Transmitter - Freies Sender Kombinat

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Transmitter - Freies Sender Kombinat
/ / / / / / / / a b s e n d e r − a g r a d i o e . V. , V a l e n t i n s k a m p 3 4 a - 2 0 3 5 5 H a m b u r g , p o s t v e r t r i e b s s t ü c k c 4 5 4 3 6 , e n t g e l d b e z a h l t , d p a g / / / / / / / / /

                                                                   transmitter                                                                    freies Radio im Oktober

  Freies Sender Kombinat
     93,0 mhz Antenne
      101,4 mhz kabel
www.fsk-hh.org/livestream

        1019
Transmitter - Freies Sender Kombinat
Werde Fördermitglied*in des Freie Sender Kombinat
FSK finanziert sich über Fördermitgliederianer. Die redaktionelle Arbeit im Freien Radio ist zwar unbezahlt,
trotzdem kostet die Produktion von Sendungen Geld: Miete, Übertragungsleitungen, Technik, GEMA, Telefon,
Büromaterial usw.
Eine Vielzahl von Unterstützer_innen kann die die Unabhängigkeit von FSK gewährleisten. Wer beschliesst, das
Freie Sender Kombinat zu unterstützen (oder jemand anderen davon überzeugt) bekommt dafür eine der hier
abgebildeten Prämien. Aber nur, so lange der Vorrat reicht!

       Kristine von Soden: »Ob die Möwen manchmal an mich denken?«, Aviva Verlag
 1     Mit dem Aufstieg der Seebäder im Wilhelminischen Kaiserreich kam sogleich auch der
       »Bäder-Antisemitismus« auf. »Judenrein!« lautete die Parole an der deutschen Ostseeküste,
       lange bevor der NS-Staat Wirklichkeit war. Schon damals drucken jüdische Zeitungen »Bäder-
       listen« ab, warnen vor Badeorten, in denen jüdische Gäste unerwünscht sind. Als »Juden-
       bäder« wiederum gelten Orte wie Heringsdorf, wo zunächst noch eine liberale Atmosphäre
       herrscht. Buch 208 Seiten, gebunden.
       Tom Combo: Inneres Lind, Verbrecher Verlag
 2     Bruno, Gerda, Miriam und Patrick, sie waren einmal Subkultur, Mountainbiker, die in den
       Wäldern der Provinz rund um Winterthur illegale Bike Partys organisierten. Jetzt sind sie in
       der Stadt angekommen. Radfahren tun sie, wenn überhaupt noch, allein. Dafür stehen sie
       sich im Weg. Bewusst und unbewusst. Sie begegnen sich in der alternativen Kneipe, dem
       Eck, oder bei der Arbeit. Sie versuchen, im Leben Fuß zu fassen, aber sie landen im Wasser,
       im Dreck oder auf der Wache.
       Die Vergangenheit, die an die Tür klopft, lässt die Freundschaften bröckeln. Und manch
       einer, der Verantwortung übernehmen und eingreifen möchte, fragt sich, wozu das gut
       sein soll, wenn am Schluss doch alles wieder anders kommt. Buch 240 Seiten, Hardcover
       Enno Stahl: Die Sprache der Neuen Rechten, Kröner Verlag
 3     Eine bedenkliche Aggressivität im verbalen Umgang, eine Abstumpfung gegenüber Gewalt
       und dem tragischen Schicksal anderer treten immer deutlicher zu Tage – es sind dies Re-
       flexe, die gerade die Politiker und Politikerinnen der Neuen Rechten gerne und ausgiebig
       bedienen. In Internetforen und sozialen Netzwerken, den »digitalen Stammtischen« von
       Facebook, Twitter und Co., nehmen die Menschen kein Blatt mehr vor den Mund; zune-
       hmend sind hier brutale, menschenverachtende und volksverhetzende Sprachausfälle zu
       verzeichnen, die einen angst und bange werden lassen. Womöglich ist das rechte Lager be-
       reits dabei, den Boden zu bereiten, auch wenn heute noch nicht so viel auf eine neuerliche
       Machtübernahme von rechts hinweist. Doch damit rechnete vor 86 Jahren auch niemand.
       Buch 208 Seiten, Broschur.

                             abschneiden und an FSK schicken / bei fragen anrufen unter 040 43 43 24

Ich werde Fördermitglied*in des FSK                                   Vor/Nachname

und spende monatlich..
                                                                      Straße/Nr.
      5,-     10,-       Zahlungsweise:    monatlich
  20,-        50,-                         vierteljährlich            PLZ                     Ort
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Ich erteile einen Abbuchungsauftrag.                                  Email
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                                                                      Fördermitglieder bekommen zum Jahresende eine Spenden-
besteht seitens des kontoführenden Geldinstituts keine Ver-
                                                                      quittung zugeschickt. Bitte teilt uns Adress-/Kontoänderungen
pflichtung zur Einlösung. Der erteilte Abbuchungsauftrag
                                                                      umgehend mit. Es entstehen sonst zusätzliche Kosten.
gilt bis er schriftlich oder telefonisch widerrufen wird.

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                                                                         das Buch “Inneres Lind”
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                                                                         Das Buch “Die Sprache der Neuen Rechten”
      Ich möchte die Programmzeitschrift Transmitter zugeschickt
      bekommen und spende zusätzlich 12,- Euro jährlich für die          Nichts. danke.
      Programmzeitschrift Transmitter.
                                                                       Ort / Datum
      Ich möchte zum Jahresende bitte eine Spendenquittung
      zugeschickt bekommen. Adresse bitte mitteilen.
                                                                      Unterschrift
Editorial                       Das wir tanzen werden
                                    „Ein Ergebnis bisheriger DDR Politik ist die Trennung der
                                                                                                              Inhalt
                                                                                                    FSK unterstützen
                                Künstler von der Bevölkerung durch Privilegien. Wir brauchen                 seite 2
Solidarität statt Privilegien … Wir dürfen uns nicht mehr organisieren lassen – auch nicht
von neuen Männern und Frauen. Wir müssen uns selbst organisieren. Die nächsten Jahre                   Uni Hamburg
werden für uns kein Zuckerschlecken. Die Daumenschrauben sollen angezogen werden.“                           Seite 4
Die warnenden Worte waren von Pfiffen unterbrochen, der Redner fügt hinzu: „Darf ich              Liebe Lehrer*innen
noch einen persönlichen Satz sagen?: Wenn in der nächsten Woche die Regierung zurücktre-                      Seite 6
ten sollte, darf auf Demonstrationen getanzt werden.“
                                                                                                Weg mit §218 & 219§
     Diese Sätze sprach der heute vielleicht nicht mehr so bekannte Heiner Müller auf                        Seite 6
dem Berliner Alexanderplatz fünf Tage vor der Maueröffnung, am 4. November 1989 vor
einer Million Mensch*innen. „Kein Zuckerschlecken“ kann als ökonomistische Metapher              Liebe Schüler*innen
verstanden werden. Nicht nur die DDR, auch die BRD war 1989 einigermaßen tief in                              Seite 8
der Krise, was heute gern übersehen bleibt. Zu Hartz 4 brauchte es keine 10 Jahre – zum         Radiogruppe Gagarin
Jugoslawienkrieg ebenso. Politisch umgesetzt jeweils durch Rot Grün. Zu den Pogromen                         Seite 9
von Rostock Hoyerswerda Mölln Solingen war es ein weit kürzerer Zeitraum ohne jeden
Umweg. Nicht der 4., aber der 9. November 1989 hat den Weg zum alten neuen Deutsch-               Radiogruppe Acadi
                                                                                                           Seite 10
land freigemacht.
     Neben den Wahlen in einigen Gebieten der ehemaligen DDR wird dieser deutsche               Avakino Filmkollektiv
Herbst 2019 medial eingefangen durch Erinnerungen des Herbstes 1989. Erinnerun-                             Seite 11
gen, nicht Erinnerungsarbeit und schon gar keine Trauerarbeit. Letztere schüfe Raum                    Qual der Wahl
für Neues, erstere hätte zu klären wohin die emanzipatorischen Potentiale der „friedlich                    Seite 12
gescheiterten Revolution“ (telegraph_cc) entschwunden waren. Knüpfen wir zumindest
also an:                                                                                                       Buch
                                                                                                            Seite 13
           „Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen! Nach all’ den Jahren der Stagna-
     tion – der geistigen, wirtschaftlichen, politischen; – den Jahren von Dumpfheit und             Radioprogramm
     Mief, von Phrasengewäsch und bürokratischer Willkür, von amtlicher Blindheit und                       Seite 14
     Taubheit. […] Einer schrieb mir – und der Mann hat recht: Wir haben in diesen letzten      Impressum & Termine
     Wochen unsere Sprachlosigkeit überwunden und sind jetzt dabei, den aufrechten Gang                     seite 31
     zu erlernen!“
     – Stefan Heym auf der Demonstration am 4. November 1989.

     Dieser 4. November ist jetzt 30 Jahre her. 30 Jahre täglichen Wissens „Der Schoß ist fruchtbar noch“. 30
Jahre tagtäglichen Kampfes gegen die Verdrängung, gegen das Kleinreden der Gefahr. 30 Jahre auch der Suche,
des Studiums, des Ausprobierens, des Verarbeitens linken Versagens, der großen Niederlage(n). Dreißig Jahre
der kleinen Widerständigkeiten, des Alltags. 30 Jahre besetzte und unverträgliche Rote Flora, Hafenstrassen-
verträge. 32 Jahre Barrikadentage ebendort und 10 Jahre Gängeviertelbesetzung. Bald 30 Jahre auch Bestand
des FSK. Versucht zu sagen in ständiger Bewegung, Umwälzung und vielerlei Krise.
     Im Juli 2016 schrieben wir an dieser Stelle: „Das FSK ist kein Fähnchen im Wind und es ist kein Überirgend-
was. Wenn das FSK stark ist, dann ist es stark aus sich heraus. Wenn das FSK schwach ist, dann fühlen und sehen
es die Richtigen.“
     Jetzt, mehr als 3 Jahre später, hindurch und in vielen und schweren Wegen der Suche und der Auseinan-
dersetzung hat das FSK einen Weg begonnen, die inneren Strukturen nicht nur zu erneuern, vielmehr den
ewigen Wunsch nach Partizipation aus sich selbst heraus mit der Gründung neuer Radiogruppen ernsthaft zu
beginnen. Im Juli, August und September haben sich vier neue Gruppen von FSK Sendenden als „Neue Radio-
gruppen“ vorgestellt. Es sind die Äthergruppe Flausch, Radyo Azadi, Radiogruppe Akonda, und Radio Gaga-
rin. Alle langjährig, manche schon seit Jahrzehnten stabil FSKsendend. Die ersten zwei der Vorstellungstexte
von Gagarin und Azadi lest Ihr in diesem transmitter.
     Der Herbst also hat begonnen. Für Hamburg heißt das nur noch wenige Monate bis zur Bürgerschafts-
wahl. Es ist sowohl mit einem Anwachsen der Naziaktivitäten zu rechnen, wie auch mit der Rückkehr des ewi-
gen Dudde, der jetzt schon Fußballspiele braucht, sich seiner im G20 billig geschossenen Überwachungstech-
nologie und der Bereitschaft zur Deunziation bedienen mag – wir bleiben ganz mit Heiner Müllers Worten, in
dem Wissen daß manchmal auch die Worte Stefan Heyms gelten werden.
     transmitterredaktion
                                                                                                                  3
Zum Jubiläum ... 100 Jahre Universität Hamburg und
111 Jahre Kolonialinstitut – Spektakel oder Geschichte?
     Unsere Reihe zur kritischen Betrachtung der              nis zu anderen wissenschaftlichen Institutionen
Geschichte der Universität Hamburg (UHH) und                  mangelt: Auch diese nunmehr dreizehnte Runde
ihrer Darstellung im Rahmen des Universitätsjubi-             der Exzellenzinitiative ist nur ein Tropfen auf den
läums setzen wir hier fort. Dazu widmen wir uns               heißen Stein der Unterfinanzierung.
heute verschieden, aber aufeinander bezogenen,                    Andererseits zeigt der Präsident hier, dass es
theoretischen Zugängen zur Auseinandersetzung                 die Konkurrenzfähigkeit und die Meinung von
mit ‚Geschichte‘.                                             Geldgeber*innen sind, die er als relevant für das
     Das Jubiläumsjahr ist noch nicht vorbei, es ste-         Ansehen einer Universität erachtet. Nimmt man
hen noch Veröffentlichungen und Feierlichkeiten an            an, dass Prestige hier das wirkliche Ziel ist, dann
und dennoch macht sich das Gefühl breit, man hätte            wundert es nur wenig, dass das Uni-Jubiläum bisher
das ganze Tohuwabohu end-                                                             mehr wie eine Marketingver-
lich hinter sich gebracht. Der                                                        anstaltung daherkam, denn
eilends zum Campus-Fest                                                               als die kritische Auseinan-
ausgerollte Rasen verdorrt                                                            dersetzung, die es mit der
längst und von dem müh-                                                               Gründung und dem Wirken
seligen Entfernen der vielen                                                          der Uni durch die hundert
Sticker im Campusbild ist                                                             Jahre hinweg bräuchte.
schon seit einiger Zeit nichts                                                            So wird einmal mehr
mehr zu ahnen. Wohin die                                                              deutlich, in welchem Re-
‚feierliche Anspannung‘, mag                                                          ferenzrahmen das Uni-
man sich als (bei den Festivi-                                                        Jubiläum stattfindet: in
täten sicherlich mitgemeinte)                                                         dem der „Gesellschaft des
Studi da fragen.                                                                      Spektakels“(Guy Debord).
     Den Kontext dazu liefert                                                         Ohne Frage ist es selbst für
der Präsident höchstselbst,                                                           die ganz Schmerzbefreiten
nachdem bekannt gegeben                                                               eine defizitär-peinliche Form
wurde, dass die Uni Ham-                                                              des Spektakels: Vom Festakt
burg im Juli Gelder aus der                                                           mit wahlweise dem reaktio-
‚Exzellenz‘-initiative zuge-                                                          nären Philosophenverschnitt
sprochen bekommen hat:                                                                Sloterdijk (Rathaus) oder
     Interviewerin: „Was bedeutet [der Exzellenzsta-          der schwarzen Null Schäuble (Audimax), über das
tus] denn jetzt für die Universität Hamburg?“                 schale Anbiedern mit nautischen Motiven („Hei-
     Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Lenzen: „Zum ersten            mathafen Wissenschaft“ – weil in Hamburg nichts
Mal darf niemand mehr sagen, dieses ist eine mittel-          etwas wert ist, das nicht zumindest einen Abglanz
mäßige Universität. Wer das tut ist bösartig und lügt.        der Produktivität des Hafens trägt), bis hin zu
Um das mal in aller Klarheit zu sagen. Es war nie             „Wahrzeichen gratulieren“, einer Aktion, bei der die
richtig, aber jetzt ist es amtlich: dieses ist eine wunder-   Hamburger „Wahrzeichen [...] die Uni jeweils von
bare, großartige Universität, die auf höchstem Niveau         17 Uhr bis 22 Uhr [mit angestrahlten Schriftzügen]
operiert.“                                                    grüßen“(Beschreibung auf der Homepage zum Uni-
     Man könnte fast den Eindruck gewinnen, Len-              Jubiläum). Dass die Uni nicht in der Lage ist, ein
zens höchstes Ziel sei es einzig, ‚seine Uni‘ im aller-       befriedigendes Spektakel auf Höhe der bürgerlich-
besten Lichte dastehen zu sehen. Darin liegt eine             kapitalistischen Gesellschaft zu bieten, tut der Inten-
doppelte Zynik. Denn eigentlich sollte man meinen,            tion indes keinen Abbruch: Wenn Lenzen sich und
dass die Freude über zugesprochene Mittel doch da-            die Uni auf dem Exzellenzmarkt in einer riesen An-
durch etwas getrübt wird, dass in dem (v)erbitter-            trags- und Auswahl-Show als „Star-Ware“ feilbietet,
ten Konkurrenzkampf der unterfinanzierten Hoch-               um dann die Uni (und vor allem: sich selbst) mit
schulen die allergrößte Mehrheit leer ausgegangen             Geld-und-Konfetti-GIF zu feiern, bekommt man
ist. Doch wenn es schon am solidarischen Verhält-             einen Eindruck davon, was es heißt, dass in der Ge-

4
sellschaft (bzw.: Uni) des Spektakels „die Ware sich     chend zu historisieren. Die Untersuchung der In-
selbst in einer von ihr geschaffenen Welt anschaut.“     stitution von innen heraus mit dem Fokus auf die
Es handelt sich um eine große „Bewegung der Ba-          bloße Dauer des Bestehens führt, nach Hammer-
nalisierung“, die verdrängt, was Wissenschaft sein       stein, auch dazu, dass Hochschulen häufig als eigens
könnte und müsste. In Zeiten von Kommerzialisie-         in sich abgeschlossene Räume konstruiert werden
rung und Exzellenzinitiative ist dies allerdings der     und in der historischen Betrachtung Verflechtun-
Normalfall und nicht die Ausnahme: „Die Wirt-            gen über Stadt- und Landesgrenzen hinaus in „dorf-
schaft verwandelt die Welt, aber nur in eine Welt der    patriotischem Eifer“ glatt übersehen werden. Füssel
Wirtschaft.“(alle Zitate: Debord)                        beobachtet, dass es häufig ebenfalls zu einer Tren-
     Der Spektakel-Charakter des Uni-Jubiläums           nung von Universitäts- und Studierendengeschich-
wirkt sich auch auf die Möglichkeiten der Ge-            te kommt und Studierende allzu leicht „auf statis-
schichtsauseinandersetzungen aus. Die Wider-             tisches Material, Hörerzahlen und Frequenzen“ be-
sprüchlichkeit von Jubiläen im Kontext von Unige-        grenzt werden. Dadurch wird ein wesentlicher Teil
schichtswissenschaft greift auch Notker Hammer-          der Universitätsgeschichte unsichtbar gemacht.
stein in seinem Aufsatz Jubiläumsschrift und All-              Gegen dieses Verständnis der Erzählung von
tagsarbeit auf. Der Titel charakterisiert zugleich das   Universitätsgeschichte lässt sich mit Alf Lüdke das
Spannungsverhältnis, in dem Hammerstein die Uni-         Konzept der Alltagsgeschichte setzen. Diese geht
geschichte als Disziplin verortet: anerkannt immer       davon aus, dass man den Bezugsrahmen der Ge-
nur zu bestimmten Zeiten und stets lokal begrenzt.       schichtserzählung erweitern muss, ohne Unter-
Hammerstein zeigt aber auch auf, wie relevant diese      scheidungen wie die von Herrschenden und Be-
wiederkehrenden Anlässe der Geschichtsausein-            herrschten aufzugeben: Eine „Bewegung [ist] von
andersetzung für die Dokumentation von histori-          oben und von unten materialisiert.“ So ist es möglich,
schem Material sind: Selbstvergewisserungsschrif-        dem Problem zu entrinnen, gesellschaftliche Ver-
ten, wie sie in Jubiläumsjahren erscheinen, sind         hältnisse und ihre Ausdrücke in historischen Pro-
gleichsam wertvolle Zeitdokumente. Allerdings            zessen als statisch zu verstehen. Es bleibt die Frage,
kritisiert er, dass so mancher „Jubelband“ zwar von      wie sich historische Prozesse als Alltagsgeschichte
geschichtswissenschaftlichen Akteur*innen erstellt       und Alltagsgeschichtlichkeiten beschreiben lassen;
wird, diese aber über alle Traditionsbekräftigung        wie diese Verflechtungen, Aneignungen, Abhängig-
und Identifikationsstiftung den wissenschaftlichen       keiten nuanciert dargestellt werden können. Hierbei
Anspruch vermissen lassen.                               gilt für die Alltagsgeschichte, was bereits Marx be-
     So überrascht es dann auch nicht weiter, dass       tonte: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte
während der diesjährigen Hamburger Jubiläumsfei-         [...] unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und
erlichkeiten und in den entsprechenden Publikatio-       überlieferten Umständen.“
nen vor allem betont wird, dass dies die Universität           Mit diesen Perspektiven auf Geschichte wird es
von den jüdischen und liberalen Professoren Wil-         nun nach dem „Spektakel Jubiläum“ für uns darum
liam Stern und Ernst Cassirer gewesen ist, während       gehen, Wissenschaft weiter zu historisieren und den
die Selbstgleichschaltung der Universität in den         Bezugsrahmen der Geschichtserzählung zu öffnen.
Hintergrund gedrängt wird. Und – wenn man über-
haupt erwähnt, dass man eben diese (sowie Jüdin-                                                     Maulwurf der Vernunft
nen und Juden insgesamt) von der Uni vertrieben
hat – dann wird wenigstens erwähnt, dass dies „wie                                                         Verwendete Literatur:
überall in Deutschland“(Uni-Broschüre zum Jubi-                Guy Debord, Die Gesellschaft des Spestakels (1967), Berlin 2013.
läum) geschah, ‚man‘ sich also im guten antisemiti-                      Marian Füssel, Wie schreibt man Universitätsgeschich-
schen Durschnitt befand.                                               te?, in: NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaf-
     Diese Tendenz beobachtet auch Ma-                                        ten, Technik und Medizin 22 (2014), S. 287-293.
rian Füssel, der in der Vertrautheit der                                  Notker Hammerstein, Jubiläumsschrift und Alltagsar-
Geschichtswissenschaftler*innen mit der „eigenen                           beit. Tendenzen bildungsgeschichtlicher Literatur, in:
Institution“ auch eine Gefahr sieht. Allzu schnell                               Historische Zeitschrift 236 (1983), S. 601-633.
werden, ihm nach, vertraute Konzepte und Begrif-                      Alf Lüdtke, Alltagsgeschichte – ein Bericht von unterwegs,
fe aus der Gegenwart auf Vergangenes übertragen,                           in: Historische Anthropologie 11 (2003), S. 278-295.
ohne zu reflektieren, welchen Bedeutungswandel                                 Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bo-
Wörter wie „Professor“ oder „Promotion“ eigentlich                                       naparte (1852), in: MEW 8, S. 111-207.
durchgemacht haben und diesen Wandel entspre-

                                                                                                                             5
Vor allem ihr als Lehrer*innen habt eine Vorbildfunk-
Liebe Lehrer*innen                                          tion und das Potenzial der nächsten Generation zu
                                                            vermitteln wie wichtig diese Gleichberechtigung ist.
Schon seit mehr als hundert Jahren sind Frauen in
                                                            Achtet doch mal darauf ob ihr auf euren Arbeitsblät-
Deutschland wahlberechtigt. Von einer Gleichberech-
                                                            tern, Klausuren oder Präsentation beide Formen be-
tigung der Geschlechter sind wir jedoch weit entfernt.
                                                            nutzt. Auch im Unterrichtsgespräch ist Gendern nicht
Frauen verrichten einen Großteil der Arbeit zuhause
                                                            zu vergessen.
und in der Familie, ohne auch nur einen Cent dafür
zu bekommen. Bei gleicher Qualifikation verdienen
                                                            Außerdem bitten wir euch, vielleicht auch mal bei der
sie im Schnitt 20% weniger als Männer. Zudem sind
                                                            Korrektur von Schulaufgaben, das nicht-gendern an-
sie in Führungspositionen immer noch stark unter-
                                                            zustreichen, jedoch vielleicht nicht unbedingt zu be-
repräsentiert und auch im Alltag werden Frauen viel
                                                            werten. So wird auch bei den Schüler*innen ein Be-
zu oft diskriminiert. Es gilt jetzt etwas gegen diesen
                                                            wusstsein dafür geschaffen.
strukturellen Sexismus zu tun!

Einer der notwendigen Schritte ist, die Sprache
                                                            Damit jedoch niemand beim Sprechen
anzupassen.
                                                            unterbrochen wird und man trotzdem
Das sogenannte „Gendern“, also statt nur der maskuli-
                                                            auf den Fehler hinweisen kann, gibt es
nen Form auch die feminine durch ein „*innen“ zu in-
                                                            ein einfaches Handzeichen das man
tegrieren, ist ein wichtiger Beitrag zur Gleichstellung.
                                                            machen kann:
Das heißt anstatt nur „Lehrer“ zu sagen, sagt man z.B.
„Lehrer*innen“.
                                                            Es ist keine Mühe zu gendern und man
                                                            gewöhnt sich schnell daran. Sogar die
Denn dadurch, dass viele von „Lehrern“ oder „Schü-
                                                            Schulbehörde hat bereits umgeschaltet,
lern“ sprechen, wird ein Bild erzeugt, als handle es sich
um eine rein männliche Gruppe an Personen, obwohl           warum sind wir also so hinterher? .elchen/Ha
das meist nicht der Fall ist.

Weg mit §218 und §219 StGb!
Die Verurteilung Kristina Hänels als Einstieg in eine Neuauflage
der Kämpfe gegen die Anti-Abtreibungsparagraphen
    Im November 2017 wurde die Allgemeinme-                 abschaffen – jetzt!“ und kündigten damit auch un-
dizinerin Kristina Hänel wegen unerlaubten Wer-             sere erste Demonstration „Für die Abschaffung aller
bens für den Schwangerschaftsabbruch verurteilt.            Anti-Abtreibungsparagraphen“ an, die wir als neu
Hänel wurde von Anti-Abtreibungsaktivisten der              gegründetes „Bündnis für körperliche Selbstbestim-
selbsternannten „Lebensschutzbewegung“ ange-                mung Frankfurt“ organisierten.
zeigt, da sie auf ihrer Homepage darüber infor-
mierte, dass sie Abtreibungen vornimmt und wel-                 Die Wiederbeschäftigung mit dem Themen-
che Methoden sie anwendet. Begründet wurde das              komplex „Abtreibung“ war von unserer Seite eine
Urteil damit, dass eine gesellschaftliche Normali-          Gegenreaktion zu der Aufkündigung des beste-
sierung von Schwangerschaftsabbrüchen verhin-               henden gesellschaftlichen Burgfrieden von rechts,
dert werden solle.                                          der vor allem von der „Lebensschutzbewegung“
                                                            getragen wurde und wird. Ihr Ziel ist die Krimi-
     Dieser Urteilsspruch bedeutete die unerwarte-          nalisierung von Abtreibung, die Bedrohung von
te Neuauflage feministischer Kämpfe für das Recht           ungewollt Schwangeren und, wie im Fall von Kris-
auf Abtreibung. Auch wir reagierten auf die Verur-          tina Hänel, die Verschlechterung des Zugangs
teilung mit einer Pressemitteilung unter dem Titel          zu Abtreibung über die Einschüchterung von
„Skandalurteil gegen Kristina Hänel – § 218 ff. StGB        Ärzt*innen. Mit dem Aufstieg der AfD und dem
6
virulent werdenden Antifeminismus der letzten                 Dass das Nachdenken über Schwangerschafts-
Jahre sahen sie die Zeit gekommen, in die Offen-          abbrüche sehr erkenntnisreich sein kann, wurde
sive zu gehen.                                            uns während der Vortragsreihe klar: Beispielsweise
                                                          hatten wir die Auswirkungen der prekären Geset-
    Diesem Vorhaben steht die gefühlte Selbst-            zeslage auf gesellschaftlich bereits marginalisierte
verständlichkeit des Zugangs zu einer Abtrei-             Personen kaum im Blick. Auch dass der Fokus der
bung gegenüber, mit der auch wir aufgewachsen             deutschen Frauenbewegung auf die rechtliche Di-
sind. In unserem ersten Aufruf fassten wir das so         mension eine unnötige Begrenzung linksradikaler
zusammen:                                                 feministischer Praxis bedeutet, fiel uns erst wäh-
                                                          rend eines Vortrags der internationalen Gruppe
         „Ein Schwangerschaftsabbruch ist ein ganz        „Women on Waves“ so richtig auf.
    normaler medizinischer Eingriff und sollte auch
    so behandelt werden. Schwangere müssen selbst             Weiterhin hielt die erst einmal simple Forde-
    bestimmen können, was mit ihrem Körper pas-           rung »Für die Abschaffung aller Anti-Abtreibungs-
    siert. Frauen sind mündige Bürgerinnen und            paragraphen« auf den zweiten Blick manches Di-
    brauchen niemanden, der ihnen höchstpersön-           lemma für uns bereit:
    liche Entscheidungen abnimmt.“
                                                              Beispiel 1: Wie weit soll das Selbstbestim-
     Die deutsche Frauenbewegung hatte bereits in         mungsrecht der ungewollt Schwangeren reichen?
der Weimarer Republik sowie in den 1970er und             Endet es nicht, wenn dadurch nur bestimmte, der
80er Jahren überzeugend erklärt, dass jede schwan-        Norm entsprechende, als gesund geltende Kinder
gere Person einen kostenfreien und legalen Zugang         gewollt sind?
zu Schwangerschaftsabbrüchen haben muss – auch                Wir haben für uns das Fazit gefunden, dass das
wir hatten dem erstmal nichts hinzuzufügen.               gesamtgesellschaftliche Problem der Behinderten-
     Dass diese gefühlte Selbstverständlichkeit aber      feindlichkeit und struktureller Ausgrenzung nicht
eben nicht rechtlich abgesichert ist, wurde mit der       zu einem individuellen Problem der ungewollt
Verurteilung Hänels deutlich: Abtreibungen wer-           Schwangeren gemacht werden darf. Daher muss
den immer noch als illegale aber unter bestimmten         unterschieden werden zwischen der individuellen
Umständen straffreie Rechtsverstöße eingestuft.           Frage nach persönlichen Ressourcen und Plänen
Auch die verdruckste Debatte um die Streichung            (Möchte ich ein Kind bekommen? Bin ich mit der
des §219a StGB zum ›Werbungs‹-verbot, die wir             Situation überfordert? Fehlen mir Ressourcen?)
nach der Verurteilung Hänels erlebten, zeigte, dass       und einem Sprechen über Schwangerschaftsabbrü-
feministische Forderungen wie die Streichung aller        che, bei dem zwischen ›lebenswertem‹ und ›nicht-
Paragraphen, die Abtreibungen als Straftatbestand         lebenswertem‹ Leben differenziert wird.
fassen, nicht mehr präsent, sondern im Gegen-
teil sogar tabuisiert sind. Bei einer intensiveren            Beispiel 2: Sprache.
Beschäftigung fiel zudem auf, dass auch wir vom               Immer wieder standen wir vor dem Prob-
juristischen Rahmen und der tatsächlichen medi-           lem, wie wir über Schwangere sprechen können,
zinischen Durchführung einer Abtreibung wenig             ohne strukturelle Dimensionen zu verdecken
Ahnung hatten. Über Schwangerschaftsabbrüche              und gleichzeitig möglichst wenig ausschließend
und alles, was damit verbunden ist, wird kaum pri-        zu sein. Unser Vorgehen war dann pragmatisch:
vat oder öffentlich geredet.                              Wenn die konkrete, individuelle Situation und die
                                                          Handlungsoptionen diskutiert werden, sprechen
    Eigentlich sollte das Bündnis für körperliche         wir meistens von schwangeren Personen. Wenn
Selbstbestimmung Frankfurt ein einmaliger Zu-             wir Zugriffe auf den weiblichen Körper und ge-
sammenschluss sein, um den Prozess gegen Kristi-          schlechtsspezifische Herrschaftsverhältnisse the-
na Hänel zu begleiten. Wir entschieden uns jedoch,        matisieren, sprechen wir zumeist von Frauen.
unsere Aktivität etwas zu verlängern, um eine Vor-        Trennscharf ist das natürlich nicht.
tragsreihe zu organisieren. Wir nannten die Reihe
„We Can’t Believe We Still Have to Protest this Shit!“,       Beispiel 3
um zu verdeutlichen, dass zu diesem Thema ei-                 Für uns war und ist es selbstverständlich, dass
gentlich schon alles gesagt ist.                          jede Person das Recht auf eine selbstbestimmte
                                                          Beendigung einer Schwangerschaft haben muss.

                                                                                                           7
Wir gehen auch nicht davon aus, dass eine Abtrei-          ist zudem eine Broschüre entstanden, die nied-
bung traumatisierend ist. Gleichzeitig ist es wich-        rigschwellig Informationen zu den Aspekten der
tig, anzuerkennen, dass die aktuelle Verortung des         Rechtslage, der Pflichtberatung, den Kosten für
Schwangerschaftsabbruchs im halblegalen Bereich            einen ›Standard‹-Schwangerschaftsabbruch sowie
wenig Raum für Zwischentöne gibt. Von funda-               den gängigen medizinischen Verfahren zusam-
mentalistischen Christ_innen wird Frauen vorge-            menfasst. Die Broschüre wurde beispielsweise
betet, dass die Mutterschaft ihre Erfüllung sei und        bei Gegenprotesten zu den Mahnwachen christ-
jede Abtreibung Schuld auf sie lade. Der Staat wie-        licher Frauenhasser_innen der ›Lebensschutz‹-
derum präsentiert einen Zellhaufen als »ungebore-          Bewegung im Herbst 2018 vor der pro familia-Be-
nes Leben«. Eine Entscheidung für einen Abbruch            ratungsstelle in Frankfurt verteilt.
bedeutet die Notwendigkeit, sich in diesem Feld                Die Nachfrage ist weiterhin groß, aktuell wird
klar zu positionieren. Das lässt wenig Raum für            anlässlich des Safe Abortion Day am 28.9.2019
Verlustgefühle, die mit einem Abbruch auch ver-            die dritte Auflage gedruckt, Exemplare gibt es bei
bunden sein können.                                        uns (bfks.ffm@web.de) und beim Black-Mosquito
                                                           Versand. Auch die diskus-Ausgabe „We can’t belie-
    Aus dieser Vortragsreihe haben wir gemein-             ve we still have to protest this shit!“ gibt es dort zu
sam mit der Frankfurter Studierendenzeitschrift            bestellen.
diskus eine Sonderausgabe gestaltet. Aus dem
Vortrag »How to Abtreibung in Deutschland?«                       Bündnis für körperliche Selbstbestimmung Frankfurt

                                                           Es ist nur eine Kleinigkeit, die jedoch viel verändern
Liebe Schüler*innen                                        kann und vor allem im Schriftlichen sollte es konse-
                                                           quent benutzt werden.
schon seit mehr als hundert Jahren sind Frauen in
                                                           Damit jedoch niemand beim Sprechen
Deutschland wahlberechtigt. Von einer Gleichberech-
                                                           unterbrochen wird und man trotzdem
tigung der Geschlechter sind wir jedoch weit entfernt.
                                                           auf den Fehler hinweisen kann, gibt es ein
Frauen verrichten einen Großteil der Arbeit zuhause
                                                           einfaches Handzeichen das man machen
und in der Familie, ohne auch nur einen Cent dafür zu
                                                           kann:
bekommen. Bei gleicher Qualifikation verdienen sie
im Schnitt 20% weniger als Männer. Zudem sind sie in
                                                           Achtet auch gerne bei euren Lehrer*innen
Führungspositionen immer noch stark unterreprä-
                                                           darauf und macht sie mit dem Handzei-
sentiert und auch im Alltag werden Frauen viel zu oft
                                                           chen darauf aufmerksam oder korrigiert
diskriminiert. Es gilt jetzt etwas gegen diesen struktu-
                                                           den geschriebenen Satz.
rellen Sexismus zu tun!
Dafür sind vor allem wir Schüler*innen verantwort-
                                                           Es ist keine Mühe zu gendern und schon nach kurzer
lich, denn wir sind die Zukunft dieser Welt.
                                                           Zeit gewöhnt man sich daran. Trotzdem wird es kaum
Einer der notwendigen Schritte ist, die Sprache an-
                                                           gemacht und zu oft vergessen. Lasst uns bewusst die
zupassen. Das sogenannte „Gendern“, also statt nur
                                                           deutsche Sprache verändern und jeglichen Sexismus
der maskulinen Form auch die feminine durch ein
                                                           in unserer Gesellschaft bekämpfen.
„*innen“ zu integrieren, ist ein wichtiger Beitrag zur
Gleichstellung.
                                                           Wie bei allem in der deutschen Sprache gibt es je-
  Das heißt anstatt z.B. nur „Schüler“ zu sagen, sagt
                                                           doch auch hier Regeln. Die beiden anerkannten
man „Schüler*innen“.
                                                           Varianten des Genderns, sind entweder der Stern;
Denn dadurch, dass viele nur von „Lehrern“ oder
                                                           „Schüler*innen“ oder der Unterstrich; „Schüler_
„Schülern“ sprechen, wird ein Bild erzeugt, als handle
                                                           innen“. Bitte benutzt auch diese beiden Varianten da
es sich um eine rein männliche Gruppe an Personen,
                                                           der Stern oder der Unterstrich auch Platz für alle an-
obwohl das meist nicht der Fall ist.
                                                           deren Geschlechter abseits des männlichen und weib-
Achtet doch mal bei euch selbst und in eurem Freun-
deskreis darauf und probiert es mal aus!                   lichen lässt. elchen/Ha

8
RADIOGRUPPEN STELLEN SICH VOR

Statement der Radiogruppe Gagarin und Antrag
auf Anerkennung als Radiogruppe im FSK
    Wir von Radio Gagarin sind schon seit den               Radio Gagarin befasst sich im Wesentlichen
90ern im FSK aktiv und sehen mit Erschrecken,          mit der Vermittlung sogenannter Randständiger
wie sehr Konflikte zwischen überkommenen Ra-           Musik, vor allem aus dem elektronischen und elek-
diogruppen den Sender lähmen und gefährden             tro-akustischen Bereich. Der von der kommerziel-
können. Wir würden gern helfen, die bestehende         len Musikindustrie und den offiziellen „Kulturver-
Blockadesituation aufzubrechen und mittelfristig       mittlern“ pejorativ benutzte Begriff „Randständige
veraltete Strukturen aufzulösen (möglicherweise        Musik“ hat für uns die genau entgegengesetzte Be-
hin zu einer Art Rätemodell).                          deutung: Künstlerische Impulse, weiter weisende
                                                       Konzepte und radikale Neuerungen kommen na-
    Wir haben Distanz zu den Konfliktparteien          hezu ausschließlich von den „Rändern“. Der alt-
gehalten, wollen die Polarisierung nicht mitma-        hergebrachte Kultur- bzw. Musikbetrieb (ob nun U
chen, sind aber nicht die Unbeteiligten, sondern       oder E) ist völlig sklerotisch und erstarrt in einer
die Macht- bzw. Hilflosen. Die 3 bestehenden Ra-       billigen Event-Attitüde. Das gilt insbesondere für
diogruppen entscheiden über Wohl und Wehe des          den Bereich, der sich selbstherrlich als „fortschritt-
Senders, das Gros der Sendenden hat kaum Ein-          lich“ oder - schlimmer noch - „avantgardistisch“
fluss, zumindest nicht institutionell.                 bezeichnet. Hier erleben wir einen Jahrmarkt der
                                                       Eitelkeiten, der bevölkert ist mit zeitgeistigen Po-
    Die 3 alten Radiogruppen scheinen aus sich         panzen (Kurator*innen, Kulturmanager*innen
selbst heraus unfähig zu sein, strukturelle Proble-    u.ä.). Das vermeintlich Widersätzliche ist in der
me zu benennen und zu ändern (z.B. dass sich ihre      Mitte angekommen, also tot.
Zahl auf 3 reduziert hat, dass ihre interne Mitglie-
derzahl massiv geschrumpft ist bzw. dass Mitglie-          Radio Gagarin will seinen Hörer*innenn zei-
derzahlen nicht glaubwürdig offen gelegt werden,       gen, wie lebendig, wie vielfältig und politisch be-
dass informell entstandene Strukturen den Alltag       wusst es dort zugeht, wohin die gierigen Arme der
im Sender bestimmen ...). Vielmehr werden struk-       Mitte nicht reichen, wo obszöne Angebote der Kul-
turelle Probleme in unwürdiger Weise personali-        turindustrie (Förderungen, Akademisierung, Sti-
siert durch Schuldzuweisungen, Mobbing bis hin         pendien usw.) ins Leere laufen und wo weder für
zur Androhung von Gewalt. Unerträglich ange-           die Macher*innen noch für die Rezipient*innen
sichts des politischen Anspruchs unseres Senders.      künstlerische Helmpflicht besteht. Vor allem aber
                                                       will Radio Gagarin deutlich machen, dass die Mar-
    Uns ist eine kulturelle bzw. künstlerische Ver-    ginalisierung der musikalischen „Ränder“ durch
ortung wichtig, d. h. das Kulturerzeugnisse und        herrschende Medien und Institutionen ein proba-
-praktiken im historischen, kulturellen und sozi-      tes Mittel ist, sich die eigentlichen und natürlich
alen Kontext abgelichtet werden sollen. Das ver-       unbequemen Neuer*innen vom Hals zu halten.
suchen wir mit unseren Sendungen zu realisieren        Wir wollen für eben diese ein Sprachrohr sein und
– mit Buch- vorstellungen in „Archive und Au-          ihre Arbeit unseren Hörer*innen laut und deutlich
genzeugen“, Konzert- und Veranstaltungstipps im        vermitteln. Wir sind keine Utopisten: Der Kosmo-
AUSFLUG, Live-Konzerten im Sender und au-              naut Gagarin war wirklich im All, und irgendwann
ßerhalb, häufiges Nutzen des Sendeplatzes „Die         werden die Ränder über die Mitte hereinbrechen.
ganze Platte“ , dem ubRadio Salon und eben Radio
Gagarin.

     Unsere Haltung lässt sich am besten am Bei-
spiel der zuletzt genannten Sendung verdeutlichen.
Sie ist eine der am längsten bestehenden Sendun-
gen im FSK, über sie haben wir uns kennen gelent,
sie ist unser gemeinsamer Bezugspunkt.

                                                                                                          9
RADIOGRUPPEN STELLEN SICH VOR

Radyo Azadî – Grundlegendes und Konzept
     Wir als Sendende von Radyo Azadî sind In-         Hamburg berichten und sie in einen global wie lo-
ternationalistInnen und Aktive aus Hamburg und         kalen Zusammenhang stellen.
verfolgen mit unserer Sendung das Ziel, im globa-
len Zeitalter und der Interdependenz und Verwo-            Als designierte Radio-Gruppe streben wir an,
benheit diverser Regionen, hier insbesondere der       den Neuaufbauprozess des FSK demokratisch,
Mittlere Osten und Europa, die vielfältigen Zusam-     nicht-hierarchisch zu begleiten und stehen für eine
menhänge und Geschehnisse tiefgründig und dif-         Horizontalisierung des institutionellen Gefüges
ferenziert jenseits der massenmedialen Berichter-      des Senders, möglicherweise in Form einer Rä-
stattung Interessierten zu vermitteln. Der Mittlere    testruktur. Ferner wollen wir das linke Selbstver-
Osten ist derzeit ein wichtiges Zentrum der vielfäl-   ständnis, die Solidarität unter den diversen Sen-
tigen globalen Krise und zentraler Schauplatz der      denden und das Verantwortungsbewusstsein des
ideologisch, geostrategisch und politisch geführten    Senders stärken, sodass wir in der Politik, im Alltag
Kriege - als ein solches Zentrum in der Peripherie     sowie im Medialen der Stadt Hamburg unsere pro-
steht er im engen Zusammenhang mit der Politik         gressive Rolle bewusster, gezielter und effizienter
und den Gesellschaften Europas. Es ist möglich         einnehmen können.
Themen wie Islamismus, Terrorismus, Wiederer-
starkung rechter Denke und Bewegungen, Sexis-              Wir lehnen jeglichen Monopolismus und das
mus, Flüchtlingskrise, Rassismus etc. zusammen-        Machtstreben sowohl innerhalb des Senders als
hängend in einen Topf zu werfen. Wir wollen mit        auch im Allgemeinen ab, stattdessen stehen wir für
unserer Sendung aufzeigen, wie diese scheinbar         die Stärkung und Selbstermächtigung der Men-
losen Punkte miteinander verflochten sind und der      schen und gesellschaftlichen Gruppen, der Unter-
Mittlere Osten um Kurdistan ein zentraler Ort der      drückten und Ausgebeuteten – wir verstehen den
Aushandlungen in der Krise und des Umbruchs            Sender als eine Ressource zur Informierung, Ver-
unserer Gegenwart ist. Im Fokus unserer Sendun-        netzung und der Stärkung libertärer und egalitärer
gen stehen auch internationalistische Kämpfe welt-     Ideen und Gesellschaftlichkeit.
weit und ihre gegenseitige Vernetzung und Solida-
rität ist uns ein Anliegen.                               Mit Freude und Hoffnung auf eine erfolgreiche
                                                       demokratische und progressive Umorientierung
     Neben den Kriegen und der Krisenhaftigkeit        und Umstrukturierung des FSKs
ist in Nordsyrien auch ein progressives und eman-
zipatorisches – radikal- und rätedemokratisches,           und lieben Grüßen,
ökologisch und feministisches sowie strukturell            Radyo Azadî
und normativ pluralistisches – Gesellschaftsmodell
im Werden, welches sich als kreative und lösungs-
orientierte Reaktion auf die diversen Probleme des
Mittleren Ostens und unserer Zeit versteht - mit
diesem Projekt und den Akteuren dieser Bewe-
gung solidarisieren wir uns ausdrücklich! Wir wol-
len in unserer Sendung die Theorien und Diskur-
se im Zusammenhang mit dem »Demokratischen
Konföderalismus« diskutieren und von den all-
tagspraktischen Entwicklungen in Kurdistan sowie
10
Eröffnung Avakino Filmkollektiv
    Im Gängeviertel, selbst ein lebendiger Ort         on einer Bandbreite an Filmen; der Entwicklung,
der vielfältigen Kunst- und Kulturproduktion, er-      Kritik, Produktion und Vorführung von kriti-
öffnen wir die Türen des Avakino Filmkollektivs.       scher Filmkunst und Schauspiel; der Teilnahme
Uns als in Hamburg lebenden Menschen eint der          an Film- und Kulturfestivals; des Aufbaus eines
Wunsch nach sozialkritischer, revolutionärer Film-     Archivs kurdischer Filmkunst, auch um dieser
kunst. Als Kollektiv mit einem radikaldemokrati-       mehr Bekanntheit zu verschaffen; der Vernetzung
schen Selbstverstädnis auf der Suche nach Alterna-     und Zusammenarbeit mit alternativen Filmschaf-
tiven beginnen wir dieses Projekt.                     fenden weltweit sowie der Aufbau einer Brücke zu
                                                       fortschrittlichen und alternativen Filmschaffenden
    Die Unterdrückung und Verfolgung der Kur-          Kurdistans.
dInnen führte auch das Verbot der kurdischen
Sprache mit sich. Bis Ende des letzten Jahrhunderts        Die Kollektivgründung zum Anlass nehmend,
wurde alles Kurdische in allen Teilen Kurdistans       wird das Musikkollektiv bANDiSTA aus Istanbul
durch die regionalen Nationalstaaten verboten, so-     ein Solidaritätskonzert geben. Ihre Musik nährt
dass bis in die 1990er Jahre auch keine Filme auf      sich von revolutionären Klängen aus aller Welt und
Kurdisch gemacht werden konnten. Dies änderte          der kulturellen Vielfalt Europas und des Nahen Os-
sich mit dem Sturz der Saddam-Diktatur im iraki-       tens. Grup Cemre wird ebenfalls spielen, im An-
schen Teil Kurdistans, wo sich anschließend zum        schluss ein DJ auflegen. Auch hierzu die herzliche
ersten Mal kurdische Filmkunst entwickeln konn-        Einladung, am 3. Oktober 2019 gemeinsam unsere
te. Mit der Revolution in Rojava im neuen Jahr-        Eröffnung zu feiern.
hundert gelang es der kurdischen Filmkunst, in
Kontinuität zu der bei der kurdischen Freiheitsbe-
wegung entstandenden Filme, neue Ausrichtungen            3. Oktober 2019
einzunehmen: Kritik am Kapitalismus und am Na-            Einlass 19:00, Beginn 20:00
tionalstaat, Ökologie, Feminismus prägen das neu          Fabrique im Gängeviertel
entstehende Kino.                                         Valentinskamp 28b, 20355 Hamburg

    Wir verstehen uns als Teil dieser Art von Film-       www.Avakino.de
und Kulturproduktion, sowie als Brücke zu ande-           Avakino-filmkollektiv@gmx.de
ren alternativen Projekten. Wir laden euch alle, die
ihr dieselben Ziele teilt, ein, sich einzumischen.        Twitter, Facebook, Instagram:
                                                          Avakino Filmkollektiv
    Die Schwerpunkte der Arbeiten liegen zu-
nächst auf folgenden Bereichen: der gemeinsamen
Bildung und der öffentlichen, kritischen Diskussi-

Die Qual der Wahl
Ein Land voller Phantomschmerz                         des realen Wahlausgangs nehmen wir das mal als
    Am 1. September wurde in zwei Bundeslän-           blanken Zynismus. Über 30% für die CDU in Sach-
dern der Bundesrepublik gewählt. In mindestens         sen sind mehr als eine kräftige Investition in die
einem der beiden Bundesländer entschied sich eine      Zukunft jener Partei, gegen die Michael Kretsch-
beinahe 2/3 Mehrheit der zur Wahl Gegangenen           mer am Ende seines Wahlkampfes mehr oder we-
für Schwarz-Braun. Sofort entbrannte ein Kampf         niger glaubwürdig zu Felde zog. Schließlich, und
um die Deutungshoheit über den Begriff des Kon-        das galt es eben in diesem Wahlkampf immer wie-
servatismus. Auch dieser soll sich von Neurechts/      der auch zu überdecken, ist es eben die beinahe
Altright angeeignet werden. Daß am Wahlabend           30jährige CDU-Alleinherrschaft gewesen, die „das
gar Stimmen zu hören waren, die den Ausgang die-       Problem“ erst hat wachsen lassen. Jene Partei ist
ser Wahl als Erfolg verzeichneten und von der Ver-     ins Parlament getragene außerparlamentarische
hinderung des Schlimmsten sprachen - angesichts        Bewegung; die APO unserer Tage. Deutscher Win-
                                                                                                      11
ter. Dass der sächsische CDU-Landesverband ein          Handschlag vom Bürgermeister begrüßt und ein-
besonderer ist, stellt er dabei nur all zu gerne kon-   geladen. Gleichzeitig stellt sich die CDU-Innenpo-
tinuierlich unter Beweis. In diesem Wahlkampf,          litik mit einem Sondereinsatzkommando zu seiner
so beschleicht eine/n das Gefühl, hat Michael           Sicherung bereit. Antifaschistisches Engagement,
Kretschmer die CDU-Veranstaltungen mit Betei-           das versucht örtliche Strukturen zu unterstützen,
ligten wie Maaßen noch meiden sollen; offensicht-       wird kriminalisiert und nach Möglichkeit auf Di-
lich aber ist geworden, dass wichtige Teile seiner      stanz gehalten. Doch es wäre zu kurz gedacht, die
Partei sich nun doch endlich offen mit dem weiter       sächsischen Zustände zu exotisieren. Es ist, neben
rechts stehenden Spektrum zu verbünden suchen,          dem Ministerpräsidenten, die CDU-Bundesvorsit-
um eine „stabile Zweierkoalition, eine bürgerliche“     zende die am Tag der Unteilbar-Demo Fotos von
zu bilden. Diese sind nicht nur selbstbewusster ge-     einer Oldtimer-Messe verbreitet und kurzerhand
worden, sondern auch erfolgreicher. Die CDU in          den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes (und
Sachsen hat, seitdem sie Regierungen stellt, Politik    damit war mehr als offensichtlich das gesamte
gemacht die auf einen Koalitionspartner wie die         Bundesgebiet gemeint) mitteilt: Protest, Organisa-
AFD nur wartet. Nun gibt es einen Juniorpartner,        tion und Widerstand sind die falschen Mittel und
der mit verbalen Entgleisungen, welche als solche       Wege. Nicht nur, dass sie damit nahezu sämtliche
nur gelten, Aufmerksamkeit bündelt und die eige-        emanzipatorischen Errungenschaften der vergan-
ne, schon längst mehr als radikal reaktionäre Poli-     genen Jahrhunderte in Abrede stellt, offenbart sie
tik zu übertünchen hilft.                               eine ohnehin schon deutliche Unglaubwürdigkeit
                                                        und Unfähigkeit in der Auseinandersetzung und
    Zu spüren ist das fast überall – vollständig        Bekämpfung völkischen Denkens und Handeln.
sichtbar wird es in Orten wie Wurzen, Bautzen           Diese Ohnmacht und dieser Unwille eines sich
oder Chemnitz. Hier werden von der Mehrheit der         selbst als (noch) bürgerlich bezeichnenden Spek-
Bevölkerung die wenigen Überreste an demokra-           trums ließ sich bereits Wochen zuvor, nach der
tischer Kultur bereitwillig aufgegeben. Das macht       Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke
erstmal keinen Unterschied zu Bundesländern wie         beobachten. Selbst in diesem Moment schien die
etwa Hessen oder Baden-Württemberg, doch zu-            Erkenntnis einer akuten Bedrohung erfolgreich
gleich ist ein nicht geringer Teil des Wahlvolkes       verdrängbar zu sein. Getreu dem Motto: die Opfer
eben anschlussfähig für Narrative a la „Wende 2.0“      werden immer die anderen sein, vertraut sich die
und „die Vollendung der friedlichen Revolution“         deutsche Seele. Dabei sind die Wahlen in Sachsen,
und setzt sich (sollte man diesen Sprachwirrungen       Brandenburg und Thüringen formalisierter Aus-
glauben) für ein Mehr an (volks-)demokratischer         druck manifester Rache- und Gewaltfantasien.
Teilhabe und Teilnahme ein. Dass dabei ein fehlen-           Von Links wird als Erklärungsmodell dieses
des Verständnis für die Ereignisse 89/90 vorliegt       ostdeutschen Wahlverhaltens immer wieder die
macht sich eben diese AFD nun zu Nutze. Vormals         Politik der Treuhand ins Feld geführt. Dabei muss
hatte diese Aufgabe der Integration von Oppositi-       notwendig verdrängt werden, dass es die Bevöl-
on zum „BRD-System“ mehr oder weniger erfolg-           kerung der ehemaligen DDR war, die sich mehr-
reich die Linke übernommen - nun aber, und das          heitlich im Jahre 1990 für Nation und Kapital
zeigt diese Wahl überdeutlich, entscheidet sich die     entschieden hat. Die vorangegangene Niederlage
Mehrheit deutscher Wähler*innen für das Origi-          nicht nur der radikalen Linken innerhalb der DDR
nal: völkisch, national.                                wird dabei unter den Tisch gekehrt, um nun, rück-
                                                        blickend, im Osten der BRD die deutsche Mehr-
     Das Ausmaß dieser Entwicklung ist bei Vie-         heitsbevölkerung als neue Opfergruppe ausfindig
len - vor allem im Westen der Bundesrepublik            zu machen. Die ökonomische Situation im Ostteil
noch lange nicht angekommen. Bei aller berech-          der Republik ist angespannter als im Westen und
tigter Kritik an der Unteilbar-Demo in Dresden,         unleugbar fanden in den letzten 30 Jahren Prozesse
wobei der größte Teil aus weiter Ferne vorge-           statt, die die Ungleichheit nicht verringert sondern
bracht wurde, übersah eben diese Kritik oftmals         vertieft haben - das ersehnte Versprechen des Kapi-
einen nicht unwesentlichen Faktor: sächsische           talismus hat seine Wirkung entfaltet. Schmerzhaft
Verhältnisse. Nicht nur, dass ein Nazi-Hooligan         aber scheint erneut für einige Linke die Erkenntnis
wie Benjamin Brinsa in Wurzen ins Stadtparla-           zu sein, dass sich „das deutsche Volk“ im Augen-
ment gewählt worden ist, er wird dort auch noch         blick der Krise eben völkisch entscheidet und nicht
als Demokrat legitimiert, normalisiert und per          für den Sozialismus.

12
Gerade in Brandenburg wurde die AFD auch            letzten 30 Jahren jene Kräfte innerhalb der ehema-
und vermehrt von Arbeiter*innen gewählt (wobei           ligen DDR zur Sprache kamen, die sowohl von der
dieser * nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass       BRD als auch von dieser Form des abgewrackten
die AFD vor allem - und das umfasst sämtliche            Pseudosozialismus nichts mehr wissen wollten.
Wählergruppen - verstärkt von Männern gewählt            Gleichzeitig wird deutlich, dass die AfD eben nicht
wird. So ist es auch wenig überraschend, dass der        nur die Partei alter frustrierter Männer ist, son-
Anteil an Frauen in den Landesparlamenten für            dern erfolgreich jene anspricht, die „das System“
die kommende Legislaturperiode so gering ist wie         überwinden wollen. Die AFD betreibt mit einem
schon lange nicht mehr. Und das liegt auch - aber        Wahlkampf a la „Wende 2.0“ offensichtlich erfolg-
nicht nur - daran, dass von Seiten der AFD aus-          reich die Revitalisierung des Mythos als politisches
schließlich Männer in die Parlamente entsandt            Mittel. Dem mit dem identitätspolitischen Kon-
werden. Auch innerhalb der Fraktionen der CDU            zept einer ostdeutschen Schicksalsgemeinschaft zu
ist ein Rückgang des Frauenanteils zu beobachten.)       begegnen, wie es seit Beginn des Sommers in letz-
     Gleichzeitig sind es auch besonders junge           ter Verzweiflung begonnen wurde, scheint wenig
Leute und Erstwähler*innen die ihr Kreuz am              zielführend.
rechten Rand machen. Daran wird auf der einen                                                         tm colaboration
Seite deutlich, wie wirkmächtig Narrative familien-
intern weitervererbt werden und wie wenig in den

Buch: Die Sprache der Neuen Rechten.
Populistische Rhetorik und Strategien
    »Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie       wieder und wieder bemüht, und das ist weder neu
werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wir-    noch irgendwie hilfreich zur Verbesserung der Situa-
kung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung   tion in einer Gesellschaft, die immer roher zu werden
doch da.« (Victor Klemperer)                             droht: Hetze, Fremdenhass, die Verunglimpfung von
                                                         Minderheiten, unanständigste Beschimpfungen von
     Und die Giftwirkung ist da, wie das erste Sep-      Privatpersonen aus der alleruntersten Schublade. In
tember-Wochenende unmissverständlich gezeigt hat,        Internetforen und sozialen Netzwerken nehmen die
an dem rechte Populisten es in Sachsen und Bran-         Menschen kein Blatt mehr vor den Mund; zuneh-
denburg jeweils zur zweitstärksten Partei gebracht       mend sind brutale, menschenverachtende und volks-
haben. Als wir dieses Buch begonnen haben, war           verhetzende Sprachausfälle, gar Aufrufe zur Gewalt
uns klar, dass es wichtig war. Dass es so wichtig sein   zu verzeichnen, die einen angst und bange werden
würde, hätten wir ehrlich gesagt nicht gedacht, und      lassen. Dass die Rezepte, die unsere Politiker dagegen
die Freude darüber bleibt uns naturgemäß im Halse        anwenden, kaum Wirkung zeigen, haben wir gese-
stecken. Eine breite Leserschaft wünschen wir ihm        hen. »So, wie wir aktuell mit der Rechten umgehen,
trotzdem bzw. gerade deshalb, denn indem Enno            schaffen wir das nicht!«, lautet denn auch Enno Stahls
Stahl die Sprache der Neuen Rechten, von Identitärer     ernüchterndes Fazit. Komplexe Kausalzusammen-
Bewegung, Antaios Verlag, AfD, PEGIDA und Co.,           hänge haben dazu geführt, dass es so weit hat kom-
auseinanderklaubt, entlarvt er klar und deutlich, was    men können. Dieser Essay schaut hinter die Kulissen
dahinter steckt – und was so viele der Wähler und        und analysiert die Bedingungen, die diese Entwick-
Sympathisanten der Neuen Rechten wahrscheinlich          lung begünstigt haben. Was man dagegen tun kann?
nicht wahrhaben wollen bzw. bewusst und beharrlich       Enno Stahl schließt mit einigen Hinweisen zur Stra-
leugnen: Es handelt sich nicht um originäre Rezep-       tegie im Handeln gegen Rechts.
te zur Verbesserung der Situation sozial Benachtei-
ligter oder der Situation der Gesellschaft insgesamt;                  Julia Aparicio Vogl, Lektorin des Kröner Verlags
der Rezepte sind überhaupt nicht viel und die soge-
nannten Rezepte zur Verbesserung der Situation der              Enno Stahl: Die Sprache der Neuen Rechten. Populisti-
›Kleinen Leute‹ entpuppen sich bei genauem Hinse-                sche Rhetorik und Strategien, Stuttgart: Kröner 2019.
hen sogar als das genaue Gegenteil. Nur eines wird                     ISBN: 978-3-520-72101-3, 208 Seiten, 14,90 €

                                                                                                                    13
RADIO IM OKTOBER
Die Untüchtigen: »My                                     „Die Distanz war gegebenen“
only friend the End. Ein                                 - Eine radiophone Annähe-
ABC der Apokalypse«                                      rung an Christian Geissler
Donnerstag, 03. Oktober, um 09.00 h                      Montag, 21. Oktober, um 15.30 Uhr
„Ein ABC der Apokalypse anlässlich der Wieder-           Da sprach ein Kommunist und er wagte es sich mit
geburt der Untüchtigen. Szenische Lesung und             der Geschichte, auch und vor allem der kommunisti-
kleine Feierstunde mit Gala Winter, Ruth Marie           schen, anders als wissenschaftlich auseinanderzuset-
Kröger, Roger Behrens, dem Granulitpavillon und          zen. Er suchte, auch in der Sprache, einen Weg zu fin-
den Untüchtigen.“                                        den, mit den Niederlagen, Rückschlägen und Irrun-
                                                         gen, die das 20. Jahrhundert der kommunistischen
Alles längst Geschichte?!                                Utopie unwiederbringlich zugefügt hatte, umgehen
                                                         zu können. Mögen seine Erzählungen und Reden
Freitag, 11. Oktober, um 10.00 Uhr                       sich vor einem konkreten historischen Zusammen-
                                                         hang abspielen, ist doch etwas darin, was darüberhin-
„[N]ichts, was sich jemals ereignet hat, [ist] für die   aus weist. Die vielleicht zentrale Fragestellung in z.B.
Geschichte verloren zu geben“, formulierte Walter        kamalatta danach, was der Hauptprotagonist Proff
Benjamin einst als Anspruch von Geschichtsschrei-        bereit ist für das Erlangen der Utopie aufzugeben,
bung. Dagegen wird Geschehenes häufig nur zu             hat nichts an ihrer Aktualität verloren – mehr noch
gerne als Geschichte abgehakt, um die „versteinerten     stellt sie eigentlich die weit verpönte Frage nach der
Verhältnisse“(Marx) zu affirmieren. In der Auseinan-     konkreten Erscheinungsform der Utopie und dem
dersetzung mit der aktuellen Geschichtsschreibung        Weg dorthin. Christian Geissler war und ist dabei nie
zum 100. Jubiläum der Uni Hamburg setzen wir uns         unvoreingenommen, nie unparteiisch, nie aber auch
mit verschiedenen geschichtswissenschaftlichen An-       ohne Widerspruch.
sätzen auseinander.
                                                         Messitsch Radio Show #4
Dr. Rhytm & Soul                                         Dienstag, 22. Oktober, um 22.00 Uhr
Samstag, 12. Oktober, um 17.00 Uhr
                                                         Musik, Interviews und Radioessay zur DDR- Indie-
Soulfull music for open minded soulfull lovers           szene und aktuellen ostdeutschen Alternativszene.
                                                         Die „anderen“ Bands bis Punk und Electronic mit
No Future? Das Potential                                 Hodscha und Christo. Benannt nach dem Leipziger
                                                         Musikmagazin MESSITSCH (1987-1993).
der Utopie - SchwarzRund
und María do Mar Cast-                                   Ein migrantisches 1968?
ro Varela in der W3                                      Montag, 28. Oktober, um 14.00 Uhr +
Montag, 14. Oktober, um 14.00 Uhr                        Mittwoch 30. Oktober um 08.00 Uhr
                                                         Warum erscheint die Student*innenbewegung im
Mit dem Bild der Alternativlosigkeit kommt häufig        Nachhinein als „urdeutsche“ Angelegenheit? Offen-
eine lähmende Resignation, die höchstens noch an         bar wird der Anteil von Migrant*innen am Erbe von
Schadensbegrenzung glaubt. Ist ein hoffnungsvoller       1968ff. unterschätzt oder vergessen. Jedenfalls sind in
Ort in der Zukunft utopisch?                             der Rezeption diese historischen Kämpfe nicht wirk-
                                                         lich präsent – ob nun in den Medien, der Wissen-
                                                         schaft oder selbst der Linken.

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