BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
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Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung BLACK HISTORY WEEKS Erlangen 2015 - 2021 P i erre t t e H e r zberge r- F of a n a
Inhalt Wie alles begann... 7 Der den Anfang machte: Carter G. Woodson 9 Noch etwas über Anfänge: Cheik Anta Diop 11 Black History Weeks Erlangen 12 2015 Die Vergessenen der Geschichte 14 Afrodeutsche Zeitzeug*innen des Dritten Reiches Auftaktveranstaltung 2015 16 Zeitungsartikel: Zeitzeugen wehren sich gegen das Vergessen 17 Programmpunkte 19 Anhänge und Literatur 21 Zwei der Vergessenen der Geschichte: Gert Schramm und Theodor Michael 22 Bundesverdienstkreuz für Gert Schramm 23 Worte der Trauer für Theodor Michael 24 Textbeitrag: Das Massaker in Thiaroye im Dezember 1944 26 2016 Sklaverei 32 Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit Verborgene Helden und Heldinnen 34 Programmpunkte 35 Anhänge und Literatur 39 Nachruf: Mustafa Olpak 40 Textbeitrag: Das Ende der Sklaverei geht uns alle etwas an 42
2017 2020 Die Stimmen Afrikas und der Diaspora 46 Cancelled 84 Die Stärke und das Streben der afrikanischen Frau 48 2021 Eindrücke der Auftaktveranstaltung 49 Programmpunkte 50 Anhänge und Literatur 53 Textbeitrag: Wie viel Diaspora steckt in wem? 54 Rassismus in Kunst und Kultur 88 Programmpunkte 90 2018 Anhänge und Literatur 94 Textbeitrag: Klischees wollen überwunden werden 95 Martin Luther King 60 und 50 Jahre danach Ausblick 97 Programmpunkte 64 Anhänge und Literatur 68 Textbeitrag: Schule ohne Rassismus - Schule mit Respekt 69 Biografie 100 2019 Publikationen 102 Westafrikanische Perspektiven 74 Zwischen Flucht und Hoffnung Programmpunkte 76 Impressum 104 Anhänge und Literatur 78 Textbeitrag: EU - Simulation in Nürnberg 79
W i e a l l e s b e g a nn... „Und Sie haben wirklich noch nie einen Lö- be. Und Schwarze Menschen haben in den wen gesehen?“. „Doch, im Zoo“. „Aber Sie vergangenen Jahrhunderten ebenso wie kommen doch aus Afrika!?“. Menschen anderer Hautfarbe zu Wissen- schaft, Kultur und Gesellschaft beigetragen, Oft in meinem Leben hatte ich eine Sprech- daran ändert die an sich schon schroffe Ver- blase über dem Kopf, in der „ohne Worte“ wunderung Vieler nichts. Als die UN im Jahr stand. Ohne Worte war ich, wenn jemand 2015 die Dekade für Menschen afrikanischer fragte, ob ich „Afrikanisch“ spreche. Ohne Herkunft ausgerufen hatte, fühlte ich mich Worte war ich, wenn Menschen vor Über- dazu aufgerufen, in meiner Heimatstadt Er- raschung auf meinen Hinweis, dass es langen mit einer Veranstaltungsreihe dafür afrikanische Frauenliteratur gibt, völlig aus zu sorgen, die Geschichte und Geschich- dem Häuschen gerieten. Sprachlos war ich ten Schwarzer Menschen sichtbar(er) zu auch, wenn Geschichtslehrer*innen mir of- machen. Ich rief die Black History Weeks fenbarten, nicht gewusst zu haben, dass Erlangen ins Leben, um Rassismus, Vor- Schwarze Menschen im nationalsozialis- urteilen und Diskriminierung zumindest ein tischen Deutschland verfolgt und in KZs Stück mehr Nährboden zu entziehen. Vor- gebracht wurden. Inzwischen bin ich alles reiter dafür ist Carter G. Woodson und der andere als ohne Worte, wenn mich Erleb- Black History Month, über den Sie in dieser nisse solcher und ähnlicher Art ereilen. Dokumentation lesen können. Wie man jüngst am Beispiel Namibia sehen Erinnerungskultur braucht hinsichtlich der konnte, dessen deutsche Kolonialgeschich- Geschichte von Menschen afrikanischer te in ihrer Brutalität noch immer nicht Eingang Herkunft ein neues Antlitz. Niemand kann gefunden hat in das kollektive Gedächtnis sich der Dinge erinnern, von denen er oder deutscher Staatsbürger*innen, gibt es in Sa- sie noch nie etwas gehört hat. Niemand kann chen Aufklärung noch Unmengen zu tun. Respekt für Errungenschaften oder Ereig- nisse aufbringen, die ihm oder ihr gänzlich Nein. Ich kann nicht aus dem Effeff beschrei- unbekannt sind. Solange Geschichtsbücher ben, wo die Serengeti liegt, obwohl ich aus im deutschen Schulunterricht nicht aktuali- Afrika stamme, so wie nicht jede*r Belgier*in siert sind, solange die Kolonialzeit und ihre aus dem Effeff beschreiben kann, wo genau umfassenden, bis heute greifenden Auswir- die Walachei liegt. Schwarze Menschen sind kungen nicht aufgearbeitet werden, solange so unterschiedlich wie Menschen eben sind bleibt es auch ein Ding der Unmöglichkeit, und daher genauso wenig in Schubladen zu Rassismus dorthin zu schicken, wo er hin- stecken, wie Menschen anderer Hautfar- gehört: ins Nirgendwo. 6 7
D e r d e n A nf a ng m a c ht e C a r t e r G . Wo o d s o n, Nun, hier im Diesseits ist es mir gelungen, heiten und aktuellen politischen Bezügen. einen kleinen Teil dieser Arbeit zu leisten und Zu Beginn stelle ich kurz Carter G. Woodson “ F a t he r o f t he B l a c k H i s t o r y Mo nt h“ Schwarzen Persönlichkeiten und deren Ge- und Cheik Anta Diop vor, auf deren Arbeit schichten eine Bühne zu bieten. Es ist mir ein und Initiative der in vielen Teilen der Welt ze- Anliegen, die Black History Weeks Erlangen lebrierte Black History Month gründet. Es ist das Verdienst des Wissenschaftlers aus den Jahren 2015 bis 2021 dokumentiert Carter Godwin Woodson, Woodson dass weltweit zu zu wissen und die Intention dieser Veranstal- Die Black History Weeks Erlangen hätten Black History Weeks eingeladen wird. tungsreihe deutlich verstehbar zu machen. ohne die Unterstützung der Stadt Erlangen Als Sprössling ehemaliger Sklaven und of- nicht werden können, was sie sind. Von Be- fensichtlich als unermüdlich neugieriger und Afrika-Feste und Afrika-Tage haben in ihrer ginn der Veranstaltungsreihe an zeichnen engagierter Mensch war er der erste Wis- Buntheit, in der Vielfalt köstlicher Gerüche, sich das Bürgermeister- und Presseamt senschaftler, der sich – über alle Hindernisse, lebensfroher Musik und farbenfroher Ge- sowie das Büro für Chancengleichheit und die ihm die weiß dominierte akademische wänder ihre Berechtigung und ich möchte Vielfalt als Veranstalter verantwortlich. Welt entgegenstellte hinweg – mit afroame- sie nicht missen. Die Black History Weeks Besonderer Dank für sein organisatorisches rikanischer Geschichte beschäftigte. Nach Erlangen hingegen, sind aus der Motivation wie inhaltliches Engagement gilt an dieser seiner Dissertation 19121, gründete er 1915 heraus entstanden, gängige Klischees zu Stelle Till Fichtner. Oberbürgermeister Dr. mit der Unterstützung verschiedener Stiftun- überwinden und Bereiche Schwarzer Kul- Florian Janik danke ich für die Übernahme gen die „Association for the Study of ‚Negro‘ tur, aber auch die Involviertheit Schwarzer der Schirmherrschaft. Life and History“ (heute: Association for the Menschen in die deutsche Geschichte aufzu- Study of African American Life and History) greifen. Erst, wenn niemand mehr rückwärts Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen in Chicago und etwas später das Journal trudelt, weil ein dunkelhäutiger Mensch mit und: scheuen Sie sich nicht, zu recherchie- of Negro History (heute: Journal of African fränkischem Dialekt spricht, weil ein Schwar- ren und Dingen auf den Grund zu gehen. American History). Woodson veröffentlichte 1 8 7 5 - 1 9 5 0 zer klassische Musik komponiert oder eine Auch Afrika hat Grund. zahlreiche Bücher und wurde zum Dekan Schwarze Deutsche in Unkenntnis darüber des College of Arts and Science an der Ho- sein darf, ob Burkina Faso im Osten oder im Ihre ward University in Washington D.C. berufen, Pierrette Herzberger-Fofana Westen Afrikas liegt, haben wir gewonnen. das sich heute auf seiner Homepage als „the oldest, largest, and most diverse and rele- Im Folgenden finden Sie jeweils einen Über- Mitglied des Europäischen Parliaments vant college on [the] campus“2 bezeichnen blick über das Programm der Black His- kann. Nicht umsonst wird Woodson nach tory Weeks der Jahre 2015 bis 2021, also wie vor als „Vater der Schwarzen Geschich- alle Vorträge, Lesungen, Filmvorführungen, te“ wahrgenommen. Buchvorstellungen und Gespräche. An den jeweiligen Überblick angeschlossen, finden Sie Ausführungen zu einigen der vorgestell- 1) Woodson war nach W.E.B. Du Bois der zweite Afroamerikaner in der Geschichte, der promovierte. ten Persönlichkeiten, historischen Begeben- 2) https://coas.howard.edu/about/welcome-dean (Zugriff: 10.09.2021) 8 9
N o c h e t w a s üb e r A nf ä ng e : Cheikh Anta Diop und der Afrozentrismus Woodsons Antrieb war es immer, der in hinweg: „Gib‘ mir bitte mal den hautfarbe- Geschichtsbüchern vorherrschenden Pers- nen Stift“ 3 kann für ein Kind ein prägendes pektive auf Vergangenheit eine „Schwarze“ Erlebnis sein, im Rahmen dessen es sich als An dieser Stelle möchte ich Ih- erkennung Afrikas, seiner Geschichte und Perspektive entgegenzusetzen und kultu- „nicht normal“ wahrnimmt und innerlich und/ nen Professor Cheikh Anta Diop seiner Menschen. Die Universität in Dakar/ relle, wirtschaftliche und gesellschaftliche oder nach außen hin Konsequenzen zieht. vorstellen, einen bedeutenden Senegal trägt seit 1987 seinen Namen: Beiträge und Errungenschaften afroame- Je mehr, so mein Standpunkt, Vergangen- senegalesischen Historiker und Université Cheikh Anta Diop rikanischer Bürger*innen in den Blick zu heit wie auch Gegenwart und Zukunft aus Politiker. nehmen. der Perspektive Schwarzer Menschen be- 1923-1986 Über Menschen wie Cheikh Anta Diop, über sprochen und verhandelt wird, umso freier Diop gilt neben Molefi Kete Asante als einer Thesen wie seine muss gesprochen wer- Aus dieser Motivation heraus rief er im Fe- können die Jüngsten und Jüngeren unse- der Hauptvertreter des Afrozentrismus und den, nicht nur in akademischen Blasen. Und bruar 1926 die erste „Negro History Week“ rer Gesellschaft in diese hineinwachsen er hatte es sich davon ausgehend zu seiner nicht zuletzt dafür können Veranstaltungsrei- ins Leben – in der Woche im Jahr, in der die und ihre Potentiale entfalten. Das muss das Lebensaufgabe gemacht, den Beitrag Afri- hen wie die Black History Weeks ein Forum beiden Geburtstage von Abraham Lincoln Ziel sein. Wenn ein junger Mensch Schwar- kas zur Weltkultur aufzuzeigen. bieten. Bürger*innen können ihre Bildungs- und Frederick Douglass zusammenfallen. zer Hautfarbe in Kenntnis darüber ist, dass horizonte erweitern und in möglicherweise Es war die Geburtsstunde des 1970 von Menschen Schwarzer Hautfarbe seit jeher, Im Rahmen seiner Dissertation, die 1956 von verengten Blicken auf die Menschheitsge- Studierenden an der State University New schreiben, forschen, kämpfen, Dinge ersin- der Sorbonne in Paris abgelehnt wurde, legte schichte kann Raum entstehen, für andere, York begründeten Black History Month und nen, scheitern und siegen, dann lernt der er die These vor, dass die ägyptische Be- noch nicht gehörte Perspektiven. sämtlicher bis heute an vielen Orten der Welt junge Mensch, dass ihm oder ihr dies auch völkerung zur Zeit der Pharaonen Schwarz Die Perspektiven, die wir mit der Mutter- ausgerichteten Black History Weeks. möglich ist. war und es entsprechend schwarzafrika- milch aufnehmen, geben wir, solange wir So gesehen lief ich mit den Black Histo- nische Dynastien gewesen sein mussten, sie nicht hinterfragen, an unsere Kinder wei- ry Weeks Erlangen in Carter G. Woodsons die die ägyptische Hochkultur hervorge- ter. Und ist es wirklich zeitgemäß, Christoph Fußstapfen bzw. führte ich, wie viele andere bracht hatten. Diop schrieb Afrika damit eine Kolumbus zu besingen? Darüber lässt sich Kolleg*innen seine Spuren weiter – in einer bedeutende Rolle in der Entwicklung der sicherlich streiten. Und dies ist immerhin fränkischen Universitätsstadt. Warum? menschlichen Zivilisation zu, die der Sicht auch ein Anfang. auf Afrika beinahe diametral gegenüber- Auch mir war es immer schon und ist es im- stand. Die Kolonialmächte hatten Afrika über mer noch ein großes Anliegen, Kinder von die Zeit zu einem beinahe geschichtslosen der Last zu befreien, die Diskriminierung auf- Flecken Erde gemacht, ein Image, das dem grund von Hautfarbe mit sich bringt. Dabei Kontinent noch heute anhaftet und das im muss es nicht unbedingt um offenen Ras- Blick westlicher Zivilisationen auf Afrika fest- sismus gehen, den wir leider viel zu häufig hängt und die Sicht versperrt. als solchen verzeichnen müssen. Schon die saloppe Bemerkung über den Basteltisch Diop kämpfte im Rahmen seiner For- schungsergebnisse Zeit seines Lebens für 3) E rfreulicherweise hat eine Berliner Initiative hier angesetzt und "HAUTFARBEN - BUNTSTIFTE FÜR ALLE" hervorgebracht. Chapeau! https://www.hautfarben-buntstifte.de die entsprechende Aufwertung und An- 10 11
B l a ck History Wee k s E r l an g e n : Ve r g a n g e n h e i t , Z u k u n f t - G e g e n w a r t ? Der erste Black History Month in Deutsch- den besonders diejenigen gehen, die sich vermittelbare, fast verharmloste Figuren land wurde 1990 von der „Initiative Schwarze als Aktivist*innen, Poklitiker*innen, Künst- der schwarzen Vergangenheit eine jährliche Menschen“ (ISD) in Hamburg organisiert. ler*innen oder anderweitig für die Rechte Heldenverehrung genießen dürfen. Schwarzer Menschenengagieren. Inzwischen werden in den meisten grö- Die Aufgabe, Black History sichtbar und zu- ßeren deutschen Städten – meist im In einem Artikel für den Tagesspiegel fragte gänglich zu machen, ist keine leichte. Aber Februar – entsprechende Veranstaltungs- Michaela Dudley, Berlinerin mit afroamerika- sie ist eine ernst zu nehmende. Denn Black reihen durchgeführt und auch in Erlangen nischen Wurzeln, im Februar 2021 bei aller History ist „auch Menschheitsgeschichte, gingen die Black History Weeks im Jahr Aktualität nach der Zeitgemäßheit des Black [die] tagtäglich gelehrt, gelernt und gelebt 2021 nach erzwungener Corona-Pause in History Month. Ich möchte daraus zitieren, werden [muss]“ 4 . Im Sinne dieses Zieles die sechste Runde. denn sie beschreibt sehr eindrucksvoll, müssen Black History Weeks oder Months Der Mord an George Floyd im Jahr 2020 inwieweit wir in unserer täglichen Arbeit auf- in Deutschland ermöglicht und verwirklicht hat auf tragische Weise dafür gesorgt, dass merksam und kritisch bleiben müssen: werden, ob in Hamburg, Köln, Erlangen oder ‚Black History‘, dass der Kampf gegen Neuendettelsau. Rassismus an vielen Stellen an Prominenz Die [Schwarze] Geschichte erzählt über gewonnen hat. Und gerade damit befinden Generationen und Ozeane hinweg von Dop- wir uns an einem herausfordernden Punkt pelmoral und Demütigungen, von trotzigen in der Geschichte: Vielerorts werden Au- Triumphen in der Umklammerung trostloser gen gerollt, wenn das Thema Rassismus zur Tragödien. […]. Es geht beim Black Histo- Sprache gebracht wird, werden Argumen- ry Month darum, sowohl die Leistungen als te vorgebracht, die explizit oder implizit zum auch die Leidenswege Schwarzer Men- Ausdruck bringen, dass doch schon alles schen in den Mittelpunkt zu stellen. […]. Wir gesagt sei, alles verstanden sei, alles getan in der Black Community wandern eigentlich wäre. ständig auf dem schmalen, scharfkanti- gen Grat zwischen Selbstbemitleidung und In diesem gesellschaftlichen Fahrwasser Selbstermächtigung, Larmoyanz und Lei- müssen diejenigen, die aktiv für Anti-Rassis- denschaft. […]. Wir müssen [...] aufpassen, mus kämpfen aufpassen, in ihren Worten dass unsere Galionsfiguren ihre Schärfe und Taten präzise und aufrecht zu bleiben. nicht verlieren oder gegen Salonfähigkeit Schmerzhaftes darf nicht verharmlost wer- tauschen. Denn mittlerweile ist der Black den. Erlernte Opferhaltungen dürfen zu Fall History Month vielerorts zu einem Event 4) h ttps://www.tagesspiegel.de/kultur/black-history-month-schwar- ze-geschichte-ist-menschheitsgeschichte/26869536.html gebacht werden. Es ist ein schmaler Grat, verkommen, bei dem einige inzwischen (Zugriff: 20.09.2021) 12 13
2015 Die Black History Weeks 2015 standen im Zeichen des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte. Es ist und bleibt mir ein großes Anliegen, gerade in Deutschland darüber auf- zuklären, dass auch Menschen aus nicht-europäischen Ländern in KZs inhaftiert worden waren. In einem offenen Brief bat ich bereits im Frühjahr 2015 Bundeskanzlerin Angela Merkel darum, bei ihrer Rede in der KZ-Gedenkstätte Dachau anlässlich des 70. Jahres- tages der Befreiung die Gruppe nicht-europäischer KZ-Häftlinge zu würdigen. Frau Merkel folgte meinem Hinweis und sagte wörtlich: „Es waren Männer, Frauen, Kinder. Sie kamen aus ganz Europa. Sie stammten darüber Die Vergessenen hinaus aus vielen anderen Teilen der Welt, aus Asien wie auch – das ist in der Öffentlichkeit bis heute wenig bekannt – aus Teilen Afrikas, dem Kongo, dem Senegal und aus Eritrea. Wir gedenken der rund 41.500 Menschen, die diesen Ort nicht überlebten.“ der Geschichte Auch Schwarze Deutsche wurden G e de n kstä tte Da c h a u – Je an Vo s te auf unterschiedliche Weise Opfer des Nazi-Regimes. Mit den „Vergesse- nen der Geschichte. Afrodeutsche Zeitzeug*innen des Dritten Reichs“ Afrodeutsche standen Gert Schramm, Marie Nejar und Theodor Michael im Mittelpunkt einer spannenden Auftaktveranstal- tung der ersten Black History Weeks Zeitzeug*innen des Erlangen. Aus meinem Archiv finden Sie im Folgenden den Flyer zur damaligen Veranstaltung und einen Bericht, der die Veranstaltung auf nordbayern.de Dritten Reiches kommentierte.5 5) https://www.nordbayern.de/region/erlangen/erlangen-zeitzeugen-wehren-sich-gegen-das-vergessen-1.4667256 (Zugriff: 21.09.2021) 14 15
B L A C K H I S T O R Y W E E K S — 19.09.–06.10.2015 E r l a ng e n: Z e i t z e ug e n w e hr e n s i c h g e g e n Wochen der afrikanischen Diaspora und ihrer d a s Ve r g e s s e n6 Geschichte von S. Balcerowski Die ersten „Black History Weeks“ in Erlangen konzentrieren sich dieses Jahr auf das Ende Drei Zeitzeugen sorgten für einen beeindru- wurde. Schramm betonte auch, entgegen des Zweiten Weltkriegs und die unmittelbare Nachkriegszeit. Erfahrungen schwarzer Ge- ckenden Auftakt der Reihe „Black History der allgemeinen Geschichtsauffassung war fangener in den Konzentrationslagern werden dabei ebenso beleuchtet wie die Rolle der Weeks“,, die im Rahmen des „interkulturellen Weeks“ die Befreiung des KZ Buchenwald nicht nur afro-amerikanischen GIs in Deutschland. Monats“ in Erlangen stattfinden. durch die Amerikaner passiert, sondern war auch eine Selbst-Befreiung. Wenig spä- Gert Schramm, Überlebender des KZ Bu- ter rang Schramm um Worte. Schluchzend Die Vergessenen der Geschichte - chenwald, hat Pierrette Herzberger-Fofana sagte er: „Wir Überlebenden werden nicht Afrodeutsche Zeitzeugen des Dritten Reiches angesehen, zögerte und sagte dann: „Die eher ruhen, bis der letzte Nazi vor Gericht Frage hätte ich mir gespart...“ Ein paar La- gestellt ist.“ Herzberger-Fofana rückte mit Samstag, 19.9. 2015, 18.00 Uhr Stadtbibliothek, Innenhof im Erdgeschoss cher im Publikum. Die Stadträtin der Grünen dem Stuhl näher an den Zeitzeugen her- Liste und Organisatorin der Wochen über an und legte die Hand auf seinen Arm. „Ich 70 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager in Deutschland ist kaum bekannt, Schwarze Geschichte hatte Gert Schramm glaube, wir können hier abbrechen...“, sagte dass auch Menschen aus nicht-europäischen Ländern in den KZs inhaftiert waren. Sie gefragt, ob er in der Schule geschlagen sie, und das Publikum applaudierte. stammten aus vielen Teilen der Welt, aus Asien wie auch aus Afrika. Wie war das Leben für diese Menschen während der Nazi-Zeit ? Zum ersten Mal werden drei überlebende Schwarze Deutsche über ihre Erfahrungen während der Nazi-Herrschaft sprechen und aus ihren Biographien lesen. Gert Schramm verbrachte eine Zeit lang im KZ und Theodor Michael im Arbeitslager. Marie Nejar musste in rassistischen Propagandafilmen auf Anweisung von Joseph Goebbels spielen. 6) E rschienen am 21.9.2015 auf nordbayern.de, abrufbar unter: https://www.nordbayern.de/region/erlangen/erlangenzeitzeugen-wehren- Moderation: Dr. Pierrette Herzberger-Fofana sich-gegen-das-vergessen-1.4667256 16 17
Weitere Programmpunkte In die Erlanger Stadtbibliothek sind rund 110 ein Nazi gewesen, wenn ich eine weiße Haut Gäste gekommen, um unter dem Motto gehabt hätte.“ Erst als sie beim Bund Deut- „Die Vergessenen der Geschichte – Afro- scher Mädel abgelehnt wurde, hörte sie auf Vortrag von Dr. Pierrette Herzberger-Fofana deutsche Zeitzeugen des Dritten Reiches“ ihre Großmutter, die die Jugendliche vor den Das Massaker an den afrikanischen Truppen in Frankreich durch die Wehrmacht im Juni aus dem Leben zweier Männer und einer Nazis warnte. 1940 und das Massaker in Thiaroye im Dezember 1944 Frau zu hören. Auch Theodor Michael hat seine Geschich- Dienstag, 22.9.2015, 19:30 Uhr — Stadtbibliothek, Bürgersaal, 2.OG. te erzählt. Er war bei Pflegeeltern aufge- Neben Gert Schramm war auch Marie Nejar wachsen, die Schausteller waren und ihn auf dem Podium. Sie hatte in Propaganda- zur Völkerschau schickten, eine „künstle- Filmvorführung Filmen der Nazis mitspielen müssen. „Ich bin rische“ Darstellung von Menschen, die als Black Survivors of Holocaust. Dokumentarfilm von David Okuefuna eine Deutsche, es hilft nichts“, sagte sie und Exoten galten. Aus der Geschichte zu ler- Samstag, 26.9. 2015, 19:00 Uhr — E-Werk-Kino das Publikum lachte. Zuvor erzählte sie von nen, wünscht sich Theodor Michael und iro- Wie das Leben der Schwarzen Menschen in Deutschland während der Nazi-Diktatur aus- Versuchen als junges Mädchen, die schwar- nisierte: „Bis 1945 gab es Nazis und danach sah, was sie erduldet und erlitten haben, davon wissen die meisten Deutschen nichts. Die ze Hautfarbe mit Seife abzuwaschen, eine gab es keine mehr.“ Michael appellierte an BBC-Dokumentation „Black Survivors of the Holocaust“ bringt diese Wirklichkeit in Inter- Reaktion auf die Diffamierungen, sie sei das Publikum, hinter jedem Flüchtling einen views und raren Originalfilm-Dokumenten ans Licht. Der Regisseur David Okuefuna und schmutzig. Zunächst lernte Marie Nejar in Menschen zu sehen mit einer ganz persön- der Produzent Moise Shewa (Afro-Wisdom Productions) haben mit einer hervorragenden der Schule begeistert Fakten über Adolf Hit- lichen Geschichte. „Nur für wen es unerträg- Recherche ihrerseits ein Filmdokument von unschätzbarem Wert geschaffen, in dem sie ler. Rückblickend vermutete sie: „Ich wäre lich wird, der flieht aus dem Land.“ für nachfolgende Generationen die Stimmen von Überlebenden und Nachkommen fest- gehalten haben. Nachgespräch mit Katharina Oguntoye, M.A., Historikerin und Autorin Vortrag von Dr. Katharina Gerund, Amerikanistin Ein Atemzug der Freiheit? Afroamerikanische Soldaten im Nachkriegsdeutschland Dienstag, 29. September 2015, 19:30 Uhr — Stadtbibliothek Erlangen Der Vortrag skizziert Berichte afro-amerikanischer Soldaten über ihre Erfahrun- gen im Nachkriegsdeutschland. Für sie ging es im Zweiten Weltkrieg um einen „doppelten Sieg“: gegen den Faschismus in Europa und gegen den Rassismus in den USA. Wie haben sie ihren Kriegseinsatz und ihre Zeit in Deutschland er- lebt? Welche Rolle spielten diese Erfahrungen für die Bürgerrechtsbewegung Erlangen, 19. September 2015 in den USA? Gleichzeitig beleuchtet der Vortrag auch deutsche Reaktionen auf die Schwar- von links: Till Fichtner, Gert Schramm, Frau Reimann, Marie Nejar, Dr.Pierrette Herzberger-Fofana und Theodor Michael © Urheberrecht: Pierrette Herzberger-Fofana zen GIs und erkundet deren Bedeutung im kollektiven Gedächtnis (West-)Deutschlands. 18 19
Anhänge & Literatur Vortrag von Dr. Pierrette Herzberger-Fofana Theodor Michel: Fasia Jansen (1929-1997) – Eine engagierte Liedermacherin der Nachkriegszeit Deutsch sein und Schwarz dazu. Erinnerungen Freitag, 2. Oktober 2015, 19:30 Uhr — Stadtbibliothek Erlangen eines Afro-Deutschen 1. Auflage. München: dtv 2013 „Meine Kindheit lag in der Nazi-Zeit. Man muss wohl nicht kommentieren, was es bedeutet hat, nicht „arisch“ zu sein, denn auch die Schwarzen fielen Marie Nejar: unter die Rassengesetze. Ich stamme aus einer einfachen Hamburger Fa- Mach nicht so traurige Augen, weil Du ein N… bist. milie. Mein Vater war der Generalkonsul von Liberia, aber den habe ich nicht Meine Jugend im Dritten Reich wirklich kennen gelernt. Meine Mutter heiratete 1936 einen Arbeiter. Der war 1. Auflage. Hamburg: Rowohlt Verlag 2007 Sozialist, ein politisch bewusster Mensch und hat mich sehr geprägt und unterstützt… Ich wurde von den Nazis dienstverpflichtet und arbeitete in einer Barackenküche des KZs Neuengamme[…] Meine Lieder waren und sind für mich ein Mittel, mich am Le- Gert Schramm: ben zu halten und meine Würde als Frau, als Schwarze Frau zu behaupten.“ Wer hat Angst vorm schwarzen Mann. Mein Leben Fasia Jansen ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und Trägerin der Ehrennadel der in Deutschland Stadt Oberhausen. 1. Auflage. Berlin: Aufbau Verlag 2011 May Ayim, Katharina Oguntoye, Dagmar Schultz (Hg.): Vortrag von Israel Kaunatjike, Bildungsreferent und Aktivist, Berlin Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Namibia. 100 Jahre nach dem Ende von „Deutsch-Südwestafrika“ Spuren ihrer Geschichte Dienstag, 6. Oktober 2015, 20:15 Uhr — Evangelische Studierendengemeinde 5. Auflage. Berlin: Orlanda Verlag 2021 Nicht das Massaker an den Armeniern sei der erste Völkermord im 20. Jahr- hundert gewesen, sagt Israel Kaunatjike vom Bündnis „Völkermord verjährt Katharina Oguntoye: nicht!“. Auch die Ermordung von 90.000 Herero in Namibia müsse als Genozid nicht!“ Afro-deutsche Familiengeschichten von 1884 - 1950 anerkannt werden. Namibia stand bis 1915 unter deutscher Kolonialherrschaft. 1. Auflage. Berlin: Orlanda Verlag 2020 Deutsche Soldaten haben 1904 bei Aufständen Tausende Afrikaner*innen ge- tötet, darunter viele Vertreter*innen vom Stamm der Herero. Mindestens zwei Drittel des Marina Achenbach: Herero-Volkes wurde nach der Niederschlagung ausgelöscht. Bis heute warten die Nach- Fasia. Geliebte Rebellin. kommen auf eine offizielle Entschuldigung und eine angemessene Entschädigung. 1. Auflage. Oberhausen: Asso-Verlag 2004 http://justlisten.berlin-postkolonial.de/israel-kaunatjike 20 21
Zw ei der Verg ess e n e n de r G e s ch ich t e : B und e s v e r d i e ns t kr e uz f ür G e r t S c h ramm Gert Schramm und Theodor Michael Es ist mir ein großes Anliegen, mit dieser Am 25. April 2014 nahm Gert Schramm im gegen Rechtsextremismus. 2011 erschien Dokumentation zwei derjenigen Menschen Rathaus der Stadt Eberswalde das Bun- sein autobiografischer Roman „Wer hat ins Licht zu rücken, die – schlimme Erfahrun- desverdienstkreuz entgegen. Mit der Aus- Angst vorm schwarzen Mann. Mein Leben gen im eigenen Land verzeihend und davon zeichnung wurde sein großes Engagement in Deutschland“. motiviert, anderen bessere Erfahrungen zu gegen Rassismus und Rechtsextremismus ermöglichen – große Verdienste für die Bun- VERLEIHUNGSURKUNDE gewürdigt. Am 18. April 2016 verstarb Gert Schramm. desrepublik Deutschland geleistet haben. Im Namen des Brandenburger Ministerprä- IN ANERKENNUNG DER UM VOLK UND STAAT ERWORBENEN Beiden, Gert Schramm und Theodor Micha- sidenten überreichte der Landrat Bodo Ihrke Ich bin dankbar, dass ich an einem Teil Dei- BESONDEREN VERDIENSTE el, durfte ich auf einem Stück ihres Lebens el VERLEIHE ICH die Auszeichnung. In seiner Laudatio dankte nes Lebens teilhaben durfte, lieber Gert, Wegbegleiterin sein. Theodor Michael habe er dem einzigen afrodeutschen Überleben- dass Du mich als Deine „Sinnesgenossin ich 2016 für das Bundesverdienstkreuz vor- HERRN THEODOR MICHAEL den des Konzentrationslagers Buchenwald und gute Freundin“ verstanden hast und KÖLN geschlagen, aus der tiefen Überzeugung mit folgen Worten: Dein Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden heraus, dass seine Sichtbarkeit und die Wür- DAS VERDIENSTKREUZ mich in meiner eigenen Arbeit immer wieder digung seiner Arbeit für die afrodeutsche AM BANDE Menschen wie Sie sind es, die uns davor bestärkt hat. Community und darüber hinaus von großer DES VERDIENSTORDENS DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND bewahren, zu vergessen. Sie erinnern und Bedeutung ist. mahnen uns. Sie machen uns deutlich, das Ich fordere Sie in diesem Rahmen dazu auf, ein friedliches und demokratisches Mitein- Geschichte immer wieder neu zu lesen, neu BERLIN; DEN 15. NOVEMBER 2017 ander durchaus keine Selbstverständlichkeit zu hinterfragen und nach Spuren derer zu ist. suchen, die unsichtbar (gemacht worden) DER BUNDESPRÄSIDENT sind. Für eine Gesellschaft, nicht zuletzt die Im Rahmen der Zeremonie wurde ihm deutsche, der ein friedvolles Zusammenle- vom Eberswalder Bürgermeister Friedhelm ben wichtig ist, brauchen wir jeden Hinweis, Boginski vor allem auch für seine Aufklä- der hilft, die Gleichwertigkeit aller Menschen rungsarbeit an Schulen gedankt. anzuerkennen. Gert Schramm wurde 1928 in Erfurt geboren und als Schwarzer Deutscher 1943 von der Gestapo in Schutzhaft genommen und ins KZ Buchenwald deportiert. Er überlebte dort eines der berüchtigten Arbeitskommandos in einem Steinbruch. Seit 1964 lebte Gert Schramm zusammen mit seiner Familie in Eberswalde und engagierte sich dort bis zu seinem Tod 2016 in der Aufklärungsarbeit 22 23
W o r t e d e r Tr a u e r für Theodor Michael Liebe Gemeinde, liebe Familie Michael, verspätete Anerkennung seines Lebens- kampfes. Sie machte viele Demütigungen, heute sind wir alle hier versammelt, um einen Kränkungen und rassistische Anfeindun- Freund, ein Vorbild und eine Inspirations- gen zwar nicht ungeschehen. Dennoch quelle, Theodor Michael, zu seiner letzten konnte er die Auszeichnung als späte Ent- Ruhestätte zu begleiten. schuldigung und vor allem Würdigung seines Lebenswerkes auffassen. Als ich 2015 „Black History Weeks“ in An- Mir wurde dies bewusst, als ich während knüpfung an den UN-Aufruf ins Leben rief meines letzten Besuches vor drei Wochen und diese den „Vergessenen der Geschich- sah, dass er diese Auszeichnung in seinem te“ widmete, war ich dankbar, dass Theodor Zimmer im Pflegeheim gerahmt und aufge- Michael unsere Einladung angenommen hängt hatte. Er sagte an diesem Tag zu mir: hatte und zusammen mit zwei anderen Zeit- „Liebe Pierrette, ich hoffe und bete, dass Dir zeugen – Gert Schramm und Marie Nejar eine gute Arbeit im Europäischen Parlament – unsere Ehrengäste waren. Hierbei haben gelingt. Sei eine gute Vertreterin unserer Sa- wir Theodors Sinn für Ironie und Humor zu che.“ schätzen gelernt, als er beispielsweise sag- Ich betrachte diesen Satz als echten Auftrag te: „Bis 1945 gab es Nazis und danach keine und gebe meine ganze Kraft, lieber Theo, mehr“ ihm nachzukommen. Ich freue mich sehr, dass die Bundesrepublik Danke lieber Theo, für Deine Kraft, Dein En- Danke, Deutschland ihm die höchste Auszeichnung gagement und den Kampf gegen jegliche unseres Landes, das Bundesverdienstkreuz Form der Diskriminierung und Rassismus. am Bande, am 28. Januar 2018 durch den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein- Westfalen verliehen hat. Und ich freue mich, dass Jesse Jackson, ein Wegbegleiter von Martin Luther King, ihm wenige Wochen vor seinem Tod eine Botschaft übermittelt hatte. Diese beiden Ereignissen erfüllten Theodors Herz am Ende seines Lebens noch einmal mit großer Freude. Für Theodor war die Verleihung des Bun- desverdienstkreuzes eine, wenn auch 24 25
D a s M ass aker in T h ia ro y e im D e z e m be r 1 944 Vortrag vom 22.09.2015 in gekürzter und überarbeiteter Fassung Dr. Pierrette Herzberger-Fofana Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges Die Zwangsrekrutierung der Afrikaner weist auch in den Schulbüchern unserer Zeit noch Lücken auf. Dass afrikanische Mit der Verwicklung Frankreichs in den Zwei- Soldaten aus den Kolonialgebieten Frank- ten Weltkrieg wurden auch die französischen reichs wesentlich dazu beigetragen haben, Kolonialtruppen Afrikas in den Weltkonflikt Frankreich und Europa gegen die Nazis einbezogen. Es wurde zum „Kriegsbeitrag“ zu verteidigen wird nur in seltenen Fällen (effort de guerre) aufgerufen, um das „Mut- gewürdigt, Gedenkfeiern wie Denkmäler terland“ Frankreich gegen das faschistische weisen da regelmäßig blinde Flecken auf. Nazideutschland zu verteidigen. Man nann- Doch ist dies nicht eine Form der Verleug- te die rekrutierten Soldaten die „Tirailleurs“ 7. nung eines wichtigen Teils der Geschichte? Muss der Einsatz derer, die unter einem Nach den blutigen Schlachten in Frankreich, kolonialen Joch zu leben und zu kämpfen wie z. B. der Schlacht von Lyon, wurden die hatten nicht wenigstens nachträglich ge- besiegten Mitglieder der Kolonialtruppen in bührend gewürdigt werden? Muss nicht im die sogenannten Stammlager („Stalags“), Sinne der fälligen Auseinandersetzung mit also Kriegsgefangenenlager, deportiert, der europäischen Kolonialgeschichte genau die die Nazi-Armee in den besetzten Län- hingeschaut und vieles richtig gestellt wer- dern errichtet hatte. Nur wenige Stalags in den? Deutschland waren für afrikanische Gefan- In vielen Interviews und Gesprächen, die ich gene vorgesehen. Die bekanntesten sind zwischen 2010 und 2013 mit Kriegsvetera- Sansdbostel, Hemer und Luckenwalde, 50 nen im Senegal führen durfte, konnte ich mir km von Berlin entfernt. Die Nazis hatten vor ein sehr persönliches Bild der Thematik ma- allen Dingen in Frankreich Lager für Gefan- chen. gene aus den Kolonialtruppen errichtet, da die Wehrmacht befürchtete, dass mit der Inhaftierung von Afrikanern ansteckende Tropenkrankheiten in das Deutsche Reich eingeschleppt würden. 7) Unter dem folgenden Link finden Sie ein Interview, das ich 2008 mit El Hadj Ousmane Gadio im Senegal als damals einem der ältesten af- rikanischen Kriegsveteranen, der von Frankreich nach Deutschland deportiert wurde, geführt habe: https://www.grioo.com/mobile/article. php?id=15694 (13.07.2022). Gefangene im Kriegsgefangenenlager Luckenwalde / Archiv Luckenwalde 26 27
Am 30. November 1944 nahmen die da- Euro. mals in Thiaroye untergebrachten Tirailleurs Sieht man sich nicht zuletzt in diesem Zu- Das Massaker von Thiaroye im Senegal 1944 einen französischen General als Geisel, um sammenhang Plakate der Kakaomarke den ihnen zustehenden Kriegslohn zu er- Banania aus den 30er und 40er Jahren des In Frankreich waren fast alle Kolonialtrup- zwingen. Sie ließen ihn noch am selben Tag letzten Jahrhunderts an (die noch gerne pen im Stalag Poitiers untergebracht, so frei, nachdem sie eine feste Zusage erhalten auf Flohmärkten verkauft werden), ist ein auch der spätere senegalesische Präsi- hatten, dass sie bezahlt werden würden. Im Hohn der Geschichte nicht wegzuleugnen. dent Léopold Sédar Senghor. 1944 begann Morgengrauen des 1. Dezember 1944 or- Auf den Plakaten sieht man einen senega- Frankreich, seine Truppen zu „bleichen“: ganisierte derselbe französische General lesischen Soldaten, der in mit einem breiten Die senegalesischen Schützen, bei denen ein blutiges Massaker an den schlafenden Lachen im Gesicht Kakao löffelt. Im Bild es sich um Soldaten aus dem gesamten Schützen, wohl, um ein Exempel zu statuie- unten findet sich ein Schriftzug, der sagt: ehemaligen Französisch-Westafrika (AOF) ren. Von den 1300 Soldaten, die in Thiaroye „y‘ a bon“, was soviel heißen soll wie „ist gut“. handelte, wurden nach Afrika repatriiert. Sie anwesend waren, wurden 300 getötet. kamen in Dakar im Lager Thiaroye an, einem Der Filmemacher Sembène Ousmane be- Ein Bild wurde gezeichnet und sehr populär Durchgangslager, bevor sie in ihre jewei- schreibt in seinem Film Le Massacre des vermarktet, das den Afrikaner als Soldaten ligen Länder zurückkehrten: Guinea, Mali, Tirailleurs auf eindrucksvolle Weise die darstellt, der, nur einer reduzierten Sprache Obervolta (heute Burkina Faso), Tschad, Forderungen der damals im Lager einge- mächtig, glücklich ist über sein Schüsselchen Zentralafrikanische Republik, Kongo Braz- schlossenen Soldaten. Kakao. So etabliert, konnten Ignoranz und zaville usw. Benachteiligung gegenüber afrikanischen Die Überlebenden des Massakers wurden Veteranen, die für Frankreich gekämpft Die Tirailleurs hatten im Lager Thiaroye un- in ihre Heimatländer zurückgeschickt und haben, in vieler Hinsicht leider bis heute auf- ter den Machtspielen der französischen diejenigen, die als Rädelsführer der Gei- recht erhalten werden. Ihre Erfahrungen, Offiziere zu leiden. So wurden sie beispiels- selnahme betrachtet wurden, wurden zu ihre Teilnahme am Krieg in Europa wurden weise gezwungen, ihre Militäruniform gegen Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt. Sie und werden noch immer ausgeblendet, ihre Shorts und Fez, eine früher im Orient weit verloren zusätzlich alle ihre Bürgerrechte Lebensgeschichten übersehen. verbreitete Kopfbedeckung, einzutauschen und Rentenansprüche. Sie alle wurden 1947 und sich so mit bestimmten rassistischen von Frankreichs damaligem Präsidenten Ce n‘est pas bien! Attributen zu markieren. Vor allem aber wur- Vincent Auriol begnadigt, erhielten aber nie de ihnen der von Frankreich versprochene ihre vollständige Rente. Kriegslohn vorenthalten. Man muss sich Ein französisches Gesetz gibt vor, dass af- die Demütigung vorstellen, die ein Mensch rikanische Veteranen nicht den Anspruch erfährt, wenn er nach hartem Kampf von auf die gleiche Rente haben wie ihre fran- demjenigen, für den er sein Leben einge- zösischen Waffenbrüder. Dies wird aus dem setzt hat, degradiert und fallengelassen niedrigeren Lebensstandard in Afrika gefol- wird. gert. Bis 2018 erhielten die von mir befragten Ex-Soldaten einen Betrag von monatlich 100 28 29
Solange Ge s c h i c h t s b üc h e r im d e ut s c h e n S c h ul un t e rri c h t n i c h t a kt ua l i s i e rt s i n d , s o l a n g e d i e Ko - l o n i a l ze i t un d i h re um f as s e n d e n , b i s h e ut e g re i f e n d e n A us w i rkun - g e n n i c h t a uf g e a rb e i t e t w e rd e n , s o l a n g e b l e i b t e s auc h e i n Di n g d e r U n m ö g l i c h ke i t , R a s s i s m us d o rt h i n zu s c h i c ke n , w o e r h i n g e h ö rt : i n s N i rg e n d w o Dr. Pie rre tte He rzbe rge r-F o fan a
2016 Sklaverei: Ein Verbrechen gegen die ehemaliges Sklavenhaus auf der Insel Gorée/Senegal Im Jahr 2016 hat sich Erlangen mit den zweiten Black History Weeks vom 24. September bis zum 11. November mit einer Reihe von Veranstaltungen dafür stark gemacht, den Wunden, Narben und Konsequenzen des transatlantischen Sklavenhandels ins Gesicht zu blicken Menschlichkeit und ist mit einem anspruchsvollen Programm an interessierte Bürger*innen herangetreten. 2001 hatte das Europäische Parlament den transatlantischen Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt. Im Jahr 2020 wurde der 2. Dezember zum Europäi- schen Tag zum Gedenken an die Abschaffung des Sklavenhandels proklamiert. Auch dies ist ein weiterer wichtiger Schritt auf der langen Etappe, eine Erinnerungskultur zu etablieren. Dies ist nicht zuletzt deshalb von Nöten, weil die Welt auch im 21. Jahrhundert noch nicht frei ist von Sklaventum, wenn auch die Formen sich verändert haben. Dass Menschen aus armen Bevölkerungsgruppen zu wirtschaftlichen Zwecken ausgebeutet werden, wird auf breiter Ebene hingenommen. Wenn Wissen über die Ursprünge und Mechanismen von Sklaverei Eingang findet in ein gesellschaftliches Bewusstsein, könnte der Weg hin zu einer Welt frei von Sklaventum und damit einher gehender Demütigungen zielgerichteter gegan- gen werden. 32 33
Verb orgene Hel den u n d H e ldin n e n Weitere Programmpunkte Die Folgen des transatlantischen Sklavenhandels: Von Afrika nach Europa und Amerika Ausstellung von Dr. Pierrette Herzberger-Fofana im Rahmen der Black History Weeks 2016 Auftaktvortrag von Dr. Marion Kraft Ausstellungseröffnung am 31. Oktober 2016, 19 Uhr im Rathaus-Foyer „Kinder der Befreiung“: Befreiung“: Transatlantische Erfahrungen und Perspektiven Schwarzer Deut- scher der Nachkriegsgeneration Die Ausstellung8 zeigt die Biographien von stellung wirft vor allen Dingen einen Blick auf Samstag, 24.9.2016, 19.30 Uhr – Foyer des Siemens MedMuseum 20 Persönlichkeiten, die zwischen dem die späteren Errungenschaften dieser 20 15. und 19. Jahrhundert auf unterschied- Persönlichkeiten. Teilweise konnten sie sich Anhand von Biografien von Nachfahren afroamerikanischer Soldaten werden liche Weise aus Afrika entführt und auf durch ihr Schaffen wieder zu selbstbestimm- die Besonderheiten des Rassismus in Deutschland nachgezeichnet und ge- andere Kontinente gebracht wurden. Ob ten Subjekten erheben. Andere starben still zeigt, wie diese einzelnen Schicksale sich in die lange Geschichte Schwarzer „verkauft“, „verschenkt“ oder als „Unter- im Hintergrund adliger oder anderweitig im Menschen in Deutschland einordnen lassen. Beleuchtet werden dabei aus his- pfand“ deportiert – in jedem Fall wurde Licht der Öffentlichkeit stehender Personen. torischer Sicht auch Deutschlands Kolonialgeschichte und seine Verstrickung diesen afrikanischen Menschen, wie auch So demontiert die Ausstellung in Teilen auch in den transatlantischen Sklavenhandel ebenso wie bis heute fortwirkende Formen eines allen anderen, die Formen des Sklaven- verkitschte Mythen vergangener Kaiserrei- alltäglichen und institutionellen Rassismus. Dr. Marion Kraft lehrte über 30 Jahre lang an der tums erleiden mussten und müssen, der che und Adelshöfe und macht einen neuen Universität Bielefeld. Status eines Objekts zugewiesen. Die Aus- Blick auf diese Zeit auf. Vortrag von Mustafa Olpak9(† 2.10.2016), gehalten von Gülrenk Oral Das Erbe des Sklavenhandels im osmanischen Reich Samstag, 1.10.2016, 19.30 Uhr – Stadtbibliothek Erlangen, anschließendes Gespräch Nachdem der Sklavenhandel auf dem Balkan und im Kaukasus verboten wurde, kamen zwischen 1860 und 1890 jährlich etwa 10.000 afrikanische Skla- ven*innen ins Osmanische Reich. Bis heute stellen die Afro-Türk*innen eine gesellschaftlich isolierte Minderheit dar. Der 2006 von Mustafa Olpak gegrün- dete Verein „Afrikalilar Kültür ve Dayanısma Dernegi“ bemüht sich, das Erbe dieser vernachlässigten Minderheit zu bewahren. Olpaks Familie kam 1924 im Zuge des türkisch-griechischen Bevölkerungsaustausches als „Türken“ aus Kreta in die Türkei. In sei- ner Autobiographie „Köle“ schrieb Olpak: „Unsere Vorfahren wurden als Sklaven verkauft, benutzt, missbraucht und als Freie ausgegrenzt.“ Aber nicht nur im Privaten wird geschwei- gen, wie Olpak erläutert. „Über uns wird nicht gesprochen, weil man sonst in Konflikt mit der offiziellen Geschichte kommt”. https://renk-magazin.de/afrotuerken-im-toten-winkel-der-geschichte 9) Z u meinem großen Bedauern konnte Mustafa Olpak aufgrund einer Erkrankung den Vortrag nicht mehr halten. 8) B ei Interesse kann die Ausstellung jederzeit gebucht werden. Er verstarb am 2. Oktober 2016. Möge er in Frieden ruhen. Anfragen dazu senden Sie bitte an: pierrette.herzberger-fofana@europarl.europa.eu 34 35
Vortrag von Abidine Ould-Merzough Lesung aus „Sklavin „Sklavin““ von Mende Nazer Sklaverei im Jahr 2016: Mauretanien Donnerstag, 18.10.2016, 20:00 Uhr – Innenhof der Stadtbibliothek Erlangen Freitag, 7.10.2016, 20:00 Uhr – Erba-Villa Erlangen, anschließendes Gespräch Mende Nazer (*ca. 1980) ist eine britische Schriftstellerin und Menschen- Obwohl die Sklaverei in Mauretanien als letztem Land der Welt 1981 verboten rechtsaktivistin sudanesischer Herkunft. Ihre Autobiographie beruht auf ihrer wurde, gehört sie in dem nordwestafrikanischen Wüstenstaat nach wie vor Vergangenheit als Sklavin im Sudan und in London und wurde unter dem Titel „I zum Alltag: Tausende von Menschen sind noch heute davon betroffen. Als Kin- am Slave“ (dt. Titel: „Ich, die Sklavin“) verfilmt. Sie beschreibt, wie Mende Nazer der und Kindeskinder ihrer versklavten Vorfahren gehen sie wie Erbstücke in im Alter von 12 Jahren von Milizionären verschleppt und an Sklavenhändler ver- den Besitz der Familien über, wobei diese Straftaten in den meisten Fällen nicht kauft wurde. In Khartum wurde sie von einer wohlhabenden Familie acht Jahre geahndet werden. lang zu einem Leben als Sklavin gezwungen. Schließlich wurde sie an in London Abidine Merzough ist Mitglied der mauretanischen Antisklaverei-Organisation „SOS Escla- lebende Verwandte der Familie weitergereicht. Im Jahr 2000 gelang ihr mit Hilfe eines an- ves“, die gegen Versklavung afrikanischer Menschen in der Gegenwart kämpft. 2011 erhielt deren Sudanesen und des britischen Journalisten Damien Lewis die Flucht. er für sein Engagement den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar und 2016 die „Human Rights Tulip“ in Den Haag. Vortrag von Dr. Katharina Gerund „From Bondage to Freedom?“. Freedom?“. (Populär-)Kulturelle Repräsentationen der Sklaverei in Vortrag von Dr. Bilkiss Atchia-Emmerich Nordamerika Anjali – Heldin gegen die Sklaverei auf den Maskaren-Inseln Dienstag, 25.10.2016, 19:45 Uhr – vhs club International Dienstag, 13.10.2016, 19:30 Uhr – vhs club International, anschließendes Gespräch Die Geschichte der Sklaverei in den USA erfährt derzeit nicht nur in kulturellen Die Inseln des indischen Ozeans Mauritius, Réunion und Rodrigues bilden die Repräsentationen von „Django Unchained“ bis zur Neuauflage der Serie „Roots“ Maskarenen, eine Inselgruppe östlich von Madagaskar. Die Schönheit dieser verstärkte Aufmerksamkeit. Sie ist auch hinsichtlich ihrer langfristigen Folgen als Inseln verbirgt ihre leidvolle Geschichte. Bis ins 19. Jahrhundert hinein, wa- „original sin“ der Vereinigten Staaten (Barack Obama) in gesellschaftlichen und ren die Inseln bedeutende Zwischenstation für den östlichen Sklavenhandel. politischen Diskursen nach wie vor höchst relevant. Der Vortrag von Katharina Afrikaner*innen wurden in erheblichem Maße in den afrikanisch-arabisch-asia- Gerund von der FAU-Erlangen schaut zurück auf den transatlantischen Sklavenhandel und tischen Raum verschleppt, wo sie weniger als Feld-, sondern als Haussklaven ausgebeutet skizziert die Dimensionen der Sklaverei in den USA. wurden. Unter den vielen Persönlichkeiten, die dagegen gekämpft haben, ist Anjali eine emblematische Figur. Die Referentin Dr. Bilkiss Atchia-Emmerich, stellv. Vorsitzende des Ausländer-und Integrationsbeirats Erlangen, stammt aus Mauritius und wird einen histori- schen Überblick über ein verborgenes Kapitel der Geschichte ihrer Heimat geben. 36 37
Anhänge & Literatur Vortrag von Katharina Oguntoye Marion Kraft: Liebesglück. Eine deutsche Familie aus Afrika – eine 150-jährige Familiensaga Kinder der Befreiung: Transatlantische Erfahrungen Montag, 31.10.2016, 18–00 Uhr – Rathaus-Foyer; anschließendes Gespräche & Perspektiven Schwarzer Deutscher der Nach- kriegsgeneration Die Geschichte der Familie Sabac El Cher beginnt damit, dass der preußische 1. Auflage. Münster: Unrast Verlag 2015 Prinz Albrecht 1843 einen nubischen Jungen als „Geschenk“ vom ägyptischen Vizekönig Mehmet Ali erhält. Prinz Albrecht gibt dem Jungen den Namen August Marion Kraft: Sabac El Cher. Mehrere Generationen der Sabac El Chers dienten im kaiserli- Empowerment und Widerstand. Inspirierende chen Heer, in Hitlers Wehrmacht und in der Bundeswehr. Selbst den Rassismus Begegnungen mit Audre Lorde der Nazis überlebte die Familie. 1. Auflage. Berlin: w_orten und meer 2021 Katharina Oguntoye eröffnet den Blick auf ein unbekanntes Kapitel preußisch-deutscher Geschichte, das berührt und uns in den Bann zieht. Marion Kraft, Rukhsama Shamim, Ashrai-Khan (Hg.): Schwarze Frauen und der Welt. Europa und Migra- Konzert: Sister Fa tion Songs als Protest. Eine Rapperin im Dienst der afrikanischen Frauen 1. Auflage. Berlin: Orlanda Frauen Verlag 1994 Freitag 11.11.2016, 21:00 Uhr – E-Werk Kellerbühne Katharina Oguntoye: Sister Fa, eigentlich Fatou Mandiang Diatta, ist eine senegalesische Rapperin, Eine Afro-Deutsche Geschichte. Zur Lebenssituation die sozialkritische Texte schreibt. Sie rappt in ihren „Sarabah“- Liedern über ar- von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland rangierte Ehen, das harte Leben der Landfrauen und AIDS. von 1884 bis 1950. Einen ihrer emotionalsten Songs hat Sister Fa nicht mit auf die Platte genom- 1. Auflage. Hoho 1997 men. Er heißt „Excision“ und handelt von der weiblichen Beschneidung. Sie selbst ist Opfer dieser Praxis. Noch vor ihrer Einschulung brachte ihre Mutter sie zu einer Beschneiderin: „Denn in meinem Dorf findet eine unbeschnittene Frau keinen Mann, sie Nazer Mende, Damien Louis: darf bestimmte Wege nicht gehen, nicht kochen oder an Zeremonien teilnehmen“. Der Befreit. Die Heimkehr der Sklavin. soziale Druck führt selbst heute noch – 15 Jahre nachdem Senegal die Beschneidung an 1. Auflage. München: Droehmer 2007 Frauen und Mädchen gesetzlich verboten hat – dazu, dass in einigen Gegenden heimlich weiter gemacht wird. Mustafa Olpak Kenya-Girit-Istanbul: Köle Kiyisindan Insan Bi- yografileri („Kenia-Kreta-Istanbul: Biografie der Küsten-Sklaven“) Türkisch 1. Auflage. Ozan Yayincilik 2005 38 39
Nachruf dem folgenden Zitat aus seiner Biographie dem Bevölkerungsaustausch zwischen der zulernen. Bis zuletzt setzte er sich für die zeigen: “Die erste Generation erlebt, die Türkei und Griechenland zur Minderheit in Förderung der türkischen Kultur und des zweite leugnet und die dritte forscht nach.“ der jungen türkischen Republik wurde. Ob- Beitrags der Afrikaner*innen und ihrer Nach- wohl die Afro-Türkische Minderheit schon kommen ein. Meinen ersten Kontakt zu Olpak hatte ich damals rund 50.000 Personen stellte, wurde Ende 2015. Ich war sehr froh, als er mir und wird sie bis heute vom türkischen Staat Möge er in Frieden ruhen. anschließend sein Buch in türkischer und weder als solche anerkannt, noch wird ihre französischer Sprache schickte, denn ob- Geschichte erzählt. „Über uns wird nicht ge- wohl ich bereits 2013 als Erlanger Stadträtin sprochen, weil man sonst in Konflikt mit der in der Türkei war – unsere Stadt Erlangen hat offiziellen Geschichtsschreibung geraten eine Städtepartnerschaft mit einem Stadt- würde.“, schreibt Olpak in seinem Buch und teil von Istanbul, Besiktas – hatte ich noch urteilt: „Dann müsste man auch von Sklave- nie etwas von Afro-Türk*innen gehört. Des- rei sprechen.“ halb freute ich mich sehr, den Gründer des afro-türkischen Vereins persönlich in Er- Anlässlich seines Vortrages zur Geschichte langen empfangen zu können. So lud ich der Afro-Türk*innen auf den „Black History ihn 2016 zu meiner Veranstaltung „Black Weeks“, schickte uns Herr Olpak eine Video- History Weeks“ - Die Sklaverei ein Verbre- botschaft. Am darauffolgenden Tag, dem 4. chen gegen die Menschlichkeit“ ein, wo Oktober, erfuhr ich von Frau Oral, dass er Mit tiefer Trauer habe ich vom Tod von er einen Vortrag über die Situation der Af- in der Nacht verstorben war, als wir gerade Mustafa Olpak, Olpak dem Gründer der afrotürki- ro-Türk*innen in seinem Land halten sollte. unsere Konferenz abhielten und ihn für sein schen Organisation in der Türkei, erfahren. Da Olpak meine Einladung aus gesundheit- Engagement würdigten. lichen Gründen nicht annehmen konnte, Als Nachkomme von in die Türkei depor- erklärte sich Frau Gülrenk Oral bereit ihn zu Mustafa Olpak starb am Montag, den tierten Afrikaner*innen in dritter Generation vertreten, eine junge Wissenschaftlerin, die 3. Oktober 2016, nur einen Tag nach unserer versuchte er, die Geschichte seiner Familie in Deutschland gelebt hatte und auf diesem Veranstaltung. Er wurde 63 Jahre alt. anhand der tragischen Episode der Sklave- Gebiet forschte, obwohl sie nicht afrikani- rei in der Türkei zu rekonstruieren. Es ist ein scher Abstammung ist. Ich verneige mich respektvoll vor einem Kapitel, das sich dem kollektiven Gedächtnis Wegbereiter der Geschichte der Afro- der türkischen Gesellschaft fast vollständig Mustafa Olpak hat seine unglaubliche Türk*innen. Obwohl er die ihm zustehende entzieht. Familiengeschichte in zwei Bänden auf- Würdigung nie erhielt, gab er einer ganzen Dass diese besondere Familiengeschichte, geschrieben. Im ersten Buch "Köle", zu Gemeinschaft Hoffnung und Selbstrespekt die gleichzeitig afrikanisch-türkische Ge- Deutsch "Sklave", denn als Sklaven kamen zurück. Er ebnete den Weg für die künfti- schichte beschreibt, immens wichtig für seine Großeltern aus Kenia über Kreta in die ge Generation und ermöglichte es jungen Olpak war, lässt sich wohl am besten mit Türkei, beschreibt er, wie seine Familie nach Afro-Türk*innen, ihre Geschichte kennen- 40 41
D a s Ende der Sklav e r e i ge h t u n s alle et was a n ankert ist. Die Entführung, der Kauf oder die eine Ausstellung mit 25 Bildern dieser ver- D r. P ierrette Herz be r ge r-Fo fan a Geiselnahme afrikanischer Kinder, die an sklavten Kinder, oft abgebildet neben ihren Stellungnahme vom 09.01.2021 zum Europäischen Tag zum Gedenken an die Abschaffung europäische Höfe verschleppt wurden, war „Herrchen oder Frauchen“, gestaltet und des Sklavenhandels die häufigste Form deutscher Sklaverei. Die- in fast allen Gymnasien der Stadt Erlangen se Kinder wurden „Adel-Pagen“ genannt, präsentiert. Die Ausstellung ist dann unter Die Europäische Union proklamiert den 2. Das EU-Parlament erklärt in der Resolution ein Euphemismus, der uns noch heute in anderem in München, Bayreuth und Karls- Dezember zum Europäischen Tag zum zudem den Sklavenhandel zu einem Verbre- Form von allerlei Nippes „erhalten“ ist. Fi- ruhe gezeigt worden. Gedenken an die Abschaffung des Sklaven- chen gegen die Menschlichkeit und fordert, gürchen kleiner, dunkelhäutiger und kurios handels: Das ist eine gute Nachricht. Schon dass der 2. Dezember zum Europäischen verkleideter Kinder, die ein Tablett halten, Es muss ein Bewusstsein dafür entstehen, 2001 hatte das Europäische Parlament den Tag des Gedenkens an die Abschaffung einen Schirmständer darstellen oder in an- dass sich Sklaverei nicht nur auf US-Ame- transatlantischen Sklavenhandel als Verbre- des Sklavenhandels erklärt wird. Die Mit- derer Form „dienlich“ sind, begegnen uns rikanischen Baumwollfeldern abgespielt hat chen gegen die Menschlichkeit anerkannt. gliedstaaten werden außerdem ermutigt, häufig. Nicht nur viele „Mohren-Apotheken“ – dies Bild ist ohnehin einer Art von Roman- die Geschichte der Schwarzen in die Schul- sind mit entsprechender „Dekoration“ ver- tisierung der Sklaverei geschuldet – sondern Europa hat zu Zeiten der Aufklärung in ver- lehrpläne aufzunehmen. sehen. dass sie nicht zuletzt in anderen und perfi- schiedenen Formen von der Sklaverei Diese Erklärung hat nicht nur symbolischen Das berühmteste Beispiel für ein nach den Formen auch in Deutschland eine Rolle profitiert. Auch Länder, die nicht a priori als Wert. Sie wird dazu beitragen, Pflichten Deutschland „importiertes“ Kind, ein „Mit- gespielt hat. „Sklavenländer“ gelten, wie Deutschland, nachzukommen, denen sich die Länder der bringsel“, wie man auch sagte, war Anton Erst wenn dieses Bewusstsein gewachsen die Niederlande, Schweden, Dänemark und Europäischen Union bisher in unzureichen- Wilhelm Amo. Amo, bekannt als erster Phi- ist, wird man dem Thema Rassismus diffe- andere konnten ihren jeweiligen Nutzen der Form gestellt haben. Dazu gehören losoph afrikanischer Herkunft wurde 1707 renzierter entgegentreten können. Auch in ziehen. Dies anzuerkennen und entspre- Formen des Gedenkens und die Rekons- als Vierjähriger dem Herzog von Braun- Deutschland, den Niederlanden, Schweden, chende Konsequenzen daraus zu ziehen, truktion historischer Darstellungen, nicht schweig-Wolfenbüttel „geschenkt“. Auch Dänemark und anderen Ländern, die den 2. darum ist das Europäische Parlament seit zuletzt, aber zunächst maßgeblich im Schul- eine gewisse Berühmtheit erlangte Machbu- Dezember als Tag des Gedenkens dafür dem vergangenen Jahr progressiv bemüht. unterricht. Letzteres ist eine Aufgabe, die ba, die Fürst Hermann von Pückler-Muskau dringend brauchen. Im Juni 2020 verabschiedete es eine Reso- uns lange Zeit beschäftigen wird. 1837 als Vierzehnjährige in Kairo kaufte und lution, die mit einer großen Mehrheit von 493 sie als eines vieler „Lustmädchen“ oder Ja-Stimmen, bei 104 Nein-Stimmen und 67 Die Anti Racism Diversity Intergroup des Eu- „Lustknaben“ in die Geschichte eingehen Enthaltungen angenommen und von fünf ropäischen Parlaments, kurz „ARDI“, der ich ließ. Andere wurden als „Spielzeug“ oder der sieben Fraktionen unterstützt wurde. als Ko-Präsidentin angehöre, organisierte „kleine Ungeheuer“ benutzt, wie z.B. Rut- Das Europäische Parlament fordert mit am 2. Dezember 2020 eine Videokonferenz simo, der Prinzessin Sissi bzw. deren Sohn dieser Resolution die Institutionen und die zum Thema, an der namhafte Persönlichkei- „gehörte“ und die Damen des österreichi- Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf, ten aus Wissenschaft und Politik teilnahmen. schen Hofes erschrecken sollte. die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit In meinem Beitrag zu dieser Konferenz the- und die Verbrechen gegen die Mensch- matisierte ich historische deutsche Figuren Im Rahmen der UN-Dekade „Menschen af- lichkeit, die gegen Schwarze Menschen des Sklavenhandels, deren Existenz häufig rikanischer Herkunft“ (2015-2024) habe ich begangen wurden, offiziell anzuerkennen. nicht im Bewusstsein vieler Menschen ver- 2016 im Rahmen der „Black History Weeks“ 42 43
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