Langeweile? Hier ist das Gegenmittel: "Leonce und Lena" als Graphic Drama, Künstlerinnenporträts und Berufe auf und hinter der Bühne - Junge ...

 
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Langeweile? Hier ist das Gegenmittel: "Leonce und Lena" als Graphic Drama, Künstlerinnenporträts und Berufe auf und hinter der Bühne - Junge ...
Nr   14   SPIELZEIT 2020/ 21
              14. JAHRGANG

                                   DAS JUNGE T HEAT ERMAGAZIN DER DEUTSCHEN BÜHNE

Langeweile?
Hier ist das Gegenmittel:
 „Leonce und Lena“ als Graphic Drama,
Künstlerinnenporträts und
Berufe auf und hinter der Bühne

                                            Unser Partner
                                               in diesem
                                                    Heft:
                                                  Junges                       Berufe
                                          Schauspielhaus                           am
                   Tänzerin                      Bochum                      Theater:
                Marlúcia do                                                   von der
                    Amaral                                             Schauspielerin
                         im                                                   bis zum
                  Interview                                              Tontechniker
Langeweile? Hier ist das Gegenmittel: "Leonce und Lena" als Graphic Drama, Künstlerinnenporträts und Berufe auf und hinter der Bühne - Junge ...
EDITORIAL
              RUBRIK

                                                    Liebe Theaterbegeisterte,
                                                         Eine Welt ohne Theater? Das ist           Beginns der Corona-Krise hattet. Oder         zusetzen. Leider mussten wir die Anzahl
                                                    möglich, wie wir seit Mitte März 2020          vielleicht auch kleine berührende Thea-       der Hefte für einige Theater, Vereine und
                                                    schmerzlich feststellen mussten. Fast von      termomente. Vielleicht hat die Theaterab-     Schulen reduzieren.
                                                    einem Tag auf den anderen schlossen            stinenz Euch auch besonders deutlich ge-          Wir glauben nach wie vor, dass das
                                                    mitten in der Spielzeit alle Theater. Pro-     macht, was Ihr in der Zeit ohne Theater       Theater eine Zukunft hat – jedenfalls in
                                                    ben wurden eingestellt, manches Projekt        vermisst habt. Oder was das Theater Eurer     einer menschlichen und lebenswerten
                                                    in digitale Welten verlegt. Auch Jugend-       Meinung nach aus dieser seltsamen Situa-      Gesellschaft. Das Spiel wird weitergehen
                                                    clubs waren betroffen. Aber das wisst Ihr      tion lernen kann. Wenn Ihr etwas zu be-       – und wir wollen das mit Euch zusam-
                                                    ja alles selbst. Jeder hat seine eigenen Co-   richten habt, lasst es uns und andere Lese-   men aufmerksam verfolgen.
                                                    rona-Geschichten oder -Dramen erlebt.          rinnen und Leser gerne wissen. Ihr könnt
                                                    Im Heft schildern wir auch die Erfahrun-       dazu auch über unsere Social Media-Kanä-          Eure Redaktion
                                                    gen von Künstlern und Künstlerinnen            le Kontakt mit uns aufnehmen. Über-
                                                    während dieser theater- und gemein-            haupt haben wir unsere Präsenz im Netz
                                                    schaftsfeindlichen Zeit.                       verstärkt. Auf Facebook und Instagram
                                                         Uns interessiert, ob Ihr im Zusam-        streamen wir regelmäßig kurze Filme un-

                       Fotos: Cornelius Gollhardt
                                                    menhang mit Eurem Schultheater, Ju-            serer Videoreporterin Sarah Ritter.
                                                    gendclub oder sonstigen Theaterprojek-              Weiterhin bringen wir einmal im
                                                    ten als Zuschauer, Zuschauerinnen,             Jahr unser Heft heraus. Mit neuem Verlag
                                                    Akteurinnen oder Akteure besonders dra-        und mehr Anzeigen schaffen wir es trotz                                                            03
                                                    matische Erlebnisse während des                Corona und Geldknappheit das Heft fort-                 Elisa Giesecke und Detlev Baur

                                                                                                                                                                                                     JUNGE BÜHNE
                                                          HABT IHR WÜNSCHE, ANREGUNGEN ODER WOLLT KRI T IK ÄUSSERN?
                                                          IMMER GERNE UND BI T T E AN: INFO@DIE-JUNGE-BUEHNE.DE

                                                                                                                    ANZEIGE

02
JUNGE BÜHNE

                                                                                                                          ……    nichtgroß
                                                                                                                               nicht groß, ,nicht
                                                                                                                                             nichtartig
                                                                                                                                                  artig, ,
                                                                                                                                       abergroßartig
                                                                                                                                      aber    großartig. .
                                                                                                                                                                                        Diplomübersetzerin
                                                                                                                                                                                       Diplomübersetzerin
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RUBRIK
         BAYERISCHES
                                                3.- 8.                                                                                                                              INHALT
         THEATER
         BAYERISCHES
         TREFFEN                                3.- 8. J                                                                                                                                                                                                                                     12
         THEATER
         BAYERISCHES
         FÜR                                    3.- 8. J

                                                            ULUI L2UI L2I 2
         TREFFEN
         THEATER
         JUNGES
         FÜR
         TREFFEN
         PUBLIKUM
                                                       J                                                                                                                            Künstler in der Corona-Zwangspause
                                                                                                                                                                                    Gespräche mit einer jungen Regisseurin, einem Schauspieler
                                                                                                                                                                                    und einem Improtheaterspieler
                                                                                                                                                                                                                                                      → 08                                   TÄNZERIN
                                                                                                                                                                                                                                                                                             MARLÚCIA DO
         JUNGES                                                                                                                                                                                                                                                                              AMARAL IM
         FÜR                                                                                                                                                                        „Ich bin nicht der Schwanen-Typ“
                                                                                                                                                                                    Interview mit Tänzerin Marlúcia do Amaral
                                                                                                                                                                                                                                                      → 12
                                                                                                                                                                                                                                                                                             INTERVIEW

                                                                     020120121
         PUBLIKUM
         JUNGES
         PUBLIKUM                                                                                                                                                                   Einleitung : Das Junge Schauspielhaus Bochum                      → 18
                                                                                                                                                                                                                                                               PARTNER: JUNGES
                                                                                                                                                                                    Von peinlichen Aufwärmübungen…                                    → 20     SCHAUSPIELHAUS BOCHUM
                                                                                                                                                                                    Die 14-jährige Matilda Ortu über ihre „Bande“ am Schauspielhaus

                                                                                                                                                                                    Die Schauspielerin Jing Xiang                                     → 22
                                                                                                                                                                                    Besuch bei einem Ensemblemitglied am Schauspielhaus

                                                                                                                                                                                    Mehrgenerationenprojekt über Sexualität                           → 26
                                                                                                                                                                                    Gespräch nach einer vorerst verhinderten Premiere

                                                                                                                                                                                    „Der Hamiltonkomplex“                                             → 28
                                                                                                                                                                                    Persönliche Notizen einer Mitspielerin zu Szenenfotos

                                                                                                                                                                                    Foto: „Der Hamiltonkomplex“ am Schauspielhaus Bochum

                                                                                                                                                                                    Was wurde aus…
                                                                                                                                                                                    der Tanzelevin Eva Holland-Nell von der Stuttgarter John-
                                                                                                                                                                                    Cranko-Schule, über die wir vor fünf Jahren berichtetet hatten
                                                                                                                                                                                                                                                      → 32
                                                                                                                                                                                                                                                                             38
                                                                                                                                                                                    Poster                                                            → 36     BERUFE AM

                                                                                 Fotos (von oben nach unten): Gert Weigelt, Fred Debrock, JU_Bochum, Patrick Bannwart (Zeichnung)
                                                                                                                                                                                    Neue Reihe: Theaterberufe                                         → 38       THEATER
                                                                                                                                                                                    - Requisiteurin                                                                  Schauspielerin Sandra
                                                                                                                                                                                    - Theaterfotografin                                                                  Hüller als Hamlet
                                                                                                                                                                                    - Tontechniker
                                                                                                                                                                                    - Schauspielerin

                                                                                                                                                                                                                                                                                             46
                                                                                                                                                                                    Graphic Drama: „Leonce und Lena“                                  → 46
         Stadttheater                                                                                                                                                               Mit Textauszügen aus Georg Büchners Drama
                                                                                                                                                                                    und Zeichnungen von Patrick Bannwart
         Ingolstadt
         Stadttheater                                                                                                                                                               Bilderrätsel                                                      → 59
                                                                                                                                                                                                                                                                                             GRAPHIC
         Ingolstadt
         Stadttheater
                                                                                                                                                                                    Foto-Opernführer
                                                                                                                                                                                    Ludwig van Beethovens Oper „Fidelio“ in Bild und Text
                                                                                                                                                                                                                                                      → 60
                                                                                                                                                                                                                                                                                             DRAMA
         Ingolstadt     #suedwindfestival   www.theater.ingolstadt.de                                                                                                               Oberammer-GAU                                                     → 66                                   „LEONCE       05

                                                                                                                                                                                                                                                                                                           JUNGE BÜHNE
                                                                                                                                                                                    Reportage über hochprofessionelles Laientheater,
                                                                                                                                                                                    das in diesem Jahr der Epidemie zum Opfer fiel                                                           UND LENA“
                        #suedwindfestival   www.theater.ingolstadt.de                                                                                                               Nachgefragt                                                       → 70
                                                                                                                                                                                    Bei Regisseurin Leonie Böhm                                              DAS MAGAZIN FÜR T HEAT ERBEGEIST ERT E
                        #suedwindfestival   www.theater.ingolstadt.de                                                                                                                                                                                        AB 14 JAHREN WWW.JUNGE-BÜHNE.DE
Langeweile? Hier ist das Gegenmittel: "Leonce und Lena" als Graphic Drama, Künstlerinnenporträts und Berufe auf und hinter der Bühne - Junge ...
RUBRIK            Junges Theater                                                            Spielzeit
                                Regensburg                                                                 2017/18                                                        WÜRDEST DU DEINEN BERUF
                                                                                                                                                                            WEITEREMPFEHLEN?
              Premieren 2020/21                                                                                       IMPRESSUM
                                                                                                                      Herausgeber:

              Satelliten am Nachthimmel [10+]                                                                         Deutscher Bühnenverein
                                                                                                                      Bundesverband der
              von Kristofer Blindheim Grønskag \ Premiere 3.10.2020 im Jungen Theater                                 Theater und Orchester
                                                                                                                      www.buehnenverein.de

              Die Bremer Stadtmusikanten [6+]                                                                         Redaktion:
                                                                                                                      Die Deutsche Bühne                                 C AT H R I N RO S E               PAT R I CK B A N N W A RT           L AU R E N Z L AU F E N B E RG
              von den Brüdern Grimm in einer Bearbeitung von Robin Telfer \ Premiere in Planung im Velodrom           (verantw.: Detlef Brandenburg)
                                                                                                                                                                          Dra matu rgin                      Bü hne nbildne r                        Schauspieler
                                                                                                                      www.junge-bühne.de

              Punk is not Dad! [13+]                                                                                  Dr. Detlev Baur, Elisa Giesecke
                                                                                                                      Redaktionelle Beratung:                     „Mein Beruf ist abwechslungs-            „Wenn du kreativ schöpfen            „Na klar! Weil man immer
              Eine musikalische Stückentwicklung zu „Die Verwandlung“ von Franz Kafka                                 Andreas Möller                               reich und spannend, ich kann        möchtest und andere von deinen          wieder in neue Themen und
                                                                                                                      Schlussredaktion: Hannah Schmidt,           ihn nur empfehlen. Als Drama-        Ideen begeistern kannst in einem     Geschichten eintaucht und dabei
              Premiere in Planung für Februar 2021 im Jungen Theater
                                                                                                                      Vera Scory-Engels
                                                                                                                                                                turgin hat man mit allen Beteilig-     ständig wechselnden Arbeitsum-        die verschiedensten Menschen

              Patricks Trick [9+]                                                                                     Art Direktion:                             ten eines Theaterstückes zu tun,              feld und Arbeitsort;         und vielleicht auch ein bisschen
                                                                                                                      Almut Moritz                               bringt Ideen ein, diskutiert, sitzt    wenn du Lust hast, den Beruf als      sich selber kennenlernt. Aber
              von Kristo Šagor \ Premiere in Planung für April 2021 im Jungen Theater                                                                                 auf Proben (die schönsten            lebenslange Ausbildung zu          nicht nur auf einer intellektu-
                                                                                                                      Verlag, Druck & Anzeigen:                     Stunden des Tages), schreibt         verstehen, in der bildnerische      ellen Ebene, sondern spielend.

              Nein! Nein! Nein! [3+]
                                                                                                                      SP Medienservice, Köln
                                                                                                                                                                    Texte für das Programmheft,            Erzählweisen immer wieder          Und dieses „Spielen“ in allen
                                                                                                                      Dank an: Anja Falentin und die Anna           spricht mit der Presse, sucht         hinterfragt und neu erfunden          möglichen Formen, dieses
              Uraufführung \ Eine Stückentwicklung des Jungen Theaters zum Thema Wut                                  Freud Schule Köln                            Fotos aus für die Internetseite,              werden müssen;               So-tun-als-ob, macht einfach
              Premiere in Planung für Juni 2021 im Jungen Theater                                                                                                  postet auf Instagram über den         wenn du gerne zurückgezogen                      Spaß.
                                                                                                                      Hinweis: In allen Texten versuchen wir,    Probenverlauf und liest Unmen-          im Atelier, aber auch gerne im      Hinzu kommt das Unmittelbare

              Und jetzt alle! [14+]
                                                                                                                      alle Geschlechter gleichermaßen zu
                                                                                                                                                                gen an Büchern, Theaterstücken,         Verbund mit anderen Künstlern,       des Augenblicks, hier und jetzt
                                                                                                                      berücksichtigen. Aus stilistischen
                                                                                                                      Gründen sind nicht alle Texte              Gedichten, Fachartikeln usw. Ich         Technikern und Handwerkern          zusammen zu sein, in einem
              Uraufführung \ Eine Stückentwicklung des Jugendclubs                                                                                                glaube, für mich war noch kein                     arbeitest;                  Raum mit den anderen
                                                                                                                      konsequent gegendert.
              Premiere in Planung für Juli 2021 im Jungen Theater                                                                                                 Tag wie der andere und ich bin          wenn du es aushältst nicht zu      Spieler*innen und dem Publi-
                                                                                                                      Titelbild:                                 schon sehr lange Dramaturgin!“         wissen, ob und wo du im näch-       kum. Diese Erfahrung ist einfach
                                                                                                                      Patrick Bannwart (Zeichnung),
                                                                                                                                                                     Cathrin Rose ist Leiterin des            sten Jahr Arbeit hast;              jedes Mal einzigartig.“
              Wiederaufnahmen                                                                                         Anika Freytag (Graphik), Gert Weigelt
                                                                                                                                                                    Jungen Schachauspielhauses            wenn du gerne reist und das         Mehr zu Laurenz Laufenberg
                                                                                                                      (Foto links), Martin Steffen (Mitte),
                                                                                                                                                                  Bochum, siehe dazu Seite 18-31         Unterwegssein dein zweites zu                  ab Seite 8
              Geh ein Stück … Geheimnisse am Bismarckplatz [8+]                                                       JU_Bochum
                                                                                                                                                                                                                    Hause ist;
              Ein Audiowalk des Jungen Theaters Regensburg \ Wiederaufnahme 20.9.2020 auf dem Bismarckplatz
                                                                                                                                                                                                       wenn du Bühnenbildner nicht als
              Das verrückte Wohnzimmer [5+]                                                                                                                                                                        Beruf siehst,
                                                                                                                                                                                                          dann werde ich dir den Beruf
              von Vincent Lagasse \ Wiederaufnahme am 22.10.2020 im Jungen Theater
                                                                                                                                                                                                        Bühnenbildner*in empfehlen.“
              Gold! [4+]                                                                                                                                                                               Patrick Bannwart hat das Graphic
                                                                                                                                                                                                          Drama ab Seite 46 gezeichnet
              Kinderoper von Leonard Evers \ Wiederaufnahme am 11.11.2020 im Jungen Theater

              Die Brüder Löwenherz [11+]
                                                                                                                                                                        ALMUT MORIT Z                                                           SA R A H H E P P E K AU S E N
              von Astrid Lindgren, Bühnenfassung von Christian Schönfelder
                                                                                                                                                                         Graphiker in                                                                 J o u rna list i n
              Wiederaufnahme in Planung im Jungen Theater
                                                                                                                                                                   „Ich empfehle meinen Beruf             „Nun … einerseits ja, auf jeden Fall, denn über Theater und
              Das schaffen wir! Oder: Einer hat die Absicht eine Mauer zu bauen. [14+]                                                                          all denen, die kreativ, kritikfähig      Tanz zu schreiben ist einer der schönsten und bereicherndsten
              Uraufführung von Maria Milisavljevic \ Wiederaufnahme in Planung im Jungen Theater
06                                                                                                                     DAS MAGAZIN                               und kommunikativ sind, sich in         Berufe, die ich mir vorstellen kann – weil man spannende Men-           07
                                                                                                                       FÜR T HEAT ER-                           andere Denkweisen und Vorstel-            schen und deren Sicht auf die Welt kennenlernt und weil die

                                                                                                                                                                                                                                                                                JUNGE BÜHNE
JUNGE BÜHNE

                                                                                                                                                                 lungen hineinversetzen mögen           Arbeit immer auch eine Auseinandersetzung mit der Gesellschaft
                                                                                                                       BEGEIST ERT E AB                            und gern das Resultat ihrer           bedeutet. Andererseits… ach, egal, rosige Zeiten sind es für die
                                                                                                                       14 JAHREN                                  Arbeit in den Händen halten.“                                wenigsten Berufe.“
               www.theaterregensburg.de                                                                                WWW.JUNGE-                                  Almut Moritz hat dieses Heft                 Sarah Heppekausen hat die Bochum-Seiten (18-31)
                                                                                                                       BÜHNE.DE                                              gestaltet                                         redaktionell betreut
Langeweile? Hier ist das Gegenmittel: "Leonce und Lena" als Graphic Drama, Künstlerinnenporträts und Berufe auf und hinter der Bühne - Junge ...
CORONA UND T HEAT ER

              Künstler in der Zwangspause – Eine Chronologie
                    Eine junge Regieassistentin, ein Schauspieler
                   mit weltweiten Auftritten und der Gründer einer                                                                                                                                                                                                                                        Anna Berndt, 28, Berlin, kam über ein

                 Improtheatergruppe erzählen, wie sie den Lockdown
                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Schulpraktikum zum Theater und arbeitete
                                                                                                                                                                                                                                                                                                      dreieinhalb Jahre als Regieassistentin und

                  erlebt haben. Zweimal sprach Redakteurin Sophie
                                                                                                                                                                                                                                                                                                      später auch Regisseurin am Deutschen Theater,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                      wo sie unter anderem „Am Boden” inszenierte

                      Vondung mit den drei Theaterschaffenden:
                                                                                                                                                                                                                                                                                                      (Szenenbild unten mit Anja Schneider vorne)

                    kurz nachdem die Pandemie den Kulturbetrieb
                   auf Null gesetzt hatte – und zwei Monate später

                                        Jakob Zietsch, 29, München, ist Hobby-Schauspieler und hat vor neun Jahren die
                                     Improtheatergruppe SchlAGVertig gegründet. Mit dem Improvisieren fing er an, weil
                                     er einen Ausgleich zu seinem wenig kreativen Maschinenbau-Studium suchte

                                                                                                                         Foros: Schlagfertig (linke Seite), Jake Paul (Porträt Zietsch), Robert Paul Kothe (Porträt Laufenberg), Gian Marco Bresadola
                                                                                                                         (Szenenbild MItte), Noel Richter (Porträt Berndt), Arno Declair (Szenenbild rechts)

08                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  09
JUNGE BÜHNE

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    JUNGE BÜHNE
                                                                                                                                                                                                                                                           Laurenz Laufenberg, 30, Berlin, spielt
                                                                                                                                                                                                                                                        seit sechs Jahren an der Schaubühne und
                                                                                                                                                                                                                                                        reiste mit dem Ensemble schon um die ganze
                                                                                                                                                                                                                                                        Welt. Das Foto zeigt ihn mit Marie Burchard
                                                                                                                                                                                                                                                        in „Ungeduld des Herzens“ von 2015
Langeweile? Hier ist das Gegenmittel: "Leonce und Lena" als Graphic Drama, Künstlerinnenporträts und Berufe auf und hinter der Bühne - Junge ...
CORONA UND T HEAT ER

               T EXT: SOPHIE VONDUNG                            mung fehlt im Stream dann doch. „Da           gleich mit dem Corona-Ausbruch, ihr Ver-                       wir jetzt was für Menschen mit Sehbeein-        deobearbeitungskurs junge Berlinerinnen
               ---------------------------                      kommt überhaupt nichts rüber“, meint Ja-      trag endete. Da war sie erstmal ratlos.                        trächtigung“, erzählt Jakob. Beim Hörspiel      interviewt. Von Ideenfindung über Drehen
                                                                kob.                                          „Jetzt als frische Regisseurin irgendwo                        gibt es zusätzlich zu den Spielenden einen      bis zum Schneiden lernte sie, einen eige-
                                                                                                              reinzukommen ist natürlich schwierig.“                         Erzähler, und es wird mehr beschrieben als      nen Kurzfilm zu produzieren. „Das war
                         Anfang April...                             „Klickzahlen und ein paar nette Nach-    Sie will die Zeit nutzen, um nachzuholen,                      gezeigt. Auch hier ist alles improvisiert.      eine sehr kreative Arbeit“, freut sie sich. Bei
                    Als wir zum ersten Mal sprechen, feilt      richten sind nichts gegen das Gefühl, wenn    was im Leben liegengeblieben ist und                           „Unser Improtheater wird nie so gut sein        welchem Projekt sie die neuen Fähigkeiten
               Jakob Zietsch an seinem Livestream-For-          du auf der Bühne stehst und Applaus be-       zum Beispiel politisch tätig werden oder                       wie ein geskriptetes Hörspiel oder ein The-     dann einsetzen kann, wird sich zeigen.
               mat. Der Hobby-Schauspieler hat eine Im-         kommst“, meint auch Schauspieler Lau-         sich ihren vielfältigen Hobbies widmen.                        aterstück, aber der Zauber ist eben, dass es
               protheatergruppe gegründet, die jetzt nicht      renz Laufenberg. Deshalb kann Strea-          Für die Übergangszeit hat Anna sich ar-                        in dem Moment entsteht.“                            Die Sehnsucht nach Theater ist also
               mehr auftreten kann. Stattdessen mode-           ming-Theater seiner Meinung nach auch         beitssuchend gemeldet und nimmt für die                                                                        groß. Und: So schwer es für die Theater-                      SOPHIE VONDUNG
               riert Jakob Anfang April seinen ersten Im-       nur eine Phase sein. „Da hat man den Th-      nächsten drei Monate an einer Weiterbil-                            Bei Laurenz gibt es aufregende Neuig-      schaffenden ist, die neue Situation kann
               pro-Stream. Die Spielenden sitzen dabei          rill nicht so.“ Für ihn war der Lockdown      dung teil, in der sie Videobearbeitung                         keiten: Er hat kürzlich erfahren, dass er in    man auch als Chance sehen. Denn sie ha-             Die Autorin dieses Artikels studiert in
               zuhause vor ihren Kameras und die Zu-            eine Vollbremsung. Mit dem Ensemble der       lernt. Gleichzeitig arbeitet sie an einem                      „Michael Kohlhaas“ von Heinrich von             ben Lust, neue digitale Formate zu entde-         Berlin Englisch und Publizistik und schreibt
               schauer*innen können über die Kommen-            Schaubühne spielte er in Tokyo, New York      eigenen Stück. Das soll möglichst aus dem                      Kleist besetzt ist, das im Dezember Premie-     cken. Und die werden auch dann ge-                        nebenbei über Literatur und
               tarspalte Ideen einwerfen. Der Anfang ist        und Paris. 20 Stücke im Monat war das         Leben gegriffen sein, statt aus der theatra-                   re feiern soll. Dafür probt er jetzt jeden      braucht, wenn sich der Theaterbetrieb              Theater. Außerdem betreut sie die Social
               noch etwas holprig. Jakob begrüßt die Zu-        durchschnittliche Pensum. „Das hat mein       len Blase heraus, sagt sie. „Eine Bühne zu                     Freitag über Zoom, im September sollen          wieder normalisiert hat.                              Media-Kanäle der JUNGEN BÜHNE.
               schauenden euphorisch, dann hält er inne.        Leben dominiert“ erzählt Laurenz. Dann        bekommen und damit pro Abend hun-                              dann auch die richtigen Proben losgehen.
               „Ich höre mich doppelt, das ist total irritie-   kam Corona und plötzlich ist das alles weg-   derte Menschen zu erreichen, ist ein un-                       „Das ist total schön, dass man da jetzt eine
               rend.“ Seine Augen wandern suchend über          gebrochen. Die ersten Wochen war er wie       fassbares Privileg.“ Und das will sie nutzen.                  Perspektive hat, eine neue Aufgabe”, freut
               den Bildschirm. Der zweite Stream läuft          paralysiert. Erst jetzt wacht er so langsam                                                                  sich Laurenz. Seit unserem letzten Ge-
               schon glatter. „Was sollte man bei einer         wieder auf, nimmt sich Zeit fürs Lesen oder                                                                  spräch war er außerdem in einer niederlän-
               Apokalypse dabeihaben?“, fragt die Mode-         lange Telefonate. Seit Anfang April ist er        ...zwei Monate später                                      dischen Webserie zu Gast. „Anfangs war
                                                                                                                                                                                                                                                                                 ANZEIGE

               ratorin. „Seife!“, „Klopapier!“, kommen-         nun in Kurzarbeit. Nur zuhause zu sein             Als wir zum zweiten Mal sprechen, be-                     ich skeptisch, aber die Serie ist eine coole
               tiert das praktisch veranlagte Publikum.         und kaum Leute zu treffen fällt ihm schwer,   ginnt sich das gesellschaftliche Leben lang-                   Idee“, meint er. Mittlerweile hat er sich
               Auch die Spielenden sind pragmatisch.            aber er ist sich auch seines Privilegs be-    sam zu normalisieren. Kontaktsperren sind                      neuen Formaten mehr geöffnet, anstatt
  10
               Wenn sie nicht in der Szene sind, kleben sie     wusst, meint er. Denn er bekommt weiter-      weitgehend aufgehoben, vereinzelte Thea-                       wie bisher am traditionellen Theater fest-
 JUNGE BÜHNE

               einfach Zettel über ihre Kamera. Impro ist       hin fast sein volles Gehalt.                  ter spielen wieder vor wenig Publikum                          zuhalten und die Einschränkungen ein-
               für Jakob eine Lebenseinstellung: „Man                                                         oder im Freien. Jakobs Improgruppe arbei-                      fach auszuhalten. Ihm geht es vor allem
               passt sich an die Umgebung an, geht auch             Diesbezüglich hatte Anna Berndt we-       tet an einem neuen Online-Hörspiel. „Es                        um die Frage: Wie kann man wieder spie-
               mal ein Risiko ein und dadurch ergibt sich       niger Glück. Sie war Regieassistentin am      gab schon länger den Plan, unsere Auftritte                    len? Gerade hat der Berliner Kultursenator
               vielleicht was Spannendes.“ Aber die Stim-       Deutschen Theater, als im März dann, zeit-    inklusiver zu gestalten. Deshalb machen                        angekündigt, Schauspieler*innen ähnlich
                                                                                                                                                                             wie in der Bundesliga vermehrt zu testen.
                                                                                                                                                                             „Ich bin gespannt, ob wir uns wieder auf
                                                                                                                                                                             der Bühne begegnen können in der nächs-
                                                                                                                                                                             ten Spielzeit. Ich würd’s mir sehr, sehr wün-
                                                                               ANZEIGE
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                                            SCHAU
                                                                                                                                                                                   Auch Anna wartet auf die nächste
                                                                                                                                                                             Spielzeit. Dann will sie durch die deutsch-
                                                                                                                                                                             sprachige Theaterlandschaft reisen und
                                                                                                                                                                             sich Gedanken über ihre berufliche Zu-

                                            SPIELER*IN
                                                                                                                                                                             kunft machen. „Ich habe das Gefühl, alle
                                                                                                                                                                             Theater sind jetzt erstmal damit beschäf-
                                                                                                                                                                             tigt, ihre Stücke Corona-tauglich zu ma-
                                                                                                                                                                             chen oder zu planen, wie es danach weiter-
                                                                                                                                                                             geht“, meint Anna. Dass der Theaterbetrieb
                                                                                                                                                                                                                                                      Bär im Universum                          URAUFFÜHRUNG                    11

                                            WERDEN
                                                                                                                                                                                                                                                                                                13. September 2020

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              JUNGE BÜHNE
                                                                                                                                                                             so langsam wieder anrollt, findet sie wich-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                für alle ab 5 Jahren
                                                                                                                                                                             tig. „Die Sehnsucht, wieder Theater zu se-
                                                                                                                                                                             hen, ist gewachsen“, meint sie. Das sei ein
                                                                                                                                                              Foro: Privat

                                                                                                                                                                             Zeichen dafür, dass Theater gebraucht wird.                                                                        staatstheaterkassel
                                                                                                                                                                             In der Zwischenzeit hat Anna für ihren Vi-

Anmelden bis 15. Oktober 2020 hkb.bfh.ch/theater-schauspiel Anmelden bis 15. Oktober 2020 hkb.bfh.ch/theater-schauspiel
Langeweile? Hier ist das Gegenmittel: "Leonce und Lena" als Graphic Drama, Künstlerinnenporträts und Berufe auf und hinter der Bühne - Junge ...
INT ERVIEW

                                                                                                     Marlúcia zeigt immer wieder,
                                                                                                  dass sie nicht die typische klas-
                                                                                                  sische Ballerina ist. Links ist sie
                                                                                                  in Martin Schläpfers „Obelicso“

              »Ich bin nicht der
                                                                                                  zu sehen, rechts zusammen mit
                                                                                                  Bogdan Nicula in „7“, jeweils am
                                                                                                  Ballett am Rhein Düsseldorf

               Schwanen-Typ«

                                                          Marlúcia do Amaral ist eine Ausnahmeerscheinung unter den
                                                          klassischen Ballerinen. Letztes Jahr wurde sie für ihre heraus-
                                                          ragende tänzerische Leistung mit dem Deutschen Theaterpreis
 12
                                                          DER FAUST ausgezeichnet. Im Interview spricht sie auch über                    13

                                                         Corona, aber vor allem davon, wie stark ihr Leben mit dem Tanz
JUNGE BÜHNE

                                                                                                                                        JUNGE BÜHNE
                                   Fotos: Gert Weigelt

                                                            verwoben ist und was es heute bedeutet, Tänzerin zu sein.
Langeweile? Hier ist das Gegenmittel: "Leonce und Lena" als Graphic Drama, Künstlerinnenporträts und Berufe auf und hinter der Bühne - Junge ...
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                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           HELDEN*/HELDINNEN*
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               Eine theatrale Stadtraumbespielung

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          EVENT
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                von John Clancy I: Peter Kesten

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        DIENSTAGS BEI KAUFLAND
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             von Emmanuel Darley I: Kathrin Mädler

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        IN DER DÄMMERUNG (DSE)
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           von Zinnie Harris I: Ingrid Gündisch
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   DON QUIJOTE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        nach Miguel de Cervantes I: Anne Verena Freybott
                 Marlúcia in „Roses of Shadow“, bei der FAUST-Verleihung
              2019, in „Petite messe solennelle“, beim Zoom-Interview mit
              der JUNGEN BÜHNE und in „Ein deutsches Requiem“ (v.l.n.r.)
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              THE EXITEERS (UA)
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              von Maya Arad Yasur I: Sapir Heller

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 BILDER DEINER
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 GROSSEN LIEBE

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              ANZEIGE
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              INT ERVIEW: ELISA GIESECKE                                    Leben. Als Tänzer*in ist es natürlich nicht   Überdenkt man in so einer Situation                                                                                                    » Als Balletttänzer*in ist                     zen würde, ich bin nicht der Schwanen-Typ.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         DIE FÜSSE IM FEUER (UA)
              ---------------------------                                   einfach. Einen Tag vor der Premiere des       die eigene Beziehung zum Tanz noch                                                                                                                                                    Aber Martin Schläpfer hat die Vision,
                                                                            neuen Programms von Martin Schläpfer          einmal?                                                                                                                                man sehr auf sich selbst                       wenn du ein wahrer Künstler bist, kannst                       Balladen & Songs I: Kathrin Mädler
                                                                            (Martin Schläpfer war bis zum Ende der             Auf jeden Fall. Als Balletttänzer*in ist                                                                                         fokussiert, alles dreht sich                    du tanzen. Das Äußere spielt dann keine
              Wie würdest du deine Verbindung                               Spielzeit 2019/2020 Ballettdirektor am        man sehr auf sich selbst fokussiert, alles
                                                                                                                                                                                                                                                                     um das Tanzen. «
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Rolle.                                                            LÜGNERIN (UA)
              zum Ballett beschreiben? Was bedeu-                           Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg;         dreht sich um das Tanzen. Die jetzige Situ-                                                                                                                                           Die Staatliche Ballettschule Berlin                     nach Ayelet Gundar-Goshen I: Niko Elefetheriadis
              tet Tanzen für dich?                                          Anm. d. Red.) wurde sie abgesagt. Wir wa-     ation hat uns ein wenig die Augen geöff-                                                                                                                                              steht wegen ihrer angeblich harten
                   Ich tanze seit ich drei Jahre alt bin.                   ren im ersten Moment verzweifelt, weil        net. Es geht um Humanität, um Leben,                                                                                                                                                  Ausbildungsmethoden, auch verbun-                             SZENEN EINER EHE
              Tanz ist alles, er ist mein Leben, aber Tanz                  wir so viel Arbeit hinein gesteckt haben.     um das Miteinander – das ist viel wichti-                                                                                             Lehrerin, dass ich großes Talent hätte. Ich     den mit körperlicher Gewalt, stark in                        nach Ingmar Bergman I: Max Claessen
              kann auch Nichts sein. Letztendlich geht                      Aber wenn ich weiß, dass es meiner Fami-      ger.                                                                                                                                  bin zwar klein, aber ich bin extrem beweg-      der Kritik…
              es für mich darum, Künstlerin zu sein,
              denn Kunst bedeutet Leben. Einen Alltag
                                                                            lie gut geht, ist das alles nicht mehr so
                                                                            schlimm. Was ist schon eine Premiere?
                                                                                                                          Du hast letztes Jahr den Deutschen
                                                                                                                          Theaterpreis DER FAUST für Odette in
                                                                                                                                                                                                                                                                lich. Damals sagte man mir, du bist so gut,
                                                                                                                                                                                                                                                                du kannst es schaffen, Solistin zu werden,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Das ist verrückt. Ich habe das selbst
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                nie so erlebt, weder während meiner Aus-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        DIE KUNST DER KOMÖDIE
              ohne Tanz kann ich mir nicht vorstellen,                      (lacht)                                       „Schwanensee“ bekommen. In deiner                                                                                                     wenn du hart trainierst. Tust du das nicht,     bildung auf Kuba noch in der Joffrey Bal-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            von Eduardo de Filippo I: Oliver D. Endreß
              er wäre gar nicht möglich. Ich brauche ihn                    Hattet ihr überhaupt die Möglichkeit,         Dankesrede hast du den Preis den                                                                                                      schaffst du es nicht.                           let School in New York. Es war zwar sehr
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    LAMPEDUSA

                                                                                                                                                                          Fotos: Gert Weigelt (Tanzbilder), Oliver Kern, Elisa Giesecke (kleines Porträtbild)
              physisch und mental, er ist Teil meiner                       zu trainieren?                                Tänzer*innen gewidmet, „die viel-                                                                                                     Gab es auch Zeiten, in denen du                 anstrengend, aber die Trainer*innen sind
              Seele. Ich habe erst kürzlich versucht, ein-                       Ballett ist etwas sehr Physisches. Wir   leicht nicht groß sind oder nicht den                                                                                                 aufgeben wolltest?                              immer respektvoll mit uns umgegangen.                    von Anders Lustgarten I: Magdalena Schönfeld
              fach mal nichts zu machen, auf dem Sofa                       müssen jeden Tag trainieren, um auf ei-       richtigen Körper haben für den Tanz                                                                                                        Ja. Es war eine sehr harte Zeit, die mit   Ich denke, so etwas kann passieren, wenn
              zu liegen, Schokolade zu essen – nach ei-                     nem bestimmen Niveau zu bleiben. Das          – aber dafür ein unbestreitbares Licht                                                                                                viel Stress verbunden war. Manchmal war         der künstlerische Aspekt vergessen wird,                        IN EINEM TIEFEN
              ner Woche hatte ich genug (lacht).                            war jetzt natürlich nicht möglich. Wir ha-    in sich tragen“. Du selbst bist nicht die                                                                                             mir das alles zu viel. Aber natürlich habe      wenn es nur noch um hohe Beine geht,                            DUNKLEN WALD
              Wie erging es dir in den letzten                              ben erst Anfang Mai begonnen, zu sechst       typische klassische Ballerina mit                                                                                                     ich mich dann wieder zusammengerissen,          darum möglichst viele Pirouetten zu dre-                Familienstück nach Paul Maar I: Julia Dina Heße
              Monaten? Was bedeutet die Corona-                             wieder zu trainieren, in einem sehr gro-      langen Armen und Beinen. Hattest du                                                                                                   weil ich das Tanzen so sehr geliebt habe.       hen und möglichst dünn zu sein.
              krise für dich als Tänzerin?                                  ßen Studio mit zwei bis drei Metern Ab-       als jugendliche Tänzerin trotzdem                                                                                                     Aber es war von Anfang an klar, dass es         In Zeiten von Metoo, Diversität und                       IPHIGENIE AUF TAURIS
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                  Meine Gedanken sind natürlich bei                         stand zwischen uns. Außerdem durften          schon das Selbstbewusstsein, dass du                                                                                                  kein leichter Weg werden würde. Ich hatte       Selbstbestimmung – passt Ballett da                     von Johann Wolfgang von Goethe I: Gregor Tureček
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  15
              den Menschen, die mir nahestehen. Ich                         wir nur eineinhalb Stunden pro Tag trai-      es bis an die Spitze schaffen wirst?                                                                                                  aber auch immer wieder das Glück, große         noch hinein? Ist das Ausbildungssys-
JUNGE BÜHNE

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    JUNGE BÜHNE
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                tem noch legitim?
              glaube, dass so etwas Extremes wie diese
              Situation, die wir alle weltweit durchle-
                                                                            nieren, das ist für uns nur ein Warm up,
                                                                            also eigentlich gar nichts. Normalerweise
                                                                                                                              Ich habe zunächst nicht gemerkt, dass
                                                                                                                          ich nicht die typische Ballerina bin. Ich
                                                                                                                                                                                                                                                                Künstler*innen zu treffen, die mir beige-
                                                                                                                                                                                                                                                                bracht haben, dass das Äußere eigentlich             Natürlich sind Lehrpläne und be-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                DIE LABORANTIN
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 von Ella Road I: Robert Teufel
              ben, vielleicht einmal notwendig war, um                      benötigen wir mindestens drei Trai-           habe das Tanzen einfach geliebt. Erst auf                                                                                             gar nicht wichtig ist. Ich hätte zum Bei-       stimmte Trainingsmethoden an den Bal-
              wieder zu sich zu finden und zu überle-                       nings-Stunden pro Tag. Von daher hat uns      Kuba, wo ich meine professionelle Ausbil-                                                                                             spiel nie gedacht, dass ich mit meiner Phy-     lettschulen wichtig, aber die Schulen soll-                 37. Bayerische Theatertage
              gen, was eigentlich wirklich wichtig ist im                   die Krise schon sehr getroffen.               dung absolviert habe, sagte mir meine                                                                                                 siognomie einmal in „Schwanensee“ tan-          ten nicht vergessen, dass sie mit Menschen                   vom 12. bis 23. Mai 2021
Langeweile? Hier ist das Gegenmittel: "Leonce und Lena" als Graphic Drama, Künstlerinnenporträts und Berufe auf und hinter der Bühne - Junge ...
INT ERVIEW                                                                                                                                                                                                                                                                                              INT ERVIEW

              umgehen und nicht mit Material. Das               man etwas und man kann diesen Moment                 meiner Kolleg*innen hatten diese Chance                                      Ich bin nicht sicher, ob das gut oder           M A R LÚ C I A D O A M A R A L
              Ballettsystem kann Tänzer*innen sehr viel         nicht wiederholen, jede Vorstellung ist an-          nie. Dadurch fehlt ihnen natürlich eine                                 schlecht ist. Aber vielleicht hat das auch
              Angst einflößen, weil es Druck ausübt             ders. Und genau das ist es, was Tanzen so            wichtige Erfahrung.                                                     mit unserer globalisierten Welt zu tun,            Die Brasilianerin Marlúcia do Amaral studierte
              nach dem Motto: Wenn du das nicht                 besonders macht. Es hat wirklich etwas               Haben es junge Tänzer*innen heute                                       auch mit den Sozialen Medien. Jeder Tän-           an der National School of Ballet Havanna, der
              schaffst, wirst du auch keinen Erfolg als         Magisches.                                           schwerer als zu deiner Zeit, was die                                    zer kann inzwischen ein Solist auf Youtu-          Joffrey Ballet School New York sowie an der
              Tänzer*in haben.                                  Auf den Bühnen sieht man immer                       Anforderungen angeht?                                                   be sein. Ich finde, das ist eine Banalisie-        Akademie des Tanzes Mannheim. Im Jahr 2000
              Ballett heißt immer auch Verzicht. Wie            weniger klassische Ballette. Ist die Zeit                 Ja, das glaube ich. Ich weiß nicht, ob                             rung dessen, was es heißt, ein großer              engagierte Martin Schläpfer sie in sein ballett-
              gehst du damit um?                                dafür einfach vorbei?                                ich mit meiner Physiognomie heute die-                                  Solotänzer zu sein. Jetzt sieht man in vie-        mainz, wo sie nicht nur in fast allen seinen
                                                                                                                                                                                                                                                Stücken mit eigens für sie kreierten Rollen zu
                   Das ist eine Tatsache. Aber wenn man              Zum einen hat das natürlich ökono-              selben Chancen hätte wie vor zwanzig Jah-                               len großen klassischen Compagnien wun-
                                                                                                                                                                                                                                                erleben war, sondern auch zahlreiche Choreogra-
              wirklich professionell tanzen möchte, ist         mische Gründe, denn große klassische Bal-            ren. Wie gesagt, es dreht sich zu viel um                               derschöne Tänzer*innen, die aussehen wie
                                                                                                                                                                                                                                                phien anderer bedeutender Choreograph*innen
              das leider der Weg. Physisch und emotio-          lette wie „Les Sylphides“, „Nussknacker“,            den perfekten Körper. Ich glaube, daher ist                             Models. Das ist eine bestimmte Ästhetik,           tanzte. Bis zum Ende der Spielzeit 2019/2020 war
              nal ist Ballett eine große Herausforderung        „Don Quijote“ usw. kosten sehr viel Geld.            es sehr wichtig, dass man als junger Tänzer                             von der ich nicht überzeugt bin. Sie zeigt         sie Mitglied des Balletts am Rhein, wo sie in
              für den Körper, das heißt, nach fünf Stun-        Zum anderen sollten die großen alten Bal-            oder Tänzerin ein Gespür für sich selbst                                nicht die Vielfalt der Menschen in unserer         zahlreichen Hauptpartien Hans van Manens und
              den Training habe ich gar nicht mehr das          lette eigentlich von Künstler*innen ge-              entwickelt und dass man lernt, glücklich                                Gesellschaft und der Welt. Es ist die Suche        Martin Schläpfers zu erleben war.
              Bedürfnis, auf eine Party zu gehen (lacht).       tanzt werden, die eine Geschichte erzäh-             zu sein, auch wenn es mit der Profikarriere                             nach dem vermeintlich perfekten Tänzer,            Marlúcia do Amaral gewann u.a. die Buenos
              Der Tanz gibt mir so viel zurück, dass ich        len können, dann wären sie vielleicht                nicht klappt. Man sollte sich nicht zu sehr                             aber das ist meines Erachtens ein Rück-            Aires International Competition, die Silberme-
              das auch gar nicht brauche.                       auch wieder für das Publikum interessant.            abhängig machen von dem Wunsch, Tän-                                    schritt. Wir sollten schon weiter sein.            daille beim Tanzwettbewerb für junge Talente
              Ballett ist Hochleistungssport. Ohne              In den modernen Choreografien werden                 zer*in zu werden. Man sollte alles dafür                                Welchen Rat gibst du Jugendlichen,                 des Conseil International de la Danse Paris der
              Verletzungen verläuft eine Tänzerkar-             häufig Bewegungen aneinander gereiht,                geben, aber man sollte auch Zeit haben,                                 die Tänzer werden wollen?                          UNESCO, den Kritikerpreis Prêmio Acorianos als        E L I SA G I E S E C KE
                                                                                                                                                                                                                                                „Beste Tänzerin des Jahres 1997“ und wurde
              riere selten. Was ist am Ballett so               die keine echte Bedeutung haben. Wir                 jung zu sein, ins Kino gehen, auf Partys etc.                                Sie sollen unbedingt auf ihr Herz hö-
                                                                                                                                                                                                                                                mehrfach in Kritikerumfragen als „herausra-
 16           besonders, dass man dafür Qualen in               dürfen aber nicht vergessen, dass der Ur-            Du bist hierzulande noch eine der                                       ren. Wenn sie spüren, dass der Tanz sie
                                                                                                                                                                                                                                                gende Tänzerin“ genannt.2019 erhielt sie den
                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die Autorin dieses
              Kauf nimmt?                                       sprung unseres heutigen, modernen Bal-               wenigen Primaballerinen. In den                                         glücklich macht, egal wie schwer es auch           Deutschen Theaterpreis DER FAUST für ihre Rolle    Interviews ist Redakteu-
JUNGE BÜHNE

                  Man kann das nicht wirklich überset-          letts in den klassischen Balletten liegt, ei-        modernen Ensembles ragen einzelne                                       sein mag, weniger Zeit für Freunde und             in „Schwanensee“ an der Deutschen Oper am            rin beim Deutschen
              zen. Dahinter stehen so intime und indi-          ner künstlerisch und erzählerisch sehr               Tänzer*innen kaum noch heraus. Es                                       Familie zu haben, dann sind sie auf dem            Rhein. Derzeit schreibt Marlúcia ihre Master-      Bühnenverein und u. a.
              viduelle Gründe. Vielleicht kann man das          reichen Zeit. Ich habe das Glück, klassisch          scheint fast, als spiele der individuelle                               richtigen Weg. Und sie sollten wissen: Bal-        Arbeit in Tanzpädagogik an der Palucca Hoch-       mitverantwortlich für die
              mit einer Geburt vergleichen. Jedes Mal,          ausgebildet zu sein und auch in klassi-              Tänzer keine große Rolle mehr.                                          letttänzer*in zu sein ist wunderbar, aber es       schule für Tanz Dresden.                                JUNGE BÜHNE.
              wenn man auf der Bühne steht, kreiert             schen Balletten getanzt zu haben. Einige             Bedauerst du das?                                                       ist auch ein zerbrechliches Glück.

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                                          STAATSKAPELLE WEIMAR

                                          DER SATANARCHÄOLÜGENIALKOHÖLLISCHE                             MONGOS
                                          WUNSCHPUNSCH                                                   28.4.2021 12+
                                          24.10.2020 6+                                                  Schauspiel von Sergej Gößner
                                          Familienoper von Elisabeth Naske nach Michael Ende             Regie: Bastian Heidenreich
                                          Musikalische Leitung: Katharina Müllner · Regie: Clara Kalus
                                                                                                         DER ENTFESSELTE WOTAN ODER
                                                                                                                                                             www.nationaltheater-weimar.de

                                          DIE VERWANDLUNG                                                WO IST HIER DIE ORIENTIERUNG?
                                          24.11.2020 14+                                                 5.6.202114+                                                                                     Freie Bühne
                                                                                                                                                                                                       München/FBM e.V.
                                                                                                                                                                                                                                            DIE NASHÖRNER                                                 Theater-Workshops
                                          Schauspiel nach Franz Kafka                                    Eine Produktion des Jungen DNT mit Jugendlichen
                                                                                                         nach Ernst Toller · Regie: Angelika Andrzejewski
                                                                                                                                                                                                                                                   von Eugène Ionesco                                  Schauspiel-Ausbildung        17
                                          Regie: Juliane Kann
                                                                                                                                                                                                                                                  eine Inszenierung im digitalen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Theaterproduktionen

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   JUNGE BÜHNE
                                          DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA                                 MAREIKE SPINNT                                                                                                                                       Raum
                                          16.4.2021 14+                                                  13. & 14.6.2021 6+
                                          Schauspiel von Ulrich Plenzdorf                                Eine musikalische Geschichte gegen die Angst                                                                                   Live-Stream am 9. und 10. Oktober                                  inklusive Projekte
                                                                                                         von Philipp Matthias Kaufmann                                                                                                  jeweils um 20:00 Uhr
                                          Regie: Brigitte Dethier                                                                                                                                      Das erste inklusive              auf
                                                                                                                                                                                                        Theater Bayerns                 www.youtube.com/freiebuehnemuenchen                        www.freiebuehnemuenchen.de
Langeweile? Hier ist das Gegenmittel: "Leonce und Lena" als Graphic Drama, Künstlerinnenporträts und Berufe auf und hinter der Bühne - Junge ...
Partnertheater

                                                                                                                                                                    In diesem Jahr                                                                                 T EXT: SARAH HEPPEKAUSEN

                                                                                                                                                                    kooperierte die JUNGE
                                                                                                                                                                                                                                                                   ---------------------------------------

                                                                                                                                                                    BÜHNE mit dem Jungen
                                                                                                                                                                                                                                                                        „Bildet Banden!“ – feuert das Junge Schauspielhaus
                                                                                                                                                                                                                                                                   Bochum an. Das klingt irgendwie wild, anarchisch, ein

                                                                                                                                                                    Schauspielhaus Bochum.
                                                                                                                                                                                                                                                                   bisschen nach Mutprobe, nach verbotenen Handlungen
                                                                                                                                                                                                                                                                   und nach echtem Zusammenhalt. Banden heißen am Bo-

                                                                                                                                                                    Unter der Leitung der
                                                                                                                                                                                                                                                                   chumer Schauspielhaus die Theatergruppen für Kinder
                                                                                                                                                                                                                                                                   und Jugendliche. In der Spielzeit 2019/20 gab es acht die-

                                                                                                                                                                    Kulturjournalistin Sarah
                                                                                                                                                                                                                                                                   ser Banden, darunter nicht nur Schauspielgruppen, son-

                               »BANDEN«
                                                                                                                                                                                                                                                                   dern auch Tanz-, Musik- und sogar Figurentheaterban-

                                                                                                                                                                    Heppekausen erarbeiteten
                                                                                                                                                                                                                                                                   den. Thematisch ging es auch um Soziale Kunst oder
                                                                                                                                                                                                                                                                   Politik. In der neuen Spielzeit wird es vorerst nur Mi-

                                                                                                                                                                    Jugendliche aus dem
                                                                                                                                                                                                                                                                   ni-Banden mit vier, fünf Teilnehmer*innen geben, um
                                                                                                                                                                                                                                                                   Abstandsregelungen und Kontaktbeschränkungen ein-

                                                                                                                                                                    Umfeld des Theaters
                                                                                                                                                                                                                                                                   halten zu können. So oder so, das Junge Schauspielhaus

                              AM THEATER
                                                                                                                                                                                                                                                                   arbeitet spartenübergreifend. Denn „das Stadttheater ist

                                                                                                                                                                    vier Artikel über eine
                                                                                                                                                                                                                                                                   ein Kulturort“, sagt Cathrin Rose. Sie arbeitet seit Beginn
                                                                                                                                                                                                                                                                   der Intendanz von Johan Simons 2018 als Dramaturgin

                                                                                                                                                                    Bochumer „Bande“,
                                                                                                                                                                                                                                                                   am Schauspielhaus Bochum und leitet das Junge Schau-
                                                                                                                                                                                                                                                                   spielhaus. „Im Theater gibt es immer mehr und unter-

                                                                                                                                                                    über die Schauspielerin
                                                                                                                                                                                                                                                                   schiedliche künstlerische Eindrücke“, erklärt sie.

                                                                                                                                                                    Jing Xiang, über ein
                                                                                                                                                                                                                                                                       Das ganz Eigene der jungen Generation, es liegt Ca-
                                                                                                                                                                                                                                                                   thrin Rose am Herzen. Und ihre Stimmen sollen sie in

                                                                                                                                                                    Mehrgenerationenprojekt
                                                                                                                                                                                                                                                                   Zukunft noch stärker einbringen können. Das Junge
                                                                                                                                                                                                                                                                   Schauspielhaus bekommt mit der Zeche nicht nur eine ei-

                                                                                                                                                                    und die Inszenierung
                                                                                                                                                                                                                                                                   gene Spielstätte – das Theaterrevier –, geplant ist auch
                                                                                                                                                                                                                                                                   eine „Drama Control“, eine Art Aufsichtsrat aus zwölf

                                                                                                                                                                                                         Fotos: Elisabeth Schmitt (Porträt Clara Werdin), privat
                                                                                                                                                                    „Hamiltonkomplex“
                                                                                                                                                                                                                                                                   jungen Mitgliedern im Alter von 5 bis 25 Jahren, die ihr
                                                                                                                                                                                                                                                                   Bestimmungsrecht bekommen. Räume zu schaffen, in

                                                                                                                                                                                                         (weitere Porträts), Martin Steffen (Gebäude)
                                                                                                                                                                                                                                                                   denen die Jungen ernst genommen werden, darum geht
                                                                                                                                                                                                                                                                   es Cathrin Rose auch beim Bühnenprogramm des Jungen
                                                                                                                                                                                                                                                                   Schauspielhauses. Da kreischen, tanzen, verführen und
                                                                                                                                                                                                                                                                   verstören dann zum Beispiel 13 furchtlose 13-jährige
                                                                                                                                                                                                                                                                   Mädchen im „Hamiltonkomplex“ von Lies Pauwels und
                                                                                                                                                                                                                                                                   erzählen so in einer unheimlich berührenden Perfor-
                                                                                                                                                                                                                                                                   mance vom Noch-Kindsein und Schon-Erwachsenwer-
                                                                                                                                                                                                                                                                   den. Da lassen Gina Haller und Jing Xiang in „2069 – das
                                                                                                                                                                                                                                                                   Ende der Anderen“ (Regie: Julia Wissert) Utopisches ent-
                      M AT I L D A O RT U                 CL A R A W E R D I N                 PA S C A L U L R I C H          DARIA ANNA HALANDER                   SA R A H H E P P E K A U S E N                                                                stehen und herkömmliche Ideen von „deutschem“ Aus-
                                                                                                                                                                                                                                                                   sehen alt aussehen. Oder Menschen der älteren Genera-
                 geboren 2005, geht auf die        ist 1998 in Ostwestfalen geboren.   geboren 1999, hat sein Freiwilliges   ist 2005 geboren und geht in die    geboren 1978, studierte Philosophie,                                                              tion berichten intime Details aus ihrem Leben („All the
 18                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               19
              Hibernia Waldorfschule in Herne.    Sie studiert Angewandte Literatur-    Soziales Jahr im Schauspielhaus        neunte Klasse. Als „Precious“    Theaterwissenschaft und Germanistik                                                                Sex I’ve Ever Had“). Gutes Kinder- und Jugendtheater
JUNGE BÜHNE

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 JUNGE BÜHNE
              Sie schreibt selbst Theaterstücke    und Kulturwissenschaften, Sozio-     Bochum gemacht. Plan: Studium          stand sie zum ersten Mal auf     in Bochum. Arbeitet als freie Autorin,                                                             habe keine vierte Wand gegenüber dem Publikum, sagt
              und ist seit 2016 Bandenmitglied    logie und Journalistik in Dortmund        der Theaterwissenschaft             einer großen Theaterbühne            Theater- und Tanzkritikerin                                                                   Cathrin Rose. Da werden theatralische Gesetzmäßigkei-
                                                                                                                                                                                                                                                                   ten auch mal außer Kraft gesetzt und Gefühle direkt ins
               THEATER IST MEHR ALS EINE          PORTRÄT DER SCHAUSPIELERIN            EIN MEHRGENERATIONENPRO-             PERSÖNLICHE ERINNERUNG AN               GESAMTREDAKTION UND                                                                           Publikum übertragen. Ein bisschen mehr Anarchie
                 AUFFÜHRUNG, SEITE 20                 JING XIANG, SEITE 22             JEKT ÜBER SEXUALITÄT, SEITE 26        „HAMILTONKOMPLEX“, SEITE 28              EINLEITUNG, SEITE 19                                                                         eben, wie bei den Banden.
VON PEINLICHEN                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  PART NERT HEAT ER

              AUFWÄRMÜBUNGEN
              UND
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     schlimmer, zu husten und sich vor allen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     zu blamieren. Es ist ein Risiko, das wir ge-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     meinsam bewältigen, und es kostet Über-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     windung. Es sind Augenblicke, die sich ins

              GLÜCKSGEFÜHLEN
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Hirn zu dem Begriff Theater einbrennen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     In diesem Fall ist es nicht „nur“ Theater,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     an dieser Stelle ist Theater zu „mehr“ ge-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     worden: zu neuen Eindrücken, neuen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Freundschaften, neuen Blickwinkeln aufs
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Leben. Kunstproduktion produziert
         Die 14-jährige Matilda Ortu ist                                                                                                                                                                                                                                                                                             Glücksgefühle. Und diese Zeit ist uns
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     wichtig. Ohne diese fehlt etwas.
         ein echtes Theaterkind. Seit 2016
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Die Wochen „Corona-Ferien“ haben
         spielt sie in der Bande „Everyone“                                                                                                                                                                                                                                                                                          bei uns allen eingeschlagen wie eine Bom-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     be. Keine Schule, gut, aber auch keine Aus-
         am Schauspielhaus Bochum. Die                                                                                                                                                                                                                                                                                               zeit, kein Ausgehen mit Freunden, keine
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Treffen, keine Konzerte, nichts. Keine
         Corona-bedingte Zwangspause                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Kunst, kein Theater. Natürlich machte das
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     allen zu schaffen, und eben auch uns Thea-
         hat sie zum Nachdenken darüber                                                                                                                                                                                                                                                                                              terjugendlichen. Ich meine, allein vor dem
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Spiegel stehen und den Text durchgehen,
         gebracht, was Theater eigentlich                                                                                                                                                                                                                                                         Matilda Ortu im
                                                                                                                                                                                                                                                                                              Spiel (rechts) und die
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     lernen, künstlich zu weinen, die merkwür-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     digste Mimik für die Rolle ausprobieren,
         für sie bedeutet                                                                                                                                                                                                                                                                     Bande „Everyone“
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     den Spiegel zusammenschreien, nun das ist
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     es jetzt auch nicht so richtig. Denn – es fehlt
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     die Gruppe. Das zwischenzeitliche Stoppen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     und Kritikpunkte, die vermutlich berech-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     tigt sind, einen aber zum Augen-Verdrehen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     zwingen, die unterschiedlichen Eindrücke,
                                                            chen zu spielen und eine eigene kleine          einem vorgegebenen Stück, andere sind                                                                                       oft mit uns über Themen, die uns aktuell    und versuchen, uns im anderen Licht zu           das Lachen bei Texthängern und die Impro-
                                                            Bühne schaffen. Ich spiele dieses Jahr in der   selbst geschrieben. Da sind die Momente,                                                                                    beschäftigen. Einiges setzen wir dann       zeigen. Wenn wir Szenen mitgestalten oder        visationen, die locker aus dem Ärmel ge-
                                                            Schauspiel-Bandengruppe „Everyone“ mit,         bei denen man dem Schulalltag entflieht,                                                                                    künstlerisch um. Einmal sollten wir zum     gar Texte selbst schreiben, ist das Ergebnis     schüttelt kommen. Auf andere Menschen
                                                            die schon letztes Jahr ein Stück in der Zeche   da sind die Proben, die Aufwärmübungen,                                                                                     Beispiel Sätze verfassen, die vorgegebene   fast genau so verrückt wie diese bunt zu-        reagieren zu können, das fehlt, und das ist
                       T EXT: MAT ILDA ORTU                 aufgeführt hat.                                 bei denen man das Gesicht verzieht, das                                                                                     Stichwörter wie „Wünsche“ oder „Zerstö-     sammengewürfelte Gruppe. Trotzdem neh-           beim Theater wichtig. Die Menschen, die

                                                                                                                                                            Fotos: Junges Schuauspielhaus (Gruppe), Julian Guttzeit, privat (Porträt)
              ---------------------------------------                                                       Gestalten der Rolle, die merkwürdigen                                                                                       rung“ umschreiben, und diese spielerisch    men wir diese Ideen auf. Oft entwerfen wir       zusammen spielen, bilden das Theater. Wir,
                                                                 Wir alle verbinden etwas anderes mit       Ideen, die dann tatsächlich irgendwie um-                                                                                   vortragen. Wir führen auch Diskussions-     auch eigene Rollen und die sind meistens         die Banden, die Everyones, spielen erst rich-
                   Theater. Ein roter Vorhang, Schein-      Theater, aber es gibt etwas, das alle Thea-     gesetzt werden.                                                                                                             runden über Politik, Zukunft und unser      vom Charakter her so unterschiedlich, dass       tig zusammen, wenn alle dabei sind. Erst,
              werferlicht. Faszinierende Geschichten,       tergruppen gemeinsam haben, und für                                                                                                                                         heutiges Leben und sammeln unsere ver-      es fast schon komisch ist, wie aus diesen auf-   wenn alle das Risiko freiwillig eingehen, auf
              Nachdenken, Lachen. Theater ist ein Ort       uns Banden kommt es auf diese Dinge an.              Aber ist es nur das Theater, das uns zu-                                                                               schiedenen Eindrücke, um Inspirationen      einanderprallenden Figuren eine Geschich-        der Bühne zu stolpern, den Einsatz zu ver-
              zum Zusehen, zum Spielen, ein Ort zum         Wenn ich an Theater und die Banden den-         sammenbringt? Sind es nur das Textlernen                                                                                    für unser Stück zu finden. Manchmal tau-    te und unser Stück entstehen kann.               passen oder sogar niesen zu müssen, erst
              Entdecken des Körpers. Theater bedeutet       ke, kommen mir da das Lachen zwischen           und das Risiko auf eine Bühne zu gehen,                                                                                     schen wir uns aber auch nur entspannt                                                        dann funktioniert das Stück, egal, ob da ir-
              für jeden etwas anderes. Hier treffen ver-    den Probepausen und das Verteilen von           die uns zusammenschweißen? Manche fra-                                                                                      über alltägliche Dinge aus. Susanne und           Und dann, nach Monaten Übungen,            gendwelche Kunsttalente sind oder nicht.
              schiedene Menschen zusammen, manche           Süßigkeiten in den Sinn, die Ungewissheit       gen sich vielleicht sogar, warum Kinder                                                                                     Kübra machen zu Beginn der Stunde mit       Nachdenkzeit und Proben, folgt der Auf-          Egal, ob das eine Mädchen stottert oder der
20                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      21
              schlüpfen in Rollen, andere schreiben Stü-    vor dem Eintreten in einen Raum – ist das       und Jugendliche sich diese anstrengenden                                                                                    uns Aufwärmübungen, bei denen man           tritt. Vier, fünf Tage, an denen uns der Ner-    andere Junge sich nicht traut, vor anderen
JUNGE BÜHNE

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       JUNGE BÜHNE
              cke, manche kritisieren. Für manche ist       auch wirklich der richtige? – als auch neue     Intensivproben überhaupt antun. Bringt                                                                                      am liebsten im Boden versinken würde,       venkitzel die Nacht davor wach gehalten          laut zu sprechen, egal, ob da Menschen
              Theater auch nur irgendeine Bühne, auf        Bekanntschaften und alte Freundesgrup-          Theater, bringt Kunst nicht noch viel mehr                                                                                  und bringen uns dadurch zum Lachen.         hat – oder, bei den gelassenen Menschen,         sind, die schnell wütend werden oder sich
              der Menschen alte Dichter zitieren. Und       pen: eine Theaterfamilie. Jeden Mittwoch        als das Endergebnis der Kunstproduktion                                                                                     Wir sollen versuchen, wie eine Prinzessin   die ich bewundere, auch nicht. Nun braut         nicht gerne in ihrem Körper präsentieren.
              dann gibt es da Theaterkinder, die sich un-   sehe ich die gleichen Menschen und gehe         selbst? Susanne Scheffler und Kübra Sekin,                                                                                  zu schreiten, wie ein Wal zu schwimmen,     sich alles zusammen: das Risiko den Text         Wir sind eine Bande und wir spielen ein
              tereinander mal kritisieren, selbst versu-    die gleichen Szenen durch, manche von           die Leitenden unserer Gruppe, sprechen                                                                                      lernen, uns auf eine Szene vorzubereiten    zu vergessen, zu stolpern oder, noch             Stück.
PART NERT HEAT ER

              SCHOKOKUCHEN
              ZUM APPLAUS
                                 Jing Xiangs Arbeitstag beginnt in der Regel
                                 um zehn und endet um 22 Uhr. Die 27-Jährige
                                 ist Schauspielerin am Schauspielhaus Bochum.
                                 Jede Theaterproduktion ist für sie wie
                                 eine Achterbahnfahrt mit Höhen und Tiefen

                                                                „Ein klassischer Probentag beginnt         soll, steht auf der Probebühne eine Er-
                                                           um zehn Uhr“, sagt Jing. „Um 14 Uhr hat         satz-Wendeltreppe, die nicht ganz so schön
                                                           man eine große Pause, bevor es um 18 Uhr        aussieht.
                        T EXT: CLARA WERDIN                weitergeht.“ Feierabend ist dann um 22
                                                                                                                                                                                                                                Jing Xiang im leeren
               ---------------------------------------     Uhr. Aber so richtig feste Arbeitszeiten,            Jing mag es, wenn sie bei den Proben
                                                                                                                                                                                                                            Bochumer Schauspielhaus
                                                           wie Büroangestellte oder Lehrer*innen,          aktiv an der Entwicklung der Inszenierung                                                                        wärhrend der Corona-
                                                           hat Jing als Schauspielerin nicht. Die Pro-     mitwirken kann. Wenn sie zum Beispiel                                                                            Zwangspause. Die Fotos
                   Normalerweise hätten wir Jing Xiang     benzeiten ändern sich von Inszenierung          Vorschläge zu ihrer Rolle, zu möglichen Be-                                                                      hat ihre Ensemblekollegin,
              an ihrem Arbeitsplatz getroffen: im          zu Inszenierung. Deshalb müssen Schau-          wegungen oder Handlungen machen kann.                                                                            die Schauspielerin Anne
              Schauspielhaus Bochum – auf der Probe-       spieler*innen sehr flexibel sein. Jings Lieb-   Manche Regisseur*innen geben den Schau-                                                                          Rietmeijer für uns gemacht
                                                                                                                                                         Fotos: Anne Rietmeijer, Elisabeth Schmitt (Porträt Clara Werdin)
              bühne zum Beispiel oder in der Maske.        lingsmodell ist die Probe von 10 bis 18         spielenden sogar „Hausaufgaben“ auf. „Ein-
              Zurzeit ist das Theater aber weitgehend      Uhr, so hat sie noch den ganzen Abend           mal mussten wir bei einer Stückentwick-
              menschenleer und statt auf der Bühne         frei. Wobei sie dann noch Texte lernen          lung Monologe aus der Sicht einer Vagina
              spielt Jing Xiang in Zeiten von Corona,      oder sich anderweitig auf die Probe am          schreiben“, erzählt Jing und lacht.
              wenn überhaupt, nur in ihrer Wohnung,        nächsten Tag vorbereiten muss. Die Pro-
              um Clips für das Online-Videoprojekt         benphase für ein Stück am Schauspiel-               „In der Endprobenphase wird dann
              „#Homestories“ des Schauspielhauses zu       haus Bochum dauert in der Regel sechs           auf der richtigen Bühne gearbeitet“, sagt
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              drehen. Für das Interview treffen wir sie    Wochen. In der ersten Zeit treffen sich alle    Jing. Und zwar mit allem Drum und
JUNGE BÜHNE

              deshalb genau da an: in ihrer Wohnung,       Beteiligten in einem Proberaum und              Dran: mit Kostümen, Maske, Bühnenbild,
              über Videochat. Von Wohnzimmer zu            noch nicht auf der Bühne. Statt der Kulisse     Licht und Technik. Vorher werde sozusa-
              Wohnzimmer erzählt die gebürtige Ber-        gibt es dort sogenannte Prototypen. Wenn        gen die Sahnetorte gebacken, die Kostü-
              linerin, wie ihr Alltag als Schauspielerin   es im fertigen Bühnenbild zum Beispiel          me und die Kulisse setzten der Inszenie-
              aussieht, wenn es keine Pandemie gibt.       eine schöne blaue Wendeltreppe geben            rung dann die Kirsche auf. Manchmal
JOiN –

                                                                                                                                                                Gestaltung: studiocollect.de
              PART NERT HEAT ER
                                                                                                                                                                                                                                     JUNGE OPER IM NORD

                                                                                                                                                                                                                                     Foyerkonzerte im              Weitere Produktionen
                                                                                                                                                                                                                                     Foyer des JOiN                für Kinder ab 6 Jahren und
                                                                                                                                                                                                                                     für Kinder von 3 bis 6 Jahren ihre Familien:

                                                                                                                                                                                                                                     Die Grille und die Ameise            Das Dschungelbuch

              werden für Jing extra Kostüme angefer-            Es ist ja quasi der Geburtstag des Stückes“,   nervös. Aufregung sei aber auch wichtig:                                                                              Das kleine Ich-bin-ich               Gold
              tigt. Das sei ein besonderes Gefühl: „Mein        sagt die Schauspielerin.                       „Das bewahrt mich davor, träge zu werden.“
              letztes Kostüm war ein Ganzkörperanzug,                                                                                                                                                                                Das Ding aus dem                     Nikolaus-Parcours
                                                                                                                    In den Pausen der Vorstellungen sitzt
                                                                                                                                                                                                                                     Klangsumpf
              der mit lauter glitzernden Pailletten be-              Bevor das Publikum in den Saal gelas-
                                                                                                                                                                                                                                                                          Artus – ein Film
              setzt war. Ich sah aus wie eine menschge-         sen wird, gibt es Warm-Ups: „Bei dem Fami-     Jing meistens mit Schauspielkolleg*innen
                                                                                                                                                                                                                                     Das Lamm, das zum
              wordene Discokugel.“ Am Tag der Premie-           lienstück ‚Der Roboterjunge‘ tanzen wir        in ihrer Garderobe. Dann reden sie über die
                                                                                                                                                                                                                                     Essen kam
              re ist Jing meistens aufgeregt und fällt in       immer zusammen auf der Bühne“, sagt Jing       Inszenierung, ob es eine gute Energie gebe
              hektische Betriebsamkeit. Sie läuft dann          und gestikuliert lebhaft mit den Armen.        zum Beispiel, aber auch über ganz alltägli-
              durch die Stadt und sucht nach „Toi Toi           „Jede*r gibt einen supergalaktischen Tanz-     che Dinge wie den Wocheneinkauf. Zurück
              Tois“. Das sind kleine Geschenke, die man         move vor, den dann alle nachmachen.“           auf der Bühne ist sogar das Verbeugen                                                                                 Anfang Januar bekannt gegeben:
                                                                                                                                                                                                                                     JOiN US: www.junge-oper-im-nord.de
              den Kolleg*innen im Theater am Tag der            Oder es werden Textpassagen wiederholt.        noch Teil der Inszenierung. „Manchmal
              Premiere schenkt, als Glücksbringer. Circa        Wenn die Zuschauer*innen Platz genom-          gibt es richtige Choreografien: Wer sich
              zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung           men haben und Jing sich auf ihre Position      wann verbeugt, ob man im Kreis läuft oder
              kommt sie ins Theater – dann wird sie für         begeben hat, ist der Nervenkitzel groß.        zwischendurch von der Bühne verschwin-
              ihre Rolle geschminkt. „Am Premierentag           Auch, wenn sie das Stück schon zum 15.         det.“ Für Schauspieler*innen gibt es den
              herrscht eine festlich-wuselige Stimmung.         Mal vor Publikum gespielt hat, ist sie noch    Lohn nicht nur in Form von Geld, sondern
                                                                                                               auch als Applaus. „Oder als Schokokuchen“,                                                        NEU:
                                                                                                               sagt Jing, den habe eine Zuschauerin am                                                    Alle Foyerkonzerte
                                                                                                                                                                                                       als Gastspiel für Kinder-
                                               ANZEIGE                                                         Ende der Inszenierung mal auf die Bühne
                                                                                                                                                                                                              garten oder
                                                                                                               gestellt. Und einmal seien nach und nach                                               Grundschule buchbar unter
                                                                                                               einzelne Menschen klatschend im Publi-                                              join@staatstheater-stuttgart.de

                                            PREMIEREN!!                                                        kum aufgestanden: „Das sah aus, als wür-
                                                                                                               den lauter Tulpen aus der Erde sprießen.

                                                 !"!"
                                                                                                               Das hat mich sehr berührt.“

                                                                                                                     An Premierentagen treffen sich alle
                                                                                                               Beteiligten nach der Vorstellung hinter der
                                                                                                               Bühne und beglückwünschen sich. Man
                                                                                                               stößt mit Sekt an, und Intendant Johan Si-
                                                                                                               mons hält eine kurze Ansprache. Dann
                                                                                                               folgt natürlich die Premierenfeier. „Das
                                                                                                               Ende eines Premierenabends ist wie das
                                                                                                               Ende einer Achterbahnfahrt“, erklärt Jing,
                                                                                                               und jede Produktion sei eine andere Ach-
                                                                                                               terbahn, gemischte Gefühle inklusive: „eu-
                                                                                                               phorisiert, adrenalingeschwängert, durch-
                                                                                                               geschüttelt, kotzübel, erleichtert, erschöpft,
                                                                                                               stolz wie Bolle, traurig, schon in der Nostal-
                                                                                                               gie hängend“. Deshalb braucht Jing nach
                                                                                                               jeder Vorstellung, egal ob Premiere oder
                       Holger Schober                    Mark Ravenhill
                                                                                                               nicht, ein paar Stunden, um runterzukom-
                       HIKIKOMORI!!                      DAS!PRODUKT!
                                                         !($+"$!"!"&                                           men. „Wenn ich das Gefühl habe, schlecht
                       #"$"%$!"!"&
                                                                                                               gespielt zu haben, will ich meistens schnell
                       Franz Ka'a                        Carlo Collodi / Astrid Großgasteiger                  aus dem Theater raus“, sagt sie. „Aber wenn
24                     DIE!VERWANDLUNG!                  PINOCCHIO!!                                           eine Vorstellung gut funktioniert hat, fühlt
                       "($")$!"!"                        +*$+"$!"!"&
JUNGE BÜHNE

                                                                                                               es sich so an, als hätte ich mich neu verliebt
                       Eva Maria Stüting                 WINTERBACKEN!#UA$!!                                   – als wären Glühwürmchen angegangen.“
                       PIRATENMOLLY"!AHOI!!              !+$++$!"!"&                                           Dann geht sie noch spazieren, oder mit ih-
                       "*$")$!"!"&                                                                             ren Schauspielkolleg*innen in eine Bar –
                                                                                                               ein richtiger Feierabend eben.

                                                                                                                                                                   SAISON                      /                                                                          www.staatsoper-stuttgart.de
PART NERT HEAT ER

                                                  INT ERVIEW: PASCAL ULRICH                                                                                                                        (66) und Edith Bellin (76) blickt er zurück   die traurigen Dinge als auch die               Pascal: Ich erinnere mich auch noch
                                             ---------------------------------------                                                                                                               auf die gemeinsame Probenzeit, tränenrei-     tollen – was eigentlich ein sehr               daran an die Aufregung. Aber im
                                                                                                                                                                                                   che Heimfahrten und den Austausch zwi-        schöner Gedanke ist… Wie war für               ganzen Team und Cast gab es diese

              NACKTE WAHRHEITEN
                                                                                                                                                                                                   schen den Generationen.                       euch das Gefühl, den ganzen Cast               Zuversicht, dass es nur gut werden
                                                                                                                                                                                                                                                 zum ersten Mal kennenzulernen                  kann. Dann ging es irgendwann auf
                                                                                                                                                                                                   Pascal: Der erste große Schritt, um           und eben auch eure Texte gemein-               die Bühne der Kammerspiele. Wie
                                                                                                                                                                                                   überhaupt einen Grundstein für das            sam zu lesen?                                  war es für euch, das Set-up zum
                                                                                                                                                                                                   Projekt zu bekommen, lag in vier-                  Edith: Für mich ging das Schlag auf       ersten Mal zu sehen? Und zu wissen,
                                                                                                                                                                                                   stündigen Interviews, die das                 Schlag. Also, sehr schnell. Ich war aber po-   jetzt geht es bald los?
                In „All the Sex I‘ve Ever Had“ des kanadischen Kollektivs                                                                                                                          künstlerische Team mit jeder                  sitiv überrascht von allen Kolleginnen              Johannes: Also ich kannte sowas in
                                                                                                                                                                                                   Teilnehmer*in geführt hat. Da                 und Kollegen, am meisten über diese Of-        dem Sinne gar nicht, ich wusste auch nicht,
                Mammalian Diving Reflex geben sechs Seniorinnen und                                                                                                                                erzählt ihr eure sexuellen und                fenheit! Das waren ja keine einfachen          was hinter der Bühne so passiert. Das war
                                                                                                                                                                                                   intimen Geschichten von der Geburt            Themen, vor allem diese ganzen emotio-         total aufregend. Und dann den Zuschauer-
                 Senioren ihre gesamte sexuelle Evolution preis. Pascal                                                                                                                            an bis heute. Johannes, wie war das           nalen Dinge. Es war eine sehr schöne,          raum zu sehen und auch auf der Bühne
                                                                                                                                                                                                   für dich? War es schwerer als                 wenn auch schnelllebige Zeit…                  unsere fertigen Texte zu lesen, das war ja
                Ulrich, der für die Bochumer Version des internationalen                                                                                                                           gedacht? Wie hast du dich vorberei-           Pascal: Ja, so etwas in drei Wochen            was ganz anderes als in den Proberäu-
                                                                                                                                                                                                   tet?                                          auf die Beine zu stellen, ist natürlich        men… Da habe ich mir dann vorstellen
                      Generationenprojekts als Co-Autor mitgewirkt                                                                                                                                     Johannes: Wirklich vorbereitet habe       schwierig. Edith, du hast allein in            können, wie es wirklich werden wird.
                                                                                                                                                                                                   ich mich nicht. Ich war mir ziemlich si-      deinen ersten 20 Jahren so viel                Pascal: Ich war selbst total stolz, zu
               hat, bat zwei Teilnehmer*innen noch einmal zum Gespräch                                                                                                                             cher, dass das schon gut wird. Und die Fra-   erlebt. Ich denke zum Beispiel an all          sehen, dass dieses Stück, an dem
                                                                                                                                                                                                   gen selbst waren ja auch gut vorbereitet.     die Geschichten rund um die                    ich beteiligt bin, tatsächlich auf die
                                                                                                                                                                                                   Trotz allem musste ich bei manchen Sa-        Bergarbeiter-Pension deiner Mutter.            Bühne kommt. Und es war schön für
                                                                                                                                                                                                   chen wirklich sortieren. Einiges ging mir,    Dort hast du deinen ersten Flirt               mich zu sehen, dass ihr, mit euren
                                  Edith Bellin                                             Sechs Frauen und Männer sitzen an                                                                       trotz Pausen zum Verschnaufen, doch           erlebt und deinen ersten Kuss, auch            besonderen Geschichten, den
                                                                                              einem Tisch. Alle über 65 Jahre alt,                                                                 sehr unter die Haut. Bei der Heimfahrt        dein erstes Mal mit deinem späteren            Schauspieler*innen im Ensemble
                                                                                                alle aus Bochum und Umgebung.                                                                      nach Essen kamen mir wirklich noch mal        Mann... Wir mussten letztendlich               gleichgestellt seid. Dass wir ge-
                                                                                                  Wein und Wasser werden ausge-                                                                    Tränen, weil man sich wieder an Dinge         viel kürzen in deinem Skript. Und da           meinsam dieses Gefühl von einer
                                                 Johannes Persie                                   schenkt. Nacheinander erzäh-                                                                    erinnert hat… Aber da habt ihr auch sehr      leidet man ab und zu vielleicht                richtigen Produktion spüren konn-
                                                                                                    len sie ihre intimsten Ge-                                                                     gut und behutsam aufgefangen.                 wirklich unter dem Zeitdruck. Aber             ten. Allerding ist die ganze Freude
                                                                                                    schichten. Vom Aufwachsen                                                                      Pascal: Das war bei mir genauso!              das macht das Projekt auch aus:                schnell in Unmut umgeschlagen, als
                                                                                                    ohne Aufklärung und ohne                                                                       Du warst mein zweites Interview               keine Zeit zu zögern, loslassen                plötzlich klar war, dass wir aufgrund
                                                                                                    die Pille. Von Herzschmerz,                                                                    und ich war noch so geschafft vom             können und sich ins Ungewisse                  von Corona unsere Premiere ver-
                                                                                                   Tabus, sexueller Revolution,                                                                    Vortag: Wenn einem 66 oder mehr               stürzen.                                       schieben müssen.
                                                                                                  sexueller Neuorientierung und                                                                    Jahre dargelegt werden, geht                       Johannes: Ich fand das ganze inso-             Edith: Das war für uns alle sehr
                                                                                                 vom Verlust der Geliebten. Alles                                                                  einem das unweigerlich an die                 fern interessant, als dass das künstlerische   schlimm. Ich hatte mich schon drauf ein-
                                                                                               echt, keine Fiktion. Das Projekt des                                                                Nieren. Vor allem hat sich bei dir            Team ja recht jung ist, und wir auf der        gestellt, dass es kein Zurück mehr gibt und
                                                                                            kanadischen Künstlerkollektivs Mam-                                                                    mit 60 Jahren ja noch einiges                 anderen Seite die ältere Generation sind.      Mut für den Auftritt gesammelt. Die Ab-
                                                                                        malian Diving Reflex mit dem vielverspre-                                                                  verändert, was deine sexuelle                 Dass ihr jungen Leute mit uns zusammen         sage war dann allerdings auch eine kleine
                                                                                                                                                                                                   Orientierung betrifft. Es hat aber
                                                                                                                                      Fotos: Isabel Machado Rios, privat (Porträt Pascal Ulrich)

                                                                                       chenden Titel „All the Sex I’ve Ever Had“                                                                                                                 so etwas entstehen lasst, unseren Ge-          Erleichterung; jetzt habe ich noch mehr
                                                                                       feierte bereits Premieren in Städten wie                                                                    auch etwas Besonderes, das alles              schichten Raum gebt. Zudem war der             Zeit mir über alles, was ich da in meinem
                                                                                       Singapur, Sydney und Helsinki. Die ge-                                                                      so direkt und in Details zu erfah-            Umgang mit diesen doch sehr unübli-            Skript sage werde, klarer zu werden, bevor
                                                                                       plante Bochumer Premiere im März                                                                            ren. Es ist sehr anstrengend, aber            chen Themen sehr sensibel und behut-           wir wieder auf die Bühne können. Ich
                                                                                       musste Corona-bedingt kurzfristig ver-                                                                      sehr schön…                                   sam. Von jedem. Dadurch war die Hemm-          weiß, wenn es denn dann irgendwann
                                                                                       schoben werden. Pascal Ulrich führte als                                                                         Johannes: Genau, es ist ja auch nichts   schwelle, vor diesen eigentlich                stattfinden wird, werden wir alle wieder
26                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               27
                                                                                       Produktionsbeteiligter und Co-Autor                                                                         Romanhaftes, sondern Realität. Nichts ist     wildfremden Leuten zu erzählen doch            unser Bestes geben, so wie vorher. Weil wir
JUNGE BÜHNE

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                JUNGE BÜHNE
                                                                                       schon im Vorfeld berührende Interviews                                                                      fiktiv.                                       gering. Ich wusste ja, dass alle wissen, wo-   alle wissen, wie arbeitsintensiv die ganze
                                                                                       mit den Senior*innen. Für uns hat sich                                                                      Pascal: Ja, zu wissen, dass du das            rum es geht. Das waren ja keine zufällig       Produktion war. Da wollen wir euch nicht
                                                                                       der 20-jährige FSJler einige Wochen später                                                                  wirklich erlebt hast und das immer            ausgesuchten Leute von der Straße. Ich         enttäuschen, und uns natürlich auch
                                                                                       noch einmal mit zweien von ihnen per                                                                        mit dir herumträgst. Und jetzt trage          war einfach nur gespannt, was als nächs-       nicht. Ich hoffe auf jeden Fall, dass wir uns
                                                                                       Telefon unterhalten. Mit Johannes Persie                                                                    ich es auch mit mir herum. Sowohl             tes passiert.                                  früher wiedersehen, als wir denken!
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