BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana

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BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung

BLACK
HISTORY
WEEKS
Erlangen 2015 - 2021

P i erre t t e H e r zberge r- F of a n a
BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
Inhalt
Wie alles begann...                                                              7
Der den Anfang machte: Carter G. Woodson                                        9
Noch etwas über Anfänge: Cheik Anta Diop                                        11
Black History Weeks Erlangen                                                   12

2015
Die Vergessenen der Geschichte                                                 14
Afrodeutsche Zeitzeug*innen des Dritten Reiches

       Auftaktveranstaltung 2015                                               16
       Zeitungsartikel: Zeitzeugen wehren sich gegen das Vergessen             17
       Programmpunkte                                                          19
       Anhänge und Literatur                                                   21
       Zwei der Vergessenen der Geschichte: Gert Schramm und Theodor Michael   22
       Bundesverdienstkreuz für Gert Schramm                                   23
       Worte der Trauer für Theodor Michael                                    24
       Textbeitrag: Das Massaker in Thiaroye im Dezember 1944                  26

2016
Sklaverei                                                                      32
Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit

       Verborgene Helden und Heldinnen                                         34
       Programmpunkte                                                          35
       Anhänge und Literatur                                                   39
       Nachruf: Mustafa Olpak                                                  40
       Textbeitrag: Das Ende der Sklaverei geht uns alle etwas an              42
BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
2017                                                                 2020
Die Stimmen Afrikas und der Diaspora                            46   Cancelled                                              84

      Die Stärke und das Streben der afrikanischen Frau         48

                                                                     2021
      Eindrücke der Auftaktveranstaltung                        49
      Programmpunkte                                            50
      Anhänge und Literatur                                     53
      Textbeitrag: Wie viel Diaspora steckt in wem?             54   Rassismus in Kunst und Kultur                          88

                                                                          Programmpunkte                                     90

2018
                                                                          Anhänge und Literatur                              94
                                                                          Textbeitrag: Klischees wollen überwunden werden    95

Martin Luther King                                              60
und 50 Jahre danach
                                                                     Ausblick                                               97
      Programmpunkte                                            64
      Anhänge und Literatur                                     68
      Textbeitrag: Schule ohne Rassismus - Schule mit Respekt   69
                                                                     Biografie                                              100

2019                                                                 Publikationen                                          102
Westafrikanische Perspektiven                                   74
Zwischen Flucht und Hoffnung

      Programmpunkte                                            76   Impressum                                              104
      Anhänge und Literatur                                     78
      Textbeitrag: EU - Simulation in Nürnberg                  79
BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
W i e     a l l e s    b e g a nn...

    „Und Sie haben wirklich noch nie einen Lö-        be. Und Schwarze Menschen haben in den
    wen gesehen?“. „Doch, im Zoo“. „Aber Sie          vergangenen Jahrhunderten ebenso wie
    kommen doch aus Afrika!?“.                        Menschen anderer Hautfarbe zu Wissen-
                                                      schaft, Kultur und Gesellschaft beigetragen,
    Oft in meinem Leben hatte ich eine Sprech-        daran ändert die an sich schon schroffe Ver-
    blase über dem Kopf, in der „ohne Worte“          wunderung Vieler nichts. Als die UN im Jahr
    stand. Ohne Worte war ich, wenn jemand            2015 die Dekade für Menschen afrikanischer
    fragte, ob ich „Afrikanisch“ spreche. Ohne        Herkunft ausgerufen hatte, fühlte ich mich
    Worte war ich, wenn Menschen vor Über-            dazu aufgerufen, in meiner Heimatstadt Er-
    raschung auf meinen Hinweis, dass es              langen mit einer Veranstaltungsreihe dafür
    afrikanische Frauenliteratur gibt, völlig aus     zu sorgen, die Geschichte und Geschich-
    dem Häuschen gerieten. Sprachlos war ich          ten Schwarzer Menschen sichtbar(er) zu
    auch, wenn Geschichtslehrer*innen mir of-         machen. Ich rief die Black History Weeks
    fenbarten, nicht gewusst zu haben, dass           Erlangen ins Leben, um Rassismus, Vor-
    Schwarze Menschen im nationalsozialis-            urteilen und Diskriminierung zumindest ein
    tischen Deutschland verfolgt und in KZs           Stück mehr Nährboden zu entziehen. Vor-
    gebracht wurden. Inzwischen bin ich alles         reiter dafür ist Carter G. Woodson und der
    andere als ohne Worte, wenn mich Erleb-           Black History Month, über den Sie in dieser
    nisse solcher und ähnlicher Art ereilen.          Dokumentation lesen können.

    Wie man jüngst am Beispiel Namibia sehen          Erinnerungskultur braucht hinsichtlich der
    konnte, dessen deutsche Kolonialgeschich-         Geschichte von Menschen afrikanischer
    te in ihrer Brutalität noch immer nicht Eingang   Herkunft ein neues Antlitz. Niemand kann
    gefunden hat in das kollektive Gedächtnis         sich der Dinge erinnern, von denen er oder
    deutscher Staatsbürger*innen, gibt es in Sa-      sie noch nie etwas gehört hat. Niemand kann
    chen Aufklärung noch Unmengen zu tun.             Respekt für Errungenschaften oder Ereig-
                                                      nisse aufbringen, die ihm oder ihr gänzlich
    Nein. Ich kann nicht aus dem Effeff beschrei-     unbekannt sind. Solange Geschichtsbücher
    ben, wo die Serengeti liegt, obwohl ich aus       im deutschen Schulunterricht nicht aktuali-
    Afrika stamme, so wie nicht jede*r Belgier*in     siert sind, solange die Kolonialzeit und ihre
    aus dem Effeff beschreiben kann, wo genau         umfassenden, bis heute greifenden Auswir-
    die Walachei liegt. Schwarze Menschen sind        kungen nicht aufgearbeitet werden, solange
    so unterschiedlich wie Menschen eben sind         bleibt es auch ein Ding der Unmöglichkeit,
    und daher genauso wenig in Schubladen zu          Rassismus dorthin zu schicken, wo er hin-
    stecken, wie Menschen anderer Hautfar-            gehört: ins Nirgendwo.

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BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
D e r        d e n          A nf a ng                m a c ht e
                                                                                                         C a r t e r G . Wo o d s o n,
    Nun, hier im Diesseits ist es mir gelungen,       heiten und aktuellen politischen Bezügen.
    einen kleinen Teil dieser Arbeit zu leisten und   Zu Beginn stelle ich kurz Carter G. Woodson
                                                                                                         “ F a t he r o f t he B l a c k                                       H i s t o r y                Mo nt h“
    Schwarzen Persönlichkeiten und deren Ge-          und Cheik Anta Diop vor, auf deren Arbeit
    schichten eine Bühne zu bieten. Es ist mir ein    und Initiative der in vielen Teilen der Welt ze-
    Anliegen, die Black History Weeks Erlangen        lebrierte Black History Month gründet.             Es ist das Verdienst des Wissenschaftlers
    aus den Jahren 2015 bis 2021 dokumentiert                                                            Carter Godwin Woodson,
                                                                                                                           Woodson dass weltweit zu
    zu wissen und die Intention dieser Veranstal-     Die Black History Weeks Erlangen hätten            Black History Weeks eingeladen wird.
    tungsreihe deutlich verstehbar zu machen.         ohne die Unterstützung der Stadt Erlangen          Als Sprössling ehemaliger Sklaven und of-
                                                      nicht werden können, was sie sind. Von Be-         fensichtlich als unermüdlich neugieriger und
    Afrika-Feste und Afrika-Tage haben in ihrer       ginn der Veranstaltungsreihe an zeichnen           engagierter Mensch war er der erste Wis-
    Buntheit, in der Vielfalt köstlicher Gerüche,     sich das Bürgermeister- und Presseamt              senschaftler, der sich – über alle Hindernisse,
    lebensfroher Musik und farbenfroher Ge-           sowie das Büro für Chancengleichheit und           die ihm die weiß dominierte akademische
    wänder ihre Berechtigung und ich möchte           Vielfalt als Veranstalter verantwortlich.          Welt entgegenstellte hinweg – mit afroame-
    sie nicht missen. Die Black History Weeks         Besonderer Dank für sein organisatorisches         rikanischer Geschichte beschäftigte. Nach
    Erlangen hingegen, sind aus der Motivation        wie inhaltliches Engagement gilt an dieser         seiner Dissertation 19121, gründete er 1915
    heraus entstanden, gängige Klischees zu           Stelle Till Fichtner. Oberbürgermeister Dr.        mit der Unterstützung verschiedener Stiftun-
    überwinden und Bereiche Schwarzer Kul-            Florian Janik danke ich für die Übernahme          gen die „Association for the Study of ‚Negro‘
    tur, aber auch die Involviertheit Schwarzer       der Schirmherrschaft.                              Life and History“ (heute: Association for the
    Menschen in die deutsche Geschichte aufzu-                                                           Study of African American Life and History)
    greifen. Erst, wenn niemand mehr rückwärts        Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen           in Chicago und etwas später das Journal
    trudelt, weil ein dunkelhäutiger Mensch mit       und: scheuen Sie sich nicht, zu recherchie-        of Negro History (heute: Journal of African
    fränkischem Dialekt spricht, weil ein Schwar-     ren und Dingen auf den Grund zu gehen.             American History). Woodson veröffentlichte                                           1 8 7 5 - 1 9 5 0
    zer klassische Musik komponiert oder eine         Auch Afrika hat Grund.                             zahlreiche Bücher und wurde zum Dekan
    Schwarze Deutsche in Unkenntnis darüber                                                              des College of Arts and Science an der Ho-
    sein darf, ob Burkina Faso im Osten oder im       Ihre                                               ward University in Washington D.C. berufen,

                                                      Pierrette Herzberger-Fofana
    Westen Afrikas liegt, haben wir gewonnen.                                                            das sich heute auf seiner Homepage als „the
                                                                                                         oldest, largest, and most diverse and rele-
    Im Folgenden finden Sie jeweils einen Über-       Mitglied des Europäischen Parliaments              vant college on [the] campus“2 bezeichnen
    blick über das Programm der Black His-                                                               kann. Nicht umsonst wird Woodson nach
    tory Weeks der Jahre 2015 bis 2021, also                                                             wie vor als „Vater der Schwarzen Geschich-
    alle Vorträge, Lesungen, Filmvorführungen,                                                           te“ wahrgenommen.
    Buchvorstellungen und Gespräche. An den
    jeweiligen Überblick angeschlossen, finden
    Sie Ausführungen zu einigen der vorgestell-                                                          1) Woodson war nach W.E.B. Du Bois der zweite Afroamerikaner in der Geschichte, der promovierte.
    ten Persönlichkeiten, historischen Begeben-                                                          2) https://coas.howard.edu/about/welcome-dean (Zugriff: 10.09.2021)

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BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
N o c h      e t w a s       üb e r       A nf ä ng e :
                                                                                                                                         Cheikh           Anta         Diop         und       der      Afrozentrismus
     Woodsons Antrieb war es immer, der in                                hinweg: „Gib‘ mir bitte mal den hautfarbe-
     Geschichtsbüchern vorherrschenden Pers-                              nen Stift“ 3 kann für ein Kind ein prägendes
     pektive auf Vergangenheit eine „Schwarze“                            Erlebnis sein, im Rahmen dessen es sich als                                An dieser Stelle möchte ich Ih-        erkennung Afrikas, seiner Geschichte und
     Perspektive entgegenzusetzen und kultu-                              „nicht normal“ wahrnimmt und innerlich und/                                nen Professor Cheikh Anta Diop         seiner Menschen. Die Universität in Dakar/
     relle, wirtschaftliche und gesellschaftliche                         oder nach außen hin Konsequenzen zieht.                                    vorstellen, einen bedeutenden          Senegal trägt seit 1987 seinen Namen:
     Beiträge und Errungenschaften afroame-                               Je mehr, so mein Standpunkt, Vergangen-                                    senegalesischen Historiker und         Université Cheikh Anta Diop
     rikanischer Bürger*innen in den Blick zu                             heit wie auch Gegenwart und Zukunft aus                                    Politiker.
     nehmen.                                                              der Perspektive Schwarzer Menschen be-                         1923-1986                                          Über Menschen wie Cheikh Anta Diop, über
                                                                          sprochen und verhandelt wird, umso freier                      Diop gilt neben Molefi Kete Asante als einer       Thesen wie seine muss gesprochen wer-
     Aus dieser Motivation heraus rief er im Fe-                          können die Jüngsten und Jüngeren unse-                         der Hauptvertreter des Afrozentrismus und          den, nicht nur in akademischen Blasen. Und
     bruar 1926 die erste „Negro History Week“                            rer Gesellschaft in diese hineinwachsen                        er hatte es sich davon ausgehend zu seiner         nicht zuletzt dafür können Veranstaltungsrei-
     ins Leben – in der Woche im Jahr, in der die                         und ihre Potentiale entfalten. Das muss das                    Lebensaufgabe gemacht, den Beitrag Afri-           hen wie die Black History Weeks ein Forum
     beiden Geburtstage von Abraham Lincoln                               Ziel sein. Wenn ein junger Mensch Schwar-                      kas zur Weltkultur aufzuzeigen.                    bieten. Bürger*innen können ihre Bildungs-
     und Frederick Douglass zusammenfallen.                               zer Hautfarbe in Kenntnis darüber ist, dass                                                                       horizonte erweitern und in möglicherweise
     Es war die Geburtsstunde des 1970 von                                Menschen Schwarzer Hautfarbe seit jeher,                       Im Rahmen seiner Dissertation, die 1956 von        verengten Blicken auf die Menschheitsge-
     Studierenden an der State University New                             schreiben, forschen, kämpfen, Dinge ersin-                     der Sorbonne in Paris abgelehnt wurde, legte       schichte kann Raum entstehen, für andere,
     York begründeten Black History Month und                             nen, scheitern und siegen, dann lernt der                      er die These vor, dass die ägyptische Be-          noch nicht gehörte Perspektiven.
     sämtlicher bis heute an vielen Orten der Welt                        junge Mensch, dass ihm oder ihr dies auch                      völkerung zur Zeit der Pharaonen Schwarz           Die Perspektiven, die wir mit der Mutter-
     ausgerichteten Black History Weeks.                                  möglich ist.                                                   war und es entsprechend schwarzafrika-             milch aufnehmen, geben wir, solange wir
     So gesehen lief ich mit den Black Histo-                                                                                            nische Dynastien gewesen sein mussten,             sie nicht hinterfragen, an unsere Kinder wei-
     ry Weeks Erlangen in Carter G. Woodsons                                                                                             die die ägyptische Hochkultur hervorge-            ter. Und ist es wirklich zeitgemäß, Christoph
     Fußstapfen bzw. führte ich, wie viele andere                                                                                        bracht hatten. Diop schrieb Afrika damit eine      Kolumbus zu besingen? Darüber lässt sich
     Kolleg*innen seine Spuren weiter – in einer                                                                                         bedeutende Rolle in der Entwicklung der            sicherlich streiten. Und dies ist immerhin
     fränkischen Universitätsstadt. Warum?                                                                                               menschlichen Zivilisation zu, die der Sicht        auch ein Anfang.
                                                                                                                                         auf Afrika beinahe diametral gegenüber-
     Auch mir war es immer schon und ist es im-                                                                                          stand. Die Kolonialmächte hatten Afrika über
     mer noch ein großes Anliegen, Kinder von                                                                                            die Zeit zu einem beinahe geschichtslosen
     der Last zu befreien, die Diskriminierung auf-                                                                                      Flecken Erde gemacht, ein Image, das dem
     grund von Hautfarbe mit sich bringt. Dabei                                                                                          Kontinent noch heute anhaftet und das im
     muss es nicht unbedingt um offenen Ras-                                                                                             Blick westlicher Zivilisationen auf Afrika fest-
     sismus gehen, den wir leider viel zu häufig                                                                                         hängt und die Sicht versperrt.
     als solchen verzeichnen müssen. Schon die
     saloppe Bemerkung über den Basteltisch                                                                                              Diop kämpfte im Rahmen seiner For-
                                                                                                                                         schungsergebnisse Zeit seines Lebens für
     3) E
         rfreulicherweise hat eine Berliner Initiative hier angesetzt und "HAUTFARBEN - BUNTSTIFTE FÜR ALLE" hervorgebracht. Chapeau!
        https://www.hautfarben-buntstifte.de                                                                                             die entsprechende Aufwertung und An-

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BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
B l a ck             History                          Wee k s                       E r l an g e n :
     Ve r g a n g e n h e i t ,   Z u k u n f t -     G e g e n w a r t ?

                                        Der erste Black History Month in Deutsch-        den besonders diejenigen gehen, die sich         vermittelbare, fast verharmloste Figuren
                                        land wurde 1990 von der „Initiative Schwarze     als Aktivist*innen, Poklitiker*innen, Künst-     der schwarzen Vergangenheit eine jährliche
                                        Menschen“ (ISD) in Hamburg organisiert.          ler*innen oder anderweitig für die Rechte        Heldenverehrung genießen dürfen.
                                                                                         Schwarzer Menschenengagieren.
                                        Inzwischen werden in den meisten grö-                                                             Die Aufgabe, Black History sichtbar und zu-
                                        ßeren deutschen Städten – meist im               In einem Artikel für den Tagesspiegel fragte     gänglich zu machen, ist keine leichte. Aber
                                        Februar – entsprechende Veranstaltungs-          Michaela Dudley, Berlinerin mit afroamerika-     sie ist eine ernst zu nehmende. Denn Black
                                        reihen durchgeführt und auch in Erlangen         nischen Wurzeln, im Februar 2021 bei aller       History ist „auch Menschheitsgeschichte,
                                        gingen die Black History Weeks im Jahr           Aktualität nach der Zeitgemäßheit des Black      [die] tagtäglich gelehrt, gelernt und gelebt
                                        2021 nach erzwungener Corona-Pause in            History Month. Ich möchte daraus zitieren,       werden [muss]“ 4 . Im Sinne dieses Zieles
                                        die sechste Runde.                               denn sie beschreibt sehr eindrucksvoll,          müssen Black History Weeks oder Months
                                        Der Mord an George Floyd im Jahr 2020            inwieweit wir in unserer täglichen Arbeit auf-   in Deutschland ermöglicht und verwirklicht
                                        hat auf tragische Weise dafür gesorgt, dass      merksam und kritisch bleiben müssen:             werden, ob in Hamburg, Köln, Erlangen oder
                                        ‚Black History‘, dass der Kampf gegen                                                             Neuendettelsau.
                                        Rassismus an vielen Stellen an Prominenz         Die [Schwarze] Geschichte erzählt über
                                        gewonnen hat. Und gerade damit befinden          Generationen und Ozeane hinweg von Dop-
                                        wir uns an einem herausfordernden Punkt          pelmoral und Demütigungen, von trotzigen
                                        in der Geschichte: Vielerorts werden Au-         Triumphen in der Umklammerung trostloser
                                        gen gerollt, wenn das Thema Rassismus zur        Tragödien. […]. Es geht beim Black Histo-
                                        Sprache gebracht wird, werden Argumen-           ry Month darum, sowohl die Leistungen als
                                        te vorgebracht, die explizit oder implizit zum   auch die Leidenswege Schwarzer Men-
                                        Ausdruck bringen, dass doch schon alles          schen in den Mittelpunkt zu stellen. […]. Wir
                                        gesagt sei, alles verstanden sei, alles getan    in der Black Community wandern eigentlich
                                        wäre.                                            ständig auf dem schmalen, scharfkanti-
                                                                                         gen Grat zwischen Selbstbemitleidung und
                                        In diesem gesellschaftlichen Fahrwasser          Selbstermächtigung, Larmoyanz und Lei-
                                        müssen diejenigen, die aktiv für Anti-Rassis-    denschaft. […]. Wir müssen [...] aufpassen,
                                        mus kämpfen aufpassen, in ihren Worten           dass unsere Galionsfiguren ihre Schärfe
                                        und Taten präzise und aufrecht zu bleiben.       nicht verlieren oder gegen Salonfähigkeit
                                        Schmerzhaftes darf nicht verharmlost wer-        tauschen. Denn mittlerweile ist der Black
                                        den. Erlernte Opferhaltungen dürfen zu Fall      History Month vielerorts zu einem Event          4) h
                                                                                                                                              ttps://www.tagesspiegel.de/kultur/black-history-month-schwar-
                                                                                                                                             ze-geschichte-ist-menschheitsgeschichte/26869536.html
                                        gebacht werden. Es ist ein schmaler Grat,        verkommen, bei dem einige inzwischen                (Zugriff: 20.09.2021)

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BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
2015
                           Die Black History Weeks 2015 standen im Zeichen des dunkelsten Kapitels deutscher
                           Geschichte. Es ist und bleibt mir ein großes Anliegen, gerade in Deutschland darüber auf-
                           zuklären, dass auch Menschen aus nicht-europäischen Ländern in KZs inhaftiert worden
                           waren. In einem offenen Brief bat ich bereits im Frühjahr 2015 Bundeskanzlerin Angela
                           Merkel darum, bei ihrer Rede in der KZ-Gedenkstätte Dachau anlässlich des 70. Jahres-
                           tages der Befreiung die Gruppe nicht-europäischer KZ-Häftlinge zu würdigen. Frau Merkel
                           folgte meinem Hinweis und sagte wörtlich:
                           „Es waren Männer, Frauen, Kinder. Sie kamen aus ganz Europa. Sie stammten darüber

      Die Vergessenen      hinaus aus vielen anderen Teilen der Welt, aus Asien wie auch – das ist in der Öffentlichkeit
                           bis heute wenig bekannt – aus Teilen Afrikas, dem Kongo, dem Senegal und aus Eritrea. Wir
                           gedenken der rund 41.500 Menschen, die diesen Ort nicht überlebten.“

      der Geschichte
                           Auch Schwarze Deutsche wurden                           G e de n kstä tte             Da c h a u       –   Je an       Vo s te
                           auf unterschiedliche Weise Opfer des
                           Nazi-Regimes. Mit den „Vergesse-
                           nen der Geschichte. Afrodeutsche
                           Zeitzeug*innen des Dritten Reichs“

        Afrodeutsche       standen Gert Schramm, Marie Nejar
                           und Theodor Michael im Mittelpunkt
                           einer spannenden Auftaktveranstal-
                           tung der ersten Black History Weeks

      Zeitzeug*innen des
                           Erlangen.
                           Aus meinem Archiv finden Sie im
                           Folgenden den Flyer zur damaligen
                           Veranstaltung und einen Bericht, der
                           die Veranstaltung auf nordbayern.de
       Dritten Reiches     kommentierte.5

                           5) https://www.nordbayern.de/region/erlangen/erlangen-zeitzeugen-wehren-sich-gegen-das-vergessen-1.4667256 (Zugriff: 21.09.2021)

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BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
B L A C K H I S T O R Y W E E K S — 19.09.–06.10.2015                                        E r l a ng e n: Z e i t z e ug e n                                     w e hr e n                s i c h        g e g e n
     Wochen der afrikanischen Diaspora und ihrer                                                  d a s Ve r g e s s e n6
     Geschichte                                                                                   von S. Balcerowski

     Die ersten „Black History Weeks“ in Erlangen konzentrieren sich dieses Jahr auf das Ende     Drei Zeitzeugen sorgten für einen beeindru-                        wurde. Schramm betonte auch, entgegen
     des Zweiten Weltkriegs und die unmittelbare Nachkriegszeit. Erfahrungen schwarzer Ge-        ckenden Auftakt der Reihe „Black History                           der allgemeinen Geschichtsauffassung war
     fangener in den Konzentrationslagern werden dabei ebenso beleuchtet wie die Rolle der        Weeks“,, die im Rahmen des „interkulturellen
                                                                                                  Weeks“                                                             die Befreiung des KZ Buchenwald nicht nur
     afro-amerikanischen GIs in Deutschland.                                                      Monats“ in Erlangen stattfinden.                                   durch die Amerikaner passiert, sondern war
                                                                                                                                                                     auch eine Selbst-Befreiung. Wenig spä-
                                                                                                  Gert Schramm, Überlebender des KZ Bu-                              ter rang Schramm um Worte. Schluchzend
                                           Die Vergessenen der Geschichte -                       chenwald, hat Pierrette Herzberger-Fofana                          sagte er: „Wir Überlebenden werden nicht
                                      Afrodeutsche Zeitzeugen des Dritten Reiches                 angesehen, zögerte und sagte dann: „Die                            eher ruhen, bis der letzte Nazi vor Gericht
                                                                                                  Frage hätte ich mir gespart...“ Ein paar La-                       gestellt ist.“ Herzberger-Fofana rückte mit
                  Samstag, 19.9. 2015, 18.00 Uhr Stadtbibliothek, Innenhof im Erdgeschoss         cher im Publikum. Die Stadträtin der Grünen                        dem Stuhl näher an den Zeitzeugen her-
                                                                                                  Liste und Organisatorin der Wochen über                            an und legte die Hand auf seinen Arm. „Ich
     70 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager in Deutschland ist kaum bekannt,         Schwarze Geschichte hatte Gert Schramm                             glaube, wir können hier abbrechen...“, sagte
     dass auch Menschen aus nicht-europäischen Ländern in den KZs inhaftiert waren. Sie           gefragt, ob er in der Schule geschlagen                            sie, und das Publikum applaudierte.
     stammten aus vielen Teilen der Welt, aus Asien wie auch aus Afrika. Wie war das Leben für
     diese Menschen während der Nazi-Zeit ?
     Zum ersten Mal werden drei überlebende Schwarze Deutsche über ihre Erfahrungen
     während der Nazi-Herrschaft sprechen und aus ihren Biographien lesen. Gert Schramm
     verbrachte eine Zeit lang im KZ und Theodor Michael im Arbeitslager. Marie Nejar musste in
     rassistischen Propagandafilmen auf Anweisung von Joseph Goebbels spielen.

                                                                                                  6) E
                                                                                                      rschienen am 21.9.2015 auf nordbayern.de, abrufbar unter: https://www.nordbayern.de/region/erlangen/erlangenzeitzeugen-wehren-
     Moderation: Dr. Pierrette Herzberger-Fofana                                                     sich-gegen-das-vergessen-1.4667256

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BLACK HISTORY WEEKS Pierrette Herzberger-Fofana - Anerkennung - Gerechtigkeit - Entwicklung - Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
Weitere Programmpunkte
     In die Erlanger Stadtbibliothek sind rund 110                      ein Nazi gewesen, wenn ich eine weiße Haut
     Gäste gekommen, um unter dem Motto                                 gehabt hätte.“ Erst als sie beim Bund Deut-
     „Die Vergessenen der Geschichte – Afro-                            scher Mädel abgelehnt wurde, hörte sie auf                  Vortrag von Dr. Pierrette Herzberger-Fofana
     deutsche Zeitzeugen des Dritten Reiches“                           ihre Großmutter, die die Jugendliche vor den                Das Massaker an den afrikanischen Truppen in Frankreich durch die Wehrmacht im Juni
     aus dem Leben zweier Männer und einer                              Nazis warnte.                                               1940 und das Massaker in Thiaroye im Dezember 1944
     Frau zu hören.                                                     Auch Theodor Michael hat seine Geschich-                    Dienstag, 22.9.2015, 19:30 Uhr — Stadtbibliothek, Bürgersaal, 2.OG.
                                                                        te erzählt. Er war bei Pflegeeltern aufge-
     Neben Gert Schramm war auch Marie Nejar                            wachsen, die Schausteller waren und ihn
     auf dem Podium. Sie hatte in Propaganda-                           zur Völkerschau schickten, eine „künstle-                   Filmvorführung
     Filmen der Nazis mitspielen müssen. „Ich bin                       rische“ Darstellung von Menschen, die als                   Black Survivors of Holocaust. Dokumentarfilm von David Okuefuna
     eine Deutsche, es hilft nichts“, sagte sie und                     Exoten galten. Aus der Geschichte zu ler-                   Samstag, 26.9. 2015, 19:00 Uhr — E-Werk-Kino
     das Publikum lachte. Zuvor erzählte sie von                        nen, wünscht sich Theodor Michael und iro-                  Wie das Leben der Schwarzen Menschen in Deutschland während der Nazi-Diktatur aus-
     Versuchen als junges Mädchen, die schwar-                          nisierte: „Bis 1945 gab es Nazis und danach                 sah, was sie erduldet und erlitten haben, davon wissen die meisten Deutschen nichts. Die
     ze Hautfarbe mit Seife abzuwaschen, eine                           gab es keine mehr.“ Michael appellierte an                  BBC-Dokumentation „Black Survivors of the Holocaust“ bringt diese Wirklichkeit in Inter-
     Reaktion auf die Diffamierungen, sie sei                           das Publikum, hinter jedem Flüchtling einen                 views und raren Originalfilm-Dokumenten ans Licht. Der Regisseur David Okuefuna und
     schmutzig. Zunächst lernte Marie Nejar in                          Menschen zu sehen mit einer ganz persön-                    der Produzent Moise Shewa (Afro-Wisdom Productions) haben mit einer hervorragenden
     der Schule begeistert Fakten über Adolf Hit-                       lichen Geschichte. „Nur für wen es unerträg-                Recherche ihrerseits ein Filmdokument von unschätzbarem Wert geschaffen, in dem sie
     ler. Rückblickend vermutete sie: „Ich wäre                         lich wird, der flieht aus dem Land.“                        für nachfolgende Generationen die Stimmen von Überlebenden und Nachkommen fest-
                                                                                                                                    gehalten haben.

                                                                                                                                    Nachgespräch mit Katharina Oguntoye, M.A., Historikerin
                                                                                                                                    und Autorin

                                                                                                                                    Vortrag von Dr. Katharina Gerund, Amerikanistin
                                                                                                                                    Ein Atemzug der Freiheit? Afroamerikanische Soldaten im Nachkriegsdeutschland
                                                                                                                                    Dienstag, 29. September 2015, 19:30 Uhr — Stadtbibliothek Erlangen
                                                                                                                                               Der Vortrag skizziert Berichte afro-amerikanischer Soldaten über ihre Erfahrun-
                                                                                                                                               gen im Nachkriegsdeutschland. Für sie ging es im Zweiten Weltkrieg um einen
                                                                                                                                               „doppelten Sieg“: gegen den Faschismus in Europa und gegen den Rassismus
                                                                                                                                               in den USA. Wie haben sie ihren Kriegseinsatz und ihre Zeit in Deutschland er-
                                                                                                                                               lebt? Welche Rolle spielten diese Erfahrungen für die Bürgerrechtsbewegung
                                                          Erlangen, 19. September 2015                                              in den USA? Gleichzeitig beleuchtet der Vortrag auch deutsche Reaktionen auf die Schwar-
            von links: Till Fichtner, Gert Schramm, Frau Reimann, Marie Nejar, Dr.Pierrette Herzberger-Fofana und Theodor Michael
                                                  © Urheberrecht: Pierrette Herzberger-Fofana
                                                                                                                                    zen GIs und erkundet deren Bedeutung im kollektiven Gedächtnis (West-)Deutschlands.

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Anhänge & Literatur
     Vortrag von Dr. Pierrette Herzberger-Fofana                                                  Theodor Michel:
     Fasia Jansen (1929-1997) – Eine engagierte Liedermacherin der Nachkriegszeit                 Deutsch sein und Schwarz dazu. Erinnerungen
     Freitag, 2. Oktober 2015, 19:30 Uhr — Stadtbibliothek Erlangen                               eines Afro-Deutschen
                                                                                                  1. Auflage. München: dtv 2013
                   „Meine Kindheit lag in der Nazi-Zeit. Man muss wohl nicht kommentieren,
                   was es bedeutet hat, nicht „arisch“ zu sein, denn auch die Schwarzen fielen    Marie Nejar:
                   unter die Rassengesetze. Ich stamme aus einer einfachen Hamburger Fa-          Mach nicht so traurige Augen, weil Du ein N… bist.
                   milie. Mein Vater war der Generalkonsul von Liberia, aber den habe ich nicht   Meine Jugend im Dritten Reich
                   wirklich kennen gelernt. Meine Mutter heiratete 1936 einen Arbeiter. Der war   1. Auflage. Hamburg: Rowohlt Verlag 2007
     Sozialist, ein politisch bewusster Mensch und hat mich sehr geprägt und unterstützt…
     Ich wurde von den Nazis dienstverpflichtet und arbeitete in einer Barackenküche des
     KZs Neuengamme[…] Meine Lieder waren und sind für mich ein Mittel, mich am Le-               Gert Schramm:
     ben zu halten und meine Würde als Frau, als Schwarze Frau zu behaupten.“ 		                  Wer hat Angst vorm schwarzen Mann. Mein Leben
     Fasia Jansen ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und Trägerin der Ehrennadel der         in Deutschland
     Stadt Oberhausen.                                                                            1. Auflage. Berlin: Aufbau Verlag 2011

                                                                                                  May Ayim, Katharina Oguntoye, Dagmar Schultz
                                                                                                  (Hg.):
     Vortrag von Israel Kaunatjike, Bildungsreferent und Aktivist, Berlin                         Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den
     Namibia. 100 Jahre nach dem Ende von „Deutsch-Südwestafrika“                                 Spuren ihrer Geschichte
     Dienstag, 6. Oktober 2015, 20:15 Uhr — Evangelische Studierendengemeinde                     5. Auflage. Berlin: Orlanda Verlag 2021

                 Nicht das Massaker an den Armeniern sei der erste Völkermord im 20. Jahr-
                 hundert gewesen, sagt Israel Kaunatjike vom Bündnis „Völkermord verjährt         Katharina Oguntoye:
                 nicht!“. Auch die Ermordung von 90.000 Herero in Namibia müsse als Genozid
                 nicht!“                                                                          Afro-deutsche Familiengeschichten von 1884 - 1950
                 anerkannt werden. Namibia stand bis 1915 unter deutscher Kolonialherrschaft.     1. Auflage. Berlin: Orlanda Verlag 2020
                 Deutsche Soldaten haben 1904 bei Aufständen Tausende Afrikaner*innen ge-
     tötet, darunter viele Vertreter*innen vom Stamm der Herero. Mindestens zwei Drittel des      Marina Achenbach:
     Herero-Volkes wurde nach der Niederschlagung ausgelöscht. Bis heute warten die Nach-         Fasia. Geliebte Rebellin.
     kommen auf eine offizielle Entschuldigung und eine angemessene Entschädigung.                1. Auflage. Oberhausen: Asso-Verlag 2004
     http://justlisten.berlin-postkolonial.de/israel-kaunatjike

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Zw ei der Verg ess e n e n de r                             G e s ch ich t e :                        B und e s v e r d i e ns t kr e uz                f ür    G e r t     S c h ramm
     Gert Schramm und Theodor Michael

     Es ist mir ein großes Anliegen, mit dieser                                                            Am 25. April 2014 nahm Gert Schramm im        gegen Rechtsextremismus. 2011 erschien
     Dokumentation zwei derjenigen Menschen                                                                Rathaus der Stadt Eberswalde das Bun-         sein autobiografischer Roman „Wer hat
     ins Licht zu rücken, die – schlimme Erfahrun-                                                         desverdienstkreuz entgegen. Mit der Aus-      Angst vorm schwarzen Mann. Mein Leben
     gen im eigenen Land verzeihend und davon                                                              zeichnung wurde sein großes Engagement        in Deutschland“.
     motiviert, anderen bessere Erfahrungen zu                                                             gegen Rassismus und Rechtsextremismus
     ermöglichen – große Verdienste für die Bun-        VERLEIHUNGSURKUNDE                                 gewürdigt.                                    Am 18. April 2016 verstarb Gert Schramm.
     desrepublik Deutschland geleistet haben.                                                              Im Namen des Brandenburger Ministerprä-
                                                       IN ANERKENNUNG DER UM VOLK UND STAAT ERWORBENEN
     Beiden, Gert Schramm und Theodor Micha-                                                               sidenten überreichte der Landrat Bodo Ihrke   Ich bin dankbar, dass ich an einem Teil Dei-
                                                                 BESONDEREN VERDIENSTE
     el, durfte ich auf einem Stück ihres Lebens
     el                                                                   VERLEIHE ICH                     die Auszeichnung. In seiner Laudatio dankte   nes Lebens teilhaben durfte, lieber Gert,
     Wegbegleiterin sein. Theodor Michael habe                                                             er dem einzigen afrodeutschen Überleben-      dass Du mich als Deine „Sinnesgenossin
     ich 2016 für das Bundesverdienstkreuz vor-                  HERRN THEODOR MICHAEL                     den des Konzentrationslagers Buchenwald       und gute Freundin“ verstanden hast und
                                                                             KÖLN
     geschlagen, aus der tiefen Überzeugung                                                                mit folgen Worten:                            Dein Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden
     heraus, dass seine Sichtbarkeit und die Wür-         DAS VERDIENSTKREUZ                                                                             mich in meiner eigenen Arbeit immer wieder
     digung seiner Arbeit für die afrodeutsche                            AM BANDE
                                                                                                           Menschen wie Sie sind es, die uns davor       bestärkt hat.
     Community und darüber hinaus von großer          DES VERDIENSTORDENS DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
                                                                                                           bewahren, zu vergessen. Sie erinnern und
     Bedeutung ist.                                                                                        mahnen uns. Sie machen uns deutlich, das
     Ich fordere Sie in diesem Rahmen dazu auf,                                                            ein friedliches und demokratisches Mitein-
     Geschichte immer wieder neu zu lesen, neu                    BERLIN; DEN 15. NOVEMBER 2017
                                                                                                           ander durchaus keine Selbstverständlichkeit
     zu hinterfragen und nach Spuren derer zu                                                              ist.
     suchen, die unsichtbar (gemacht worden)                                         DER BUNDESPRÄSIDENT

     sind. Für eine Gesellschaft, nicht zuletzt die                                                        Im Rahmen der Zeremonie wurde ihm
     deutsche, der ein friedvolles Zusammenle-                                                             vom Eberswalder Bürgermeister Friedhelm
     ben wichtig ist, brauchen wir jeden Hinweis,                                                          Boginski vor allem auch für seine Aufklä-
     der hilft, die Gleichwertigkeit aller Menschen                                                        rungsarbeit an Schulen gedankt.
     anzuerkennen.
                                                                                                           Gert Schramm wurde 1928 in Erfurt geboren
                                                                                                           und als Schwarzer Deutscher 1943 von der
                                                                                                           Gestapo in Schutzhaft genommen und ins
                                                                                                           KZ Buchenwald deportiert. Er überlebte dort
                                                                                                           eines der berüchtigten Arbeitskommandos
                                                                                                           in einem Steinbruch. Seit 1964 lebte Gert
                                                                                                           Schramm zusammen mit seiner Familie in
                                                                                                           Eberswalde und engagierte sich dort bis zu
                                                                                                           seinem Tod 2016 in der Aufklärungsarbeit

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W o r t e d e r Tr a u e r                                                          für Theodor Michael

     Liebe Gemeinde, liebe Familie Michael,          verspätete Anerkennung seines Lebens-
                                                     kampfes. Sie machte viele Demütigungen,
     heute sind wir alle hier versammelt, um einen   Kränkungen und rassistische Anfeindun-
     Freund, ein Vorbild und eine Inspirations-      gen zwar nicht ungeschehen. Dennoch
     quelle, Theodor Michael, zu seiner letzten      konnte er die Auszeichnung als späte Ent-
     Ruhestätte zu begleiten.                        schuldigung und vor allem Würdigung seines
                                                     Lebenswerkes auffassen.
     Als ich 2015 „Black History Weeks“ in An-       Mir wurde dies bewusst, als ich während
     knüpfung an den UN-Aufruf ins Leben rief        meines letzten Besuches vor drei Wochen
     und diese den „Vergessenen der Geschich-        sah, dass er diese Auszeichnung in seinem
     te“ widmete, war ich dankbar, dass Theodor      Zimmer im Pflegeheim gerahmt und aufge-
     Michael unsere Einladung angenommen             hängt hatte. Er sagte an diesem Tag zu mir:
     hatte und zusammen mit zwei anderen Zeit-       „Liebe Pierrette, ich hoffe und bete, dass Dir
     zeugen – Gert Schramm und Marie Nejar           eine gute Arbeit im Europäischen Parlament
     – unsere Ehrengäste waren. Hierbei haben        gelingt. Sei eine gute Vertreterin unserer Sa-
     wir Theodors Sinn für Ironie und Humor zu       che.“
     schätzen gelernt, als er beispielsweise sag-    Ich betrachte diesen Satz als echten Auftrag
     te: „Bis 1945 gab es Nazis und danach keine     und gebe meine ganze Kraft, lieber Theo,
     mehr“                                           ihm nachzukommen.

     Ich freue mich sehr, dass die Bundesrepublik    Danke lieber Theo, für Deine Kraft, Dein En-
                                                     Danke,
     Deutschland ihm die höchste Auszeichnung        gagement und den Kampf gegen jegliche
     unseres Landes, das Bundesverdienstkreuz        Form der Diskriminierung und Rassismus.
     am Bande, am 28. Januar 2018 durch den
     Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-
     Westfalen verliehen hat. Und ich freue mich,
     dass Jesse Jackson, ein Wegbegleiter von
     Martin Luther King, ihm wenige Wochen vor
     seinem Tod eine Botschaft übermittelt hatte.
     Diese beiden Ereignissen erfüllten Theodors
     Herz am Ende seines Lebens noch einmal
     mit großer Freude.
     Für Theodor war die Verleihung des Bun-
     desverdienstkreuzes eine, wenn auch

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D a s M ass aker in T h ia ro y e im D e z e m be r
     1 944
     Vortrag vom 22.09.2015 in gekürzter und überarbeiteter Fassung
     Dr. Pierrette Herzberger-Fofana

     Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges                                 Die Zwangsrekrutierung der Afrikaner
     weist auch in den Schulbüchern unserer
     Zeit noch Lücken auf. Dass afrikanische                                Mit der Verwicklung Frankreichs in den Zwei-
     Soldaten aus den Kolonialgebieten Frank-                               ten Weltkrieg wurden auch die französischen
     reichs wesentlich dazu beigetragen haben,                              Kolonialtruppen Afrikas in den Weltkonflikt
     Frankreich und Europa gegen die Nazis                                  einbezogen. Es wurde zum „Kriegsbeitrag“
     zu verteidigen wird nur in seltenen Fällen                             (effort de guerre) aufgerufen, um das „Mut-
     gewürdigt, Gedenkfeiern wie Denkmäler                                  terland“ Frankreich gegen das faschistische
     weisen da regelmäßig blinde Flecken auf.                               Nazideutschland zu verteidigen. Man nann-
     Doch ist dies nicht eine Form der Verleug-                             te die rekrutierten Soldaten die „Tirailleurs“ 7.
     nung eines wichtigen Teils der Geschichte?
     Muss der Einsatz derer, die unter einem                                Nach den blutigen Schlachten in Frankreich,
     kolonialen Joch zu leben und zu kämpfen                                wie z. B. der Schlacht von Lyon, wurden die
     hatten nicht wenigstens nachträglich ge-                               besiegten Mitglieder der Kolonialtruppen in
     bührend gewürdigt werden? Muss nicht im                                die sogenannten Stammlager („Stalags“),
     Sinne der fälligen Auseinandersetzung mit                              also Kriegsgefangenenlager, deportiert,
     der europäischen Kolonialgeschichte genau                              die die Nazi-Armee in den besetzten Län-
     hingeschaut und vieles richtig gestellt wer-                           dern errichtet hatte. Nur wenige Stalags in
     den?                                                                   Deutschland waren für afrikanische Gefan-
      In vielen Interviews und Gesprächen, die ich                          gene vorgesehen. Die bekanntesten sind
     zwischen 2010 und 2013 mit Kriegsvetera-                               Sansdbostel, Hemer und Luckenwalde, 50
     nen im Senegal führen durfte, konnte ich mir                           km von Berlin entfernt. Die Nazis hatten vor
     ein sehr persönliches Bild der Thematik ma-                            allen Dingen in Frankreich Lager für Gefan-
     chen.                                                                  gene aus den Kolonialtruppen errichtet, da
                                                                            die Wehrmacht befürchtete, dass mit der
                                                                            Inhaftierung von Afrikanern ansteckende
                                                                            Tropenkrankheiten in das Deutsche Reich
                                                                            eingeschleppt würden.

     7) Unter dem folgenden Link finden Sie ein Interview, das ich 2008 mit El Hadj Ousmane Gadio im Senegal als damals einem der ältesten af-
         rikanischen Kriegsveteranen, der von Frankreich nach Deutschland deportiert wurde, geführt habe: https://www.grioo.com/mobile/article.
         php?id=15694 (13.07.2022).                                                                                                               Gefangene im Kriegsgefangenenlager Luckenwalde / Archiv Luckenwalde

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Am 30. November 1944 nahmen die da-              Euro.
                                                     mals in Thiaroye untergebrachten Tirailleurs     Sieht man sich nicht zuletzt in diesem Zu-
     Das Massaker von Thiaroye im Senegal 1944       einen französischen General als Geisel, um       sammenhang Plakate der Kakaomarke
                                                     den ihnen zustehenden Kriegslohn zu er-          Banania aus den 30er und 40er Jahren des
     In Frankreich waren fast alle Kolonialtrup-     zwingen. Sie ließen ihn noch am selben Tag       letzten Jahrhunderts an (die noch gerne
     pen im Stalag Poitiers untergebracht, so        frei, nachdem sie eine feste Zusage erhalten     auf Flohmärkten verkauft werden), ist ein
     auch der spätere senegalesische Präsi-          hatten, dass sie bezahlt werden würden. Im       Hohn der Geschichte nicht wegzuleugnen.
     dent Léopold Sédar Senghor. 1944 begann         Morgengrauen des 1. Dezember 1944 or-            Auf den Plakaten sieht man einen senega-
     Frankreich, seine Truppen zu „bleichen“:        ganisierte derselbe französische General         lesischen Soldaten, der in mit einem breiten
     Die senegalesischen Schützen, bei denen         ein blutiges Massaker an den schlafenden         Lachen im Gesicht Kakao löffelt. Im Bild
     es sich um Soldaten aus dem gesamten            Schützen, wohl, um ein Exempel zu statuie-       unten findet sich ein Schriftzug, der sagt:
     ehemaligen Französisch-Westafrika (AOF)         ren. Von den 1300 Soldaten, die in Thiaroye      „y‘ a bon“, was soviel heißen soll wie „ist gut“.
     handelte, wurden nach Afrika repatriiert. Sie   anwesend waren, wurden 300 getötet.
     kamen in Dakar im Lager Thiaroye an, einem      Der Filmemacher Sembène Ousmane be-              Ein Bild wurde gezeichnet und sehr populär
     Durchgangslager, bevor sie in ihre jewei-       schreibt in seinem Film Le Massacre des          vermarktet, das den Afrikaner als Soldaten
     ligen Länder zurückkehrten: Guinea, Mali,       Tirailleurs auf eindrucksvolle Weise die         darstellt, der, nur einer reduzierten Sprache
     Obervolta (heute Burkina Faso), Tschad,         Forderungen der damals im Lager einge-           mächtig, glücklich ist über sein Schüsselchen
     Zentralafrikanische Republik, Kongo Braz-       schlossenen Soldaten.                            Kakao. So etabliert, konnten Ignoranz und
     zaville usw.                                                                                     Benachteiligung gegenüber afrikanischen
                                                     Die Überlebenden des Massakers wurden            Veteranen, die für Frankreich gekämpft
     Die Tirailleurs hatten im Lager Thiaroye un-    in ihre Heimatländer zurückgeschickt und         haben, in vieler Hinsicht leider bis heute auf-
     ter den Machtspielen der französischen          diejenigen, die als Rädelsführer der Gei-        recht erhalten werden. Ihre Erfahrungen,
     Offiziere zu leiden. So wurden sie beispiels-   selnahme betrachtet wurden, wurden zu            ihre Teilnahme am Krieg in Europa wurden
     weise gezwungen, ihre Militäruniform gegen      Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt. Sie       und werden noch immer ausgeblendet, ihre
     Shorts und Fez, eine früher im Orient weit      verloren zusätzlich alle ihre Bürgerrechte       Lebensgeschichten übersehen.
     verbreitete Kopfbedeckung, einzutauschen        und Rentenansprüche. Sie alle wurden 1947
     und sich so mit bestimmten rassistischen        von Frankreichs damaligem Präsidenten            Ce n‘est pas bien!
     Attributen zu markieren. Vor allem aber wur-    Vincent Auriol begnadigt, erhielten aber nie
     de ihnen der von Frankreich versprochene        ihre vollständige Rente.
     Kriegslohn vorenthalten. Man muss sich          Ein französisches Gesetz gibt vor, dass af-
     die Demütigung vorstellen, die ein Mensch       rikanische Veteranen nicht den Anspruch
     erfährt, wenn er nach hartem Kampf von          auf die gleiche Rente haben wie ihre fran-
     demjenigen, für den er sein Leben einge-        zösischen Waffenbrüder. Dies wird aus dem
     setzt hat, degradiert und fallengelassen        niedrigeren Lebensstandard in Afrika gefol-
     wird.                                           gert. Bis 2018 erhielten die von mir befragten
                                                     Ex-Soldaten einen Betrag von monatlich 100

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Solange             Ge s c h i c h t s b üc h e r   im
  d e ut s c h e n S c h ul un t e rri c h t n i c h t
  a kt ua l i s i e rt s i n d , s o l a n g e d i e Ko -
  l o n i a l ze i t un d i h re um f as s e n d e n ,
  b i s h e ut e g re i f e n d e n A us w i rkun -
  g e n n i c h t a uf g e a rb e i t e t w e rd e n ,
  s o l a n g e b l e i b t e s auc h e i n Di n g d e r
  U n m ö g l i c h ke i t , R a s s i s m us d o rt h i n
  zu s c h i c ke n , w o e r h i n g e h ö rt : i n s
  N i rg e n d w o

Dr.   Pie rre tte         He rzbe rge r-F o fan a
2016

       Sklaverei:
      Ein Verbrechen
        gegen die
                                                    ehemaliges Sklavenhaus auf der Insel Gorée/Senegal

                       Im Jahr 2016 hat sich Erlangen mit den zweiten Black History Weeks vom 24. September bis
                       zum 11. November mit einer Reihe von Veranstaltungen dafür stark gemacht, den Wunden,
                       Narben und Konsequenzen des transatlantischen Sklavenhandels ins Gesicht zu blicken

      Menschlichkeit   und ist mit einem anspruchsvollen Programm an interessierte Bürger*innen herangetreten.

                       2001 hatte das Europäische Parlament den transatlantischen Sklavenhandel als Verbrechen
                       gegen die Menschlichkeit anerkannt. Im Jahr 2020 wurde der 2. Dezember zum Europäi-
                       schen Tag zum Gedenken an die Abschaffung des Sklavenhandels proklamiert. Auch dies
                       ist ein weiterer wichtiger Schritt auf der langen Etappe, eine Erinnerungskultur zu etablieren.
                       Dies ist nicht zuletzt deshalb von Nöten, weil die Welt auch im 21. Jahrhundert noch nicht
                       frei ist von Sklaventum, wenn auch die Formen sich verändert haben. Dass Menschen aus
                       armen Bevölkerungsgruppen zu wirtschaftlichen Zwecken ausgebeutet werden, wird auf
                       breiter Ebene hingenommen. Wenn Wissen über die Ursprünge und Mechanismen von
                       Sklaverei Eingang findet in ein gesellschaftliches Bewusstsein, könnte der Weg hin zu einer
                       Welt frei von Sklaventum und damit einher gehender Demütigungen zielgerichteter gegan-
                       gen werden.

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Verb orgene Hel den u n d H e ldin n e n
                                                                                                                             Weitere Programmpunkte
     Die Folgen des transatlantischen Sklavenhandels:
     Von Afrika nach Europa und Amerika
     Ausstellung von Dr. Pierrette Herzberger-Fofana im Rahmen der Black History Weeks 2016                                  Auftaktvortrag von Dr. Marion Kraft
     Ausstellungseröffnung am 31. Oktober 2016, 19 Uhr im Rathaus-Foyer                                                      „Kinder der Befreiung“:
                                                                                                                                         Befreiung“: Transatlantische Erfahrungen und Perspektiven Schwarzer Deut-
                                                                                                                             scher der Nachkriegsgeneration
     Die Ausstellung8 zeigt die Biographien von                            stellung wirft vor allen Dingen einen Blick auf   Samstag, 24.9.2016, 19.30 Uhr – Foyer des Siemens MedMuseum
     20 Persönlichkeiten, die zwischen dem                                 die späteren Errungenschaften dieser 20
     15. und 19. Jahrhundert auf unterschied-                              Persönlichkeiten. Teilweise konnten sie sich                   Anhand von Biografien von Nachfahren afroamerikanischer Soldaten werden
     liche Weise aus Afrika entführt und auf                               durch ihr Schaffen wieder zu selbstbestimm-                    die Besonderheiten des Rassismus in Deutschland nachgezeichnet und ge-
     andere Kontinente gebracht wurden. Ob                                 ten Subjekten erheben. Andere starben still                    zeigt, wie diese einzelnen Schicksale sich in die lange Geschichte Schwarzer
     „verkauft“, „verschenkt“ oder als „Unter-                             im Hintergrund adliger oder anderweitig im                     Menschen in Deutschland einordnen lassen. Beleuchtet werden dabei aus his-
     pfand“ deportiert – in jedem Fall wurde                               Licht der Öffentlichkeit stehender Personen.                   torischer Sicht auch Deutschlands Kolonialgeschichte und seine Verstrickung
     diesen afrikanischen Menschen, wie auch                               So demontiert die Ausstellung in Teilen auch      in den transatlantischen Sklavenhandel ebenso wie bis heute fortwirkende Formen eines
     allen anderen, die Formen des Sklaven-                                verkitschte Mythen vergangener Kaiserrei-         alltäglichen und institutionellen Rassismus. Dr. Marion Kraft lehrte über 30 Jahre lang an der
     tums erleiden mussten und müssen, der                                 che und Adelshöfe und macht einen neuen           Universität Bielefeld.
     Status eines Objekts zugewiesen. Die Aus-                             Blick auf diese Zeit auf.
                                                                                                                             Vortrag von Mustafa Olpak9(† 2.10.2016), gehalten von Gülrenk Oral
                                                                                                                             Das Erbe des Sklavenhandels im osmanischen Reich
                                                                                                                             Samstag, 1.10.2016, 19.30 Uhr – Stadtbibliothek Erlangen, anschließendes Gespräch

                                                                                                                                          Nachdem der Sklavenhandel auf dem Balkan und im Kaukasus verboten
                                                                                                                                          wurde, kamen zwischen 1860 und 1890 jährlich etwa 10.000 afrikanische Skla-
                                                                                                                                          ven*innen ins Osmanische Reich. Bis heute stellen die Afro-Türk*innen eine
                                                                                                                                          gesellschaftlich isolierte Minderheit dar. Der 2006 von Mustafa Olpak gegrün-
                                                                                                                                          dete Verein „Afrikalilar Kültür ve Dayanısma Dernegi“ bemüht sich, das Erbe
                                                                                                                             dieser vernachlässigten Minderheit zu bewahren. Olpaks Familie kam 1924 im Zuge des
                                                                                                                             türkisch-griechischen Bevölkerungsaustausches als „Türken“ aus Kreta in die Türkei. In sei-
                                                                                                                             ner Autobiographie „Köle“ schrieb Olpak: „Unsere Vorfahren wurden als Sklaven verkauft,
                                                                                                                             benutzt, missbraucht und als Freie ausgegrenzt.“ Aber nicht nur im Privaten wird geschwei-
                                                                                                                             gen, wie Olpak erläutert. „Über uns wird nicht gesprochen, weil man sonst in Konflikt mit der
                                                                                                                             offiziellen Geschichte kommt”.
                                                                                                                             https://renk-magazin.de/afrotuerken-im-toten-winkel-der-geschichte

                                                                                                                             9) Z
                                                                                                                                 u meinem großen Bedauern konnte Mustafa Olpak aufgrund einer Erkrankung den Vortrag nicht mehr halten.
     8) B
         ei Interesse kann die Ausstellung jederzeit gebucht werden.
                                                                                                                                Er verstarb am 2. Oktober 2016. Möge er in Frieden ruhen.
        Anfragen dazu senden Sie bitte an: pierrette.herzberger-fofana@europarl.europa.eu

34                                                                                                                                                                                                                                         35
Vortrag von Abidine Ould-Merzough                                                               Lesung aus „Sklavin
                                                                                                                „Sklavin““ von Mende Nazer
     Sklaverei im Jahr 2016: Mauretanien                                                             Donnerstag, 18.10.2016, 20:00 Uhr – Innenhof der Stadtbibliothek Erlangen
     Freitag, 7.10.2016, 20:00 Uhr – Erba-Villa Erlangen, anschließendes Gespräch
                                                                                                               Mende Nazer (*ca. 1980) ist eine britische Schriftstellerin und Menschen-
                  Obwohl die Sklaverei in Mauretanien als letztem Land der Welt 1981 verboten                  rechtsaktivistin sudanesischer Herkunft. Ihre Autobiographie beruht auf ihrer
                  wurde, gehört sie in dem nordwestafrikanischen Wüstenstaat nach wie vor                      Vergangenheit als Sklavin im Sudan und in London und wurde unter dem Titel „I
                  zum Alltag: Tausende von Menschen sind noch heute davon betroffen. Als Kin-                  am Slave“ (dt. Titel: „Ich, die Sklavin“) verfilmt. Sie beschreibt, wie Mende Nazer
                  der und Kindeskinder ihrer versklavten Vorfahren gehen sie wie Erbstücke in                  im Alter von 12 Jahren von Milizionären verschleppt und an Sklavenhändler ver-
                  den Besitz der Familien über, wobei diese Straftaten in den meisten Fällen nicht             kauft wurde. In Khartum wurde sie von einer wohlhabenden Familie acht Jahre
     geahndet werden.                                                                                          lang zu einem Leben als Sklavin gezwungen. Schließlich wurde sie an in London
     Abidine Merzough ist Mitglied der mauretanischen Antisklaverei-Organisation „SOS Escla-         lebende Verwandte der Familie weitergereicht. Im Jahr 2000 gelang ihr mit Hilfe eines an-
     ves“, die gegen Versklavung afrikanischer Menschen in der Gegenwart kämpft. 2011 erhielt        deren Sudanesen und des britischen Journalisten Damien Lewis die Flucht.
     er für sein Engagement den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar und 2016 die „Human
     Rights Tulip“ in Den Haag.
                                                                                                     Vortrag von Dr. Katharina Gerund
                                                                                                     „From Bondage to Freedom?“.
                                                                                                                         Freedom?“. (Populär-)Kulturelle Repräsentationen der Sklaverei in
     Vortrag von Dr. Bilkiss Atchia-Emmerich                                                         Nordamerika
     Anjali – Heldin gegen die Sklaverei auf den Maskaren-Inseln                                     Dienstag, 25.10.2016, 19:45 Uhr – vhs club International
     Dienstag, 13.10.2016, 19:30 Uhr – vhs club International, anschließendes Gespräch
                                                                                                                   Die Geschichte der Sklaverei in den USA erfährt derzeit nicht nur in kulturellen
                Die Inseln des indischen Ozeans Mauritius, Réunion und Rodrigues bilden die                        Repräsentationen von „Django Unchained“ bis zur Neuauflage der Serie „Roots“
                Maskarenen, eine Inselgruppe östlich von Madagaskar. Die Schönheit dieser                          verstärkte Aufmerksamkeit. Sie ist auch hinsichtlich ihrer langfristigen Folgen als
                Inseln verbirgt ihre leidvolle Geschichte. Bis ins 19. Jahrhundert hinein, wa-                     „original sin“ der Vereinigten Staaten (Barack Obama) in gesellschaftlichen und
                ren die Inseln bedeutende Zwischenstation für den östlichen Sklavenhandel.                         politischen Diskursen nach wie vor höchst relevant. Der Vortrag von Katharina
                Afrikaner*innen wurden in erheblichem Maße in den afrikanisch-arabisch-asia-         Gerund von der FAU-Erlangen schaut zurück auf den transatlantischen Sklavenhandel und
     tischen Raum verschleppt, wo sie weniger als Feld-, sondern als Haussklaven ausgebeutet         skizziert die Dimensionen der Sklaverei in den USA.
     wurden. Unter den vielen Persönlichkeiten, die dagegen gekämpft haben, ist Anjali eine
     emblematische Figur. Die Referentin Dr. Bilkiss Atchia-Emmerich, stellv. Vorsitzende des
     Ausländer-und Integrationsbeirats Erlangen, stammt aus Mauritius und wird einen histori-
     schen Überblick über ein verborgenes Kapitel der Geschichte ihrer Heimat geben.

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Anhänge & Literatur
     Vortrag von Katharina Oguntoye                                                                   Marion Kraft:
     Liebesglück. Eine deutsche Familie aus Afrika – eine 150-jährige Familiensaga                    Kinder der Befreiung: Transatlantische Erfahrungen
     Montag, 31.10.2016, 18–00 Uhr – Rathaus-Foyer; anschließendes Gespräche                          & Perspektiven Schwarzer Deutscher der Nach-
                                                                                                      kriegsgeneration
                 Die Geschichte der Familie Sabac El Cher beginnt damit, dass der preußische          1. Auflage. Münster: Unrast Verlag 2015
                 Prinz Albrecht 1843 einen nubischen Jungen als „Geschenk“ vom ägyptischen
                 Vizekönig Mehmet Ali erhält. Prinz Albrecht gibt dem Jungen den Namen August         Marion Kraft:
                 Sabac El Cher. Mehrere Generationen der Sabac El Chers dienten im kaiserli-          Empowerment und Widerstand. Inspirierende
                 chen Heer, in Hitlers Wehrmacht und in der Bundeswehr. Selbst den Rassismus          Begegnungen mit Audre Lorde
     der Nazis überlebte die Familie.                                                                 1. Auflage. Berlin: w_orten und meer 2021
     Katharina Oguntoye eröffnet den Blick auf ein unbekanntes Kapitel preußisch-deutscher
     Geschichte, das berührt und uns in den Bann zieht.
                                                                                                      Marion Kraft, Rukhsama Shamim, Ashrai-Khan (Hg.):
                                                                                                      Schwarze Frauen und der Welt. Europa und Migra-
     Konzert: Sister Fa                                                                               tion
     Songs als Protest. Eine Rapperin im Dienst der afrikanischen Frauen                              1. Auflage. Berlin: Orlanda Frauen Verlag 1994
     Freitag 11.11.2016, 21:00 Uhr – E-Werk Kellerbühne
                                                                                                      Katharina Oguntoye:
                 Sister Fa, eigentlich Fatou Mandiang Diatta, ist eine senegalesische Rapperin,       Eine Afro-Deutsche Geschichte. Zur Lebenssituation
                 die sozialkritische Texte schreibt. Sie rappt in ihren „Sarabah“- Liedern über ar-   von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland
                 rangierte Ehen, das harte Leben der Landfrauen und AIDS.                             von 1884 bis 1950.
                 Einen ihrer emotionalsten Songs hat Sister Fa nicht mit auf die Platte genom-        1. Auflage. Hoho 1997
                 men. Er heißt „Excision“ und handelt von der weiblichen Beschneidung. Sie
     selbst ist Opfer dieser Praxis. Noch vor ihrer Einschulung brachte ihre Mutter sie zu einer
     Beschneiderin: „Denn in meinem Dorf findet eine unbeschnittene Frau keinen Mann, sie             Nazer Mende, Damien Louis:
     darf bestimmte Wege nicht gehen, nicht kochen oder an Zeremonien teilnehmen“. Der                Befreit. Die Heimkehr der Sklavin.
     soziale Druck führt selbst heute noch – 15 Jahre nachdem Senegal die Beschneidung an             1. Auflage. München: Droehmer 2007
     Frauen und Mädchen gesetzlich verboten hat – dazu, dass in einigen Gegenden heimlich
     weiter gemacht wird.                                                                             Mustafa Olpak
                                                                                                      Kenya-Girit-Istanbul: Köle Kiyisindan Insan Bi-
                                                                                                      yografileri („Kenia-Kreta-Istanbul: Biografie der
                                                                                                      Küsten-Sklaven“)
                                                                                                      Türkisch
                                                                                                      1. Auflage. Ozan Yayincilik 2005

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Nachruf
                                                       dem folgenden Zitat aus seiner Biographie       dem Bevölkerungsaustausch zwischen der         zulernen. Bis zuletzt setzte er sich für die
                                                       zeigen: “Die erste Generation erlebt, die       Türkei und Griechenland zur Minderheit in      Förderung der türkischen Kultur und des
                                                       zweite leugnet und die dritte forscht nach.“    der jungen türkischen Republik wurde. Ob-      Beitrags der Afrikaner*innen und ihrer Nach-
                                                                                                       wohl die Afro-Türkische Minderheit schon       kommen ein.
                                                       Meinen ersten Kontakt zu Olpak hatte ich        damals rund 50.000 Personen stellte, wurde
                                                       Ende 2015. Ich war sehr froh, als er mir        und wird sie bis heute vom türkischen Staat    Möge er in Frieden ruhen.
                                                       anschließend sein Buch in türkischer und        weder als solche anerkannt, noch wird ihre
                                                       französischer Sprache schickte, denn ob-        Geschichte erzählt. „Über uns wird nicht ge-
                                                       wohl ich bereits 2013 als Erlanger Stadträtin   sprochen, weil man sonst in Konflikt mit der
                                                       in der Türkei war – unsere Stadt Erlangen hat   offiziellen Geschichtsschreibung geraten
                                                       eine Städtepartnerschaft mit einem Stadt-       würde.“, schreibt Olpak in seinem Buch und
                                                       teil von Istanbul, Besiktas – hatte ich noch    urteilt: „Dann müsste man auch von Sklave-
                                                       nie etwas von Afro-Türk*innen gehört. Des-      rei sprechen.“
                                                       halb freute ich mich sehr, den Gründer des
                                                       afro-türkischen Vereins persönlich in Er-       Anlässlich seines Vortrages zur Geschichte
                                                       langen empfangen zu können. So lud ich          der Afro-Türk*innen auf den „Black History
                                                       ihn 2016 zu meiner Veranstaltung „Black         Weeks“, schickte uns Herr Olpak eine Video-
                                                       History Weeks“ - Die Sklaverei ein Verbre-      botschaft. Am darauffolgenden Tag, dem 4.
                                                       chen gegen die Menschlichkeit“ ein, wo          Oktober, erfuhr ich von Frau Oral, dass er
     Mit tiefer Trauer habe ich vom Tod von            er einen Vortrag über die Situation der Af-     in der Nacht verstorben war, als wir gerade
     Mustafa Olpak,
              Olpak dem Gründer der afrotürki-         ro-Türk*innen in seinem Land halten sollte.     unsere Konferenz abhielten und ihn für sein
     schen Organisation in der Türkei, erfahren.       Da Olpak meine Einladung aus gesundheit-        Engagement würdigten.
                                                       lichen Gründen nicht annehmen konnte,
     Als Nachkomme von in die Türkei depor-            erklärte sich Frau Gülrenk Oral bereit ihn zu   Mustafa Olpak starb am Montag, den
     tierten Afrikaner*innen in dritter Generation     vertreten, eine junge Wissenschaftlerin, die    3. Oktober 2016, nur einen Tag nach unserer
     versuchte er, die Geschichte seiner Familie       in Deutschland gelebt hatte und auf diesem      Veranstaltung. Er wurde 63 Jahre alt.
     anhand der tragischen Episode der Sklave-         Gebiet forschte, obwohl sie nicht afrikani-
     rei in der Türkei zu rekonstruieren. Es ist ein   scher Abstammung ist.                           Ich verneige mich respektvoll vor einem
     Kapitel, das sich dem kollektiven Gedächtnis                                                      Wegbereiter der Geschichte der Afro-
     der türkischen Gesellschaft fast vollständig      Mustafa Olpak hat seine unglaubliche            Türk*innen. Obwohl er die ihm zustehende
     entzieht.                                         Familiengeschichte in zwei Bänden auf-          Würdigung nie erhielt, gab er einer ganzen
     Dass diese besondere Familiengeschichte,          geschrieben. Im ersten Buch "Köle", zu          Gemeinschaft Hoffnung und Selbstrespekt
     die gleichzeitig afrikanisch-türkische Ge-        Deutsch "Sklave", denn als Sklaven kamen        zurück. Er ebnete den Weg für die künfti-
     schichte beschreibt, immens wichtig für           seine Großeltern aus Kenia über Kreta in die    ge Generation und ermöglichte es jungen
     Olpak war, lässt sich wohl am besten mit          Türkei, beschreibt er, wie seine Familie nach   Afro-Türk*innen, ihre Geschichte kennen-

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D a s Ende             der       Sklav e r e i           ge h t     u n s     alle
     et was a n
                                                                                                      ankert ist. Die Entführung, der Kauf oder die   eine Ausstellung mit 25 Bildern dieser ver-
     D r.    P ierrette              Herz be r ge r-Fo fan a                                          Geiselnahme afrikanischer Kinder, die an        sklavten Kinder, oft abgebildet neben ihren
     Stellungnahme vom 09.01.2021 zum Europäischen Tag zum Gedenken an die Abschaffung                europäische Höfe verschleppt wurden, war        „Herrchen oder Frauchen“, gestaltet und
     des Sklavenhandels                                                                               die häufigste Form deutscher Sklaverei. Die-    in fast allen Gymnasien der Stadt Erlangen
                                                                                                      se Kinder wurden „Adel-Pagen“ genannt,          präsentiert. Die Ausstellung ist dann unter
     Die Europäische Union proklamiert den 2.          Das EU-Parlament erklärt in der Resolution     ein Euphemismus, der uns noch heute in          anderem in München, Bayreuth und Karls-
     Dezember zum Europäischen Tag zum                 zudem den Sklavenhandel zu einem Verbre-       Form von allerlei Nippes „erhalten“ ist. Fi-    ruhe gezeigt worden.
     Gedenken an die Abschaffung des Sklaven-          chen gegen die Menschlichkeit und fordert,     gürchen kleiner, dunkelhäutiger und kurios
     handels: Das ist eine gute Nachricht. Schon       dass der 2. Dezember zum Europäischen          verkleideter Kinder, die ein Tablett halten,    Es muss ein Bewusstsein dafür entstehen,
     2001 hatte das Europäische Parlament den          Tag des Gedenkens an die Abschaffung           einen Schirmständer darstellen oder in an-      dass sich Sklaverei nicht nur auf US-Ame-
     transatlantischen Sklavenhandel als Verbre-       des Sklavenhandels erklärt wird. Die Mit-      derer Form „dienlich“ sind, begegnen uns        rikanischen Baumwollfeldern abgespielt hat
     chen gegen die Menschlichkeit anerkannt.          gliedstaaten werden außerdem ermutigt,         häufig. Nicht nur viele „Mohren-Apotheken“      – dies Bild ist ohnehin einer Art von Roman-
                                                       die Geschichte der Schwarzen in die Schul-     sind mit entsprechender „Dekoration“ ver-       tisierung der Sklaverei geschuldet – sondern
     Europa hat zu Zeiten der Aufklärung in ver-       lehrpläne aufzunehmen.                         sehen.                                          dass sie nicht zuletzt in anderen und perfi-
     schiedenen Formen von der Sklaverei               Diese Erklärung hat nicht nur symbolischen     Das berühmteste Beispiel für ein nach           den Formen auch in Deutschland eine Rolle
     profitiert. Auch Länder, die nicht a priori als   Wert. Sie wird dazu beitragen, Pflichten       Deutschland „importiertes“ Kind, ein „Mit-      gespielt hat.
     „Sklavenländer“ gelten, wie Deutschland,          nachzukommen, denen sich die Länder der        bringsel“, wie man auch sagte, war Anton        Erst wenn dieses Bewusstsein gewachsen
     die Niederlande, Schweden, Dänemark und           Europäischen Union bisher in unzureichen-      Wilhelm Amo. Amo, bekannt als erster Phi-       ist, wird man dem Thema Rassismus diffe-
     andere konnten ihren jeweiligen Nutzen            der Form gestellt haben. Dazu gehören          losoph afrikanischer Herkunft wurde 1707        renzierter entgegentreten können. Auch in
     ziehen. Dies anzuerkennen und entspre-            Formen des Gedenkens und die Rekons-           als Vierjähriger dem Herzog von Braun-          Deutschland, den Niederlanden, Schweden,
     chende Konsequenzen daraus zu ziehen,             truktion historischer Darstellungen, nicht     schweig-Wolfenbüttel „geschenkt“. Auch          Dänemark und anderen Ländern, die den 2.
     darum ist das Europäische Parlament seit          zuletzt, aber zunächst maßgeblich im Schul-    eine gewisse Berühmtheit erlangte Machbu-       Dezember als Tag des Gedenkens dafür
     dem vergangenen Jahr progressiv bemüht.           unterricht. Letzteres ist eine Aufgabe, die    ba, die Fürst Hermann von Pückler-Muskau        dringend brauchen.
     Im Juni 2020 verabschiedete es eine Reso-         uns lange Zeit beschäftigen wird.              1837 als Vierzehnjährige in Kairo kaufte und
     lution, die mit einer großen Mehrheit von 493                                                    sie als eines vieler „Lustmädchen“ oder
     Ja-Stimmen, bei 104 Nein-Stimmen und 67           Die Anti Racism Diversity Intergroup des Eu-   „Lustknaben“ in die Geschichte eingehen
     Enthaltungen angenommen und von fünf              ropäischen Parlaments, kurz „ARDI“, der ich    ließ. Andere wurden als „Spielzeug“ oder
     der sieben Fraktionen unterstützt wurde.          als Ko-Präsidentin angehöre, organisierte      „kleine Ungeheuer“ benutzt, wie z.B. Rut-
     Das Europäische Parlament fordert mit             am 2. Dezember 2020 eine Videokonferenz        simo, der Prinzessin Sissi bzw. deren Sohn
     dieser Resolution die Institutionen und die       zum Thema, an der namhafte Persönlichkei-      „gehörte“ und die Damen des österreichi-
     Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf,       ten aus Wissenschaft und Politik teilnahmen.   schen Hofes erschrecken sollte.
     die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit           In meinem Beitrag zu dieser Konferenz the-
     und die Verbrechen gegen die Mensch-              matisierte ich historische deutsche Figuren     Im Rahmen der UN-Dekade „Menschen af-
     lichkeit, die gegen Schwarze Menschen             des Sklavenhandels, deren Existenz häufig      rikanischer Herkunft“ (2015-2024) habe ich
     begangen wurden, offiziell anzuerkennen.          nicht im Bewusstsein vieler Menschen ver-      2016 im Rahmen der „Black History Weeks“

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