"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck
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FÖ • Band 56 • 2017 Sonderdruck Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz – zum Stand der Spurensuche« 14. März 2018, Rechnitz (Burgenland)
Sonderdruck aus: Fundberichte aus Österreich, Band 56, 2017 Alle Rechte vorbehalten © 2019 by Bundesdenkmalamt http://www.bda.gv.at Herausgeber: Univ.-Doz. Dr. Bernhard Hebert Bundesdenkmalamt, Abteilung für Archäologie Hofburg, Säulenstiege, 1010 Wien bernhard.hebert@bda.gv.at ISSN: 0429-8926 Redaktion: Mag. Nikolaus Hofer Bildbearbeitung: Stefan Schwarz Satz und Layout: ARGE DDV KG Layoutkonzept: Franz Siegmeth Covergestaltung Sonderdruck: Martin Spiegelhofer Coverbild Sonderdruck: Untersuchungsfläche der Grabungskampagne 2017 in Rechnitz. Foto: Mike Ritter (mit freundlicher Genehmigung des Vereins RE.F.U.G.I.U.S) Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H.
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz – zum Stand der Spurensuche« am 14. März 2018 in Rechnitz (Burgenland) Einleitung Franz Sauer denkmalamtes mit dem Thema zu beschäftigen, wobei man – weil das Bundesdenkmalamt die Jahrzehnte zuvor nie Das Fachgespräch in Rechnitz war überfällig.1 Überfällig des- zu Besprechungen hinzugezogen worden war – zunächst halb, weil es 73 Jahre nach dem Massenmord an den jüdi- durchaus ›blauäugig‹ an die Sache heranging und wieder schen Zwangsarbeitern das erste Gespräch ist, bei dem bei- nur eine punktuelle Grabung im Bereich einiger in den Luft- nahe alle (noch lebenden) an der Suche beteiligten Personen aufnahmen deutlich sichtbarer Objekte in die Wege leitete. und Institutionen zusammengekommen sind, um über die Im Jahr darauf folgte eine Prospektion mit Metallsonden, an Ergebnisse ihrer bisher geleisteten Arbeiten zu referieren. die noch einmal eine kleine Grabungskampagne anschloss, Die Suche nach den Opfern reicht zurück bis in die ersten bei der im Osten des Grundstückes eine in einem Luftbild Apriltage des Jahres 1945, als die Rote Armee nach der Ein- vom Juli 1945 sichtbare Fläche mit einer Reihe von Objekten, nahme von Rechnitz mehrere Stellungen des Südostwalles die als Grabschächte interpretiert worden waren, unter- öffnen ließ, um Nachschau zu halten, wer darin begraben sucht wurde. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings schon klar, worden war. Nachdem man festgestellt hatte, dass es sich dass die gewählte Methode – also die Suche mittels klein- um erschossene Juden handelte, wurden die Leichen in den räumiger Sondagen – kaum zur Entdeckung der Opfer füh- alten Gruben wieder beigesetzt – seither sind sie jedoch ren würde. ›wie vom Erdboden verschluckt‹. Bernhard Hebert, dem Leiter der Abteilung für Archäolo- Gezielte Nachforschungen nach den etwa 200 Opfern gie des Bundesdenkmalamtes, war es schließlich zu verdan- erfolgten erst wieder zwischen 1968 und 1970 durch Horst ken, dass im November des Vorjahres vom Bundesdenkmal- Littmann (Volksbund der Deutschen Kriegsgräberfürsorge). amt erstmals ein namhafter Betrag für eine Flächengrabung Nach der Exhumierung von 18 erschossenen Männern in der zur Verfügung gestellt wurde (siehe den nachfolgenden Bei- Nähe des Schlachthauses beendete Horst Littmann aller- trag). Im Mittelpunkt standen nunmehr jene östlich des Pan- dings, nachdem er Morddrohungen (!) erhalten hatte, vor- zergrabens situierten Laufgräben und Stellungen, die von erst seine Untersuchungen. Zeugen und auf Skizzen als Tatort bezeichnet worden waren. Auf Initiative der Witwe eines Ermordeten wurde die Nach dem Humusabtrag sowie der fotografischen und ver- Suche in den späten 1980er-Jahren wieder aufgenommen, messungstechnischen Dokumentation wurden diese Stel- wobei es nun unter Federführung des Innenministeriums lungen dann alle 5 m bis auf das Niveau des gewachsenen zu gezielten luftbildarchäologischen Befliegungen, boden- Bodens ausgegraben. Bekanntermaßen blieb allerdings kundlichen Sondierungen, geophysikalischen Prospektio- auch diese Grabung im Hinblick auf das Auffinden der Opfer nen und mehrmals auch wieder zu Grabungen durch Horst ergebnislos, wenngleich – aus Sicht des Bundesdenkmalam- Littmann kam. Im Zentrum aller Aktivitäten standen dabei tes – mit dieser Aktion der ›Gordische Knoten‹ hinsichtlich immer die Grundstücke unmittelbar südöstlich des Kreuz- falscher Methoden endlich durchschlagen wurde. Zum ers- stadls, die in den Protokollen des Volksgerichtshofes als jene ten Mal wurde nunmehr eine größere Fläche derart unter- Stellen genannt werden, wo die Opfer beerdigt worden sein sucht, dass mit Fug und Recht behauptet werden kann: In sollen. Angesichts knapper Budgets blieben die Grabungen diesem Bereich liegen keine Opfer. allerdings immer kleinräumig und punktuell, sodass man Eine weitere Folge dieses negativen Ergebnisses war das nie sicher sein konnte, ob die Ermordeten nicht wenige aktuelle Fachgespräch, bei dem – wie eingangs festgestellt – Meter daneben doch noch liegen könnten. viele Beteiligte über ihre früheren Arbeiten referiert haben. Parallel zu diesen Aktivitäten wurde ab dem Jahr 2000 Ein nicht minder wichtiges Thema dieser Tagung waren die vom Institut für Geographie der Universität Wien eine Quellen, die vor Ort angefertigten Skizzen sowie die Aussa- Datenbank erstellt, in der alle Hinweise hinsichtlich mögli- gen der einander zum Teil widersprechenden Zeugen. Dies cher Grablegen gesammelt wurden. Letztendlich war dann alles sollte auf den Tisch gelegt werden, zusätzlich aber im Jahr 2012 jedoch ein ›toter Punkt‹ erreicht. Die Medien auch alle Gerüchte und Mutmaßungen, die etwa auch dahin hatten zwar während der einzelnen Aktivitäten vor Ort gehen, dass die Opfer bereits bei Nacht und Nebel geborgen immer wieder berichtet, nachdem allerdings nie etwas ge- und andernorts wieder begraben worden sind. Aus all dem funden worden war, auch schnell wieder das Interesse ver- soll ein neuer Ansatz zur Fortführung der Suche nach den loren. Mordopfern gefunden werden. Vor vier Jahren begann sich schließlich – eigentlich aus Der Marktgemeinde Rechnitz in Person des Bürger- Zufall – auch die Abteilung für Archäologie des Bundes- meisters Martin Kramelhofer ist dafür zu danken, dass das Fachgespräch in Rechnitz abgehalten werden konnte. Zu danken ist auch seinem Vorgänger, Herrn Engelbert Kenyeri, 1 Lediglich von einem Referat des Fachgesprächs wurde keine schriftliche für zahlreiche Hilfestellungen und Anregungen. Ein beson- Fassung für den nachfolgenden Tagungsbeitrag eingereicht: Ronny derer Dank gebührt den Mitgliedern der AGA – Arbeitsge- Weßling, Die Grabungen von 2006 und 2012 des Instituts für Urge- meinschaft Geschichte & Archäologie, die sowohl mit der schichte und Historische Archäologie der Universität Wien & RechnitzGIS. ›amtswegigen‹ Flächengrabung als auch mit der Organisa- Ein Geografisches Informationssystem für die Suche nach den ermordeten Juden von Rechnitz. tion und Programmerstellung des Fachgespräches betraut FÖ 56, 2017 D3
Franz Sauer u. a. waren. Last, but not least ist dem Grundeigentümer für die Bereitschaft zu danken, dass auf seinem Grundstück der Humus auf einer Fläche von 8900 m2 abgetragen werden durfte. Autor Mag. Franz Sauer Bundesdenkmalamt Abteilung für Archäologie Hofburg, Säulenstiege 1010 Wien D4 FÖ 56, 2017
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz« Historische Quellenkritik sowie Grund- das Grab oder die Gräber der verschollenen Opfer des Kreuz- lagen und Perspektiven für die zukünf- stadl-Massakers zu finden. Immerhin wurden die militäri- tige Suche schen Stellungen auf einer Gesamtfläche von knapp 8900 m2 freigelegt, also in einem im Vergleich zu früheren Gra- Nikolaus Franz und Astrid Tögel bungen sehr ausgedehnten Bereich. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Zwar belegten auch zahlreiche Funde Eingrenzung des Themas von Stacheldraht, Projektilen und Patronenhülsen den mili- tärischen Charakter der Gräben, ein Hinweis auf die Existenz Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Suche menschlicher Gebeine fand sich jedoch nicht. nach den Opfern des sogenannten »Kreuzstadl-Massakers«, Nach Beendigung der Grabungsarbeiten sahen sich die jenen 180 bis 220 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern, Verfasser gezwungen, ihre Annahmen zu überprüfen und – die in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 (Palmsonn- in Übereinstimmung mit dem Bundesdenkmalamt – ›zurück tag) auf Rechnitzer Gemeindegebiet erschossen und deren an den Anfang‹ zu gehen, um das zur Verfügung stehende sterbliche Überreste an einem bis heute nicht entdeckten Quellenmaterial einer nochmaligen, eingehenden Analyse Ort vergraben worden sind. Die Ermordung von sieben jü- zu unterziehen sowie gegebenenfalls neu zu bewerten. dischen Zwangsarbeitern im Februar 1945 beim oder am katholischen Friedhof, die bezeugte Tötung und spätere Ex- humierung eines Zwangsarbeiters beim sogenannten »Rau- Quellen herz-Haus« sowie die Hinrichtung von 15 bis 18 jüdischen Zwangsarbeitern auf dem Hinterpillenacker beim (heute Folgende Primärquellen4 standen bei den Recherchen zur nicht mehr existierenden) Schlachthaus in Rechnitz sind Verfügung: nicht Gegenstand dieses Beitrags. • Vernehmungsprotokolle und Aussagen von Zeugen und Beschuldigten sowohl bei Gendarmerie als auch bei Ge- richt, entstanden während der »Volksgerichtshof-Prozes- Die Grabungskampagne 2017 se«:5 Protokoll Vg (Volksgerichtshof Wien) 2f Vr 2832/45 »gegen F. Podezin«, auch bekannt als »Rechnitz I«, been- Nach dem Anlegen kleinräumiger Suchschnitte im Jahr det unter Protokoll Vg 12 Vr 2832/45 »gegen S. Beigelböck 20142 führte die AGA – Arbeitsgemeinschaft Geschichte & und Genossen«; Protokoll Vg 11 Vr 190/48 »gegen E. Nicka« Archäologie im November und Dezember 2017 im Auftrag (Rechnitz II); Protokoll Vg 8e Vr 5731/48 »gegen F. Podezin« des Bundesdenkmalamtes weitere Grabungen auf Gst. Nr. (Rechnitz III), beendet unter Protokoll Vg 8a Vr 70/54; 11840 südöstlich des Kreuzstadls durch (KG Rechnitz, MG dazu Skizzen mit Hinweisen auf den Tatort sowie auf die Rechnitz).3 Die Vorgabe des Bundesdenkmalamtes war, auf Verortung der Gräber, die im Zuge der gerichtlichen Er- Basis zweier Luftaufnahmen der alliierten Luftstreitkräfte mittlungen und Verfahren angefertigt wurden. aus dem Februar beziehungsweise August 1945 die im • Interviews und Aussagen von Opfern aus den sogenann- Boden vorhandenen Überreste der Verteidigungsanlagen ten DEGOB-Akten6, die mit Rechnitz in Verbindung ste- des sogenannten Südostwalls (»Reichsschutzstellung«) in hen. Rechnitz freizulegen. Nach dem maschinellen Abziehen der Humusschicht in Als Sekundärquellen dienten Berichte und Zusammen- zwei zuvor festgelegten Bereichen wurde ein System von fassungen an das zuständige Gericht oder die Staatsanwalt- Gräben, Unterständen und Schützenlöchern in Form charak- schaft sowie Nachlässe und Privatsammlungen. Schließlich teristischer Bodenverfärbungen sichtbar, welche händisch wurden Zeitungsberichte und die einschlägige Literatur überputzt, fotografisch und zum Teil filmisch dokumen- zum Thema herangezogen. tiert sowie vermessen wurden. Die freigelegten Strukturen Nach genauer Sichtung des vorliegenden Materials er- korrespondierten stark mit den auf den beiden Luftbildern wies es sich als hilfreich, Zeuginnen und Zeugen gemäß fol- erkennbaren Verteidigungsstellungen, zusätzlich konnten genden Kategorien zu ordnen: Suchschnitte älterer Grabungskampagnen dokumentiert • beschuldigte Zeugen; werden. Aufgrund der immensen Größe des in Frage kom- • nicht beschuldigte Zeugen; menden Areals sowie der budgetären Vorgaben war es nicht • überlebende Zwangsarbeiter. möglich, alle auf Rechnitzer Gemeindegebiet befindlichen Stellungen des Südostwalls freizulegen; angesichts der Mo- numentalität der Verteidigungsanlage und einer Gesamt- verdachtsfläche von mehr als 300 000 m2 handelte es sich 4 Die Protokolle liegen im Wiener Stadt- und Landesarchiv (Magistratsab- teilung 8) auf. lediglich um einen Ausschnitt derselben. 5 Die Grundlage für die Ahndung nationalsozialistischer Gewaltverbre- Im nächsten Arbeitsschritt lag der Fokus auf der Ent- chen bildeten das Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP (»Ver- fernung der Verfüllungsschichten der bereits im Planum botsgesetz«, VG) vom 8. Mai 1945 und das Kriegsverbrechergesetz (KVG) vom 26. Juni 1945. Für die Urteilsfindung in diesbezüglichen Strafsachen dokumentierten Objekte. Aufgrund der Vielzahl der fest- wurden die »Volksgerichte« etabliert. Es wurde zwischen Tätern und gestellten Strukturen war die Hoffnung durchaus gegeben, solchen Personen, die an den Verbrechen nicht direkt beteiligt gewesen waren, unterschieden. Rechtsmittel (Einspruch, Berufung, Beschwerde gegen Beschlüsse) wurden außer Kraft gesetzt, da das Volksgericht in erster und einziger Instanz entschied. Die Volksgerichtsbarkeit wurde 2 Archäologische Maßnahme Mnr. 34062.14.01. Die Grabungsdokumenta- 1955 wieder aufgehoben; 1957 wurde das Kriegsverbrechergesetz durch tion befindet sich im Archiv der Abteilung für Archäologie des Bundes- das Amnestiegesetz aufgehoben. denkmalamtes. 6 DEGOB (Deportáltakat Gondozó Országos Bizottság): Nationales Komitee 3 Archäologische Maßnahme Mnr. 34062.17.04. Die Grabungsdokumenta- für die Deportierten, dokumentierte die persönlichen Geschichten von tion befindet sich im Archiv der Abteilung für Archäologie des Bundes- bis zu 5000 ungarischen Holocaustüberlebenden in den Jahren 1945 bis denkmalamtes. 1946. FÖ 56, 2017 D5
Franz Sauer u. a. Abb. 1: Luftbild vom Februar 1945. Die Aussagen dieser Zeugengruppen wurden hinsichtlich jener sprachlichen Begriffe analysiert, die den Tatort bezie- Abb. 2: Luftbild vom August 1945. hungsweise den Ort des Massengrabs benennen, sowie be- züglich jener Begriffe, welche die Form beziehungsweise das Aussehen des Vergrabungsortes beschreiben. In diesem Sinn erwiesen sich die dokumentierten Aussagen von insgesamt 36 Personen als relevant.7 Wichtige Ereignisse und ihre Zeugen Aussagen zur Stichexhumierung durch die Rote Armee Die sowjetische Soldatenzeitung Гвардеец [Gwardejez]8 be- richtet in ihrer Ausgabe vom 12. April 1945 von einer von der 36. Gardeschützendivision der Roten Armee durchgeführten ersten Stichexhumierung am 5. April 1945. Von der Exhumie- rung selbst gibt es keine Bilder. 7 Batthyány, M. (Besitzerin Schloss Rechnitz); Bauer, F. II (Landwirt); Beigel- beck/Beiglböck, S. (Südostwall-Hundertschaftsführer); Cserer, E. (Bürger- meister), Gonda, I.; Grafl, A.; Groll, L. (NSDAP-Kreisleiter-Stellvertreter); Heissenberger, J. (Landwirt und »Straßenmeister«); Kahan, J.; Kelemen, G.; Kondaurow (Gardeleutnant der Roten Armee); König, J.; Krabetz, B. (Zwangsarbeiterin aus Kiew, Ukraine); Krassow, V. J. (Garde-Oberleutnant der Roten Armee, Stabschef des 65. Garde-Artillerie-Regiments); Kren, G. (Protokollführerin); Lang, A.; Mittler, S.; Muralter, J. (Südostwall-Unter- abschnittsleiter); Ostermann, F. (LKW-Fahrer); Poor/Bohr, J.; Princs, M.; Rubinstein (Gardehauptfeldwebel der Roten Armee); Scherber, A. (Gen- darmeriebeamter); Schran(t)z, J. (Arbeiter); Schwabach, I.; Schwarz, H. (NSKK-Kraftfahrer); Somogyi, P. K.; Stein, B.; Terkovics (Stellvertretender Gendarmeriepostenkommandant); Tolnai, L.; Trojan, N. (Zwangsarbeiterin aus Saporoschje, Ukraine); Volkmann, J.; Weiss, E. alias Livne, G.; Wiltschke, Abb. 3: Auch auf einem hoch kontrastierenden Luftbild aus dem Jahr 1958 L. (Amtsarzt); Zaunegger (Richter aus Oberwart); Ziegler, J. (Landwirt). sind die von den Stellungsbauten verursachten Bodenmerkmale deutlich zu 8 Deutsch: Der Gardist. erkennen. D6 FÖ 56, 2017
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz« Abb. 4: Untersuchungsfläche der Grabungskampagne 2017. Abb. 5: Aufnahme von Sohle und Profil des Panzerabwehrgrabens in der Nähe des Kreuzstadls. Die Zeugen F. Bauer und J. Ziegler wurden damals als Gra- N. Trojan und B. Krabetz zeigten den Rotarmisten 21 Gräber. bungsarbeiter verpflichtet. Bauer erklärte zum Ablauf der In jedem Grab »fand man zehn bis zwölf Menschen. Die Toten Exhumierung: »Einige Tage nach dem Einmarsch der Roten wurden durch Genickschuss aus Feuerwaffen umgebracht. [...] Armee in Rechnitz musste ich mit ca. 16 bis 17 Leuten auf den Fand man bei jedem Spuren von schweren Schlägen auf den Herrschaftstafeln in der Nähe der Remise [sic] und einen ver- Körper. […] Die Getöteten lagen in den Gräbern in Dreier- und schütteten Graben des Stellungssystems öffnen. In einer Tiefe Viererreihen, einige von ihnen waren nackt und ausgezogen.« von ca. 1,1 m lagen sieben bis acht Leichen. Sie waren bekleidet An den Aussagen der Zeugen Scherber und Bauer er- […] und als jüdische Zwangsarbeiter gekennzeichnet.« scheint besonders interessant, dass beide Männer sehr ein- Der Zeuge Ziegler äußerte sich zu demselben Thema: deutig von Gräben des Stellungsbaus sprechen, in denen sie »Von den Judenerschießungen weiß ich nur so viel, dass ein die Leichen gefunden hatten. Diese Aussagen erscheinen russischer Offizier uns zwang mit Krampen und Schaufel ihm nicht zuletzt deshalb glaubwürdig, als beide mit dem Ver- und seinen Soldaten auf das Feld zu folgen und dort eine brechen in keiner Verbindung stehen und gemeinsam mit Grube zu öffnen, in der sieben Leichen lagen. Die anderen Gru- Ziegler als unbescholten gelten. ben insgesamt 15 bis 20 haben wir unberührt gelassen. Der Offizier wollte sich nur überzeugen. Die Leichen hatten alle Aussagen des Beschuldigten Groll Mäntel und den Stern. Diese Grube war beim Kreuzstadel bei der Herrschaft.«9 Aussagen des Beschuldigten Groll aus dem Prozess Rechnitz Hier lohnt es, sich die Aussagen des Gendarmeriebeam- I:13 »Die Juden mussten […] zum Graben gehen, sich hinknien ten A. Scherber genauer zu betrachten. Dieser führte bereits und haben die Kopfschüsse bekommen. […] Es waren sechs im September 1945 Ermittlungen durch und besichtigte mit Gräber und diese waren in einer Form angelegt, die ansonsten nicht näher benannten Zeugen den Tatort. Scherber: »Der für Gräber nicht üblich waren. Es waren winkelförmige Gru- vorangeführte Zeuge10 zeigte jene Stelle, daselbst die Ausgra- ben. Ich schätze, dass 120 Leute erschossen wurden und 20 in bung stattfand. Diese Stelle befand sich vor einem ausgehobe- einer Grube befanden. […] Als die erste Grube mit Toten voll nen Panzergraben, südostwärts von Rechnitz. Es wurden zur war, habe ich sofort angefangen diese Menschen einzugraben Vergrabung der Judenleichen ausgehobene Gräben verwen- […]. Sie hatten eine dreieckige Form und waren im Winkel 3–4 det, die in einem Winkel von ungefähr 90 Grad aufscheinen Meter. Sie hatten eine Breite von 60–80 cm. Ich kann nicht und ursprünglich für Vorpostenzwecke in Verwendung kom- sagen, ob es sich bei den Gräbern um sogenannte Panzer- men sollten. Solche Stellen wurden 21 auf dem Felde vorgefun- schreckgräben handelte. Ich war nie beim Militär und weiß den, die alle frisch zugeschüttet waren.«11 darüber nicht Bescheid.«14 Dazu das Protokoll der Stichexhumierung der Roten Grolls Behauptung, selbst die Leichen zugeschaufelt zu Armee (zitiert aus Гвардеец)12: »Insgesamt wurden 21 Gräber haben, wird von den Verfassern als Schutzbehauptung inter- gefunden, in Form von eckförmigen Schützengräben, mit dem pretiert, da er sich in seiner Rolle als schaufelnder Arbeiter Maß von vier bis fünf Metern Länge, einem Meter Breite. In weniger verdächtig wähnte, auch als Todesschütze in Frage jedem Grab liegen zehn bis zwölf Menschen, getötet durch zu kommen. Er log auch bezüglich seiner militärischen Erfah- Schüsse in den Kopf oder das Genick aus Feuerwaffen oder MG rung, weil er nachweislich im 1. Weltkrieg als Soldat gedient […].« Die verschleppten sowjetischen Zwangsarbeiterinnen hatte. Vielmehr ist anzunehmen, dass er beim Zuschaufeln der Gruben nur zugesehen hat. Anzumerken ist jedoch, dass Groll – im Gegensatz zu anderen Zeugen – seinen zu 9 Vg 2f Vr 2832/45/I, 9–11, Gendarmeriepostenkommando Oberwart, 26. 9. verschiedenen Zeitpunkten getätigten Aussagen inhaltlich 1945. 10 Es ist nicht klar, ob es sich bei diesem Zeugen um Ziegler, Bauer oder einen gewissen A. Grafl gehandelt hat. 11 Wie Anm. 9. 12 Strassl und Vosko 1999, 126–127 (nach Protokollen der Angehörigen der 36. Gardeschützendivision). – Vgl. auch die Übersetzung der Protokolle 13 Vg 8e Vr 70/54, 45–51. durch Stefan Karner, Universität Graz (Archiv Eduard Erne in der Samm- 14 Grolls Anwalt bemerkte dazu jedoch, dass es sich um »regelrechte Pan- lung Engelbert Kenyeri, Rechnitz). zerschreckgräben« gehandelt habe. FÖ 56, 2017 D7
Franz Sauer u. a. Abb. 6: Blick in Richtung Süden über einen Teil jenes großen Ge- biets, das als Ort des Verbrechens in Frage kommt. immer ›treu‹ geblieben ist und nur wenige Abweichungen Der Zeuge Mittler gab zu Protokoll, dass er am 26. März formulierte. 1945 nach Rechnitz kam und 27 Gräben schaufeln und in der Folge darin auch Ermordete (darunter sein bester Freund Aussagen aus den DEGOB-Protokollen Laszlo Molnar) vergraben musste. L. Tolnai gab an, dass Kameraden, die in der Nähe von Alle im Folgenden genannten und aus der Dokumentation Burg getötet worden waren, am 26. März in die Nähe von von DEGOB bekannten Zeugen kamen laut eigenen Anga- Rechnitz gebracht und in 3 m tiefen Massengräbern ver- ben im Zeitraum zwischen frühestens 23. März (P. K. Somo- scharrt worden waren. Er musste auch mithelfen, L-förmige gyi) und spätestens 28. März 1945 (I. Gonda) vom Lager Kős- Gruben zu planieren. Eines Morgens bemerkte er auf dem zeg nach Rechnitz. Hierzu ist anzumerken, dass die Angaben Weg zu seinem Schanzeinsatzort am Feld Blutspuren und zum genauen Datum vorsichtig zu interpretieren sind. Es ist darüber Erdhaufen. fraglich, ob seit Monaten geschundene und unter schreck- G. Livne (alias E. Weiss) erinnerte sich16, dass in der Nähe lichsten Umständen lebende sowie Schwerstarbeit verrich- seiner Arbeitsstelle Bäume wuchsen beziehungsweise ein tende Menschen immer genau wussten, welcher Tag gerade Wald war. war. Illustrierend hierzu die Aussage des Zeugen Moshe P. K. Somogyi erfuhr von einem Überlebenden, der sich Zairi, der über das Massaker von Deutsch Schützen15 angibt, nach seiner Flucht vor einem Massaker in einem Heuschober zwar gewusst zu haben, dass es Ende März war, das genaue versteckt hatte und sich später wieder unter die Arbeiten- Datum der Morde – den 29. März – jedoch erst viel später den einreihte, von einem nächtlichen Massaker. erfahren zu haben. Alle Zeugen sprechen in ihren Aussagen davon, in Rech- nitz zum Arbeiten eingeteilt worden zu sein, um »Schan- Schlussfolgerungen aus den Angaben der zen«, »Gräben«, »L-förmige Schanzen« und Ähnliches zu überlebenden Zwangsarbeiter und daraus graben. Gearbeitet wurde zumeist »in der Nacht«. Die Ver- abgeleitete Hypothesen fasser nehmen an, dass dies aufgrund der bereits besonders nahen Front und im Hinblick auf die Gefahr durch sowjeti- • Möglicherweise Tausende jüdische Zwangsarbeiter sche Tieffliegerangriffe geschah. Fast alle sagen aus, dass die strömten Ende März 1945 aufgrund der Evakuierungs- nicht mehr Gehfähigen bereits im Lager Kőszeg selektiert maßnahmen vom ungarischen Lager Kőszeg nach Rech- und nach Rechnitz hauptsächlich mit dem »Auto« verbracht nitz. wurden. Viele der Zeugen stellen fest, dass sie im Schloss • Diejenigen unter ihnen, die noch in der Lage waren zu Rechnitz untergebracht wurden und dort sahen, wie Last- arbeiten, wurden von den NS-Abschnittsleitern und kraftwagen Rucksäcke, Kleidung und persönliche Gegen- Wachmannschaften umgehend in Verwendung gestellt stände in großer Zahl dorthin brachten. Die Zwangsarbeiter und zum Schanzen abkommandiert. erkannten, dass diese ursprünglich im Besitz jener Kamera- • Kranke und nicht mehr gehfähige Arbeiter, derer man den gewesen waren, die zuvor aus Kőszeg abtransportiert sich aus Zeitdruck oder anderen Gründen in Kőszeg nicht worden waren. Sie schlussfolgerten daraus, dass man diese mehr entledigen konnte, wurden auf Reichsgebiet ver- getötet hatte. bracht und dort hingerichtet. 15 Walter Manoschek, Dann bin ich ja ein Mörder, Dokumentarfilm, Öster- 16 Margareta Heinrich und Eduard Erne, Totschweigen, Dokumentarfilm, reich 2012. Österreich 1994. D8 FÖ 56, 2017
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz« • Dies wird auch von der Aussage des Zeugen König ge- • Die Winkelbereiche der Stellungen boten den Tätern in stützt, der standhaft behauptete17, dass er am 26. März der Dunkelheit der Nacht einen Überblick sowie eine einen langen Zug jüdischer Arbeiter von Bozsok18 kom- gute Kontrollmöglichkeit über die zur Erschießung ge- mend nach Rechnitz beobachtet hatte, von denen er spä- führten Personen. ter hörte, dass 200 von diesen erschossen worden waren. • Die Erschießung wurde zumindest noch einmal an der- • Die für das NS-Wachpersonal noch ›verwendbaren‹ selben Stelle wiederholt, solange, bis dieser Bereich mit Arbeiter wurden wahrscheinlich fast ausschließlich in der ermordeten Menschen belegt war. Nacht zum Schanzen eingeteilt und sowohl für die Fertig- • Sofort nach der Erschießung wurde damit begonnen, die stellung der militärischen Anlagen als auch für das Ver- Opfer notdürftig zu verscharren, während die nächste scharren der Opfer eingesetzt, bevor man sie kurze Zeit Gruppe einige Meter entlang dem Grabensystem weiter- später auf die Todesmärsche in Richtung KZ Mauthausen geführt wurde, um dort dasselbe Schicksal zu erleiden. schickte. • Die Beschreibung der bei den Exhumierungen gefunde- • Weil mit Ausnahme der Aussagen von Tolnai und So- nen Grabstätten führte zu der Ansicht, dass man nach 21 mogyi kein geschildertes Szenario unmittelbar mit dem singulären Vergrabungsorten suchen müsse. Dies kommt Massaker in der Nacht zum Palmsonntag in Verbindung beispielsweise in jener Vermutung zum Ausdruck, gemäß zu bringen ist, gehen die Verfasser davon aus, dass zwi- welcher die auf dem Luftbild vom August 1945 sichtba- schen 25. und 28. März zumindest noch ein weiteres Mas- ren Geländemerkmale im Osten von Gst. Nr. 11840 die saker auf Rechnitzer Boden stattgefunden haben muss, Grabstätten darstellen könnten. Aufgrund der Ergebnisse möglicherweise auch mehrere. der Grabungen in den Jahren 2014 und 2017 muss diese • Der Bahntransport jener jüdischen Zwangsarbeiter, die of- Annahme jedoch angezweifelt werden, da sich keinerlei fenkundig am 24. März von Kőszeg nach Burg kamen und relevante Befunde auf den archäologisch untersuchten von denen etwa 200 nach Rechnitz zurückgeschickt wur- Flächen nachweisen ließen. Möglicherweise handelte es den, um hier in der Nacht zum Palmsonntag hingerichtet sich bei den auf dem Luftbild sichtbaren Strukturen um zu werden, war mit großer Wahrscheinlichkeit einer der kleine Heuschober (sogenannte »Heumandln«), da auf ersten dieser Evakuierungstransporte, die hauptsächlich einem Luftbild von 1954 sehr ähnliche Strukturen in der dazu dienten, die Augenzeugen der NS-Verbrechen nicht Nähe von Schachendorf festgestellt werden konnten. in die Hände der anrückenden Roten Armee fallen zu las- Hypothetisch formuliert: Wenn man stichprobenartig sen. im Bereich der verschütteten Gräben Erdreich entnimmt, • Auf Basis der historischen Quellen lässt sich die genaue auf menschliche Überreste stößt und diesen ›nachgräbt‹, Position des Vergrabungsortes leider nicht exakt bestim- entstehen Gruben, die aufgrund ihrer Form von Augen- men. Die meisten Zeugen sprechen unisono von einer zeugen mit unterschiedlichen Begriffen benannt werden: Stelle zwischen Schweizer Meierhof, Kreuzstadl und der »Löcher«, »Gräber«, »Zickzackgräben« oder auch »win- Remise, einem Waldstück zwischen Bahnhof und Kreuz- kelige Gruben« und Ähnliches. Es ist denkbar, dass diese stadl, das ursprünglich der Zucht von Fasanen diente. erst durch die Stichexhumierung entstandene Form im • Grundsätzlich kommt ein sehr großes Gebiet als Ver- Folgenden als eigens für die Hinrichtungen ausgehobe- dachtsfläche in Frage, es umfasst über 30 ha. ner Vergrabungsort angesehen wurde und diese irrige • Gestützt auf die Quellen ist jedoch wahrscheinlich, dass Deutung später ohne weiteres Hinterfragen immer wie- es sich bei dem (den) Vergrabungsort(en) der in der Nacht der fortgeschrieben wurde. vom 24. auf den 25. März 1945 Ermordeten um zusam- • Hinweise auf die Verortung von Vergrabungsorten in mi- menhängende Stellungsgräben, Unterstände und Schüt- litärischen Stellungsbauten gibt auch das bisher nicht zenlöcher handelte, die für das Verscharren der Opfer gefundene Massengrab von Schachendorf, das ebenfalls zweckentfremdet wurden und zum Teil sehr gut auf im Stellungssystem (in diesem Fall im Panzergraben) lie- alten wie neuen Luftbildern sowie modernen bildlichen gen soll. Auszügen geophysikalischer Prospektionen zu erkennen • Bezüglich der Ermordung der ungarisch-jüdischen sind (und bei mehreren Grabungskampagnen nachge- Zwangsarbeiter von Deutsch Schützen am 29. März 1945 wiesen werden konnten). steht außer Frage, dass dafür Schützengräben verwendet wurden. Manchmal ging man in der bisherigen Interpretation • Der Gendarmerie-Postenkommandant Terkovics zeich- davon aus, dass zusätzlich und nur für diesen Zweck Gruben nete in seiner den Gerichtsverhandlungen dienenden für die Ermordung der Opfer angelegt worden waren, was und während eines Lokalaugenscheins durch das Bezirks- vor allem auf die Nennung von 21 Gräbern im Protokoll der gericht Oberwart im Jahr 1946 angefertigten Skizze die Roten Armee gründet. Die Verfasser halten demgegenüber Grabstätte in Form von Zickzacklinien ein.19 jedoch folgendes Szenario für möglich: • Schließlich ist folgende Bemerkung der Projektleiter • Die Opfer wurden in Gruppen von fünf bis zwölf Personen Peter Melichar und Wolfgang Neubauer im Endbericht zu den Winkelbereichen der sogenannten Vorfeldstellun- der geomagnetischen Prospektion von 1997 erwähnens- gen (oder winkelförmigen Unterständen beziehungs- wert: »Sämtliche militärische Anlagen, wie Panzergräben, weise Gefechtslöchern) geführt, an deren Rändern aufge- Laufgräben, Munitionsdepots, Unterstände etc. wurden stellt sowie erschossen und fielen dann in diese Gruben. eindeutig mit Hilfe der Prospektion aufgefunden und eingemessen. […] Ebenso wurden die Spuren der Bagger- untersuchungen aus den Jahren vor 1995 (flächenartiges 17 Strassl und Vosko 1999, 127, 156. 18 Der ungarische Ort Bozsok liegt etwa 4 km östlich von Rechnitz, direkt an 19 Vg 12 Vr 2832/45, Band IVn, Übersichtsskizze Terkovics. – Vg 12 Vf 2832/45, der Staatsgrenze. Tatortbeschreibung Terkovics, 26. 12. 1947. FÖ 56, 2017 D9
Franz Sauer u. a. Durchkämmen bestimmter Gebiete) lokalisiert. [Daraus Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht sollte in Zukunft folgt,] dass auch ein aus derselben Zeitepoche stam- auch die Erschließung neuer historischer Quellen nicht aus- mendes eigens gegrabenes Massengrab mit Hilfe der be- bleiben. So gibt es eine Anzahl bisher bei den Recherchen schriebenen Prospektionsmethode hätte lokalisiert wer- kaum beachteter Zeugen, beispielsweise die bei der ersten den können.«20 Exhumierung durch die Rote Armee am 5. April 1945 Anwe- senden. Zusätzlich gibt es nur spärliche Hinweise darauf, dass man sich in der Vergangenheit auch jenen Zeuginnen Abschliessende Bemerkungen und künftige und Zeugen zuwandte, die dem damaligen Polizei-, Gendar- Forschungsperspektiven merie- und Justizpersonal zuzurechnen sind. Eine Recherche zu diesen Personen und ihren Nachkommen sowie mög- Die Suche nach den Opfern des Massakers vom Palmsonn- licherweise vorhandenem Quellenmaterial innerhalb ihrer tag sollte sich auch in Zukunft – denn dies war schon einige Nachlässe ist noch ausständig. Male der Fall – auf die grabungstechnische Feststellung der den Panzergraben umgebenden Stellungsbauten konzent- rieren, die eine Zickzackform aufweisen und in deren System Literaturverzeichnis auch Unterstände, ›Bunker‹ und Schützenlöcher eingebun- den waren. Eine Liste der in der Zeitschrift Fundberichte aus Österreich Die zukünftige Suche sollte bereits untersuchte Flächen verwendeten Abkürzungen und Sigel findet sich im Regis- aussparen und im Bereich des ehemaligen Schweizer Meier- terteil dieses Bandes. hofs (also südlich und östlich der heutigen Reithalle) die Flur Strassl und Vosko 1999: Harald Strassl und Wolfgang Vosko, Das Östliche Tafeln inklusive der Remise umfassen, wobei das Schicksal ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter am Beispiel des Südostwallbaus Hauptaugenmerk auf den Bereich zwischen Kreuzstadl und 1944/45 im Bezirk Oberwart. Unter besonderer Berücksichtigung der Massen- Remise gelegt werden sollte. Kurz gesagt sollten die Stel- verbrechen bei Rechnitz und Deutsch Schützen, unpubl. Dipl. Univ. Wien, 1999. lungssysteme grabungstechnisch weiter verfolgt werden. Ob der Vergrabungsort östlich oder westlich des Panzerab- wehrgrabens liegt, kann nicht eindeutig festgestellt werden, Abbildungsnachweis da die Aussagen der Zeugen hierzu widersprüchlich bezie- Abb. 1, 2: Bundesministerium für Inneres hungsweise schwer und nicht eindeutig zu interpretieren Abb. 3: BEV – Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen sind. Abb. 4: Mike Ritter (mit freundlicher Genehmigung des Vereins Auf Basis eines Knochenfundes beim Anlegen eines RE.F.U.G.I.U.S) Abb. 5, 6: Nikolaus Franz Gartenzaunes im Jahr 2013 auf dem Areal des ehemaligen Schweizer Meierhofs in Rechnitz21 empfehlen die Verfasser eine archäologische Untersuchung des betroffenen Bereichs. Der gefundene Oberschenkelknochen stammt laut 14C-Ana- Autorin und Autor lyse von einem Menschen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit Mag. Nikolaus Franz zwischen 1650 und 1950 verstorben ist.22 Es sollte daher ge- AGA – Arbeitsgemeinschaft Geschichte & Archäologie OG klärt werden, ob es sich bei dem Fundort möglicherweise um Gladbeckstraße 1/1/10 ein Grab beziehungsweise mehrere Gräber handelt. 2320 Schwechat Anzuraten ist zudem die systematische Befliegung der Mag. Astrid Tögel Verdachtsfläche mittels einer mit hoch auflösender Kamera AGA – Arbeitsgemeinschaft Geschichte & Archäologie OG ausgestatteten Multicopter-Drohne. Dabei sollte ein vorher Gladbeckstraße 1/1/10 definiertes Gebiet mehrere Male und in unterschiedlichen 2320 Schwechat Vegetationsperioden systematisch luftbildarchäologisch er- fasst werden. Möglicherweise können anhand von Verände- rungen im Bewuchs, durch die unterschiedliche Bodennut- zung sowie aufgrund wechselnder Lichtverhältnisse neue Erkenntnisse gewonnen werden. Der ungarische Forscher Sándor Pócza schlägt vor, bei der Suche verstärkt Satellitenbilder hinzuzuziehen, vor allem auch solche, die sich der Infrarottechnik bedienen. Die Ver- fasser gehen mit seiner Meinung konform, wonach die Luft- bilder der Alliierten Luftstreitkräfte aus dem Februar und dem August 1945 noch einmal einer eingehenden Analyse unterzogen werden sollten, um etwaige Veränderungen an den Stellungsbauten innerhalb dieses Zeitraums von sechs Monaten festzustellen. 20 Peter Melichar und Wolfgang Neubauer, Geophysikalische Prospektion im Bereich des Gemeindegebietes Rechnitz/Burgenland zum Zwecke der Lokalisierung von vermuteten Massengräbern, unpubl. Manuskript, Wien 1997, 32. 21 Bericht des Landeskriminalamts, Außenstelle Oberwart (GZ. E1/21044/2013) vom 4. Juni 2013. 22 Bericht des VERA-Laboratoriums, 17. 10. 2013. D10 FÖ 56, 2017
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz« Über Rechnitz aus ungarischer Sicht bilden bis heute ein wichtiges Quellenmaterial, auch wenn sie stark subjektiv und vom Zeitgeist geprägt sind. Gewisse Szabolcs Szita Momente der Geschehnisse haben Personen, die näher stan- den, anders wahrgenommen, unterschiedlich erlebt. Die Aufdeckung und endgültige Klärung der Gräueltat von Viele Jahrzehnte später muss ich feststellen, dass die Rechnitz sollte bereits seit Jahrzehnten erledigt sein, doch Erfahrungen der aus Budapest gesandten Untersuchungs- sind die Faktoren und Umstände bekannt, die der erfolg- kommission beziehungsweise die diese dokumentierenden reichen Ermittlung der wahren Fakten, der Auseinanderset- Akten meistens beklemmend waren. Es war sehr schwer, zung mit der schmerzhaften Vergangenheit im Wege stan- Informationen vor Ort einzuholen. Die österreichische Be- den, sie verhinderten. Der ›Kalte Krieg‹, die obligatorische völkerung, damals unter russischer Besatzung, hatte Angst. Absonderung wie einzelne politische Faktoren trugen dazu Die entsprechenden Eintragungen beziehungsweise Blätter bei, dass das Massaker von Rechnitz beinahe vollkommen waren in den meisten Fällen aus den Kirchenbüchern ent- in Vergessenheit geraten ist. Ich könnte hier auch unzäh- fernt worden. Die Einwohner der Region hielten sich be- lige ungarische Beispiele erwähnen, wo und warum über deckt, verweigerten die Informationen und versuchten, die die Opfer geschwiegen wurde. Man wies einfach die Ver- Gräber und Massengräber verschwinden zu lassen. Die Be- antwortung bereitwillig von sich. Oft habe ich die Ausrede gräbnisstätten der jüdischen Zwangsarbeiter versanken gehört, es gehe wohl um längst Vergangenes und es hätte bereits. Mancherorts wurden die so entstandenen Gruben keinen Sinn mehr, darüber zu reden. Vergangen, vergessen, mit Müll zugeschüttet, woanders wurde die Erde, unter der nicht mehr existent. die Opfer verscharrt worden waren, gepflügt und besät. Wie Vor 30 Jahren erhielt ich in Wien den ministeriellen Auf- auch immer, die Ortsbewohner wollten laut Untersuchungs- trag, als ungarischer Historiker zur Klärung der Vorkomm- kommission die Vergangenheit verdrängen und die Beweise nisse beizutragen. In den westungarischen Archiven wurde verschwinden lassen. mein Interesse an diesem Thema mit Verwunderung zur Den Protokollen zufolge hatten die meisten befragten Kenntnis genommen, da die Dokumente aus der Zeit des Zeitzeugen (Ortsbewohner) nichts gesehen und nichts ge- Zweiten Weltkriegs kaum erforscht wurden. Es kam sogar hört, folglich auch gar nichts zu erzählen. All das erwähne ich vor, dass der Archivar melden musste, wenn jemand (in mei- nur, damit wir das Benehmen der Einwohner von Rechnitz in nem Fall ein ›verdächtiger Typ‹) nach Dokumenten zur Ge- den Nachkriegsjahren richtig deuten, ihre Ängste verstehen schichte des Grenzgebietes des »Friedenslagers« verlangte. können. Denn wir wollen unserem Ziel näherkommen und Was offiziell erreichbar war und genehmigt wurde, habe die Begräbnisstätte der Opfer endlich auffinden. Und dazu ich gelesen und aufgearbeitet. Die Anfertigung von Kopien ist es eben sehr wichtig zu wissen, wer was gehört und ge- war – paradoxerweise – nicht gestattet. Es gab ja auch kein sehen hat, selbst wenn Wissende sich versteckt haben oder Kopiergerät, mit dem man eventuell etwas Verbotenes hätte geflüchtet sind. Andererseits dürfen wir auch nicht leugnen, anrichten können. Ich erinnere mich an eine denkwürdige dass es Menschen gab, die sich – freiwillig oder auf Druck Szene: In Sopron durfte ein österreichischer Forscher – im anderer – an schändlichen Gewalttaten beteiligt haben oder Besitz einer gültigen Genehmigung – die Dokumente foto- an deren Händen Blut klebt. grafieren, sein ungarischer Kollege aber nicht. (Er hat, wohl- Speziell auf Rechnitz bezogen müssen wir die Arbeit des gemerkt, seine eigene Kamera verwendet, denn das Archiv Vereins RE.F.U.G.I.U.S., das selbstlose Engagement seiner verfügte damals über keine technischen Geräte.) Selbst die Leiter und Mitglieder – unserer Freunde – als eine durchaus zur Forschung unerlässlich notwendigen Landkarten waren positive Wende würdigen. Die hervorragende Ausstellung, unter strenger Kontrolle der Staatssicherheit, sorgfältig ver- die bereits traditionellen Gedenkveranstaltungen, die Ein- wahrt und für Forscher nicht zugänglich. führung dieses schwierigen Themas im Schulunterricht und In Budapest wandte ich mich an die Direktion des Jüdi- andere Bestrebungen erzielten einen lobenswerten Durch- schen Museums. Ilona Benoschofsky hörte mich an und bruch. Wir dürfen nun hoffen, dass die tragischen Gescheh- verstand die Bedeutung der historischen Aufarbeitung der nisse nicht in Vergessenheit geraten werden. Besonders Massaker von Rechnitz und anderen Gemeinden der Grenz- hervorzuheben ist die aufopferungsvolle und mühsame region während des Zweiten Weltkrieges. Sie willigte in die Tätigkeit des Wiener Künstlers Paul Gulda und des früheren Forschung ein – unter der Voraussetzung, die Angelegenheit Rechnitzer Bürgermeisters Engelbert Kenyeri. Und natürlich werde vertraulich behandelt. Sie nahm sogar Urlaub für die verdienen auch all jene unsere Hochschätzung, die bei den Zeit der Recherchen, nicht ohne mir zuvor die erwünschten geophysikalischen Untersuchungen des Gebiets mitwirkten Papiere auf ihrem Schreibtisch bereitzulegen. Am vereinbar- oder irgendetwas anderes zur Auffindung der Opfergrä- ten Tag empfing mich ihre Sekretärin und sperrte mich in das ber taten. Für ihre Bemühungen möchte ich im Namen der Direktorenzimmer ein. Ich durfte erst das Zimmer verlassen, Ungarn unsere Würdigung, Anerkennung und Dankbarkeit als die Kollegen Mittagspause hatten. Ich notierte emsig ausdrücken. die wichtigsten Angaben. Diese Akten waren 1945 oder ein Eine schwierige Angelegenheit ist (und bleibt auch wahr- bis zwei Jahre danach entstanden, als Kommissionen der scheinlich) das Drängen einiger Journalisten, selbsternann- Budapester jüdischen Glaubensgemeinde versuchten, die ter Historiker und Zeugen. Ihre Spekulationen musste ich Gräber ungarischer jener jüdischen Männer und Frauen auf- bereits mehrfach energisch zurückweisen. Hoffentlich geht zufinden, die im Krieg am Stellungsbau in der Grenzregion dieses Kapitel früher oder später zu Ende. Zwangsarbeit geleistet hatten und dabei verstorben bezie- Es ist nicht meine Aufgabe, Aufträge zu erteilen. Als Di- hungsweise ermordet worden waren. rektor des Holocaust-Gedenkzentrums Budapest und Autor Von den erforschten Aktenbeständen konnte ich die von 32 Büchern zum Thema Holocaust bin ich der Ansicht, meisten Angaben aus den um 1945/1946 angelegten Pro- dass es höchste Zeit ist, alle Quellen zum Thema und spe- tokollen des Fürsorgekomitees der Deportierten gewinnen, ziell in Bezug auf die Gemeinden Rechnitz, Kőszeg/Güns also aus Erinnerungsberichten von Überlebenden. Diese und Bucsu/Butsching ausfindig zu machen. Diese Schriften, FÖ 56, 2017 D11
Franz Sauer u. a. Erinnerungen und Protokolle sollen mit wissenschaftlicher Autor Akribie aufgearbeitet und mit den gängigen Vermutungen, Szabolcs Szita Spekulationen und böswilligen Äußerungen konfrontiert Holokauszt Emlékközpont – Holocaust Memorial Center werden, um der historischen Wahrheit näher zu kommen, ja Páva ut 39 sie möglicherweise zu erreichen. 1094 Budapest Ungarn Es wäre ebenfalls wichtig, im Moskauer Militärarchiv For- schungen durchzuführen, obwohl ich aus eigener Erfahrung bekunden kann, das dies nicht ganz einfach ist. Doch nach nahezu 75 Jahren ist es unsere moralische Pflicht. Mein Dank gilt den Veranstaltern dieser wichtigen Konferenz – die vor uns stehenden Aufgaben werde ich voll und ganz unterstüt- zen! D12 FÖ 56, 2017
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz« One cannot hide the past because the col of the local court from 1946. According to this protocol, skeletons step out from the graves the witness Beigelbeck drew the graves between the tank trench and the road east of the Kreuzstadl. Mr. Kenyeri or- Gábor Vadász dered geomagnetic research in 2016. The 10th research campaign ran in November and De- I would like to speak about the killing of my father and about cember of 2017 and was based on an American aerial photo research into the grave sites. My motto is the sentence of taken in August 1945. The above mentioned research also Rainer M. János: »One cannot hide the past because the skel- used an inaccurate police site plan. This research was also etons step out from the graves.«23 unsuccessful. We also misunderstood the aerial photo be- I am Vadász Gábor, a surgeon and anaesthetist. I was nine cause we thought we saw the graves on the eastern part of years old when my father Géza, his twin Árpád and another the photo, but the objects were only haystacks. 180 forced labourers were murdered here in Rechnitz, a cou- After the archaeological research was finished we real- ple of days after my father’s 48th birthday. ized that the research team had not known the data from I appreciate your trouble, your enthusiasm, your dedica- the official protocols about the murders and the digging tion in seeking my father’s grave. In particular, I would like to of graves. These protocols were prepared in 1945 and 1946 thank the altruistic and friendly help of the former mayor of and they are called DEGOB protocols. The research team did Rechnitz, Engelbert Kenyeri, in solving this mystery. It would not know about the recollections of László Tolnai published be great if Hungary spent as much knowledge, power and in his book Kőszeg Terminal.25 In this book the gravediggers money as Austria did to close down this terrible part of the and other workers who flattened out the ground over the history. graves published their experiences. The researchers had also My mother lived close to 100 years. During her whole life not known the report by David Litchfield which the ORF pub- she searched for my father’s grave; she even contacted Pope lished. This report is very helpful in analysing the aerial pho- Benedict XVI., without any results. tos. The testimony of one of the witnesses includes informa- This monstrosity was committed 73 years ago. Elfriede tion about the location of the graves: There were three huge Jelinek wrote a worldwide famous drama about the mass trees. It is sad that part of the Austrian data is well-known murders in Rechnitz, »Rechnitz (Der Würgeengel)«. This in Hungary, but not by Austrian researchers. Despite the fact mass murder is special compared to the other mass murders that Szita Szabolcs published it in his books Haláleröd and committed in that period for the following reasons: Utak a pokolból.26 Firstly, Christian inhabitants of Rechnitz committed this I am not angry because I am speaking openly about the murder voluntarily on the morning of Palm Sunday as the memory and the graves of my father, his twin and other main event in a celebration. My father and the other forced forced labourers. I am speaking about the honour of Austria labourers were either hunted and shot in the head, or beaten as well. Those men were tortured in Kőszeg and killed at this to death. Afterwards the perpetrators went back to the cas- place for fun. I have been waiting for 73 years and I am get- tle to continue the party. ting closer and closer to the end of my life. Secondly, they hid eight tons of human bodies. Although, Previous inefficiency is not a serial of random setbacks. I we have been searching for the graves for many decades, we am neither an archaeologist nor a historian – I am not a spe- have not been able to find them. cialist in those disciplines. I tried to identify the reasons from Thirdly, this unforgivable action was not revenged as the organisational side Surveying the past, I suppose there old laws recommend. Hammurabi wrote down the ancient are various reasons behind the repeated inefficiency. Firstly, tribal law in three languages 3700 years ago. The Romans there is the conceptual failure; for example, the human bod- called it lex talionis, which is the law of retaliation. The Old ies could be in the trenches. Secondly, there is the lack of in- Testament made it famous and also the law of Jewish-Chris- formation; for example, the DEGOB protocols, the researches tian culture: »An eye for an eye […].«24 of Szita Szabolcs, the comparative analysis of American and In 1945, 300 people were killed in hospitals and nursing Hungarian aerial photos. Thirdly, failures in data transfer; for homes in Buda. The perpetrators were led by a Franciscan example, the application of data collected by Rechnitz high monk. His name was Father Kun. Those perpetrators were school students in Budapest, personal orientation by inter- punished seriously: 26 of them were sentenced to death in net links, contacts. Fourthly, data analysis and organization. 1946. As I am the last living direct descendant of the murdered In 2012, the President of Austria, Heinz Fischer, took part victims in Rechnitz, I request and urge the closure of this ter- in the opening of the outdoor museum. In my speech, I noted rible bloodshed based on general human law. This case has that many researchers had searched for the hidden graves, taken 73 years. We cannot forget them. but not found them, despite their amounting to eight tons I ask you not to forget that every victim had a name. We of human bodies, a paradox. I insisted that the graves be now know five of them. The names of Blum Lászlo and the found urgently. President Fischer promised to make efforts two Vadász twins have been known for a long time. The to find the graves. Researches restarted because of his ini- name of Kövesi József has been known for two years. The tiative. Researchers found two documents from that time. name of the electrical engineer Molnár László has become In 2016, my eldest son drew up the geomagnetic research known only recently. We do not know the names of the mur- plan. He used the map that summarized the results of the derers however, but more than 100 people from my genera- former researches and the site plan attached to the proto- tion were born and today still live here in Rechnitz. As chil- 23 Interview with Rainer M. János in Heti Világgazdaság, https://hvg.hu/itt- hon.tarsadalom/20140616_Rainer_M_Janos_A_csontvazak_egyszer_kilep [Zugriff: 2. 4. 2019]. 25 Tolnai 1947. 24 Moses Il.21–24. 26 Szita 1989. – Szita 1991. FÖ 56, 2017 D13
Franz Sauer u. a. dren they would have heard and seen a lot. They can also dass die Täter ernsthaft bestraft wurden: 26 von ihnen wur- hide a lot. den 1946 zum Tode verurteilt. I would like to mark the graves of the victims in a gracious Im Jahr 2012 nahm der österreichische Bundespräsident way so that our respect maintains their memories. Heinz Fischer an der Einweihungsfeier der Kreuzstadl-Ge- denkstätte teil. In meiner Rede habe ich auf das Paradoxon hingewiesen, dass schon viele Forscher vergeblich nach Man kann die Vergangenheit nicht ver- den versteckten Gräbern mit 8 Tonnen menschlicher Kör- bergen, weil die Skelette aus ihren Gräbern per gesucht haben. Ich strich heraus, dass man die Gräber steigen dringend finden müsse. Er versprach, sich dafür einzusetzen, die Gräber zu finden. Aufgrund seiner Initiative wurden die Ich möchte über die Ermordung meines Vaters und über die Forschungen neu gestartet. Die Forscher fanden zwei Doku- Suche nach den Gräbern sprechen. Mein Motto ist ein Satz mente aus dieser Zeit. von Rainer M. János: »Man kann die Vergangenheit nicht Im Jahr 2016 hat mein älterer Sohn einen Plan unter der verbergen, weil die Skelette aus ihren Gräbern steigen.«27 Berücksichtigung der geomagnetischen Forschungen er- Ich bin Gábor Vadász, Chirurg und Anästhesist. Ich war stellt. Er fasste darin die Ergebnisse früherer Forschungen neun Jahre alt, als mein Vater Géza und sein Zwillingsbruder mit einem dem Protokoll eines Lokalaugenscheins des Be- Árpád einige Tage nach ihrem 48. Geburtstag gemeinsam zirksgerichts beigefügten Lageplan von 1946 zusammen. mit weiteren 180 Zwangsarbeitern hier in Rechnitz ermor- Nach diesem Protokoll verortete der Zeuge Beigelbeck die det wurden. Gräber zwischen dem Panzergraben und der Straße östlich Ich schätze Ihre Schwierigkeiten, Ihre Begeisterung, Ihre des Kreuzstadls. Herr Kenyeri hat 2016 eine Erdmagnetfor- Berufung bei Ihrer Suche nach dem Grab meines Vaters. schung in Auftrag gegeben. Insbesondere möchte ich dem ehemaligen Bürgermeister Ich vermute, die zehnte Forschungskampagne, die im No- von Rechnitz, Engelbert Kenyeri, für seine altruistische und vember und Dezember 2017 lief, basierte auf dem amerikani- freundliche Hilfe bei der Lösung dieses Rätsels danken. Es schen Luftbild, das im August 1945 gemacht wurde. Die oben wäre großartig, wenn die Republik Ungarn genau so viel For- erwähnte Forschung beruhte auch auf einer ungenauen scherdrang und Geld investieren würde, wie die Republik Ös- Skizze der Gendarmerie. Diese Kampagne war ebenfalls er- terreich das tut, um diesen schrecklichen Teil der Geschichte folglos. Wir haben auch das Luftbild falsch verstanden, weil zu beenden. wir dachten, wir hätten die Gräber im östlichen Abschnitt Meine Mutter lebte fast 100 Jahre lang. Sie suchte wäh- des am Luftbild sichtbaren Terrains ausgemacht, diese ent- rend ihres ganzen Lebens nach dem Grab meines Vaters. Sie puppten sich jedoch als bloße Heuschober. hat sogar den deutschen Papst Benedikt XVI. – ohne Erfolg Nach der archäologischen Kampagne stellten wir fest, – kontaktiert. dass das Forschungsteam die Daten der offiziellen Protokolle Diese Monstrosität wurde vor 73 Jahren begangen. El- über die Morde und Gräber nicht kannte. Diese Protokolle friede Jelinek schrieb ein weltweit bekanntes Drama über wurden in den Jahren 1945 bis 1946 erstellt und werden DE- die Massenmorde in Rechnitz. Dieser Massenmord sticht GOB-Protokolle genannt. Das Forschungsteam kannte auch aus folgenden Gründen aus den anderen zu dieser Zeit be- die Erinnerungen des Zeugen Tolnai László aus dessen Buch gangenen Massenmorden hervor: Endstation Kőszeg nicht.29 In diesem Buch wurden die Aussa- Erstens haben christliche Einwohner von Rechnitz diesen gen und Erfahrungen der Totengräber und anderer Arbeiter Mord aus freiem Willen am Morgen des Palmsonntags als veröffentlicht, die den Boden über den Gräbern eingeebnet Hauptattraktion einer geselligen Veranstaltung begangen. hatten. Sie wussten nichts über den Bericht von David Litch- Sie jagten und verprügelten meinen Vater und die anderen field, den der ORF veröffentlicht hatte. Dieser Bericht kann Zwangsarbeiter und schossen ihnen in den Kopf. Danach einen wichtigen Punkt bei der Analyse der Luftbilder darstel- gingen sie zurück zum Schloss, um sich zu amüsieren. len. Die Rede eines Zeugen enthält Informationen über die Zweitens haben sie 8 Tonnen menschlicher Körper ver- Lage der Gräber: Es hätte drei riesige Bäume in der Nähe ge- steckt. Wir haben seit Jahrzehnten nach Gräbern gesucht, geben. Es ist traurig, dass ein Teil der österreichischen Daten die wir nicht finden konnten. in Ungarn bekannt ist, aber österreichische Forscher nichts Drittens wurde diese unverzeihliche Aktion nicht gerächt, davon wissen. Dies, obwohl Szita Szabolcs dies in seinen Bü- wiewohl das Gesetz eine angemessene Vergeltung vorse- chern Haláleröd und Utak a pokolból veröffentlicht hat.30 hen würde. Hammurabi schrieb vor 3700 Jahren das alte Seien Sie mir nicht böse, weil ich offen über die Erinne- Stammesgesetz in drei Sprachen auf. Die Römer nannten es rung, die Gräber meines Vaters, seines Zwillings und der lex talionis, das Gesetz der Vergeltung. Das Alte Testament anderen Zwangsarbeiter spreche. Ich spreche auch von der machte es berühmt und zum Gesetz der jüdisch-christlichen Ehre Österreichs. Diese Männer wurden in Kőszeg gefoltert Kultur: »Auge um Auge […].«28 und hier zum Spaß getötet. Ich warte schon seit 73 Jahren 1945 wurden 300 Menschen in den Krankenhäusern und und komme dem Ende meines Lebens immer näher. Pflegeheimen von Buda getötet. Die Täter waren ungarische Die frühere Ineffizienz ist keine Serie zufälliger Rück- Nazis und wurden von einem katholischen Minoritenpries- schläge. Ich bin weder Archäologe noch Historiker. Ich bin ter angeführt. Sein Name war Pater Kun. Es ist eine Tatsache, kein Spezialist für diese Disziplinen. Ich habe versucht, die Gründe von der organisatorischen Seite her zu identifizieren. Ich nehme die Gelegenheit wahr, einige Gründe für die wie- derholte Ineffizienz aufzuzeigen: Erstens gibt es ein konzep- 27 Interview mit Rainer M. János in der ungarischen Wochenzeitschrift Heti Világgazdaság, Online-Ausgabe vom 16. Juni 2014, https://hvg.hu/itthon. tarsadalom/20140616_Rainer_M_Janos_A_csontvazak_egyszer_kilep [Zugriff: 2. 4. 2019]. 29 Tolnai 1947. 28 Moses Il.21–24. 30 Szita 1989. – Szita 1991. D14 FÖ 56, 2017
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