Como - Clever kombiniert So sichern intelligent eingesetzte Verkehrssysteme auch in Zukunft unsere Mobilität - Mobility

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Como - Clever kombiniert So sichern intelligent eingesetzte Verkehrssysteme auch in Zukunft unsere Mobilität - Mobility
como                                                Complete mobility – Fakten, Trends, Stories

     Ausgabe 02   I   Juni 2009   I   www.siemens.com/mobility                       S

Clever kombiniert
So sichern intelligent eingesetzte Verkehrssysteme
auch in Zukunft unsere Mobilität
Como - Clever kombiniert So sichern intelligent eingesetzte Verkehrssysteme auch in Zukunft unsere Mobilität - Mobility
2   welcome   como 02 | Juni 2009

    Liebe Leserin, lieber Leser,
                        wenn es einen Ort auf der Erde gibt, an dem man technische und wirt-
                        schaftliche Innovation täglich neu auf faszinierende Weise erleben kann,
                        dann ist es China. Das riesige Land mit gut 1,3 Milliarden Bürgern, dem
                        der ausführliche focus dieser Ausgabe von como gewidmet ist, konnte in
                        den vergangenen Jahren dank schwindelerregender Wachstumsraten zu
                        einer der führenden Wirtschaftsnationen aufsteigen. Eine Entwicklung,
                                            die sich trotz der aktuellen weltweiten Konjunktur-
                                            schwäche weiter fortsetzen wird. Dazu dürfte die
                                            Expo 2010 in Schanghai, wie schon die Olympischen
                                            Spiele in Peking 2008, in hohem Maße beitragen.
                                               Um mit der rasanten Entwicklung Schritt halten zu
                                            können, suchen derzeit mehr als 30 chinesische Mil-
                                            lionenstädte neue Lösungen für Transport und Logis-
                                            tik: zukunftsfähige Lösungen, die attraktiv und sicher,
                                            verlässlich und nicht zuletzt umweltverträglich sein
                                            sollen. Dies nicht allein, um die Infrastruktur des riesi-
                                            gen Landes weiter auszubauen, sondern vor allem, um
                                            die kommenden Herausforderungen meistern zu kön-
                                            nen – für den effizienten Transport von Personen und
                                            Gütern. Dazu legte die chinesische Regierung Ende
                                            2008 eigens für Infrastruktur und Transportwesen ein

    „
                                            gigantisches zusätzliches Wirtschaftförderungspro-
                                            gramm in Höhe von 1,8 Billionen Yuan, mehr als 452
                                            Milliarden Euro, auf.
                                               Zwar sind die Anforderungen an neue Mobilitäts-
                                            strategien und zu realisierende Lösungen gewaltig,
                                            und dem westlichen Betrachter scheint es manchmal,
        China hat jetzt die                 als könne dieses schier unübersehbare Vorhaben nie
                                            gelingen. Gleichzeitig aber birgt diese Entwicklung
       historisch einmalige                 historisch einmalige Chancen zum Aufbau einer wirk-
       Chance zum Aufbau                    lich zukunftsfähigen Infrastruktur, die den Namen
      einer zukunftsfähigen                 „Complete mobility“ mit vollem Recht trägt.
                                               Mit innovativen Produkten und Lösungen kann
           Infrastruktur.                   Siemens, seit nunmehr 110 Jahren im Reich der Mitte
                                            aktiv, als verlässlicher und kompetenter Partner zum
                                            Erfolg beitragen: Wie kaum ein anderes Unternehmen
                                            der Welt versteht Siemens die besonderen Anforde-
                                            rungen an Transport und Logistik – nicht nur in China.
                           Dem Thema Mobilität kommt in der heutigen, globalisierten Welt eine
                        Schlüsselrolle für wirtschaftliches Wachstum und die gesellschaftliche
                        Weiterentwicklung eines Landes zu. Und sie wird auch einen wesentlichen
                        Beitrag dazu leisten können, die Lebensqualität der Menschen in China zu
                        verbessern.

                                    In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre.

                                    Joachim Kraege
                                    CEO, Mobility Division
                                    Industry Sector
                                    Siemens Ltd., China
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como 02 | Juni 2009   inhalt      3

                                                 32

horizon
4    Weniger ist mehr
     Verkehrsökologe Prof. Dr. Becker plädiert
     für mehr individuelle Mobilität mit
     weniger Verkehr. Wie kann das gehen?

8    Automatisch besser unterwegs
     Moderne Transportlösungen werden
     immer intelligenter – glücklicherweise.

12   Ab durch die Mitte
                                                                                          14
     Die totgeglaubte Straßenbahn erlebt eine

                                                      Inhalt
     wahre Renaissance. Sogar dort, wo sonst
     das Erdöl den Ton angibt.

move
32   Wiener Melange:
     Die Mischung macht’s!
     Beim öffentlichen Nahverkehr gilt Wien           focus
     als Musterbeispiel auf der ganzen Linie.
     Was steckt dahinter?                             14   „Complete mobility“ im
                                                           Land des Roten Drachen:
                                                           China im Wandel
connect                                                    Beim Ausbau der mobilen Infra-
                                                           struktur nutzt China seine Chancen.
36   Lokbuch railjet
     Besser premium fahren: Mit dem railjet
                                                      18   Auf die Schnelle
                                                           Eine Hochgeschwindigkeitsfahrt mit
     definiert die ÖBB Zugreisen ganz neu.
                                                           Chinas „JJ DPL“ ist beeindruckend –
38   Fliegender Wechsel                                    und spart mächtig Zeit.
     Dubai International Airport baut auf Zu-
     wachs. Die Gepäckförderanlage hält mit.
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4     horizon   como 02 | Juni 2009

    Weniger ist mehr
    Mehr Mobilität mit weniger Verkehr – das ist eine der Thesen, mit
    denen Prof. Dr. Udo Becker, Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrsöko-
    logie an der Fakultät für Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der
    Technischen Universität Dresden, für eine nachhaltige Verkehrsent-
    wicklung plädiert. Die alte Wachstumsstrategie sei nicht mehr zeit-
    gemäß, stabile und langfristig angelegte Lösungen seien angesagt,
    erklärt der Verkehrsökologe im Gespräch mit como.
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como 02 | Juni 2009   horizon         5

U
      ngeachtet wirtschaftlicher Krisenszenarien      in neue Straßen. Bis heute argumentieren die Ver-
      wachsen die Verkehrsströme weltweit weiter,     fechter dieser Strategie, durch weiteren Ausbau der
      und mit ihnen zugleich die negativen Auswir-    Straßen würde der Verkehr wieder flüssig, die
kungen auf Mensch und Umwelt. Was aber bedeutet       Emissionen könnten sinken und sowohl die Ver-
das für uns und nachfolgende Generationen? Maß-       kehrssituation als auch die Umweltsituation wür-
nahmen wie Lärmschutzwände, Feinstaubfilter           den danach verbessert. Leider stimmt das einfach
oder die Einrichtung von Umweltzonen kurieren ja      nicht – in Marktwirtschaften kann es gar nicht stim-
höchstens die Symptome. Bleibt unsere Mobilität       men. Denn der forcierte Ausbau von Verkehrswe-
künftig auf der Strecke? Der Dresdner Verkehrsöko-    gen in einer Marktwirtschaft macht Verkehr nicht
loge Prof. Dr. Udo Becker ist überzeugt: Nur eine     nur flüssiger und schneller, sondern in der Folge
systematische Veränderung des Verkehrsangebots        auch wieder attraktiver für die Nutzer.
kann langfristig und nachhaltig Mobilität sichern.
                                                      como: Was ist daran so verwerflich?
como: Herr Prof. Becker, welche Bedeutung hat für     Becker: Wirklich verwerflich ist daran nichts, aber
Sie der Begriff „Ökologie“ im Zusammenhang mit        dumm ist es und ineffizient. Denn langfristig rea-
Verkehr und Mobilität?                                gieren Menschen und Strukturen: Also wird auf der
Becker: Wir Verkehrsökologen interessieren uns        neuen, breiten Straße schnell noch mal mit dem
vor allem für die dynamischen, langfristigen Reak-    Auto Bier geholt, und weil die Staus kleiner und die
tionen des Gesamtsystems. Wir definieren also         Fahrzeiten kürzer geworden sind, ziehen viele
Ökologie nicht als „Umweltschutz um jeden Preis“,     noch weiter hinaus aufs Land. In der Summe erzeu-
wie auch Mobilität nicht zwangsläufig bedeutet,       gen diese zusätzlichen und weiteren Fahrten nach
möglichst lange Strecken im Auto zu fahren. Auch      kurzer Zeit dynamisch neue Staus – vielleicht an
die Begriffe „Verkehr“ und „Mobilität“ werden ja      anderer Stelle, in jedem Fall aber auf höherem
heute anders gebraucht als früher. Stattdessen ver-   Niveau. Die Folgen: Die Verkehrsmenge insgesamt
stehen wir „Ökologie“ als Systemwissenschaft.         steigt überdurchschnittlich an. Das bedeutet
                                                      zugleich steigende Gesamtkosten, zunehmenden
como: Wie sollten wir Verkehr und Mobilität sinn-     Ressourcen-, Energie- und Naturverbrauch, zusätz-
vollerweise definieren?                               liche Lärm- und Abgasbelastung und so weiter. All
Becker: Ausgangspunkt ist immer ein individuel-       diese Effekte werden aber die Lebensqualität
ler Wunsch, außer Haus gelegene Orte und Gele-        zukünftiger Generationen deutlich mindern. Es
genheiten erreichen zu können, an denen sich be-      wird ihnen womöglich genau das verwehren, was
stimmte Bedürfnisse befriedigen lassen. Wenn ich      wir heute genießen: Mobilität, Bewegungsfreiheit
beispielsweise Hunger habe und Pizza essen möch-      und Teilhabe. Für die Gesellschaft ist diese Strate-
te, muss ich entweder die Zutaten einkaufen, ein      gie eine ökologische und ökonomische Sackgasse,
Restaurant erreichen oder einen mobilen Pizza-        eben unintelligent und ineffizient.
dienst beauftragen können. Alle drei Optionen soll-
ten mir zur Verfügung stehen. Meine Nachfrage als     como: Sollten wir also, um Verkehrsüberlastungen
hungriger, potenzieller Verkehrsteilnehmer trifft     zu vermeiden, ab sofort deutlich weniger unter-
nun auf das Angebot vorhandener Infrastrukturen       wegs sein?
und Dienste der Verkehrssysteme. Die vorhande-        Becker: Das wäre der falsche Ansatz – niemand soll
nen Angebote bestimmen, ob ich mein Bedürfnis in      zuhause eingemauert werden! Entscheidend ist
einem vertretbaren Zeitrahmen zu Fuß, mit der         doch, dass nicht etwa unsere Mobilität einge-
Tram oder tatsächlich nur mit Hilfe eines Autos be-   schränkt wird, sondern der Verkehr, also das
friedigen kann. Die Verfügbarkeit bestimmter Mög-     Instrument, mit dem diese Mobilität gesichert
lichkeiten und Strukturen entscheidet mit darüber,    wird. Das lässt sich durchaus schaffen, bei Perso-
wie Menschen mobil sind.                              nen- und Güterverkehr gleichermaßen. Ausgangs-
                                                      punkt für Mobilität und Verkehr sind ja immer indi-
como: Nun werden immer neue Straßen gebaut            viduelle Bedürfnisse nach – abstrakt ausgedrückt –
und ausgebaut. Dennoch gehören Verkehrsstaus          Lebenserhaltung und Lebensqualität. Müssen wir
zu unseren größten Problemen. Reicht diese Ver-       dazu das Haus verlassen, trifft die Mobilitäts-Nach-
besserung der Verkehrsinfrastruktur nicht aus?        frage auf das Angebot, also die Infrastrukturen und
Becker: In der Vergangenheit bestand Verkehrspla-     Dienste der vorhandenen Verkehrssysteme. Von
nung oft aus dem reinen Ausbau der Verkehrswege.      diesem Angebot hängt mit ab, ob viel oder wenig
Vorrangig ging es um Leichtigkeit und Flüssigkeit     Verkehr entsteht. Mit einem Satz: Für die Erhaltung
des Verkehrs, um Milliardeninvestitionen vor allem    der Mobilität ist weniger Verkehr zwingend geboten!
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6   horizon     como 02 | Juni 2009

                                                               „                Ziel unserer For-
                                                                                schungen ist es, für
                                                                                alle Menschen mehr
                                                                                bedürfnisgerechte
                                                                                Mobilität mit weniger
                                                                                Verkehr zu erreichen.
                                                                                              Prof. Dr. Udo Becker,
                                                                                                  Verkehrsökologe

              como: Welche Aufgaben sind Ihrer Meinung zu            Deshalb ist eine systematische, langfrisitige Ge-
              lösen, um nachhaltige Mobilität zu fördern?            samtbetrachtung notwendig, die sich an den künf-
              Becker: Wir müssen schon heute vorsorgen, dass         tigen Herausforderungen orientiert. Und Energie,
              auch noch in 20 oder 50 Jahren jeder zur Arbeit,       Abgas, Klima und Lärm erzwingen einen Paradig-
              zum Einkauf, aufs Amt, in die Gaststätte und zum       menwechsel. Hier sind Politiker und vor allem
              Arzt kommt, und zwar mit weniger Energie als           Kommunen in der Pflicht.
              heute. Mobilität ist heute nicht nur ein wesentli-
              cher Wirtschaftsfaktor, sie ist ein Menschenrecht.     como: Kann man das so generell sagen? Schließ-
              Deshalb betone ich nochmals: Die Forderung nach        lich ist doch keine Stadt wie die andere.
              weniger Verkehr kann nicht bedeuten, auf Mobilität     Becker: In der Tat müssen wir mit Stadtstrukturen
              zu verzichten. Im Gegenteil: Als Grundvorausset-       auskommen, die meist über lange Zeiträume
              zung hoher Lebensqualität müssen wir uns Mobili-       gewachsen sind, und können nicht wie beispiels-
              tät heute und in Zukunft erhalten. Aber es ist         weise jetzt in Abu Dhabi nagelneue Städte aus dem
              sicher, dass Energie immer kostbarer, knapper und      Boden stampfen. Grundsätzlich kennen wir zwei
              also teurer wird, also muss es uns gelingen, das mit   Extreme der Siedlungstypen. In baulich kompakten
              weniger Energie, weniger Stahl, weniger Abgas,         Städten mit zahlreichen Stadtteilzentren und
              Lärm, CO2 – eben mit weniger Verkehr zu schaffen.      hoher Funktionsmischung lassen sich viele Bedürf-
                                                                     nisse im Nahbereich erledigen: mit geringen Kos-
              como: Lässt sich das durch technologische Lösungs-     ten, wenigen Fahrzeugen, wenig Lärm, Flächenver-
              ansätze wie die intelligente Steuerung der Verkehrs-   brauch und Abgas. Dagegen erfordern disperse,
              flüsse erreichen? Erst im vergangenen Jahr hat ja      ausgedehnt flächenhafte Stadtstrukturen wie in
              ein Verkehrswissenschaftler Ihrer Universität, Arne    westamerikanischen Städten sehr viel Individual-
              Kesting, den „Siemens ITS Award Straßenverkehrs-       verkehr. Hier ist für die gleiche Besorgung immer
              technik“ erhalten ...                                  ein weiter Weg mit dem eigenen Fahrzeug nötig,
              Becker: ... für eine durchaus nützliche Sache. Er      und notwendigerweise sind Energieverbrauch,
              entwickelte einen Algorithmus, mit dem sich Ver-       Bodenversiegelung, Emissionen und Gesamtkosten
              kehrsdaten von stationären Detektoren und beweg-       überproportional hoch.
              lichen „Floating Objects“ zusammenführen und
              beispielsweise für eine zuverlässigere Verkehrs-       como: Demnach haben baulich kompakte Stadt-
              flusssteuerung nutzen lassen. Ja, diese Fortschritte   strukturen bessere Chancen auf mehr Mobilität
              sind richtig und notwendig, sie dürfen aber nicht      mit weniger Verkehr. Wie aber lässt sich der gefor-
              dazu führen, dass der Verkehr attraktiver wird:        derte Paradigmenwechsel praktisch erreichen?
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como 02 | Juni 2009   horizon   7

Becker: Städtebauliche Monostrukturen müssen              como: Neue Stadtstrukturen brauchen Zeit. Was
aufgebrochen werden: Planer, Politik und Nutzer           lässt sich tun, um die Menschen möglichst mor-
müssen sinnvoll gemischte Nutzungen mit Büros,            gen zum Umsteigen zu bewegen?
Läden und Dienstleistern in der Nähe der Wohnun-          Becker: Ökonomisch ist die Antwort einfach: Die
gen sowie verkehrsberuhigte Bereiche schaffen.            ökologisch richtige Entscheidung für Verkehrsmit-
Diese Nahorientierung erlaubt dann neue und               tel ist nicht durch Appelle, sondern nur durch die
andere Verkehrsmittel im Öffentlichen Verkehr,            richtigen Preissignale erreichbar. Ganz konkret heißt
Alternativen zum erdölgetriebenen Individualver-          das: Für alle Verkehrsteilnehmer müssen „kosten-
kehr. Sobald Radfahrer, Fußgänger, Metro-, Stra-          wahre“ Preise gelten, in denen auch externe Kosten
ßenbahn- und Busnutzer alle wichtigen Ziele siche-        – also Kosten für Dritte, Gemeinkosten für Bau und
rer, schneller und leichter erreichen können als mit      Erhaltung der Infrastruktur und so weiter – enthal-
dem eigenen Auto, fällt das Umsteigen leicht. Dann        ten sind. Die Kosten für Mobilität müssen die Wahr-
gewinnen auch alle: Die Stadt wird sauberer und           heit sagen. Ist dieses Prinzip verletzt, zahlen die
leiser, die Umsteiger können unter attraktiven            nachfolgenden Generationen die Zeche dafür, dass
Angeboten wählen, und wer trotzdem nicht umstei-          wir für bestimmte Verkehrsmittel heute schönge-
gen kann oder will, kommt wenigstens besser voran.        rechnete Niedrigpreise bezahlen.

como: Und wie wollen Sie die jetzigen Mobilitäts-         como: Städte und Verkehrsbetriebe sollten sich
Gewohnheiten der Bürger ändern?                           also besser heute als morgen auf den Paradig-
Becker: Radfahrer, Fußgänger und Nutzer des               menwechsel fokussieren?
Öffentlichen Verkehrs müssen klare Vorteile haben,        Becker: So schnell wie möglich sogar, denn Ener-
damit diese Systeme möglichst attraktiv werden            gie wird auf lange Sicht deutlich teurer werden. Je
und viele Leute sie nutzen. Nehmen wir beispiels-         zeitiger eine Stadt ihre Verkehrsstruktur umstellt,
weise die Energiekosten: Wer in unmittelbarer Nähe        desto mehr Vorteile wird sie gewinnen. Ökologi-
einer Tramhaltestelle wohnt, wer Läden, Kneipen,          sche Vorteile, denn die Umweltbelastung kann frü-
Ärzte und vielleicht sogar den Arbeitsplatz gleich        her sinken. Ökonomische, denn der Paradigmen-
um die Ecke hat, ist von hohen Kraftstoffpreisen          wechsel kann längerfristig und damit effizienter
weit weniger betroffen. Steigen die Spritpreise, trifft   verlaufen. Und soziale Vorteile, denn die Bewohner
das auch die Öffentlichen Verkehrsmittel, aber die        können ihre Mobilitätsbedürfnisse auch künftig
werden voller und die gestiegenen Betriebskosten          befriedigen und fühlen sich wohl.
verteilen sich auf mehr Köpfe. So kann der Preis für
ein Ticket sogar sinken – und alle gewinnen.              como: Herr Prof. Becker, herzlichen Dank.
Como - Clever kombiniert So sichern intelligent eingesetzte Verkehrssysteme auch in Zukunft unsere Mobilität - Mobility
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     Automatisch besser
Como - Clever kombiniert So sichern intelligent eingesetzte Verkehrssysteme auch in Zukunft unsere Mobilität - Mobility
horizon    como 02 | Juni 2009    9

unterwegs
            Automatisierung ist Trumpf:
            Intelligente Transportlösun-
            gen sollen Verkehr effizien-
            ter und gleichzeitig komfor-
            tabler machen, Energie und
            Rohstoffe sparsamer einset-
            zen – und dabei den Men-
            schen in seinem zuneh-
            mend komplexen Umfeld
            entlasten. Wie lässt sich
            dies erreichen? Ein Blick auf
            Technologien und Entwick-
            lungen für zukunftsfähige
            Mobilität.

            S
                 chneller, weiter, mehr – der Drang des Men-
                 schen, sich selbst und seine Dinge möglichst
                 komfortabel von einem Ort zum anderen zu
            bewegen, ist nahezu ungebrochen. Auf lange Sicht
            werden zunehmende Urbanisierung, demografi-
            scher Wandel und internationale Arbeitsteilung in
            globalen Märkten den Transportbedarf weiter stei-
            gern. Gleichzeitig steigen die Ansprüche an Ver-
            kehrssysteme und Mobilitätslösungen: Schnellere
            Verbindungen, besserer Kundenservice und mehr
            Sicherheit von Mensch und Material stehen im
            Fokus. Energieressourcen und knapper werdende
            Rohstoffe müssen stärker geschont werden. Und
            schließlich soll Mobilität auch künftig für alle
            bezahlbar bleiben. Wie aber lassen sich all diese
            Forderungen erfüllen? Welche Technologien wer-
            den die Entwicklung der nächsten Jahre bestim-
            men und welche Rolle können intelligente Infor-
            mations- und Kommunikations-Systeme spielen?
               „Je komplexer Verkehrs- und Transportsysteme
            werden, desto schneller steigt die Flut der zu ver-
            arbeitenden Daten, Informationen und Abhängig-
            keiten“, weiß Huschke Diekmann, Chief Techno-
            logy Officer (CTO) und Leiter von Technology &
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               Elektronische Mautsysteme, intelligente Postautomatisierung, zentrale Verkehrsleitstellen: Informations-
               und Kommunikationstechnologien ermöglichen immer neue, optimierte Transport- und Logistiklösungen.

               Innovation, Siemens Mobility. „Oft scheint es, als     zahlen kaum noch aufnehmen. „Erst leistungsfähige,
               seien diese Datenströme kaum noch zu beherr-           intelligente Zugbeeinflussungssysteme wie Train-
               schen. Immer wieder haben zum Beispiel Flug-           guard erlauben es, die Zahl der Züge und damit
               zeugabstürze oder Reaktorunfälle gezeigt, dass         die Transportkapazität in einem vorhandenen
               fünf Sinne und ein menschliches Großhirn einfach       Metro-Netz signifikant zu erhöhen“, sagt Diekmann.
               nicht ausreichen, in Stresssituationen aus der Flut    „Zu den wirklichen Zukunftsthemen im Nahver-
               der Informationen und Hinweise die richtigen           kehr gehört der voll automatisierte Taktbetrieb.“
               Handlungen abzuleiten.“ Eine Konsequenz daraus:        Dabei bringt klare Vorteile, dass Trainguard eine
               Ingenieure von Siemens verwenden besondere             modulare, softwaregetriebene Automatisierungs-
               Sorgfalt auf die Entwicklung der Human Machine         plattform ist: Sie nutzt Standard-Schnittstellen und
               Interfaces (HMI), Mensch-Maschine-Schnittstellen       ist skalierbar, bleibt also auch bei einer künftigen
               wie beispielsweise Displays oder Bedienfelder in       Auf- oder Umrüstung der Infrastruktur höchst flexi-
               Führerständen von Hochgeschwindigkeitszügen.           bel. Beispielsweise lässt sich ein einmal installiertes
               „Wir müssen die Informationen so aufbereiten und       System einfach neuen Anforderungen anpassen und
               darstellen, dass der Mensch sie zuverlässig, zeitnah   stufenweise vom herkömmlich überwachten über
               und möglichst intuitiv erfassen, interpretieren und    den halbautomatischen bis zum komplett fahrer-
               für richtige Entscheidungen nutzen kann“, erklärt      losen Betrieb ausbauen.
               Diekmann. Bei Tempo 250 ist schließlich jeder             Auf der traditionsreichen New Yorker Metro-
               Augenblick entscheidend – in jeder Schrecksekun-       Strecke Canarsie Line hat Siemens dies bereits
               de des Fahrers legt der Zug fast 70 Meter Strecke      2007 zum weltweit ersten Mal realisiert – fast
               zurück. Die Entwickler müssen deshalb Fehlermel-       unbemerkt von den Fahrgästen, doch in dreifacher
               dungen oder Sicherheitsalarme intelligent filtern      Hinsicht richtungsweisend. Nicht allein, dass die
               und sie so übersichtlich und verständlich darstel-     Strecke bei laufendem Betrieb von konventioneller
               len, dass der Fahrer nicht von einer Informations-     Signaltechnik und festem Raumabstand auf auto-
               flut überfordert wird, sondern präzise Informatio-     matische Zugbeeinflussung mit Moving Blocks,
               nen und Handlungsempfehlungen bekommt und              flexiblen Zugabständen, umgerüstet wurde. In der
               möglichst wenig von seiner eigentlichen Tätigkeit      Übergangszeit waren auch gleichzeitig Züge mit
               des Fahrens abgelenkt wird. Huschke Diekmann:          und ohne Trainguard-Komponenten auf der Stre-
               „Diese neu entwickelten HMIs stehen für weniger        cke unterwegs. Und per Funk, via Communication
               Stress beim Bediener, schnelle und sichere Diagnose    Based Train Control, werden die Züge gesteuert.
               und schließlich die Unterstützung zum richtigen
               Handeln in einem komplexer werdenden Umfeld.“
                                                                      Daten drahtlos überall verfügbar
                                                                      Auf einem ganz anderen Gebiet spielt automatische
               Schneller und sicherer fahren                          Identifikation seit längerer Zeit eine zentrale Rolle:
               Zugleich setzt Siemens verstärkt auf die Automati-     der Postautomatisierung. Wurde zunächst die klas-
               sierung jener Tätigkeiten, die Computer schneller      sische optische Identifikation von Postsendungen
               und präziser erledigen können als Menschen – bei-      und Transportbeuteln – beispielsweise durch Beu-
               spielsweise das Führen von U-Bahnen. Bereits heute     telfahnen mit aufgedrucktem Ziel – durch maschi-
               können mit herkömmlicher Signaltechnik ausge-          nenlesbare Barcodes und 2D-Codes abgelöst, setzen
               rüstete Metros die stetig wachsenden Passagier-        sich heute RFID-Anwendungen immer stärker durch.
horizon    como 02 | Juni 2009   11
   Radio Frequency Identification, die Technolo-       tur unabhängige Funktechnologie eignet sich nicht
gie zur eindeutigen und kontaktlosen Identifizie-      nur zur flächendeckenden Maut-Erfassung auf dem
rung von Objekten, kann ihre Stärken bei der           weiträumigen Straßennetz der Slowakei – sie kann
Postautomatisierung bestens ausspielen. Sie er-        die Voraussetzungen für wirklich „faire“ Straßen-
möglicht die schnelle und automatische Daten-          benutzungsgebühren auf Basis tatsächlich gefah-
übertragung mittels magnetischer Wechselfelder         rener Kilometer schaffen.
oder Radiowellen – anders als bei Barcode-Syste-          Anders im Zentrum der britischen Hauptstadt
men ist nicht einmal eine direkte Sichtverbin-         London, wo in der 2003 eingerichteten Umwelt-
dung erforderlich. ID-Träger, Tags genannt, lassen     zone für Autos mit Verbrennungsmotor eine üp-
sich sehr einfach mit aktuellen Daten ver sehen,       pige „Congestion Charge“ fällig wird: Hier werden
einzeln oder gleichzeitig im Pulk auslesen und         intelligente Videosysteme eingesetzt, die Num-
anschließend für die nächste Anwendung neu             mernschilder der Fahrzeuge registrieren und mit
beschreiben.                                           Hilfe einer Datenbank abgleichen, ob die City-Maut
   Neben der vollautomatischen Steuerung und           bereits bezahlt wurde. Das jüngste der von Siemens
Überwachung von Postsäcken gehört heute das            installierten Systeme verarbeitet die Kamera-
Ver walten und Verfolgen von Rollcontainern zu         signale schon vor Ort digital und überträgt die
den wichtigsten Anwendungen: Über ein Asset-           Daten über ein IP-Breitband-Netzwerk sicher ver-
Management-System können so Bestand, Aufent-           schlüsselt in die Zentrale. Huschke Diekmann:
haltsort und Wartungszustand der Behältnisse           „Video Scene Analysis läuft praktisch in Echtzeit
immer aktuell gehalten werden. Auch die Messung        ab. Die Elektronik arbeitet, ohne jemals müde zu
von Laufzeiten ist mit Hilfe von RFID-Testbriefen      werden, ohne menschliche Schwächen und Be-
einfacher geworden. Nutzt man zusätzlich das Glo-      findlichkeiten, sozusagen im Vorbeifahren.“
bal Positioning System GPS, lassen sich Weg und
aktuelle Position einer Postsendung weltweit exakt
nachverfolgen und aufzeichnen.                         Auf einen Blick mehr Sicherheit
   Freilich rücken zunehmend auch die Sicherheit       Mit dem Verfahren lassen sich neben Fahrzeug-
der Datenübertragung und die Integrität der            kennzeichen auch Texte oder komplexe Bildinfor-
Daten in den Vordergrund: Einer der wesentlichen       mationen automatisch erkennen und auswerten.
Vorteile des Verfahrens, das einfache Beschreiben      Das dient nicht nur der Datenerhebung: In der
der Tags mit Daten, könnte sich bei sicherheitsre-     Öffentlichkeit können derart intelligente Videoan-
levanten Informationen leicht ins Gegenteil ver-       wendungen gleich aus zwei Gründen für deutlich
kehren – als möglicher Angriffspunkt für geübte        mehr Sicherheit sorgen. Subjektiv nämlich vermit-
Hacker. Deshalb hat Siemens nun ein Sicherheits-       teln augenfällige Kameras bei Passanten und Fahr-
verfahren vorgestellt, das RFID-Informationen fäl-     gästen ein Gefühl der Bewachung und steigern das
schungssicher macht: Mit „Secure RFID“-Kennun-         persönliche Sicherheitsempfinden. Objektiv können
gen versehene Objekte lassen sich wie gewohnt          elektronische Analysesysteme tatsächlich schon
mit geringem Aufwand identifizieren, Datenma-          heute Sicherheitsrisiken erkennen, die menschli-
nipulationen aber sind nicht möglich. „Sinnvoll        chen Beobachtern womöglich entgehen.
erscheint diese Sicherheitstechnologie für zahl-          So wertet die von Siemens entwickelte Bildana-
reiche Mobilitäts-Anwendungen vom Zugangsaus-          lyse-Software Railprotect mit intelligenter Bild-
weis bis zur Monatskarte für die Bahn“, so Huschke     erkennung verschiedene Videoquellen aus und
Diekmann. „Bei Ersatzteilen kann der Unterschied       erreicht selbst an stark frequentierten Orten wie
zwischen Original und Fälschung sogar lebens-          Bahnsteigen eine sehr hohe Erkennungsrate. Sie
wichtig sein.“                                         ist beispielsweise in der Lage, auf Kamerabildern
                                                       Personen und Gepäckstücke einander zuzuordnen
                                                       und ständig den Abstand zwischen ihnen zu ver-
Ein Plus auch für die Umwelt                           gleichen. Entfernt sich die Person für längere Zeit,
Ganz andere Vorteile bringt die drahtlose Übertra-     stuft das System das Gepäckstück als herrenlos ein
gung von Daten beim Verkehrsdatenmanagement.           und alarmiert die Sicherheitszentrale.
Derzeit richtet Siemens im Auftrag des SkyToll-           „Schon die verschiedenen Einzelanwendungen
Konsortiums für die slowakische Straßenverkehrs-       zeigen, dass diese Schrittmachertechnologien in
behörde NDS (Národná dial´nicná spolocnost´            den kommenden Jahren eine Vielzahl optimier-
a.s.) ein satellitengestütztes Lkw-Mautsystem ein,     ter Mobilitätslösungen generieren können“, sagt
das rund 2.400 Kilometer Straßen aller Kategorien      Huschke Diekmann. „Ziel im Rahmen unserer Vi-
kontrollieren wird. Es erfasst die Position von Lkws   sion ‚Complete mobility‘ ist es allerdings, diese
und Bussen ab 3,5 Tonnen Gewicht direkt über           Technologien für intermodale Verkehrslösungen
GPS-Empfänger an Bord und übermittelt die Daten        einzusetzen, die nachhaltig, sicher, kostengünstig,
zur Weiterverarbeitung über das Mobilfunknetz an       flexibel und komfortabel für den Menschen sind.“
die Zentrale. Die von einer stationären Infrastruk-    Die Voraussetzungen waren nie so gut wie heute.
12      horizon   como 02 | Juni 2009

                                                               Ab durch
     Die Straßenbahn lebt! Jahrzehnte
     lang schienen Tram und Stadtbahn
     dem Auto hoffnungslos unterlegen.
     Doch die Vorzeichen haben sich
     geändert: Sogar in US-Städten wie
     Charlotte oder der texanischen Erd-
     öl-Metropole Houston sind moderne
     Light Rail Systeme erfolgreich.

     D
           er Paradigmenwechsel von der autogerechten
           zur bürgergerechten Stadt ist klar erkennbar:
           Rund um den Globus beleben derzeit über 50
     Kommunen ihre Straßenbahnen neu – oder planen
     überhaupt zum ersten Mal ein Schienennetz. In
     Nordafrika, der Türkei und den Golf-Emiraten wer-
     den Stadtbahnlinien nach europäischem Vorbild
     installiert, in Portugal boomt die Tram ebenso wie
     in Spanien und Frankreich. Selbst im Autoland USA
     stehen Ausbau und Neubau der Netze ganz oben
     auf der Agenda. Dabei haben manche US-Städte
     schon jetzt die besseren Karten: Mehr als 15 Kom-
     munen und Verkehrsverbünde zwischen Pazifik
     und Atlantischem Ozean betreiben bereits Metro-,
     Stadtbahn- und Straßenbahnlinien mit Fahrzeugen
     von Siemens. Allein im Jahr 2008 verzeichneten die
     Betreiber von Stadt- und Schnellbahnsystemen
     durchweg zweistellige Zuwachsraten bei den Fahr-
     gastzahlen.                                               Eine Metro für die Erdöl-Metropole: Houstons Stadtbahn entlastet die

     Houston: Erfolg auf der ganzen Linie                   wurde das Konzept einer weitgehend auf eigener
     Houston in Texas, wo nach 77 Jahren automobiler        Trasse verkehrenden Stadtbahn verabschiedet.
     Vorherrschaft auf der Straße wieder ein schienen-         Im Jahr 2001 begannen die Bauarbeiten, schon
     geführtes Nahverkehrssystem in Betrieb genom-          im Januar 2004 startete der Betrieb. Dazu lieferte
     men wurde, ist eines dieser typischen Beispiele für    Siemens als Marktführer für Stadtbahnen in Nord-
     Erfolg auf der ganzen Linie. Gut zwei Jahrzehnte       amerika nicht nur die 18 Stadtbahnfahrzeuge selbst,
     hatte die Verkehrsgesellschaft Metropolitan Transit    sondern auch die komplette Infrastruktur inklusive
     Authority, kurz „Metro“, bei Politikern und Bürgern    Signal- und Kommunikationstechnik, Stromversor-
     der Vier-Millionen-Stadt für eine neue Tram gewor-     gung und Oberleitungen. Und Siemens besorgte das
     ben: Das zentrale Geschäftsviertel „Downtown“ und      gesamte Projektmanagement aus einer Hand – eine
     der Reliant Park, ein gut besuchtes Sport- und Frei-   Novität in den USA. Damit profitierte Houston einer-
     zeit-Areal, sollten über eine Schienentrasse entlang   seits von langjähriger Erfahrung aus weltweit mehr
     der Main Street verbunden werden. Doch in der          als 40 erfolgreich durchgeführten Turnkey-Projek-
     Erdöl-Stadt Houston standen noch alle Signale auf      ten, andererseits von internationaler Zusammenar-
     Automobil. Dann eine umfangreiche Technologie-         beit in Sachen Technologie. So stammt zwar das
     Studie – und die Wende: Mit Beteiligung der Bürger     Plattformkonzept der Avanto Stadtbahnzüge aus
como 02 | Juni 2009   horizon      13

    die Mitte
                                                                       Rail“ stets gut für stabile Mietpreise. Die stauge-
                                                                       plagte Hauptstraße entwickelte sich zwischenzeit-
                                                                       lich sogar zu einer Art Boulevard: Neu angelegte
                                                                       Grünflächen, Straßenmöblierung und Kunstwerke
                                                                       entlang der Main Street fördern die Umsätze von
                                                                       Restaurants und Cafés.

                                                                       Charlotte: Im „Luchs“ am Stau vorbei
                                                                       Auch in Charlotte, der Wirtschaftsmetropole von
                                                                       North Carolina, wurde die neue Stadtbahn schnell
                                                                       zum Erfolgsmodell. Hier engagierte sich der repu-
                                                                       blikanische Bürgermeister Pat McCrory vor gut drei
                                                                       Jahren so vehement für die Realisierung dieses
                                                                       Nahverkehrsprojekts, dass er sogar seine politische
                                                                       Karriere davon abhängig machte. Sein Credo: Nur
                                                                       ein gutes Nahverkehrskonzept kann die Entwick-
                                                                       lung der Stadt fördern.
                                                                          Schon rund ein Jahrzehnt zuvor hatten die Bürger
                                                                       des gesamten Bezirks Mecklenburg County nach um-
                                                                       fangreichen Studien und öffentlichen Diskussionen
                                                                       einer speziellen Nahverkehrssteuer zugestimmt. Sie
                                                                       sollte die Umsetzung eines Infrastrukuturkonzepts,
                                                                       „2025 Integrated Transit/Land Use Plan“ genannt,
                                                                       finanziell absichern. Mehr Kundenzufriedenheit
                                                                       durch die Erweiterung bestehender Buslinien, bes-
                                                                       seren Service und die Installation der „Lynx“ (latei-
                                                                       nisch für Luchs) genannten schnellen Stadtbahn mit
                                                                       mehr als 33 Kilometer Strecke standen auf dem Pro-
                                                                       gramm. Pure Verschwendung sei das, ereiferten sich
                                                                       jetzt die politischen Gegner des Bürgermeisters!
                                                                          Doch die Vernunft siegte: Im Herbst 2007 nahm
                                                                       Charlotte Area Transit System (CATS), das Ver-
                                                                       kehrsunternehmen der Stadt, die erste Strecke der
Innenstadt und fördert spürbar die wirtschaftliche Entwicklung.        neuen „Lynx Rapid Transit Services“ in Betrieb. Von
                                                                       Stadtmitte und Kongresszentrum führt die gut 15
                                                                       Kilometer lange „Blue Line“ mit 15 Stationen und 7
                  Deutschland, gefertigt werden die Niederflurfahr-    Park-and-Ride-Plätzen nach Süden zur Interstate
                  zeuge unter der Typbezeichnung S70 allerdings im     485, dem äußeren Straßenring um Charlotte. Bis
                  kalifornischen Siemens Werk in Sacramento. Viele     spät in die Nacht befahren 16 Stadtbahnen vom Typ
                  Besonderheiten der Innenausstattung ließen sich      S70 die Strecke im Taktverkehr. Dutzende Buslinien
                  deshalb direkt vor Ort neu konzipieren und abstim-   sind auf den Stadtbahntakt abgestimmt und sorgen
                  men. Beispielsweise die besonders leistungsstarke    dafür, dass Pendler und Bürger in Charlotte schnell
                  Klimatisierung oder die hydraulisch verstellbaren    und staufrei ihr Ziel erreichen.
                  Einstiegsbereiche, die unterschiedliche Bahnsteig-      Und das ist erst der Anfang, denn die zuständige
                  höhen entlang der Strecke ausgleichen und Roll-      Verkehrskommission erweiterte bereits die beste-
                  stuhlfahrern oder Müttern mit Kinderwagen den        hende Planung: Der „Transit Corridor System Plan“
                  niveaugleichen Zugang erlauben.                      sieht bis zum Jahr 2030 fünf radiale Hauptver-
                     Das Konzept ging auf, die Main-Street-Stadt-      kehrsadern vom Zentrum in alle wirtschaftlich
                  bahn Houstons mauserte sich zum echten Wirt-         wichtigen Stadtregionen vor. Kein Wunder, dass die
                  schaftsfaktor. Neue Büros und Geschäfte konzen-      Bürger mit großer Mehrheit die Nahverkehrspolitik
                  trieren sich rund um die Haltestellen, auch bei      von Bürgermeister Pat McCrory unterstützen. Sie
                  Wohnimmobilien ist der Hinweis „Nähe Metro           wählten ihn erneut ins Amt.
14   focus   como 02 | Juni 2009
como 02 | Juni 2009   focus   15

      Drangvolle Enge auf den Straßen,
  Autoschlangen dicht an dicht und atemberau-
 bend schnell wachsende Megacities: Im Zeitraffer-
Tempo erlebt China, das Land des Roten Drachen,
zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Aufbruch in
eine neue Weltordnung. Ist die rasante Urbanisie-
  rung des Landes Ursache oder Folge dieses
  Wandels? In den Metropol-Regionen leben
 bereits rund 115 Millionen Menschen, also fast
10 Prozent der chinesischen Bevölkerung, zu-
sammengedrängt auf nur 50.000 km² Fläche.
 Zugleich sieht sich die einstige Fahrrad-Nation
 mit zunehmenden Mobilitätsansprüchen ihrer
Bürger und der Wirtschaft konfrontiert. Gewaltige
Investitionen in eine moderne Infrastruktur, mit
neuen Verkehrswegen und Transportsystemen
auf der Schiene, der Straße und in der Luft, sollen
den Verkehrsinfarkt verhindern – und werfen
 weitere Fragen auf: Steht eine Urbanisierung
 wie in China vielen westlichen Staaten erst noch
bevor? Mit welchen Mobilitäts-Strategien lässt
 sich der Verkehrskollaps in Großstädten und
 Metropolregionen verhindern? Und wie kann
 Siemens mit integralen Lösungen für die
   Vernetzung verschiedener Verkehrsträger,
umweltfreundlichen Technologien und zu-
  kunftsweisenden Strategien neue Wege weisen?

„Complete mobility“ im
Land des Roten Drachen:
   China im Wandel
16   focus   como 02 | Juni 2009

1                                                                        2

3                                                                                4
                             1 Glitzernde Enge auf Hongkongs Nathan Road:
                               Wie in den boomenden Städten im Osten drängen
                               sich Mensch und Auto auf engstem Raum.
                             2 Modern und aufstrebend: Schanghai bereitet sich
                               auch durch den Ausbau des Metro-Netzes auf die
                               Weltausstellung 2010 vor.
                             3 Kampf dem Stau: In Peking sind jetzt 500 neue
                               Kreuzungsgeräte und ein modernes Verkehrs-
                               managementsystem installiert.
                             4 Vom Bus in die U-Bahn: Seit in Guangzhou 1999
                               die erste Metro-Linie eröffnete, nutzen immer
                               mehr Pendler das staufreie Verkehrsmittel.
                             5 Neuer Komfort im Untergrund: Die Pekinger
                               U-Bahn mit derzeit acht Linien wird in rasantem
                               Tempo modernisiert und erweitert.
                             6 Abheben im großen Stil: Das neue Terminal 3
                               des Flughafens Peking verfügt über eine der
                               modernsten Gepäckförderanlagen weltweit.

5                                                     6
como 02 | Juni 2009   focus      17

C
       hina wird mobil, und das im doppelten Sinn:      men in den Aufbau: Der aktuelle Fünfjahres-Plan von
       Der seit gut zehn Jahren anhaltende wirt-        2006 bis 2010 reserviert rund 350 Milliarden Euro
       schaftliche Aufschwung im Reich der Mitte        für den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, doppelt
hat eine wahre Völkerwanderung in die boomen-           so viel wie in den fünf Jahren zuvor. Wegen der
den Mega-Cities und Wirtschaftsregionen ausge-          weltweit lahmenden Wirtschaft hat die Regierung zu-
löst – und zugleich eine Motorisierungswelle unge-      sätzliche Wirtschaftsförderungsprogramme in Höhe
heuren Ausmaßes. Über 1,3 Milliarden Menschen           von 4 Billionen Yuan aufgelegt, umgerechnet mehr
leben in China, mehr als in Europa und den USA          als 452 Milliarden Euro, die zu gut drei Vierteln in
zusammen, und bis zum Jahr 2030 sollen weitere          Schnellstraßen und Schienenwege, den Neu- und
200 Millionen hinzukommen. Doch die Bevölke-            Ausbau von Flughäfen und andere Maßnahmen zur
rungsdichte ist enorm unterschiedlich: Die meisten      Mobilitäts-Infrastruktur investiert werden.
Menschen leben in den Großstädten und Metropol-            Allein der Sektor Straße wird mit gut 113 Milliar-
regionen an der Küste, im Osten und Südosten des        den Euro zusätzlich gefördert, denn die Fahrradna-
Landes, und auf der Suche nach Business und             tion wandelt sich zum Volk der Autofahrer. Die
Wohlstand kommen täglich mehr hinzu. So hat sich        rasch gewachsene Mittelschicht Chinas, die mit
Schanghai mit rund 19 Millionen Einwohnern im           jährlichen Gehaltssteigerungen von zehn Prozent
Stadtgebiet zum größten chinesischen Ballungs-          und mehr vom Wirtschaftswunder der vergange-

                           „
raum entwickelt, die Hauptstadt Peking, Hongkong        nen Jahre profitieren konnte, leistet sich nun das
und Chongqing folgen gleich dahinter. „Ein Mega-        eigene Auto.
trend, der sich weiter verstärken wird“, weiß Joachim      Noch kann man sie sehen, die Schwärme flinker
Kraege, CEO von Siemens Mobility in China. „Ursache     Radfahrer, die unser europäisches Bild von chinesi-
der rasanten Verstädterung ist der fast unglaub-        scher Mobilität so nachhaltig geprägt haben. Doch
liche wirtschaftliche
Aufschwung der ver-
gangenen Jahre, der
trotz der aktuellen
Weltökonomie-Krise
                                            Chinas Bevölkerung strömt in die
weiter gehen wird. Die                      Boom-Regionen des Ostens – Urba-
Folge ist, dass die In-
frastrukturen dieser                        nisierung im Zeitraffer-Tempo.
Metropolen und ihrer
Umgebung hoffnungs-
los überlastet sind.“
   Die Verkehrswege platzen aus den Nähten:             in den vergangenen drei Jahren stieg die Zahl der
Permanente Staus in den Großstädten, zu wenig           chinesischen Autozulassungen um 60 Prozent,
Transportkapazität in die boomenden Wirtschafts-        allein in der Hauptstadt Peking zählt man täglich
und Handelszentren, die vorhandenen Straßen-            etwa 1.500 neue Fahrzeuge. Dabei besitzen noch
und Schienenverbindungen sind den Anforderun-           immer erst acht von 100 Haushalten einen eigenen
gen nicht mehr gewachsen. Die chinesische Regie-        Wagen. Die Folge: In Peking kommen Autofahrer
rung hat diese Engpässe erkannt und investiert mit      selbst auf achtspurigen Straßen oft nur im Schritt-
vollen Händen, investiert kaum vorstellbare Sum-        tempo voran. Radfahrer rollen zwar auf neu einge-
18           focus   como 02 | Juni 2009

                                                                                                                   1

                                                                            Peking Süd: Der ovale Riesenbau,
                                                                            größter Bahnhof Asiens, ist seit der
                                                                            Eröffnung im August 2008 einer
                                                                            von drei Personenverkehr-Hubs der
                                                                            chinesischen Hauptstadt.

              Einsteigen bitte! Die 24 Bahnsteige                                                2
                 des Südbahnhofs sind für bis zu
                30.000 Fahrgäste pro Stunde aus-
                     gelegt. Von hier startet der
                  „Beijing-Tianjin Express Train“,
                      kurz auch JJ DPL genannt.

3

                                                        Komfort auf Rädern: Dank verbreiterter Wagenkästen
                                                        und Unterflurtechnik bieten die geräumigen Triebzüge
                                                        bis zu 601 komfortable Sitzplätze. LED-Displays in-
                                                        formieren die Fahrgäste auf Englisch und Chinesisch.

                                                        4

Ab nach Süden: Mit Tempo 120 durchquert der Hoch-
geschwindigkeitszug zunächst die Pekinger Vororte wie
Ying Ding Men, rund zwei Kilometer nach dem Start.
como 02 | Juni 2009   focus     23

Auf die Schnelle
D
     ie Premiere ist geglückt: Chinas erste Stre-       den gefer tigt, zwölf davon sind bereits zwi-
     cke für den Hochgeschwindigkeitsverkehr            schen Peking und Tianjin im Einsatz. Und das
     (HGV), 115 Kilometer lang, verbindet die           mit einem vorbildlichen äquivalenten Benzin-
Hauptstadt Peking mit der Hafenstadt Tianjin.           verbrauch von 0,33 Liter pro Person und 100
Das Besondere an diesem Turnkey-Projekt, zu             Kilometer.
dem Siemens neben Signal-, Betriebsleit-,                  Bis 2020 sind etwa 16.000 Kilometer neuer
Kommunikationstechnik, Stromversorgung,                 HGV-Strecken vorgesehen, die weltweit längs-
Oberleitung und Systemintegration das ge-               te mit mehr als 1.300 Kilometern wird die Ver-
samte Projektmanagement beitrug: Nach kaum              bindung zwischen Peking und Schanghai sein.
27 Monaten war alles fertig.                            Für diese Projekte entstehen weitere 100 Züge
  Parallel dazu die Fahrzeugproduktion: Die             vom Typ CRH 3: Sie sollen mit je 16 Wagen für
achtteiligen Velaro CN – in China als CRH 3 be-         1.060 Passagiere und 400 Metern Gesamtlänge
zeichnet – sind reine Triebzüge, deren Antrie-          die längsten HGV-Einzelzüge sein, mit Tempo
be und Technikmodule unterflur über den                 350 fahren und die Strecke Peking–Schanghai
Zug ver teilt sind. Insgesamt 60 Velaro CN wer-         in nur vier Stunden schaffen.

                                                               6    Wie der Wind: Knapp 100 Kilometer
                                                                    der neuen Schnellfahrstrecke sind
                                                                    als feste Betonfahrbahn ausgebildet
                                                                    und erlauben – in Verbindung mit
                                                                    dem erstmals in China eingesetzten
                                                                    europäischen Zugbeeinflussungs-
                                                                    system ETCS Level 1 – eine Maximal-
                                                                    geschwindigkeit von 350 km/h.

                                                  5

                                                                                                                             7
Energieeffizienz: Der Velaro, hier im Yi Zhuang Bahn-
hof, ermöglicht mit seinem elektrischen Brems-                          Willkommen in Tianjin! Nach nur 30 statt 90 Minuten
system eine Rückspeisung der Bremsenergie ins                           erreicht der „Beijing-Tianjin Express Train“ die Hafen-
Netz. Der Effekt: 10 % gesparte Energie und re-                         stadt, die nun, was die Reisezeit angeht, sozusagen
duzierter mechanischer Verschleiß.                                      vor Pekings Haustür liegt.
Mit Highspeed in die Zukunft: Die bis zu 350 km/h schnellen Velaro CN Triebzüge verbinden Peking und
Tianjin schneller und umweltfreundlicher als jedes andere Verkehrsmittel. www.siemens.com/mobility
24           focus   como 02 | Juni 2009

1                                                                                                                             2

4                                                                      1 Großer Bahnhof: Pekings neuer Südbahnhof ist Aus-    5
                                                                         gangspunkt für HGV-Fahrten nach Tianjin.
                                                                       2 Individualverkehr: Radfahrer prägen das westliche
                                                                         Bild von chinesischer Mobilität bis heute.
                                                                       3 Funk-Verkehr in Guangzhou: GPS-Daten der Taxis
                                                                         werden zu Verkehrsinformationen verarbeitet.
                                                                       4 Very British: Die Doppeldecker der Hong Kong Tram-
                                                                         way sind seit dem Jahr 1904 unterwegs.
                                                                       5 Kultur-Betrieb: Auch vor dem Tor des Himmlischen
                                                                         Friedens ist moderne Verkehrsregelung nötig.
                                                                       6 Stark und sparsam: HXD1 Doppellokomotiven ge-
                                                                         winnen beim Bremsen elektrische Energie zurück.

richteten Extraspuren bequem am Stau vorbei,             Maßnahmen also, die nur mit dem raschen Aus-
doch der Smog erschwert das Atmen.                    bau des öffentlichen Nahverkehrs Wirkung zeigen
   Die Regierung handelt. Zur Olympiade im Au-        – und China setzt traditionsgemäß auf die Schie-
gust 2008 wurden sechs zusätzliche Metro-Linien,      ne: Vor mehr als einem Jahrhundert errichtete
ein neuer Großflughafen und eine Bus-Schnellbahn      Siemens in Peking die erste elektrische Trambahn
errichtet. Während der Spiele sperrte man abwech-     (siehe „Tradition im Reich der Mitte“) und war
selnd Fahrzeuge mit geraden oder ungeraden            auch in jüngster Vergangenheit beim Ausbau der
Kennzeichen-Endziffern aus und senkte parallel        U-Bahn- und Metro-Linien gut vertreten. So wurde
dazu die Fahrpreise für Bus und U-Bahn radikal. So    die Pekinger Metro-Linie 10 mit Abzweig zum
waren auf Pekings Straßen täglich rund 1,3 Millio-    Olympiagelände für rund 30 Millionen Euro mit
nen weniger Fahrzeuge unterwegs und die Men-          Signal- und Leittechnik für den automatischen
schen freuten sich über „Blaue Tage“ mit klarem       Fahrbetrieb ausgerüstet. Auch Schanghai will im
Himmel über einer smogfreien Hauptstadt. Heute        Vor feld der Weltausstellung 2010 sein U-Bahn-
ist die strenge Regel etwas gelockert: Je nach Num-   Netz ergänzen, und der Stadtbahn-Boom beginnt
mernschild gilt für jeden Pkw-Halter an einem Tag     erst: In den nächsten Jahren sollen in 15 chinesi-
der Woche ein Fahrverbot.                             schen Städten rund 1.700 Streckenkilometer neu
                                                      entstehen.
                                                         Wer die Strecke von Peking nach Schanghai – im-
China setzt stark auf die Schiene                     merhin gut 1.200 Kilometer Luftlinie – auf der Stra-
In Shenzen dagegen, der erst 25 Jahre jungen Nach-    ße zurücklegen wollte, könnte das mittlerweile auf
barstadt Hongkongs mit bereits 13 Millionen Einwoh-   Autobahnen nach durchaus europäischem Maßstab
nern, sollen die Bürger mit einer Citymaut zum Um-    tun. „Nördlich von Hongkong sind die Fernstraßen
steigen auf Busse und Bahnen bewegt werden.           sogar schon auf Zuwachs angelegt“, weiß Joachim
Kontrollsysteme nach Londoner Vorbild, wo digita-     Kraege. „Je weiter man allerdings in den Westen
le Kameras von Siemens automatisch die Kennzei-       Chinas kommt, desto dünner und schlechter wird
chen in die Low-Emission-Zone einfahrender Autos      das Straßennetz.“ Dabei arbeiten die chinesischen
erfassen, könnten auch in Chinas Metropolen für       Straßenbauer mit immenser Geschwindigkeit. Jähr-
die effektive Durchsetzung sorgen.                    lich werden fast 5.000 Kilometer neuer Autobahnen
como 02 | Juni 2009   focus   25
                                                        3

                                                        6

fertiggestellt. Das Fernstraßennetz umfasst mittler-    zurückgestuft. Ein Alptraum für westliche Spedi-
weile 53.000 Kilometer – vor zehn Jahren waren es       teure, die just in time von China nach Europa lie-
gerade 7.000 Kilometer – und ist bereits jetzt das      fern müssen!“
zweitgrößte der Welt nach dem der Vereinigten              Doch die Investitionen des Fünfjahresplans und
Staaten.                                                des Konjunkturpaketes 2008 sollen die Bahn
                                                        schneller fit machen. Das Ausbautempo ist ähnlich
                                                        hoch wie beim Straßenbau: Bis 2010 sollen rund
Das Ausbautempo ist enorm hoch                          90.000 Kilometer Bahnstrecken zur Verfügung ste-
Zwar schrecken saftige Mautgebühren von rund            hen. Einige Megaprojekte wie die 1.142 Kilometer
5 Euro pro 100 Kilometer vor allem private Auto-        lange, 3,3 Milliarden Euro teure Tibet-Strecke von
fahrer ab und sorgen so für einen akzeptablen Ver-      Qinghai nach Lhasa, auf der wegen der dünnen
kehrsfluss. „Der Gütertransport allerdings bleibt       Höhenluft stets ein Arzt an Bord ist, oder die 115
auf absehbare Zeit ein kaum lösbares Problem“,          Kilometer lange Schnellfahrstrecke zwischen Pe-
gibt Kraege zu bedenken. Das verstopft die Straßen      king und Tianjin (siehe Heftmitte) sind schon in
weiter: „Das Wirtschaftswachstum lässt auch das         Betrieb. Quer durch die Berge des Himalaja sind
Transportvolumen anschwellen. Und rund 70 Pro-          weitere mehr als tausend Kilometer nach Nordwes-
zent der Transporte laufen über die Straße, weil der    ten geplant. Und zwischen Peking und Schanghai,
Lkw eben auch in China billiger und flexibler ist als   Wuhan und Guangzhou sowie Wuhan und Shijaz-
die Bahn.“                                              huang stehen etwa 16.000 Kilometer Hochge-
   Zumal die Schienen-Infrastruktur des Landes          schwindigkeitsstrecken für Spitzengeschwindig-
bisher nicht mit dem Boom mithalten konnte. Den         keiten bis zu 350 km/h auf der Agenda. Die neuen
Eisenbahnen fehlen ausreichend Container-Termi-         Strecken verlaufen meist parallel zu den bestehen-
nals für den Wechsel zwischen Straße und Schiene,       den Gleisen und schaffen dort die dringend erfor-
und auch für den Personenverkehr sind die Stre-         derlichen Kapazitäten für den Güterverkehr.
ckenkapazitäten auf absehbare Zeit viel zu gering.         Dass dabei der Umweltaspekt nicht auf der Strecke
Kraege: „Vor Feiertagen und Wochenenden haben           bleiben muss, zeigen jene 180 HXD1 Elektroloks, die
deshalb Kohletransporte für die Energieproduktion       Siemens gemeinsam mit dem chinesischen Partner
und Personenzüge Vorrang, Containerzüge werden          CSR Zhuzhou Electric Locomotives Company baut.
26      focus   como 02 | Juni 2009

     Die 200 Tonnen schweren, bis zu 120 km/h schnellen
     Doppel-Lokomotiven dienen vorwiegend dem Kohle-
     transport auf der 630 Kilometer langen Bahnstrecke
     zwischen Datong, westlich von Peking, und der Ha-
     fenstadt Qinhuangdao. In Doppeltraktion ziehen sie
     bis zu 20.000 Tonnen schwere Züge. Das Besondere
     daran: „Zur Optimierung der Energieeffizienz sind
     diese Güterzug-Loks mit Energierückspeisung aus-
     gerüstet“, erklärt Kraege. „Während der Talfahrten
     arbeiten die Elektromotoren bremsend als Generato-
     ren, die gewonnene Energie fließt ins System zurück
     und verbessert die Energiebilanz um fast ein Drittel.“
     Damit ergibt sich immerhin eine Energiemenge, mit

„
     der man eine deutsche Stadt mit mehr als 80.000 Ein-
     wohnern ein Jahr lang versorgen könnte.
        Während Chinas Hauptenergieträger Kohle über
     weite Strecken auf der Schiene transportiert wird,
     reisen Hightech-Produkte wie Computer und Bau-
                                                              Schneller am richtigen Koffer: Auf dem Wuhan Airport bringt eine
                                                              RFID-Gepäckmanagementlösung mehr Tempo und Sicherheit.

        Chinas Eisenbahner setzen
        gleichermaßen auf Hoch-                               derungen an eine zuverlässige Infrastruktur“,
                                                              glaubt China-Experte Kraege. „Effizientes Ge -
        geschwindigkeit – und auf                             päck manage ment, leistungsstarke IT-Techno lo-
                                                              gien zur Passagierabfertigung und die an weltweit
        Green mobility.                                       mehr als 1.200 Flughäfen bewährte Befeuerungs-
                                                              technik von Siemens lassen sich zu sammen mit
                                                              Lösungen zur Energieversorgung, der Fluggast-
                                                              Beförderung und der Sicherheitstechnik zu um-
     teile vorzugsweise per Luftfracht. Zwar haben            fassenden Leistungspaketen in Turnkey-Qualität
     Chinas Flughäfen auch beim Frachtgeschäft noch           schnüren.“
     Nachholbedarf, doch hier ist ebenfalls Wachstum in          In Sachen Verkehr wird Chinas Bedarf an zu-
     einem für westliche Verhältnisse schwindelerre-          kunftsweisenden Ideen und effizienten Lösungen
     genden Tempo angesagt: Während beispielsweise            auf Jahre hinaus weiter steigen, prognostiziert
     allein für die neue Landebahn des Frankfurter            Kraege und weist darauf hin, dass auch Chinas
     Flughafens zehn Jahre Vorbereitung nötig waren,          Hochschulen verstärkt auf die sorgfältige Ausbil-
     will China im Rahmen des aktuellen Fünfjahres-           dung eigener Ingenieure setzen. Erst kürzlich
     plans bis zum Jahr 2010 vor allem im wenig er-           schloss die renommierte Tongji-Universität eine
     schlossenen Westen des Landes 44 neue Airports           entsprechende Kooperation mit der TU Graz und
     fertigstellen, zehn weitere wie Peking oder Schang-      mit Siemens. Joachim Kraege: „Es kommt eben
     hai werden ausgebaut.                                    darauf an, neu entstehende Strukturen von
        „Mit Steigerungen von bis zu 30 Prozent beim          Beginn an intelligent miteinander zu verknüp-
     Luftfracht-Aufkommen und zunehmenden Pas-                fen. An ‚Complete mobility‘ führt nun mal kein
     sa gier zahlen wachsen in China auch die Anfor-          Weg vorbei – und China ist bereit.“
como 02 | Juni 2009      focus   27

Tradition im Reich der Mitte
Seit 137 Jahren engagiert sich Siemens für Chinas Infrastruktur

Als Siemens im Jahr 1872 China mit telegrafi-                     Nach der politischen Neuausrichtung der
schen Anlagen versorgte, begann im Reich der                   Volksrepublik China in den Fünfziger Jahren
Mitte das Zeitalter der Telekommunikation. Bald                kamen die Geschäftsbeziehungen fast völlig
galt der Name Siemens in China als Synonym für                 zum Erliegen. Doch gleich nach der Aufnahme
die Modernisierung des Landes.                                 diplomatischer Beziehungen zwischen der Bun-
   1899 lieferte Siemens die erste elektrische                 desrepublik Deutschland und China 1972 konn-
Straßenbahn Chinas nach Peking und baute                       te Siemens die traditionell gute Zusammenar-
gleich noch das – für den Betrieb notwendige –                 beit wieder aufnehmen.
erste Kraftwerk auf chinesischem Boden.                           Heute ist Siemens einer der führenden Infra-
   Die Gründung einer Niederlassung 1904 in                    strukturpartner Chinas – auch im Bereich
Schanghai ebnete den Weg für die Siemens China                 Trans port und Logistik: für Postauto ma ti -
Electrical Engineering Company GmbH, die im Jahr               sierung und Gepäck- und Cargo-Management
1910 aus der Taufe gehoben und 1914 in Siemens                 an Flughäfen, komplette Flugfeldbeleuchtun-
China Co. umbenannt wurde.                                     gen, Parkmanagement-Lösungen, Verkehrsleit-
   Bis Ende der 1930er Jahre baute Siemens zahl-               und -informationssysteme sowie zahlreiche
reiche Kraft werke, elektrifizierte Kohle mi nen,              Schienenverkehrslösungen – von der Betriebs-
Städte und Hafenanlagen, lieferte Zementfabri-                 leittechnik über Bahnelektrifizierung bis hin
ken und Spinnereien, Textilfabriken und Dampf-                 zum rollenden Material.
loko motiven, Telefonsysteme und Kran ken -                       Einige Beispiele urbaner Mobilitätslösungen
häuser und trug so wesentlich zur Verbesserung                 von Siemens sind auf den folgenden Seiten zu
der Infrastruktur bei.                                         sehen.

Elektrisch in die Moderne: Ende des 19. Jahrhunderts installierte Siemens Chinas erste Straßenbahn in der Hauptstadt
Peking (Bild links). Bald folgten Bahnen in weiteren aufstrebenden Städten wie Schanghai (Bild Mitte) und Tianjin.
28             focus    como 02 | Juni 2009

Nanjing, Ostchina
Für die Metro Linie 1 und, ab 2010, auch für die Linie 2
ist Siemens Infrastrukturpartner mit moderner Signal-
und Steuerungstechnik.
    Weil das vorhandene Verkehrsleitsystem den An-
forderungen der 6-Millionen-Stadt nicht mehr ge-
nügt, soll nun ein zentrales Sitraffic Steuersystem
installiert und zunächst 95 Kreuzungen mit speziell
für Wachstumsregionen entwickelten, skalierbaren
Sitraffic MCU-6 Controllern zur Echtzeiterfassung          Abhilfe tut Not: Den stetig wachsenden Straßenverkehr in Nanjing kann die
und -verarbeitung ausgestattet werden.                     bisherige Verkehrsregelungstechnik nicht mehr verkraften.

                        Wuhan, Zentralchina
                        Die Hauptstadt der Provinz Hubei mit 4,2 Millionen          Das 2007 am Wuhan Airport installierte Bag-
                        Einwohnern entstand durch die Zusammenlegung            gage Handling System mit insgesamt acht Sima-
                        der Städte Wuchang, Hankou und Hanyang. Im bis-         tic RFID Baggage Identification Systemen an Stelle
                        her größten Einzelprojekt für Verkehrsmanage-           der sonst üblichen Barcode-Leser nutzt spezielle
                        ment in China wurden hier 426 Kreuzungen neu            RFID Labels. Diese Gepäckanhänger sind mit
                        ausgestattet. Das Turnkey Projekt umfasste unter        einer integrierten Antenne, einem Mikropro-
                        anderem 2.500 Lichtsignale und 426 ST800 Con-           zessor und einem Schreib-Lese-Speicher ausge-
                        troller, die in Echtzeit mit einem zentralen Scoot/     stattet. Weil sich die gespeicherten Daten bei
                        UTC System und zwei Sub-Systemen verbunden              Bedarf aktualisieren oder überschreiben lassen,
Wuhan: Neue Verkehrs-   sind. Zur visuellen Überwachung des Verkehrs-           können die Bag Tags auch mehrfach verwendet
technik gegen Staus.    flusses wurden 35 CCTV-Kameras installiert.             werden.

Guangzhou, Südchina
Für die 18 Kilometer lange U-Bahn-Strecke der Metro
Linie 1, die den Südwesten der Stadt mit der Guang-
zhou East Railway Station verbindet und zum Teil
unter dem Perlfluss verläuft, übernahm Siemens
                                                                                                                           Modernste
1994 in einem Turnkey Projekt die Führung und
                                                                                                                           Technik: Auch
übergab 1998 das komplette System schlüsselfertig.                                                                         in Guangzhou
Für die Metro-Linien 2, 3 und 8 wurden bis heute                                                                           geht der
Signal-, Steuerungs- und Antriebstechnik sowie 40                                                                          Metro-Ausbau
dreiteilige Züge für bis zu 120 km/h geliefert, die                                                                        zügig voran.
Linien 4 und 5 wurden mit dem Automatic Train
Control System Trainguard MT ausgerüstet.                  Service“ genutzt und auf einem Floating-Car-Data-
   Auch bei der neuen, rund 32 Kilometer langen            Server von Siemens so aufbereitet, dass Telekom-
Guangfo-Intercity-Verbindung nach Foshan im Perl-          Anbieter China Mobile Mehrwertdienste mit aktuel-
flussdelta, die bis 2012 fertig sein soll, ist Siemens     len Verkehrsinformationen anbieten kann.
Partner für Signal- und Antriebstechnik.                      Seit Ende 2002 ist das Guangzhou Postsortier-
   Gut 17.000 Taxis der Stadt übermitteln alle 20          und Verteilzentrum in Betrieb. Siemens als Gene-
Sekunden ihre Positions- und Bewegungsdaten via            ralunternehmer war für die Planung, Lieferung
GPS an die Taxizentrale. Im Rahmen eines Pilotpro-         und Installation der elektrischen sowie mechani-
jekts werden diese Daten jetzt auch für das Verkehrs-      schen Ausrüstung und die Steuerungstechnik ver-
informationssystem „Real Time Traffic Information          antwortlich.
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