BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS

 
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BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS    Freitag 19.3.2021
                                                Herkulessaal
                                                20.30 – 22.00 Uhr

   BRSO
 WARD
  BRONFMAN
BEETHOVEN
STRAWINSKY
  19.3.2021        20 / 21       Herkulessaal
                                                                    1
                                                                    Programm
BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
MITWIRKENDE                                                          PROGRAMM

DUNCAN WARD                                                          LUDWIG VAN BEETHOVEN
Leitung                                                              Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-Moll, op. 37
                                                                        • Allegro con brio
YEFIM BRONFMAN                                                          • Largo
Klavier                                                                 • Rondo. Allegro

SYMPHONIEORCHESTER DES                                               IGOR STRAWINSKY
BAYERISCHEN RUNDFUNKS                                                »Pulcinella-Suite«
                                                                     Fassung von 1949
                                                                        • Sinfonia. Allegro moderato
                                                                        • Serenata. Larghetto
                                                                        • Scherzino – Allegro – Andantino
                                                                        • Tarantella
                                                                        • Toccata. Allegro
                                                                        • Gavotta. Allegro moderato –
                                                                     		 Var. 1. Allegretto –
                                                                     		 Var. 2. Allegro più tosto moderato
                                                                        • Vivo
                                                                        • Minuetto. Molto moderato –
                                                                        • Finale. Allegro assai
LIVE-ÜBERTRAGUNG IN SURROUND
im Radioprogramm BR-KLASSIK
Freitag, 19.3.2021
20.05 Uhr Uta Sailer im Gespräch mit Duncan Ward
20.30 Uhr Konzertübertragung

ON DEMAND
Das Konzert ist in Kürze auf www.br-klassik.de als Audio abrufbar.

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                                                    Mitwirkende                                                  Programm
BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
DER KOMPONIST UND SEIN DOUBLE
Zu Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37

Wolfgang Stähr           Wahre Künstler sind ei-       Entstehungszeit
                         gensinnig. Wenn sich der      1796–1804
                                                       Widmung
junge Ludwig van Beethoven erweichen ließ, im          »À Son Altesse Royale
noblen Kreis der Förderer und Gönner das Klavier       Monseigneur le Prince
zu spielen, rangen seine hochadeligen Verehrer         Louis Ferdinand de Prusse«
                                                       Uraufführung
alsbald um Fassung. Sie waren gerührt, nein, er-       5. April 1803 im Theater an
schüttert von seiner unvergleichlichen Kunst; ei-      der Wien mit Beethoven
nige verfielen sogar, wie es heißt, in Weinkrämpfe     am Klavier
                                                       Lebensdaten des
und unziemliches Schluchzen. Beethoven brach           Komponisten
seinen Vortrag ab, lachte sie aus, seine tränenseli-   16. (Taufdatum 17.)
gen Hörer, und warf ihnen an den Kopf, dass sie        Dezember 1770 in Bonn –
                                                       26. März 1827 in Wien
allesamt Narren und verwöhnte Kinder seien. Eine
Augenzeugin berichtet: »Er war sehr stolz und ich
habe gesehen, wie die Mutter der Fürstin Lich-
nowsky, die Gräfin Thun, vor ihm, der in dem So-
pha lehnte, auf den Knieen lag, ihn zu bitten, er
möge doch etwas spielen. Beethoven that es aber
nicht.« Widerwillig nur ließ er sich auf die in den
Wiener Salons so beliebten Zweikämpfe zwischen                                                         Ludwig van Beethoven (1804)
namhaften Tastenvirtuosen ein. Als Protegé des                                                         Porträt von Willibrord Joseph Mähler (1778–1860)

exzentrischen Fürsten Karl von Lichnowsky musste
er sich einmal mit Joseph Gelinek, dem Hauspia-                                              lem »wegen seiner besonderen Geschwindigkeit« bewundert wurde, ein
nisten des Grafen Kinsky, duellieren. Der Sieg war                                           solcher Starpianist lässt sich bitten. Auch in seinen Konzerten. Beethoven
sein – der Unterlegene gestand freimütig die ver-                                            treibt die Spannung bis zum Siedepunkt, wenn er in seinem Klavierkonzert
nichtende Niederlage ein. »In dem jungen Men-                                                c-Moll op. 37 den längst erwarteten Auftritt des Solisten (und das war
schen steckt der Satan«, sprach Gelinek mit ban-                                             zunächst der Komponist in Person) immer weiter hinauszögert. Exakt 111
ger Bewunderung. »Nie hab’ ich so spielen gehört!                                            Takte lang – Zufall oder Zahlenmystik? – spielt, thematisiert und variiert
Er fantasierte auf ein von mir gegebenes Thema,                                              das Orchester allein, der Pianist hingegen sitzt in geradezu provokanter Un-
wie ich selbst Mozart nie fantasieren gehört habe.                                           tätigkeit am stummen Flügel, wie eine rätselhafte Figur aus einer Perfor-
Dann spielte er eigene Compositionen, die im                                                 mance, die personifizierte Abwesenheit, um dann allerdings desto grandio-
höchsten Grade wunderbar und großartig sind,                                                 ser einzuschreiten, mit einem wahren Machtwort, wenn er in drei Anläufen
und er bringt auf dem Clavier Schwierigkeiten und                                            die gesamte Klaviatur vom Grund bis in die Höhe durchmisst und schließlich
Effecte hervor, von denen wir uns nie haben et-                                              das Hauptthema in Doppeloktaven regelrecht in die Tasten meißelt. Eine
was träumen lassen.«                                                                         gebieterische Geste, ein imperiales Entrée, das eher an das barocke Theater
Ein Virtuose aber, ein »teuflischer« zumal, als der                                          erinnert als an den zeitgenössischen Salon: Ein Souverän betritt die Szene,
Beethoven in seinen frühen Wiener Jahren vor al-                                             vor dem selbst Fürsten und Gräfinnen auf den Knien liegen.
                                                       4                                                                                             5
                                                       Ludwig van Beethoven                                                                          Ludwig van Beethoven
                                                       Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37                                                           Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37
BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
Beethovens Widmung an Louis Ferdinand von Preußen in der gedruckten Partitur                  Ferdinand Ries (1784–1838), Sekretär, Klavierschüler und Freund Beethovens, der als Pianist
seines Klavierkonzerts Nr. 3 c-Moll, op. 37                                                   und Dirigent dessen Werke aufführte, aber auch selbst zahlreiche Werke komponiert hat

Doch dann beginnt Beethoven »zu fantasieren«, worunter seinerzeit nicht                       Allegro con brio ausgearbeitet. In allen drei Sätzen lag das mit »Concerto
verstanden wurde, dass er in Fieberträumen wirre Sätze von sich gab,                          1803« überschriebene Autograph erst nach dieser ungewöhnlich langen Un-
sondern dass er in der Art einer freien, metrisch ungebundenen Fantasie                       terbrechung vor, mit der besagten Ausnahme der Solostimme, die Beethoven
oder im quirligen Stil der verspielten und reich verzierten Figuralvariationen                schließlich für seinen Schüler Ferdinand Ries und die zweite Aufführung
improvisierte – und dabei Schwierigkeiten suchte und Effekte hervorzau-                       des Konzerts, 1804 im Wiener Augarten, fix und fertig aufs Papier bannte:
berte, die sein Publikum in Staunen versetzten. Ja, selbst noch bei der Ur-                   »Die Clavierstimme des C Moll Concerts hat nie vollständig in der Partitur
aufführung des c-Moll-Konzerts am 5. April 1803 in Emanuel Schikaneders                       gestanden«, bestätigte Ries. »Beethoven hatte sie eigens für mich in einzel-
neuem Theater an der Wien, Beethovens damaligem Dienst- und Wohnsitz                          nen Blättern niedergeschrieben.« Und bei dieser Gelegenheit den Tonum-
als Composer-in-Residence, spielte er den Solopart weitestgehend aus dem                      fang in der obersten Oktave erweitert, offenbar angeregt durch den höchst-
Stegreif, er »fantasierte« über einige wenige schriftlich notierte Stichnoten                 möglichen Ambitus eines neuen Hammerflügels, den ihm der Pariser
und Verlaufsskizzen, über weithin leere Systeme. Ignaz von Seyfried, der Ka-                  Instrumentenbauer Sébastien Érard geschenkt hatte.
pellmeister des Theaters, sollte Beethoven während des Konzerts die Seiten
umblättern. Doch zeigte er sich einigermaßen entsetzt (zur diebischen                         Die Kadenz zum ersten Satz brachte Beethoven abermals einige Jahre später
Freude des Komponisten), als er »in der aufliegenden Stimme trotz der be-                     in Schriftform. Allerdings geht der frappierende Einfall, ganz am Ende der
waffneten Augen ausser dem Schlüssel, der Vorzeichnung und verschiedenen                      Kadenz, »dopo il trillo«, die Pauken pianissimo mit einem pochenden Quart-
über das Blatt hinlaufenden Kreuz- und Querstrichen wenig mehr als Nichts                     motiv einsetzen zu lassen, in historischer Gegenrichtung auf das Jahr 1796
zu gewahren im Stande war«: creatio ex nihilo.                                                zurück: auf Beethovens Gastspiel am preußischen Königshof in Berlin und
                                                                                              Potsdam, als er dort auch den Prinzen Louis Ferdinand kennenlernte (einen
Ursprünglich wollte Beethoven das c-Moll-Konzert bereits drei Jahre zuvor,                    Neffen Friedrichs des Großen), dem er 1804 den Erstdruck des Konzerts
im April 1800, bei seiner ersten eigenen Akademie im alten Wiener Burg-                       widmen sollte, verbunden mit dem Kompliment, dass der kunstsinnige Aristo-
theater vorstellen, doch zu diesem Zeitpunkt hatte er kaum mehr als das                       krat »gar nicht königlich oder prinzlich, sondern wie ein tüchtiger Clavier-
                                                        6                                                                                                   7
                                                        Ludwig van Beethoven                                                                                Ludwig van Beethoven
                                                        Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37                                                                 Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37
BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
stimme lebt der Provokateur der Wiener Salons fort, der eigensinnige Künst-
                                                                                               ler, das verzogene Genie. Doch – wer ist der wahre Beethoven, der Architekt
                                                                                               oder der Romantiker, der Idealist oder der Virtuose?

                                                                                               Der schwärmerische Beethoven, der Philosoph, beheimatet in den Bezirken
                                                                                               der Kunstfrömmigkeit, bestimmt den Ausdrucksradius des Largo (apart or-
                                                                                               chestriert mit Streichern, Flöten, Fagotten und Hörnern, ohne Oboen, Klari-
                                                                                               netten, Pauken und Trompeten). Dessen unerwartete Tonart E-Dur wird in
                                                                                               den Werken dieses Komponisten gerne mit Erhabenheit, Entrücktheit, dem
                                                                                               Anblick der Sterne, der Harmonie der Sphären assoziiert, mit Hymnen und
                                                                                               nächtlichen Gesängen. Umso diesseitiger, lärmiger und launiger gönnt sich
                                                                                               Beethoven im Finale ein Spiel mit rhapsodischem Übermut und modischen
                                                                                               Exotismen, dem »All’Ungarese« und der Janitscharenmusik, aber alles ein-
                                                                                               gefasst und eingeschmolzen in den unverwechselbar eigenen Beethoven’schen
                                                                                               Ton, einer energetischen Mixtur aus Fest und Furor. Wenn Beethoven jedoch
                                                                                               in den letzten Takten jählings nach C-Dur und in ein 6/8-Presto umschwenkt
                                                                                               und alles wie Opera buffa und Gelächter klingt – wie ist dieser Rausschmiss
                                                                                               zu verstehen: als Scherz, als Spott, als Parodie oder Selbstironie, ein Frage-
                                                                                               zeichen? Jedenfalls scheint dieser burleske Schluss um Welten entfernt von
Ein Ausschnitt aus der Kadenz des c-Moll-Konzerts in Beethovens Handschrift
                                                                                               dem »moralischen, sentenzgeprägten« Anfang. Nur das Paukenmotiv ist
                                                                                               immer noch mit von der Partie, der preußische Geistesblitz, ein echter Joker.
spieler« musiziere. Damals also, 1796 in Preußen, notierte Beethoven einen
ersten Geistesblitz, die früheste Idee, die allen kommenden Ereignissen
schon weit vorauseilte: »Zum Concert aus C moll pauke bej der Cadent«.
Dieses an sich nichtssagende Pauken-, Poch- oder Klopfmotiv, ein abstra-
hierter Tusch, setzte tatsächlich den Anfang, den Ursprung, das Keimwort
zumindest des Kopfsatzes. Denn später (immer geschieht alles später bei
der Komposition dieses Konzerts) konstruierte Beethoven das Hauptthema
des Allegros zielgenau so, dass es in eben jene pochenden Quarten einmün-
det: taa – tataa – tataa.

Der ganze erste Satz, der Sinn, der Charakter, der strenge, herrische, bau-
meisterliche Grundzug der Musik ist in diesem rigiden Hauptthema ange-
legt (der Musikwissenschaftler Harry Goldschmidt sprach von einem »mo-
ralischen, sentenzgeprägten Thema«), das durch seine straffe, marschmäßige
Rhythmisierung in der Tradition des so genannten »Militärkonzerts« steht,
aber schon bei den Zeitgenossen das Bild des »heroischen«, kämpferischen,
mit der Welt und dem Schicksal hadernden Beethoven herauf beschwor, ja
sogar mit der Epoche der Kriege und Revolutionen identifiziert wurde. Am
Klavier freilich zeigt sich noch ein ganz anderer Beethoven: In den Fanta-
sien der frei schweifenden, offenen, erst nachträglich verschriftlichten Solo-
                                                         8                                                                                          9
                                                         Ludwig van Beethoven                                                                       Ludwig van Beethoven
                                                         Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37                                                        Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37
BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
MUSIK & BILD                                                                    Das Blatt Pulliciniello und Signora Lucretia zeigt ein handelseiniges Paar.
                                                                                Die aufgedonnerte Lucretia mit kessem Federschmuck streicht Pulliciniello
                                                                                auffordernd über den Arm und lüpft dabei kokett ihr Kleid. Pulliciniello ist
JACQUES CALLOT: »PULLICINIELLO                                                  maskiert mit einer Halbmaske, die seine wahre Identität kaschieren soll.
UND SIG.A LUCRETIA«                                                             Nur die Augen sind sichtbar, aus ihnen scheint übergroße Gier bis hinein in
                                                                                die zitternden Bartspitzen zu blitzen. Das Schwert, Symbol seiner Mannes-
(UM 1622)                                                                       kraft, zeigt schon gegen zwölf, er ist angetan. Der leicht verdrehte linke Arm
                                                                                in Richtung auf den Körperteil Lucretias, der ihm gerade am begehrenswer-
                                                                                testen erscheint, gehört ebenfalls zum erotischen Gestenvokabular dieser
                                                                                Zeit, das hier notdürftig durch den Hut verdeckt wird.
                                                                                Callot hat im Hintergrund die hohen Häuser einer großen Stadt gezeichnet,
                                                                                deren vorspringende Dächer die Liebessehnsüchtigen nicht im Regen stehen
                                                                                lassen. Hier können sie nächteweise Serenaden musizieren und Liebeslieder
                                                                                maunzen. Ganz rechts wird wohl die Vorgeschichte des Bildes erzählt: Ein
                                                                                Paar schreitet durch die Gasse, die Dame mit Feder könnte Lucretia sein, am
                                                                                Arm ihres Mannes. Dahinter scheint ein Lautenist zu spielen, vielleicht ist es
                                                                                Pulliciniello, vor dessen schrägen Tönen schon ein Hund Reißaus nimmt.
                                                                                Etwas zurückversetzt ein Paar: Es sind Pulliciniello und Lucretia als Miniatur.
                                                                                Zwischen den beiden Hauptfiguren erkennt man eine Prügelszene: Es ist
                                                                                ganz deutlich, Pulliciniello kriegt sein Fett ab, er wird vom wutentbrannten
                                                                                Gatten der Lucretia mit einem Stock vermöbelt. Er eilt zwar davon, seinen
                                                                                Hut tief ins Gesicht gezogen, doch sein Gürtel mit dem Schwert ist über den
                                                                                Hintern gerutscht. Das schnelle, hastige Anziehen hat wohl nicht mehr ganz
                                                                                geklappt und jetzt verhindert das zwischen die Beine geratene Schwert die
Jacques Callot: (1592–1635): Pulliciniello und Sig.a Lucretia (um 1622),        schnelle Flucht. Oh, er wird bald stürzen und noch mehr Schläge beziehen.
Radierung 73 x 93 cm, Musée Lorrain in Nancy                                    Links gestikulieren wild einige Personen, sie scheinen auf Pulliciniello zu
                                                                                warten. Ein Sack wird durch die Luft gewirbelt, dort soll der Ehebrecher
Jacques Callot, der lothringische Zeichner, Kupferstecher und Radierer, lebte   hinein. Der gezückte Dolch verheißt nichts Gutes, jedenfalls kein friedliches
in Nancy, verbrachte aber einige Jahre in Rom und Florenz. Sein umfang-         Ende des Dramas. Aber es sei gleich verraten, Pulliciniello kennt das (Lie-
reiches Werk über das höfische wie das städtische Leben, über die noble         bes-)Spiel, es gehört zu seinem Leben. Er wird entkommen und, sobald alle
Gesellschaft, aber auch das einfache Volk, die Bettler und Kriegsopfer, über    Wunden geheilt sind, das ewig gleiche Spiel in einer neuen Variante beginnen.
kleinwüchsige »Gobbi«, die Feste und das Theater wie die volkstümliche          »Kein Meister hat so wie Callot gewußt, in einem kleinen Raum eine Fülle
Commedia dell’arte ist ein wunderbarer Spiegel seiner Zeit. Die Typen der       von Gegenständen zusammenzudrängen, die, ohne den Blick zu verwirren,
burlesken Commedia dell’arte, aus der sich später das Kasperltheater ent-       nebeneinander, ja ineinander heraustreten, so daß das einzelne, als Einzel-
wickelte, wirken auf den ersten Blick meist tumb und einfältig, sind aber       nes für sich bestehend, doch dem Ganzen sich anreiht«, schrieb E.T.A.
extrem triebgesteuert und ziemlich durchtrieben. Der Zuschauer durfte sich      Hoffmann in seinem kurzen Text über Jacques Callot. »Die Ironie, welche,
an deren Fäkalsprache delektieren, sich ganz der Schadenfreude und dem          indem sie das Menschliche mit dem Tier in Konflikt setzt, den Menschen
Kitzel einer Dauererotik von immer willigen Damen und immer bereiten            mit seinem ärmlichen Tun und Treiben verhöhnt, wohnt nur in einem tiefen
Herren hingeben. Diese Lehrstücke des gesellschaftlichen Miteinanders ent-      Geiste, und so enthüllen Callots […] groteske Gestalten […] alle geheimen
larven bösartige Gaunereien, schlecht eingefädelte Intrigen und erschlichene    Andeutungen, die unter dem Schleier der Skurrilität verborgen liegen.«
Zärtlichkeiten, die am Ende regelmäßig in wüste Prügeleien münden.                                                                                   Renate Ulm

                                                              10                                                                      11
                                                              Musik & Bild                                                            Musik & Bild
BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
IGOR STRAWINSKY: »PULCINELLA«
                                                                                         Handlung

                                                                                         Eine Straßenszene in Neapel. Caviello und Florindo sind auf dem Weg zu
                                                                                         ihren Geliebten. Von einem Balkon aus winkt Rosetta Caviello und aus ei-
                                                                                         nem Fenster wirft Prudenza Florindo eine Kusshand zu. Bei den Verehrten
                                                                                         angekommen, erleben die jungen Männer eine Überraschung: Die Mädchen
                                                                                         leeren ihre Nachttöpfe über ihnen aus. Darauf hin vertreibt Prudenzas Vater,
                                                                                         Il Dottore, die tropfnassen Gesellen.

                                                                                         Pulcinella tritt auf; er spielt auf einer Geige, tanzt, zieht die verliebt-bewun-
                                                                                         dernden Blicke der Mädchen auf sich. In den ohnehin verärgerten Jungen
                                                                                         keimt indes Eifersucht auf. Rosetta wird von Pulcinella zum Tanz aufge-
                                                                                         fordert, der ein jähes Ende findet, als Pimpinella, Pulcinellas Angebetete,
                                                                                         hinzukommt. Es folgt ein inniger Tanz der beiden.

                                                                                         Caviello und Florindo sinnen auf Rache, werden aber von den Mädchen
                                                                                         vertrieben, die sich alsbald wieder Pulcinella zuwenden, was Pimpinella arg
                                                                                         missfällt. Erst als Rosettas Vater, Tartaglia, und Il Dottore, Prudenzas Vater,
                                                                                         ihre Töchter nach Hause führen, gelingt der Angriff auf Pulcinella. Maskiert
                                                                                         und bewaffnet treten die Jungen ihm entgegen, stechen ihn nieder und ziehen
                                                                                         sich voller Genugtuung zurück. Sie glauben, der Widersacher sei tot – doch
                                                                                         dieser steht sogleich wieder auf und spaziert davon.

                                                                                         Das Verwechslungsspiel beginnt, indem Furbo, ein Vertrauter Pulcinellas,
                                                                                         in die Rolle des vermeintlich Verstorbenen schlüpft. Dessen »Tod« wird von
                                                                                         der versammelten Gesellschaft ausführlich betrauert, bis der wahre Pulci-
                                                                                         nella als Zauberer verkleidet hinzutritt und den »Toten« zum Leben erweckt.
                                                                                         Caviello und Florindo nutzen die entstandene Verwirrung: Sie maskieren
                                                                                         sich nun ebenfalls als Pulcinellen und stellen den Mädchen gemeinsam mit
Pulcinella innamorato (Der verliebte Pulcinella), Fresko von Giovanni Domenico Tiepolo   dem noch immer maskierten Furbo nach. Die jungen Frauen lassen sich
in der Ca’Rezzonico in Venedig (1797)                                                    täuschen, jede hat nun ihren eigenen Pulcinella – aber niemand weiß mehr,
                                                                                         wer der echte ist. Dieser bemüht sich vergeblich um Auf klärung; erst, als
                                                                                         Furbo die Kleider des Zauberers anlegt, gelingt es diesem, die drei zusam-
                                                                                         mengehörenden Paare wieder zu vereinen.

                                                           12                                                                                   13
                                                           Giovanni Domenico Tiepolo                                                            Handlung
                                                           »Pulcinella«                                                                         »Pulcinella«
BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
SCHABERNACK UND FARCE
Zu Igor Strawinskys Pulcinella-Suite

Renate Ulm                Pulcinella ist eine Figur     Entstehungszeit
                          der neapolitanischen Com-     1919; Vollendung 20. April
                                                        1920 (Ballett), 1924/1949
media dell’arte, ein bauernschlauer, durchtriebe-       (Suite)
ner, frecher, auch verfressener Diener, dessen be-      Uraufführung
sonderes Kennzeichen seine übergroße Haken-             15. Mai 1920 in der Pariser
                                                        Oper unter der Leitung von
nase ist, die aber nicht der Wirklichkeit entspricht,   Ernest Ansermet
sondern nur durch eine Maske ins Groteske ver-          Lebensdaten des
zerrt wird. Er trägt zumeist einen spitzen Hut und      Komponisten
                                                        5. (17.) Juni 1882 in
ein zu weites weißes Hemd, das unter seinem             Oranienbaum bei
mächtigen Bauch von einem Gürtel zusammenge-            St. Petersburg – 6. April
halten wird und faltenreich über die etwas zu kurze     1971 in New York

Hose fällt. Hinter seiner Maske den heimlichen
Liebhaber vorgebend, stellt er den Mädchen nach,
holt sich seine Streicheleinheiten und zieht damit
die Wut der Verehrer auf sich, die ihn dafür nach
Strich und Faden verprügeln wollen. Aber Pulci-
nella spürt instinktiv, wann und wie er sich mit
List aus der Affäre ziehen kann, und freut sich
                                                                                           Igor Strawinsky (1923 in Paris)
über jeden gelungenen Schabernack.
Die Idee zum Ballett Pulcinella wurde geboren,
als der Impressario Sergej Diaghilew nach einem                                       mit Pulcinella auf die Bühne zu bringen. Als Vorlage diente die Farce Qua-
Gastspiel seiner Ballets russes in Rom 1917 wei-                                      tre Polichinelles semblables von 1700, die Léonide Massine in der Biblio-
ter nach Neapel und Pompeij reiste. Ihm schlossen                                     thek von Neapel entdeckt hatte und in der Pulcinella in vierfacher Ausfüh-
sich damals der Maler Pablo Picasso, der Kom-                                         rung Verwirrung stiftet. Passend zur Zeit der Commedia dell’arte suchte
ponist Igor Strawinsky, der Tänzer und Choreo-                                        Diaghilew nach einer geeigneten Musik aus dem 18. Jahrhundert und fand
graph Léonide Massine und der Dirigent Ernest                                         in den Archiven von Neapel und London 21 kammermusikalische Vorlagen,
Ansermet an – das spätere Team des Projekts. In                                       die dem Komponisten Giovanni Battista Pergolesi zugeschrieben waren.
Neapel erlebten sie eine Aufführung der Comme-                                        Und hier blitzt nun auch in der wahren Geschichte der Schalk des Pulcinella
dia dell’arte, »die wir in einem überfüllten, von                                     auf: Da Pergolesi 1736 mit nur 26 Jahren gestorben war und seine Werke wie
Knoblauch dampfenden kleinen Raum sahen. Der                                          La serva padrona (1733) und Stabat mater (1736) für einen sagenhaften Nach-
Pulcinella war ein großer betrunkener Tölpel, und                                     ruhm sorgten – denen bedauerlicherweise keine neuen großartigen Kompo-
jede seiner Bewegungen, wahrscheinlich auch jedes                                     sitionen folgen konnten –, ließ der Londoner Verleger Robert Brenner 1780
Wort, wenn ich es verstanden hätte, war obszön«,                                      kurzerhand einige Triosonaten von Domenico Gallo unter anderem Namen
erinnerte sich Strawinsky.                                                            drucken: »compos’d by Gio. Batt.a Pergolese. Author of the Stabat mater«.
Sergej Diaghilew plante darauf hin mit seinen Ballets                                 Damit hatte er zwar nicht der Wahrheit gedient, wohl aber dem Umsatz.
russes für das Jahr 1920 eine Commedia dell’arte                                      Schon der britische Musikhistoriker Charles Burney bezweifelte die Echt-
                                                        14                                                                               15
                                                        Igor Strawinsky                                                                  Igor Strawinsky
                                                        »Pulcinella-Suite«                                                               »Pulcinella-Suite«
BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
solches Material ohne satirische Distanz behandeln können? […] Pulcinella
                                                                                war meine Entdeckung der Vergangenheit, die Erleuchtung, durch die mein
                                                                                gesamtes späteres Werk erst möglich wurde. Gewiss, es war ein Blick zurück
                                                                                – die erste von vielen Liebesbeziehungen, die in diese Richtung gingen –,
                                                                                aber es war auch ein Blick in den Spiegel.« Also ging Strawinsky höchst
                                                                                fantasievoll mit seinen Vorlagen um, ließ »jähe Brüche, harte Schnitte«
                                                                                (Wolfgang Dömling) entstehen. Er veränderte die Musik ganz nach seinen
                                                                                Vorstellungen und gegen die regulären Phrasen, »so daß die Musik, wie sich
                                                                                verhaspelnd, vorwärtszustürzen scheint; er montiert Phrasen neu, fügt hete-
                                                                                rogene Stücke unvermittelt aneinander und erzielt die verwirrende Wirkung
                                                                                von falsch Zusammengesetztem, beschleunigt manche Tempi in (am 18. Jahr-
                                                                                hundert gemessen) absurde Zeitmaße« (Dömling). Das, was Tschaikowsky
                                                                                mit den Rokoko-Variationen und der Mozartiana sowie den Mozart-Zitaten
                                                                                in seiner Pique Dame begonnen hatte, führte Strawinsky noch entschiedener
                                                                                weiter und stellte eine Verbindung von historischer Musik und seinem urei-
                                                                                genen Stil her, aus dem sich der so genannte »Neoklassizismus« entwickelte.

                                                                                Diese Richtung entsprach aber gar nicht den Vorstellungen Diaghilews.
                                                                                »Meine Musik schockierte ihn so«, schrieb Strawinsky, »dass er lange Zeit
                                                                                mit einem Gesicht umherging, das ›das beleidigte Achtzehnte Jahrhundert‹
Sergej Diaghilew und Igor Strawinsky (1921 in Sevilla)
                                                                                auszudrücken schien.« Und nicht nur mit dem Komponisten lag Diaghilew
                                                                                im Clinch. In den zahlreichen Treffen mit Strawinsky, dem für Bühnenbild
heit dieser Werke, doch hartnäckig hielt sich der Name Pergolesi auf diesen     und Kostüme engagierten Picasso und dem Choreographen Léonide Mas-
Noten – bis heute. Nachgewiesen wurden die Fälschungen erst 1940 durch          sine rief der Impressario häufig Verstimmungen hervor, die mehrfach eska-
Handschriftenvergleiche, aber das half den Urhebern, wie beispielsweise         lierten. Verlangte er schon von Strawinsky eine gewisse Stilreinheit, so
Domenico Gallo aus Venedig, kaum zu später Anerkennung.                         forderte er dies auch bei den Kostümen von Picasso. »Seine ersten Entwürfe
                                                                                zeigten Figuren der Offenbach-Zeit mit Backenbärten statt Masken«, erin-
All die Kompositionen, die – wie wir heute wissen – von Domenico Gallo,         nerte sich Strawinsky. »Als wir sie Diaghilew zeigten, wurde er sehr barsch.
Carlo Monza, Graf Wilhelm van Wassenaer, Alessandro Parisotti und auch          […] Der Abend endete damit, dass Diaghilew die Zeichnungen auf den
von Pergolesi stammen, wollte Diaghilew von Igor Strawinsky in einer »pein-     Boden warf, darauf herumstampfte und beim Hinausgehen die Türe hinter
lich gesitteten Instrumentation von etwas sehr Lieblichem« orchestriert ha-     sich zuknallte. Am nächsten Tag bedurfte es Diaghilews ganzen Charmes,
ben, wie der Komponist es in seinen Erinnerungen süffisant festhielt. Aber      um den tief beleidigten Picassso zu versöhnen, am Ende brachte ihn Dia-
Strawinskys Kreativität ließ sich nicht zurückdrängen: »Ich begann, indem       ghilew sogar dazu, einen Commedia-dell’arte-Pulcinella zu schaffen.« Mas-
ich direkt auf Pergolesis Originalmanuskripten komponierte, als würde ich       sine skizzierte nach den ersten Vorlagen Strawinskys bereits die Choreo-
ein eigenes, älteres Werk bearbeiten. Ich begann ohne vorgefasste Meinun-       graphie zu Pulcinella, den er auf der Bühne auch verkörperte. Da Strawinsky
gen und ästhetische Standpunkte, und das Ergebnis hätte ich nicht vorher-       aber immer wieder änderte, hinzutat, strich, neue Phrasen anstückte, musste
sagen können. Ich wusste, dass mir ein ›gefälschter‹ Pergolesi nicht gelingen   Massine seine Tanzschritte ständig dem anpassen und war darüber mehr-
würde, denn meine Motorik ist grundverschieden; bestenfalls konnte ich          fach verärgert. Hinter all den Streitereien schien Pulcinellas Geist zu wirken,
seine Aussagen mit meinem eigenen Akzent wiederholen. Dass das Ergeb-           der wie auf dem Theater auch seine Schöpfer gegeneinander ausspielte – ein
nis bis zu einem gewissen Grad witzig-ironischen, satirischen Charakter         Wunder, dass am Ende alles zu einer außergewöhnlichen Einheit zusam-
haben würde, war vielleicht unumgänglich, denn wer hätte im Jahre 1919 ein      menwuchs und jeder einen Narren an Pulcinella gefressen hatte.
                                                         16                                                                           17
                                                         Igor Strawinsky                                                              Igor Strawinsky
                                                         »Pulcinella-Suite«                                                           »Pulcinella-Suite«
BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS
Das kleinbesetzte Orchester besteht
                                     im Ganzen aus nur 33 Personen, ist
                                     also fast »klassisch« aufgebaut: Zwei
                                     Flöten, zwei Oboen, zwei Fagotte, zwei
                                     Hörner, eine Trompete, eine Posaune,
                                     dazu ein solistisches Streichquintett
                                     und ein kleines Streichorchester aus
                                     vier Ersten und vier Zweiten Violinen,
                                     vier Violen, drei Celli und drei Kon-
                                     trabässen. Die Suite, 1924 zusammen-
                                     gestellt und 1949 nochmals revidiert,
                                     richtet sich in der Satzabfolge ganz
                                     nach der Handlung des Balletts, wobei
                                     Scherzino und Tarantella wegen der
                                     dort regen Beteiligung der Singstim-
                                     men um eben diese Passagen stark ge-      Pablo Picasso: Bühnenbildentwurf für Pulcinella (1920)
                                     kürzt sind. Das Komische an der Figur
                                     Pulcinella arbeitete Strawinsky in den    Kritikern an. Von ihnen wurde er sogar als »pasticheur«, als bloßer »Nachah-
                                     schnörkeligen Verzierungen in der Sin-    mer«, beschimpft, und wegen seines Rückgriffs auf alte Musik von Arnold
                                     fonia heraus, die von verschiedenen       Schönberg abwertend als »der kleine Modernsky« bezeichnet, während
                                     Instrumenten ausgeführt werden wie        seine Bewunderer ihn »Zar Igor« nannten.
                                     manieriert-devote Verbeugungen Pul-
                                     cinellas. Das schmachtende Ständchen      Dagegen fand die Choreographie in den Kritiken zur Uraufführung einhellig
                                     des Tenors in der Serenata übernimmt      Anklang. Dennoch beeindruckte der »neue« Stil die jüngere Komponisten-
                                     in der Suite die Solo-Violine mit der     generation derart, dass bald zahlreiche neoklassizistische Werke entstanden.
                                     Oboe. Die begleitenden Streicher klin-    Aber hier sollte nicht vergessen werden, dass Sergej Prokofjews mit seiner
                                     gen hier mandolinen- oder gitarrenar-     Symphonie classique Strawinsky um eine Pulcinella-Nasenlänge voraus war:
tig. Seinen Schabernack treibt der freche Pulcinella im Scherzino. Dafür       Er hatte sein Werk, das sich an Haydn orientierte, bereits 1917 vollendet.
wird er aufgegriffen und schlottert nun voller Angst vor der angedrohten       Die Rückgriffe auf die bewährte »Alte Musik« lagen also in der Luft, waren
Strafe. Die Stockschläge sind geradezu heraushörbar, ebenso das Gejammer       ein wehmütiger Blick zurück in eine Zeit, die die Katastrophe des Ersten
des Pulcinella. Der kichernde Spott der anderen durchzieht die Tarantella.     Weltkriegs noch nicht kannte.
Streng mahnt nun die Solo-Trompete in der Toccata, die von einer grotesk-
schmeichelnden Bläsermusik in der Gavotta mit zwei Variationen abgelöst
wird, gefolgt von großspurig klingenden Bläserglissandi im Vivo. Im Minu-
etto hallt die Klage der Betrogenen nach, die fließend ins turbulente Finale
mit seinen charakteristischen hohen Trompetentönen übergeht.

Strawinskys Musik – er hatte aus den Vorlagen der alten Musik die Melodie
und Bässe quasi als Rahmen übernommen, innerhalb dessen er neue Har-
moniesierungen und zusätzliche Stimmen einfügte sowie eine immer freche,
ironisierende Instrumentierung wählte – kam zunächst gar nicht bei seinen
                                                    18                                                                                  19
                                                    Igor Strawinsky                                                                     Igor Strawinsky
                                                    »Pulcinella-Suite«                                                                  »Pulcinella-Suite«
YEFIM BRONFMAN
                 Yefim Bronfman wurde in Taschkent geboren. 1973 emigrierte er mit seiner
                 Familie nach Israel. Er war Schüler von Arie Vardi an der Rubin Academy
                 in Tel Aviv und setzte seine Studien in den USA an der Juilliard School in
                 New York, der Marlboro School of Music in Vermont und am Curtis Institute
                 of Music in Philadelphia bei Rudolf Firkušný, Leon Fleisher und Rudolf
                 Serkin fort. 1975 feierte er sein internationales Debüt mit dem Montreal
                 Symphony Orchestra unter Zubin Mehta, 1989 wurde er amerikanischer
                 Staatsbürger und gab sein erstes Rezital in der New Yorker Carnegie Hall.
                 Eine Serie von Konzerten mit dem Geiger Isaac Stern führte ihn 1991 erst-
                 mals seit seiner Emigration wieder nach Russland, im selben Jahr wurde er
                 mit dem Avery Fisher Prize ausgezeichnet. Yefim Bronfman gastiert bei
                 allen führenden Orchestern der Welt und arbeitet mit Dirigenten wie Daniel
                 Barenboim, Herbert Blomstedt, Riccardo Muti, Riccardo Chailly, Franz
                 Welser-Möst, Esa-Pekka Salonen und Simon Rattle zusammen. Daneben
                 widmet er sich intensiv der Kammermusik und zählt Künstler wie Pinchas
                 Zukerman, Martha Argerich, Magdalena Kožená, Anne-Sophie Mutter und
                 Emmanuel Pahud zu seinen Partnern. Yefim Bronfman kann auf eine beein-
                 druckende Diskographie zurückblicken, er wurde sechs Mal für den Grammy
                 Award nominiert, 1997 gewann er ihn für die Aufnahme der Bartók-Konzerte
                 mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra unter Esa-Pekka Salonen.
                 Des Weiteren veröffentlichte er u. a. sämtliche Klavierkonzerte von Prokofjew
                 mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta, die Beethoven-
                 Konzerte (einschließlich des Tripelkonzertes mit Gil Shaham und Truls
                 Mørk) mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter David Zinman, das für ihn
                 komponierte Klavierkonzert von Esa-Pekka Salonen sowie das Zweite Kla-
                 vierkonzert von Magnus Lindberg mit dem New York Philharmonic Or-
                 chestra unter Alan Gilbert. Auch auf DVD ist Yefim Bronfman verschie-
                 dentlich zu erleben, etwa mit Beethovens Fünftem Klavierkonzert und dem
                 Concertgebouworkest Amsterdam unter Andris Nelsons sowie mit Rach-
                 maninows Drittem Konzert und den Berliner Philharmonikern unter Simon
                 Rattle. Beim BRSO ist Yefim Bronfman seit 25 Jahren ein gern gesehener
                 Gast. 2000 spielte er im Rahmen des Beethoven-Zyklus von Lorin Maazel
                 die fünf Klavierkonzerte und das Tripelkonzert, 2012/2013 war er Artist in
                 Residence. Auf CD erschien eine Aufnahme von Tschaikowskys Erstem Kon-
                 zert unter Mariss Jansons. Bei seinem letzten Auftritt im März 2020 spielte
                 Yefim Bronfman mit Anne-Sophie Mutter und Maximilian Hornung Beet-
                 hovens Tripelkonzert unter Andrés Orozco-Estrada. 2010 wurde Yefim Bronf-
                 man mit dem Jean Gimbel Lane Prize und 2015 mit einem Ehrendoktor der
                 Manhattan School of Music geehrt.
20                                                                   21
Biographie                                                           Biographie
Yefim Bronfman                                                       Yefim Bronfman
IGOR    STRAWINSKY
                        LE SACRE DU PRINTEMPS                                                             SYMPHONIEORCHESTER DES
                        L’OISEAU DE FEU                                                                   BAYERISCHEN RUNDFUNKS
                                                                                                          Mit der Saison 2023/2024 wird das Symphonieorchester des Bayerischen
                                                                                                          Rundfunks seinen neuen Chefdirigenten begrüßen können, der in der Zwi-
                                                                                                          schenzeit auch mehrfach am Pult stehen wird: Sir Simon Rattle. Er ist als
                                                                                                          sechster Chefdirigent in der Reihe bedeutender Orchesterleiter nach Eugen
                                                                                                          Jochum, Rafael Kubelík, Sir Colin Davis, Lorin Maazel und Mariss Jansons eine
                                                             Zwei der                                     Dirigentenpersönlichkeit von großer Offenheit für neue künstlerische Wege.
                                                             bedeutendsten                                Das BRSO entwickelte sich schon bald nach seiner Gründung 1949 zu einem
                                                             Ballettmusiken                               international renommierten Klangkörper. Neben dem klassisch-romantischen
                                                             Strawinskys in                               Repertoire gehört im Rahmen der 1945 von Karl Amadeus Hartmann gegrün-
                                                             meisterlicher
                                                                                                          deten musica viva die Pflege der zeitgenössischen Musik zu den zentralen
                                                                                                          Aufgaben des Orchesters. Viele namhafte Gastdirigenten wie Leonard Bern-
                                                             Interpretation auf
                                                                                                          stein, Georg Solti, Carlo Maria Giulini und Wolfgang Sawallisch haben das
                                                             CD: das Jahrhundert-
                                                                                                          Orchester geprägt. Heute sind Herbert Blomstedt, Franz Welser-Möst, Daniel
                                                             werk „Le sacre du
                                                                                                          Harding, Yannick Nézet-Séguin und Andris Nelsons wichtige Partner. Tourneen
                                                             printemps“ und die
                                                                                                          führen das Orchester durch Europa, nach Asien sowie nach Nord- und Süd-
                                                             Suite von 1945 aus                           amerika. Von 2004 bis 2019 hatte das BRSO eine Residenz beim Lucerne Easter
                                                             „L’oiseau de feu“.                           Festival. Zahlreiche Auszeichnungen dokumentieren den festen Platz des
                                                                                                          BRSO unter den internationalen Spitzenorchestern. Anfang 2019 wurden
SYMPHONIEORCHESTER                                                                                        die Gastkonzerte in Japan unter der Leitung von Zubin Mehta von japa-
                                                                                                          nischen Musikkritikern auf Platz 1 der »10 Top-Konzerte 2018« gewählt.
DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS                                                                                 2020 setzte die Jury des Preises der deutschen Schallplattenkritik die CD
                                                                                    Foto © Peter Meisel

        MARISS JANSONS
                                                                                                          mit Schostakowitschs Zehnter unter Mariss Jansons auf die Bestenliste 1/2020.
                                                                                                                                                              23
                                                                                                                                                              Biographie
                                                                                                                                                              BRSO
       br-klassik.de/label · Erhältlich im Handel und im BRshop: br-shop.de
DUNCAN WARD
              Der britische Dirigent Duncan Ward, der bereits mit den führenden Orche-
              stern weltweit zusammenarbeitet, wird ab September 2021 Chefdirigent der
              Philharmonie Zuidnederland sein. Zudem ist er Musikdirektor des Medi-
              terranean Youth Orchestra beim Festival in Aix-en-Provence.
              1989 in der Grafschaft Kent geboren, studierte Duncan Ward am Royal
              Northern College of Music in Manchester Klavier, Dirigieren und Kompo-
              sition. Simon Rattle förderte das vielseitige Talent, indem er ihn 2012 als
              ersten Dirigenten an die Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker
              empfahl. Neben der Probenarbeit mit den Berlinern ergaben sich bald Kon-
              zertverpflichtungen, so zum 100. Geburtstag von Benjamin Britten mit Ian
              Bostridge und das Konzert »Violins of Hope« 2015 anlässlich des 70. Jahres-
              tages der Befreiung von Auschwitz: Die Berliner Philharmoniker spielten
              damals auf Instrumenten, die Opfern des Holocaust gehört hatten. Nach
              seiner Berliner Zeit wurde Duncan Ward Chefdirigent des britischen En-
              sembles Sinfonia Viva (2015–2017) und Associate Conductor beim National
              Youth Orchestra of Great Britain. Duncan Wards Repertoire umfasst klas-
              sische Werke bis hin zu zeitgenössischen Kompositionen, die er wie in vain
              von Georg Friedrich Haas in Berlin und Hamlet von Brett Dean an der
              Oper Köln, Clemency von James MacMillan an der Dänischen National-
              oper in Kopenhagen und La Passion de Simone von Kaija Saariaho an der
              Deutschen Oper Berlin leitete. Hinzu kommen eigene Werke, die Duncan
              Ward – 2005 Preisträger des BBC Young Composer of the Year – bereits
              am Pult vieler europäischer Orchester dirigierte. Er erhielt den Christopher
              Brooks Memorial Prize 2010 und war in der Saison 2010/2011 Composer in
              Residence bei der Lancashire Sinfonietta. Zu einem seiner bisher letzten
              Werke zählt Rainbow Beats, das 2018 für die Südafrikanische Organisation
              MIAGI (Music is a Great Investment) zum 100. Geburtstag Nelson Man-
              delas entstand und auch in der Elbphilharmonie in Hamburg, beim Con-
              certgeboworkest in Amsterdam, im Konzerthaus Berlin und beim Verbier
              Festival aufgeführt wurde. Duncan Ward arbeitet mit Orchestern der histo-
              risch informierten Aufführungspraxis wie dem Balthasar-Neumann-En-
              semble ebenso wie mit dem auf zeitgenössische Musik spezialisierten En-
              semble Modern und dem Ensemble Intercontemporain zusammen. Nach
              einem Aufenthalt in Indien gehörte Duncan Ward zu einem der Gründer
              der WAM Foundation 2008, einer Organisation, die jährlich britische Mu-
              siker nach Indien vermittelt, um dort die westliche klassische Musik an indi-
              schen Schulen zu lehren – in Delhi, Mumbai, Kolkata und Kerala.
              Erstmals stand Duncan Ward im Oktober 2016 mit Werken von Benjamin
              Britten im Prinzregententheater am Pult des BRSO.
24                                                                25
Biographie                                                        Biographie
Duncan Ward                                                       Duncan Ward
SYMPHONIEORCHESTER DES

LASSEN SIE UNS                                                                                                 BAYERISCHEN RUNDFUNKS

       FREUNDE WERDEN!                                                                                         SIR SIMON RATTLE
                                                                                                               Designierter Chefdirigent
                                                                                                               ULRICH HAUSCHILD
                                                                                                               Orchestermanager
                                                                                                               (Nikolaus Pont in Elternzeit)

                                                                                                               Bayerischer Rundfunk
                                                                                                                                                        TEXTNACHWEIS
                                                                                                                                                        Wolfgang Stähr: Originalbeitrag für dieses
                                                                                                                                                        Heft; Musik & Bild: Renate Ulm; Handlung
                                                                                                                                                        Pulcinella: Katharina Meyer; Renate Ulm:
                                                                                                                                                        aus den Programmheften des Symphonie-
                                                                                                                                                        orchesters des Bayerischen Rundfunks
                                                                                                                                                        vom 18./19. Dezember 2014; Biographien:
                                                                                                               Rundfunkplatz 1                          Renate Ulm (Ward), Archiv des Bayeri-
                                                                                                               80335 München                            schen Rundfunks (Bronfman; BRSO).
                                                                                                               Telefon: (089) 59 00 34 111
                                                                                                                                                        BILDNACHWEIS
                                                                                                               IMPRESSUM                                Wikimedia Commons (Beethoven; Widmung;
                                                                                                               Herausgegeben vom Bayerischen Rundfunk   Ries; Kadenz; Tiepolo; Maurice Sand);
                                                                                                               Programmbereich BR-KLASSIK               Musée lorrain, Nancy (Callot); Wolfgang
                                                                                                               Publikationen Symphonieorchester         Dömling: Igor Strawinsky in Selbstzeugnis-
                                                                                                               und Chor des Bayerischen Rundfunks       sen und Bilddokumenten, Reinbek 1982
                                                                                                                                                        (Strawinsky; Diaghilew und Strawinsky);
                                                                                                               REDAKTION                                VG Bild-Kunst, Bonn 2021 (Pablo Picasso:
                                                                                                               Dr. Renate Ulm (verantwortlich)          Bühnenbildentwurf zu Pulcinella); © Dario
                                                                                                               Dr. Vera Baur                            Acosta (Bronfman); © Astrid Ackermann
                                                                                                               GRAPHISCHES GESAMTKONZEPT                (BRSO); © Askonas Holt (Ward); Archiv
                                                                                                               Bureau Mirko Borsche                     des Bayerischen Rundfunks.
                                                                                                               UMSETZUNG
                                                                                                               Antonia Schwarz, München                 AUFFÜHRUNGSMATERIAL
                                                                                                                                                        © G. Henle Verlag, München (Beethoven)
                                                                                                                                                        © Boosey & Hawkes, London (Strawinsky)

Freunde sind wichtig im Leben eines jeden von uns.     Kontakt:
Diese Überlegung machten sich musikbegeisterte         Freunde des Symphonieorchesters
und engagierte Menschen zu eigen und gründeten         des Bayerischen Rundfunks e. V.
den gemeinnützigen Verein »Freunde des Sympho-         Geschäftsstelle: Ingrid Demel, Sabine Hauser
nieorchesters des Bayerischen Rundfunks e. V.«.        c/o Labor Becker und Kollegen
Seine heute 1.300 Mitglieder fördern die herausra-     Führichstraße 70
gende künstlerische Arbeit des Symphonieorchesters     81671 München
und seiner Akademie nach Kräften. Der Verein trägt     Telefon: 089 49 34 31
dazu bei, den Ruf dieses weltweit berühmten Orche-     Fax: 089 450 91 75 60
sters weiterhin zu mehren. Mit der finanziellen Un-    E-Mail: fso@freunde-brso.de
terstützung der »Freunde« werden Instrumente finan-    www.freunde-brso.de
ziert, Kompositionsaufträge erteilt, Kammermusik-
kurse abgehalten und jungen Talenten in der Akade-     * Rechtsverbindliche Ansprüche bestehen jeweils nicht
mie eine erstklassige Ausbildung an ihren Instrumen-
ten ermöglicht. Den »Freunde«-Mitgliedern werden                                                               br so.de
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vorzugte Kartenbestellungen bis hin zu Reisen des
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