Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz

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Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
aus der Evangelischen Kirche der Pfalz
                         Nummer 163 · 2/2020 · www.evkirchepfalz.de                                             P 3730 F

Das vornehmste Recht
Schwerpunkt: 100 Jahre Kirchenverfassung der Evangelischen Kirche der Pfalz
1920, nach dem Ende des landeskirchlichen Kirchenregiments,         Diese Ausgabe erscheint kurz vor den Kirchenwahlen
war erstmals seit Gründung der pfälzischen Landeskirche          2020. Presbyterinnen und Presbytern fällt das vornehmste
1818 eine Kirchenverfassung vonnöten. Sie begleitet uns bis      Recht zu, die Kirchengemeinde zusammen mit den Pfarrerin-
heute und wird fortgeschrieben. In ihr ist im Wesentlichen al-   nen und Pfarrern zu leiten sowie das Pfarrwahlrecht auszu-
les geregelt, um unsere Kirche durch die Zeiten zu steuern.      üben. Die gewählten Mitglieder der Bezirkssynoden ent-
    100 Jahre Kirchenverfassung. Das klingt nach trockenem       scheiden über die Besetzung des Dekansamtes. Und die Lan-
Stoff für Juristinnen und Juristen. Aber es lohnt sich, einen    dessynodalen bestimmen, wer Kirchenpräsident oder Kir-
Blick in die neuesten INFORMATIONEN zu werfen. Hinter-           chenpräsidentin wird. Es ist das vornehmste Recht unseres
gründe, Historisches, Theologisches und Personen werden          presbyterial-synodalen Prinzips, in allen Belangen von der
beleuchtet. Juristen erzählen aus ihrem Arbeitsalltag, der       Basis aus mitzubestimmen. Das verdanken wir der Kirchen-
von der Kirchenverfassung grundlegend bestimmt wird.             verfassung und ihren Vätern.               Andreas Rummel
Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
Inhalt
Weg vom königlichen
Konsistorium                               3
Martin Schuck
Arbeiter im Paragrafen-
dschungel                                  5
Christine Keßler-Papin                                                     Liebe Leserinnen und Leser,
Selbstbewusste Repräsentanten              7                               liebe Schwestern und Brüder,
Klaus Bümlein
                                                   die Landessynodalen haben entschie-           Auch innerhalb des Kollegiums des
Willkommen und Abschied       8
                                                   den. Sie haben am 19. September 2020      Landeskirchenrats bin ich sehr daran
Katja Edelmann/Maik Weidemann
                                                   ihr vornehmstes Recht wahrgenommen.       interessiert, die kommenden Übergänge
Von der Taufe bis zum Baum                11       Damit ist die Nachfolge im Blick auf      vertrauensvoll zu gestalten. Im Januar
André Gilbert/Jill Rohde/                          Herrn Oberkirchenrat Dieter Lutz und      beginnt für Bettina Wilhelm der Dienst
Bettina Wilhelm                                    mich als Kirchenpräsident geklärt.        als weltliche Oberkirchenrätin und für
                                                       Das presbyterial-synodale System      Dorothee Wüst im März ihr Dienst als
Zum Rechtsfrieden beitragen              14
                                                   hat sich wiederum bewährt. Aus insge-     Kirchenpräsidentin. Beide sollen gut
Helmut Damian
                                                   samt sieben Kandidatinnen und Kandi-      vorbereitet in ihre neue Aufgabe star-
Buchtipps                                15        daten wurden Bettina Wilhelm zur          ten können, so dass gerade auch in den
Einladung                                16        Oberkirchenrätin und Dorothee Wüst        schwierigen Zeiten von Corona die ver-
                                                   zur Kirchenpräsidentin gewählt.           antwortliche Leitung und Verwaltung
                                                       Es war für unsere Landeskirche ein    der Landeskirche gewährleistet ist.
                                                   historisches Datum, als erstmals in der       Nach den Kirchenwahlen am 1. Ad-
                                                   über 200-jährigen Geschichte der          vent werden sich zudem alle kirchli-
                                                   Evangelischen Kirche der Pfalz sich       chen Gremien personell neu aufstellen:
                                                   zwei Frauen für das Kirchenpräsiden-      angefangen bei den Presbyterien über
                                                   tenamt beworben haben – und nun ab        die Bezirkssynoden bis hin zur Landes-
                                                   dem 1. März 2021 eine Kirchenpräsi-       synode. Viele Weichen in die Zukunft
                                                   dentin die Landeskirche in der Öffent-    wurden bereits gestellt, und neue Auf-
                                                   lichkeit vertritt.                        gaben werden uns in den kommenden
                                                       Ein Novum bestand auch darin, dass    Jahren herausfordern. So bedanke ich
                                                   der gesamte Verlauf der Synodaltagung     mich bei den Frauen und Männern sehr
                                                   im Internet übertragen wurde. Das gro-    herzlich, die bisher Verantwortung
                                                   ße Interesse der Öffentlichkeit zeigt     übernommen haben und bei denen, die
                                                   mir, dass wir in Zukunft unsere Ge-       neu Verantwortung übernehmen wer-
                                                   meindeglieder noch transparenter an       den. Sie alle begleite Gottes reicher
                                                   den Entscheidungsprozessen der Lan-       Segen.
Impressum                                          dessynode teilhaben lassen sollten. Wir   In herzlicher Verbundenheit bin ich
Informationen für Presbyterien und Mitarbeiter-
                                                   können stolz darauf sein, wie stark das   Ihr
schaft der Evangelischen Kirche der Pfalz          partizipatorische Moment durch unsere
Redaktion: Andreas Rummel (verantwortlich),        Kirchenverfassung bereits Berücksichti-
Katja Edelmann, Jochen Krümpelmann,
Dr. Martin Schuck
                                                   gung findet. Dieses Kennzeichen unse-
Mitarbeiter dieser Ausgabe: Dr. Klaus Bümlein,
                                                   rer Landeskirche werden wir sukzessive    Dr. h. c. Christian Schad
Helmut Damian, André Gilbert, Christine Keßler-    weiterentwickeln.                         Kirchenpräsident
Papin, Jill Rohde, Dr. Martin Schuck, Bettina
Wilhelm
Titelfoto: Kirchenpräsident Christian Schad
gratuliert seiner Nachfolgerin, Oberkirchenrätin
Dorothee Wüst zur Wahl. 19. September 2020,
Stadthalle Speyer. (Foto: Landry)
Herausgeber:
Evangelische Kirche der Pfalz;
Landeskirchenrat – Öffentlichkeitsreferat –
Domplatz 5, 67346 Speyer;
Telefon: 06232 667-145; Fax: 667-199;
oeffentlichkeitsreferat@evkirchepfalz.de
Verlag und Herstellung:
Verlagshaus Speyer GmbH,
Beethovenstraße 4, 67346 Speyer
Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
Wählt Kirchenpräsidenten sowie Oberkirchenräte und erlässt Gesetze: Die Synode – hier bei ihrer Tagung am 19. September 2020 in Speyer – ist als kirch-
liche Volksvertretung die Inhaberin der Kirchengewalt. (Foto: Landry)

Weg vom königlichen Konsistorium
Vor 100 Jahren entstand die Verfassung der Evangelischen Kirche der Pfalz
Die Verfassung der Evangelischen Kirche der Pfalz entstand vor genau 100                               Schluss bildet ein kurzer Abschnitt
Jahren. Sie war nötig geworden, weil nach dem Ende des Ersten Weltkriegs                               „Gemeinsame Bestimmungen“. Damit
1818 auch die alte Zuordnung von Kirche und Staat beendet wurde. Seit der                              ist schon in der Gliederung der Verfas-
Reformation war im Deutschen Reich der jeweilige Landesherr mit der Lei-                               sung ersichtlich, dass sich die Landes-
tung der Kirche beauftragt, hatte also das Amt eines Landesbischofs inne. Im                           kirche von unten nach oben aufbaut,
Falle der pfälzischen Kirche war demnach der katholische bayrische König                               die Kirchengewalt also ihre Legitimati-
gleichzeitig Bischof der Protestanten. Zur Verwaltung der Vereinigten protes-                          on aus den Wahlen zum Presbyterium
tantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz, so der bis 1978 gültige                            in den Gemeinden bezieht.
Name, gab es in Speyer ein königliches Konsistorium, das von einem Konsis-                                 Mit diesen kurzen Ausführungen
torialdirektor im Auftrag des Königs geleitet wurde.                                                   wäre der Akt der Verfassungsgebung
                                                                                                       formal hinreichend beschrieben, wenn
Dieses landesherrliche Kirchensystem                zu erarbeiten, die der Aufgabe der                 es in Kirchenverfassungen nicht eine
endete mit der Abdankung des bayri-                 Selbstverwaltung in allen kirchlichen              Besonderheit gäbe, die über das nor-
schen Königs. Die Verfassung der Wei-               Körperschaften – also den Gemeinden,               male staatliche Verfassungsrecht hi-
marer Republik von 1919 erklärte die                den Kirchenbezirken und der Landeskir-             nausreicht: Kirchenverfassungen ste-
herkömmliche Staatskirche für abge-                 che – gerecht wurde. Dem presbyterial-             hen immer vor der Aufgabe, den Be-
schafft, beließ den Kirchen jedoch den              synodalen Ansatz der Unionskirche                  kenntnisstand der Landeskirche zu klä-
Status als Körperschaften des Öffentli-             entsprechend, wurde die neue Verfas-               ren und diesem Bekenntnisstand in der
chen Rechts. Die Kirchen, so die verfas-            sung, die 1920 von der pfälzischen                 Ordnung der Ämter eine verfassungs-
sungsrechtliche Bestimmung, konnten                 Landessynode beschlossen wurde und                 gemäße Form zu geben. So erklärt es
nun ihre Angelegenheiten selbstständig              am 1. Januar 1921 in Kraft trat, in fünf           sich, dass in Kirchen mit lutherischem
regeln in den Grenzen des für alle gel-             Abschnitte gegliedert: Nach dem Ab-                Bekenntnis das Amt des Landesbischofs
tenden Rechts.                                      schnitt über die Landeskirche im Allge-            als Leitendes Geistliches Amt nicht in
   Damit war die Unionskirche des                   meinen folgen die drei Abschnitte über             Verbindung mit der obersten Verwal-
ehemaligen bayrischen Rheinkreises vor              die Kirchengemeinde, den Kirchenbe-                tungsbehörde steht, die durch einen
die Aufgabe gestellt, eine Verfassung               zirk und den Landeskirchenrat. Den                 Konsistorialpräsidenten geleitet wird.

                                                                                                                                                     3
Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
Die pfälzische Landeskirche ist hier                                                       fast allen Zeiten Gegner. Diese schaff-
einen völlig anderen Weg gegangen,                                                             ten es, dass die Generalsynode im Jahr
der dem Geist ihrer Union von 1818                                                             1853 einen Beschluss zum Bekenntnis
entspricht. Als nämlich im Jahr 1818                                                           der pfälzischen Landeskirche fasste, der
die Vereinigte-protestantisch-evange-                                                          bis heute eine Debatte darüber wach-
lisch-christliche Kirche der Pfalz als                                                         hält, ob nicht doch ein bestimmtes re-
Vereinigung der vormaligen Reformier-                                                          formatorischen Bekenntnis, nämlich
ten und Lutheraner entstand, wurde al-                                                         Philipp Melanchthons „Confessio Au-
les nötige in der Vereinigungsurkunde                                                          gustana variata“ von 1540, einen Kon-
geklärt, und auf diese Vereinigungsur-                                                         sens formuliert, in dem alle anderen
kunde wurde im Paragrafen 2 der Ver-                                                           Bekenntnisse aufgehoben sind.
fassung von 1920 vordergründig un-                                                                 Es ist ein großes Verdienst der Au-
scheinbar, aber für die Ordnung der                                                            toren der Kirchenverfassung von 1920,
Kirche äußerst folgenreich hingewie-                                                           diesen Beschluss von 1853 nicht zu er-
sen. Der Text des Paragrafen lautete                                                           wähnen und stattdessen nur auf die
damals: „Das Bekenntnis der Pfälzi-                                                            Unionsurkunde zu verweisen. Das er-
schen Landeskirche ist ausgesprochen                                                           möglichte gleichzeitig auch einen rei-
in ihrer Vereinigungsurkunde und deren     Trat am 1. Januar 1921 in Kraft: Die Verfassung     bungslosen Übergang in der Verwal-
gesetzlichen Erläuterungen.“               der Evangelischen Kirche der Pfalz.                 tung und Leitung der Kirche. Deutlich
    In dieser Vereinigungsurkunde ste-                                 (Foto: Zentralarchiv)   wird das am Amt des obersten Reprä-
hen zwei folgenreiche Sätze, die den be-                                                       sentanten, dem Kirchenpräsidenten.
sonderen Charakter der pfälzischen Kir-    Ermöglichung von ungestörter Glau-                  Seit 1915, also noch in der bayrischen
che ausmachen. Der erste dieser Sätze      bensfreiheit, so konsequent ernst ge-               Zeit, war der Jurist Karl Fleischmann
behauptet, dass „es zum innersten und      macht. Glaubensgrundlage und Lehr-                  Konsistorialdirektor. Mit dem Inkraft-
heiligsten Wesen des Protestantismus       norm ist allein die heilige Schrift, und            treten der neuen Verfassung 1921
gehört, immerfort auf der Bahn wohlge-     sämtliche altkirchlichen und reforma-               wirkte er in der gleichen Funktion wei-
prüfter Wahrheit und echt religiöser       torischen Bekenntnisschriften sind ge-              ter bis 1930; allerdings nannte er sich
Aufklärung, mit ungestörter Glaubens-      bührend zu achten. Die Inhalte dieser               jetzt Kirchenpräsident. Auch sein
freiheit mutig voranzuschreiten“.          Bekenntnisschriften waren demnach in                Amtsnachfolger Jakob Kessler, Kirchen-
    Das in diesem Satz ausgedrückte        der pfälzischen Unionskirche das ganze              präsident von 1930 bis 1934, war nicht
Programm des Unionsprotestantismus         19. Jahrhundert hindurch Grundlage                  Theologe, sondern Jurist.
bedeutet, dass das Gewissen des ein-       für leidenschaftlich geführte theologi-                 Die Evangelische Kirche der Pfalz
zelnen Christen für die einzige wahr-      sche Debatten, aber eben nicht zum                  geht hier im Vergleich mit den anderen
heitsfähige Instanz gehalten wird. Nun     Glauben vorgegebene Lehrgegenstände,                Gliedkirchen der Evangelischen Kirche
braucht aber jedes Gewissen, um sich       wie dies in lutherischen und reformier-             in Deutschland (EKD) einen Sonderweg.
zu schärfen, ein Gegenüber, und dieses     ten Kirchen mit den dort in der jeweili-            Sie verzichtet auf ein Leitendes Geistli-
Gegenüber ist dem religiösen Gewissen      gen Kirchenordnung genannten Be-                    ches Amt und entscheidet sich für eine
die heilige Schrift sowie die herge-       kenntnisschriften der Fall ist. Das be-             Verwaltungsspitze, der, je nach Aufga-
brachten kirchlichen Bekenntnisse.         deutete für die Pfalz, dass sämtliche               benbereich, Theologen und Nicht-Theo-
    Bei letzterem wird der zweite fol-     Glaubensaussagen, die seit den Zeiten               logen angehören. Gemeinsam bilden
genreiche Satz wichtig: „Die protestan-    der Alten Kirche als kirchlicher Konsens            diese Oberkirchenräte das Kollegium
tisch-evangelisch-christliche     Kirche   gelehrt werden, immer wieder in Frage               des Landeskirchenrats, das vom Kir-
hält die allgemeinen Symbola und die       gestellt und von manchen Theologen                  chenpräsidenten geleitet wird.
bei den getrennten protestantischen        für „abgeschafft“ erklärt wurden. Bei-                  Letztlich billigt die Verfassung dem
Konfessionen gebräuchlichen symboli-       spielsweise gab es Streit um die Trini-             Kirchenpräsidenten zwei Rechte zu, die
schen Bücher in gebührender Achtung,       tätslehre, um die Person Jesu Christi               über diejenigen der Oberkirchenräte hi-
erkennt jedoch keinen anderen Glau-        und überhaupt um die Frage der Ver-                 nausgehen: Er ist für die Verteilung der
bensgrund noch Lehrnorm als allein die     wendung des Apostolischen Glaubens-                 Geschäftsbereiche im Landeskirchenrat
heilige Schrift.“                          bekenntnisses im Gottesdienst.                      zuständig, braucht dafür allerdings das
    Die in diesem Satz ausgedrückte            Vor dem Hintergrund der Betonung                Einverständnis der Kirchenregierung;
Bekenntnisgrundlage gab nach 1818          der Glaubens- und Gewissensfreiheit in              und, sofern er Theologe ist, hat er das
der pfälzischen Landeskirche eine ein-     der Unionsurkunde waren diese Ausei-                Recht, in jeder Gemeinde der Landes-
zigartige Stellung im gesamten deut-       nandersetzungen um die Lehre legitim,               kirche Gottesdienst zu halten – die
schen Protestantismus. Keine andere        ja sogar geboten. Aber genau deshalb                theologischen Oberkirchenräte dürfen
Kirche hat mit der Ausdeutung des We-      hatte die offene Formulierung des Be-               das nur in den ihnen zugewiesenen Kir-
sens des Protestantismus, nämlich der      kenntnisstands der Landeskirche zu                  chenbezirken.              Martin Schuck

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Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
Arbeiter im Paragrafendschungel
Oberkirchenrat Dieter Lutz geht nach 34 Dienstjahren in den Ruhestand

Ist stolz auf die Einführung einer modernen Informationstechnologie im Landeskirchenrat unter seiner Ägide: Oberkirchenrat Dieter Lutz. (Foto: lk)

Ende 2020, nach 34 Jahren im Dienst der Evangelischen Kirche der Pfalz,                                 hofft auf eine möglichst hohe Wahlbe-
geht Oberkirchenrat Dieter Lutz in den Ruhestand. Die Nachfolge des 62-                                 teiligung. Mit rund 30 Prozent war die
Jährigen tritt Anfang des kommenden Jahres Bettina Wilhelm an.                                          pfälzische Landeskirche innerhalb der
                                                                                                        Evangelischen Kirche in Deutschland
„Wir sind und bleiben Volkskirche.                  formationstechnologie, Geschäftslei-                (EKD) bisher stets unter den Spitzenrei-
Nichts weniger ist unser Anspruch.“                 tung und Kirchenwahlen gehören.                     tern bei der Wahlbeteiligung.
Der pfälzische Oberkirchenrat Dieter                    Wenn am 1. Advent die Presbyterien                  Rechtssicherheit, Transparenz und
Lutz ist zutiefst davon überzeugt, dass             in den rund 400 Kirchengemeinden der                Dienstleistung sind Begriffe, die der Ju-
es sich lohnt, mit ganzer Kraft für den             pfälzischen Landeskirche gewählt wer-               rist unmittelbar mit seinem Amt ver-
christlich-protestantischen     Glauben             den, zeichnet Lutz mit seinem Team ein              bindet. Die presbyterial-synodal aufge-
einzutreten. „Das war für mich mein                 letztes Mal für den reibungslosen Ab-               baute Landeskirche entspricht seinen
ganzes Arbeitsleben lang Ansporn und                lauf verantwortlich. In diesem Jahr ste-            innersten Überzeugungen. Es gehöre zu
Leitmotiv.“ Ende des Jahres, nach 34                hen die Kirchenwahlen unter besonde-                seiner Dienstauffassung, möglichst im-
Dienstjahren im Landeskirchenrat der                ren Vorzeichen: Aufgrund der Corona-                mer ansprechbar und erreichbar zu
Evangelischen Kirche der Pfalz, davon               Pandemie findet die Stimmabgabe aus-                sein. Auch während des Corona-be-
14 als juristischer Oberkirchenrat, tritt           schließlich per Briefwahl statt. Zu-                dingten Lockdowns, als die Gebäude
der 62-Jährige in den Ruhestand. An-                gleich wird es vor dem Hintergrund zu-              des Landeskirchenrates wochenlang
fang 2021 übernimmt seine Nachfolge-                rückgehender Kirchenmitgliederzahlen                fast menschenleer und viele Mitarbei-
rin Bettina Wilhelm das Dezernat, zu                „immer anspruchsvoller, die ausrei-                 terinnen und Mitarbeiter im „Homeof-
dessen Aufgaben Rechtsaufsicht, Per-                chende Anzahl an Kandidaten zu fin-                 fice“ waren, sei er jeden Tag von Hei-
sonalverwaltung der nichttheologi-                  den“, sagt Lutz. Noch einmal setzt er               delberg nach Speyer ins Büro gefahren.
schen Mitarbeiter, die Aufsicht über die            seinen ganzen Ehrgeiz in den rechtssi-              Gleichwohl ist ihm für die Mitarbeite-
landeskirchlichen Tagungsstätten, In-               cheren Ablauf des Wahlmarathons und                 rinnen und Mitarbeiter die Vereinbar-

                                                                                                                                                     5
Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
Amtseinführung: Dieter Lutz zieht im Januar 2007 mit dem damaligen Kirchenpräsidenten Eberhard Cherdron in die Gedächtniskirche ein. (Foto: Landry)

keit von Beruf und Familie ein großes             Einführung einer modernen Informati-               ordnungspunkt, den die Synode 2018
Anliegen. Mehrfach ist der Landeskir-             onstechnologie in der Landeskirche. Die            behandelte: Die Aufhebung der „Kir-
chenrat mit dem entsprechenden Qua-               Digitalisierung der gesamten Landes-               chenzuchtbestimmung“ aus dem Jahr
litätssiegel ausgezeichnet worden.                kirche, der Relaunch des Intranets, die            1887. „Hat praktisch keine Relevanz
    Vor allem zwei große Projekte wer-            Einführung eines elektronischen Daten-             mehr“, lautete Lutz‘ lakonischer Kom-
den mit Dieter Lutz verbunden: Er hat –           managementsystems und der elektroni-               mentar.
mit Hilfe eines Beratungsbüros – im               schen Personalakte – für den Oberkir-                  In Dutzenden von Synodalsitzungen
Rahmen des von der Landessynode be-               chenrat ist das eine „Erfolgsgeschichte“.          hat er in unzählige Tagesordnungs-
schlossenen Strukturwandels die Orga-             Den Idealzustand des „papierlosen Bü-              punkte eingeführt, Gesetze auf den
nisationsentwicklung des Landeskir-               ros“ werde er in den verbleibenden                 Weg gebracht, Wahlen „beaufsichtigt“
chenrates umgesetzt. In fünf Jahren               Wochen seiner Amtszeit wohl nicht                  und knifflige Rechtslagen erläutert.
seien über 120 Maßnahmen zu 90 Pro-               mehr erleben.                                      Lutz bekleidet zahlreiche Ehrenämter
zent abgewickelt worden: „Ein Riesen-                 Es gab aber auch Fälle, die ihn um             vor allem im diakonischen und ökume-
kraftakt“, bilanziert Lutz. Stolz ist der         „etliche Stunden Schlaf“ gebracht hät-             nischen Bereich. In mehreren Auf-
Oberkirchenrat, der seit vielen Jahren            ten: Beispielsweise die Sanierung und              sichtsgremien waren seine juristischen
im Vorstand des kirchlichen Rechen-               Erweiterung des Protestantischen Bil-              und kaufmännischen Kompetenzen ge-
zentrums Südwestdeutschland in Karls-             dungszentrums Butenschoen-Campus                   fragt. Damit sei ohne Wenn und Aber
ruhe-Eggenstein ist und als Verfechter            in Landau. Unter dem Dach des Ta-                  am 31. Dezember Schluss, sagt er. „Ich
des „papierlosen Büros“ gilt, auf die             gungshauses sind vier landeskirchliche             bin zwar noch nicht so richtig auf den
                                                  Bildungsinstitute beheimatet: Das Er-              Ruhestand vorbereitet, aber Langeweile
                                                  ziehungswissenschaftliche Fort- und                werde ich bestimmt nicht haben.“
 ‰ Hinweis                                        Weiterbildungsinstitut (EFWI), das Pro-                Oberkirchenrat Dieter Lutz wurde
 Die Verabschiedung von Oberkir-                  testantische Predigerseminar, das Insti-           am 28. Juni 1958 in Heidelberg gebo-
 chenrat Dieter Lutz und Einführung               tut für kirchliche Fortbildung und die             ren. Nach dem Jurastudium trat er
 seiner Nachfolgerin Bettina Wilhelm              Evangelische Akademie der Pfalz. „Es               1987 als juristischer Referent in den
 findet am 3. Advent, dem 13. De-                 gab viele Zusatzwünsche, aber nicht                Landeskirchenrat ein. Im Jahr 2000
 zember, um 14 Uhr im Rahmen eines                mehr Geld. Letztendlich sind wir in der            wurde er zum Leitenden Rechtsdirektor
 Festgottesdienstes in der Speyerer               vorgesehenen Zeit fertig geworden, oh-             ernannt. Seit 2007 ist Dieter Lutz juris-
 Gedächtniskirche statt.                          ne mehr ausgegeben zu haben“, bilan-               tischer Oberkirchenrat.
                                                  ziert Lutz. Eher kurios war ein Tages-                              Christine Keßler-Papin

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Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
Selbstbewusste Repräsentanten
Das landeskirchliche Konsistorium im Jahr 1920: Zwei Juristen und zwei Theologen
Seit den Anfängen der Pfälzischen Unionskirche gehörten zum Leitungskolle-                             chenpolitischen Gruppierungen an. Der
gium in Speyer vier Personen, zwei Nicht-Theologen und zwei Theologen.                                 liberale Flügel war mit Heinrich Trost
1893 hatten sie ihren Dienstsitz im neuerbauten Gebäude am Domplatz be-                                (1853-1936) vertreten. Der Bauernsohn
zogen. Der „Konsistorialdirektor“ war niemals Theologe, sondern meist Jurist.                          aus Imsbach hatte in Erlangen und in
                                                                                                       Utrecht studiert. Von 1894 bis 1906
                                                                                                       wirkte er als hoch geschätzter Dekan in
                                                                                                       Winnweiler, zugleich als Schriftleiter
                                                                                                       des liberalen Gemeindeblatts „Die Uni-
                                                                                                       on“. Mit einem „Hoch“ auf die Gemein-
                                                                                                       den nahm er Abschied. Von 1907 bis zu
                                                                                                       seinem Ruhestand 1927 gehörte Trost
                                                                                                       dem Konsistorium an. Aus der Kriegs-
                                                                                                       zeit haben sich Berichte erhalten über
                                                                                                       die Besuche an der Kriegsfront in Bel-
                                                                                                       gien und Nordfrankreich 1916/17. Sie
                                                                                                       bezeugen seine Überzeugung vom
                                                                                                       Recht der deutschen Sache und von der
                                                                                                       „Zerstörungswut eines hasserfüllten
                                                                                                       Feindes“. (Vortrag am 20. März 1917 in
                                                                                                       Ludwigshafen.) Viele rühmten Trosts
                                                                                                       noble und respektvolle Art des Um-
Das Kollegium des Landeskirchenrats 1920 (von links): Kirchenpräsident Karl Heinrich Fleischmann       gangs mit der Pfarrerschaft.
mit den Oberkirchenräten Heinrich Trost, Heinrich Drescher und Jakob Eßlinger. (Foto: Zentralarchiv)       Mit Heinrich Drescher (1856-1936)
                                                                                                       war die kirchlich konservative, die „po-
Es war ein Glück für unsere Kirche,                 aus dem Amt 1930 kam die Achtung                   sitive“ Minderheit in der Kirchenleitung
dass der Konsistorialdirektor 1920                  der Pfarrerschaft wie der Gemeinden                vertreten. Er stammt aus Winterborn,
schon fünf Jahre im Amt war. Karl                   deutlich zum Ausdruck: Der Synodal-                dort war sein Vater Lehrer, und absol-
Heinrich Fleischmann (1867-1954) war                präsident Richard Müller-Mattil rühm-              vierte wie Trost sein Studium in Erlan-
als Sohn eines Arztes in Freinsheim ge-             te „vorbildliche Pflichterfüllung, Sach-           gen und Utrecht. Drescher wurde Pfar-
boren und hatte das Abitur in Neustadt              lichkeit und Gerechtigkeit“.                       rer in Alsenz und von 1894 bis 1910
abgelegt. Nach dem Jurastudium vor                       Als zweiter Jurist im Konsistorium            Dekan in Homburg. 1910 folgte die Be-
allem in München und einigen Jahren                 wirkte seit 1897 Jakob Eßlinger (1860–             rufung nach Speyer, bis 1928 war er im
in Lohr folgten Jahre des beruflichen               1926) aus Dürkheim. Nach Jahren in                 Amt. Anders als der unverheiratete
Aufstiegs in Augsburg und Gunzenhau-                Sulzbach kam er bereits 1895 nach                  Trost hatte er Familie, sein Sohn Her-
sen, in Ansbach und 1913 in München.                Speyer. Eßlinger konnte eine fundierte             mann (1893-1959) war ebenso Pfarrer
Bei seiner Berufung ins Amt des Kon-                Rechts- und Verwaltungserfahrung                   wie Dreschers jüngerer Bruder Karl
sistorialdirektors 1915 bestimmte be-               einbringen. Seine „Plauderei von einem             (1859-1944). Drescher engagierte sich
reits der Erste Weltkrieg stark das                 alten Derkemer“, mehrfach aufgelegt,               in der Diakonie, von 1915 bis 1927 war
kirchliche Leben in der Pfalz. Vier Mal             erweist ihn als gemütvollen Erzähler,              er Vorsitzender im Verwaltungsrat der
besuchte Fleischmann Truppenteile.                  fortschrittlich aufgeklärt und mit Sinn            aufstrebenden         Diakonissenanstalt.
Dem Reformationsjubiläum 1917 sollte                für die Prozesslust der Pfälzer. Ans En-           Auch kirchengeschichtlich trat er mit
der hundertste Geburtstag der Union                 de rückte er den Wunsch für die Win-               Publikationen hervor.
folgen. Doch die außerordentliche „Ge-              zer, dass „unser Herrgott diesen braven                Alle vier Mitglieder im Kollegium
neralsynode“ musste für 1918 abgesagt               Stand nicht wird zugrunde gehen las-               waren Pfälzer, aus verschiedenen Regio-
werden. An der Entwicklung der neuen                sen.“ Bei seinem Rücktritt 1923 dankte             nen. Alle hatten sie im Studium und wie
Kirchenverfassung hatte Fleischmann                 ihm Fleischmann für seine „treue und               die Juristen zusätzlich auf ihrem Berufs-
einen hohen Anteil. Er galt als hervor-             überaus ersprießliche Dienstleistung.“             weg Kontakte mit Bayern. Für alle vier
ragender Verwaltungsfachmann und                         Die Juristen, vor allem der Konsisto-         war die Herausforderung groß, aus dem
als umgänglicher wie selbstbewusster                rialdirektor ließen sich nicht kirchenpo-          alten Kirchensystem in eine neue Ge-
Repräsentant der Pfälzischen Kirche in              litisch festlegen. Die beiden Theologen            stalt der protestantischen Kirche der
der Öffentlichkeit. Bei seinem Abschied             dagegen gehörten einer der beiden kir-             Pfalz hinein zu finden.     Klaus Bümlein

                                                                                                                                              7
Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
Willkommen
und Abschied
Ein Gespräch mit und zwischen Kirchenpräsident
Christian Schad und Vikarin Daniela Hegel
Zwei Generationen an einem Tisch: Der eine geht, die andere kommt – der
Kirchenpräsident tritt bald in den Ruhestand, die Vikarin beginnt in Kürze
ihren Pfarrdienst. Christian Schad und Daniela Hegel haben sich über ihren
Glauben, die Digitalisierung und die Zukunft der Kirche unterhalten. Das
Interview führte Vikar Maik Weidemann und Katja Edelmann hat den Text
redigiert.

Kirchenpräsident Schad, Sie gehen Ende    Herr Schad, wie geht es Ihnen, wenn Sie         Hegel: Ein Kind vergrößert natür-
Februar in den Ruhestand. Worauf          das Wort „Ruhe-stand“ hören?                lich die Herausforderungen. Und
freuen Sie sich?                              Schad: Irgendwie passen „ruhen“         gleichzeitig glaube ich, dass mich diese
    Schad: Die Vorstellung, ich könnte    und „still stehen“ nicht zu mir. Ich habe   Lebenserfahrung persönlich sehr viel
mich auf den Ruhestand vorbereiten,       in meinen Beruf immer für die Sache         weiterbringen wird. Dadurch kann ich
ist verfehlt – vor allem wegen Corona.    gebrannt und mich vielseitig engagiert,     besser verstehen, was Eltern umtreibt.
Umso mehr freue ich mich, dass ich ab     wenngleich mir dabei meine Fragment-        Als „Mama“ werde ich Gelegenheit ha-
1. März eine Nachfolgerin habe: Doro-     haftigkeit stets deutlich vor Augen         ben, ins Gespräch mit Menschen zu
thee Wüst ist die erste Kirchenpräsi-     steht. Deswegen wird es bei mir im          kommen, die ich als Pfarrerin eher sel-
dentin in der Geschichte unserer Lan-     Wortsinn keinen Ruhe-stand geben. Ich       ten sehen würde. Ich weiß aber auch,
deskirche. Ich werde alles mir Mögliche   habe zurzeit fast zu viele Angebote,        dass es für Pfarrerskinder manchmal
tun, um einen guten Übergang zu ge-       mich ehrenamtlich zu engagieren. Ich        nicht ganz einfach ist – zumal mein
währleisten.                              war und bin mit Leib und Seele Theolo-      Mann ja auch Pfarrer wird. Da müssen
                                          ge und Ökumeniker. So sehe ich im Be-       wir eine gute Balance finden.
Daniela, du stehst an einem ganz          reich der theologischen Wissenschaft            Schad: Dazu fällt mir ein Satz von
anderen Punkt: Im März 2021 steht ein     und im ökumenischen Dialog zwei Auf-        Martin Luther ein, der zusammen mit
Pfarramt an. Worauf freust du dich?       gabenfelder, auf denen ich mich wei-        der Aufforderung „Sola Scriptura – Al-
    Hegel: Auf jeden Fall weiterhin auf   terhin betätigen werde. Ansonsten           lein die Schrift!“ zu hören ist. Er lautet:
tolle und neue Menschen, die ich ken-     bleibe ich Ordinierter dieser Landeskir-    „Allein die Erfahrung macht den Theo-
nenlerne, ganz neue Erfahrungen und       che, also beauftragt, den Menschen das      logen, die Theologin!“ Das heißt, die
eine spannende Zeit. Das Evangelium       Evangelium von Jesus Christus weiter-       existenziellen Erfahrungen, die Sie ma-
ist ja nichts, wenn man es nicht zu je-   zusagen und Sakramente zu spenden.          chen, haben gerade in Verbindung mit
mandem bringt und teilt. Die Mensch-                                                  dem Evangelium Gewicht. Sie bringen
lichkeit ist das Entscheidende am         Daniela, du bist frisch verheiratet. Dein   sie als Pfarrerin ein und verleihen Ih-
Christentum. Durch das Vikariat habe      Mann und du erwartet nächstes Jahr          rem Reden und Tun Authentizität.
ich einen kleinen Einblick gehabt und     euer erstes Kind. Gleichzeitig beginnst
jetzt geht es da halt weiter, auch wenn   du mit der Tätigkeit als Pfarrerin.         Herr Kirchenpräsident, wie haben Sie
es noch ein paar Fragezeichen gibt.       Welche Gedanken hast du dazu?               die Vereinbarkeit von Ihrem Amt und

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Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
Die eine kommt, der andere geht:
                                                                                     Vikarin Daniela Hegel im Gespräch
                                                                                     mit Kirchenpräsident Christian Schad
                                                                                     (rechts). Das Interview moderierte
                                                                                     Vikar Maik Weidemann (links).
                                                                                     (Foto: lk/Landry)

Beruf mit der Familie erlebt in der       gefallen, aber es haben sich ganz neue     Also sollten wir Kirche auf breitere Füße
Rückschau?                                gestellt. Es ging darum, sich neue Wege    stellen, um auch Leute mit ihren
   Schad: Nicht immer einfach. Die Si-    zu überlegen, wie man mit der Ge-          Bedürfnissen zu erreichen, die wir
tuation von Frau Hegel, deren Mann        meinde weitermachen kann. Ich fand         vorher nicht im Blick hatten?
Theologe ist, ist mit meiner vergleich-   es faszinierend, wahrzunehmen, wie             Schad: Die Corona-Pandemie ruft
bar. Allerdings musste ich zu Beginn      viele Menschen aktiv geworden sind,        uns unüberhörbar in Erinnerung, dass
meiner Berufstätigkeit, wie viele – ich   von denen man es im gemeindlichen          wir verletzlich und verwundbar – und
gehöre der Generation an, die man mit     Alltag nicht mitbekommt. Beim Thema        unsere Pläne und Sicherheiten endlich
dem wenig freundlichen Wort „Theolo-      Digitalisierung lag mir die Verbindung     und brüchig sind. Mitte März erreich-
genschwemme“ tituliert hat – eine         von Digitalem und Analogen besonders       ten uns darüber hinaus die Schreckens-
Pfarrstelle mit meiner Frau teilen. Es    am Herzen. Wir haben Video-Andach-         bilder aus Norditalien. Der Tod vieler
war die Pfarrstelle Weingarten, damals    ten gestaltet, die Kirchen zum persönli-   Menschen stand uns unmittelbar vor
kombiniert mit dem Seelsorgeauftrag       chen Gebet offengelassen, abends die       Augen. Da hatten wir das spontane
in der Evangelischen Studierendenge-      Glocken geläutet und vieles mehr – das     Verlangen, in unsere Kirchen zu gehen
meinde Germersheim. Faktisch haben        war wichtig für viele Menschen. Es ha-     und zu beten, Gemeinschaft, Nähe,
wir damals aber zusammen mit 200          ben sich dann auch viele bei uns ge-       Trost zu erfahren. Doch der dann fol-
Prozent gearbeitet. Da besteht leicht     meldet, die sonst nicht in die Kirche      gende Shutdown auch bei uns schränk-
die Gefahr, im Beruf unterzugehen.        gehen. Da sind neue Frömmigkeitsfor-       te diese Möglichkeit massiv ein. In die-
                                          men deutlich geworden.                     ser Situation schossen daraufhin Strea-
Wenden wir uns einem Thema zu, das            In Zukunft sollten wir versuchen,      ming-Gottesdienste wie Pilze aus dem
Kirche in den letzten Monaten stark       Strukturen auch für Menschen zu            Boden. Aber ebenso auf analogem Weg
verändert hat: die Digitalisierung.       schaffen, die offensichtlich ein spiri-    suchten Kirchengemeinden den Kon-
Daniela, wie hast du den Lockdown in      tuelles Interesse an Glaubensdingen        takt zu ihren Gemeindegliedern. Darü-
der Kirche erlebt?                        haben, sich aber im Moment nicht auf-      ber hinaus haben wir auch im kirchli-
   Hegel: Ich bin dankbar, dass ich im    gehoben bei uns fühlen. Gleichzeitig       chen Bereich verstärkt die Möglichkeit
Frühjahr im Gemeindevikariat war. Die     dürfen wir dabei die Menschen nicht        des Home-Office angeboten und damit
üblichen Aufgaben sind durch den          verlieren, die sich wohl fühlen in der     für die bessere Vereinbarkeit von Beruf
Lockdown plötzlich größtenteils weg-      Kirche, wie sie sie kennen.                und Familie gesorgt. Nach dem Lock-

                                                                                                                            9
Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
down habe ich in meinem nächsten             che mit Ehrenamtlichen ganz neu zu         Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem
Umfeld allerdings auch erlebt, wie           gestalten. Das soll nicht heißen, dass     Herzen, von ganzer Seele und von gan-
Menschen aus Freude geweint haben,           ich Menschen in ihrer Freizeit noch        zem Gemüt … und deinen Nächsten
als sie sich wiedersahen und unmittel-       mehr Arbeit auflasten möchte, sondern      wie dich selbst.“ Gottes-, Nächsten-
bare Gemeinschaft erlebten. Es geht al-      im Gegenteil, dass da Potential steckt     und Selbstliebe bilden hier eine Einheit.
so gar nicht um die Alternative „digi-       in vielen Menschen, in der Liebe von       Selbstsorge hat vor allem auch eine
tal“ oder „analog“. Sondern beides hat       Menschen zueinander. Und das ist et-       geistliche Dimension. So sind für mich
sein Recht und wird sich in Zukunft          was, was ich in dieser Krise stark be-     das tägliche Gebet, Luthers Morgen-
noch sehr viel stärker wechselseitig er-     merke, zum Beispiel, wenn junge Leute      und Abendsegen, die Lektüre der Lo-
gänzen.                                      anbieten: „Ich möchte für Menschen,        sungen und kleine Oasen der Stille
    Hegel: Ich gehe da sehr viel mit.        die nicht mehr können, einkaufen ge-       Kraftquellen. Darum mein Rat: „Reser-
Und andererseits bin ich nicht ganz so       hen“. Ich sehe in Zukunft weniger den      viere Dir Zeiten mit Gott als Ressource
euphorisch, was uns als Kirche in dieser     Kirchturm und den Pfarrer auf der Kan-     Deines persönlichen Glaubens.“ Wer
Zeit angeht. Dort wo Kommunikation           zel, als den Pfarrer mitten unter den      barmherzig ist mit sich selbst, wird
gelungen ist, wo unerwartete Verbin-         Menschen, die miteinander das Leben,       auch barmherzig sein im Umgang mit
dungen aufgetaucht sind, habe ich das        die Kirche, ihr Christsein gestalten.      anderen.
als sehr bereichernd empfunden. Aber             Schad: Hier bin ich etwas verhalte-
ich muss sagen, bei mir bleibt auch ein      ner. Ich denke, da sind wir einer Mei-     Daniela, du begegnest deinem älteren
ganz großer Schmerz stehen über die          nung: Wir werden eine zahlenmäßig          Ich. Was würdest du deinem älteren Ich
nicht gelungene Kommunikation, die           kleinere und finanziell ärmere Kirche      raten?
wir trotz Social Media nicht geschafft       werden. Das hat zur Folge, dass wir uns        Hegel: „Pass auf, denn das Wich-
haben, nämlich mit Menschen, die sich        von manchen Arbeitsfeldern verab-          tigste ist, dass das Feuer nicht aufhört
von Kirche alleingelassen fühlen.            schieden müssen. Und das tut weh und       zu brennen!“ Das ist ein wunderbarer
    Schad: Ja, da stimme ich Ihnen zu,       wird zu Trauerprozessen führen. Wir        Satz vom Sänger Jan Delay. Bewahr‘ Dir
Frau Hegel. Rückblickend sage auch ich       haben in unserer Landeskirche 2019         die Liebe und das Kind in Dir.
selbstkritisch, dass wir manche nicht        über 5800 Kirchenmitglieder verloren.
erreicht haben, die unseren Beistand         Wenn überhaupt, werden sie aber nur
und unsere Hilfe dringend gebraucht          einzeln zurückzugewinnen sein. Darum
hätten: beispielsweise junge Familien        sind Strukturen notwendig, die die Zu-
mit Kindern. Auch hätten wir alte und        spitzung auf die authentische Begeg-
pflegebedürftige Menschen, die sich oft      nung mit einzelnen Menschen ermögli-
einsam und isoliert fühlten, früher in       chen, das heißt konkret: auf die per-
den Blick nehmen müssen. Deshalb set-        sönliche Begegnung und das Zusam-
ze ich mich dafür ein, dass es ein völli-    menleben von Christen mit denen, für
ges Besuchsverbot in Alten- und Pfle-        die der Glaube etwas völlig Fremdes
geheimen nicht mehr geben darf. Auch,        geworden ist. Um Haupt- und Ehren-
dass Seelsorgerinnen und Seelsorger –        amtliche dabei nicht zu überfordern,
unter Beachtung der Schutzmaßnah-            müssen wir wechselseitig noch viel
men – Menschen in Krankenhäusern             stärker kooperieren. Einzelne Gemein-       ‰ Zur Person:
ungehindert besuchen dürfen.                 den können Schwerpunkte, ihr beson-         Dr. h. c. Christian Schad, geboren
                                             deres Profil entwickeln. Und sollen sich    1958 in Ludwigshafen, Theologiestu-
Ihnen beiden ist die Kirche wichtig, die     fragen: Worin sind wir stark? Wen kön-      dium in Bethel, Tübingen und Bonn
nah bei den Menschen ist. Wie sieht sie      nen wir erreichen? Wo können wir            von 1976 bis 1983, Gemeindepfarrer
in den kommenden Jahren aus?                 Schritte über unsere Grenzen hinaus         und Studierendenseelsorger in Wein-
    Hegel: Ich bin sicher, dass sich sehr    tun? Aber auch: Was können andere           garten und Germersheim, Referent
viel verändern wird. Das Entscheidende:      besser? Wo können wir von anderen           im Landeskirchenrat, Dozent am Pre-
Kirche möchte ich nicht als starre           profitieren?                                digerseminar, zehn Jahre Oberkir-
Struktur begreifen, sondern als Ort, wo                                                  chenrat und zwölf Jahre Kirchenprä-
Christen zusammenkommen, als Ge-             Herr Schad, wenn Sie sich an den            sident.
meinschaft von Glaubenden. Dazu zäh-         Beginn Ihres Dienstes zurückversetzen,
le ich – ganz wichtig – auch alle            was würden Sie sich selbst raten?           Daniela Hegel, geboren 1986 in Lud-
Zweifler und Menschen, die sich in ir-           Schad: Ich habe Frau Hegel im           wigshafen, Theologiestudium in Hei-
gendeiner Form verbunden fühlen, aber        Blick, wenn ich sage: „Sorge auch für       delberg und Erlangen, Beginn des Vi-
vielleicht nicht direkt mit der Instituti-   Dich selbst!“ Dabei fällt mir das Dop-      kariats 2018 in Schifferstadt und
on zu tun haben. Ich glaube, dass da-        pelgebot der Liebe ein, das eigentlich      Speyer.
raus das Potenzial erwächst, diese Kir-      ein Dreifachgebot ist: „Du sollst den

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Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt, zum Beispiel wegen Laub: Kirchliche Gebäude wie hier das alte Verwaltungsgebäude in der Speyerer Roß-
marktstraße können zum Mittelpunkt juristischer Auseinandersetzungen werden. (Foto: lk)

Von der Taufe bis zum Baum
Das Kirchenrecht gibt Orientierung und erleichtert die Entscheidung
Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen haben im Vergleich zum                           kündigung nicht beeinträchtigt wird.
staatlichen Recht besondere rechtliche Regelungen, beispielsweise bei der                       Das Ansehen der Kirche soll keinen
Mitbestimmung oder beim Dienstrecht. Für Situationen, die es so zuvor nicht                     Schaden nehmen.
gab, entwickeln die Kirchenjuristinnen und -juristen der Landeskirche neue                          Kirchenjuristinnen und -juristen
Regelungen.                                                                                     müssen also öfter Situationen regeln
                                                                                                oder bewerten, für die es entweder kei-
Zwei Juristinnen und ein Jurist sind in           tungsrecht abweichen. Denn der Staat          ne, nur sehr rudimentäre oder unpas-
der pfälzischen Kirchenverwaltung da-             muss der Kirche eigene Möglichkeiten          sende „weltliche“ Regelungen gibt. Der
mit beschäftigt, Regelungen für kirchli-          geben, die Dienstverfassung im Sinne          Grund: „Entweder gab es bisher noch
che Angelegenheiten auf den Weg zu                des christlichen Bekenntnisses zu ge-         keinen Bedarf für solche Regelungen
bringen, und „maßgeschneiderte“ Lö-               stalten. So steht es im Grundgesetz.          oder die Verhältnisse haben sich geän-
sungen zu erarbeiten. Die Kirche sowie               Ein weiteres Beispiel ist das Dienst-      dert. Daher kommt es häufiger vor, dass
ihre diakonischen und pädagogischen               und Besoldungsrecht der Pfarrerinnen          die Regelungsdichte in diesem Bereich
Einrichtungen haben besondere Rechte.             und Pfarrer: Ihre Besoldung orientiert        geringer ist, als im staatlichen Recht“,
Die Basis dafür ist ihr Selbstorganisati-         sich weitestgehend am staatlichen             sagt André Gilbert.
onsrecht.                                         Recht, ist jedoch nicht deckungsgleich.           Ein dritter exemplarischer Vorgang:
    Beispielsweise können Mitbestim-              Im Dienst und in ihrem Privatleben sind       Bislang war die Zahl der zu wählenden
mungsrechte der kirchlichen Beschäf-              Pfarrerinnen und Pfarrer verpflichtet,        weltlichen Bezirkssynodalen an die
tigten vom üblichen staatlichen Be-               sich so zu verhalten, dass die Glaub-         Zahl der Pfarrstellen pro Kirchenge-
triebsverfassungs- und Personalvertre-            würdigkeit der Kirche und ihrer Ver-          meinde geknüpft. Doch mittlerweile

                                                                                                                                           11
das Recht gar keine Handlungsspiel-
                                                                                                 räume bietet“.
                                                                                                     Ein Beispiel dafür: Ein Kirchenmit-
                                                                                                 glied hatte den Wunsch, von der Kir-
                                                                                                 chensteuerpflicht entbunden zu wer-
                                                                                                 den, und seinen Beitrag dann in Form
                                                                                                 von Spenden zu leisten. Dem konnte
                                                                                                 nicht entsprochen werden, da das Kir-
                                                                                                 chensteuerrecht weitestgehend durch
                                                                                                 zwingendes staatliches Recht geregelt
                                                                                                 ist. In einem solchen Fall kann das Kir-
                                                                                                 chenrecht nicht davon abweichen.
                                                                                                     Ein anderer Fall: Nach dem evange-
                                                                                                 lischem Verständnis kann die Taufe als
                                                                                                 geistliches Band zwischen Gott und
                                                                                                 Mensch kirchenrechtlich nicht gelöst
                                                                                                 werden. Denn das Handeln Gottes kann
                                                                                                 durch das Handeln des Menschen nicht
                                                                                                 rückgängig gemacht werden. Doch weil
Kirche und Geld: Auch die Kirchensteuer ist oft Thema für die Kirchenjuristen. (Foto: epd)       die Kirchenmitgliedschaft auch recht-
                                                                                                 lich relevante Konsequenzen für das
hat sich die Ausgangslage geändert:                  haben zu wenig Relevanz oder Bedeu-         Mitglied hat und zum Beispiel eine
Pfarrstellen umfassen immer häufiger                 tung, um eine eigene Rechtsregelung         Steuerpflicht auslösen kann, hat das
Teile unterschiedlicher Kirchengemein-               zu entwickeln. „In solchen Fällen           Bundesland die Beendigung der Kir-
den oder zusätzliche Sonderaufgaben.                 schlägt dann tatsächlich die Stunde der     chenmitgliedschaft – durch Austritt
Daher wurden die Kirchenverfassung                   Juristin oder des Juristen“, sagt Bettina   mit bürgerlicher Wirkung – umfassend
und die Wahlordnung geändert.                        Wilhelm. „Dann gilt es im Wege der          geregelt. Die Verheißung auf die Glied-
    Viertes Beispiel: Im November 2018               Auslegung eine Lösung zu finden, die        schaft am Leib Christi bleibt davon
wurde die neue Kirchengemeindeord-                   rechtlich vertretbar ist und zu sachge-     freilich unberührt.
nung verabschiedet. Sie regelt zum ei-               rechten Lösungen führt, die den kirchli-
nen bisher ungeschriebene Verwal-                    chen Interessen möglichst entgegen
tungsvorgänge. Zum anderen fasst sie                 kommt“.                                     Auslotung des
wiederkehrende Rechtsfragen für Pfar-                    Wie bei der Arbeitnehmerüberlas-
rerinnen und Pfarrer, Presbyterinnen                 sung – es teilen sich zum Beispiel meh-
                                                                                                 bestehenden Spielraums
und Presbyter in einem Gesetz zusam-                 rere Kirchengemeinden eine Pfarramts-
men. Vorher waren die Regelungen                     sekretärin, aber die Anstellung erfolgt     Auch beim Religionsunterricht gibt es
über zahlreiche Spezialgesetze ver-                  nur über ein Pfarramt, das die Perso-       wenig Handlungspielraum: Ein evange-
streut.                                              nalkosten dann auf alle umlegt. Bei         lisch getauftes Kind ist verpflichtet, am
                                                     dieser Überlassung, die im Rahmen der       evangelischen Religionsunterricht teil-
                                                     Religionsausübung erfolgt, konnte sich      zunehmen, wenn dieser in der Schule
Nicht alle                                           die Landeskirche mit der Bundesagen-        angeboten wird. Es hat kein Wahlrecht
                                                     tur für Arbeit bei der Rechtsauslegung      zwischen evangelischem und katholi-
Probleme lösbar                                      darauf einigen, dass diese nicht wirt-      schem Religionsunterricht. Nur unter
                                                     schaftlich und damit nicht erlaubnis-       Berufung auf Gewissensgründe kann
Ein weiteres Exempel ist das Erpro-                  pflichtig ist. Das heißt: Die Bereiche      der Ethikunterricht besucht werden.
bungsgesetz. Damit eröffnet die Lan-                 Verkündigung, Seelsorge, Liturgie, Kir-         Kirchenjuristinnen und Kirchenjuris-
deskirche den Kirchengemeinden und                   chenmusik sowie der Religionsunter-         ten loten bestehende Handlungsspiel-
Kirchenbezirken die Möglichkeit, neue                richt als Kernaufgaben zur Verbreitung      räume aus und beraten die kirchlichen
Organisationsstrukturen auszuprobie-                 des Glaubens unterliegen nicht dem          Entscheidungsgremien. „Oftmals wer-
ren und dabei teilweise vom geltenden                Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung.         den rechtliche Vorschriften dabei als
Recht abzuweichen.                                       „Nicht immer ist es dabei möglich,      eine Belastung und Einschränkung
   Nicht immer ist es möglich oder an-               alle Wünsche vollständig zu erfüllen“,      wahrgenommen, die die Arbeit von
gebracht, Situationen durch neue                     weiß Jill Rohde aus Erfahrung. „Wie         kirchlichen Entscheidungsgremien be-
Rechtssetzung zu lösen. Denn bei man-                dargestellt, sind auch die Kirchen ver-     hindern und erschweren“, stimmen
chen Angelegenheiten reicht der zeitli-              pflichtet, sich rechtskonform zu verhal-    Wilhelm, Rohde und Gilbert überein.
che Vorlauf nicht aus, andere Themen                 ten. Selten kommt es jedoch vor, dass       Dieser Eindruck sei sicherlich zum Teil

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nachvollziehbar. „Denn um einen Inte-                der Entscheidung, insbesondere bei                   aufsichtsrechts sein, „auch wenn diese
ressenausgleich herbeizuführen, wie es               schwierigen, konfliktträchtigen Angele-              oftmals in besonderem Maße als ein-
die Aufgabe des Rechtes ist, ist es un-              genheiten. Zwingende Rechtsvorschrif-                engend empfunden werden“, so die drei
abdingbar, dass alle beteiligten Interes-            ten schaffen die eindeutige Möglich-                 Rechtsexperten. Die Aufsicht soll den
sen ein Stück weit beschränkt werden                 keit, dass Kritik an der Entscheidung                kirchlichen Entscheidungsträgern bei
müssen.“                                             zurückgewiesen werden kann.                          rechtlich oder finanziell „riskanten“
   Beispielsweise geht es bei der Frage,                                                                  Maßnahmen zur Seite stehen. Sie soll
ob ein Pfarrhaus saniert oder vielleicht                                                                  darauf hinwirken, Gefahren zu vermei-
verkauft werden soll, nicht nur um Sa-               Kirchenaufsicht                                      den oder zumindest zu verringern.
nierungskosten. Die Kirchengemeinden                                                                      Oftmals genügt es, die Risiken aufzu-
sind verpflichtet, ihrer Pfarrerin oder
                                                     verdeutlicht Gefahren                                zeigen und auf deren mögliche Konse-
ihrem Pfarrer ein angemessenes Pfarr-                                                                     quenzen hinzuweisen, um die kirchli-
haus zu stellen. Das ist ihr Beitrag zur             Beispielsweise wenn ein Nachbar sich                 chen Entscheidungsträger davon zu
Pfarrbesoldung. Sollte das Pfarrhaus                 über die Arbeit mit dem Laub be-                     überzeugen, ein alternatives Vorgehen
verkauft werden, müsste die Kirchen-                 schwert, das von einem Baum abfällt,                 umzusetzen. Wenn zum Beispiel ein
gemeinde eine andere Wohnmöglich-                    der unter Naturschutz und auf einem                  Presbyterium den Kauf eines Gebäudes
keit kaufen oder anmieten oder aber                  kirchlichen Grundstück steht. Um die                 plant. Die Kirchenaufsicht überzeugt
den Besoldungsbeitrag der Landeskir-                 Arbeit zu vermeiden, verlangt er die                 das Gremium, es nicht zu tun. Denn
che erstatten – zurzeit etwa 9000 Euro               Fällung des Baumes. Das Presbyterium                 detaillierte Berechnungen weisen nach,
im Jahr.                                             weist das mit dem Hinweis auf das gel-               dass sich das Gebäude nicht kostende-
   Auf der anderen Seite bietet das                  tende Recht zurück, das dem Eigentü-                 ckend nutzen lässt und die finanziellen
Recht den kirchlichen Entscheidungs-                 mer die Entfernung eines solchen Bau-                Möglichkeiten der Kirchengemeinde
trägern auch einen Handlungsrahmen,                  mes untersagt. Ähnlich hilfreich kön-                übersteigen würde.         André Gilbert,
Orientierung und eine Erleichterung bei              nen auch die Vorschriften des Kirchen-                         Jill Rohde und Bettina Wilhelm

Erarbeiten Regelungen für kirchliche Angelegenheiten (von links): Bettina Wilhelm, Jill Rohde und André Gilbert. (Foto: lk)

                                                                                                                                                13
Zum Rechtsfrieden beitragen
Die Aufgaben des Verfassungs- und Verwaltungsgerichts der Landeskirche
Das Verfassungs- und Verwaltungsgericht der Landeskirche wurde durch ein                          Landeskirchenrats gegenüber einer Kir-
kirchliches Gesetz vom 17. Oktober 1959 errichtet; in der Verfassung der                          chengemeinde wegen einer nicht ge-
Landeskirche ist es nicht verankert.                                                              nehmigten, gegen Denkmalschutzrecht
                                                                                                  verstoßenden Baumaßnahme an einem
                                                                                                  Kirchengebäude. Einen Schwerpunkt
                                                                                                  der Rechtsprechung bildeten schließ-
                                                                                                  lich Verfahren zum Recht der Pfarrbe-
                                                                                                  soldung.
                                                                                                      In einem Gutachten zum Anschluss
                                                                                                  der Kirchengemeinden an Verwaltungs-
                                                                                                  ämter hat das Gericht seine bis dahin
                                                                                                  ergangene Rechtsprechung zur Stel-
                                                                                                  lung der Kirchengemeinde bestätigt. Es
                                                                                                  hat betont, dass die Kirchenverfassung
                                                                                                  der Kirchengemeinde eine herausra-
                                                                                                  gende Stellung beimesse, ihr aber kein
                                                                                                  Recht auf Selbstverwaltung zuerkenne,
                                                                                                  das demjenigen der politischen Ge-
                                                                                                  meinde gleichkäme. Landeskirche und
                                                                                                  Kirchengemeinde seien gleichermaßen
                                                                                                  Kirche und deren Auftrag verpflichtet.
War 24 Jahre lang Vorsitzender des landeskirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgerichts: Hel-   Bei der Erfüllung dieses Auftrags hät-
mut Damian (links) mit Kirchenpräsident Christian Schad. (Foto: lk)                               ten sie als Dienstgemeinschaft zusam-
                                                                                                  menzuwirken. Mit dem Begriff der
Das Verfassungs- und Verwaltungsge-                 staatlichen Recht entwickelt wurden.          Dienstgemeinschaft hat das Gericht in
richt der Landeskirche entscheidet auf              Zu nennen sind hier zum Beispiel das          seinen Entscheidungen auch das Ver-
Antrag unter anderem über die Recht-                Verbot willkürlichen Handelns, der            hältnis von Landessynode, Kirchenre-
mäßigkeit des dem öffentlichen Recht                Grundsatz des rechtlichen Gehörs oder         gierung und Landeskirchenrat gekenn-
zuzuordnenden kirchlichen Verwal-                   der Grundsatz des Vertrauensschutzes.         zeichnet und die Kompetenz der letzt-
tungshandelns mit Ausnahme von Kir-                     Die bisher ergangenen Entscheidun-        genannten Organe zur Rechtssetzung
chensteuer- und Disziplinarangelegen-               gen betreffen zahlreiche Rechtsberei-         bekräftigt.
heiten und über öffentlich-rechtliche               che. So wurde das Gericht wiederholt              Damit hat das Gericht zugleich sei-
Streitigkeiten zwischen kirchlichen                 zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit             ne eigene Stellung umschrieben: In sei-
Körperschaften. Es kann auch zur Über-              kirchlicher Wahlen angerufen, musste          nem Bemühen, Rechtssicherheit zu
prüfung der Vereinbarkeit eines kirchli-            über das Recht der Namensbezeich-             schaffen und damit zum Rechtsfrieden
chen Gesetzes oder einer kirchlichen                nung von Kirchengemeinden entschei-           beizutragen, ist es selbst Teil dieser
Rechtsverordnung mit höherrangigem                  den und hatte die Anforderungen an            dem Auftrag der Kirche verpflichteten
Recht angerufen oder mit der Erstat-                die Rechtmäßigkeit der Rückforderung          Dienstgemeinschaft. Helmut Damian
tung eines Rechtsgutachtens beauf-                  von Zuwendungen an eine Kirchenge-
tragt werden. Das Gericht trifft seine              meinde für Baumaßnahmen an der von
Entscheidungen im Rahmen des durch                  der Kirchengemeinde zu unterhalten-
das Gesetz vom 17. Oktober 1959 fest-               den Pfarrwohnung zu klären. In mehre-
gelegten Verfahrens unparteilich und in             ren Verfahren befasste sich das Gericht        ‰ Zum Autor
richterlicher Unabhängigkeit. Maßstab               mit Fragen des Zugangs zum öffent-             Helmut Damian war bis zu seinem
seiner Entscheidungen sind die Vor-                 lich-rechtlichen Pfarrdienstverhältnis         Ruhestand Vorsitzender Richter am
schriften des kirchlichen Rechts ein-               und der Besetzung einer Gemeinde-              Verwaltungsgericht Neustadt und
schließlich der Bestimmungen der Kir-               pfarrstelle durch die Kirchenregierung         von 1996 bis Juli 2020 Vorsitzender
chenverfassung. Zum kirchlichen Recht               in einer Konkurrenzsituation. Gegen-           des Verfassungs- und Verwaltungs-
gehören auch ungeschriebene allge-                  stand eines weiteren, über den Einzel-         gerichts der Evangelischen Kirche der
meine Rechtsgrundsätze, wie sie unter               fall hinaus bedeutsamen Verfahrens             Pfalz (Protestantische Landeskirche).
der Geltung des Grundgesetzes im                    war eine aufsichtliche Verfügung des

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Buchtipps

Wenn Christen fragen und                    Theologische Antwort auf die                Biblische Bilder ins Jetzt
zweifeln                                    Flüchtlingsfrage                            übertragen
                      „In meiner ersten     Die Debatte ist noch immer hitzig und       Wer die Speyerer Dreifaltigkeitskirche
                      kleinen Welt sind     emotional – und sie bleibt aktuell. Die     betritt oder sie bei Fernsehgottesdiens-
                      Fragen nicht will-    sogenannte „Flüchtlingskrise“ lässt an      ten gesehen hat, ist von der vollständig
                      kommen gewe-          2015 denken, an ankommende Züge             bemalten Decke, 35 Bilderpaaren auf
                      sen“, schreibt Lud-   am Münchner Hauptbahnhof und See-           der Doppelempore und 96 Bildern ins-
                      wig     Burgdörfer,   not sowie Rettungsschiffe auf dem           gesamt überwältigt. Doch was steckt
                      der ehemalige Lei-    Mittelmeer. Die Meinungen zu diesen         hinter den einzelnen Bildszenen? Meist
                      ter des Missiona-     Ereignissen gehen dabei auch unter          werde die Kirche „nur kunsthistorisch
                      risch    Ökumeni-     evangelischen Bürgerinnen und Bür-          betrachtet, nicht theologisch“, sagt
schen Dienstes (MÖD) der Landeskirche.      gern weit auseinander.                      Steffen Schramm. Das hat den Leiter
Aber mit überwältigender Deutlichkeit           Dabei fehlen oft fundierte ethische     des Instituts für kirchliche Fortbildung
habe er gespürt, dass es erstrebenswert     Abwägungen zwischen den einzelnen           der Evangelischen Kirche der Pfalz zum
und möglich sei, auf alles eine Antwort     Positionen. Gerade aus der deutsch-         Buchprojekt bewogen. In zehn Jahren
zu bekommen. Damit leitet Burgdörfer,       sprachigen evangelischen Perspektive        Recherche ist das aufwändig produ-
der gemeinsam mit Klaus Bümlein das                               gibt es bislang       zierte Buch „Sehen mit erleuchteten
im Verlagshaus Speyer erschienene                                 wenige Veröffent-     Augen. Dreifaltigkeitskirche Speyer“
Buch „Weiterfragen … In Glaube und                                lichungen      zum    nun im Fachverlag Schnell und Steiner
Zweifel“ geschrieben hat, die Neuer-                              Thema. In seinem      erschienen.
scheinung ein. Bümlein ist promovierter                           neuen         Buch        Das Buch enthält 115 farbige Ein-
Theologe und ehemaliger Oberkirchen-                              „Flüchtlingsethik“,   zelaufnahmen und Übersichtsbilder. Ein
rat der Evangelischen Kirche der Pfalz.                           erschienen beim       zusätzlicher Beileger zeigt – als eine
    Mit dem Werk unternehmen die                                  Verlag Schöningh,     Art Poster – das Komplettbild der De-
Theologen einen außergewöhnlichen                                 stellt sich der       cke und jedes Emporenbild in seiner
Versuch, den Inhalten des christlichen      pfälzische Akademiedirektor Christoph       Position in der Kirche. Autor Schramm
Glaubens näherzukommen. Sie wollen          Picker dieser Herausforderung: Sein         habe versucht, die Dreifaltigkeitskirche
die vielen Fragen der Bibel ernst neh-      Anliegen ist es, die Thematik in der        durch die „Brille des Glaubens und der
men und daraus einen Leitfaden für          neuen Veröffentlichung ausgewogen           Theologie anzuschauen, weil das Bild-
das eigene Glaubensleben entwickeln.        und aus ethisch-theologischer Perspek-      programm unglaublich theologiehaltig
Und tatsächlich gäbe es in der Bibel        tive zu reflektieren.                       ist und uns der Zugang zur Typologie
unzählige Fragen, auf die es keine ab-          Aus Pickers Sicht sei die Reflexion                            verloren gegangen
schließende Antwort geben kann. Büm-        ethischer Grundlagen nötig, um verant-                             ist“. Aus diesem
lein und Burgdörfer regen deshalb zum       wortlich politische Entscheidungen                                 persönlichen Erle-
Weiterfragen an.                            treffen zu können. „In Sachen Flücht-                              ben entstand die
    Beispielsweise stellen die Autoren      lingsethik besteht nach wie vor erheb-                             Motivation, eine
die Frage Gottes an Kain im 1. Buch         licher Handlungsbedarf“, stellt er in der                          Anleitung zu ge-
Mose: „Wo ist dein Bruder?“. Es folgt ein   Einführung zum Thema fest. In den Ka-                              ben, um “die Bil-
erster, eher intuitiver Blick auf diese     piteln des 114-seitigen Buchs widmet                               der zu lesen“.
Frage, dann ein zweiter, biblisch orien-    er sich zunächst der Darstellung der            Mit dem Buch will Schramm Lese-
tierter Blick. Danach folgt die Einord-     Thematik. Er ermittelt Störfaktoren für     rinnen und Leser einladen, die bibli-
nung in einen aktuellen Kontext. Am         eine konstruktive Debatte, ethisch-         schen Bilder in Bezug zur aktuellen
Ende steht eine weiterführende Frage,       theologische Grundlagen und zeigt           Wirklichkeit zu setzen. Seine Grundthe-
die in diesem Fall lautet: „Kann ein        schließlich konkrete politische Fragen      se heißt: „Diese Kirche will – wie die
Mensch, der mir Bruder und Schwester        nach Begrenzungen und Alternativen          Heilige Schrift – die Wahrnehmung de-
ist, eine unerträgliche Last sein?“ Der     auf.                                        rer verändern, die mit ihr in Kontakt
Leser wird ermutigt, seine eigene Ant-      ‰ Christoph Picker:                         kommen. Deshalb heißt das Buch auch:
wort auf diese Frage zu suchen.             Flüchtlingsethik.                           „Sehen mit erleuchteten Augen“.
‰ Klaus Bümlein, Ludwig Burgdörfer:         Paderborn 2020, 114 Seiten,                 ‰ Steffen Schramm:
WEITERFRAGEN … In Glaube und                eBook (PDF), 29,89 Euro,                    Sehen mit erleuchteten Augen.
Zweifel. Impulse zum fragenden              ISBN 978-3-657-70335-7,                     Dreifaltigkeitskirche Speyer,
Christsein, Speyer 2020, 176 Seiten,        Hardcover, 29,90 Euro,                      Regensburg 2020, 224 Seiten, 28 Euro,
14,90 Euro, ISBN 978-3-947534-13-5.         ISBN 978-3-506-70335-4.                     ISBN 978-3-7954-3566-0.

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