"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck

 
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"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck
FÖ • Band 56 • 2017

Sonderdruck

Fachgespräch

»Das Massaker von Rechnitz –
zum Stand der Spurensuche«
14. März 2018, Rechnitz
(Burgenland)
"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck
Sonderdruck aus: Fundberichte aus Österreich, Band 56, 2017

Alle Rechte vorbehalten
© 2019 by Bundesdenkmalamt
http://www.bda.gv.at

Herausgeber: Univ.-Doz. Dr. Bernhard Hebert
Bundesdenkmalamt, Abteilung für Archäologie
Hofburg, Säulenstiege, 1010 Wien
bernhard.hebert@bda.gv.at

ISSN: 0429-8926

Redaktion: Mag. Nikolaus Hofer
Bildbearbeitung: Stefan Schwarz
Satz und Layout: ARGE DDV KG
Layoutkonzept: Franz Siegmeth
Covergestaltung Sonderdruck: Martin Spiegelhofer
Coverbild Sonderdruck: Untersuchungsfläche der Grabungskampagne 2017
in Rechnitz. Foto: Mike Ritter (mit freundlicher Genehmigung des Vereins
RE.F.U.G.I.U.S)
Druck: Ferdinand Berger & Söhne Ges.m.b.H.
"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz – zum Stand der
Spurensuche« am 14. März 2018 in Rechnitz (Burgenland)

Einleitung
Franz Sauer                                                                    denkmalamtes mit dem Thema zu beschäftigen, wobei man
                                                                               – weil das Bundesdenkmalamt die Jahrzehnte zuvor nie
Das Fachgespräch in Rechnitz war überfällig.1 Überfällig des-                  zu Besprechungen hinzugezogen worden war – zunächst
halb, weil es 73 Jahre nach dem Massenmord an den jüdi-                        durchaus ›blauäugig‹ an die Sache heranging und wieder
schen Zwangsarbeitern das erste Gespräch ist, bei dem bei-                     nur eine punktuelle Grabung im Bereich einiger in den Luft-
nahe alle (noch lebenden) an der Suche beteiligten Personen                    aufnahmen deutlich sichtbarer Objekte in die Wege leitete.
und Institutionen zusammengekommen sind, um über die                           Im Jahr darauf folgte eine Prospektion mit Metallsonden, an
Ergebnisse ihrer bisher geleisteten Arbeiten zu referieren.                    die noch einmal eine kleine Grabungskampagne anschloss,
    Die Suche nach den Opfern reicht zurück bis in die ersten                  bei der im Osten des Grundstückes eine in einem Luftbild
Apriltage des Jahres 1945, als die Rote Armee nach der Ein-                    vom Juli 1945 sichtbare Fläche mit einer Reihe von Objekten,
nahme von Rechnitz mehrere Stellungen des Südostwalles                         die als Grabschächte interpretiert worden waren, unter-
öffnen ließ, um Nachschau zu halten, wer darin begraben                        sucht wurde. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings schon klar,
worden war. Nachdem man festgestellt hatte, dass es sich                       dass die gewählte Methode – also die Suche mittels klein-
um erschossene Juden handelte, wurden die Leichen in den                       räumiger Sondagen – kaum zur Entdeckung der Opfer füh-
alten Gruben wieder beigesetzt – seither sind sie jedoch                       ren würde.
›wie vom Erdboden verschluckt‹.                                                   Bernhard Hebert, dem Leiter der Abteilung für Archäolo-
    Gezielte Nachforschungen nach den etwa 200 Opfern                          gie des Bundesdenkmalamtes, war es schließlich zu verdan-
erfolgten erst wieder zwischen 1968 und 1970 durch Horst                       ken, dass im November des Vorjahres vom Bundesdenkmal-
Littmann (Volksbund der Deutschen Kriegsgräberfürsorge).                       amt erstmals ein namhafter Betrag für eine Flächengrabung
Nach der Exhumierung von 18 erschossenen Männern in der                        zur Verfügung gestellt wurde (siehe den nachfolgenden Bei-
Nähe des Schlachthauses beendete Horst Littmann aller-                         trag). Im Mittelpunkt standen nunmehr jene östlich des Pan-
dings, nachdem er Morddrohungen (!) erhalten hatte, vor-                       zergrabens situierten Laufgräben und Stellungen, die von
erst seine Untersuchungen.                                                     Zeugen und auf Skizzen als Tatort bezeichnet worden waren.
    Auf Initiative der Witwe eines Ermordeten wurde die                        Nach dem Humusabtrag sowie der fotografischen und ver-
Suche in den späten 1980er-Jahren wieder aufgenommen,                          messungstechnischen Dokumentation wurden diese Stel-
wobei es nun unter Federführung des Innenministeriums                          lungen dann alle 5 m bis auf das Niveau des gewachsenen
zu gezielten luftbildarchäologischen Befliegungen, boden-                      Bodens ausgegraben. Bekanntermaßen blieb allerdings
kundlichen Sondierungen, geophysikalischen Prospektio-                         auch diese Grabung im Hinblick auf das Auffinden der Opfer
nen und mehrmals auch wieder zu Grabungen durch Horst                          ergebnislos, wenngleich – aus Sicht des Bundesdenkmalam-
Littmann kam. Im Zentrum aller Aktivitäten standen dabei                       tes – mit dieser Aktion der ›Gordische Knoten‹ hinsichtlich
immer die Grundstücke unmittelbar südöstlich des Kreuz-                        falscher Methoden endlich durchschlagen wurde. Zum ers-
stadls, die in den Protokollen des Volksgerichtshofes als jene                 ten Mal wurde nunmehr eine größere Fläche derart unter-
Stellen genannt werden, wo die Opfer beerdigt worden sein                      sucht, dass mit Fug und Recht behauptet werden kann: In
sollen. Angesichts knapper Budgets blieben die Grabungen                       diesem Bereich liegen keine Opfer.
allerdings immer kleinräumig und punktuell, sodass man                            Eine weitere Folge dieses negativen Ergebnisses war das
nie sicher sein konnte, ob die Ermordeten nicht wenige                         aktuelle Fachgespräch, bei dem – wie eingangs festgestellt –
Meter daneben doch noch liegen könnten.                                        viele Beteiligte über ihre früheren Arbeiten referiert haben.
    Parallel zu diesen Aktivitäten wurde ab dem Jahr 2000                      Ein nicht minder wichtiges Thema dieser Tagung waren die
vom Institut für Geographie der Universität Wien eine                          Quellen, die vor Ort angefertigten Skizzen sowie die Aussa-
Datenbank erstellt, in der alle Hinweise hinsichtlich mögli-                   gen der einander zum Teil widersprechenden Zeugen. Dies
cher Grablegen gesammelt wurden. Letztendlich war dann                         alles sollte auf den Tisch gelegt werden, zusätzlich aber
im Jahr 2012 jedoch ein ›toter Punkt‹ erreicht. Die Medien                     auch alle Gerüchte und Mutmaßungen, die etwa auch dahin
hatten zwar während der einzelnen Aktivitäten vor Ort                          gehen, dass die Opfer bereits bei Nacht und Nebel geborgen
immer wieder berichtet, nachdem allerdings nie etwas ge-                       und andernorts wieder begraben worden sind. Aus all dem
funden worden war, auch schnell wieder das Interesse ver-                      soll ein neuer Ansatz zur Fortführung der Suche nach den
loren.                                                                         Mordopfern gefunden werden.
    Vor vier Jahren begann sich schließlich – eigentlich aus                      Der Marktgemeinde Rechnitz in Person des Bürger-
Zufall – auch die Abteilung für Archäologie des Bundes-                        meisters Martin Kramelhofer ist dafür zu danken, dass das
                                                                               Fachgespräch in Rechnitz abgehalten werden konnte. Zu
                                                                               danken ist auch seinem Vorgänger, Herrn Engelbert Kenyeri,
1   Lediglich von einem Referat des Fachgesprächs wurde keine schriftliche
                                                                               für zahlreiche Hilfestellungen und Anregungen. Ein beson-
    Fassung für den nachfolgenden Tagungsbeitrag eingereicht: Ronny            derer Dank gebührt den Mitgliedern der AGA – Arbeitsge-
    Weßling, Die Grabungen von 2006 und 2012 des Instituts für Urge-           meinschaft Geschichte & Archäologie, die sowohl mit der
    schichte und Historische Archäologie der Universität Wien & RechnitzGIS.   ›amtswegigen‹ Flächengrabung als auch mit der Organisa-
    Ein Geografisches Informationssystem für die Suche nach den ermordeten
    Juden von Rechnitz.                                                        tion und Programmerstellung des Fachgespräches betraut

FÖ 56, 2017                                                                                                                              D3
"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck
Franz Sauer u. a.

waren. Last, but not least ist dem Grundeigentümer für die
Bereitschaft zu danken, dass auf seinem Grundstück der
Humus auf einer Fläche von 8900 m2 abgetragen werden
durfte.

Autor
Mag. Franz Sauer
Bundesdenkmalamt
Abteilung für Archäologie
Hofburg, Säulenstiege
1010 Wien

D4                                                           FÖ 56, 2017
"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz«

Historische Quellenkritik sowie Grund-                                       das Grab oder die Gräber der verschollenen Opfer des Kreuz-
lagen und ­Perspektiven für die zukünf-                                      stadl-Massakers zu finden. Immerhin wurden die militäri-
tige Suche                                                                   schen Stellungen auf einer Gesamtfläche von knapp 8900
                                                                             m2 freigelegt, also in einem im Vergleich zu früheren Gra-
Nikolaus Franz und Astrid Tögel                                              bungen sehr ausgedehnten Bereich. Doch diese Hoffnung
                                                                             wurde enttäuscht. Zwar belegten auch zahlreiche Funde
Eingrenzung des Themas                                                       von Stacheldraht, Projektilen und Patronenhülsen den mili-
                                                                             tärischen Charakter der Gräben, ein Hinweis auf die Existenz
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Suche                       menschlicher Gebeine fand sich jedoch nicht.
nach den Opfern des sogenannten »Kreuzstadl-Massakers«,                         Nach Beendigung der Grabungsarbeiten sahen sich die
jenen 180 bis 220 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern,                       Verfasser gezwungen, ihre Annahmen zu überprüfen und –
die in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 (Palmsonn-                    in Übereinstimmung mit dem Bundesdenkmalamt – ›zurück
tag) auf Rechnitzer Gemeindegebiet erschossen und deren                      an den Anfang‹ zu gehen, um das zur Verfügung stehende
sterbliche Überreste an einem bis heute nicht entdeckten                     Quellenmaterial einer nochmaligen, eingehenden Analyse
Ort vergraben worden sind. Die Ermordung von sieben jü-                      zu unterziehen sowie gegebenenfalls neu zu bewerten.
dischen Zwangsarbeitern im Februar 1945 beim oder am
katholischen Friedhof, die bezeugte Tötung und spätere Ex-
humierung eines Zwangsarbeiters beim sogenannten »Rau-                       Quellen
herz-Haus« sowie die Hinrichtung von 15 bis 18 jüdischen
Zwangsarbeitern auf dem Hinterpillenacker beim (heute                        Folgende Primärquellen4 standen bei den Recherchen zur
nicht mehr existierenden) Schlachthaus in Rechnitz sind                      Verfügung:
nicht Gegenstand dieses Beitrags.                                            • Vernehmungsprotokolle und Aussagen von Zeugen und
                                                                                Beschuldigten sowohl bei Gendarmerie als auch bei Ge-
                                                                                richt, entstanden während der »Volksgerichtshof-Prozes-
Die Grabungskampagne 2017                                                       se«:5 Protokoll Vg (Volksgerichtshof Wien) 2f Vr 2832/45
                                                                                »gegen F. Podezin«, auch bekannt als »Rechnitz I«, been-
Nach dem Anlegen kleinräumiger Suchschnitte im Jahr                             det unter Protokoll Vg 12 Vr 2832/45 »gegen S. Beigelböck
20142 führte die AGA – Arbeitsgemeinschaft Geschichte &                         und Genossen«; Protokoll Vg 11 Vr 190/48 »gegen E. Nicka«
Archäologie im November und Dezember 2017 im Auftrag                            (Rechnitz II); Protokoll Vg 8e Vr 5731/48 »gegen F. Podezin«
des Bundesdenkmalamtes weitere Grabungen auf Gst. Nr.                           (Rechnitz III), beendet unter Protokoll Vg 8a Vr 70/54;
11840 südöstlich des Kreuzstadls durch (KG Rechnitz, MG                         dazu Skizzen mit Hinweisen auf den Tatort sowie auf die
Rechnitz).3 Die Vorgabe des Bundesdenkmalamtes war, auf                         Verortung der Gräber, die im Zuge der gerichtlichen Er-
Basis zweier Luftaufnahmen der alliierten Luftstreitkräfte                      mittlungen und Verfahren angefertigt wurden.
aus dem Februar beziehungsweise August 1945 die im                           • Interviews und Aussagen von Opfern aus den sogenann-
Boden vorhandenen Überreste der Verteidigungsanlagen                            ten DEGOB-Akten6, die mit Rechnitz in Verbindung ste-
des sogenannten Südostwalls (»Reichsschutzstellung«) in                         hen.
Rechnitz freizulegen.
   Nach dem maschinellen Abziehen der Humusschicht in                           Als Sekundärquellen dienten Berichte und Zusammen-
zwei zuvor festgelegten Bereichen wurde ein System von                       fassungen an das zuständige Gericht oder die Staatsanwalt-
Gräben, Unterständen und Schützenlöchern in Form charak-                     schaft sowie Nachlässe und Privatsammlungen. Schließlich
teristischer Bodenverfärbungen sichtbar, welche händisch                     wurden Zeitungsberichte und die einschlägige Literatur
überputzt, fotografisch und zum Teil filmisch dokumen-                       zum Thema herangezogen.
tiert sowie vermessen wurden. Die freigelegten Strukturen                       Nach genauer Sichtung des vorliegenden Materials er-
korrespondierten stark mit den auf den beiden Luftbildern                    wies es sich als hilfreich, Zeuginnen und Zeugen gemäß fol-
erkennbaren Verteidigungsstellungen, zusätzlich konnten                      genden Kategorien zu ordnen:
Suchschnitte älterer Grabungskampagnen dokumentiert                          • beschuldigte Zeugen;
werden. Aufgrund der immensen Größe des in Frage kom-                        • nicht beschuldigte Zeugen;
menden Areals sowie der budgetären Vorgaben war es nicht                     • überlebende Zwangsarbeiter.
möglich, alle auf Rechnitzer Gemeindegebiet befindlichen
Stellungen des Südostwalls freizulegen; angesichts der Mo-
numentalität der Verteidigungsanlage und einer Gesamt-
verdachtsfläche von mehr als 300 000 m2 handelte es sich                     4   Die Protokolle liegen im Wiener Stadt- und Landesarchiv (Magistratsab-
                                                                                 teilung 8) auf.
lediglich um einen Ausschnitt derselben.                                     5   Die Grundlage für die Ahndung nationalsozialistischer Gewaltverbre-
   Im nächsten Arbeitsschritt lag der Fokus auf der Ent-                         chen bildeten das Verfassungsgesetz über das Verbot der NSDAP (»Ver-
fernung der Verfüllungsschichten der bereits im Planum                           botsgesetz«, VG) vom 8. Mai 1945 und das Kriegsverbrechergesetz (KVG)
                                                                                 vom 26. Juni 1945. Für die Urteilsfindung in diesbezüglichen Strafsachen
dokumentierten Objekte. Aufgrund der Vielzahl der fest-                          wurden die »Volksgerichte« etabliert. Es wurde zwischen Tätern und
gestellten Strukturen war die Hoffnung durchaus gegeben,                         solchen Personen, die an den Verbrechen nicht direkt beteiligt gewesen
                                                                                 waren, unterschieden. Rechtsmittel (Einspruch, Berufung, Beschwerde
                                                                                 gegen Beschlüsse) wurden außer Kraft gesetzt, da das Volksgericht in
                                                                                 erster und einziger Instanz entschied. Die Volksgerichtsbarkeit wurde
2   Archäologische Maßnahme Mnr. 34062.14.01. Die Grabungsdokumenta-             1955 wieder aufgehoben; 1957 wurde das Kriegsverbrechergesetz durch
    tion befindet sich im Archiv der Abteilung für Archäologie des Bundes-       das Amnestiegesetz aufgehoben.
    denkmalamtes.                                                            6   DEGOB (Deportáltakat Gondozó Országos Bizottság): Nationales Komitee
3   Archäologische Maßnahme Mnr. 34062.17.04. Die Grabungsdokumenta-             für die Deportierten, dokumentierte die persönlichen Geschichten von
    tion befindet sich im Archiv der Abteilung für Archäologie des Bundes-       bis zu 5000 ungarischen Holocaustüberlebenden in den Jahren 1945 bis
    denkmalamtes.                                                                1946.

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Franz Sauer u. a.

Abb. 1: Luftbild vom Februar 1945.

   Die Aussagen dieser Zeugengruppen wurden hinsichtlich
jener sprachlichen Begriffe analysiert, die den Tatort bezie-
                                                                                      Abb. 2: Luftbild vom August 1945.
hungsweise den Ort des Massengrabs benennen, sowie be-
züglich jener Begriffe, welche die Form beziehungsweise das
Aussehen des Vergrabungsortes beschreiben. In diesem Sinn
erwiesen sich die dokumentierten Aussagen von insgesamt
36 Personen als relevant.7

Wichtige Ereignisse und ihre Zeugen
Aussagen zur Stichexhumierung durch die Rote Armee

Die sowjetische Soldatenzeitung Гвардеец [Gwardejez]8 be-
richtet in ihrer Ausgabe vom 12. April 1945 von einer von der
36. Gardeschützendivision der Roten Armee durchgeführten
ersten Stichexhumierung am 5. April 1945. Von der Exhumie-
rung selbst gibt es keine Bilder.

7    Batthyány, M. (Besitzerin Schloss Rechnitz); Bauer, F. II (Landwirt); Beigel-
     beck/Beiglböck, S. (Südostwall-Hundertschaftsführer); Cserer, E. (Bürger-
     meister), Gonda, I.; Grafl, A.; Groll, L. (NSDAP-Kreisleiter-Stellvertreter);
     Heissenberger, J. (Landwirt und »Straßenmeister«); Kahan, J.; Kelemen,
     G.; Kondaurow (Gardeleutnant der Roten Armee); König, J.; Krabetz, B.
     (Zwangsarbeiterin aus Kiew, Ukraine); Krassow, V. J. (Garde-Oberleutnant
     der Roten Armee, Stabschef des 65. Garde-Artillerie-Regiments); Kren,
     G. (Protokollführerin); Lang, A.; Mittler, S.; Muralter, J. (Südostwall-Unter-
     abschnittsleiter); Ostermann, F. (LKW-Fahrer); Poor/Bohr, J.; Princs, M.;
     Rubinstein (Gardehauptfeldwebel der Roten Armee); Scherber, A. (Gen-
     darmeriebeamter); Schran(t)z, J. (Arbeiter); Schwabach, I.; Schwarz, H.
     (NSKK-Kraftfahrer); Somogyi, P. K.; Stein, B.; Terkovics (Stellvertretender
     Gendarmeriepostenkommandant); Tolnai, L.; Trojan, N. (Zwangsarbeiterin
     aus Saporoschje, Ukraine); Volkmann, J.; Weiss, E. alias Livne, G.; Wiltschke,   Abb. 3: Auch auf einem hoch kontrastierenden Luftbild aus dem Jahr 1958
     L. (Amtsarzt); Zaunegger (Richter aus Oberwart); Ziegler, J. (Landwirt).         sind die von den Stellungsbauten verursachten Bodenmerkmale deutlich zu
8    Deutsch: Der Gardist.                                                            erkennen.

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"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz«

Abb. 4: Untersuchungsfläche der Grabungskampagne 2017.                      Abb. 5: Aufnahme von Sohle und Profil des Panzerabwehrgrabens in der
                                                                            Nähe des Kreuzstadls.

   Die Zeugen F. Bauer und J. Ziegler wurden damals als Gra-                N. Trojan und B. Krabetz zeigten den Rotarmisten 21 Gräber.
bungsarbeiter verpflichtet. Bauer erklärte zum Ablauf der                   In jedem Grab »fand man zehn bis zwölf Menschen. Die Toten
Exhumierung: »Einige Tage nach dem Einmarsch der Roten                      wurden durch Genickschuss aus Feuerwaffen umgebracht. [...]
Armee in Rechnitz musste ich mit ca. 16 bis 17 Leuten auf den               Fand man bei jedem Spuren von schweren Schlägen auf den
Herrschaftstafeln in der Nähe der Remise [sic] und einen ver-               Körper. […] Die Getöteten lagen in den Gräbern in Dreier- und
schütteten Graben des Stellungssystems öffnen. In einer Tiefe               Viererreihen, einige von ihnen waren nackt und ausgezogen.«
von ca. 1,1 m lagen sieben bis acht Leichen. Sie waren bekleidet                An den Aussagen der Zeugen Scherber und Bauer er-
[…] und als jüdische Zwangsarbeiter gekennzeichnet.«                        scheint besonders interessant, dass beide Männer sehr ein-
   Der Zeuge Ziegler äußerte sich zu demselben Thema:                       deutig von Gräben des Stellungsbaus sprechen, in denen sie
»Von den Judenerschießungen weiß ich nur so viel, dass ein                  die Leichen gefunden hatten. Diese Aussagen erscheinen
russischer Offizier uns zwang mit Krampen und Schaufel ihm                  nicht zuletzt deshalb glaubwürdig, als beide mit dem Ver-
und seinen Soldaten auf das Feld zu folgen und dort eine                    brechen in keiner Verbindung stehen und gemeinsam mit
Grube zu öffnen, in der sieben Leichen lagen. Die anderen Gru-              Ziegler als unbescholten gelten.
ben insgesamt 15 bis 20 haben wir unberührt gelassen. Der
Offizier wollte sich nur überzeugen. Die Leichen hatten alle                Aussagen des Beschuldigten Groll
Mäntel und den Stern. Diese Grube war beim Kreuzstadel bei
der Herrschaft.«9                                                           Aussagen des Beschuldigten Groll aus dem Prozess Rechnitz
   Hier lohnt es, sich die Aussagen des Gendarmeriebeam-                    I:13 »Die Juden mussten […] zum Graben gehen, sich hinknien
ten A. Scherber genauer zu betrachten. Dieser führte bereits                und haben die Kopfschüsse bekommen. […] Es waren sechs
im September 1945 Ermittlungen durch und besichtigte mit                    Gräber und diese waren in einer Form angelegt, die ansonsten
nicht näher benannten Zeugen den Tatort. Scherber: »Der                     für Gräber nicht üblich waren. Es waren winkelförmige Gru-
vorangeführte Zeuge10 zeigte jene Stelle, daselbst die Ausgra-              ben. Ich schätze, dass 120 Leute erschossen wurden und 20 in
bung stattfand. Diese Stelle befand sich vor einem ausgehobe-               einer Grube befanden. […] Als die erste Grube mit Toten voll
nen Panzergraben, südostwärts von Rechnitz. Es wurden zur                   war, habe ich sofort angefangen diese Menschen einzugraben
Vergrabung der Judenleichen ausgehobene Gräben verwen-                      […]. Sie hatten eine dreieckige Form und waren im Winkel 3–4
det, die in einem Winkel von ungefähr 90 Grad aufscheinen                   Meter. Sie hatten eine Breite von 60–80 cm. Ich kann nicht
und ursprünglich für Vorpostenzwecke in Verwendung kom-                     sagen, ob es sich bei den Gräbern um sogenannte Panzer-
men sollten. Solche Stellen wurden 21 auf dem Felde vorgefun-               schreckgräben handelte. Ich war nie beim Militär und weiß
den, die alle frisch zugeschüttet waren.«11                                 darüber nicht Bescheid.«14
   Dazu das Protokoll der Stichexhumierung der Roten                             Grolls Behauptung, selbst die Leichen zugeschaufelt zu
Armee (zitiert aus Гвардеец)12: »Insgesamt wurden 21 Gräber                 haben, wird von den Verfassern als Schutzbehauptung inter-
gefunden, in Form von eckförmigen Schützengräben, mit dem                   pretiert, da er sich in seiner Rolle als schaufelnder Arbeiter
Maß von vier bis fünf Metern Länge, einem Meter Breite. In                  weniger verdächtig wähnte, auch als Todesschütze in Frage
jedem Grab liegen zehn bis zwölf Menschen, getötet durch                    zu kommen. Er log auch bezüglich seiner militärischen Erfah-
Schüsse in den Kopf oder das Genick aus Feuerwaffen oder MG                 rung, weil er nachweislich im 1. Weltkrieg als Soldat gedient
[…].« Die verschleppten sowjetischen Zwangsarbeiterinnen                    hatte. Vielmehr ist anzunehmen, dass er beim Zuschaufeln
                                                                            der Gruben nur zugesehen hat. Anzumerken ist jedoch,
                                                                            dass Groll – im Gegensatz zu anderen Zeugen – seinen zu
9  Vg 2f Vr 2832/45/I, 9–11, Gendarmeriepostenkommando Oberwart, 26. 9.     verschiedenen Zeitpunkten getätigten Aussagen inhaltlich
   1945.
10 Es ist nicht klar, ob es sich bei diesem Zeugen um Ziegler, Bauer oder
   einen gewissen A. Grafl gehandelt hat.
11 Wie Anm. 9.
12 Strassl und Vosko 1999, 126–127 (nach Protokollen der Angehörigen der
   36. Gardeschützendivision). – Vgl. auch die Übersetzung der Protokolle   13 Vg 8e Vr 70/54, 45–51.
   durch Stefan Karner, Universität Graz (Archiv Eduard Erne in der Samm-   14 Grolls Anwalt bemerkte dazu jedoch, dass es sich um »regelrechte Pan-
   lung Engelbert Kenyeri, Rechnitz).                                          zerschreckgräben« gehandelt habe.

FÖ 56, 2017                                                                                                                                        D7
"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck
Franz Sauer u. a.

Abb. 6: Blick in Richtung Süden
über einen Teil jenes großen Ge-
biets, das als Ort des Verbrechens
in Frage kommt.

immer ›treu‹ geblieben ist und nur wenige Abweichungen                       Der Zeuge Mittler gab zu Protokoll, dass er am 26. März
formulierte.                                                              1945 nach Rechnitz kam und 27 Gräben schaufeln und in der
                                                                          Folge darin auch Ermordete (darunter sein bester Freund
Aussagen aus den DEGOB-Protokollen                                        Laszlo Molnar) vergraben musste.
                                                                             L. Tolnai gab an, dass Kameraden, die in der Nähe von
Alle im Folgenden genannten und aus der Dokumentation                     Burg getötet worden waren, am 26. März in die Nähe von
von DEGOB bekannten Zeugen kamen laut eigenen Anga-                       Rechnitz gebracht und in 3 m tiefen Massengräbern ver-
ben im Zeitraum zwischen frühestens 23. März (P. K. Somo-                 scharrt worden waren. Er musste auch mithelfen, L-förmige
gyi) und spätestens 28. März 1945 (I. Gonda) vom Lager Kős-               Gruben zu planieren. Eines Morgens bemerkte er auf dem
zeg nach Rechnitz. Hierzu ist anzumerken, dass die Angaben                Weg zu seinem Schanzeinsatzort am Feld Blutspuren und
zum genauen Datum vorsichtig zu interpretieren sind. Es ist               darüber Erdhaufen.
fraglich, ob seit Monaten geschundene und unter schreck-                     G. Livne (alias E. Weiss) erinnerte sich16, dass in der Nähe
lichsten Umständen lebende sowie Schwerstarbeit verrich-                  seiner Arbeitsstelle Bäume wuchsen beziehungsweise ein
tende Menschen immer genau wussten, welcher Tag gerade                    Wald war.
war. Illustrierend hierzu die Aussage des Zeugen Moshe                       P. K. Somogyi erfuhr von einem Überlebenden, der sich
Zairi, der über das Massaker von Deutsch Schützen15 angibt,               nach seiner Flucht vor einem Massaker in einem Heuschober
zwar gewusst zu haben, dass es Ende März war, das genaue                  versteckt hatte und sich später wieder unter die Arbeiten-
Datum der Morde – den 29. März – jedoch erst viel später                  den einreihte, von einem nächtlichen Massaker.
erfahren zu haben.
    Alle Zeugen sprechen in ihren Aussagen davon, in Rech-
nitz zum Arbeiten eingeteilt worden zu sein, um »Schan-                   Schlussfolgerungen aus den Angaben der
zen«, »Gräben«, »L-förmige Schanzen« und Ähnliches zu                     überlebenden Zwangsarbeiter und daraus
graben. Gearbeitet wurde zumeist »in der Nacht«. Die Ver-                 abgeleitete Hypothesen
fasser nehmen an, dass dies aufgrund der bereits besonders
nahen Front und im Hinblick auf die Gefahr durch sowjeti-                 • Möglicherweise Tausende jüdische Zwangsarbeiter
sche Tieffliegerangriffe geschah. Fast alle sagen aus, dass die             strömten Ende März 1945 aufgrund der Evakuierungs-
nicht mehr Gehfähigen bereits im Lager Kőszeg selektiert                    maßnahmen vom ungarischen Lager Kőszeg nach Rech-
und nach Rechnitz hauptsächlich mit dem »Auto« verbracht                    nitz.
wurden. Viele der Zeugen stellen fest, dass sie im Schloss                • Diejenigen unter ihnen, die noch in der Lage waren zu
Rechnitz untergebracht wurden und dort sahen, wie Last-                     arbeiten, wurden von den NS-Abschnittsleitern und
kraftwagen Rucksäcke, Kleidung und persönliche Gegen-                       Wachmannschaften umgehend in Verwendung gestellt
stände in großer Zahl dorthin brachten. Die Zwangsarbeiter                  und zum Schanzen abkommandiert.
erkannten, dass diese ursprünglich im Besitz jener Kamera-                • Kranke und nicht mehr gehfähige Arbeiter, derer man
den gewesen waren, die zuvor aus Kőszeg abtransportiert                     sich aus Zeitdruck oder anderen Gründen in Kőszeg nicht
worden waren. Sie schlussfolgerten daraus, dass man diese                   mehr entledigen konnte, wurden auf Reichsgebiet ver-
getötet hatte.                                                              bracht und dort hingerichtet.

15 Walter Manoschek, Dann bin ich ja ein Mörder, Dokumentarfilm, Öster-   16 Margareta Heinrich und Eduard Erne, Totschweigen, Dokumentarfilm,
   reich 2012.                                                               Österreich 1994.

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"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz«

• Dies wird auch von der Aussage des Zeugen König ge-                          • Die Winkelbereiche der Stellungen boten den Tätern in
  stützt, der standhaft behauptete17, dass er am 26. März                        der Dunkelheit der Nacht einen Überblick sowie eine
  einen langen Zug jüdischer Arbeiter von Bozsok18 kom-                          gute Kontrollmöglichkeit über die zur Erschießung ge-
  mend nach Rechnitz beobachtet hatte, von denen er spä-                         führten Personen.
  ter hörte, dass 200 von diesen erschossen worden waren.                      • Die Erschießung wurde zumindest noch einmal an der-
• Die für das NS-Wachpersonal noch ›verwendbaren‹                                selben Stelle wiederholt, solange, bis dieser Bereich mit
  Arbeiter wurden wahrscheinlich fast ausschließlich in der                      ermordeten Menschen belegt war.
  Nacht zum Schanzen eingeteilt und sowohl für die Fertig-                     • Sofort nach der Erschießung wurde damit begonnen, die
  stellung der militärischen Anlagen als auch für das Ver-                       Opfer notdürftig zu verscharren, während die nächste
  scharren der Opfer eingesetzt, bevor man sie kurze Zeit                        Gruppe einige Meter entlang dem Grabensystem weiter-
  später auf die Todesmärsche in Richtung KZ Mauthausen                          geführt wurde, um dort dasselbe Schicksal zu erleiden.
  schickte.                                                                    • Die Beschreibung der bei den Exhumierungen gefunde-
• Weil mit Ausnahme der Aussagen von Tolnai und So-                              nen Grabstätten führte zu der Ansicht, dass man nach 21
  mogyi kein geschildertes Szenario unmittelbar mit dem                          singulären Vergrabungsorten suchen müsse. Dies kommt
  Massaker in der Nacht zum Palmsonntag in Verbindung                            beispielsweise in jener Vermutung zum Ausdruck, gemäß
  zu bringen ist, gehen die Verfasser davon aus, dass zwi-                       welcher die auf dem Luftbild vom August 1945 sichtba-
  schen 25. und 28. März zumindest noch ein weiteres Mas-                        ren Geländemerkmale im Osten von Gst. Nr. 11840 die
  saker auf Rechnitzer Boden stattgefunden haben muss,                           Grabstätten darstellen könnten. Aufgrund der Ergebnisse
  möglicherweise auch mehrere.                                                   der Grabungen in den Jahren 2014 und 2017 muss diese
• Der Bahntransport jener jüdischen Zwangsarbeiter, die of-                      Annahme jedoch angezweifelt werden, da sich keinerlei
  fenkundig am 24. März von Kőszeg nach Burg kamen und                           relevante Befunde auf den archäologisch untersuchten
  von denen etwa 200 nach Rechnitz zurückgeschickt wur-                          Flächen nachweisen ließen. Möglicherweise handelte es
  den, um hier in der Nacht zum Palmsonntag hingerichtet                         sich bei den auf dem Luftbild sichtbaren Strukturen um
  zu werden, war mit großer Wahrscheinlichkeit einer der                         kleine Heuschober (sogenannte »Heumandln«), da auf
  ersten dieser Evakuierungstransporte, die hauptsächlich                        einem Luftbild von 1954 sehr ähnliche Strukturen in der
  dazu dienten, die Augenzeugen der NS-Verbrechen nicht                          Nähe von Schachendorf festgestellt werden konnten.
  in die Hände der anrückenden Roten Armee fallen zu las-                        Hypothetisch formuliert: Wenn man stichprobenartig
  sen.                                                                           im Bereich der verschütteten Gräben Erdreich entnimmt,
• Auf Basis der historischen Quellen lässt sich die genaue                       auf menschliche Überreste stößt und diesen ›nachgräbt‹,
  Position des Vergrabungsortes leider nicht exakt bestim-                       entstehen Gruben, die aufgrund ihrer Form von Augen-
  men. Die meisten Zeugen sprechen unisono von einer                             zeugen mit unterschiedlichen Begriffen benannt werden:
  Stelle zwischen Schweizer Meierhof, Kreuzstadl und der                         »Löcher«, »Gräber«, »Zickzackgräben« oder auch »win-
  Remise, einem Waldstück zwischen Bahnhof und Kreuz-                            kelige Gruben« und Ähnliches. Es ist denkbar, dass diese
  stadl, das ursprünglich der Zucht von Fasanen diente.                          erst durch die Stichexhumierung entstandene Form im
• Grundsätzlich kommt ein sehr großes Gebiet als Ver-                            Folgenden als eigens für die Hinrichtungen ausgehobe-
  dachtsfläche in Frage, es umfasst über 30 ha.                                  ner Vergrabungsort angesehen wurde und diese irrige
• Gestützt auf die Quellen ist jedoch wahrscheinlich, dass                       Deutung später ohne weiteres Hinterfragen immer wie-
  es sich bei dem (den) Vergrabungsort(en) der in der Nacht                      der fortgeschrieben wurde.
  vom 24. auf den 25. März 1945 Ermordeten um zusam-                           • Hinweise auf die Verortung von Vergrabungsorten in mi-
  menhängende Stellungsgräben, Unterstände und Schüt-                            litärischen Stellungsbauten gibt auch das bisher nicht
  zenlöcher handelte, die für das Verscharren der Opfer                          gefundene Massengrab von Schachendorf, das ebenfalls
  zweckentfremdet wurden und zum Teil sehr gut auf                               im Stellungssystem (in diesem Fall im Panzergraben) lie-
  alten wie neuen Luftbildern sowie modernen bildlichen                          gen soll.
  Auszügen geophysikalischer Prospektionen zu erkennen                         • Bezüglich der Ermordung der ungarisch-jüdischen
  sind (und bei mehreren Grabungskampagnen nachge-                               Zwangsarbeiter von Deutsch Schützen am 29. März 1945
  wiesen werden konnten).                                                        steht außer Frage, dass dafür Schützengräben verwendet
                                                                                 wurden.
   Manchmal ging man in der bisherigen Interpretation                          • Der Gendarmerie-Postenkommandant Terkovics zeich-
davon aus, dass zusätzlich und nur für diesen Zweck Gruben                       nete in seiner den Gerichtsverhandlungen dienenden
für die Ermordung der Opfer angelegt worden waren, was                           und während eines Lokalaugenscheins durch das Bezirks-
vor allem auf die Nennung von 21 Gräbern im Protokoll der                        gericht Oberwart im Jahr 1946 angefertigten Skizze die
Roten Armee gründet. Die Verfasser halten demgegenüber                           Grabstätte in Form von Zickzacklinien ein.19
jedoch folgendes Szenario für möglich:                                         • Schließlich ist folgende Bemerkung der Projektleiter
• Die Opfer wurden in Gruppen von fünf bis zwölf Personen                        Peter Melichar und Wolfgang Neubauer im Endbericht
   zu den Winkelbereichen der sogenannten Vorfeldstellun-                        der geomagnetischen Prospektion von 1997 erwähnens-
   gen (oder winkelförmigen Unterständen beziehungs-                             wert: »Sämtliche militärische Anlagen, wie Panzergräben,
   weise Gefechtslöchern) geführt, an deren Rändern aufge-                       Laufgräben, Munitionsdepots, Unterstände etc. wurden
   stellt sowie erschossen und fielen dann in diese Gruben.                      eindeutig mit Hilfe der Prospektion aufgefunden und
                                                                                 eingemessen. […] Ebenso wurden die Spuren der Bagger-
                                                                                 untersuchungen aus den Jahren vor 1995 (flächenartiges

17 Strassl und Vosko 1999, 127, 156.
18 Der ungarische Ort Bozsok liegt etwa 4 km östlich von Rechnitz, direkt an   19 Vg 12 Vr 2832/45, Band IVn, Übersichtsskizze Terkovics. – Vg 12 Vf 2832/45,
   der Staatsgrenze.                                                              Tatortbeschreibung Terkovics, 26. 12. 1947.

FÖ 56, 2017                                                                                                                                               D9
"Das Massaker von Rechnitz - zum Stand der Spurensuche" - Fachgespräch Sonderdruck
Franz Sauer u. a.

   Durchkämmen bestimmter Gebiete) lokalisiert. [Daraus                       Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht sollte in Zukunft
   folgt,] dass auch ein aus derselben Zeitepoche stam-                   auch die Erschließung neuer historischer Quellen nicht aus-
   mendes eigens gegrabenes Massengrab mit Hilfe der be-                  bleiben. So gibt es eine Anzahl bisher bei den Recherchen
   schriebenen Prospektionsmethode hätte lokalisiert wer-                 kaum beachteter Zeugen, beispielsweise die bei der ersten
   den können.«20                                                         Exhumierung durch die Rote Armee am 5. April 1945 Anwe-
                                                                          senden. Zusätzlich gibt es nur spärliche Hinweise darauf,
                                                                          dass man sich in der Vergangenheit auch jenen Zeuginnen
Abschliessende Bemerkungen und künftige                                   und Zeugen zuwandte, die dem damaligen Polizei-, Gendar-
Forschungsperspektiven                                                    merie- und Justizpersonal zuzurechnen sind. Eine Recherche
                                                                          zu diesen Personen und ihren Nachkommen sowie mög-
Die Suche nach den Opfern des Massakers vom Palmsonn-                     licherweise vorhandenem Quellenmaterial innerhalb ihrer
tag sollte sich auch in Zukunft – denn dies war schon einige              Nachlässe ist noch ausständig.
Male der Fall – auf die grabungstechnische Feststellung der
den Panzergraben umgebenden Stellungsbauten konzent-
rieren, die eine Zickzackform aufweisen und in deren System               Literaturverzeichnis
auch Unterstände, ›Bunker‹ und Schützenlöcher eingebun-
den waren.                                                                Eine Liste der in der Zeitschrift Fundberichte aus Österreich
   Die zukünftige Suche sollte bereits untersuchte Flächen                verwendeten Abkürzungen und Sigel findet sich im Regis-
aussparen und im Bereich des ehemaligen Schweizer Meier-                  terteil dieses Bandes.
hofs (also südlich und östlich der heutigen Reithalle) die Flur
                                                                          Strassl und Vosko 1999: Harald Strassl und Wolfgang Vosko, Das
Östliche Tafeln inklusive der Remise umfassen, wobei das                  Schicksal ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter am Beispiel des Südostwallbaus
Hauptaugenmerk auf den Bereich zwischen Kreuzstadl und                    1944/45 im Bezirk Oberwart. Unter besonderer Berücksichtigung der Massen-
Remise gelegt werden sollte. Kurz gesagt sollten die Stel-                verbrechen bei Rechnitz und Deutsch Schützen, unpubl. Dipl. Univ. Wien, 1999.
lungssysteme grabungstechnisch weiter verfolgt werden.
Ob der Vergrabungsort östlich oder westlich des Panzerab-
wehrgrabens liegt, kann nicht eindeutig festgestellt werden,              Abbildungsnachweis
da die Aussagen der Zeugen hierzu widersprüchlich bezie-
                                                                          Abb. 1, 2: Bundesministerium für Inneres
hungsweise schwer und nicht eindeutig zu interpretieren                   Abb. 3: BEV – Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen
sind.                                                                     Abb. 4: Mike Ritter (mit freundlicher Genehmigung des Vereins
   Auf Basis eines Knochenfundes beim Anlegen eines                       RE.F.U.G.I.U.S)
                                                                          Abb. 5, 6: Nikolaus Franz
Gartenzaunes im Jahr 2013 auf dem Areal des ehemaligen
Schweizer Meierhofs in Rechnitz21 empfehlen die Verfasser
eine archäologische Untersuchung des betroffenen Bereichs.
Der gefundene Oberschenkelknochen stammt laut 14C-Ana-                    Autorin und Autor
lyse von einem Menschen, der mit hoher Wahrscheinlichkeit
                                                                          Mag. Nikolaus Franz
zwischen 1650 und 1950 verstorben ist.22 Es sollte daher ge-              AGA – Arbeitsgemeinschaft Geschichte & Archäologie OG
klärt werden, ob es sich bei dem Fundort möglicherweise um                Gladbeckstraße 1/1/10
ein Grab beziehungsweise mehrere Gräber handelt.                          2320 Schwechat
   Anzuraten ist zudem die systematische Befliegung der
                                                                          Mag. Astrid Tögel
Verdachtsfläche mittels einer mit hoch auflösender Kamera                 AGA – Arbeitsgemeinschaft Geschichte & Archäologie OG
ausgestatteten Multicopter-Drohne. Dabei sollte ein vorher                Gladbeckstraße 1/1/10
definiertes Gebiet mehrere Male und in unterschiedlichen                  2320 Schwechat
Vegetationsperioden systematisch luftbildarchäologisch er-
fasst werden. Möglicherweise können anhand von Verände-
rungen im Bewuchs, durch die unterschiedliche Bodennut-
zung sowie aufgrund wechselnder Lichtverhältnisse neue
Erkenntnisse gewonnen werden.
   Der ungarische Forscher Sándor Pócza schlägt vor, bei der
Suche verstärkt Satellitenbilder hinzuzuziehen, vor allem
auch solche, die sich der Infrarottechnik bedienen. Die Ver-
fasser gehen mit seiner Meinung konform, wonach die Luft-
bilder der Alliierten Luftstreitkräfte aus dem Februar und
dem August 1945 noch einmal einer eingehenden Analyse
unterzogen werden sollten, um etwaige Veränderungen an
den Stellungsbauten innerhalb dieses Zeitraums von sechs
Monaten festzustellen.

20 Peter Melichar und Wolfgang Neubauer, Geophysikalische Prospektion
   im Bereich des Gemeindegebietes Rechnitz/Burgenland zum Zwecke der
   Lokalisierung von vermuteten Massengräbern, unpubl. Manuskript, Wien
   1997, 32.
21 Bericht des Landeskriminalamts, Außenstelle Oberwart (GZ.
   E1/21044/2013) vom 4. Juni 2013.
22 Bericht des VERA-Laboratoriums, 17. 10. 2013.

D10                                                                                                                                         FÖ 56, 2017
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz«

Über Rechnitz aus ungarischer Sicht                              bilden bis heute ein wichtiges Quellenmaterial, auch wenn
                                                                 sie stark subjektiv und vom Zeitgeist geprägt sind. Gewisse
Szabolcs Szita                                                   Momente der Geschehnisse haben Personen, die näher stan-
                                                                 den, anders wahrgenommen, unterschiedlich erlebt.
Die Aufdeckung und endgültige Klärung der Gräueltat von              Viele Jahrzehnte später muss ich feststellen, dass die
Rechnitz sollte bereits seit Jahrzehnten erledigt sein, doch     Erfahrungen der aus Budapest gesandten Untersuchungs-
sind die Faktoren und Umstände bekannt, die der erfolg-          kommission beziehungsweise die diese dokumentierenden
reichen Ermittlung der wahren Fakten, der Auseinanderset-        Akten meistens beklemmend waren. Es war sehr schwer,
zung mit der schmerzhaften Vergangenheit im Wege stan-           Informationen vor Ort einzuholen. Die österreichische Be-
den, sie verhinderten. Der ›Kalte Krieg‹, die obligatorische     völkerung, damals unter russischer Besatzung, hatte Angst.
Absonderung wie einzelne politische Faktoren trugen dazu         Die entsprechenden Eintragungen beziehungsweise Blätter
bei, dass das Massaker von Rechnitz beinahe vollkommen           waren in den meisten Fällen aus den Kirchenbüchern ent-
in Vergessenheit geraten ist. Ich könnte hier auch unzäh-        fernt worden. Die Einwohner der Region hielten sich be-
lige ungarische Beispiele erwähnen, wo und warum über            deckt, verweigerten die Informationen und versuchten, die
die Opfer geschwiegen wurde. Man wies einfach die Ver-           Gräber und Massengräber verschwinden zu lassen. Die Be-
antwortung bereitwillig von sich. Oft habe ich die Ausrede       gräbnisstätten der jüdischen Zwangsarbeiter versanken
gehört, es gehe wohl um längst Vergangenes und es hätte          bereits. Mancherorts wurden die so entstandenen Gruben
keinen Sinn mehr, darüber zu reden. Vergangen, vergessen,        mit Müll zugeschüttet, woanders wurde die Erde, unter der
nicht mehr existent.                                             die Opfer verscharrt worden waren, gepflügt und besät. Wie
   Vor 30 Jahren erhielt ich in Wien den ministeriellen Auf-     auch immer, die Ortsbewohner wollten laut Untersuchungs-
trag, als ungarischer Historiker zur Klärung der Vorkomm-        kommission die Vergangenheit verdrängen und die Beweise
nisse beizutragen. In den westungarischen Archiven wurde         verschwinden lassen.
mein Interesse an diesem Thema mit Verwunderung zur                  Den Protokollen zufolge hatten die meisten befragten
Kenntnis genommen, da die Dokumente aus der Zeit des             Zeitzeugen (Ortsbewohner) nichts gesehen und nichts ge-
Zweiten Weltkriegs kaum erforscht wurden. Es kam sogar           hört, folglich auch gar nichts zu erzählen. All das erwähne ich
vor, dass der Archivar melden musste, wenn jemand (in mei-       nur, damit wir das Benehmen der Einwohner von Rechnitz in
nem Fall ein ›verdächtiger Typ‹) nach Dokumenten zur Ge-         den Nachkriegsjahren richtig deuten, ihre Ängste verstehen
schichte des Grenzgebietes des »Friedenslagers« verlangte.       können. Denn wir wollen unserem Ziel näherkommen und
   Was offiziell erreichbar war und genehmigt wurde, habe        die Begräbnisstätte der Opfer endlich auffinden. Und dazu
ich gelesen und aufgearbeitet. Die Anfertigung von Kopien        ist es eben sehr wichtig zu wissen, wer was gehört und ge-
war – paradoxerweise – nicht gestattet. Es gab ja auch kein      sehen hat, selbst wenn Wissende sich versteckt haben oder
Kopiergerät, mit dem man eventuell etwas Verbotenes hätte        geflüchtet sind. Andererseits dürfen wir auch nicht leugnen,
anrichten können. Ich erinnere mich an eine denkwürdige          dass es Menschen gab, die sich – freiwillig oder auf Druck
Szene: In Sopron durfte ein österreichischer Forscher – im       anderer – an schändlichen Gewalttaten beteiligt haben oder
Besitz einer gültigen Genehmigung – die Dokumente foto-          an deren Händen Blut klebt.
grafieren, sein ungarischer Kollege aber nicht. (Er hat, wohl-       Speziell auf Rechnitz bezogen müssen wir die Arbeit des
gemerkt, seine eigene Kamera verwendet, denn das Archiv          Vereins RE.F.U.G.I.U.S., das selbstlose Engagement seiner
verfügte damals über keine technischen Geräte.) Selbst die       Leiter und Mitglieder – unserer Freunde – als eine durchaus
zur Forschung unerlässlich notwendigen Landkarten waren          positive Wende würdigen. Die hervorragende Ausstellung,
unter strenger Kontrolle der Staatssicherheit, sorgfältig ver-   die bereits traditionellen Gedenkveranstaltungen, die Ein-
wahrt und für Forscher nicht zugänglich.                         führung dieses schwierigen Themas im Schulunterricht und
   In Budapest wandte ich mich an die Direktion des Jüdi-        andere Bestrebungen erzielten einen lobenswerten Durch-
schen Museums. Ilona Benoschofsky hörte mich an und              bruch. Wir dürfen nun hoffen, dass die tragischen Gescheh-
verstand die Bedeutung der historischen Aufarbeitung der         nisse nicht in Vergessenheit geraten werden. Besonders
Massaker von Rechnitz und anderen Gemeinden der Grenz-           hervorzuheben ist die aufopferungsvolle und mühsame
region während des Zweiten Weltkrieges. Sie willigte in die      Tätigkeit des Wiener Künstlers Paul Gulda und des früheren
Forschung ein – unter der Voraussetzung, die Angelegenheit       Rechnitzer Bürgermeisters Engelbert Kenyeri. Und natürlich
werde vertraulich behandelt. Sie nahm sogar Urlaub für die       verdienen auch all jene unsere Hochschätzung, die bei den
Zeit der Recherchen, nicht ohne mir zuvor die erwünschten        geophysikalischen Untersuchungen des Gebiets mitwirkten
Papiere auf ihrem Schreibtisch bereitzulegen. Am vereinbar-      oder irgendetwas anderes zur Auffindung der Opfergrä-
ten Tag empfing mich ihre Sekretärin und sperrte mich in das     ber taten. Für ihre Bemühungen möchte ich im Namen der
Direktorenzimmer ein. Ich durfte erst das Zimmer verlassen,      Ungarn unsere Würdigung, Anerkennung und Dankbarkeit
als die Kollegen Mittagspause hatten. Ich notierte emsig         ausdrücken.
die wichtigsten Angaben. Diese Akten waren 1945 oder ein             Eine schwierige Angelegenheit ist (und bleibt auch wahr-
bis zwei Jahre danach entstanden, als Kommissionen der           scheinlich) das Drängen einiger Journalisten, selbsternann-
Budapester jüdischen Glaubensgemeinde versuchten, die            ter Historiker und Zeugen. Ihre Spekulationen musste ich
Gräber ungarischer jener jüdischen Männer und Frauen auf-        bereits mehrfach energisch zurückweisen. Hoffentlich geht
zufinden, die im Krieg am Stellungsbau in der Grenzregion        dieses Kapitel früher oder später zu Ende.
Zwangsarbeit geleistet hatten und dabei verstorben bezie-            Es ist nicht meine Aufgabe, Aufträge zu erteilen. Als Di-
hungsweise ermordet worden waren.                                rektor des Holocaust-Gedenkzentrums Budapest und Autor
   Von den erforschten Aktenbeständen konnte ich die             von 32 Büchern zum Thema Holocaust bin ich der Ansicht,
meisten Angaben aus den um 1945/1946 angelegten Pro-             dass es höchste Zeit ist, alle Quellen zum Thema und spe-
tokollen des Fürsorgekomitees der Deportierten gewinnen,         ziell in Bezug auf die Gemeinden Rechnitz, Kőszeg/Güns
also aus Erinnerungsberichten von Überlebenden. Diese            und Bucsu/Butsching ausfindig zu machen. Diese Schriften,

FÖ 56, 2017                                                                                                                     D11
Franz Sauer u. a.

Erinnerungen und Protokolle sollen mit wissenschaftlicher       Autor
Akribie aufgearbeitet und mit den gängigen Vermutungen,
                                                                Szabolcs Szita
Spekulationen und böswilligen Äußerungen konfrontiert           Holokauszt Emlékközpont – Holocaust Memorial Center
werden, um der historischen Wahrheit näher zu kommen, ja        Páva ut 39
sie möglicherweise zu erreichen.                                1094 Budapest
                                                                Ungarn
    Es wäre ebenfalls wichtig, im Moskauer Militärarchiv For-
schungen durchzuführen, obwohl ich aus eigener Erfahrung
bekunden kann, das dies nicht ganz einfach ist. Doch nach
nahezu 75 Jahren ist es unsere moralische Pflicht. Mein Dank
gilt den Veranstaltern dieser wichtigen Konferenz – die vor
uns stehenden Aufgaben werde ich voll und ganz unterstüt-
zen!

D12                                                                                                                   FÖ 56, 2017
Fachgespräch »Das Massaker von Rechnitz«

One cannot hide the past because the                                           col of the local court from 1946. According to this protocol,
skeletons step out from the graves                                             the witness Beigelbeck drew the graves between the tank
                                                                               trench and the road east of the Kreuzstadl. Mr. Kenyeri or-
Gábor Vadász                                                                   dered geomagnetic research in 2016.
                                                                                   The 10th research campaign ran in November and De-
I would like to speak about the killing of my father and about                 cember of 2017 and was based on an American aerial photo
research into the grave sites. My motto is the sentence of                     taken in August 1945. The above mentioned research also
Rainer M. János: »One cannot hide the past because the skel-                   used an inaccurate police site plan. This research was also
etons step out from the graves.«23                                             unsuccessful. We also misunderstood the aerial photo be-
    I am Vadász Gábor, a surgeon and anaesthetist. I was nine                  cause we thought we saw the graves on the eastern part of
years old when my father Géza, his twin Árpád and another                      the photo, but the objects were only haystacks.
180 forced labourers were murdered here in Rechnitz, a cou-                        After the archaeological research was finished we real-
ple of days after my father’s 48th birthday.                                   ized that the research team had not known the data from
    I appreciate your trouble, your enthusiasm, your dedica-                   the official protocols about the murders and the digging
tion in seeking my father’s grave. In particular, I would like to              of graves. These protocols were prepared in 1945 and 1946
thank the altruistic and friendly help of the former mayor of                  and they are called DEGOB protocols. The research team did
Rechnitz, Engelbert Kenyeri, in solving this mystery. It would                 not know about the recollections of László Tolnai published
be great if Hungary spent as much knowledge, power and                         in his book Kőszeg Terminal.25 In this book the gravediggers
money as Austria did to close down this terrible part of the                   and other workers who flattened out the ground over the
history.                                                                       graves published their experiences. The researchers had also
    My mother lived close to 100 years. During her whole life                  not known the report by David Litchfield which the ORF pub-
she searched for my father’s grave; she even contacted Pope                    lished. This report is very helpful in analysing the aerial pho-
Benedict XVI., without any results.                                            tos. The testimony of one of the witnesses includes informa-
    This monstrosity was committed 73 years ago. Elfriede                      tion about the location of the graves: There were three huge
Jelinek wrote a worldwide famous drama about the mass                          trees. It is sad that part of the Austrian data is well-known
murders in Rechnitz, »Rechnitz (Der Würgeengel)«. This                         in Hungary, but not by Austrian researchers. Despite the fact
mass murder is special compared to the other mass murders                      that Szita Szabolcs published it in his books Haláleröd and
committed in that period for the following reasons:                            Utak a pokolból.26
    Firstly, Christian inhabitants of Rechnitz committed this                      I am not angry because I am speaking openly about the
murder voluntarily on the morning of Palm Sunday as the                        memory and the graves of my father, his twin and other
main event in a celebration. My father and the other forced                    forced labourers. I am speaking about the honour of Austria
labourers were either hunted and shot in the head, or beaten                   as well. Those men were tortured in Kőszeg and killed at this
to death. Afterwards the perpetrators went back to the cas-                    place for fun. I have been waiting for 73 years and I am get-
tle to continue the party.                                                     ting closer and closer to the end of my life.
    Secondly, they hid eight tons of human bodies. Although,                       Previous inefficiency is not a serial of random setbacks. I
we have been searching for the graves for many decades, we                     am neither an archaeologist nor a historian – I am not a spe-
have not been able to find them.                                               cialist in those disciplines. I tried to identify the reasons from
    Thirdly, this unforgivable action was not revenged as                      the organisational side Surveying the past, I suppose there
old laws recommend. Hammurabi wrote down the ancient                           are various reasons behind the repeated inefficiency. Firstly,
tribal law in three languages 3700 years ago. The Romans                       there is the conceptual failure; for example, the human bod-
called it lex talionis, which is the law of retaliation. The Old               ies could be in the trenches. Secondly, there is the lack of in-
Testament made it famous and also the law of Jewish-Chris-                     formation; for example, the DEGOB protocols, the researches
tian culture: »An eye for an eye […].«24                                       of Szita Szabolcs, the comparative analysis of American and
    In 1945, 300 people were killed in hospitals and nursing                   Hungarian aerial photos. Thirdly, failures in data transfer; for
homes in Buda. The perpetrators were led by a Franciscan                       example, the application of data collected by Rechnitz high
monk. His name was Father Kun. Those perpetrators were                         school students in Budapest, personal orientation by inter-
punished seriously: 26 of them were sentenced to death in                      net links, contacts. Fourthly, data analysis and organization.
1946.                                                                              As I am the last living direct descendant of the murdered
    In 2012, the President of Austria, Heinz Fischer, took part                victims in Rechnitz, I request and urge the closure of this ter-
in the opening of the outdoor museum. In my speech, I noted                    rible bloodshed based on general human law. This case has
that many researchers had searched for the hidden graves,                      taken 73 years. We cannot forget them.
but not found them, despite their amounting to eight tons                          I ask you not to forget that every victim had a name. We
of human bodies, a paradox. I insisted that the graves be                      now know five of them. The names of Blum Lászlo and the
found urgently. President Fischer promised to make efforts                     two Vadász twins have been known for a long time. The
to find the graves. Researches restarted because of his ini-                   name of Kövesi József has been known for two years. The
tiative. Researchers found two documents from that time.                       name of the electrical engineer Molnár László has become
    In 2016, my eldest son drew up the geomagnetic research                    known only recently. We do not know the names of the mur-
plan. He used the map that summarized the results of the                       derers however, but more than 100 people from my genera-
former researches and the site plan attached to the proto-                     tion were born and today still live here in Rechnitz. As chil-

23 Interview with Rainer M. János in Heti Világgazdaság, https://hvg.hu/itt-
   hon.tarsadalom/20140616_Rainer_M_Janos_A_csontvazak_egyszer_kilep
   [Zugriff: 2. 4. 2019].                                                      25 Tolnai 1947.
24 Moses Il.21–24.                                                             26 Szita 1989. – Szita 1991.

FÖ 56, 2017                                                                                                                                       D13
Franz Sauer u. a.

dren they would have heard and seen a lot. They can also                     dass die Täter ernsthaft bestraft wurden: 26 von ihnen wur-
hide a lot.                                                                  den 1946 zum Tode verurteilt.
   I would like to mark the graves of the victims in a gracious                  Im Jahr 2012 nahm der österreichische Bundespräsident
way so that our respect maintains their memories.                            Heinz Fischer an der Einweihungsfeier der Kreuzstadl-Ge-
                                                                             denkstätte teil. In meiner Rede habe ich auf das Paradoxon
                                                                             hingewiesen, dass schon viele Forscher vergeblich nach
Man kann die Vergangenheit nicht ver-                                        den versteckten Gräbern mit 8 Tonnen menschlicher Kör-
bergen, weil die Skelette aus ihren Gräbern                                  per gesucht haben. Ich strich heraus, dass man die Gräber
steigen                                                                      dringend finden müsse. Er versprach, sich dafür einzusetzen,
                                                                             die Gräber zu finden. Aufgrund seiner Initiative wurden die
Ich möchte über die Ermordung meines Vaters und über die                     Forschungen neu gestartet. Die Forscher fanden zwei Doku-
Suche nach den Gräbern sprechen. Mein Motto ist ein Satz                     mente aus dieser Zeit.
von Rainer M. János: »Man kann die Vergangenheit nicht                           Im Jahr 2016 hat mein älterer Sohn einen Plan unter der
verbergen, weil die Skelette aus ihren Gräbern steigen.«27                   Berücksichtigung der geomagnetischen Forschungen er-
    Ich bin Gábor Vadász, Chirurg und Anästhesist. Ich war                   stellt. Er fasste darin die Ergebnisse früherer Forschungen
neun Jahre alt, als mein Vater Géza und sein Zwillingsbruder                 mit einem dem Protokoll eines Lokalaugenscheins des Be-
Árpád einige Tage nach ihrem 48. Geburtstag gemeinsam                        zirksgerichts beigefügten Lageplan von 1946 zusammen.
mit weiteren 180 Zwangsarbeitern hier in Rechnitz ermor-                     Nach diesem Protokoll verortete der Zeuge Beigelbeck die
det wurden.                                                                  Gräber zwischen dem Panzergraben und der Straße östlich
    Ich schätze Ihre Schwierigkeiten, Ihre Begeisterung, Ihre                des Kreuzstadls. Herr Kenyeri hat 2016 eine Erdmagnetfor-
Berufung bei Ihrer Suche nach dem Grab meines Vaters.                        schung in Auftrag gegeben.
Insbesondere möchte ich dem ehemaligen Bürgermeister                             Ich vermute, die zehnte Forschungskampagne, die im No-
von Rechnitz, Engelbert Kenyeri, für seine altruistische und                 vember und Dezember 2017 lief, basierte auf dem amerikani-
freundliche Hilfe bei der Lösung dieses Rätsels danken. Es                   schen Luftbild, das im August 1945 gemacht wurde. Die oben
wäre großartig, wenn die Republik Ungarn genau so viel For-                  erwähnte Forschung beruhte auch auf einer ungenauen
scherdrang und Geld investieren würde, wie die Republik Ös-                  Skizze der Gendarmerie. Diese Kampagne war ebenfalls er-
terreich das tut, um diesen schrecklichen Teil der Geschichte                folglos. Wir haben auch das Luftbild falsch verstanden, weil
zu beenden.                                                                  wir dachten, wir hätten die Gräber im östlichen Abschnitt
    Meine Mutter lebte fast 100 Jahre lang. Sie suchte wäh-                  des am Luftbild sichtbaren Terrains ausgemacht, diese ent-
rend ihres ganzen Lebens nach dem Grab meines Vaters. Sie                    puppten sich jedoch als bloße Heuschober.
hat sogar den deutschen Papst Benedikt XVI. – ohne Erfolg                        Nach der archäologischen Kampagne stellten wir fest,
– kontaktiert.                                                               dass das Forschungsteam die Daten der offiziellen Protokolle
    Diese Monstrosität wurde vor 73 Jahren begangen. El-                     über die Morde und Gräber nicht kannte. Diese Protokolle
friede Jelinek schrieb ein weltweit bekanntes Drama über                     wurden in den Jahren 1945 bis 1946 erstellt und werden DE-
die Massenmorde in Rechnitz. Dieser Massenmord sticht                        GOB-Protokolle genannt. Das Forschungsteam kannte auch
aus folgenden Gründen aus den anderen zu dieser Zeit be-                     die Erinnerungen des Zeugen Tolnai László aus dessen Buch
gangenen Massenmorden hervor:                                                Endstation Kőszeg nicht.29 In diesem Buch wurden die Aussa-
    Erstens haben christliche Einwohner von Rechnitz diesen                  gen und Erfahrungen der Totengräber und anderer Arbeiter
Mord aus freiem Willen am Morgen des Palmsonntags als                        veröffentlicht, die den Boden über den Gräbern eingeebnet
Hauptattraktion einer geselligen Veranstaltung begangen.                     hatten. Sie wussten nichts über den Bericht von David Litch-
Sie jagten und verprügelten meinen Vater und die anderen                     field, den der ORF veröffentlicht hatte. Dieser Bericht kann
Zwangsarbeiter und schossen ihnen in den Kopf. Danach                        einen wichtigen Punkt bei der Analyse der Luftbilder darstel-
gingen sie zurück zum Schloss, um sich zu amüsieren.                         len. Die Rede eines Zeugen enthält Informationen über die
    Zweitens haben sie 8 Tonnen menschlicher Körper ver-                     Lage der Gräber: Es hätte drei riesige Bäume in der Nähe ge-
steckt. Wir haben seit Jahrzehnten nach Gräbern gesucht,                     geben. Es ist traurig, dass ein Teil der österreichischen Daten
die wir nicht finden konnten.                                                in Ungarn bekannt ist, aber österreichische Forscher nichts
    Drittens wurde diese unverzeihliche Aktion nicht gerächt,                davon wissen. Dies, obwohl Szita Szabolcs dies in seinen Bü-
wiewohl das Gesetz eine angemessene Vergeltung vorse-                        chern Haláleröd und Utak a pokolból veröffentlicht hat.30
hen würde. Hammurabi schrieb vor 3700 Jahren das alte                            Seien Sie mir nicht böse, weil ich offen über die Erinne-
Stammesgesetz in drei Sprachen auf. Die Römer nannten es                     rung, die Gräber meines Vaters, seines Zwillings und der
lex talionis, das Gesetz der Vergeltung. Das Alte Testament                  anderen Zwangsarbeiter spreche. Ich spreche auch von der
machte es berühmt und zum Gesetz der jüdisch-christlichen                    Ehre Österreichs. Diese Männer wurden in Kőszeg gefoltert
Kultur: »Auge um Auge […].«28                                                und hier zum Spaß getötet. Ich warte schon seit 73 Jahren
    1945 wurden 300 Menschen in den Krankenhäusern und                       und komme dem Ende meines Lebens immer näher.
Pflegeheimen von Buda getötet. Die Täter waren ungarische                        Die frühere Ineffizienz ist keine Serie zufälliger Rück-
Nazis und wurden von einem katholischen Minoritenpries-                      schläge. Ich bin weder Archäologe noch Historiker. Ich bin
ter angeführt. Sein Name war Pater Kun. Es ist eine Tatsache,                kein Spezialist für diese Disziplinen. Ich habe versucht, die
                                                                             Gründe von der organisatorischen Seite her zu identifizieren.
                                                                             Ich nehme die Gelegenheit wahr, einige Gründe für die wie-
                                                                             derholte Ineffizienz aufzuzeigen: Erstens gibt es ein konzep-
27 Interview mit Rainer M. János in der ungarischen Wochenzeitschrift Heti
   Világgazdaság, Online-Ausgabe vom 16. Juni 2014, https://hvg.hu/itthon.
   tarsadalom/20140616_Rainer_M_Janos_A_csontvazak_egyszer_kilep
   [Zugriff: 2. 4. 2019].                                                    29 Tolnai 1947.
28 Moses Il.21–24.                                                           30 Szita 1989. – Szita 1991.

D14                                                                                                                               FÖ 56, 2017
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