖ soll- bürgerlicher Kurs ist eine schöne Sache, aber er ist nur ein te sich obendrein auch darüber klar sein, dass sie nicht nur Teil des Erfolges der Freiheitlichen, die seit der Abkehr von die Partei derjenigen ist, „die schon länger da sind“, sondern der nationalliberalen Honoratiorenpartei in Österreich im- dass sie durchaus die Partei derjenigen sein sollte, die später mer die „Partei des Problems“ waren. Und das ist verein- eingewandert, aber mittlerweile in dieser Gesellschaft an- facht gesagt, denn dieses Land hat nicht nur ein Problem, gekommen sind.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 8 AU F S T E H E N ! Jörg Haider und HC Strache ralischer Enttäuschung über alle möglichen Facetten führen, Ein anderes Problem liegt in der Partei – und es ist seit ihrer die eine Partei zerlegen können. Deswegen waren es sowohl Entfaltung zu einer rechtspopulistischen Kraft nicht ge- der Stil von „Ibiza“ wie auch die folgenden Spesenrechnun- löst worden. Die Probleme der Gesellschaft sind sozusagen gen, die tiefe Einschnitte hinterlassen haben. Dass Whats- „rechts“, deswegen auch der leichte Erfolg des Rechtspopu- App-Verläufe dann dokumentierten, dass „eh alle gleich lismus (der bei anderen Themenfeldern wie Umweltschutz sind“, ist auch keine entschuldigende Erklärung für den ge- erstaunlich wenig zu sagen weiß). Das schnelle Wachstum lernten Österreicher (und ja, Veränderung und Konstanz in der FPÖ hat immer auch zu Problemen in der Partei geführt. diesem Staat passiert auch, indem Personen auf bestimmte Hier das „Dritte Lager“, da die Dynamik der Buberlpartie, Posten gesetzt werden und andere, die politisch nicht zuver- mit der Haider einen neuen Stil ausleben wollte. Und auch lässig sind, gehen müssen). an der traditionellen Struktur gescheitert ist. Die hatte er Nachhaltig wirkt auf die Partei auch die hartnäckige Fa- ebenfalls ausscheiden wollen, indem er das eigene Kind, seine schisierungsstrategie von außerhalb, die die Freiheitlichen als erfolgreiche Partei, weglegte, um eine neue rechtspopulisti- konsequenten „täglichen Einzelfall“ präsentiert hat, der eine sche Partei zu gründen, die er – italienisch gesprochen: post- braune Spur von der Gründung bis heute ziehe. Selbst wenn faschistisch – als reine Bewegung sah, die mit der Geschichte es Menschen gibt, die an bestimmten Tagen Eiernockerln gebrochen hatte. Doch sein Bündnis mit der Zukunft hatte posten, steht die Partei der Zuschreibung stets fassungslos keinen Bestand. gegenüber, einem Deutungsdruck ausgeliefert, dem sie wenig Letztendlich war HC Strache das inhaltliche Original – mehr entgegengesetzt hat als ein oberflächliches 1848er-De- und Haider weniger. Und aus dem kleinsten gemeinsamen mokratiepathos. Der „Fail“ der FPÖ war, dass sie die links- Nenner derjenigen, die Haider nicht folgten und übrig ge- extremen Netzwerke, die sich an ihr bespaßt haben, juristisch blieben sind, ist eine neue FPÖ geworden. Deren Kern ist im vollkommen ungestört entkommen ließ, auch wenn klar ist, Überlebenskampf deutlich klassisch-freiheitlicher als bei der dass diese Netze nicht im luftleeren Raum stehen. Haider-FPÖ, weil es vielerorten die Leute aus den Kerngrup- Seltsam bleibt die Erfahrung, dass eine Partei mit durch- pen des schrumpfenden Dritten Lagers waren, die die Struk- aus intelligenten Menschen noch keine intelligente Partei tur aufrechterhalten haben, bevor es zu neuem Wachstum macht. Und das größte Problem ist, dass jetzt die Probleme, kommen konnte. die den Erfolg der Partei befördert haben, der FPÖ aus der Die FPÖ war weiter die Partei des Problems, weil sich die Hand genommen werden. Der Schmiedel Sebastian spielt Probleme nicht gewandelt hatten. Und weil die Leute zum jetzt den Schmied. Damit nimmt man den Freiheitlichen Schmied gingen und nicht zum Schmiedel. Die Masse der auch die dynamische Entwicklungsmöglichkeit, und der FP-Wähler konnte sich mit ihr identifizieren, ohne an ideo- Rückfall in einen politischen Traditionalismus mag zwar logische Kernthemen des klassischen Dritten Lagers glauben im ersten Moment stabilisierend wirken, aber schlüssig ist er zu müssen. Daran hat sich auch die Partei orientiert und sich nicht: liberal in Voralberg, konservativ in Oberösterreich, ir- von einer überschaubaren nationalliberalen Gemeinschaft zu gendetwas in Wien, zerstritten in Salzburg, abgewirtschaftet einer sozialen Heimatpartei gewandelt. in Kärnten, so präsentiert sich die aktuelle Lage. Gleichzeitig lebt der Populismus aber auch immer von Es wird Zeit für eine politische Erneuerung der Freiheit- einer inhaltlichen Unschärfe. Das hat bei den Freiheitlichen lichen, damit sie mit einheitlicher und starker Stimme die dazu geführt, dass sie nie irgendwie vertiefende Inhalte ent- realen Probleme der Bevölkerung in Österreich glaubwürdig wickelt haben. Schaut man sich die politische Literatur aus aufgreifen können. Damit sie als politische Kraft in der Re- dem Parteiumfeld der letzten 20 Jahre an, ist das eher trau- publik eine demokratische Stimme erhebt, die als Ausdruck rig. Außerdem hat man dazu wenig Zeit, wenn man im per- des Volkes auch Kritik an den Zuständen einbindet und manenten Wahlkampf lebt. Obendrein ist man zu viel Be- Hoffnung auf Veränderung gibt, selbst Verantwortung über- wegung und hat keine statischen Elemente entwickelt, die nimmt und kalkulierbare Zuverlässigkeit bietet. Eine frei- langfristig wirken könnten. Die Probleme sind sowieso da, heitliche Volkspartei, die als rechtspopulistisches Angebot sie wirken aus dem Bauch und sorgen für die nötige Breite. den nötigen Wandel im Land anführt und als konstruktive Warum, wenn es sowieso vorwärts geht, in die Substanz in- Kraft, die Verantwortung will, auch umzusetzen anstrebt. vestieren …? Und so rächt sich der Erfolg um so nachhaltiger, Dazu wird sie mehr und längerfristige intellektuelle Tiefe wenn er nicht mehr da ist. ebenso brauchen wie Offenheit für die Interessen des „klei- nen Mannes“. Politisch wird sie nur dann ein neues Drittes Bewegung ohne Tiefe Lager werden, wenn sie einen Pluralismus im rechten Mosaik Die Bewegung ohne Tiefe ist nämlich gefährdet durch zu- zulässt und vielfältige Initiativen unterstützt, die die Veran- sätzliche zentrifugale Kräfte, die von menschlicher und mo- kerung neuer Ideen in der Gesellschaft möglich machen.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 9 AU F S T E H E N ! 3. Positionen wünschte Botschaft eintrichtern, und diese Massen sind bekanntlich außerordentlich leicht manipulierbar. Dies hat nicht zuletzt die laufende Coronavirusdressur der Regierung 3.1 Warum ich nicht wählen war unter Beweis gestellt, die offenbar mit Begeisterung entdeckt hat, wie gut sich Panikmache zur Machtsicherung eignet. Die FPÖ, leider die einzige Partei, die sich des außerordentlich VON MARTIN LICHTMESZ schicksalhaften Einwanderungsthemas angenommen hat, hat Ich bin bei der diesjährigen Wienwahl zu Hause geblieben und in Österreich immer ein bisschen mehr mitreden können als folgte damit, ohne es zu wissen oder zu ahnen, einem größeren andere europäische Rechtsparteien, aber dennoch bleibt auch Trend. Die größte Gruppe waren dieses Jahr die Nichtwähler, sie das ewige Schmuddelkind, das nicht zu 100 Prozent in den rund 435.000. Davon waren satte 100.000 ehemalige FPÖ- Sandkasten passt, den sich früher Rote und Schwarze über Wähler, wie eben auch meine Wenigkeit. Jahrzehnte hinweg alternierend geteilt haben. Ich vermute, dass viele von ihnen ähnlich dachten und fühl- Man empört sich über Straches großmäuliges Geschwätz ten wie ich, darum werde ich diese Stellungnahme eher subjek- in dem Ibiza-Video, das uns nur passend zurechtgestutzt prä- tiv halten. Grundsätzlich bin ich ein ausgesprochener Wahl- sentiert wurde, aber gegenüber dem Paten Kurz und der ÖVP- muffel. „Sie sind kein Demokrat, Lichtmesz“, könnte man mich Mafia ist er nur ein Möchtegerngauner aus einem B-Movie. nun rügen, wie einst Gerhard Bronner Travnicek-Qualtinger, Man muss zugeben, dass die Strategie der ÖVP genial war: Sie und das wäre nicht einmal verkehrt. Das Bonmot „Wenn Wah- hat Anliegen der Migrations- und Asylpolitik, die im blauen len etwas ändern würden, wären sie längst verboten“, das unter Eck verstaut waren, absorbiert, weichgespült, blütenreinge- anderem Kurt Tucholsky zugeschrieben wird, hat sich gerade waschen und in einen salonfähigen, „zentristischen“ Rahmen in den letzten Jahren ziemlich deutlich bestätigt. „Demokra- eingepackt. Nun konnte man diese Probleme dem sauberen tie“ bedeutet in Österreich wie auch in den meisten anderen Sebastian anstelle des polternden Heinz-Christian anvertrau- Ländern die dauerhafte Herrschaft eines Machtkartells, das en, der glücklicherweise auch rasch entsorgt wurde wie eine sich gründlich gegen jede echte Opposition abgesichert hat. lästige Warze. An seiner Stelle dackeln die nun fürs nationale In Deutschland wurde der entsprechende Störenfried namens und internationale Image günstigeren Grünen an des Kanz- AfD von der CSU bis zu den Grünen unisono als „antidemo- lers Seite. Berauscht von ihrer unverhofften Teilhabe an der kratisch“ gebrandmarkt und mit allen Mitteln bekämpft. In Macht, haben sie sich als äußerst gefügige und streichfähige den USA hat es mit Donald Trump 2016 ein Außenseiter des Koalitionspartner erwiesen. Parteiensystems geschafft, das etablierte Gefüge zu sprengen, und entsprechend bitter und verbissen wurde er seither von den Die gründlich versemmelte Chance Mainstreammedien, Big Tech, dem Tiefen Staat und dem Es- Warum habe nun ich die FPÖ bzw. Herrn Nepp nicht ge- tablishment beider Parteien bekämpft. Ob dieser Fremdkörper wählt? Dafür gibt es mehrere Gründe, abgesehen von meiner ausgeschieden wird oder ob er noch weitere vier Jahre als Stör- grundsätzlich eher desillusionierten Haltung, was das gesam- faktor bekommt, wird sich am 3. November zeigen. te System betrifft. Einerseits stimmt es, dass die türkis-blaue 2016 ging ich nach einer halben Ewigkeit mal wieder ins Regierung, die nach langen Jahren im Wartesaal endlich, Wahllokal, weil ich zum ersten Mal überhaupt das Gefühl hat- endlich zustande kam, mit unlauteren Mitteln bekämpft und te, dass nun etwas Substanzielles auf dem Spiel stehe, dass eine unter beispiellosen Druck von außen gesetzt wurde. Ande- echte Veränderung möglich sei. Das hat sich bekanntlich als Il- rerseits hätten die Kampagnen und Angriffe keine derartig lusion erwiesen, was vermutlich auch mit einem Wahlsieg Nor- zermürbende Wirkung entfaltet, wenn das Personal der FPÖ bert Hofers so gekommen wäre. Meine damalige, für mich eher weltanschaulich und charakterlich gefestigter gewesen wäre, ungewöhnliche Motiviertheit korrespondiert mit meiner übli- als es eben leider ist und offenbar bleiben will. Als besonders chen Unlust, mich an Wahlen zu beteiligen: Am Ende wird ja fatal hat sich erwiesen, die komplette Partei auf das Charisma doch immer affirmiert, wer ohnehin schon im Sattel sitzt. Auf eines Mannes zu bauen, der sich als inkompetent, selbstherr- eine Stimme mehr oder weniger kommt es dann nicht mehr an. lich und allzumenschlich-charakterschwach erwiesen hat. Stimmabgaben sind Simulakren, die Teilhabe an dem politi- Man hat versucht, sich linken Spielregeln anzubiedern, statt schen Apparat suggerieren sollen, eine Art Opium für das Volk, sie grundsätzlich infrage zu stellen, und man hat verabsäumt, dem Mitbestimmung und Souveränität vorgegaukelt werden. das metapolitische Feld zu bestellen, etwa im Bereich alterna- tiver Medien und außerparteilicher patriotischer Bewegun- Das ewige Schmuddelkind gen. Nach langem Warten hat die FPÖ ihre Chance noch Wer jedoch wirklich mitreden will in der „Demokratie“, gründlicher versemmelt als im Jahre 2000 und sich anschlie- braucht Geld, Macht und Medien, die den Massen die er- ßend in einer internen Schlammschlacht selbst zerlegt, zur
FR E I L I C H � P O L I T I S C H E S T U D I E 10 AU F S T E H E N ! Belustigung und Befriedigung ihrer Feinde. folgenreiche Themen sind, die allerdings Wen wundert es, dass viele FPÖ-Wähler schwer zu kommunizieren sind, ohne poli- das Vertrauen in ihre Partei verloren haben? tisch korrekte Minenfelder zu betreten oder Hinzu kam ein ziemlich missratener ins Hetzerische abzugleiten. Sie sind unbe- Wahlkampf. Man holte einfallslos die ur- quem und setzen einen gewissen Schmerz- alten und schon damals eher dämlichen pegel voraus, der zur Zeit aber insgesamt „Daham-statt-Islam“-Sprüche aus der Mot- nicht sehr hoch ist, außer in besonders be- tenkiste, die vielleicht in Kombination mit troffenen Stadtteilen oder sozialen Schich- der Rampensau Strache wirksam gewesen ten (so haben Strache und Nepp immer waren, aber in Verbindung mit dem all- noch erhebliche Gewinne unter Arbeitern zu glatten, allzu jungen, allzu profi llosen Martin Lichtmesz verzeichnen können). Es ist leider so, dass Stracheersatz Nepp wie eine witzlose Ko- Wien, wie es für Großstädte üblich ist, die pie des Originals daherkamen. Überhaupt wurde 1976 in Wien geboren. jüngeren Einwanderungsfluten weitgehend war die Fixierung auf das Thema Islam Nach Jahren in Berlin lebt er „verdaut“ oder sich resigniert mit ihnen eine schlechte Entscheidung: 2015 ist lan- inzwischen wieder in seiner abgefunden hat. Dabei bleibt auch unklar, Heimat und arbeitet als wer denn nun ein „echter“ Wiener ist und ge vorbei, Wien hat die Asylantenwellen freier Publizist. weitgehend geschluckt, der Hype um den was „unser“ Wien ist. Selbst die in Wien „Kulturkampf im Klassenzimmer“ ist wie- lebenden Bioösterreicher sind häufig „Zu- der versandet, und bislang gab es auch noch gezogene“ (meine Wenigkeit gehört dazu), keinen islamistischen Terroranschlag. Manche Plakate wa- und es gibt viele eingebürgerte Menschen mit europäischem ren so plump, dass sie wie Parodien aus einem Deix-Cartoon Migrationshintergrund, die seit Jahrzehnten in Wien le- aussahen: Auf der einen Hälfte des Plakates chillte Traum- ben. Die verbliebenen, immer mehr schwindenden Origi- schwiegersohn Nepp mit ein paar lächelnden Tanten und nal-„Mundls“ können keinen ernsthaften Alleinanspruch Omis („Für ihn gilt: Wiener zuerst!“), auf der anderen Hälf- auf „ihr“ Wien mehr stellen. Ein weiterer Punkt ist, dass die te spazierte ein fetter, unrasierter „Ausländer“ mit tumbem FPÖ fast ausschließlich „negative“ Themen voller Bedrohung Gesichtsausdruck und Halbmond auf dem Trainingsanzug und Stress bemühte, während praktisch alle anderen Parteien mit einem Einkaufswagerl voller Geldscheine aus dem Ar- auf positive Wohlfühlbotschaften setzten. Sogar die Grünen beitsamt davon. Völlig grotesk war ein Horrorfi lmplakat mit hielten sich zurück mit Panikmache vor Klimakatastrophen einer kreischenden Frau, die von einem maskierten, dunkel- oder „rechter Gefahr“. häutigen Mann bedroht wird („SPÖ, ÖVP, Grüne bringen UNS in GEFAHR“), abermals kontrastiert mit Nepp, be- Man muss auch positiv FÜR etwas sein gleitet von einer zufällig ausgewählten blonden Tussi, wie er Die Angst vor dem Coronavirus hat das Asyl-, Islam- und einen Freund-und-Helfer-Polizisten anstrahlt. Einwanderungsthema in den Schatten gestellt. Lockdown und ständig wechselnde, zum Teil unnachvollziehbare Re- Unfreiwillig komische Plattheit geln haben die Bevölkerung gereizt, unsicher und zukunfts- Abgesehen von der unfreiwillig komischen Plattheit der Dar- ängstlich gemacht und den Wunsch nach Normalität und stellung: Es ist hirnrissig, zu glauben, dass ein solches Plakat Stabilität genährt. Diese wird ihnen nun von denselben Leu- in Wien, einer der sichersten Städte der Welt, irgendeine ten angeboten, die diese Ängste täglich schüren. Die FPÖ Zugkraft haben könnte. Zwischendurch muss irgendjemand muss wieder ihrer althergebrachten Rolle als Protest- und den Kampagnenleitern ins Gewissen geredet haben, denn die Oppositionspartei gerecht werden und an dieser Stelle klug Plakate wurden nach einer Weile deutlich zahmer (wobei der einhaken. Allerdings muss sie sich darauf einstellen, dass sie Stephansdom, bedroht von feuerrot schimmernden, dräuen- auch hier nur beschränkten Erfolg haben wird: Die Gleich- den Asylantenfluten, immer noch ein Schenkelklopfer war). schaltung der Köpfe und Gefühle im Zeichen der „Corona- Plötzlich entdeckte man auch ein zweites Thema außer Islam viruskrise“ ist momentan enorm. In jedem Fall wird man als und Ausländerbedrohung: die „Corona-Schikanen“, was ein bloße Ein-Thema-Partei mit inkompetentem und ignorantem bisschen spät und ziemlich unglaubwürdig daherkam. Man Personal nicht mehr weiterkommen. Man muss auch positiv kann das drehen, wie man will: Die Plakate waren durchweg FÜR etwas sein, und hierzu bedarf es eines größeren, weit- dümmlich, schrill und primitiv und konnten nur wenig an sichtigeren Konzeptes, das über ein paar suggestive Bildchen die derzeitige Stimmung im Volk andocken. von Heurigenidyllen hinausgeht. Ich würde mich an dieser Nun bestreite ich nicht, dass Islamisierung und „Umvol- Stelle bei Benedikt Kaiser umsehen und seinen „Solidari- kung“ oder „großer Austausch“ immer noch wichtige und schen Patriotismus“ eingehend studieren.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 11 AU F S T E H E N ! 3.2 Der letzte Akt der damaligen Wahl zur FPÖ überwechselten. Doch auch die Einpreisung dieser Variable vermag eines nicht zu erklä- VON ROBERT WILLACKER ren: Warum sind bei der Wahl am vergangenen Sonntag „In der Politik sind Emotionen Fakten“ – dieser Satz des über 100.000 (in Worten: einhunderttausend) ehemalige verstorbenen CDU-Politikers Heiner Geißler zur wider- FPÖ-Wähler ins Lager der Nichtwähler übergewechselt? sprüchlichen Natur der politischen Wirklichkeit transpor- Nun macht man sich naturgemäß nicht nur Freunde, tiert auch eine Ahnung von der Verzweiflung, die sich zu- sondern gerät schnell in den Verdacht der Besserwisserei, weilen bei Protagonisten und Beobachtern des politischen wenn man kurz nach einer verloren gegangenen Wahl die Geschehens einstellen muss, wenn sie versuchen, gegen die- vermeintlich genauen Gründe dafür zu kennen glaubt, je- se Natur zu rebellieren. Einer, der diese Verzweiflung ken- doch ist der Verfasser dieser Zeilen Bundesdeutscher, und nengelernt hat, ist Dominik Nepp. manchmal muss man dem Klischee auch entsprechen dür- Der Spitzenkandidat der FPÖ Wien bei der Land- fen. tags- und Gemeinderatswahl 2020 hat als Person in diesem Wahlkampf sehr viel richtiggemacht. „Presse“-Chefredak- Die FPÖ hat keine Wähler, sie hat ein Publikum teur Rainer Nowak hat Dominik Nepp in seinem Wahl- Wem daran gelegen ist, die Ursachen für den Absturz des briefing – einer Art journalistischer Warteschleifenmusik Dritten Lagers seit „Ibiza“ zur Gänze erfassen zu wollen, – unlängst als „Eliteschulsprecher“ sowie als Stadtpartei- der wird nicht umhinkommen, sich mit dem besonderen chef „bürgerlichen Habitus“ bezeichnet und meinte das Verhältnis der FPÖ zu ihren Wählern zu beschäftigen, durchaus positiv. Die Fähigkeit, sowohl auf dem Viktor-Ad- denn dort liegt ein großer Teil des Debakels begründet. ler-Markt im 10. Wiener Gemeindebezirk als auch in der Zugespitzt und etwas polemisierend kann man sagen: Die sonntäglichen ORF-„Pressestunde“ einen authentischen FPÖ hat keine Wähler, sie hat ein Publikum. Und nirgends Auftritt abliefern zu können, ist in der Politik rar gesät. Wer wird das so deutlich wie in Wien. dann noch die rhetorische und auch kognitive Begabung Sowohl Jörg Haider als auch Heinz-Christian Strache besitzt, beide Auftritte in Sprache und Form strikt vonein- haben zusammengerechnet Jahrzehnte darauf verwendet, ander trennen zu können, hat als rechter Politiker in Wien die freiheitlichen Anhänger aus einer volatilen Wähler- nicht die schlechteste Ausgangslage. schaft in ein getreues Publikum zu verwandeln. Haider und Strache kamen bald darauf, dass es bedeutend einfa- Warum sind bei der Wahl über 100.000 FPÖ-Wähler ins La- cher wäre und ihrer persönlichen Natur viel näher käme, ger der Nichtwähler übergewechselt? Wähler durch den Zauber der Inszenierung auf sich persön- Die Erklärung, wonach die Gründe dafür allein in den lich einzuschwören, statt sie mit langwieriger ideologischer Causen „Ibiza“, Spesenaffäre und Strache-Absplitterung zu Überzeugungsarbeit mühevoll an die Partei zu binden. Die finden seien, greift zu kurz. großen ideologischen Leitlinien und freiheitlichen Identi- Und doch muss Dominik Nepp nun kraft seiner Posi- täten, wie etwa das Selbstverständnis als Teil der deutschen tion als Spitzenkandidat und Landesparteichef das schlech- Nation, die Gegnerschaft zur katholischen Kirche und ih- teste FPÖ-Ergebnis bei einer Landtags- und Gemeinderats- ren Symbolen sowie der liberale Kampf gegen überbordende wahl der letzten Jahrzehnte mit verantworten. Die Suche staatliche „Law-and-Order“-Fantasien, wurden zugunsten nach den Ursachen für den – zumindest in dieser Höhe – der Stimmenmaximierung sukzessive aufgegeben oder im unerwarteten Absturz der FPÖ in Wien führt naturgemäß Suppenkessel der politischen Beliebigkeit auf homöopathi- schnell zu Heinz-Christian Strache, dem ehemaligen Vize- sche Dosis heruntergekocht. kanzler und gefallenen Bundes- bzw. Landesparteiobmann. Dieses Rezept – um einen Moment lang im Sprachbild Doch auch wenn man die wenigen Prozentpunkte, die das der Kochnische zu verweilen – funktioniert so lange, wie „Team HC Strache“ bei der Wahl verbuchen konnte, in die der Starkoch anwesend ist, der es als Einziger vermag, diese Gesamtrechnung einfließen lässt, so fehlen auch dann noch bunt zusammengeklaubten Zutaten unter Erzeugung mög- unterm Strich fast zwei Drittel der Wähler, die sich bei der lichst vieler Feuer-, Rauch- und Knalleffekte kunstvoll zu vorherigen Wiener Gemeinderatswahl im Jahr 2015 noch vermengen. Ein anderer, und mag er politisch noch so talen- im Dritten Lager einfanden. Möchte man diese Rechnung tiert sein, wird beim Versuch, selbiges Gericht genau nach- weiter verfeinern, so müsste man an dieser Stelle freilich zukochen, immer zum Scheitern verurteilt sein. Denn das noch einige der Leihstimmen aus anderen politischen La- Publikum, das über Jahrzehnte auf die immer exakt glei- gern wegrechnen, die durch die Sondersituation der Migra- che Inszenierung geeicht wurde, möchte auch künftig auf tionskrise im Spätsommer und Herbst des Jahres 2015 bei die immer gleiche Art und Weise unterhalten werden und
FR E I L I C H � P O L I T I S C H E S T U D I E 12 AU F S T E H E N ! bestraft dabei jede noch so kleine Abkehr vom Drehbuch – von einem Besetzungswechsel in der Hauptrolle ganz zu schweigen. Auch wenn sich die Ergebnisse noch so sehr äh- neln mögen, das Publikum verhält sich auf einmal ähnlich irrational wie ein Kind, dem die Pizza plötzlich nicht mehr schmeckt, wenn man sie in acht statt in vier Teile schneidet. Dagegen anzukämpfen, ist sinnlos. In der Politik sind Emo- tionen Fakten. Konstruktiv innerhalb des politischen Systems wirken Möchte man diese hausgemachte Infantilisierung und die darin begründete Demobilisierung überwinden, so gilt Robert Willacker es, zuerst die eigene Perspektive auf die Wählerschaft als ist ein deutscher Politik- Publikum wieder zu korrigieren und selbige nicht als unver- berater. Ursprünglich in brüchliche Fangemeinde, sondern als mündige Wähler zu Brasilien geboren und in adressieren. Dazu gehört neben der Abkehr von infantiler Franken aufgewachsen, stu- Brachialrhetorik und einem folkloristischen Oppositions- dierte er nach dem Abitur verständnis auch das Bekenntnis, konstruktiv und zum Politikwissenschaften in Wohle des Volkes innerhalb des politischen Systems wirken Innsbruck. Er lebt derzeit zu wollen und nicht nur zum Selbstzweck und zur Unter- in Wien und kommen- haltung des Publikums gegen das politische System zu ar- tiert in diversen Medien- beiten. Dominik Nepp hat im Finale des Wahlkampfes den formaten regelmäßig das glaubhaften Eindruck vermittelt, den konstruktiven Weg österreichische und inter- gehen zu wollen. Mögen viele andere seinem Beispiel folgen. nationale Politikgeschehen. Der nächste Prüfstein für die Freiheitliche Partei wird sodann die Landtagswahl in Oberösterreich im kommen- den Jahr. Dort trägt die FPÖ seit fünf Jahren Regierungs- verantwortung und hat ebenfalls knapp über 30 Prozent zu verteidigen. Dann wird sich zum ersten Mal zeigen, ob es richtig war, den Weg der ideologischen Standhaftigkeit und kon-struktiven Vernunft zu beschreiten und dafür den Populismus nach zwei gescheiterten Versuchen endgültig zu beerdigen. Ich prophezeie an dieser Stelle: Wir werden ihm keine Träne nachweinen.
FR E I L I C H / P O L I T I S C H E S T U D I E 13 AU F S T E H E N ! 3.3 Warum die Freiheitlichen in trennt haben. Die Totaloppositionellen haben obsiegt – und der Krise sind sich dann selbst wieder nach ein paar Jahren zu Regierungs- willigen entwickelt … Was aber folgt aus dieser neuerlichen Nullstunde für die VON ANDREAS UNTERBERGER Zukunft der FPÖ? Braucht es sie überhaupt? Wo wäre ihr Die Freiheitlichen sind ein seltsamer Haufen. In regelmäßi- Platz? gen Wellen schwappen sie zu großen Erfolgen und ekstati- scher Begeisterung hoch, um dann wieder in tiefe Täler und Partei im Problemfeld Depressionen verbunden mit erbitterten internen Kämpfen Die nüchterne Analyse muss jedoch wissen, dass diese Zu- zu verfallen. kunft in hohem Ausmaß von vielen externen und kaum be- Das ist freilich typisch für eine Protestpartei, die einer- einflussbaren Faktoren abhängig ist: seits massiv vom jeweiligen Ausmaß der Frustration der Men- schen über die Machthabenden abhängig ist, und andererseits • Wie lange braucht es, bis sich das Problemfeld Strache er- vom Vorhandensein einer starken Führungspersönlichkeit. ledigt? Noch Jahre, in denen ihn die Staatsanwaltschaft Beides lässt sich freilich nicht auf Knopfdruck beschaf- zum Gaudium der Ränge in zahllosen Prozesse vorführt? fen. Umso verblüffender ist die Regelmäßigkeit des Krisen- Oder ist er nach seiner Wiener Schlappe nun endgültig verlaufs: Kaum ist man nach großen Erfolgen an der Regie- Vergangenheit? rung beteiligt, beginnt es alsbald zu kriseln und man scheint • Rutscht Österreich, rutscht Europa als Folge der Corona- kollektiv wie unter Drogenentzug am Wegbleiben der Tes- Krise wirklich in eine lange Depression, wie etliche seriö- tosteron-Schübe durch die davor ständigen Wählerzuwächse se Ökonomen befürchten? Das würde die Perspektiven zu leiden. Regelmäßig bricht heftiger interner Streit aus, aber der regierenden Parteien dramatisch verschlechtern (und ebenso kommen auch Vorgänge ans Tageslicht, die höflich die der FPÖ verbessern). ausgedrückt, auf strafrechtliches Fehlverhalten des großen • Wie entwickelt sich die SPÖ? Konzentriert sie sich so wie Chefs hindeuten. die deutschen Sozialdemokraten weiterhin auf die inner- städtischen Bobos, die Studenten- und Künstlerszene, die Waterloo bei der Wien-Wahl Alt- und Jung-68er und lässt sie damit die Arbeiterschaft, die Inländer, den unteren Mittelstand links liegen, wo Gewiss ist dabei ins Kalkül zu ziehen, dass gerade die FPÖ sich die FPÖ wieder bedienen kann? Zumindest Michael und gerade ihre erfolgreichsten Spitzenleute – Haider, Gras- Ludwigs Wahl scheint ein gewisses Abgehen von diesem ser, Strache – unter unglaublich strenger Beobachtung einer Irrweg bedeuten. hasserfüllten Justiz- und Medienszene stehen. Ihnen werden • Wie entwickelt sich die ÖVP, die das größte Wählerre- Dinge zum Verhängnis, die anderswo oft ignoriert bleiben servoir potenzieller FPÖ-Stimmen bildet? Zweimal hat oder gar zugedeckt werden können. Das kann aber nicht als sich diese zum Nachteil der FPÖ ja schon aus schweren, Entschuldigung dienen. Denn man hat ja auch selbst jahre- fast letalen Fehlentwicklungen retten können: einmal lang aggressiv wirkliche wie vermeintliche Fehlleistungen durch Wolfgang Schüssel, der die für bürgerliche Wäh- anderer attackiert. Da kann es nicht überraschen, dass auch ler verstörende Ohne-Wenn-und-Aber-Ankettung an die Gegenseite selbst Harmlosigkeiten aggressiv überdimen- die Sozialdemokratie mutig gestoppt hat, die einst schon sioniert aufbläst, wie etwa (intellektuell peinliche, aber kein Alois Mock erfolglos zu beenden versucht hatte; und das Vergehen darstellende) Rattengedichte oder den Besitz al- zweite Mal durch Sebastian Kurz, der ebenso kraftvoll die ter Liederbücher. Freilich wird es wirklich kriminell, wenn (in der Diktion Margaret Thatchers: Waschlappen-)Linie gegen freiheitliche Politiker Vorwürfe überhaupt erfunden der diversen Schüssel-Epigonen beendet und die ÖVP auf werden. einen deutlichen Anti-Migrations-Kurs samt einigen wei- Das Waterloo der Freiheitlichen bei der Wien-Wahl ist teren konservativen Akzenten gebracht hat. Es gibt aber nicht zuletzt durch das Antreten gleich zweier freiheitlicher keinerlei Sicherheit, dass die ÖVP nicht noch einmal in Listen noch vergrößert worden: Auf der einen Seite stand da jene alten Fehler zurückfällt. die Partei, auf der anderen jener Mann, den man viele Jah- re als Verkörperung der Partei verkauft hat. Das hat viele All diese externen Faktoren, die sich zumindest bei den vor allem der einfach gestrickten Wähler verwirrt. Das war Wien-Wahlen sehr negativ auf die Freiheitlichen ausgewirkt im Grund eine absolute Reprise dessen, was 15 Jahre vorher haben, kann die FPÖ nicht wirklich beeinflussen. Dennoch durch die BZÖ-Abspaltung passiert ist, wo sich die Regie- beeinflussen sie umgekehrt sehr die Chancen der FPÖ. Diese rungswilligen von den Anhängern der Totalopposition ge- bestehen aber auch darin, dass sich fast die Hälfte der ver-
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