Dialogpapier Hospizliche Haltung in Grenzsituationen - Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V - DHPV
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Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V. Dialogpapier Hospizliche Haltung in Grenzsituationen Inhaltliche und methodische Anregungen zur Diskussion und zur Meinungsbildung vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020 zu § 217 StGB www.dhpv.de 1
Inhalt Vorwort ......................................................................... 3 Die Suizidassistenz wird voraussehbar zu einer staatlich finanzierten, qualitätskontrollierten Hospizliche Anliegen der Begleitung ......................... 4 Dienstleistung mit Anspruchsberechtigung ................ 17 Einführung .................................................................... 4 Wir brauchen Mitgefühl und Begleitung aus der Mitte „Mein Leben – mein Sterben!?“ .................................... 5 einer solidarischen und sorgenden Gesellschaft. ......... 18 Haltung des DHPV ........................................................ 6 Forderungen .............................................................. 20 Anregungen zur internen Auseinandersetzung ............... 8 Stärkung von Hospizarbeit und Palliativversorgung ...... 20 Bildung einer gemeinsamen Haltung ........................... 10 Verbesserung der pflegerischen Versorgung................. 21 Gesellschaftliche Dimension: Suizidassistenz? Zugangsgerechtigkeit, Öffentlichkeitskampagnen und Auf dem Weg in eine sorgende Gesellschaft ........... 15 verbesserte Information über die Hospizarbeit und Palliativversorgung ...................................................... 22 Die Unterthematisierung des Sozialen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts .......................................... 15 Keine Verpflichtung der Einrichtungen der Hospizarbeit und Palliativversorgung zur Durchführung und/oder Sterben ist ein sozialer Vorgang, es geht um die Duldung des assistierten Suizides ............................... 23 Sozialität des Sterbens ................................................ 15 Förderung, Weiterentwicklung und Etablierung von Die öffentlich verbreiteten Bilder des Sterbens sind Konzepten zur Suizidprävention / Information und weitgehend Schreckensbilder, die eine gewaltsame Stärkung der Suizidprävention ................................... 23 Beendigungs-Dynamik befördern.................................. 15 Die Orientierung der Weltgesundheitsorganisation Weiterführende Texte / Anlagen (WHO) „Sterben nicht zu beschleunigen und nicht Arbeitshilfe zur methodischen Umsetzung ................... 24 zu verlangsamen“ bleibt bedeutsam. .......................... 16 Information für die Mitglieder des DHPV zur Der Konsens einer Suizidpräventionsgesellschaft Entscheidung des BVerfG ........................................... 29 wird aufgelöst. ............................................................ 16 „Mit einem Federstrich“ Artikel in: Obwohl sich die gesellschaftliche Bewertung des die hospiz zeitschrift / 3 / 2020 - Nr. 87 / 22. Jg. ............ 32 Suizids verändert hat, bleibt er ein dramatisches und traumatisches Geschehen. ........................................ 16 Handreichung des DHPV: „Sterbehilfe – Regulierungen in der Schweiz, Der gesellschaftliche Konsens zur Rolle und zum den Niederlanden, Belgien und in Oregon“ ................. 36 Ethos der Ärzte wird aufgelöst. ................................... 17 Acht-Punkte-Programm des DHPV ............................ 42 Hospizlichkeit bildet eine orientierungsstiftende Alternative. .................................................................. 17 Herausgeber Deutscher Hospiz- und Erscheinungsjahr: 2021 PalliativVerband e. V. (DHPV) 2. überarbeitete Auflage 2
Dialogpapier – Hospizliche Haltung in Grenzsituationen Vorwort Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seinem Menschen, der diesen Wunsch äußert. Um den Dialog zu Urteil vom 26.02.2020 den § 217 StGB für nichtig erklärt, fördern und eine hospizliche Haltung in Grenzsituationen der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter zu entwickeln, hat eine Arbeitsgruppe innerhalb des DHPV Strafe gestellt hatte. Daraus ist nicht abzuleiten, dass sich dieses Dialogpapier entwickelt und hat es in einer ersten für Einrichtungen und Dienste der Hospizarbeit und Pal- Auflage mit Datum vom 19.02.2021 den Mitgliedsorgani- liativversorgung ein neuer Auftrag dahingehend ergibt, die sationen auf der Landesebene sowie den überregionalen Beihilfe zur Selbsttötung zu organisieren oder selbst anzu- Organisationen, aber auch den Hospiz- und Palliativdiens- bieten. Das BVerfG hat in seiner Urteilsbegründung ausge- ten und -einrichtungen des DHPV zur Verfügung gestellt. führt, dass es eine Verpflichtung zur Beihilfe zur Selbsttö- tung nicht geben darf. Dennoch hat die Entscheidung des In der Arbeitsgruppe des DHPV haben Christina Bethke (Syn- Gerichts auch eine Auswirkung für die Hospizarbeit und dikusrechtsanwältin des DHPV), Dr. Carmen Breuckmann- Palliativversorgung in Deutschland, vor allem im Hinblick Giertz (Beisitzerin), Gerda Graf (Ehrenvorsitzende), Angela auf die Diskussion in der Gesellschaft zu der Frage, was Hörschelmann (Mitarbeiterin für den Bereich Presse- und unter einem würdigen Sterben zu verstehen ist. Es ist als Öffentlichkeitsarbeit des DHPV), Isabel Kleibrink (Referen- Folge des Urteils zu erwarten, dass von Betroffenen und tin des DHPV), Dr. Anja Schneider (stellv. Vorsitzende), Dirk Zugehörigen direkter und häufiger der Wunsch nach einer Blümke (Beisitzer), Benno Bolze (Geschäftsführer), Paul Beihilfe zur Selbsttötung an die ehrenamtlichen und haupt- Herrlein (stellv. Vorsitzender) und Prof. Dr. Winfried Harding- amtlichen Mitarbeiter*innen der Hospizarbeit und Palliativ- haus (Vorsitzender) mitgewirkt. Die hier vorliegende zweite versorgung herangetragen werden wird. Auflage wurde durch einen Text ab Seite 15 mit der Über- schrift „Suizidassistenz? Auf dem Weg in eine sorgende Der Wunsch von Betroffenen nach einer vorzeitigen Be- Gesellschaft“ ergänzt. Dieser neue Teil II des Dialogpapiers endigung des Lebens ist nicht erst mit dem Urteil des Bun- geht auf die Bedeutung des Urteils für die Gesellschaft desverfassungsgerichts entstanden. Mitarbeiter*innen der ein sowie auf wichtige Fragestellungen in diesem Zusam- Hospiz- und Palliativarbeit war dieser Wunsch auch vor menhang. Dieser Abschnitt wurde durch Prof. Dr. Reimer der Entscheidung des Gerichts vertraut. Von schwerst- Gronemeyer und Prof. Dr. Andreas Heller erarbeitet, die kranken und sterbenden Menschen, die von den ambulan- Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des DHPV sind. ten Diensten und stationären Einrichtungen begleitet und Ebenfalls neu aufgenommen wurde eine Arbeitshilfe zur versorgt wurden, wurde dieser Wunsch immer mal wieder methodischen Umsetzung des Dialogpapiers, die eine Hilfe geäußert, auch wenn dies nicht sehr häufig vorkam. Hin- sein soll in der Vorbereitung von Veranstaltungen in diesem ter dem einzelnen Sterbewunsch stehen in der Regel viel- Zusammenhang (s. Anlage: Arbeitshilfe zur methodischen fältige Gründe. Oft wird die Angst vor dem Alleinsein, die Umsetzung ab Seite 24). Angst vor Schmerzen oder die Angst, anderen zur Last zu fallen in diesem Zusammenhang genannt. Deshalb ist es An dieser Stelle sei den Mitgliedern der o. g. Arbeitsgruppe das Ziel der Hospizarbeit und Palliativversorgung, die Rah- des DHPV sowie den Mitgliedern des wissenschaftlichen menbedingungen so zu verändern, dass dieser Wunsch Beirats herzlich gedankt, die an der Erarbeitung des Dia- nicht mehr vorkommt und hinter neu gewonnenen Pers- logpapiers mitgewirkt haben. Der DHPV bedankt sich da- pektiven zurücktritt. Dennoch kann es sein, dass im Einzel- rüber hinaus bei allen Teilnehmer*innen des Dialogforums fall auch bei umfassender Begleitung und Versorgung der des Vorstands des DHPV mit den Vertreter*innen der sech- Wunsch weiterhin bestehen bleibt. Das vorliegende Dia- zehn Landesverbände und überregionalen Organisationen logpapier soll in einer solchen Situation eine Orientierung am 27.01.2021. In diesem Forum mit den Mitgliedsein- geben, um die eigene Position und die in der jeweiligen richtungen, in dessen Rahmen vorwiegend die unter dem Einrichtung bzw. im jeweiligen Dienst geltende Position zur Punkt „Bildung einer gemeinsamen Haltung“ des Dialog- Frage der Beihilfe zur Selbsttötung gemeinschaftlich zu er- papiers beschriebenen Beispiele besprochen wurden, sind arbeiten unter Berücksichtigung der Grundsätze der Hos- weitere wichtige Diskussionspunkte thematisiert worden pizarbeit und Palliativversorgung und der in diesem Rah- und im Ergebnis der Diskussion in das Dialogpapier über- men Mitarbeitenden bei gleichzeitiger Wertschätzung des nommen worden. Für den Vorstand und die Geschäftsstelle Prof. Dr. Winfried Hardinghaus Anja Schneider Paul Herrlein Benno Bolze Vorsitzender Stellv. Vorsitzende Stellv. Vorsitzender Geschäftsführer 3
Hospizliche Anliegen der Begleitung Einführung Sterben im 21. Jahrhundert – gibt es eine moderne Antwort sollten. Unkritisch eine „Freiverantwortlichkeit“ zu unter- auf die „ars moriendi“ des Mittelalters? Digitale Suchma- stellen und einen Handlungsauftrag zur Realisierung der schinen spucken bei Stichwörtern wie „selbstbestimmtes Lebensbeendigung abzuleiten, wird der Komplexität und Sterben“ regelmäßig Hinweise auf Sterbehilfeorganisatio- Widersprüchlichkeit des Menschen nicht gerecht. Dies be- nen aus. Die Gesetzesbezeichnung im US-amerikanischen trifft insbesondere die schwer erkrankten Menschen, die Raum „Death with Dignity-Act“ („Gesetz über das Sterben in Folge der Erkrankung und in der Auseinandersetzung mit Würde“) suggeriert durch den Sprachgebrauch bereits in existentielle (Sinn- und Lebens-) Krisen geraten kön- die Vorstellung, ein selbstbestimmtes und würdevolles nen. Durch die multiprofessionelle und auf Empathie und Lebensende sei lediglich oder zumindest vor allem unter Verständnis beruhende Begleitung ist es häufig möglich, den Prämissen des assistierten Suizides denkbar – eine gemeinsam mit der suizidwilligen Person die Gründe für instagramtaugliche und „familienkompatible“ Lösung des die Suizidwünsche herauszuarbeiten und Lösungswege Unausweichlichen. zu finden, die die Lebensqualität entscheidend verbessern und den Wunsch auf vorzeitige Beendigung des Lebens in Dabei war es die Hospizbewegung, die sich seit ihren den Hintergrund treten lassen. Anfängen für die Beachtung der Selbstbestimmung des Menschen und die Gestaltung der letzten Lebensphase in Angesichts dessen trägt auch der Staat bzw. die Gesell- Würde und nach den Vorstellungen des Betroffenen einge- schaft als Ganzes die Verantwortung dafür, den betroffe- setzt hat. Die grundlegenden Veränderungen der Sterbe- nen Menschen durch ein flächendeckendes Angebot der bedingungen, die den Zeitpunkt des Todes mit Hilfe neuer Suizidprävention weitere Handlungsoptionen zu eröffnen technischer und pharmakologischer Möglichkeiten hinaus- und damit dem Selbstbestimmungsrecht gerade auch zuzögern vermochten, verstärkten bei den Menschen ein vulnerabler Personengruppen Geltung zu verschaffen. Die ohnehin bestehendes Gefühl des Ausgeliefertseins und die hospizliche Erfahrung lehrt uns, dass selbst bei Menschen, Sorge vor einem qualvollen Verlauf am Lebensende. Im bei denen auf den ersten Blick eine vermeintlich selbst- Gegensatz dazu besann sich die Hospizbewegung darauf, bestimmte und freiverantwortliche Entscheidung für den in dieser existenziellen Notlage die grundlegenden Bedürf- assistierten Suizid plausibel erscheint, elementare und für nisse des Menschen in allen Dimensionen in den Blick zu die Entscheidungsfindung relevante Informationen den nehmen, ihm auf Augenhöhe zu begegnen und eine um- Betroffenen entweder unbekannt sind oder ihnen unzu- fassende und dabei angemessene medizinische, pflegeri- treffend vermittelt wurden. Auf der Basis fehlender oder sche, psychosoziale und spirituelle Betreuung anzubieten. falscher Informationen kann eine selbstbestimmte und Der Verlauf des Lebens konnte so zu seinem natürlichen freiverantwortliche Entscheidung jedoch mit guten Grün- Ende finden, ohne künstlich verlängert zu werden, aber den angezweifelt werden. Wiederkehrende Fehlannahmen auch ohne dieses willentlich und in Abhängigkeiten von existieren beispielsweise in der öffentlichen Wahrnehmung Dritten durch einen assistierten Suizid oder eine Tötung auf der Behandlungsmöglichkeiten von ALS-Patient*innen, so Verlangen zu verkürzen. Daran hat sich bis heute nichts dass aufgrund der Befürchtung eines Todes durch qualvol- geändert. les Ersticken der assistierte Suizid als vermeintlich einziger Ausweg in das Bewusstsein gerückt wird. Dabei können Die Hospizarbeit vermag in der Begleitung Sterbender hier in vielen Fällen durch gute palliative und hospizliche und der Unterstützung der Zugehörigen auf einen Erfah- Begleitung Alternativen aufgezeigt werden, die ein fried- rungsschatz zurückzugreifen, der sich daraus speist, allen volles Sterben ermöglichen. Unklarheiten bestehen auch Menschen in ihrer Einzigartigkeit und ihren unterschiedli- häufig in der juristischen Einordnung von Handlungen rund chen Lebensgeschichten, Leidenszuständen vorurteilsfrei um den Begriff „Sterbehilfe“, so dass beispielsweise ein und mit der notwendigen Zeit zu begegnen. Dazu gehört rechtlich unproblematischer Behandlungsabbruch durch Leiden und Konflikte gemeinsam auszuhalten, ohne dabei Abschalten des Beatmungsgerätes bei Betroffenen, Ange- aus falschverstandener Fürsorge aufzutreten bzw. vorzu- hörigen oder medizinisch-pflegerischem Personal als straf- geben, auf alle Fragen eine schnelle oder gar befriedigen- bare aktive direkte Sterbehilfe eingeordnet oder zumindest de Antwort geben zu können. Dies gilt auch für geäußerte subjektiv als eine solche empfunden wird. Suizidwünsche, deren Ambivalenz und Kontextabhängig- keit in einem verantwortungsvollen Umgang nicht außer Die Hospizarbeit und Palliativversorgung vermögen in Acht gelassen werden dürfen. Suizidwünsche sind selten solchen und ähnlich gelagerten Fällen aufgrund der jahr- „schwarz-weiß“, sondern lassen eine Vielzahl von Deutun- zehntelangen Erfahrung der ganzheitlichen Begleitung von gen in Graustufen zu, deren Schattierungen wahrgenom- sterbenden Menschen in den unterschiedlichsten Krank- men und dementsprechend differenziert begleitet werden heitsbildern und sozialen Konstellationen, durch gezielte 4
Dialogpapier – Hospizliche Haltung in Grenzsituationen „Mein Leben – mein Sterben!?“ am Wohl des Patienten orientierte Aufklärungsarbeit einen Wesentliches Anliegen der Menschen, die sich im Rahmen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Autonomie und der Hospizarbeit und Palliativversorgung engagieren, ist Selbstbestimmung zu leisten. es vor allem, Menschen zu begleiten, die schwer erkrankt sind und sterben werden. Ebenso gehört die Sorge um die In der gesellschaftlichen Debatte und in dem individualis- Zugehörigen in der Sterbephase und in der Trauer zu den tisch geprägten Ringen um ein selbstbestimmtes Sterben wesentlichen hospizlichen Aufgaben. am Lebensende bleibt dabei bisweilen auch die Auswir- kung des assistierten Suizides auf die Zugehörigen, die Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Feb- „Durchführenden“ und letztlich auch auf die Gesellschaft ruar 2020 bedeutet für die Gesellschaft an sich und ihren insgesamt unerwähnt oder wird als zu vernachlässigende Umgang mit Krankheit und Tod eine wesentliche Zäsur. Folgewirkung klein geredet. Die Hospizarbeit hat ihre Auf- Gemäß dem Urteil ist die Beihilfe zum Suizid in organisier- gabe stets auch darin gesehen, das Familiensystem sowie ter Form insgesamt erlaubt und daher auch nicht z. B. an die Bedürfnisse der Zugehörigen, deren Belastung sowie die Voraussetzung einer schweren Erkrankung gebunden, deren Trauer in den Blick zu nehmen und hier adäquate denn sie stehe jedem Bürger grundsätzlich zu. Hauptbe- Unterstützung anzubieten. gründung dafür ist die Betonung der Selbstbestimmung bis zum Schluss, auf die jeder Mensch ein Recht habe, In den letzten Jahrzehnten hat die Begleitung von Trauern- welches somit gesichert werden solle. den in den Diensten und Einrichtungen der Hospizbewe- gung nicht nur in Bezug auf die Sterbesituation sondern Folglich muss sich, nicht zuletzt bezogen auf das hospizli- gerade in Bezug auf eine nachgehende Begleitung an che Anliegen der Begleitung in der existentiellen Frage nach Bedeutung gewonnen. Oft wirken sich die Todesumstän- dem Lebensende, umgekehrt die Frage stellen: Wenn der de und die Rituale des Abschiedes positiv oder eben er- Weg des assistierten Suizids am Ende die Selbstbestim- schwerend auf den Trauerprozess aus. Trauer nach Sui- mung des Menschen sicherstellen kann, stellt dann eine zid wird in der Forschung – unabhängig von der Art des hospizliche Begleitung einen Widerspruch dazu oder gar Selbsttötungsgeschehens – immer wieder als erschwe- eine Absage daran dar und ist somit eine Art der Fremd- rend auf Trauerprozesse dargestellt und in der täglichen bestimmung? Begleitungsarbeit erlebt. Anders formuliert: Verliere ich als Mensch bzw. als Erkrank- Die Hospizarbeit beschränkt sich jedoch nicht auf die ein- te*r oder Sterbende*r meine Würde, weil ich angesichts der zelne Begleitung eines Menschen und seines Bezugssys- Auseinandersetzung mit meinem eigenen Tod und Sterben tems, sondern stellt auch das Sterben in der Gesellschaft den Anspruch „Ich brauche dich“ zum Ausdruck bringe? in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen. Vermeintliche Rand- phänomene wie der Zugang und Einbezug von Kindern zu Diese kritische Anfrage stellt sich angesichts der Entschei- den Themen Sterben, Tod und Trauer oder die Einsamkeit dung des Bundesverfassungsgerichts. Tatsächlich aber und Isolation vieler Menschen als „Trigger“ für Suizidwün- führt sie ins Zentrum hospizlicher Haltung und Bildung, sche werden in das gesellschaftliche Bewusstsein gerückt die weit über den problematisierenden Kontext des § 217 und häufig „der Finger in die Wunde gelegt“. hinausgreift und sichtbar werden lässt, inwiefern diese Haltung eine zutiefst am Menschen in seinem individuel- Die Hospizbewegung hat somit mit ihrer auf Achtsam- len Personsein ausgerichtet ist. Und zwar angesichts von keit und Wertschätzung beruhenden „Sorgekultur“ nicht Sterben und Tod und zugleich – indem sie ganz grundsätz- nur Relevanz im Kontext des Sterbens, sondern auch das lich und zu jeder Zeit zurück ins Leben verweist – weil sie Potenzial einer Vorbildfunktion für das gesamtgesellschaft- dieses mit all seinen Themen, offenen Fragen und Bezie- liche Miteinander. Gerade auch das hospizliche Ehrenamt hungsdimensionen zu sich selbst wie zu anderen bis zum ist Teil dieser Gesellschaft und verbindet mit dem sicht- Ende ernst nimmt.1) baren Zeichen einer gelebten Solidarität die Hoffnung ei- nes differenzierteren, weniger defizitorientierten Blicks auf den letzten Abschnitt des Lebens. Bisweilen erscheint die Hospizarbeit in ihrer gegen die Selbstoptimierung ausge- richteten Begleitung, die sich der Planbarkeit und Effizienz widersetzt, etwas aus der Zeit gefallen. Aber vielleicht liegt gerade darin ihre Stärke und Innovationskraft für die Zu- kunft. 1) Vgl. Breuckmann-Giertz, Carmen: „Hospiz erzeugt Wissenschaft“. Eine ethisch-qualitative Grundlegung hospizlicher Tätigkeit. Berlin 2006, 278f.; Graf, Gerda/ Höver, Gerhard et.al.: Hospiz als Versprechen. Zur ethischen Grundlegung der Hospizidee. Wuppertal 2006, 148 f. 5
Haltung des DHPV Haltung schaft zu integrieren. Deutlich wird dies in dem Erfahrungs- wissen der Hospizbewegung: Eine überwiegende Mehrheit Die Menschen und Organisationen der Hospizarbeit und der Menschen nimmt von ihrem Suizidwunsch Abstand, Palliativversorgung zeichnen sich durch eine Besonderheit wenn sie in ein verlässliches Netz von anteilnehmenden aus: Zentrales und leitendes Element des professionellen Strukturen wie palliative Versorgung und hospizliche Be- und des ehrenamtlichen Handelns ist die hospizliche Hal- gleitung eingebunden sind und spüren, dass sie weiterhin tung, welches sich in einem dieser Haltung verpflichteten wichtig und wertvoll sind. Die Förderung einer sorgenden Verhalten zeigt. Gemeinschaft durch z. B. psychosoziale Angebote und Einrichtungen ist ein klarer Ausdruck für die Stärkung von Eine Haltung zu haben bedeutet, aus einer Grundüberzeu- Selbstbestimmung jedes einzelnen Individuums. gung heraus zu handeln, die die ganze Person umfasst, also ihren Körper, ihren Geist und ihre Gefühle. Eine Hal- tung besteht nicht aus einer konkreten Regel, sie ist viel- Auftrag und Grenzen der Begleitung mehr eine Handlungsdisposition, die sich im Laufe des Lebens und Erlebens einer Person, also im individuellen Der DHPV bezieht in seinem Selbstverständnis 5) dazu Po- Lebensvollzug, entwickelt.2) sition und tritt ein für die Wahrung von Würde und Selbst- bestimmung, mit der daraus logischen Konsequenz, die „Hospizliche Haltung drückt sich im Respekt vor der Wür- Tötung auf Verlangen und die geschäftsmäßige Förderung de und Selbstbestimmung des schwer kranken und ster- der Beihilfe zur Selbsttötung abzulehnen. benden Menschen aus, nimmt seine Anliegen ernst, behält eine ganzheitliche Sicht im Sterbeprozess bei, lässt den Dieses Selbstverständnis ist nicht damit vereinbar, Suizid- Sterbenden nicht allein und unterstützt Angehörige und beihilfe zu bewerben, anzubieten oder durchzuführen. Auf Freunde, von denen der Sterbende Nähe und Geborgen- diese Weise werden die Themen Todeswunsch und Suizid heit erwartet.“ 3) nicht ausgeblendet und ignoriert, sondern es wird ihnen mit einer anderen Haltung begegnet. Sorgekultur In der Hospizarbeit und Palliativversorgung werden häu- fig Todeswünsche in unterschiedlichen Formen geäußert, Die Ausdrucksformen der hospizlichen Haltung wie Em- welche akzeptiert und ernstgenommen werden, indem pathie, Menschenliebe, Offenheit, Toleranz, Ehrlichkeit, Hospizler*innen mit den Menschen, die über eine Selbsttö- Geduld, Wertschätzung, Achtsamkeit und Zuverlässigkeit tung nachdenken, in Beziehung treten und sich in einer er- beziehen sich dabei nicht allein auf die direkte Begegnung gebnisoffenen Auseinandersetzung mit dem Todeswunsch zweier Menschen im Dialog miteinander, sondern stehen begleitend zur Verfügung stellen.6) In Beziehung und im auch in einem gesamt-gesellschaftlichen Kontext. Die Gespräch bleiben, immer wieder auf das Thema schauen Hospizarbeit sieht ihren Auftrag darin, eine umfassende und ggf. erneut nach Lösungen suchen, bilden die Basis, Sorgekultur zu gestalten und zu etablieren, die die Nöte, um mit konkreten Maßnahmen das im Todeswunsch ent- Hoffnungslosigkeit und Bedarfe der Menschen sieht und haltende Leid zu lindern. Die Ambivalenz und Komplexität hierfür zugängliche Hilfen entwickelt. der Sehnsucht nach dem Tod werden häufig erst dann er- sichtlich. So ist es nicht ungewöhnlich, dass Patient*innen Eine oft gehörte Äußerung von Menschen, die sich in exis- mit nicht heilbaren Erkrankungen gleichzeitig einen Todes- tenziellen Lebenslagen befinden „Ich will meiner Familie wunsch als auch einen Wunsch nach Leben in sich tragen. nicht zur Last fallen“ ist ein starker Satz und zugleich die Entblößung einer schwachen Gesellschaft.4) Die Hospizkul- Wenn im Einzelfall und trotz einer intensiven Begleitung tur ist beispielgebend, wenn es um ein Eingebundensein mit fundierter Informationsvermittlung (über Verläufe zu der eigenen Hilfsbedürftigkeit in eine sorgende Gemein- Sterbeprozessen, Möglichkeiten der palliativmedizinischen schaft geht. Dazu liefert sie eine Antwort auf das Span- und -pflegerischen Versorgung, der Therapiebegrenzung nungsfeld, das soziale Miteinander in die individuelle und und -beendigung sowie einer psychosozialen Begleitung) kollektive Lebensführung der heutigen modernen Gesell- der Wunsch nach einer Suizidbeihilfe und deren Planung 2) DHPV 2021, Qualifizierte Vorbereitung Ehrenamtlicher in der Sterbebegleitung, S. 11 3) Mühlum 2014, Ethikjournal 2.JG., S. 6 4) Graf 2016, die hospiz zeitschrift, 2/2016, S. 3 5) https://www.dhpv.de/selbstverstaendnis.html 6 6) DHPV 2021, Qualifizierte Vorbereitung Ehrenamtlicher in der Sterbebegleitung, S. 12
Dialogpapier – Hospizliche Haltung in Grenzsituationen Bestand haben, ergeben sich für den DHPV folgende Fra- Entfaltung der Persönlichkeit und – soweit dies möglich ist gen: – die Verwirklichung der eigenen Vorstellungen von einem erfüllten Leben. In der Hospizarbeit und Palliativversorgung Wo zeigt die hospizliche Begleitung im Falle der Suizid- berichten sehr oft ehrenamtliche und hauptamtliche Mit- beihilfe Grenzen auf, wenn man dem oben genannten arbeiter*innen, dass sie die Beschenkten sind und oft wird Selbstverständnis treu bleiben möchte? deutlich, dass im gemeinsamen Gespräch ein Weg aus einer ausweglosen Situation gefunden wird oder aber das Wann wird aus einer Begleitung eine aktive Rolle in der Leid allein durch das Dasein des anderen etwas leichter Beihilfe zum Suizid? wird. All dies wird erst möglich durch das Offensein für den anderen, durch die Beziehung zu ihm. Was ist mit der Fürsorgepflicht für die haupt- und ehren- amtlichen Mitarbeiter*innen, denn auch deren persön- Versteht man Autonomie also im relationalen Sinne, d. h. liche Grenzen gilt es zu respektieren und zu schützen? im Wissen darum, dass Menschsein immer schon und erst Welche Qualifikationen und Instrumente (wie z. B. das Recht an den Grenzen menschlichen Lebens bei Geburt Mehraugenprinzip, die kollegiale Beratung und die ethi- und Tod zutiefst darauf fußt, auf ein Gegenüber verwiesen sche Fallbesprechung) braucht es? zu sein, wird deutlich, dass menschliche Identität sich im- mer bewegt im Spannungsfeld von Selbstständigkeit, Ver- Die Reflexion der eigenen und der verbandlichen Haltung letzlichkeit und Bezogenheit. in diesem Themenkomplex wird eine dauerhafte Aufgabe sein, die aber unabdingbar ist, um den Menschen mit ihren Genau darauf gut zu reagieren, fordert schließlich ein, sich Ambivalenzen zwischen Lebens- und Todeswünschen so- dieser Spannungen bewusst zu sein, also zu wissen, selbst wie der gesellschaftlichen Verantwortung der Hospizbewe- auch verletzlich zu sein und genau dann den anderen brau- gung gerecht zu werden. (s. Anlage – Acht-Punkte-Plan chen zu dürfen, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. des DHPV vom 20.07.2020 im Anhang S. 42) In diesem Bewusstsein Sterbende zu begleiten, meint die Haltung des Versprechens „Ich bleibe bei dir“: Autonomie/Selbstbestimmung und Leben in Beziehung mich ansprechen, und herausrufen lassen aus meiner Situation, mich in Anspruch nehmen lassen und in Be- Selbstbestimmung ist ein sehr hohes Gut. Im Grundge- ziehung treten setz ist in Art. 2 GG geregelt, dass jeder das Recht hat auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, sofern er u. a. die dass ich um meine eigene Endlichkeit und den darin Rechte anderer nicht verletzt. Autonomie und Selbstbe- enthaltenen Wunsch nach bleibender Geltung und An- stimmung im Sinne von Eigenständigkeit wäre aber falsch erkennung (als Ausdrucksformen der Autonomie ken- verstanden, wenn sie als völlige Unabhängigkeit von einem ne), um auf der Basis dessen in Fürsorge den Sterben- anderen Menschen verstanden wird und diese Unabhän- den als Lebenden zu begleiten gigkeit gleichzeitig als höchste Form der Verwirklichung des Menschseins und als zentrales Kennzeichen der Men- Denn es gilt: schenwürde gesehen wird. „Wir werden nicht nur alles tun, damit du in Würde sterben Ein solch einseitiges Verständnis von Autonomie ist eher kannst, sondern dass du leben kannst, bis du stirbst.“ theoretischer Natur. Ein Mensch allein ist nicht überlebens- fähig. Der Mensch steht nicht nur in Beziehung zu einem (Cicely Saunders) anderen Menschen sondern er ist auf diesen angewiesen, vor allem in Grenzsituationen des Lebens: bei der Geburt, in Krankheit und im Sterben. Erst diese Beziehung ermög- licht ihm die Gestaltung seines Lebens bis zuletzt. Diese Bezogenheit ist kein Defizit, sondern sie ermöglicht die 7
Anregungen zur internen Auseinandersetzung Wie oben formuliert bildet sich eine Haltung nicht durch Auch als Einstieg bei kürzeren Informations- oder Diskus- Regeln und Vorgaben. Eine Haltung muss sich anhand von sionsrunden können ein paar ausgewählte Leitfragen hilf- subjektiven Erfahrungen und persönlicher Reflexion ent- reich sein. Die Rolle der Moderation entsprechender Ver- wickeln. So gilt es einen Raum zu schaffen, in dem sich anstaltungen sollte bedacht werden und ggf. auf eventuell jede*r mit seiner/ihrer Haltung beschäftigen und einbringen schon vorhandene Ethikteams (mobile oder auch in Ein- kann. Die folgenden Leitfragen und Fallbeispiele wollen Im- richtungen etablierte Teams) zurückgegriffen werden. pulse geben und die Komplexität und Ambivalenz der The- matik aufzeigen. Leitfragen für verschiedene Ebenen 7) Ebene Leitfragen Persönliche Ebene – Warum bin ich bei der Hospizbewegung tätig? (unabhängig von der Rolle als Hauptamt- – Welche persönlichen und beruflichen Erfahrungen habe ich mit liche*r, Vorstand, …) dem Thema Suizid? – Was bedeutet für mich Selbstbestimmung/Autonomie? – Wo beginnt und endet für mich Beihilfe zum Suizid? – Was ist meine Haltung zur Suizidassistenz? Berufliche Ebene – Was ist das Selbstverständnis der Hospizbewegung und wo liegen die Ursprünge? – Was ist der Auftrag der Hospizbewegung und hat dieser Grenzen? – Wie aktuell ist das Selbstverständnis? Wo gibt es Veränderungs- bedarf? – Lässt sich (geschäftsmäßiger) assistierter Suizid mit dem Selbstverständnis der Hospizbewegung vereinbaren? Verbandliche Ebene – Welche Positionen gibt es auf Landes- bzw. Bundesebene und wie verpflichtend sind diese? – Welche Institutionen gibt es noch, mit denen eine Kooperation möglich und/oder sinnvoll wäre? – Wie wird mit unterschiedlichen Meinungen innerhalb des Verbandes umgegangen? – Was heißt das für die Öffentlichkeitsarbeit? Methoden: Einzel-, Partner*innen-, Klein- und/oder Großgruppenarbeit 8 7) Vgl. Fragenkatalog HPV Berlin: Assistierter Suizid, 2020
Dialogpapier – Hospizliche Haltung in Grenzsituationen Beispiele Ebene Leitfragen Stationäres Hospiz – Welche unterschiedlichen Positionen könnten sich Frau S. liegt seit 2 Monaten im stationären Hospiz und wartet in der Diskussion ergeben? – wie sie es nennt – auf das Sterben. Nach vielen Gesprächen – Welche / wessen Argumente wären überzeugend, mit der Familie und einer differenzierten Auseinandersetzung um das sog. Sterbefasten mit vollständiger Ak- einer selbstbestimmten Möglichkeit den Sterbeprozess zu zeptanz begleiten zu können? beschleunigen, entscheidet sich Frau S. für das sog. Sterbe- – Welche Rahmenbedingungen bräuchte es, um fasten. das sog. Sterbefasten für alle Beteiligten gut zu Das Hospizteam trifft sich, bezieht Ehrenamtliche und Koordi- gestalten? natoren des begleitenden ambulanten Hospizdienstes mit ein und diskutiert. Betreutes Wohnen mit direkter – Was ist das Selbstverständnis der Hospizbewe- Anschlussversorgung Pflegeheim gung und wo liegen die Ursprünge? Frau P. hat bewusst diese betreute Wohnform gewählt, da bei – Was ist der Auftrag der Hospizbewegung und hat hoher Pflegebedürftigkeit eine nahtlose Betreuung und Pflege dieser Grenzen? im dazugehörenden Pflegeheim möglich ist. Es gibt einen – Wie aktuell ist das Selbstverständnis? Wo gibt es Hospizdienst, der mit der Einrichtung einen Kooperationsver- Veränderungsbedarf? trag abgeschlossen hat und regelmäßig und qualitätssichernd – Lässt sich (geschäftsmäßiger) assistierter Suizid tätig ist. Frau P., nunmehr 82jährig, bittet ihre Tochter (Vor- mit dem Selbstverständnis der Hospizbewegung sorgeberechtigte) und eine Ehrenamtliche des Hospizdienstes, vereinbaren? sie zu unterstützen beim Verfassen ihrer Patientenverfügung: Hier besteht Frau P. auf den Zusatz einer von ihr gewollten Suizidbeihilfe, im Besonderen bei Aufnahme in ein Pflegeheim und erhöhter Pflegeleistung, da dies keine Lebensqualität für sie darstellt. Alle Szenarien der vorhandenen Hospizkultur wie Palliativpflege, Palliativmedizin, psychosoziale und spirituelle Begleitung werden Frau P. angeboten. Sie verweist auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes und besteht auf den Zusatz. Ambulanter Hospizdienst – Welche Gedanken, Fragen kommen dem/der Ein pflegebedürftiger, seit 2 Jahren bettlägeriger Schwer- Ehrenamtlichen? kranker hat nach reiflicher Überlegung gemeinsam mit seinen – Was braucht der/die Ehrenamtliche im Umgang Familienangehörigen und dem Hausarzt alle Medikamente mit solch einer Anfrage? abgesetzt, außer die zur adäquaten Schmerztherapie. Nach – Was wären die nächsten Schritte? Ablauf von 7 Tagen bittet der 72jährige eine*n Ehrenamtlichen um „ein würdiges Sterben“ durch eine Hilfe zum Sterben, die „nunmehr ja möglich und straffrei ist.“ Methoden: – Diskussion in Klein- und/oder Großgruppe – Verteilung der einzelnen Rollen und Positionen – Ergebnissicherung durch Notizen (auf Flipchart) – möglich wäre auch eine Erarbeitung eines ersten Handlungsleitfadens in den einzelnen Kleingruppen (als weiterführende Diskussionsgrundlage) 9
Bildung einer gemeinsamen Haltung Der Wunsch nach einer Beihilfe zum Suizid wird auch von können. Dennoch darf hier kein Automatismus einsetzen in schwerkranken Menschen geäußert, die durch ambulante der Form, dass dann die Beihilfe zum Suizid die Lösung ist, Hospiz- und Palliativdienste oder in stationären Einrich- denn auch dabei bleiben Fragen offen beim Team und vor tungen der Hospiz- und Palliativversorgung versorgt und allem auch bei den Zugehörigen. begleitet werden. Diesen Wunsch gibt es, aber er kommt relativ selten vor. Hinter dem Wunsch nach einer Beihilfe Die nachfolgenden Beispiele bezogen auf den ambulanten zum Suizid stehen immer Gründe. Zu den häufigsten Grün- und stationären Hospizbereich sollen dazu dienen, eine den zählen die Angst vor Schmerzen, die Angst anderen Position zu finden, wenn der Wunsch nach einer Beihil- zur Last zu fallen und die Angst vor dem Alleinsein. Neben fe zum Suizid – nachdem wie beschrieben alles versucht den Ängsten steht auch der Wunsch „so“, d. h. so wie es worden ist um an den Gründen etwas zu ändern – weiter- im Moment gerade ist, nicht mehr leben zu wollen. Die- hin bestehen sollte. Die Beispiele sind zugespitzt auf eine sen Wünschen und den damit verbundenen Ängsten vor- mögliche Nachfrage bezüglich der Beihilfe zum Suizid. urteilsfrei und offen zu begegnen, ist Aufgabe der ehren- Durch die Zuspitzung können die Beispiele in der Darstel- amtlich und hauptamtlich im Rahmen der Hospizarbeit und lung verkürzt wirken. Daher sei hier noch einmal beson- Palliativversorgung Mitarbeitenden. Nur aus dieser Haltung ders darauf hingewiesen, dass in kurzer Form Situationen und Wertschätzung werden Hilfe und Unterstützung in der beschrieben werden, in denen bereits alle Angebote der konkreten Situation möglich. Hospizarbeit und Palliativversorgung angeboten und reali- siert wurden, aber dennoch der Wunsch nach Beihilfe zum Die Erfahrung zeigt, dass bei einer umfassenden Hospiz- Suizid dauerhaft geäußert wird. begleitung und Palliativversorgung der Wunsch nach einer Beihilfe zum Suizid in der Regel nicht mehr vorkommt. Die Beispiele sollen anregen zu einer Diskussion und sollen Dennoch kann es sein, dass auch nachdem alle Formen eine Hilfestellung sein, sich als Landesverband, als Orga- der Begleitung und Unterstützung angeboten und realisiert nisation, Dienst oder Einrichtung der Hospiz- und Palliativ- wurden, in wenigen Situationen der Wunsch nach Beihilfe versorgung eine gemeinsame Haltung zur angesprochenen zum Suizid weiterhin geäußert wird. Thematik der Beihilfe zum Suizid zu entwickeln. Es werden jeweils verschiedene konkrete Handlungsoptionen aufge- Dies bedeutet kein Versagen der ehrenamtlich und haupt- zeigt, die zu einer Positionierung einladen. Wünschenswert amtlich Mitarbeitenden, sondern hat damit zu tun, dass wäre, hier am Ende rote Linien zu ziehen, die aus Sicht der auch bei umfassender Begleitung und Versorgung nicht Hospiz- und Palliativarbeit und des DHPV nicht überschrit- immer alle Probleme lösbar sind und Fragen offenbleiben ten werden. Ebene Entscheidungen Stationäres Hospiz Position A: Der Wunsch ist so deutlich geäußert. Das Im Erstgespräch vor Aufnahme in ein stationäres Hospiz Hospiz sieht keine Möglichkeit, dass sich dieser Wunsch (Voraussetzungen der Rahmenvereinbarung gem. § 39a ändern wird. Die Aufnahme in das stat. Hospiz erfolgt Abs. 1 SGB V sind erfüllt) wird von einer schwerstkranken nicht. Frau (79 Jahre) der Wunsch nach Suizidbeihilfe im Hospiz geäußert. Position B: Die Frau wird aus dem stat. Hospiz entlas- sen. Die Familie hat zugesagt, für eine andere Unterbrin- Nach der Aufnahme in das stat. Hospiz werden über gung zu sorgen. Das Hospiz unterstützt dabei. einen längeren Zeitraum von ca. 2 Monaten verschiedene Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativkultur in Absprache Position C: Das Hospiz duldet den Besuch einer ex- mit dem Gast angeboten und umgesetzt: Palliativmedizin, ternen Suizidassistenz. Aber es erfolgt keine Unterstüt- psychosoziale und spirituelle Begleitung, Gespräche mit zung in Form von Organisation, Kontaktaufnahme oder allen Beteiligten, Fallbesprechungen usw. Bereitstellung der todbringenden Mittel. Dennoch bleibt die schwerstkranke Frau bei ihrer Position D: Das Hospiz organisiert in Absprache mit Entscheidung und bittet um Suizidbeihilfe. allen Beteiligten die Beihilfe zum Suizid (Kontaktaufnah- me, Terminabsprachen usw.). 10
Dialogpapier – Hospizliche Haltung in Grenzsituationen Ebene Entscheidungen Ambulanter Hospizdienst Position A: Die Begleitung wird beendet, da der Wunsch immer wieder ge- Eine ehrenamtliche Mitarbeiterin äußert wird und der Hospizdienst zur Entscheidung kommt, dass er hier nicht informiert die Koordinationskraft weiterhelfen kann. darüber, dass der ältere Herr, den sie begleitet, darum gebeten hat, Position B: Die Ehrenamtliche ignoriert die Entscheidung des Dienstes und dass der Hospizdienst dabei behilf- unterstützt die Planung des assistierten Suizids organisatorisch und wird bei lich ist, eine Beihilfe zum Suizid zu der Einnahme des todbringenden Mittels anwesend sein. organisieren. Auch nach intensiver Begleitung, Beratung und fundierter Position C: Die Begleitung wird weitergeführt, aber es erfolgt keine Unterstüt- Informationsvermittlung (aller Betei- zung in Form von Organisation einer Suizidbeihilfe (Kontaktaufnahme, Bereit- ligten) über sechs Monate bleibt der stellung von todbringenden Mitteln usw.). Die Familie organisiert die Beihilfe ältere Herr bei seiner Entscheidung zum Suizid. Die Ehrenamtliche wird in der Situation des Suizids nicht anwe- und bittet um Suizidbeihilfe. send sein. Position D: Die Begleitung wird weitergeführt, aber es erfolgt keine Unterstüt- zung in Form von Organisation einer Suizidbeihilfe (Kontaktaufnahme, Bereit- stellung von todbringenden Mitteln usw.). Die Familie organisiert die Beihilfe zum Suizid. Die Ehrenamtliche wird in der Situation des Suizids anwesend sein. Fallbeispiel SAPV Position A: Das SAPV-Team lehnt die Versorgung ab. Die Patientin habe ihre Frau K. soll in zwei Tagen aus der Entscheidung während des Aufenthaltes auf der Palliativstation nicht geändert, Palliativstation entlassen werden. die Zeit bis zum Suizid werde mithilfe des SAPV-Teams überbrückt. Damit sei- Sie leidet an einer metastasierenden en die Ziele der SAPV nicht zu erfüllen, die Tätigkeit des SAPV-Teams würde Krebserkrankung, verbunden mit für die Suizidhilfe instrumentalisiert. starken Schmerzen und weiteren Symptomen. Die Palliativstation ver- Position B: Das SAPV-Team übernimmt die SAPV-Versorgung zunächst nur ordnet SAPV. Im Rahmen des Auf- für den vom Krankenhaus vorgegeben Versorgungszeitraum (7 Tage) und be- nahmemanagements wird bekannt, hält sich eine Entscheidung über eine Weiterversorgung vor. dass die Patientin in 4 Wochen einen Termin mit einem Suizidhelfer Position C: Das SAPV-Team übernimmt die Versorgung unter der Bedingung, zur Durchführung des assistierten dass die Suizidhilfe keinerlei Unterstützung durch das SAPV-Team erfährt. Suizids vereinbart hat. Die Versor- Gründe für diese Entscheidung sind, dass ein Rechtsanspruch auf SAPV be- gung soll bis dahin in der Wohnung steht, dass die verbleibende Lebenszeit kürzer sein kann als der Zeitraum bis der Schwester der Patientin erfol- zum Suizidtermin und weil die Möglichkeit einer Änderung des Patientenwillens gen, die sich hierzu widerstrebend noch immer gegeben sein kann. bereit erklärt habe. Landesverband/ÜO Position A: Der Vorstand lehnt diesen Vorschlag ab, da das nicht mit dem Ein Landesverband möchte sich Selbstverständnis des Verbandes vereinbar ist intern mit dem Thema assistierter Suizid auseinandersetzen und plant Position B: Der Vorstand lädt den/die Vertreter*in des Sterbehilfevereins als eine Informationsveranstaltung für Hauptreferent*in ein. die Mitglieder. Auf Anregung eini- ger Mitglieder soll ein*e Referent*in eines Sterbehilfevereins eingeladen werden. 11
Ebene Entscheidungen Hospizdienst Position A: Der/die Mediziner*in wird eingeladen, denn Ein Hospizdienst plant eine Podiumsdiskussion zum es geht um eine offene Diskussion aller Positionen. Thema „Möglichkeiten und Grenzen der Hospiz- und Palliativarbeit“ und möchte sich intern mit dem Thema as- Position B: Der/die Mediziner*in wird nicht eingeladen. sistierter Suizid auseinandersetzen. Neben verschiedenen Akteuren gibt es auch die Idee, eine*n Palliativmediziner*in einzuladen, der bzw. die die Beihilfe zum Suizid befürwor- tet und auch anbietet. Methoden: – Diskussion in Klein- und/oder Großgruppe – Ergebnissicherung durch Notizen (auf Flipchart) – Möglich wäre auch eine Erarbeitung eines Handlungsleitfadens in den einzelnen Kleingruppen (als weiterführende Diskussionsgrundlage) Ergebnisse der Diskussion um die rote Linie Im Rahmen der Sitzung des DHPV mit seinen Mitglieds- ben bis roten Bereich konnten die Positionen eingeordnet organisationen wurden die ersten drei Beispiele (ab S. 10 werden, wobei der grüne Bereich die Haltung „stimme ich stationäres Hospiz, ambulanter Hospizdienst und Landes- zu, Aufgabe der Hospizarbeit“ und der rote Bereich den verband / ÜO) diskutiert. Hier werden nun nach einer kur- Gegenpol nämlich „stimme ich nicht zu, keine Aufgabe der zen Erläuterung der Methode die Ergebnisse und Positio- Hospizarbeit und Palliativversorgung“ bedeuteten. Der gel- nierungen in Bezug auf eine rote Linie zusammengefasst be und ein hier nicht farblich dargestellter oranger Bereich dargestellt. bedeutet „ist in einer Ausnahmesituation unter bestimmten Voraussetzungen denkbar“. Bei der Einschätzung, wel- Im Mittelpunkt der ganztägigen Sitzung stand die Aus- che Positionen aus hospizlicher Sicht vertretbar sind oder einandersetzung mit dem Thema Beihilfe zum Suizid, so nicht, wurden rechtliche Erwägungen (zunächst) außen vor dass viel Zeit für das gemeinsame Gespräch war. In wech- gelassen und werden ggf. ergänzt, sobald eine präzise- selnden Kleingruppen diskutierten die Teilnehmenden die re rechtliche Beurteilung aufgrund gesetzlicher Vorgaben Fallbeispiele indem sie die vorgegeben Positionen in eine oder aktueller Rechtsprechung möglich ist. farbliche Skala verorteten. Von einem grünen über gel- Grüner Bereich Gelber Bereich Roter Bereich Rote Linie 12
Dialogpapier – Hospizliche Haltung in Grenzsituationen Die Ergebnisse aus den Kleingruppen wurden im Plenum Bereich vor der roten Linie zuzuordnen. Insgesamt lässt vorgestellt und damit für alle Teilnehmenden transparent sich aus den Diskussionen festhalten, dass bei allen Ent- gemacht. Wichtige Diskussionspunkte und Ergänzungen scheidungen jeder Einzelfall neu bewertet werden muss, wurden ebenfalls vorgestellt. es einer ethischen Fallbesprechung in einem multiprofes- sionellen Team und einer klaren Kommunikation der Hal- Warum die rote Linie? Der DHPV als demokratisch orga- tung sowie der Möglichkeiten und Grenzen bedarf. Eben- nisierter Verband sieht seine Funktion darin, gemeinsam so spielen die Fürsorge für die haupt- und ehrenamtlichen mit seinen unterschiedlichsten Mitgliedsorganisationen Mitarbeiter*innen, die Patientenzentrierung und die Eigen- Haltungen und Ziele zu entwickeln und diese zu vertreten verantwortung des Hospizes im Umgang mit dem Wunsch bzw. dadurch Orientierung und Klarheit für die Gesellschaft nach Suizidbeihilfe eine zentrale Rolle. und für alle Akteure der Hospiz- und Palliativarbeit zu ge- ben. So ist es an dieser Stelle wichtig, eine mehrheitliche Richtung und Handlungsfreiraum, aber auch Grenzen zu Beispiel: Ambulanter Hospizdienst formulieren. In diesem Beispiel wurden die Positionen in allen fünf Klein- Die Diskussionen in den Kleingruppen zeigten die diver- gruppen in der gleichen Reihenfolge, mit leichten Verschie- sen Perspektiven und Herangehensweisen auf, so dass bungen auf der Farbskala angeordnet. Position C ist eine die Positionen der Fallbeispiele keineswegs einheitlich in Haltung, die auf viel Akzeptanz stößt, da der Wunsch des die Farbskala einsortiert waren. Beihilfe zum Suizid ist ein Patienten ernstgenommen und die Begleitung fortgesetzt komplexes Thema, dem ein Schwarz-Weiß-Denken nicht wird, aber dennoch keine Organisation der Suizidbeihilfe gerecht wird. Aber auch wenn es bei den drei Fallbeispie- stattfindet. Die Anwesenheit des*r Ehrenamtlichen in der len einige unterschiedliche Meinungen gab, wurde doch direkten Situation wurde sehr kritisch gesehen, wäre aber ein Punkt deutlich, an dem die Grenze der Hospizarbeit im Ausnahmefall noch vor der roten Linie einzuordnen. Hier erreicht ist. sind insbesondere rechtliche Aspekte und auch die Für- sorgepflicht des Vorstands / der Leitung des Hospizdiens- tes gegenüber allen Mitarbeiter*innen zu sehen, zumal die Beispiel: Stationäres Hospiz Folgen einer entsprechenden Begleitung nicht abzusehen sind. Position A wurde abhängig von der Perspektive im Bei diesem Beispiel wurde mehrheitlich Position D, Orga- roten oder im dunkelgelben Bereich mit ähnlicher Begrün- nisation der Beihilfe zum Suizid vom Hospiz, als Handlung dung wie zu Position A beim Beispiel stationäres Hospiz gekennzeichnet, die eindeutig im roten Bereich liegt und gesehen (s. o.). Die Position B, der Alleingang des*r Ehren- nicht zu den Aufgaben eines Hospizes gehört. amtlichen, wurde eindeutig hinter der roten Linie verortet. Das Selbstverständnis der Hospizbewegung beinhaltet In diesem Beispiel beeinflussten die Fragen nach der en- eine Ablehnung der Tötung auf Verlangen und die ge- gen Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamt, schäftsmäßige Förderung der Beihilfe zum Suizid. Mit die- nach der Haltung und Kommunikation im Vorfeld, der Pro- sem Paradigma und nach den Diskussionsergebnissen zessorientierung und gesellschaftlichen Außenwirkung die der Mitgliedsorganisationen ist eine Planung und Unter- Entscheidungen. Wie bereits oben aufgeführt, bedarf es stützung der Suizidbeihilfe im stationären Hospiz deutlich auch hier eines individuellen Vorgehens in Absprache aller hinter der roten Linie. Beteiligten mit einer klaren Position über Möglichkeiten und Grenzen der Begleitung. Die anderen drei Positionen wurden überwiegend in dem grünen bis dunkelgelben / orangen Bereich gesehen, wo- bei Position A, keine Aufnahme, vereinzelt auch dem roten Beispiel: Landesverband Bereich zugeordnet wurde, da damit die Möglichkeit einer umfassenden Versorgung und Begleitung im Hospiz und In diesem Fall gab es keine ganz klare Tendenz für eine rote damit die Chance darauf, dass der Wunsch nach Beihilfe Linie, eher noch die Entwicklung einer dritten Position C als zum Suizid nicht mehr vorkommt, vertan wird. Dennoch Kompromiss, in der eine Podiumsdiskussion veranstaltet ist es möglich, dass eine Aufnahme nicht erfolgt, da der wird, bei der/die Vertreter*in des Sterbehilfevereins eine*r Wunsch nach Beihilfe zum Suizid weiterhin nachdrücklich der Mitwirkenden ist. Die Auseinandersetzung mit der geäußert wird und das Hospiz in diesem Fall nicht bei der Gegenposition wurde unter bestimmten Voraussetzungen Realisierung des Wunsches nach Beihilfe zum Suizid hel- begrüßt und als wichtig erachtet. Wichtig ist dabei, diese fen kann. Vor diesem Hintergrund ist die Position A dem Veranstaltung in Form einer Podiumsdiskussion gut vor- 13
zubereiten, z. B. in Struktur, Moderation, Vorabinformation und Spielregeln. Die Sprachfähigkeit und Argumentations- stärke der Referent*innen der Hospiz- und Palliativarbeit sollte auf jeden Fall gegeben sein, so dass hier keine ein- seitige Darstellung im Hinblick auf die Beihilfe zum Suizid erfolgt. Das Risiko, dass aus der Veranstaltung eine Wer- beaktion für Sterbehilfevereine wird, wurde in den Klein- gruppen oft angesprochen und als sehr hoch eingeschätzt. Eine rote Linie gab es dann doch im Hinblick darauf, wenn es darum geht, eine*n Vertreter*in eines Sterbehilfevereins als alleinige*n Referent*in einzuladen. Fazit Zusammengefasst wurde insbesondere bei den ersten beiden Fallbeispielen eine rote Linie deutlich: die Orga- nisation, d. h. die Information zur, die Koordination sowie die Durchführung der Beihilfe zum Suizid ist nicht Aufgabe der Hospiz- und Palliativdienste und -einrichtungen. Auch wenn es bei Positionierungen vor der roten Linie unter- schiedliche Einschätzungen gab, so haben diese Berech- tigung und sind zu akzeptieren. Ebenso wichtig wie das Definieren einer Grenze waren in der Diskussion aber auch das gemeinsame Diskutieren und Reflektieren, das es braucht, um eine tragfeste Begründung als Grundlage für eine hospizliche Haltung zu erarbeiten, die handlungslei- tend in Grenzsituationen ist. Alle Mitgliedsorganisationen, Einrichtungen und Dienste sind aufgerufen, sich dieser Dis- kussion zu stellen, die eigene Position zu entwickeln und die Prozesse und Abläufe einschließlich der internen und externen Kommunikation darauf abzustimmen. In den Beispielen wurde das Spannungsfeld in der Hos- piz- und Palliativarbeit deutlich: auf der einen Seite das Ziel der Begleitung und Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen mit aller Offenheit und Toleranz bis zum Lebensende und auf der anderen Seite die rote Linie, wenn es um die Organisation oder um die Beihilfe zum Sui- zid geht. In den Diskussionen erwarben die Positionen die größte Zustimmung, in denen sowohl die Selbstbestim- mung des*r Sterbenden, die Haltung des Hospizdienstes als auch die Grenze der Suizidbeihilfe kompatibel waren bzw. wurden die Positionen um den jeweils fehlenden As- pekt ergänzt. 14
Dialogpapier – Hospizliche Haltung in Grenzsituationen Gesellschaftliche Dimension: Suizidassistenz? Auf dem Weg in eine sorgende Gesellschaft Prof. DDr. Reimer Gronemeyer und Prof. Dr. Andreas Heller für den wissenschaftlichen Beirat des DHPV Das Sterben wird uns alle betreffen, eines Tages, irgend- nur denkbar vor dem Hintergrund einer hochgradig indivi- wann. Es wird möglicherweise die intimste Erfahrung un- dualisierten Gesellschaft. seres Lebens sein. Nicht, dass wir sterben, sondern wie wir sterben wollen und können, wird heute leidenschaft- lich diskutiert. Gleichzeitig ist das Sterben eine soziale Er- fahrung. Es beginnt hier und heute immer schon mit dem Sterben ist ein sozialer Vorgang, es geht um die Sterben und dem Tod der Anderen. Wir sind als Menschen Sozialität des Sterbens in Beziehungen, bis zum letzten Atemzug. Sterben ist we- sentlich ein sozialer Prozess. Im Umgang mit dem Sterben Was ergänzend und gleichzeitig in den Blick genommen und den Sterbenden können wir wie unter einem Vergrö- werden muss: Die Selbstbestimmung des Menschen voll- ßerungsglas erkennen, in welcher Gesellschaft wir leben zieht sich in Beziehungen. Sie entsteht aus der Relation zu und für welche Gesellschaft wir uns jetzt einsetzen wollen. und mit anderen. Was ich will und wollen soll ist Ergebnis Das „hospizlich-palliative Gesellschaftsmodell“ lebt bis von Prozessen und Auseinandersetzungen mit Anderen. heute von der Idee, sterben weder zu beschleunigen noch Das selbstbestimmte Leben entwickelt sich gerade aus zu verlangsamen, von achtsamer Begleitung und mitfüh- und durch Beziehungen mit anderen, auf die wir angewie- lendem Beistand. Letztverlässlichkeit, Gastfreundschaft- sen und verwiesen sind. lichkeit für alle, die es brauchen. Denn wir brauchen es, gebraucht zu werden. Auch das Sterben ist ein komplexer Prozess und kann nicht auf den Ausfall bestimmter Organe und Körperfunktionen Das Recht auf Suizidassistenz kündigt eine Gesellschaft reduziert werden. Sterben ist mehr als „Organversagen“. an, die den bisherigen Konsens auflöst. Die Hilfe zum Sui- Sterben ist ein soziales Geschehen. Es geht also auch um zid wird als regelhafte Praxis, als technische Dienstleistung die Sozialität des Sterbens, um unsere sozialen Beziehun- angeboten. Das beendet die stille Übereinkunft einer soli- gen im Leben und im Sterben. Allein kann niemand sein. darischen Gesellschaft, in der die Existenz eines jedes sei- Wir Menschen sind Beziehungswesen. In Beziehung zu ner Mitglieder deren Nichtexistenz vorzuziehen ist. sein, sich in Beziehung zu setzen und sich beziehungs- reich selbst zu verstehen und zu entwickeln, zu „relatio- Wir stehen an einer Wegscheide. Wohin wollen wir gehen? nieren“, ist Voraussetzung und Bedingung, kein Gegensatz Wir plädieren für eine solidarische, sorgende Hospiz-Ge- zur Autonomie. sellschaft. Die öffentlich verbreiteten Bilder des Sterbens Die Unterthematisierung des Sozialen im Urteil sind weitgehend Schreckensbilder, die eine ge- des Bundesverfassungsgerichts waltsame Beendigungs-Dynamik befördern Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt und sieht Die Diskussion wird seit Jahren von einseitigen Schreckens- scharf auf dem Auge der subjektiven Persönlichkeits- und bildern des Sterbens bestimmt, die latent verallgemeinert Freiheitsrechte, zweifellos eine demokratische Errungen- werden: der nicht mehr leistungs- und orientierungsfähige schaft. Das allgemeine Persönlichkeits- und Freiheitsrecht Alte; der demenziell veränderte „sabbernde Greis“ (Wal- schließt die Verfügung über das eigene Leben und Sterben ter Jens); der fremdbestimmte, dem medizinisch-tech- ein. Alle haben das Recht, die freiwillige Assistenz Dritter nischen Apparatewelt ausgelieferte Patient; die komatös in Anspruch zu nehmen – selbstbestimmt (autonom) aus dahindämmernde entscheidungsunfähige Unfallverletzte. dem Leben zu scheiden. Niemand darf gegen sein Gewis- Solche Bilder können natürlich zur Realität werden. Die sen dazu gezwungen werden. Das Urteil des Bundesver- Angst davor nährt die Bereitschaft, das Leben vorzeitig fassungsgerichts zur Suizidassistenz unterthematisiert die zu beenden. Sie bilden die Hintergrundfolie für den Ruf sozialen und gesellschaftlichen Dimensionen und Implika- nach Selbstbestimmung, „Herr im eigenen Haus zu sein“ tionen. Der radikal autonomieorientierte Urteilsspruch ist (Wolfgang Herrndorf) – gegen jede Fremdbestimmung. Es 15
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