BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY - SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS - Herkulessaal
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SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS BRSO WARD BRONFMAN BEETHOVEN STRAWINSKY 19.3.2021 20 / 21 Herkulessaal
MITWIRKENDE DUNCAN WARD Leitung YEFIM BRONFMAN Klavier SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS LIVE-ÜBERTRAGUNG IN SURROUND im Radioprogramm BR-KLASSIK Freitag, 19.3.2021 20.05 Uhr Uta Sailer im Gespräch mit Duncan Ward 20.30 Uhr Konzertübertragung ON DEMAND Das Konzert ist in Kürze auf www.br-klassik.de als Audio abrufbar. 2 Mitwirkende
PROGRAMM LUDWIG VAN BEETHOVEN Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-Moll, op. 37 • Allegro con brio • Largo • Rondo. Allegro IGOR STRAWINSKY »Pulcinella-Suite« Fassung von 1949 • Sinfonia. Allegro moderato • Serenata. Larghetto • Scherzino – Allegro – Andantino • Tarantella • Toccata. Allegro • Gavotta. Allegro moderato – Var. 1. Allegretto – Var. 2. Allegro più tosto moderato • Vivo • Minuetto. Molto moderato – • Finale. Allegro assai 3 Programm
DER KOMPONIST UND SEIN DOUBLE Zu Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37 Wolfgang Stähr Wahre Künstler sind ei- Entstehungszeit gensinnig. Wenn sich der 1796–1804 Widmung junge Ludwig van Beethoven erweichen ließ, im »À Son Altesse Royale noblen Kreis der Förderer und Gönner das Klavier Monseigneur le Prince zu spielen, rangen seine hochadeligen Verehrer Louis Ferdinand de Prusse« Uraufführung alsbald um Fassung. Sie waren gerührt, nein, er- 5. April 1803 im Theater an schüttert von seiner unvergleichlichen Kunst; ei- der Wien mit Beethoven nige verfielen sogar, wie es heißt, in Weinkrämpfe am Klavier Lebensdaten des und unziemliches Schluchzen. Beethoven brach Komponisten seinen Vortrag ab, lachte sie aus, seine tränenseli- 16. (Taufdatum 17.) gen Hörer, und warf ihnen an den Kopf, dass sie Dezember 1770 in Bonn – 26. März 1827 in Wien allesamt Narren und verwöhnte Kinder seien. Eine Augenzeugin berichtet: »Er war sehr stolz und ich habe gesehen, wie die Mutter der Fürstin Lich- nowsky, die Gräfin Thun, vor ihm, der in dem So- pha lehnte, auf den Knieen lag, ihn zu bitten, er möge doch etwas spielen. Beethoven that es aber nicht.« Widerwillig nur ließ er sich auf die in den Wiener Salons so beliebten Zweikämpfe zwischen namhaften Tastenvirtuosen ein. Als Protegé des exzentrischen Fürsten Karl von Lichnowsky musste er sich einmal mit Joseph Gelinek, dem Hauspia- nisten des Grafen Kinsky, duellieren. Der Sieg war sein – der Unterlegene gestand freimütig die ver- nichtende Niederlage ein. »In dem jungen Men- schen steckt der Satan«, sprach Gelinek mit ban- ger Bewunderung. »Nie hab’ ich so spielen gehört! Er fantasierte auf ein von mir gegebenes Thema, wie ich selbst Mozart nie fantasieren gehört habe. Dann spielte er eigene Compositionen, die im höchsten Grade wunderbar und großartig sind, und er bringt auf dem Clavier Schwierigkeiten und Effecte hervor, von denen wir uns nie haben et- was träumen lassen.« Ein Virtuose aber, ein »teuflischer« zumal, als der Beethoven in seinen frühen Wiener Jahren vor al- 4 Ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37
Ludwig van Beethoven (1804) Porträt von Willibrord Joseph Mähler (1778–1860) lem »wegen seiner besonderen Geschwindigkeit« bewundert wurde, ein solcher Starpianist lässt sich bitten. Auch in seinen Konzerten. Beethoven treibt die Spannung bis zum Siedepunkt, wenn er in seinem Klavierkonzert c-Moll op. 37 den längst erwarteten Auftritt des Solisten (und das war zunächst der Komponist in Person) immer weiter hinauszögert. Exakt 111 Takte lang – Zufall oder Zahlenmystik? – spielt, thematisiert und variiert das Orchester allein, der Pianist hingegen sitzt in geradezu provokanter Un- tätigkeit am stummen Flügel, wie eine rätselhafte Figur aus einer Perfor- mance, die personifizierte Abwesenheit, um dann allerdings desto grandio- ser einzuschreiten, mit einem wahren Machtwort, wenn er in drei Anläufen die gesamte Klaviatur vom Grund bis in die Höhe durchmisst und schließlich das Hauptthema in Doppeloktaven regelrecht in die Tasten meißelt. Eine gebieterische Geste, ein imperiales Entrée, das eher an das barocke Theater erinnert als an den zeitgenössischen Salon: Ein Souverän betritt die Szene, vor dem selbst Fürsten und Gräfinnen auf den Knien liegen. 5 Ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37
Beethovens Widmung an Louis Ferdinand von Preußen in der gedruckten Partitur seines Klavierkonzerts Nr. 3 c-Moll, op. 37 Doch dann beginnt Beethoven »zu fantasieren«, worunter seinerzeit nicht verstanden wurde, dass er in Fieberträumen wirre Sätze von sich gab, sondern dass er in der Art einer freien, metrisch ungebundenen Fantasie oder im quirligen Stil der verspielten und reich verzierten Figuralvariationen improvisierte – und dabei Schwierigkeiten suchte und Effekte hervorzau- berte, die sein Publikum in Staunen versetzten. Ja, selbst noch bei der Ur- aufführung des c-Moll-Konzerts am 5. April 1803 in Emanuel Schikaneders neuem Theater an der Wien, Beethovens damaligem Dienst- und Wohnsitz als Composer-in-Residence, spielte er den Solopart weitestgehend aus dem Stegreif, er »fantasierte« über einige wenige schriftlich notierte Stichnoten und Verlaufsskizzen, über weithin leere Systeme. Ignaz von Seyfried, der Ka- pellmeister des Theaters, sollte Beethoven während des Konzerts die Seiten umblättern. Doch zeigte er sich einigermaßen entsetzt (zur diebischen Freude des Komponisten), als er »in der aufliegenden Stimme trotz der be- waffneten Augen ausser dem Schlüssel, der Vorzeichnung und verschiedenen über das Blatt hinlaufenden Kreuz- und Querstrichen wenig mehr als Nichts zu gewahren im Stande war«: creatio ex nihilo. Ursprünglich wollte Beethoven das c-Moll-Konzert bereits drei Jahre zuvor, im April 1800, bei seiner ersten eigenen Akademie im alten Wiener Burg- theater vorstellen, doch zu diesem Zeitpunkt hatte er kaum mehr als das 6 Ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37
Ferdinand Ries (1784–1838), Sekretär, Klavierschüler und Freund Beethovens, der als Pianist und Dirigent dessen Werke aufführte, aber auch selbst zahlreiche Werke komponiert hat Allegro con brio ausgearbeitet. In allen drei Sätzen lag das mit »Concerto 1803« überschriebene Autograph erst nach dieser ungewöhnlich langen Un- terbrechung vor, mit der besagten Ausnahme der Solostimme, die Beethoven schließlich für seinen Schüler Ferdinand Ries und die zweite Aufführung des Konzerts, 1804 im Wiener Augarten, fix und fertig aufs Papier bannte: »Die Clavierstimme des C Moll Concerts hat nie vollständig in der Partitur gestanden«, bestätigte Ries. »Beethoven hatte sie eigens für mich in einzel- nen Blättern niedergeschrieben.« Und bei dieser Gelegenheit den Tonum- fang in der obersten Oktave erweitert, offenbar angeregt durch den höchst- möglichen Ambitus eines neuen Hammerflügels, den ihm der Pariser Instrumentenbauer Sébastien Érard geschenkt hatte. Die Kadenz zum ersten Satz brachte Beethoven abermals einige Jahre später in Schriftform. Allerdings geht der frappierende Einfall, ganz am Ende der Kadenz, »dopo il trillo«, die Pauken pianissimo mit einem pochenden Quart- motiv einsetzen zu lassen, in historischer Gegenrichtung auf das Jahr 1796 zurück: auf Beethovens Gastspiel am preußischen Königshof in Berlin und Potsdam, als er dort auch den Prinzen Louis Ferdinand kennenlernte (einen Neffen Friedrichs des Großen), dem er 1804 den Erstdruck des Konzerts widmen sollte, verbunden mit dem Kompliment, dass der kunstsinnige Aristo- krat »gar nicht königlich oder prinzlich, sondern wie ein tüchtiger Clavier- 7 Ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37
Ein Ausschnitt aus der Kadenz des c-Moll-Konzerts in Beethovens Handschrift spieler« musiziere. Damals also, 1796 in Preußen, notierte Beethoven einen ersten Geistesblitz, die früheste Idee, die allen kommenden Ereignissen schon weit vorauseilte: »Zum Concert aus C moll pauke bej der Cadent«. Dieses an sich nichtssagende Pauken-, Poch- oder Klopfmotiv, ein abstra- hierter Tusch, setzte tatsächlich den Anfang, den Ursprung, das Keimwort zumindest des Kopfsatzes. Denn später (immer geschieht alles später bei der Komposition dieses Konzerts) konstruierte Beethoven das Hauptthema des Allegros zielgenau so, dass es in eben jene pochenden Quarten einmün- det: taa – tataa – tataa. Der ganze erste Satz, der Sinn, der Charakter, der strenge, herrische, bau- meisterliche Grundzug der Musik ist in diesem rigiden Hauptthema ange- legt (der Musikwissenschaftler Harry Goldschmidt sprach von einem »mo- ralischen, sentenzgeprägten Thema«), das durch seine straffe, marschmäßige Rhythmisierung in der Tradition des so genannten »Militärkonzerts« steht, aber schon bei den Zeitgenossen das Bild des »heroischen«, kämpferischen, mit der Welt und dem Schicksal hadernden Beethoven herauf beschwor, ja sogar mit der Epoche der Kriege und Revolutionen identifiziert wurde. Am Klavier freilich zeigt sich noch ein ganz anderer Beethoven: In den Fanta- sien der frei schweifenden, offenen, erst nachträglich verschriftlichten Solo- 8 Ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37
stimme lebt der Provokateur der Wiener Salons fort, der eigensinnige Künst- ler, das verzogene Genie. Doch – wer ist der wahre Beethoven, der Architekt oder der Romantiker, der Idealist oder der Virtuose? Der schwärmerische Beethoven, der Philosoph, beheimatet in den Bezirken der Kunstfrömmigkeit, bestimmt den Ausdrucksradius des Largo (apart or- chestriert mit Streichern, Flöten, Fagotten und Hörnern, ohne Oboen, Klari- netten, Pauken und Trompeten). Dessen unerwartete Tonart E-Dur wird in den Werken dieses Komponisten gerne mit Erhabenheit, Entrücktheit, dem Anblick der Sterne, der Harmonie der Sphären assoziiert, mit Hymnen und nächtlichen Gesängen. Umso diesseitiger, lärmiger und launiger gönnt sich Beethoven im Finale ein Spiel mit rhapsodischem Übermut und modischen Exotismen, dem »All’Ungarese« und der Janitscharenmusik, aber alles ein- gefasst und eingeschmolzen in den unverwechselbar eigenen Beethoven’schen Ton, einer energetischen Mixtur aus Fest und Furor. Wenn Beethoven jedoch in den letzten Takten jählings nach C-Dur und in ein 6/8-Presto umschwenkt und alles wie Opera buffa und Gelächter klingt – wie ist dieser Rausschmiss zu verstehen: als Scherz, als Spott, als Parodie oder Selbstironie, ein Frage- zeichen? Jedenfalls scheint dieser burleske Schluss um Welten entfernt von dem »moralischen, sentenzgeprägten« Anfang. Nur das Paukenmotiv ist immer noch mit von der Partie, der preußische Geistesblitz, ein echter Joker. 9 Ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll, op. 37
MUSIK & BILD JACQUES CALLOT: »PULLICINIELLO UND SIG.A LUCRETIA« (UM 1622) Jacques Callot: (1592–1635): Pulliciniello und Sig.a Lucretia (um 1622), Radierung 73 x 93 cm, Musée Lorrain in Nancy Jacques Callot, der lothringische Zeichner, Kupferstecher und Radierer, lebte in Nancy, verbrachte aber einige Jahre in Rom und Florenz. Sein umfang- reiches Werk über das höfische wie das städtische Leben, über die noble Gesellschaft, aber auch das einfache Volk, die Bettler und Kriegsopfer, über kleinwüchsige »Gobbi«, die Feste und das Theater wie die volkstümliche Commedia dell’arte ist ein wunderbarer Spiegel seiner Zeit. Die Typen der burlesken Commedia dell’arte, aus der sich später das Kasperltheater ent- wickelte, wirken auf den ersten Blick meist tumb und einfältig, sind aber extrem triebgesteuert und ziemlich durchtrieben. Der Zuschauer durfte sich an deren Fäkalsprache delektieren, sich ganz der Schadenfreude und dem Kitzel einer Dauererotik von immer willigen Damen und immer bereiten Herren hingeben. Diese Lehrstücke des gesellschaftlichen Miteinanders ent- larven bösartige Gaunereien, schlecht eingefädelte Intrigen und erschlichene Zärtlichkeiten, die am Ende regelmäßig in wüste Prügeleien münden. 10 Musik & Bild
Das Blatt Pulliciniello und Signora Lucretia zeigt ein handelseiniges Paar. Die aufgedonnerte Lucretia mit kessem Federschmuck streicht Pulliciniello auffordernd über den Arm und lüpft dabei kokett ihr Kleid. Pulliciniello ist maskiert mit einer Halbmaske, die seine wahre Identität kaschieren soll. Nur die Augen sind sichtbar, aus ihnen scheint übergroße Gier bis hinein in die zitternden Bartspitzen zu blitzen. Das Schwert, Symbol seiner Mannes- kraft, zeigt schon gegen zwölf, er ist angetan. Der leicht verdrehte linke Arm in Richtung auf den Körperteil Lucretias, der ihm gerade am begehrenswer- testen erscheint, gehört ebenfalls zum erotischen Gestenvokabular dieser Zeit, das hier notdürftig durch den Hut verdeckt wird. Callot hat im Hintergrund die hohen Häuser einer großen Stadt gezeichnet, deren vorspringende Dächer die Liebessehnsüchtigen nicht im Regen stehen lassen. Hier können sie nächteweise Serenaden musizieren und Liebeslieder maunzen. Ganz rechts wird wohl die Vorgeschichte des Bildes erzählt: Ein Paar schreitet durch die Gasse, die Dame mit Feder könnte Lucretia sein, am Arm ihres Mannes. Dahinter scheint ein Lautenist zu spielen, vielleicht ist es Pulliciniello, vor dessen schrägen Tönen schon ein Hund Reißaus nimmt. Etwas zurückversetzt ein Paar: Es sind Pulliciniello und Lucretia als Miniatur. Zwischen den beiden Hauptfiguren erkennt man eine Prügelszene: Es ist ganz deutlich, Pulliciniello kriegt sein Fett ab, er wird vom wutentbrannten Gatten der Lucretia mit einem Stock vermöbelt. Er eilt zwar davon, seinen Hut tief ins Gesicht gezogen, doch sein Gürtel mit dem Schwert ist über den Hintern gerutscht. Das schnelle, hastige Anziehen hat wohl nicht mehr ganz geklappt und jetzt verhindert das zwischen die Beine geratene Schwert die schnelle Flucht. Oh, er wird bald stürzen und noch mehr Schläge beziehen. Links gestikulieren wild einige Personen, sie scheinen auf Pulliciniello zu warten. Ein Sack wird durch die Luft gewirbelt, dort soll der Ehebrecher hinein. Der gezückte Dolch verheißt nichts Gutes, jedenfalls kein friedliches Ende des Dramas. Aber es sei gleich verraten, Pulliciniello kennt das (Lie- bes-)Spiel, es gehört zu seinem Leben. Er wird entkommen und, sobald alle Wunden geheilt sind, das ewig gleiche Spiel in einer neuen Variante beginnen. »Kein Meister hat so wie Callot gewußt, in einem kleinen Raum eine Fülle von Gegenständen zusammenzudrängen, die, ohne den Blick zu verwirren, nebeneinander, ja ineinander heraustreten, so daß das einzelne, als Einzel- nes für sich bestehend, doch dem Ganzen sich anreiht«, schrieb E.T.A. Hoffmann in seinem kurzen Text über Jacques Callot. »Die Ironie, welche, indem sie das Menschliche mit dem Tier in Konflikt setzt, den Menschen mit seinem ärmlichen Tun und Treiben verhöhnt, wohnt nur in einem tiefen Geiste, und so enthüllen Callots […] groteske Gestalten […] alle geheimen Andeutungen, die unter dem Schleier der Skurrilität verborgen liegen.« Renate Ulm 11 Musik & Bild
Pulcinella innamorato (Der verliebte Pulcinella), Fresko von Giovanni Domenico Tiepolo in der Ca’Rezzonico in Venedig (1797) 12 Giovanni Domenico Tiepolo »Pulcinella«
IGOR STRAWINSKY: »PULCINELLA« Handlung Eine Straßenszene in Neapel. Caviello und Florindo sind auf dem Weg zu ihren Geliebten. Von einem Balkon aus winkt Rosetta Caviello und aus ei- nem Fenster wirft Prudenza Florindo eine Kusshand zu. Bei den Verehrten angekommen, erleben die jungen Männer eine Überraschung: Die Mädchen leeren ihre Nachttöpfe über ihnen aus. Darauf hin vertreibt Prudenzas Vater, Il Dottore, die tropfnassen Gesellen. Pulcinella tritt auf; er spielt auf einer Geige, tanzt, zieht die verliebt-bewun- dernden Blicke der Mädchen auf sich. In den ohnehin verärgerten Jungen keimt indes Eifersucht auf. Rosetta wird von Pulcinella zum Tanz aufge- fordert, der ein jähes Ende findet, als Pimpinella, Pulcinellas Angebetete, hinzukommt. Es folgt ein inniger Tanz der beiden. Caviello und Florindo sinnen auf Rache, werden aber von den Mädchen vertrieben, die sich alsbald wieder Pulcinella zuwenden, was Pimpinella arg missfällt. Erst als Rosettas Vater, Tartaglia, und Il Dottore, Prudenzas Vater, ihre Töchter nach Hause führen, gelingt der Angriff auf Pulcinella. Maskiert und bewaffnet treten die Jungen ihm entgegen, stechen ihn nieder und ziehen sich voller Genugtuung zurück. Sie glauben, der Widersacher sei tot – doch dieser steht sogleich wieder auf und spaziert davon. Das Verwechslungsspiel beginnt, indem Furbo, ein Vertrauter Pulcinellas, in die Rolle des vermeintlich Verstorbenen schlüpft. Dessen »Tod« wird von der versammelten Gesellschaft ausführlich betrauert, bis der wahre Pulci- nella als Zauberer verkleidet hinzutritt und den »Toten« zum Leben erweckt. Caviello und Florindo nutzen die entstandene Verwirrung: Sie maskieren sich nun ebenfalls als Pulcinellen und stellen den Mädchen gemeinsam mit dem noch immer maskierten Furbo nach. Die jungen Frauen lassen sich täuschen, jede hat nun ihren eigenen Pulcinella – aber niemand weiß mehr, wer der echte ist. Dieser bemüht sich vergeblich um Auf klärung; erst, als Furbo die Kleider des Zauberers anlegt, gelingt es diesem, die drei zusam- mengehörenden Paare wieder zu vereinen. 13 Handlung »Pulcinella«
SCHABERNACK UND FARCE Zu Igor Strawinskys Pulcinella-Suite Renate Ulm Pulcinella ist eine Figur Entstehungszeit der neapolitanischen Com- 1919; Vollendung 20. April 1920 (Ballett), 1924/1949 media dell’arte, ein bauernschlauer, durchtriebe- (Suite) ner, frecher, auch verfressener Diener, dessen be- Uraufführung sonderes Kennzeichen seine übergroße Haken- 15. Mai 1920 in der Pariser Oper unter der Leitung von nase ist, die aber nicht der Wirklichkeit entspricht, Ernest Ansermet sondern nur durch eine Maske ins Groteske ver- Lebensdaten des zerrt wird. Er trägt zumeist einen spitzen Hut und Komponisten 5. (17.) Juni 1882 in ein zu weites weißes Hemd, das unter seinem Oranienbaum bei mächtigen Bauch von einem Gürtel zusammenge- St. Petersburg – 6. April halten wird und faltenreich über die etwas zu kurze 1971 in New York Hose fällt. Hinter seiner Maske den heimlichen Liebhaber vorgebend, stellt er den Mädchen nach, holt sich seine Streicheleinheiten und zieht damit die Wut der Verehrer auf sich, die ihn dafür nach Strich und Faden verprügeln wollen. Aber Pulci- nella spürt instinktiv, wann und wie er sich mit List aus der Affäre ziehen kann, und freut sich über jeden gelungenen Schabernack. Die Idee zum Ballett Pulcinella wurde geboren, als der Impressario Sergej Diaghilew nach einem Gastspiel seiner Ballets russes in Rom 1917 wei- ter nach Neapel und Pompeij reiste. Ihm schlossen sich damals der Maler Pablo Picasso, der Kom- ponist Igor Strawinsky, der Tänzer und Choreo- graph Léonide Massine und der Dirigent Ernest Ansermet an – das spätere Team des Projekts. In Neapel erlebten sie eine Aufführung der Comme- dia dell’arte, »die wir in einem überfüllten, von Knoblauch dampfenden kleinen Raum sahen. Der Pulcinella war ein großer betrunkener Tölpel, und jede seiner Bewegungen, wahrscheinlich auch jedes Wort, wenn ich es verstanden hätte, war obszön«, erinnerte sich Strawinsky. Sergej Diaghilew plante darauf hin mit seinen Ballets russes für das Jahr 1920 eine Commedia dell’arte 14 Igor Strawinsky »Pulcinella-Suite«
Igor Strawinsky (1923 in Paris) mit Pulcinella auf die Bühne zu bringen. Als Vorlage diente die Farce Qua- tre Polichinelles semblables von 1700, die Léonide Massine in der Biblio- thek von Neapel entdeckt hatte und in der Pulcinella in vierfacher Ausfüh- rung Verwirrung stiftet. Passend zur Zeit der Commedia dell’arte suchte Diaghilew nach einer geeigneten Musik aus dem 18. Jahrhundert und fand in den Archiven von Neapel und London 21 kammermusikalische Vorlagen, die dem Komponisten Giovanni Battista Pergolesi zugeschrieben waren. Und hier blitzt nun auch in der wahren Geschichte der Schalk des Pulcinella auf: Da Pergolesi 1736 mit nur 26 Jahren gestorben war und seine Werke wie La serva padrona (1733) und Stabat mater (1736) für einen sagenhaften Nach- ruhm sorgten – denen bedauerlicherweise keine neuen großartigen Kompo- sitionen folgen konnten –, ließ der Londoner Verleger Robert Brenner 1780 kurzerhand einige Triosonaten von Domenico Gallo unter anderem Namen drucken: »compos’d by Gio. Batt.a Pergolese. Author of the Stabat mater«. Damit hatte er zwar nicht der Wahrheit gedient, wohl aber dem Umsatz. Schon der britische Musikhistoriker Charles Burney bezweifelte die Echt- 15 Igor Strawinsky »Pulcinella-Suite«
Sergej Diaghilew und Igor Strawinsky (1921 in Sevilla) heit dieser Werke, doch hartnäckig hielt sich der Name Pergolesi auf diesen Noten – bis heute. Nachgewiesen wurden die Fälschungen erst 1940 durch Handschriftenvergleiche, aber das half den Urhebern, wie beispielsweise Domenico Gallo aus Venedig, kaum zu später Anerkennung. All die Kompositionen, die – wie wir heute wissen – von Domenico Gallo, Carlo Monza, Graf Wilhelm van Wassenaer, Alessandro Parisotti und auch von Pergolesi stammen, wollte Diaghilew von Igor Strawinsky in einer »pein- lich gesitteten Instrumentation von etwas sehr Lieblichem« orchestriert ha- ben, wie der Komponist es in seinen Erinnerungen süffisant festhielt. Aber Strawinskys Kreativität ließ sich nicht zurückdrängen: »Ich begann, indem ich direkt auf Pergolesis Originalmanuskripten komponierte, als würde ich ein eigenes, älteres Werk bearbeiten. Ich begann ohne vorgefasste Meinun- gen und ästhetische Standpunkte, und das Ergebnis hätte ich nicht vorher- sagen können. Ich wusste, dass mir ein ›gefälschter‹ Pergolesi nicht gelingen würde, denn meine Motorik ist grundverschieden; bestenfalls konnte ich seine Aussagen mit meinem eigenen Akzent wiederholen. Dass das Ergeb- nis bis zu einem gewissen Grad witzig-ironischen, satirischen Charakter haben würde, war vielleicht unumgänglich, denn wer hätte im Jahre 1919 ein 16 Igor Strawinsky »Pulcinella-Suite«
solches Material ohne satirische Distanz behandeln können? […] Pulcinella war meine Entdeckung der Vergangenheit, die Erleuchtung, durch die mein gesamtes späteres Werk erst möglich wurde. Gewiss, es war ein Blick zurück – die erste von vielen Liebesbeziehungen, die in diese Richtung gingen –, aber es war auch ein Blick in den Spiegel.« Also ging Strawinsky höchst fantasievoll mit seinen Vorlagen um, ließ »jähe Brüche, harte Schnitte« (Wolfgang Dömling) entstehen. Er veränderte die Musik ganz nach seinen Vorstellungen und gegen die regulären Phrasen, »so daß die Musik, wie sich verhaspelnd, vorwärtszustürzen scheint; er montiert Phrasen neu, fügt hete- rogene Stücke unvermittelt aneinander und erzielt die verwirrende Wirkung von falsch Zusammengesetztem, beschleunigt manche Tempi in (am 18. Jahr- hundert gemessen) absurde Zeitmaße« (Dömling). Das, was Tschaikowsky mit den Rokoko-Variationen und der Mozartiana sowie den Mozart-Zitaten in seiner Pique Dame begonnen hatte, führte Strawinsky noch entschiedener weiter und stellte eine Verbindung von historischer Musik und seinem urei- genen Stil her, aus dem sich der so genannte »Neoklassizismus« entwickelte. Diese Richtung entsprach aber gar nicht den Vorstellungen Diaghilews. »Meine Musik schockierte ihn so«, schrieb Strawinsky, »dass er lange Zeit mit einem Gesicht umherging, das ›das beleidigte Achtzehnte Jahrhundert‹ auszudrücken schien.« Und nicht nur mit dem Komponisten lag Diaghilew im Clinch. In den zahlreichen Treffen mit Strawinsky, dem für Bühnenbild und Kostüme engagierten Picasso und dem Choreographen Léonide Mas- sine rief der Impressario häufig Verstimmungen hervor, die mehrfach eska- lierten. Verlangte er schon von Strawinsky eine gewisse Stilreinheit, so forderte er dies auch bei den Kostümen von Picasso. »Seine ersten Entwürfe zeigten Figuren der Offenbach-Zeit mit Backenbärten statt Masken«, erin- nerte sich Strawinsky. »Als wir sie Diaghilew zeigten, wurde er sehr barsch. […] Der Abend endete damit, dass Diaghilew die Zeichnungen auf den Boden warf, darauf herumstampfte und beim Hinausgehen die Türe hinter sich zuknallte. Am nächsten Tag bedurfte es Diaghilews ganzen Charmes, um den tief beleidigten Picassso zu versöhnen, am Ende brachte ihn Dia- ghilew sogar dazu, einen Commedia-dell’arte-Pulcinella zu schaffen.« Mas- sine skizzierte nach den ersten Vorlagen Strawinskys bereits die Choreo- graphie zu Pulcinella, den er auf der Bühne auch verkörperte. Da Strawinsky aber immer wieder änderte, hinzutat, strich, neue Phrasen anstückte, musste Massine seine Tanzschritte ständig dem anpassen und war darüber mehr- fach verärgert. Hinter all den Streitereien schien Pulcinellas Geist zu wirken, der wie auf dem Theater auch seine Schöpfer gegeneinander ausspielte – ein Wunder, dass am Ende alles zu einer außergewöhnlichen Einheit zusam- menwuchs und jeder einen Narren an Pulcinella gefressen hatte. 17 Igor Strawinsky »Pulcinella-Suite«
Das kleinbesetzte Orchester besteht im Ganzen aus nur 33 Personen, ist also fast »klassisch« aufgebaut: Zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Fagotte, zwei Hörner, eine Trompete, eine Posaune, dazu ein solistisches Streichquintett und ein kleines Streichorchester aus vier Ersten und vier Zweiten Violinen, vier Violen, drei Celli und drei Kon- trabässen. Die Suite, 1924 zusammen- gestellt und 1949 nochmals revidiert, richtet sich in der Satzabfolge ganz nach der Handlung des Balletts, wobei Scherzino und Tarantella wegen der dort regen Beteiligung der Singstim- men um eben diese Passagen stark ge- kürzt sind. Das Komische an der Figur Pulcinella arbeitete Strawinsky in den schnörkeligen Verzierungen in der Sin- fonia heraus, die von verschiedenen Instrumenten ausgeführt werden wie manieriert-devote Verbeugungen Pul- cinellas. Das schmachtende Ständchen des Tenors in der Serenata übernimmt in der Suite die Solo-Violine mit der Oboe. Die begleitenden Streicher klin- gen hier mandolinen- oder gitarrenar- tig. Seinen Schabernack treibt der freche Pulcinella im Scherzino. Dafür wird er aufgegriffen und schlottert nun voller Angst vor der angedrohten Strafe. Die Stockschläge sind geradezu heraushörbar, ebenso das Gejammer des Pulcinella. Der kichernde Spott der anderen durchzieht die Tarantella. Streng mahnt nun die Solo-Trompete in der Toccata, die von einer grotesk- schmeichelnden Bläsermusik in der Gavotta mit zwei Variationen abgelöst wird, gefolgt von großspurig klingenden Bläserglissandi im Vivo. Im Minu- etto hallt die Klage der Betrogenen nach, die fließend ins turbulente Finale mit seinen charakteristischen hohen Trompetentönen übergeht. Strawinskys Musik – er hatte aus den Vorlagen der alten Musik die Melodie und Bässe quasi als Rahmen übernommen, innerhalb dessen er neue Har- moniesierungen und zusätzliche Stimmen einfügte sowie eine immer freche, ironisierende Instrumentierung wählte – kam zunächst gar nicht bei seinen 18 Igor Strawinsky »Pulcinella-Suite«
Pablo Picasso: Bühnenbildentwurf für Pulcinella (1920) Kritikern an. Von ihnen wurde er sogar als »pasticheur«, als bloßer »Nachah- mer«, beschimpft, und wegen seines Rückgriffs auf alte Musik von Arnold Schönberg abwertend als »der kleine Modernsky« bezeichnet, während seine Bewunderer ihn »Zar Igor« nannten. Dagegen fand die Choreographie in den Kritiken zur Uraufführung einhellig Anklang. Dennoch beeindruckte der »neue« Stil die jüngere Komponisten- generation derart, dass bald zahlreiche neoklassizistische Werke entstanden. Aber hier sollte nicht vergessen werden, dass Sergej Prokofjews mit seiner Symphonie classique Strawinsky um eine Pulcinella-Nasenlänge voraus war: Er hatte sein Werk, das sich an Haydn orientierte, bereits 1917 vollendet. Die Rückgriffe auf die bewährte »Alte Musik« lagen also in der Luft, waren ein wehmütiger Blick zurück in eine Zeit, die die Katastrophe des Ersten Weltkriegs noch nicht kannte. 19 Igor Strawinsky »Pulcinella-Suite«
20 Biographie Yefim Bronfman
YEFIM BRONFMAN Yefim Bronfman wurde in Taschkent geboren. 1973 emigrierte er mit seiner Familie nach Israel. Er war Schüler von Arie Vardi an der Rubin Academy in Tel Aviv und setzte seine Studien in den USA an der Juilliard School in New York, der Marlboro School of Music in Vermont und am Curtis Institute of Music in Philadelphia bei Rudolf Firkušný, Leon Fleisher und Rudolf Serkin fort. 1975 feierte er sein internationales Debüt mit dem Montreal Symphony Orchestra unter Zubin Mehta, 1989 wurde er amerikanischer Staatsbürger und gab sein erstes Rezital in der New Yorker Carnegie Hall. Eine Serie von Konzerten mit dem Geiger Isaac Stern führte ihn 1991 erst- mals seit seiner Emigration wieder nach Russland, im selben Jahr wurde er mit dem Avery Fisher Prize ausgezeichnet. Yefim Bronfman gastiert bei allen führenden Orchestern der Welt und arbeitet mit Dirigenten wie Daniel Barenboim, Herbert Blomstedt, Riccardo Muti, Riccardo Chailly, Franz Welser-Möst, Esa-Pekka Salonen und Simon Rattle zusammen. Daneben widmet er sich intensiv der Kammermusik und zählt Künstler wie Pinchas Zukerman, Martha Argerich, Magdalena Kožená, Anne-Sophie Mutter und Emmanuel Pahud zu seinen Partnern. Yefim Bronfman kann auf eine beein- druckende Diskographie zurückblicken, er wurde sechs Mal für den Grammy Award nominiert, 1997 gewann er ihn für die Aufnahme der Bartók-Konzerte mit dem Los Angeles Philharmonic Orchestra unter Esa-Pekka Salonen. Des Weiteren veröffentlichte er u. a. sämtliche Klavierkonzerte von Prokofjew mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Zubin Mehta, die Beethoven- Konzerte (einschließlich des Tripelkonzertes mit Gil Shaham und Truls Mørk) mit dem Tonhalle-Orchester Zürich unter David Zinman, das für ihn komponierte Klavierkonzert von Esa-Pekka Salonen sowie das Zweite Kla- vierkonzert von Magnus Lindberg mit dem New York Philharmonic Or- chestra unter Alan Gilbert. Auch auf DVD ist Yefim Bronfman verschie- dentlich zu erleben, etwa mit Beethovens Fünftem Klavierkonzert und dem Concertgebouworkest Amsterdam unter Andris Nelsons sowie mit Rach- maninows Drittem Konzert und den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle. Beim BRSO ist Yefim Bronfman seit 25 Jahren ein gern gesehener Gast. 2000 spielte er im Rahmen des Beethoven-Zyklus von Lorin Maazel die fünf Klavierkonzerte und das Tripelkonzert, 2012/2013 war er Artist in Residence. Auf CD erschien eine Aufnahme von Tschaikowskys Erstem Kon- zert unter Mariss Jansons. Bei seinem letzten Auftritt im März 2020 spielte Yefim Bronfman mit Anne-Sophie Mutter und Maximilian Hornung Beet- hovens Tripelkonzert unter Andrés Orozco-Estrada. 2010 wurde Yefim Bronf- man mit dem Jean Gimbel Lane Prize und 2015 mit einem Ehrendoktor der Manhattan School of Music geehrt. 21 Biographie Yefim Bronfman
IGOR STRAWINSKY LE SACRE DU PRINTEMPS L’OISEAU DE FEU Zwei der bedeutendsten Ballettmusiken Strawinskys in meisterlicher Interpretation auf CD: das Jahrhundert- werk „Le sacre du printemps“ und die Suite von 1945 aus „L’oiseau de feu“. SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS Foto © Peter Meisel MARISS JANSONS br-klassik.de/label · Erhältlich im Handel und im BRshop: br-shop.de
SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS Mit der Saison 2023/2024 wird das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks seinen neuen Chefdirigenten begrüßen können, der in der Zwi- schenzeit auch mehrfach am Pult stehen wird: Sir Simon Rattle. Er ist als sechster Chefdirigent in der Reihe bedeutender Orchesterleiter nach Eugen Jochum, Rafael Kubelík, Sir Colin Davis, Lorin Maazel und Mariss Jansons eine Dirigentenpersönlichkeit von großer Offenheit für neue künstlerische Wege. Das BRSO entwickelte sich schon bald nach seiner Gründung 1949 zu einem international renommierten Klangkörper. Neben dem klassisch-romantischen Repertoire gehört im Rahmen der 1945 von Karl Amadeus Hartmann gegrün- deten musica viva die Pflege der zeitgenössischen Musik zu den zentralen Aufgaben des Orchesters. Viele namhafte Gastdirigenten wie Leonard Bern- stein, Georg Solti, Carlo Maria Giulini und Wolfgang Sawallisch haben das Orchester geprägt. Heute sind Herbert Blomstedt, Franz Welser-Möst, Daniel Harding, Yannick Nézet-Séguin und Andris Nelsons wichtige Partner. Tourneen führen das Orchester durch Europa, nach Asien sowie nach Nord- und Süd- amerika. Von 2004 bis 2019 hatte das BRSO eine Residenz beim Lucerne Easter Festival. Zahlreiche Auszeichnungen dokumentieren den festen Platz des BRSO unter den internationalen Spitzenorchestern. Anfang 2019 wurden die Gastkonzerte in Japan unter der Leitung von Zubin Mehta von japa- nischen Musikkritikern auf Platz 1 der »10 Top-Konzerte 2018« gewählt. 2020 setzte die Jury des Preises der deutschen Schallplattenkritik die CD mit Schostakowitschs Zehnter unter Mariss Jansons auf die Bestenliste 1/2020. 23 Biographie BRSO
24 Biographie Duncan Ward
DUNCAN WARD Der britische Dirigent Duncan Ward, der bereits mit den führenden Orche- stern weltweit zusammenarbeitet, wird ab September 2021 Chefdirigent der Philharmonie Zuidnederland sein. Zudem ist er Musikdirektor des Medi- terranean Youth Orchestra beim Festival in Aix-en-Provence. 1989 in der Grafschaft Kent geboren, studierte Duncan Ward am Royal Northern College of Music in Manchester Klavier, Dirigieren und Kompo- sition. Simon Rattle förderte das vielseitige Talent, indem er ihn 2012 als ersten Dirigenten an die Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker empfahl. Neben der Probenarbeit mit den Berlinern ergaben sich bald Kon- zertverpflichtungen, so zum 100. Geburtstag von Benjamin Britten mit Ian Bostridge und das Konzert »Violins of Hope« 2015 anlässlich des 70. Jahres- tages der Befreiung von Auschwitz: Die Berliner Philharmoniker spielten damals auf Instrumenten, die Opfern des Holocaust gehört hatten. Nach seiner Berliner Zeit wurde Duncan Ward Chefdirigent des britischen En- sembles Sinfonia Viva (2015–2017) und Associate Conductor beim National Youth Orchestra of Great Britain. Duncan Wards Repertoire umfasst klas- sische Werke bis hin zu zeitgenössischen Kompositionen, die er wie in vain von Georg Friedrich Haas in Berlin und Hamlet von Brett Dean an der Oper Köln, Clemency von James MacMillan an der Dänischen National- oper in Kopenhagen und La Passion de Simone von Kaija Saariaho an der Deutschen Oper Berlin leitete. Hinzu kommen eigene Werke, die Duncan Ward – 2005 Preisträger des BBC Young Composer of the Year – bereits am Pult vieler europäischer Orchester dirigierte. Er erhielt den Christopher Brooks Memorial Prize 2010 und war in der Saison 2010/2011 Composer in Residence bei der Lancashire Sinfonietta. Zu einem seiner bisher letzten Werke zählt Rainbow Beats, das 2018 für die Südafrikanische Organisation MIAGI (Music is a Great Investment) zum 100. Geburtstag Nelson Man- delas entstand und auch in der Elbphilharmonie in Hamburg, beim Con- certgeboworkest in Amsterdam, im Konzerthaus Berlin und beim Verbier Festival aufgeführt wurde. Duncan Ward arbeitet mit Orchestern der histo- risch informierten Aufführungspraxis wie dem Balthasar-Neumann-En- semble ebenso wie mit dem auf zeitgenössische Musik spezialisierten En- semble Modern und dem Ensemble Intercontemporain zusammen. Nach einem Aufenthalt in Indien gehörte Duncan Ward zu einem der Gründer der WAM Foundation 2008, einer Organisation, die jährlich britische Mu- siker nach Indien vermittelt, um dort die westliche klassische Musik an indi- schen Schulen zu lehren – in Delhi, Mumbai, Kolkata und Kerala. Erstmals stand Duncan Ward im Oktober 2016 mit Werken von Benjamin Britten im Prinzregententheater am Pult des BRSO. 25 Biographie Duncan Ward
LASSEN SIE UNS FREUNDE WERDEN! Freunde sind wichtig im Leben eines jeden von uns. Kontakt: Diese Überlegung machten sich musikbegeisterte Freunde des Symphonieorchesters und engagierte Menschen zu eigen und gründeten des Bayerischen Rundfunks e. V. den gemeinnützigen Verein »Freunde des Sympho- Geschäftsstelle: Ingrid Demel, Sabine Hauser nieorchesters des Bayerischen Rundfunks e. V.«. c/o Labor Becker und Kollegen Seine heute 1.300 Mitglieder fördern die herausra- Führichstraße 70 gende künstlerische Arbeit des Symphonieorchesters 81671 München und seiner Akademie nach Kräften. Der Verein trägt Telefon: 089 49 34 31 dazu bei, den Ruf dieses weltweit berühmten Orche- Fax: 089 450 91 75 60 sters weiterhin zu mehren. Mit der finanziellen Un- E-Mail: fso@freunde-brso.de terstützung der »Freunde« werden Instrumente finan- www.freunde-brso.de ziert, Kompositionsaufträge erteilt, Kammermusik- kurse abgehalten und jungen Talenten in der Akade- * Rechtsverbindliche Ansprüche bestehen jeweils nicht mie eine erstklassige Ausbildung an ihren Instrumen- ten ermöglicht. Den »Freunde«-Mitgliedern werden zahlreiche attraktive Vergünstigungen angeboten, von exklusiven Besuchen ausgewählter Proben über be- vorzugte Kartenbestellungen bis hin zu Reisen des Orchesters zu Sonderkonditionen.* Helfen Sie mit als Freund und lassen Sie sich in die Welt der klassischen Musik entführen!
SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS SIR SIMON RATTLE TEXTNACHWEIS Designierter Chefdirigent Wolfgang Stähr: Originalbeitrag für dieses ULRICH HAUSCHILD Heft; Musik & Bild: Renate Ulm; Handlung Orchestermanager Pulcinella: Katharina Meyer; Renate Ulm: (Nikolaus Pont in Elternzeit) aus den Programmheften des Symphonie- orchesters des Bayerischen Rundfunks Bayerischer Rundfunk vom 18./19. Dezember 2014; Biographien: Rundfunkplatz 1 Renate Ulm (Ward), Archiv des Bayeri- 80335 München schen Rundfunks (Bronfman; BRSO). Telefon: (089) 59 00 34 111 BILDNACHWEIS IMPRESSUM Wikimedia Commons (Beethoven; Widmung; Herausgegeben vom Bayerischen Rundfunk Ries; Kadenz; Tiepolo; Maurice Sand); Programmbereich BR-KLASSIK Musée lorrain, Nancy (Callot); Wolfgang Publikationen Symphonieorchester Dömling: Igor Strawinsky in Selbstzeugnis- und Chor des Bayerischen Rundfunks sen und Bilddokumenten, Reinbek 1982 (Strawinsky; Diaghilew und Strawinsky); REDAKTION VG Bild-Kunst, Bonn 2021 (Pablo Picasso: Dr. Renate Ulm (verantwortlich) Bühnenbildentwurf zu Pulcinella); © Dario Dr. Vera Baur Acosta (Bronfman); © Astrid Ackermann GRAPHISCHES GESAMTKONZEPT (BRSO); © Askonas Holt (Ward); Archiv Bureau Mirko Borsche des Bayerischen Rundfunks. UMSETZUNG Antonia Schwarz, München AUFFÜHRUNGSMATERIAL © G. Henle Verlag, München (Beethoven) © Boosey & Hawkes, London (Strawinsky) br so.de
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