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DAS MAGAZIN DER SSBL Hoch zu Ross der Reuss entlang Der Donnerstag ist der Lieblingstag von Bewohner Matthias Jambé. Dann darf er zu seiner «Nasi». SEITE 15 VON DER AUSGRENZUNG EMOTIONEN VERBINDEN ZUR SELBSTBESTIMMUNG Die Opernsängerin Regula Wie leben Menschen Mühlemann engagiert sich mit Behinderung heute? für die SSBL. AUSGABE 1 JUNI 2019 SEITE 6 SEITE 30
EDITORIAL SEITE 4 Fokus Einsichten Gesellschaft Hoch zu Ross der Reuss entlang Umgang mit Behinderung – Ein Tag mit Matthias Jambé SEITE 15 damals, heute, morgen Wie hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Behinderung Mitreden und mitgestalten verändert? SEITE 4 Selbstbestimmt kommunizieren SEITE 19 Von der Ausgrenzung Wenn Wünsche wahr werden zur Selbstbestimmung Der Herzenswunsch von Walter Bucher wird erfüllt. SEITE 21 Eine Zeitreise durch 60 Jahre SEITE 6 Elementare und berührende Erfahrungen Im Kinderhaus Weidmatt finden Eltern Wir sind und und Kinder Unterstützung. SEITE 24 handeln vernetzt Standorte und Partner der SSBL Zusammenfassung des SEITE 11 Jahresberichts SEITE 26 Emotionen Ansichten verbinden Interview mit der Opernsängerin und Ein Bundesrats-Pferd SSBL-Botschafterin im Reitstall Rathausen Regula Mühlemann Alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann SEITE 30 über die Beweggründe, weshalb er sein Pferd Voltéro nach Rathausen gebracht hat. SEITE 12 Aussichten VERANSTALTUNGEN SEITE 34 Kunterbunt vermischt. NEWS SEITE 34 IMPRESSUM SEITE 35 Die Kunst des Zusammenlebens besteht darin, alle Nuancen einer Gesellschaft zu einem einzigartigen Gesamtbild zu vereinen. Helfen Sie mit! QR-CODE | Zu den mit einem QR-Code versehenen Artikeln finden Sie vertiefte Informationen auf unserer Website. Wenn Sie den QR-Code in einem QR-Code-Reader einlesen, gelangen Sie direkt zu diesen Artikeln.
EDITORIAL FOKUSTHEMA Viel hat sich in den letzten Jahrzehnten für Menschen mit Beeinträchtigung verändert. Im Umgang mit Gegensatz zu früher werden sie heute bei der Ausgestaltung ihres Lebensalltags so gut als Behinderung – Professionalität Wir erklären uns zuständig für Menschen mit schweren geistigen und mehrfachen Behinderungen möglich miteinbezogen – sie bestimmen mit und können teilhaben. Das gesellschaftliche damals, heute, und orientieren uns dabei an fundierten Erkennt- nissen und der bestmöglichen Anwendung. Wir leisten unseren Beitrag zur morgen Verständnis für ihre Bedürfnisse und Fähig- Umsetzung der UN-Behindertenrechts- konvention. Sie fordert uns keiten hat sich zum Positiven verändert. heraus, unser Handeln zu reflektie- ren und weiterzuentwickeln. Mitarbeitende Lebensraum In der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern Die Mitarbeitenden überneh- Wir ermöglichen verschiedene SSBL begleiten wir seit 1971 Menschen mit Das Leitbild der Stiftung men Verantwortung. Sie sind Formen der Betreuung und des Behinderung auf ihrem Lebensweg. Wir schaf- Botschafter/-innen unserer Zusammenlebens. Wir vermitteln für Schwerbehinderte Luzern Werte und der Schlüssel zum Orientierung und Schutz für fen Räume, in denen sie ihre persönlichen SSBL hält die für unsere Arbeit Erfolg. Wir pflegen eine ein Leben in Vielfalt. Möglichkeiten leben und entwickeln können, Kultur der Wertschätzung. und den Umgang mit den Mission sowie Orte der Begegnung. Menschen mit Be- Bewohnerinnen und Bewohnern Wir gestalten Lebens- einträchtigung finden bei uns einen Lebens wegleitenden sechs Handlungs raum für Menschen platz «z’mitts drin». mit Behinderung und felder fest. schaffen Räume, in denen «Z’mitts drin» ist unser Motto und auch der sie ihre persönlichen Name des neuen, halbjährlich erscheinen- In jedem Magazin «z’mitts drin» Gesellschaft Möglichkeiten leben und den Magazins der SSBL. Ein wechselndes legen wir das Hauptaugenmerk Zusammenarbeit Wir erfüllen einen entwickeln können. Gesellschaft Fokusthema vertieft Aspekte, die für unse- auf eines dieser Handlungsfelder. Wir verstehen uns als Teil eines gesellschaftlichen Auftrag. Netzwerkes und pflegen den Wir erfüllen einen gesell - ren gesellschaftlichen Auftrag relevant sind. Wir bieten Arbeits- schaftlichen und Auftrag. In der vorliegenden Ausgabe Austausch mit Bezugspersonen, Wir bieten Arbeits- und Ausbil- Geschichten aus dem Alltag öffnen Türen Organisationen und Diensten. Ausbildungsplätze an und mitten in die Lebenswelten unserer Bewoh- ist es das Thema «Gesellschaft». Wir sind Dienstleister/-innen dungsplätze an und vermitteln vermitteln Fachkompetenz. Fachkompetenz. Wir informieren und vermitteln im Interesse der nerinnen und Bewohner. betreuten Personen. Wir führen Wir aktiv informieren aktivfür und schaffen Räume und Begegnungen. verbindlich und beziehen schaffen Räume für dabei die Mitarbeitenden Selbstbestimmung Begegnungen. Ich wünsche Ihnen eine interessante und an- mit ein. regende Lektüre. Vielleicht dürfen wir Sie auch Mit Engagement und Kompetenz befähigen wir Menschen mit Behinderung, demnächst in Rathausen begrüssen – einem ihre eigenen Entscheidungen zu inspirierenden Ort der Begegnung. treffen. Dazu schaffen wir Wahlmöglichkeiten und Entwicklungsfelder. Diese ermöglichen wichtige Lebenserfahrungen, die dabei helfen, auch Rückschläge zu bewältigen. Die SSBL erfüllt einen gesellschaftlichen Auftrag Rathausen soll Der Wandel, der im Umgang mit Menschen mit Be- ein Ort der hinderung stattgefunden hat und weiter stattfindet, beeinflusst unsere Angebote und unsere Arbeit Begegnung sein. sehr direkt. Noch werden Menschen mit Behinde- rung in unserer Gesellschaft unzureichend mitein- gebunden. Doch es findet ein Umdenken statt: Das Miteinander wird immer selbstverständlicher. Wir Auf den folgenden Seiten lesen Sie, wie sich die engagieren uns täglich dafür, dass alle gleichbe- gesellschaftliche Wahrnehmung von Behinderung rechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen verändert hat. Und wir zeigen auf, in welchem Kon- können – egal wie unterschiedlich sie sind, egal ob text und Netzwerk die SSBL Lebensraum für Men- behindert oder nicht behindert. In unserer Vorbild- schen mit Behinderung schafft, sodass diese ihre Dr. Esther Schönberger funktion schaffen wir insbesondere in Rathausen persönlichen Möglichkeiten leben und entwickeln Präsidentin des Stiftungsrates einen Ort der Begegnung. können. 4 EDITORIAL FOKUS GESELLSCHAFT 5
«Ech cha metbestemme.» Von der Ausgrenzung zur Selbstbestimmung Der Umgang mit Menschen mit Behinderung ist in der westlichen Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten respektvoller geworden. Nach Jahrhunderten der Ausgrenzung brachten Angebote der Behinderten- hilfe und Integrationsbemühungen entscheidende Verbesserungen. Was heisst das für Menschen mit schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung? UN-Behinderten- Kanton Luzern: rechtskonvention Leitbild «Leben mit Behinderungen» Thamara Jüstrich Behinderten- gleichstellungs- Invaliden Gründung gesetz versicherung IV SSBL gezielt gefördert und könnte sich vielleicht gestal- Erkenntnissen die Jahrzehnte und war bis in die terisch betätigen. Im Mittelalter wäre es nochmals 1970er-Jahre zu hören. Dass behinderte Kinder ganz anders gewesen. Damals wurden Kinder, die noch im 20. Jahrhundert oft nicht getauft werden eine Körperbehinderung hatten, misshandelt und durften oder keine angemessene Beerdigung erhiel- oft getötet. Menschen mit Behinderung stellte man ten, ist – gerade aus religiöser Perspektive – e xtrem auf Jahrmärkten als sogenannte «Missgeburten» befremdend. 1959. Eine Gemeinde im Luzernischen. Das Wohn- Marias Leben war völlig anders, aber irgendwie oder «Krüppel» zur Schau. Gewisse Behinderungs- haus steht mitten im Dorf. Das Mädchen wälzt sich war es auch normal, dass es so war und dass sie in arten wurden mit dem Wirken teuflischer Kräfte in Trotz solcher Haltungen vollzog sich seit Beginn des im Bett. Manchmal gibt es Laute von sich. Das Zim- diesem Zimmer lag. Wo hätte sie sonst sein sollen? Verbindung gebracht. Für die meisten Menschen 20. Jahrhunderts eine Entwicklung, die schrittweise mer ist abgedunkelt, die Türe steht halboffen. Maria Sie schien gut aufgehoben. Manchmal kam eine mit Behinderung blieb das Betteln die einzige Mög- zu Verbesserungen führte. Ein relativer Fortschritt ist schwer geistig behindert. Ihre Mutter führt ihr Ordensschwester vorbei, die sich im Dorf um alte lichkeit, um überleben zu können. zur «Strafe Gottes» war die Medizinalisierung: Be- das Essen mit einem Löffel in den Mund. Manchmal und kranke Leute kümmerte. Wenn Besuch kam, hinderungen wurden als Krankheit verstanden und übernehmen das auch die drei Geschwister. Der stand die Türe weiterhin halboffen. Gross helfen Im 19. Jahrhundert setzten sich im Rahmen der die betroffenen Menschen in Psychiatrien, Heimen Vater ist früh gestorben. Maria hat sich nie draussen konnte man ihr nicht, so dachte man. War sie ein «Armen pflege» langsam fürsorgerische Massnah- und Asylen untergebracht. Wesentlich fruchtbarer auf der Strasse aufgehalten. Ein Rollstuhl ist nicht «armer Tüüfel», wie einige sagten? Nein. Sie war men durch, die von kirchlichen und religiösen war die in der Schweiz entstehende heilpädagogi- vorhanden. Das Mädchen verbringt sein Leben im einfach. Sie war auch ein Leben. Aber das «gute Kreisen initiiert wurden. In «Anstalten» erfuhren sche Praxis. Sie entwickelte neue Methoden und Bett, bis es im Alter von 18 Jahren an einer Lungen- Leben», das heute auf der Agenda der betreuen- taubstumme, blinde und später auch geistig und Organisationsformen, um Menschen mit Behinde- entzündung stirbt. den Institutionen steht, das hatte sie nicht. körperlich behinderte Kinder eine erste rudimen- rung in Sonderschulen zu fördern. Ein Pionier war täre «Förderung». Aber man war noch weit davon der Heilpädagoge Heinrich Hanselmann (1885– Das Schicksal von Maria hat mich damals, als kleiner Krüppel, Betteln, Strafe Gottes entfernt, diese Menschen als gleichberechtigt 1960), der 1924 das Heilpädagogische Seminar Junge, berührt. Ich empfand Mitleid mit ihr. Bedau- Heute würde Maria in einer Wohngruppe leben, wahrzunehmen. Die religiös verbrämte Vorstel- (HPS) in Zürich mitbegründete. erte, dass sie nie nach draussen konnte. Dennoch hätte Kontakt mit anderen Menschen, würde auf lung, dass Menschen mit Behinderung eine Strafe war ich nicht empört über «diese Zustände». der Kommunikations- und Wahrnehmungsebene Gottes seien, überdauerte trotz heilpädagogischen WEITER AUF SEITE 8 6 FOKUS GESELLSCHAFT FOKUS GESELLSCHAFT 7
Die IV als grundlegende Weichenstellung Vanessa Bachmann Ein Wendepunkt kam, als 1960 die Invalidenversi- cherung (IV) in Kraft trat. «Die IV ist eine der mar- Das Wohl der einzelnen kantesten Weichenstellungen für die Förderung und das Wohlbefinden von Menschen mit Behinde- Menschen mit ihren rung», sagt der Heilpädagoge und Dozent Albin individuellen Wünschen Dietrich, Mitglied des Stiftungsrats der SSBL. Die IV ermöglichte nicht nur eine Rente für Menschen und Bedürfnissen mit Behinderung, sie finanzierte auch Wohnplätze, geschützte Werkstätten und verschiedene Einglie- steht im Mittelpunkt. derungsmassnahmen («Eingliederung vor Rente»). «Mit dieser Finanzierung sind Institutionen wie die SSBL oder das Brändi überhaupt erst möglich ge- worden.» Denn auch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg und teilweise bis in die späten 1970er-Jahre wurden erwachsene Menschen mit schwerster Behinderung noch immer in psychia- Sabrina Soffner trischen Institutionen, Alters- und Pflegeheimen untergebracht oder aber – wie im Falle von Maria – zuhause betreut, wenn die finanziellen Verhältnisse prekär waren. Nach dem Inkrafttreten der IV for- derten politische Vorstösse und soziale Organisa- Behindertengleichstellungsgesetz enthält Vorga- einander wahrnehme und miteinander lebe. Im Um- tionen geschützte Arbeitsplätze und Wohnheime ben, die es Menschen mit Behinderung erleichtern, gang mit Menschen mit schwerster Behinderung für «geistig und körperliche Invalide». Die IV mach- am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wäh- zeigt sich das an der Selbstbestimmung, wie sie im te es möglich, dass erstmals arbeitsäquivalente rend sich solche Massnahmen in erster Linie auf Alltag immer mehr an Boden gewinnt. «Das beginnt Anregungen und Tagesstrukturen für Menschen infrastrukturelle Verbesserungen bei Bauten und damit, dass Menschen mit Behinderung ihre Be- mit Behinderung realisiert werden konnten. 1968 Anlagen auswirken, ist die UN-Behindertenrechts- dürfnisse artikulieren können. Und dass man diese wurde die Stiftung Brändi gegründet, 1971 die Stif- konvention noch umfassender. Sie verbietet die wahrnimmt, respektiert und ihnen Folge leistet.» tung für Schwerbehinderte Luzern SSBL. Beide Diskriminierung von Behinderten in allen Lebens Stiftungen entstanden auf Initiative der heutigen bereichen und garantiert ihnen die bürgerlichen, Insieme, in Zusammenarbeit mit dem Kanton politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturel- INTERVIEW MIT RAHEL HUBER, SOZIALPÄDAGOGIN SSBL Luzern. len Menschenrechte. Der Einbezug von Menschen mit Behinderung in die Gestal- tung ihres Lebensalltags ist für Rahel Huber die grösste Veränderung in den letzten 20 Jahren. Die Sozialpädagogin Mit dem Eichwäldli in Luzern konnte 1972 die erste Nach den vielen düsteren, von Ausgrenzung und hat bei der SSBL zehn Jahre lang den Fach- bereich Begleiten und Betreuen geleitet. Tages-Beschäftigungsstätte für Menschen mit Diskriminierung gezeichneten Kapiteln im Umgang Im Interview auf unserer Website steht sie schwerer Behinderung eröffnet werden. «1979 folg- mit Menschen mit Behinderung, die noch bis weit Red und Antwort. te die erste Wohngruppe in Gunzwil, und von da ins 20. Jahrhundert aufgeschlagen blieben, ver- an ging es zügig vorwärts», sagt Dietrich. Paral- sprechen die neusten Entwicklungen eine hoff- www.ssbl.ch/individuum Heute werden Menschen lel zu diesen emanzipatorischen Entwicklungen im Bereich des Wohnens und Arbeitens wurde auch in nungsvollere Zukunft. Es geht um ein menschen- würdiges Leben, das alle meint und betrifft. wie die im Artikel den Sonderschulen der systematische Aufbau von Fähigkeiten für Menschen mit Behinderung weiter- Inzwischen steht in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung über die Integration hinaus die Inklu- Die Sozialpädagogin Rahel Huber hat diese Ent- wicklung in der Praxis selber mitgeprägt. «Die SSBL eingangs erwähnte Maria entwickelt und intensiviert. Dietrich: «Auch Men- sion im Fokus. «Integration unterstützt den Men- versucht, bei möglichst allen Entscheidungen den gezielt gefördert. schen mit schwerster Behinderung können bei pas- sender Unterstützung erstaunliche Fähigkeiten auf schen, dass er in einem bestimmten Setting leben kann. Aber man verändert dabei nicht die Gesell- Willen der Bewohner/-innen oder Tagesbeschäf- tigten zu erfragen und diese Willensäusserung er- der Ebene des Wahrnehmens und Kommunizierens schaft», erklärt Dietrich einen wichtigen Unter- fahrbar zu machen.» Heute stehe nicht mehr primär entwickeln. Das trägt sehr viel zur Selbstbestim- schied. Inklusion hingegen impliziere, dass sich die das Wohl einer Gruppe im Mittelpunkt, sondern die mung bei.» Gesellschaft und alle Lebensbereiche bis hin zu den einzelnen Menschen mit ihren individuellen Wün- «Das war europaweit der erste Lehrstuhl für Sonder Haltungen der einzelnen Menschen so verändern schen und Bedürfnissen. Denn auch für Menschen pädagogik», betont Rahel Huber, die jahrelang den Teilhaben können in allen Bereichen müssten, dass alle gleichberechtigt dazugehören. mit schwerer Behinderung gibt es im Rahmen der Fachbereich Begleiten und Betreuen bei der Stif- Mit dem Behindertengleichstellungsgesetz von Gegebenheiten ein «gutes Leben». Dass die Betrof- tung für Schwerbehinderte Luzern SSBL geleitet 2002 sowie der Ratifizierung der UN-Behinderten «Als Vision ist diese Haltung von entscheiden- fenen bei der Ausgestaltung ihres Lebensalltags hat. «Von daher konnte man in der Schweiz schon rechtskonvention 2014 folgten zwei weitere mar- der Bedeutung», sagt Dietrich, auch wenn der Weg miteinbezogen werden, hält Rahel Huber für die früh Sonderpädagogik studieren. Hanselmann hat kante Errungenschaften für das Leben und das zur Umsetzung sehr weit sei. Letztlich erfordere grösste Veränderung in den letzten 20 Jahren. ein ganz anderes Berufsverständnis entwickelt.» Wohlergehen von Menschen mit Behinderung. Das das ein grundlegend neues Verständnis, wie man PIRMIN BOSSART 8 FOKUS GESELLSCHAFT FOKUS GESELLSCHAFT 9
Wir sind und handeln vernetzt STANDORTE Reiden im ganzen Kanton Luzern verteilt Hitzkirch Pfaffnau ssbl.ch/standorte Knutwil Nebikon Buchrain Emmen-Rathausen Hergiswil Luzern-Littau Weitere Informationen finden Sie unter jti.com/switzerland Luzern-Allmend Wolhusen Schüpfheim NETZWERK Auftraggeber Klarheit im Meer der Medizinische Versorgung Versicherungen. Wer finden will, muss eintauchen. Therapien und Beschäftigung Hauptsitz mit sechs Wohnhäusern und Zentrum für Arbeit und Beschäftigung (ZABA) Wissensmanagement Wohn- und/oder Tagesplätze SSBL Stichhaltige Entscheidungsgrundlagen für faire und Kinderhaus Weidmatt überzeugende Versicherungslösungen. www.sp-group.ch gemeinsames Angebot mit Stiftung Brändi 10 FOKUS GESELLSCHAFT FOKUS GESELLSCHAFT 11
INTERVIEW | Im Gespräch mit alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann Ein Bundesrats-Pferd sind wir bis jetzt nicht von schweren Behinderun- gen betroffen. In den Firmen beschäftigen wir im- mer wieder Rollstuhlfahrer. Und wenn mir etwas im Reitstall Rathausen Eindruck macht, dann dies: Die meisten Menschen mit Handicap haben einen enormen Leistungswil- len und wollen nicht geschont werden. Sie stellen Voltéro wird im Reitstall Rathausen zum Therapiepferd ausgebildet. ihren Mann beziehungsweise ihre Frau. Das Freibergerpferd gehörte alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Der ehemalige Magistrat erzählt im Interview, wie das Pferd nach Wie beurteilen Sie die Situation und den Umgang mit Menschen mit einer Behinderung in unserem Rathausen kam. Und was er ihm schon mal ins Ohr geflüstert hat. Land? In den vergangenen Jahren ist eine grosse Entwicklung passiert. Es scheint in der Gesellschaft INTERVIEW VON PIRMIN BOSSART angekommen zu sein, dass Gleichberechtigung in Alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann, wie allen Belangen als Selbstverständlichkeit zu gelten sind Sie Pferdebesitzer geworden? Sind Sie ein hat. Natürlich ist immer noch viel zu tun. Es ist ein Pferdefreund? Ich bekam das Fohlen anlässlich «Voltéro ist sehr stetiger Prozess, bei dem jede/-r Einzelne unserer meiner Teilnahme am Marché-Concours in Saigne- légier vom Freibergerzuchtverband und der Volks- menschenbezogen, Gesellschaft gefordert ist. wirtschaftsdirektion des Kantons Jura geschenkt. Ich liebe Tiere. Pferde ganz besonders. Als Schüler aufmerksam und Sehen Sie Möglichkeiten, dass die Wirtschaft Menschen mit einer Behinderung noch besser verbrachte ich jede freie Minute auf dem Bauernhof lernwillig – beste integrieren könnte? In dieser Beziehung beginnen neue Modelle zu greifen: Es wird vermehrt in syste- meines Onkels. Ich durfte alles machen, mit Aus- nahme des Sattelns und des Führens der Pferde. Voraussetzungen für mischen Zusammenhängen gedacht. Menschen Ich erkannte so schon sehr früh den Wert und die Bedeutung dieses wichtigsten Leistungsträgers in ein Therapiepferd.» mit besonderen Bedürfnissen werden auf ihrem Integrationsweg sehr oft individuell begleitet. Es der damaligen Landwirtschaft. finden sich mehr Arbeitgeber, die geschützte Informationen zur Pferdegestützten Therapie Arbeitsplätze in ihrem Betrieb anbieten und dies finden Sie auf Seite 14. Was taten Sie als frischgebackener Bundesrat auch als Bereicherung erleben. mit einem solchen Geschenk, was war Ihr erster Alt Bundesrat Johann Schneider-Ammann mit Voltéro. Schritt? Geschenke meldet der einzelne Bundes- Was wünschen Sie Ihrem Pferd für seine weitere rat dem Bundesrats-Kollegium an. Der Bundesrat Zukunft? Ich wünsche Voltéro von Herzen, dass bewilligte den Besitz, somit konnte das Fohlen sein Lebensplatz in Rathausen seinen Fähigkeiten Voltéro im Jura bleiben und die erste Zeit auf der Haben Sie das Pferd manchmal auch besucht an Mächler, in dem ganz viele Bewohnerinnen und entspricht. Und natürlich wünsche ich ihm, dass Weide verbringen. Wichtig war mir, dass er art seinen Ausbildungsplätzen? Haben Sie mit ihm Bewohner der SSBL von der Pferdegestützten The- seine Pferdefreunde/-innen im Freilaufstall Rat- gerecht in einer Pferdegruppe aufwachsen konnte. geredet? Bereits während Voltéros Zeit auf der rapie profitieren dürfen, wurde mir durch meine hausen ihn mögen. Dass all die Menschen um ihn Offensichtlich fühlte er sich auf der Domaine de Juraweide habe ich, soweit meine Zeit als Bundes- Bekannte empfohlen. Sie ist verantwortlich für die herum ihn sofort ins Herz geschlossen haben, Peu Claude in Les Bois bei Familie Combremont rat es zuliess, seine Entwicklung verfolgt. Ich habe Qualitätssicherung in der Vereinigung Pferdege- davon durfte ich mich beim Besuch in Rathausen sehr wohl. ebenfalls mit Freude die Resultate des Feldtests, stützte Therapie Schweiz. Sie wusste, dass Natascha bereits überzeugen! den die jungen Freibergerpferde absolvieren, zur Mächler auf der Suche nach einem Pferd war, wel- Heute lebt Voltéro im Reitstall Rathausen und Kenntnis genommen. Während seiner Ausbildung ches auch etwas schwerere Klienten/-innen tragen wird zum Therapiepferd für die Bewohner/-innen im Nationalen Pferdezentrum Bern (NPZ) habe ich könnte. Zudem ist der Stall Rathausen mit der der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL die Gelegenheit für einen Ausflug mit meiner Fami- «Qualitätsplakette für Therapieställe» ausgezeich- ausgebildet. Wie hat sich das ergeben? Durch eine lie genutzt. Voltéro hat uns, zusammen mit einem net, die durch die PT-CH ver geben wird. Somit Bekannte, die im Vorstand der Pferdegestützten erfahrenen älteren Pferd, im Gesellschaftswagen hatte ich Gewähr, dass die bestmöglichen Voraus- Therapie Schweiz (PT-CH) mitarbeitet, wurde ich durch Berns Aussenquartiere gezogen. Es war ein- setzungen für eine befriedigende Zukunft von darauf aufmerksam gemacht, dass Freibergerpfer- drücklich zu erleben, wie sich das kleine, verspielte Voltéro gegeben sind. Am meisten habe ich mich de gerne in der Therapiearbeit mit Menschen mit Fohlen zu einem selbstbewussten, starken Pferd aber darüber gefreut, dass die ganze Familie von Behinderung eingesetzt werden. Voltéro wurde also entwickelt hatte. Ob ich mit ihm geredet habe? Ja, Natascha Mächler sofort einen guten Bezug zu im Hinblick auf eine solche Lebensaufgabe getes- ich habe ihm ins Ohr geflüstert, er solle sehr sorg- Voltéro gefunden hat und ihm einen Lebensplatz tet. Meine Frau, die bei diesem Augenschein dabei fältig mit uns und seinen zukünftigen Reiterinnen zusichern möchte. war, erzählte mir, dass Voltéro all seine Aufgaben mit und Reitern umgehen! Bravour gelöst habe: Er sei sehr menschenbezo- Haben Sie in Ihrem privaten Umfeld auch mit Men- gen, aufmerksam und lernwillig gewesen. Ich kann Was sagen Sie zu Voltéros neuer Heimat und sei- schen mit einer Behinderung zu tun? Gibt es ir- mir gut vorstellen, dass genau dies gern gesehene nem Einsatzgebiet? Glauben Sie, dass er am rich- gendein Erlebnis, das Ihnen Eindruck gemacht hat Dominik Winkler hat Voltéro ins Herz geschlossen. Qualitäten eines Therapiepferdes sind. tigen Ort ist? Der Stall Rathausen von Natascha oder das Sie berührt? In der nahen Verwandtschaft 12 ANSICHTEN ANSICHTEN 13
Der Reitstall Rathausen Der Reitstall Rathausen auf dem Areal der SSBL bietet Menschen mit schwerer Behinderung Pferde gestützte Therapie an. Die langjährige Leiterin Natascha Mächler ist ausgebildete Fachfrau für Pferdegestützte The- rapie und Reitpädagogin. Sie hat enorm viel Erfahrung darin, die individuellen Bedürfnisse ihrer Klienten/-innen in die Therapie einzubin- den. Der Umgang mit Pferden wirkt sich für Menschen mit Behinderung auf verschiedenen Einblick in den Alltag von Matthias Jambé Ebenen positiv aus. Der (Körper-)Kontakt zu Hoch zu Ross den Tieren ist ein Stimmungsaufheller, der auch das Stressbarometer senkt. Und bei den sorg- fältig abgestimmten Arbeitsschritten im Reit- stall Rathausen werden Feinmotorik und wei- tere Fähigkeiten der Klientinnen und Klienten der Reuss entlang trainiert und gestärkt. Das Angebot des Reit- stalls Rathausen von Natascha Mächler ist durch Der 26-jährige Matthias Jambé lebt unter den Verein Pferdegestützte Therapie Schweiz der Woche in einer der Wohngruppen der (PT-CH) zertifiziert. Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL in Rathausen. Auf den Donnerstag freut Mehr Informationen unter reitstall-rathausen.ch er sich immer besonders: Dann geht es zum Reitstall in die Pferdegestützte Therapie. Das weisse Pferd setzt zu einem leichten Trab an, mit einem unangekündigten Besuch und begleiten SPENDENAKTION auf seinem Rücken sitzt Matthias Jambé mit roter ihn zum Reitstall. «Noch vor ein paar Monaten hät- Der Verein Freunde der Stiftung für Schwer Jacke und Reithelm. Für einen kurzen Moment hebt te ihn eine solche Abweichung aus der Bahn gewor- behinderte Luzern SSBL sammelt für einen er beide Arme, reitet freihändig und hat ein breites fen», sagt Vater Hansruedi Jambé und freut sich, gedeckten Therapie-Reitplatz beim Reitstall Lächeln im Gesicht. Neben den beiden geht Nata- dass Matthias heute viel besser damit umgehen Rathausen. Dieser Reitplatz schafft den ge- scha Mächler, Leiterin des Reitstalls Rathausen und kann. «In Zusammenarbeit mit der Gruppenleitung schützten Rahmen, damit Therapien für alle und verantwortlich für die Pferdegestützte Therapie. und dem Pflegeteam haben wir während den letz- bei jedem Wetter durchgeführt werden kön- Sie kennt den jungen Mann bestens: Schon seit vie- ten zwei Jahren sukzessive alle Medikamente ab- nen. Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung! Herzlic len Jahren kommt der 26-Jährige einmal in der gesetzt. Das hat sich positiv ausgewirkt: Uns kommt hen Woche zu ihr in den Reitstall. es vor, als wäre bei ihm die Handbremse gelöst Dank fü Ihre Sp r ende Mehr Informationen unter worden.» Seither habe Matthias nicht nur zehn Kilo ssbl.ch/spendenaktion Matthias hat Trisomie 21 mit leicht autistischen Zü- abgenommen, sondern sei auch lebhafter als zuvor. SPENDENAKTION der Freunde der SSBL Stif tun Schwe für g gen und ist auf Intensivbetreuung angewiesen. Seit Dazu passt, dass er neuerdings das Kickboard aus- für einen rbehin seiner Volljährigkeit lebt er unter der Woche in der probiert, mit dem Natascha Mächler ihn abholt und Luzern der te gedeckten Thera SSB L pie- Rathau Reitplatz 6032 sen Emme T 041 n 269 35 F 041 00 269 35 SSBL in der Gruppe Mythen. Hier wird er auch ab- auf dem er mit ihrer Unterstützung die wackelige info @s 01 sbl.ch www.s sbl.ch SINNV OLL SPEN DEN Lebe n Unsere freud s- geholt von Natascha Mächler, wenn seine Pferde Fahrt dem Reitstall entgegen macht. Dort ange- Buchra Standorte in Hergisw | Emme n-Rath Luzern il | Hitzkir e ausen www.s -Allme ch | sbl.ch/ Nebiko nd | Luz Knutwil bei je spende n naktion Schüpf | Pfaffna ern-Lit tau heim u| dem www.s | Wolhu Reiden sbl. gestützte Therapie ansteht und es ist ihm wichtig, kommen, geht er zielstrebig zur Koppel, wo die freunde ch/ sen Wett rz_SS BL_S pendenak tion_Reitp er latz_A5_9 .indd SPE NDE 1-3 dass alles nach Plan und gleicher Struktur abläuft. Pferde weiden, zeigt zielgerichtet auf den Schim- NKO NTO CH20 007 SPENDENAKTION Freunde 7 801 0 057 Luzern der Stiftung 6 256 0 der Freunde der SSBL SSB L 8 | Rath für Schwer ausen behinde | 603 2 Emm rte für einen Natascha Mächler en gedeckten Thera pie- An diesem Frühlingstag gibt es jedoch eine unvor- mel Nancy und sagt: «Nasi!». Reitplatz und Matthias Jambé unterwegs. 01.05 .19 10:52 hergesehene Änderung: Die Eltern überraschen ihn WEITER AUF SEITE 16 14 EINSICHTEN EINSICHTEN 15
Striegeln: eine lustige und haarige Sache Matthias wählt immer das gleiche Pferd aus, das weiss die Therapeutin und sie hat auf einer Tafel bereits mit Bildern die Arbeitsschritte visualisiert, Striegeln, die Matthias jetzt zusammen mit ihr ausführen Hufe auskratzen, wird: Striegeln, Hufe auskratzen, Zaumzeug satteln. Matthias holt die Kiste, in der Striegel und andere Zaumzeug satteln– Sachen aufbewahrt sind, und macht sich ans Werk. Eine ganz schön haarige Sache ist das heute! «Nasi» das gehört mit zur verliert das Winterfell, ganze Fellbüschel fliegen ihr Therapie. beim Striegeln um die Ohren. Das mag Matthias zwar nicht, aber pflichtbewusst führt er die Bürste über den Pferderücken. «Gleich hole ich den Staub- sauger!», sagt Natascha Mächler und beide lachen. Beim Hufeauskratzen muss Matthias darauf achten, Hallenbad und nachher nach Hause. Für die enga- dass er richtig dasteht und gleichzeitig mit den gierten Eltern sind das schöne, aber intensive Tage: Händen das Werkzeug führen kann. «Das klappt ja Matthias braucht auch daheim eine 1:1-Betreuung wunderbar!», freut sich Erika Jambé und schiesst und kann nicht über eine längere Zeitspanne etwas stolz ein paar Fotos. für sich machen. Darum stehe fast immer eine Akti- vität auf dem Programm: «Im Winter Schlittschuh- laufen und Schlitteln, im Sommer Wandern oder Schwimmen und bei schlechtem Wetter auch mal eine Rundfahrt mit dem Postauto – das ist eine sei- Am Samstag geht's gemeinsam mit ner Lieblingsbeschäftigungen», erzählen sie. den Eltern ins SSBL-Hallenbad und danach für das Wochenende nach Hause. Ebenfalls viel, aber nicht ganz so viel Aufmerksam- keit wie daheim, bekommt Matthias in der Gruppe Mythen 1A: Hier leben in der geräumigen Wohnung Therapeutin Mächler und hilft dem jungen Mann auf dem ersten Stock noch vier andere Menschen dabei, von einer Rampe aufs Pferd zu steigen. «Weil mit schwerer Behinderung, die alle intensive Be- man nicht auf einem Sattel, sondern auf einer treuung brauchen. Darum ist es nicht vermeidbar, Decke sitzt, gibt das einen engeren Kontakt: Die dass es auch «stille» Zeiten gibt, in denen Matthias Kraft und Bewegung des Tieres ist so viel direkter sich selbst beschäftigen muss. Dann sitzt er zum spürbar», erklärt Natascha Mächler. Und los geht’s! Beispiel auf dem Bett und hört beruhigende Musik, Auf dem rund 15-minütigen Ausritt geniesst es die er ganz leise einstellt. Die Musikanlage ist in Matthias unübersehbar, hoch zu Ross mal in gemüt- einem Holzkasten untergebracht, damit sie nicht lichem Schritt und dann wieder trabend der Reuss beschädigt werden kann, und der einzige individu- entlang zu reiten. Beim Robidog-Kasten wird aber elle Gegenstand in seinem Zimmer – ansonsten ste- meistens umgekehrt …, auch das eine Konstante im hen im hellen Raum nur Tisch und Stuhl, das Bett wöchentlichen Ablauf, die Matthias wichtig ist. und ein Sessel. Keine Bilder, keine Deko, keine Zeichnung. «Matthias will sein Zimmer absolut leer, nur an die Aussentür hängt er regelmässig Fotos MATTHIAS JAMBÉ HAT TRISOMIE 21. WAS IST DAS GENAU? Matthias Jambé pflegt seine «Nasi». oder selbst gemalte Bilder», erklären die Eltern und Informationen dazu finden Sie illustrieren dies an einem Beispiel: Einmal hätten auf unserer Website. sie eine Zierpflanze in sein Zimmer gestellt, um es www.ssbl.ch/trisomie21 wohnlicher zu machen. Keine Chance: Matthias Liebevolle Eltern und engagiertes Personal habe sie absichtlich umgeworfen und somit klar Apropos Fotos: Die Mutter hat ein Album mitge- gemacht, dass er so was nicht um sich will. Jetzt Zurück im Reitstall wird Nancy abgesattelt und in bracht und zeigt Bilder von den ersten Reitstunden, steht die Pflanze halt im Aufenthaltsraum und sorgt ihre Koppel gebracht. Zum Abschied bekommt sie die Matthias bereits als Sechsjähriger bei Natascha dort für Gemütlichkeit. noch einen dicken Kuss auf die Schnauze. Mächlers Vorgängerin gemacht hat. «Er hatte es Ebenso herzlich geht Matthias mit seinen Eltern, schon als Kind gern, wenn etwas läuft», sagt die Im Reitstall ist Pferd Nancy unterdessen gestrie- den Mitbewohnern/-innen und dem Betreuungs- Mutter und erzählt, dass er das Wochenende auch gelt und Matthias hat die Gurten festgezurrt und personal um: Er begrüsst sie mit Händeschütteln darum jeweils freudig erwarte: Am Samstag holen eingehakt, mit der die Satteldecke befestigt ist. und breitem Lächeln. Nach dem Eintreffen in der die Eltern ihren Sohn ab, gehen mit ihm ins SSBL- «Das ist eine gute Übung für die Feinmotorik», sagt WEITER AUF SEITE 18 16 EINSICHTEN EINSICHTEN 17
Mitreden und mitgestalten Wohngruppe Mythen macht er sich unter Mithilfe hat, habe sich erst ein paar Jahre nach der Geburt ein Zvieri parat: Birnenschnitze mit Joghurt. Essen verdeutlicht: Seine Entwicklung verlangsamte sich, tut er am Tisch und dort liegt auch sein iPad, auf er machte weniger Fortschritte. Ein Test brachte dem er sogleich herumdrückt. Anschauen kann er dann die Gewissheit, dass er sich mit an Sicherheit sich darauf Fotos von daheim, aber jetzt macht er grenzender Wahrscheinlichkeit sein Leben lang auf Für Menschen mit Behinderung sind geeignete Kommunikations etwas anderes: Er wählt aus den zur Auswahl ste- dem Entwicklungsstand eines Kindes bewegen mittel unabdingbar. Die Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL henden Abbildungen das Getränk zum Abend und auf Intensivbetreuung angewiesen sein wird. setzt einfache Hilfsmittel personenbezogen ein, damit die Selbst essen aus. Bingo: Orangensaft! Dann geht es zum «Es ist für uns essenziell, zu wissen, dass Matthias bestimmung der Betroffenen gewährleistet ist. Schrank, wo der Menüplan und die Personalliste in der SSBL in guten und zuverlässigen Händen hängen. Von seiner Betreuerin lässt er sich erklären, ist!», sagen die Eltern und loben das Vertrauens- wer heute und morgen da ist. Und dass es zum verhältnis, das sie hier erfahren. «Damit Matthias Znacht Rösti gibt. «Das ist sehr typisch! Am liebs- ein glückliches Leben hat, braucht es viel Zuwen- Mit anderen Personen in Dialog treten und Gefühle ten möchte er immer alles schon eine Woche im dung, Aufmerksamkeit und Beständigkeit. Das ausdrücken, ist ein Grundbedürfnis. Für die meis- Voraus wissen», sagen die Eltern und lachen. betrifft sowohl die Bezugspersonen wie das nahe ten Menschen ist es selbstverständlich, die vielfäl- Umfeld – und all das stimmt für uns hier in der tigen Kommunikationsmöglichkeiten und -kanäle Gutes Umfeld für ein glückliches Leben Wohngruppe der SSBL.» Gut möglich, dass das zu nutzen. Das geht von Gesprächen und Diskus- Erika und Hansruedi Jambé haben nebst Matthias Ehepaar in Zukunft wieder einmal für zwei Wochen sionen über Zeitungslektüre bis hin zum Austausch noch einen zweiten Sohn: Marcel ist drei Jahre jün- in Urlaub fährt und Matthias dann ein Wochen- in sozialen Netzwerken: Man informiert sich, redet ger als sein Bruder und bereits erwachsen und ende nicht daheim, sondern gut aufgehoben in sei- mit und nimmt Einfluss. In der SSBL leben und selbstständig. «Matthias hingegen wird immer ein ner Wohngruppe verbringen wird. Was aber schon arbeiten Menschen, die oft nicht verstanden wer- Kind bleiben», sagen die Jambés, die für ihren heute ganz sicher ist: Dass Pferd «Nasi» und Thera- den oder Mühe haben, sich über die gesprochene 26-jährigen Sohn seit der Geburt omnipräsent sind peutin Natascha Mächler am nächsten Donnerstag Sprache auszudrücken. «Es kann vorkommen, dass und ihn liebevoll durch das Leben begleiten. Dass er zur selben Zeit und am selben Ort mit Matthias diesen Menschen die Möglichkeit fehlt, ihre Umwelt nebst Trisomie 21 noch zusätzliche Behinderungen unterwegs sind. CHRISTINE WEBER in selbstbestimmtem Masse mitzugestalten», sagt Daniela Stalder, Beauftragte Fachstelle Agogik, die seit 26 Jahren bei der SSBL arbeitet. Hilfsmittel für ein möglichst selbstbestimmtes Pascal Häfliger am Sprachcomputer. Leben. INTERVIEW MIT FELIX GRAF, CEO NZZ-MEDIENGRUPPE Felix Graf war Botschafter der Stiftung für Schwerbehinderte Umso wichtiger sei es, die Kommunikation bei und Luzern SSBL. Wir wollten von ihm wissen, was ihn zum Gmeinsam Engagement bewegte und wie Medien mit den Bewohnern/-innen jeden Tag aufs Neue Menschen mit Behinderung eine Stimme sorgfältig zu beachten. Für die Mitarbeitenden geben können. Seine Antworten finden Sie auf unserer Website. s’Bescht heisst das: Gesten, Gebärden oder Blicke nicht nur zu sehen, sondern auch zu verstehen. «Dieser Indi- www.ssbl.ch/felix-graf vidualität Platz einzuräumen, erfordert ein hohes möglech Mass an Einfühlungsvermögen, Geduld und Krea- tivität», sagt Stalder. Gebärdenzeichen gehören dazu auch einfache mache. Piktogramme und Gebärdenzeichen Um den Möglichkeiten und Bedürfnissen der Be- Piktogramme auf laminierten Karten. Das Konzept wird übergeordnet in der gesamten SSBL angewen- det. Das ist wichtig, damit sowohl Mitarbeitende troffenen gerecht zu werden, wendet die SSBL das wie Bewohner/-innen in der Diversität der Kommu- eigens entwickelte Konzept «Unterstützte Kom- nikationsmöglichkeiten verstanden werden. munikation» an. Nebst Handzeichen, Mimik oder WEITER AUF SEITE 20 18 EINSICHTEN EINSICHTEN 19
Vereinzelt werden auch Sprachcomputer ange- Die Bewohnerzeitschrift «Brieftuube» wendet, die allerdings gute kognitive Fähigkeiten Die Bewohner/-innen bringen sich mit Unterstüt- voraussetzen: Verschiedene Satz- oder Bildbau- zung der Mitarbeitenden als Redakteure/-innen ein: steine können zusammengesetzt und danach akus- Seit 2014 erscheint zwei Mal jährlich die Zeitschrift tisch abgespielt werden. «Brieftuube». Darin wird mit Piktogrammen, Fotos Frischen Wind und neue Möglichkeiten bringt zu- und Texten in einfacher Sprache berichtet, was die dem die jüngste Generation der SSBL-Bewoh- Bewohnerinnen und Bewohner interessiert und ner/-innen ins Spiel: Das iPad steht bei ihnen hoch beschäftigt. «Das ist eine gute Möglichkeit, aktiv im Kurs. Auch diese Geräte sind so eingerichtet, Einfluss zu nehmen», sagt Stalder und betont, dass dass einfache Aussagen und Informationen auf auch weitere Begegnungsmöglichkeiten wie etwa dem Touchscreen über Bilder abgerufen werden das Café Rathausen oder externe Standorte wich- können. «Die Möglichkeiten und die Voraussetzung zur Verständigung sind je nach Ressourcen bei je- der Person wieder ganz anders – darum erstellen tig seien, um Hemmschwellen abzubauen und in Dialog mit der Öffentlichkeit zu treten. Gezeigt habe sich das etwa an einer Fachtagung der Hoch- Wenn Wünsche wir bei Bedarf von den SSBL-Bewohnern/-innen ein Kommunikationsprofil und entscheiden im An- schule Luzern im letzten Herbst: «Die teilnehmen- den Bewohner/-innen haben es sichtbar genossen, wahr werden schluss, welche Hilfsmittel am besten geeignet nicht nur am Rande sondern ‹z'mitts drin› zu sein sind», sagt Stalder. und gehört, gefragt und verstanden zu werden.» «Essen, Cola?», fragt Walter Bucher, 53, CHRISTINE WEBER kaum hat das Motorschiff Winkelried vom Landungssteg 1 in Luzern abgelegt. «Bald», antwortet Sebastian Grunske. Walter nimmt es mit zustimmenden Geräuschen zur Kenntnis. Sebastian ist einer von Walters Betreuern in der Z 201 9 Wohngruppe Zuberhus in Hergiswil bei Willisau. ÄR 4 | M R HN DAS M AG A ZIN FÜ WO FÜ R UND VO N ER DE R SS BL BE U N D VO N BE WO H N ER D ER SS B L 4 | M Ä R Z 2019 Wenn Sebastian mit Walter spricht, versteht Walter A ZIN M AG vieles – er selbst jedoch kann sich nicht in Alltags- DA S sprache ausdrücken. Walter hat Trisomie 21 und er Heute ist ein kommuniziert mit einzelnen Worten, Gesten und Gebärden. besonderer Tag für Walter Bucher. SSB L GEBÄRDEN NACH «PORTAS» | Menschen mit einer DER OH NER BEW VO N UN D 1 brieftuube DAS MAGAZIN DAS MAFÜR FÜR GA ZIN UND VON BEWOHNER DER SSBL uu be 1 schweren geistigen oder mehrfachen Behinderung bri eft können sich oftmals nicht in unserer Alltagssprache ausdrücken. In der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern SSBL kommen daher im Alltag unter anderem eine Passantin oder ein Passant die mit dem jewei- die Gebärden nach "PORTAS" zum Einsatz. BRIEFTUUBE ligen Wunsch verbundenen Kosten übernimmt, Dabei handelt es sich um eine spezifische Form der Die Zeitschrift «Brieftuube» werden die Wünsche erfüllt. Walter Bucher hat Gebärdensprache, die von Anita Portmann zusammen wird von den Bewohnerinnen und Bewohnern selbst ge- mit den Gebärden der Institution Tanne entwickelt Glück gehabt: Auf die Erfüllung seines Wunsches, wurden. Nebst den Gebärden werden im Alltag auch staltet. Sie erscheint zweimal diverse Hilfsmittel eingesetzt. Dies können optische, eine Schifffahrt auf dem Vierwaldstättersee, hat er jährlich. Die Artikel sind in körpereigene oder auch elektronische Hilfsmittel sein. nicht lange warten müssen. Heute nun geniesst er. leichter Sprache verfasst Zusammengefasst werden diese unter dem Begriff sowie mit Piktogrammen. «unterstützte Kommunikation». Cola mit Dessert Sebastian hat Walter schon auf den einen oder an- Heute ist ein besonderer Tag für Walter Bucher: deren Ausflug begleitet. Er beschreibt den 53-Jäh- Sein Wunsch wird erfüllt. Wenn die Bewohnerinnen rigen als eine interessante und aufgeschlossene und Bewohner der Stiftung für Schwerbehinderte Persönlichkeit, die auch gerne mal Schabernack Luzern SSBL einen Herzenswunsch haben, wird treibt. «Manchmal blitzt der Schalk aus seinen Au- dieser ausgeschrieben – beim Eingang der Cafete- gen», schmunzelt er. «Walter hört gerne Musik und ria in Rathausen hängen Bilder und Zeichnungen tanzt dazu und er geniesst es, im Garten oder im mit Wünschen, die der Erfüllung harren. Sobald WEITER AUF SEITE 22 20 EINSICHTEN EINSICHTEN 21
Wald zu sein.» Walter Bucher sei sehr gern mit ver- schiedenen Verkehrsmitteln unterwegs und er ge- niesse es, auswärts eine Cola zu trinken und dazu ein Dessert zu essen, erzählt Sebastian weiter. Er sitzt neben Walter Bucher auf einer Schiffsbank und geht mit ihm die Stationen des Ausflugs noch- mals durch: «Heute haben wir schon einen Bus be- nutzt, sind mit dem Zug gefahren und jetzt fahren wir mit dem Schiff.» Walter Bucher quittiert mit zu- stimmenden Geräuschen. Dann stehen die beiden auf und gehen an die Reling. Walter nimmt seine Mütze vom Kopf und gibt sie Sebastian – sie soll nicht weggeblasen werden vom Fahrtwind. Denn das Motorschiff Winkelried hat inzwischen mächtig Fahrt aufgenommen. Bei prächtigem Sonnen- schein ziehen Inseli und Richard-Wagner-Museum vorbei, im Hintergrund thront der noch schnee bedeckte Pilatus. Einen schöneren Tag hätten Sebastian und Walter sich für ihre kleine Reise nicht aussuchen können! Walter Bucher wiegt seinen Kopf im Fahrtwind denn auch hin und her. «Er fühlt sich wohl», sagt sein Betreuer. «Nächster Halt Hertenstein», dröhnt es aus dem Eine Fotocollage als Erinnerung Lautsprecher. Das Schiff wird langsamer und Walter Ab und zu zückt Sebastian seine Kamera und macht setzt seine Mütze wieder auf. «Macht es Spass, das ein Foto – als Erinnerung für Walter. «Im Anschluss Schifffahren?» fragt Sebastian ihn. «Ja» – Walters an seine Wunscherfüllung werden wir eine Collage Antwort kommt schnell und entschieden. gestalten, die er als Erinnerung in seinem Zimmer aufhängen kann», erklärt er. So kann Walter sich Nächster Halt Weggis noch lange an dem Erlebnis freuen. Das Motorschiff hat wieder Fahrt aufgenommen. Sebastian und Walter stehen auf, Sebastian weist Sebastian Grunske und Walter Bucher lehnt sich inzwischen weit über die mit einem Finger in die Ferne. «Da fahren wir hin, Walter Bucher haben Reling. Der Schiffsbug durchpflügt das Wasser des nach Weggis», erklärt er Walter. «Essen? Cola?», schon einige Ausflüge Vierwaldstättersees, Gischt spritzt auf – das faszi- fragt dieser abermals. Geduldig antwortet Sebas- miteinander gemacht. niert ihn. Er kann sich kaum daran sattsehen. Doch tian: «Ja, bald.» Sebastian klopft auf seine Schulter: «Walter, komm mal ein wenig weiter nach hinten!», sagt er. Walter «Nächster Halt Weggis, Station Weggis.» – «Jetzt macht einen Schritt zurück und setzt sich neben steigen wir aus, komm!», sagt Sebastian und hilft Sebastian auf eine Bank. «Essen», sagt Walter, und Walter, den Rucksack anzuziehen. Die beiden ste- führt seine Hand zum Mund, «Cola.» Sebastian er- hen auf, gemeinsam verlassen sie das Schiff und widert: «Bald gibt’s Essen und auch eine Cola.» spazieren gemütlich zu einem nahegelegenen Res- Walter ist zufrieden, sein Blick schweift über die taurant. Hier kann Walter endlich sein Essen mit vorbeiziehende Landschaft. Cola geniessen! ELISABETH GEBISTORF KÄCH SO ERFÜLLEN SIE HERZENSWÜNSCHE Einem Schlagerstar nach einem einfach so erfüllen lassen. von A bis Z sicherstellt. Diese Konzert die Hand schütteln, auf Das gilt besonders für unsere Kosten müssen durch Spenden der Alp beim Käsen mitmachen, Bewohnerinnen und Bewohner. finanziert werden. Die aktuell einen Match des FC Luzern von Denn all diese individuellen offenen Wünsche finden Sie auf der Spielerbank aus schauen, im Träume können nur realisiert unserer Website oder beim Zoo Zürich die Elefanten sehen – werden, wenn unser Fachperso- Eingang zum Café Rathausen. es gibt Wünsche, die sich nicht nal die Betreuung und Logistik www.ssbl.ch/wunsch 22 EINSICHTEN EINSICHTEN 23
Elementare und Noch seien die Eltern nicht in die anspruchsvolle Rolle hineingewachsen, sondern von der Tatsache überrumpelt, dass ihr Kind behindert ist. Zuerst sei «Wenn wir sehr berührende Erfahrungen da der Schock. Und dann die vielen ungewissen Konsequenzen: Was bedeutet die Diagnose? Wie viele Kinder hatten, wird sich das Kind entwickeln, was für eine Zukunft schlief ich in der Stube. Im heilpädagogischen Kinderhaus Weidmatt werden hat es, hat es überhaupt eine? Und wie stemmt es Kleink inder mit Behinderung über kürzere oder die Familie, ohne daran zu zerbrechen? Die Kinder durften längere Zeit betreut. Das entlastet Mütter und Väter «Die Situation ähnelt einem Schleudergang in einer mein Bett benutzen.» in schwierigen und anspruchsvollen Situationen. Waschmaschine: Alles wird durcheinandergewir- belt, muss neu erfahren und angenommen wer- den», sagt Hummel und erzählt, dass viele Mütter und Väter in dieser Situation kräftemässig und emotional an ihre Grenzen stossen und darum Unterstützung unglaublich wichtig sei. «Ein paar Wochen oder Tage etwas Zeit für sich selbst oder allenfalls für vorhandene Geschwister haben, sich eine kleine Atempause von der permanenten Sorge um das Kind, der anspruchsvollen Alltagsgestal- tung und der ungewissen Zukunft nehmen – es gibt unterschiedlichste Gründe für einen Aufent- halt in der Weidmatt. Entlastend ist es in jedem Fall.» In einem Nebengebäude des Chalets gibt es für Angehörige zudem die Möglichkeit, nahe ihrer Kinder zu übernachten. Auch das ein Angebot, das geschätzt werde. Power und Engagement der Mitarbeitenden Drei Schwestern als Pionierinnen Die Atmosphäre im Haus ist entspannt, heiter und Gegründet wurde die Weidmatt 1952 von lebendig. Im Treppenhaus und an den Wänden Maria, Anna und Josy Leberer. Die drei hängen Fotos von den Kindern und auch vom Per- Schwestern bauten das temporäre Daheim Elin und Nadja Stadelmann Limacher sonal: Die hier arbeitenden Fachleute kümmern für Kinder in schwierigen Lebensumständen sich professionell und mit Herzblut um Pflege, in Eigeninitiative auf und führten es während Betreuung und verschiedene Therapien der rund Jahrzehnten mit Geschick und Herzblut. Von Ein kleiner Junge stösst die Zimmertür einen Spalt schweiz, das temporäre Plätze für Kleinkinder mit 35 Kinder. «Es ist eindrücklich, wie viel Power und den Schwestern lebt heute nur noch die breit auf und lässt den Besuch eintreten. Von aus- teils sehr schwerer Behinderung anbietet. Entspre- Engagement die Mitarbeitenden einbringen!», sagt 100-jährige Anna Leberer, die das «Herz» sen leuchten Sonnenstrahlen durch die bunten Vor- chend wird das Angebot auch von vielen Müttern Paul Hummel und betont, dass sich die gute Stim- des Hauses war und sich enorm engagiert hänge, im Bett liegen Plüschtierchen, aus einer und Vätern ausserhalb des Kantons Luzern genutzt. mung und die sorgfältige Betreuung auf alle und liebevoll um die Kinder gekümmert hat. Spieldose kommt Musik und in einer Ecke steht ein Betroffenen, und auch auf vernetzte Institutionen Die vife Frau lebt heute im Altersheim, ist lustiges Zirkuszelt mit Kuscheldecke. Unterstützung und Begleitung für Angehörige wie etwa das Kinderspital oder die Kinderspitex noch immer in Kontakt mit ehemaligen Familien, die erst bei der Geburt ihres Kindes oder auswirke – die Weidmatt hat denn auch darum Schützlingen und dafür bekannt, dass sie ein- Es ist eines von sieben Zimmern im heilpädagogi- kurz davor oder danach damit konfrontiert sind, einen hervorragenden Ruf. In Zusammenarbeit mit drücklich von ihrer Arbeit und der Geschich- schen Kinderhaus Weidmatt, das am Rand von dass ihr Kind behindert ist, stehen vor einer kom- den Palliativteams Zürich und Luzern hat sich das te des Kinderhauses erzählen kann, das seit Wolhusen steht und von der Stiftung für Schwer- plett neuen und belastenden Situation. «Wir unter- Kinderhaus zudem auf die palliative Pflege spezia- 1985 zur SSBL gehört. behinderte Luzern SSBL geführt wird. Im liebevoll stützen die Familien in dieser sehr schwierigen Zeit lisiert. Auch das ist ein Bereich, der viel Feingefühl eingerichteten Chalet gibt es auf drei Etagen ver- und fördern gleichzeitig die Kinder in ihren indivi- erfordert. Die Arbeit für die Betreuungsperso- teilt 18 Betten für Kinder, die hier je nach Bedürfnis duellen Fähigkeiten, wenn sie bei uns in der Weid- nen ist anspruchsvoll und je nach Situation auch der Eltern über kürzere oder längere Zeit betreut matt sind», sagt Paul Hummel, der seit über fünf belastend. «Aber immer verbunden mit wertvollen AUDIOBEITRÄGE werden. Nicht alle von ihnen können so wie der Jahren Institutionsleiter ist und der zuvor mit er- Erfahrungen», sagt Paul Hummel und ergänzt: Auf unserer Website finden Sie Links zu Audiobeiträgen kleine Junge die Türe selbst aufstossen. Manche wachsenen Menschen mit Behinderung gearbeitet «Das Vertrauen der Eltern zu gewinnen und sie bei mit Anna Leberer. sind noch Babys, andere haben eine so schwere hat. «Jetzt bin ich bei den Kleinsten gelandet – das elementaren Lebensfragen zu begleiten und zu www.ssbl.ch/annaleberer Beeinträchtigung, dass sie nicht selbstständig lau- ist ein enormer Unterschied, gerade in der Zusam- unterstützen, ist berührend und bereichernd. Und fen oder essen und auch nicht sprechen können. Die menarbeit mit den Eltern. Die Lebensgeschichten das Gleiche gilt, wenn wir individuelle Fortschritte Weidmatt ist das einzige Kinderhaus in der Deutsch- und Begegnungen sind unglaublich berührend.» bei den Kindern miterleben.» CHRISTINE WEBER 24 EINSICHTEN EINSICHTEN 25
Zusammenfassung des Jahresberichts ZUFRIEDENE Jahres - GESETZLICHE VERTRETER WOHNPLÄTZE bericht 2018 Alle gesetzlichen Vertreter/-innen im Erwachsenenbereich wurden Wohnplatz-Entwicklung für Erwachsene Die Kapazitäten mussten der Nachfrage 2018 laufend befragt und, wo nötig, angepasst werden, einerseits durch wurden Sofortmassnahmen Schliessung von zwei kleineren Wohn eingeleitet. Die Gesamtauswertung häusern (in Zell und in Triengen) sowie der Zufriedenheit ergab einen durch die Eröffnung einer zusätzlichen EIN HERZLICHES DANKESCHÖN! Durchschnittswert von 5.23 auf der Wohngruppe in Hitzkirch. Als neuer Direktor seit dem 1. Juli 2018 darf Notenskala von 1 bis 6. Auch das ich mit grosser Freude beobachten, mit welchem Kinderhaus Weidmatt erhielt Engagement und mit wie viel Herzblut sich bei hoher Rücklaufquote sehr Wohnplätze nach Standorten 312 die Mitarbeitenden auf allen Hierarchiestufen gute Werte. zugunsten der Menschen mit besonderen Buchrain (8) Bedürfnissen einsetzen und wie hart sie an Z’MITTS DRIN Rathausen (187) 5.23 der Zielerreichung arbeiten. Das macht mich So lautet das Motto der SSBL in Hergiswil (10) dankbar und sehr stolz auf unsere SSBL- Gemeinschaft. Wir dürfen hoch zufrieden auf Bezug auf das Zusammenleben von Menschen mit Beeinträchtigung und 312 Hitzkirch (26) Knutwil (18) das Erreichte schauen und mit Zuversicht der den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wohnplätze Luzern-Allmend (16) Erwachsene Erwachsene Pfaffnau (9) Zukunft entgegenblicken. Die Bewohnerinnen und Bewohner Reiden (9) stehen im Zentrum unserer Bemühungen. Schüpfheim (19) Bei der SSBL wird wertvolle Arbeit für Wolhusen (10) wertvolle Menschen geleistet. Durchschnittsnote Pius Bernet Direktor SSBL Wohnplatzangebot für Kinder Die 18 Wohnplätze für Kinder in Wolhusen NEUES LEITBILD UND STRATEGIE blieben stabil. Rund 60 Prozent der Kinder 18 Die Strategie 2018 bis 2021 beinhaltet kommen aus anderen Kantonen. Unter dem Motto «ankommen – optimieren – kontinuierliche Optimierungen, aufgeteilt aufbrechen» hat der Stiftungsrat Ende 2017 die in sieben strategische Stossrichtungen: neue Strategie 2018 bis 2021 verabschiedet und 1. Lebensqualität | 2. Angebotsplanung | damit die Weichen für die Zukunft gestellt. 3. Kompetenzen und Wissen | 4. Kommuni- ZWEI NEUE kation | 5. Personalpolitik | 6. Digitalisierung | QUALITÄTSLABEL Kinder «Wir gestalten Lebensraum für Menschen 7. Finanzielle Rahmenbedingungen und Ende 2018 durfte die SSBL zwei mit Behinderung und schaffen Räume, in Steuerung. neue Qualitätslabels entgegennehmen: denen sie ihre persönlichen Möglichkeiten Das Gütesiegel für Spenden sammelnde leben und entwickeln können.» – Diese intern 2018 wurden darum diverse Projekte zur Organisationen «ZEWO» sowie das breit abgestützte Mission wird ergänzt mit sechs Umsetzung der Strategie 2018 bis 2021 Prädikat «Familie UND Beruf», eine Handlungsfeldern: 1. Lebensraum | 2. Gesell- gestartet, unter anderem auch eine aktive Auszeichnung für die erfolgreiche schaft | 3. Selbstbestimmung | 4. Mitarbeitende | Kommunikation mittels neuer Website Umsetzung einer familienfreundlichen 5. Zusammenarbeit | 6. Professionalität. und des neuen Magazins «z’mitts drin». Personalpolitik. WEITER AUF SEITE 28 26 EINSICHTEN EINSICHTEN 27
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