Das vornehmste Recht - Evangelische Kirche der Pfalz
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aus der Evangelischen Kirche der Pfalz Nummer 163 · 2/2020 · www.evkirchepfalz.de P 3730 F Das vornehmste Recht Schwerpunkt: 100 Jahre Kirchenverfassung der Evangelischen Kirche der Pfalz 1920, nach dem Ende des landeskirchlichen Kirchenregiments, Diese Ausgabe erscheint kurz vor den Kirchenwahlen war erstmals seit Gründung der pfälzischen Landeskirche 2020. Presbyterinnen und Presbytern fällt das vornehmste 1818 eine Kirchenverfassung vonnöten. Sie begleitet uns bis Recht zu, die Kirchengemeinde zusammen mit den Pfarrerin- heute und wird fortgeschrieben. In ihr ist im Wesentlichen al- nen und Pfarrern zu leiten sowie das Pfarrwahlrecht auszu- les geregelt, um unsere Kirche durch die Zeiten zu steuern. üben. Die gewählten Mitglieder der Bezirkssynoden ent- 100 Jahre Kirchenverfassung. Das klingt nach trockenem scheiden über die Besetzung des Dekansamtes. Und die Lan- Stoff für Juristinnen und Juristen. Aber es lohnt sich, einen dessynodalen bestimmen, wer Kirchenpräsident oder Kir- Blick in die neuesten INFORMATIONEN zu werfen. Hinter- chenpräsidentin wird. Es ist das vornehmste Recht unseres gründe, Historisches, Theologisches und Personen werden presbyterial-synodalen Prinzips, in allen Belangen von der beleuchtet. Juristen erzählen aus ihrem Arbeitsalltag, der Basis aus mitzubestimmen. Das verdanken wir der Kirchen- von der Kirchenverfassung grundlegend bestimmt wird. verfassung und ihren Vätern. Andreas Rummel
Inhalt Weg vom königlichen Konsistorium 3 Martin Schuck Arbeiter im Paragrafen- dschungel 5 Christine Keßler-Papin Liebe Leserinnen und Leser, Selbstbewusste Repräsentanten 7 liebe Schwestern und Brüder, Klaus Bümlein die Landessynodalen haben entschie- Auch innerhalb des Kollegiums des Willkommen und Abschied 8 den. Sie haben am 19. September 2020 Landeskirchenrats bin ich sehr daran Katja Edelmann/Maik Weidemann ihr vornehmstes Recht wahrgenommen. interessiert, die kommenden Übergänge Von der Taufe bis zum Baum 11 Damit ist die Nachfolge im Blick auf vertrauensvoll zu gestalten. Im Januar André Gilbert/Jill Rohde/ Herrn Oberkirchenrat Dieter Lutz und beginnt für Bettina Wilhelm der Dienst Bettina Wilhelm mich als Kirchenpräsident geklärt. als weltliche Oberkirchenrätin und für Das presbyterial-synodale System Dorothee Wüst im März ihr Dienst als Zum Rechtsfrieden beitragen 14 hat sich wiederum bewährt. Aus insge- Kirchenpräsidentin. Beide sollen gut Helmut Damian samt sieben Kandidatinnen und Kandi- vorbereitet in ihre neue Aufgabe star- Buchtipps 15 daten wurden Bettina Wilhelm zur ten können, so dass gerade auch in den Einladung 16 Oberkirchenrätin und Dorothee Wüst schwierigen Zeiten von Corona die ver- zur Kirchenpräsidentin gewählt. antwortliche Leitung und Verwaltung Es war für unsere Landeskirche ein der Landeskirche gewährleistet ist. historisches Datum, als erstmals in der Nach den Kirchenwahlen am 1. Ad- über 200-jährigen Geschichte der vent werden sich zudem alle kirchli- Evangelischen Kirche der Pfalz sich chen Gremien personell neu aufstellen: zwei Frauen für das Kirchenpräsiden- angefangen bei den Presbyterien über tenamt beworben haben – und nun ab die Bezirkssynoden bis hin zur Landes- dem 1. März 2021 eine Kirchenpräsi- synode. Viele Weichen in die Zukunft dentin die Landeskirche in der Öffent- wurden bereits gestellt, und neue Auf- lichkeit vertritt. gaben werden uns in den kommenden Ein Novum bestand auch darin, dass Jahren herausfordern. So bedanke ich der gesamte Verlauf der Synodaltagung mich bei den Frauen und Männern sehr im Internet übertragen wurde. Das gro- herzlich, die bisher Verantwortung ße Interesse der Öffentlichkeit zeigt übernommen haben und bei denen, die mir, dass wir in Zukunft unsere Ge- neu Verantwortung übernehmen wer- meindeglieder noch transparenter an den. Sie alle begleite Gottes reicher den Entscheidungsprozessen der Lan- Segen. Impressum dessynode teilhaben lassen sollten. Wir In herzlicher Verbundenheit bin ich Informationen für Presbyterien und Mitarbeiter- können stolz darauf sein, wie stark das Ihr schaft der Evangelischen Kirche der Pfalz partizipatorische Moment durch unsere Redaktion: Andreas Rummel (verantwortlich), Kirchenverfassung bereits Berücksichti- Katja Edelmann, Jochen Krümpelmann, Dr. Martin Schuck gung findet. Dieses Kennzeichen unse- Mitarbeiter dieser Ausgabe: Dr. Klaus Bümlein, rer Landeskirche werden wir sukzessive Dr. h. c. Christian Schad Helmut Damian, André Gilbert, Christine Keßler- weiterentwickeln. Kirchenpräsident Papin, Jill Rohde, Dr. Martin Schuck, Bettina Wilhelm Titelfoto: Kirchenpräsident Christian Schad gratuliert seiner Nachfolgerin, Oberkirchenrätin Dorothee Wüst zur Wahl. 19. September 2020, Stadthalle Speyer. (Foto: Landry) Herausgeber: Evangelische Kirche der Pfalz; Landeskirchenrat – Öffentlichkeitsreferat – Domplatz 5, 67346 Speyer; Telefon: 06232 667-145; Fax: 667-199; oeffentlichkeitsreferat@evkirchepfalz.de Verlag und Herstellung: Verlagshaus Speyer GmbH, Beethovenstraße 4, 67346 Speyer
Wählt Kirchenpräsidenten sowie Oberkirchenräte und erlässt Gesetze: Die Synode – hier bei ihrer Tagung am 19. September 2020 in Speyer – ist als kirch- liche Volksvertretung die Inhaberin der Kirchengewalt. (Foto: Landry) Weg vom königlichen Konsistorium Vor 100 Jahren entstand die Verfassung der Evangelischen Kirche der Pfalz Die Verfassung der Evangelischen Kirche der Pfalz entstand vor genau 100 Schluss bildet ein kurzer Abschnitt Jahren. Sie war nötig geworden, weil nach dem Ende des Ersten Weltkriegs „Gemeinsame Bestimmungen“. Damit 1818 auch die alte Zuordnung von Kirche und Staat beendet wurde. Seit der ist schon in der Gliederung der Verfas- Reformation war im Deutschen Reich der jeweilige Landesherr mit der Lei- sung ersichtlich, dass sich die Landes- tung der Kirche beauftragt, hatte also das Amt eines Landesbischofs inne. Im kirche von unten nach oben aufbaut, Falle der pfälzischen Kirche war demnach der katholische bayrische König die Kirchengewalt also ihre Legitimati- gleichzeitig Bischof der Protestanten. Zur Verwaltung der Vereinigten protes- on aus den Wahlen zum Presbyterium tantisch-evangelisch-christlichen Kirche der Pfalz, so der bis 1978 gültige in den Gemeinden bezieht. Name, gab es in Speyer ein königliches Konsistorium, das von einem Konsis- Mit diesen kurzen Ausführungen torialdirektor im Auftrag des Königs geleitet wurde. wäre der Akt der Verfassungsgebung formal hinreichend beschrieben, wenn Dieses landesherrliche Kirchensystem zu erarbeiten, die der Aufgabe der es in Kirchenverfassungen nicht eine endete mit der Abdankung des bayri- Selbstverwaltung in allen kirchlichen Besonderheit gäbe, die über das nor- schen Königs. Die Verfassung der Wei- Körperschaften – also den Gemeinden, male staatliche Verfassungsrecht hi- marer Republik von 1919 erklärte die den Kirchenbezirken und der Landeskir- nausreicht: Kirchenverfassungen ste- herkömmliche Staatskirche für abge- che – gerecht wurde. Dem presbyterial- hen immer vor der Aufgabe, den Be- schafft, beließ den Kirchen jedoch den synodalen Ansatz der Unionskirche kenntnisstand der Landeskirche zu klä- Status als Körperschaften des Öffentli- entsprechend, wurde die neue Verfas- ren und diesem Bekenntnisstand in der chen Rechts. Die Kirchen, so die verfas- sung, die 1920 von der pfälzischen Ordnung der Ämter eine verfassungs- sungsrechtliche Bestimmung, konnten Landessynode beschlossen wurde und gemäße Form zu geben. So erklärt es nun ihre Angelegenheiten selbstständig am 1. Januar 1921 in Kraft trat, in fünf sich, dass in Kirchen mit lutherischem regeln in den Grenzen des für alle gel- Abschnitte gegliedert: Nach dem Ab- Bekenntnis das Amt des Landesbischofs tenden Rechts. schnitt über die Landeskirche im Allge- als Leitendes Geistliches Amt nicht in Damit war die Unionskirche des meinen folgen die drei Abschnitte über Verbindung mit der obersten Verwal- ehemaligen bayrischen Rheinkreises vor die Kirchengemeinde, den Kirchenbe- tungsbehörde steht, die durch einen die Aufgabe gestellt, eine Verfassung zirk und den Landeskirchenrat. Den Konsistorialpräsidenten geleitet wird. 3
Die pfälzische Landeskirche ist hier fast allen Zeiten Gegner. Diese schaff- einen völlig anderen Weg gegangen, ten es, dass die Generalsynode im Jahr der dem Geist ihrer Union von 1818 1853 einen Beschluss zum Bekenntnis entspricht. Als nämlich im Jahr 1818 der pfälzischen Landeskirche fasste, der die Vereinigte-protestantisch-evange- bis heute eine Debatte darüber wach- lisch-christliche Kirche der Pfalz als hält, ob nicht doch ein bestimmtes re- Vereinigung der vormaligen Reformier- formatorischen Bekenntnis, nämlich ten und Lutheraner entstand, wurde al- Philipp Melanchthons „Confessio Au- les nötige in der Vereinigungsurkunde gustana variata“ von 1540, einen Kon- geklärt, und auf diese Vereinigungsur- sens formuliert, in dem alle anderen kunde wurde im Paragrafen 2 der Ver- Bekenntnisse aufgehoben sind. fassung von 1920 vordergründig un- Es ist ein großes Verdienst der Au- scheinbar, aber für die Ordnung der toren der Kirchenverfassung von 1920, Kirche äußerst folgenreich hingewie- diesen Beschluss von 1853 nicht zu er- sen. Der Text des Paragrafen lautete wähnen und stattdessen nur auf die damals: „Das Bekenntnis der Pfälzi- Unionsurkunde zu verweisen. Das er- schen Landeskirche ist ausgesprochen möglichte gleichzeitig auch einen rei- in ihrer Vereinigungsurkunde und deren Trat am 1. Januar 1921 in Kraft: Die Verfassung bungslosen Übergang in der Verwal- gesetzlichen Erläuterungen.“ der Evangelischen Kirche der Pfalz. tung und Leitung der Kirche. Deutlich In dieser Vereinigungsurkunde ste- (Foto: Zentralarchiv) wird das am Amt des obersten Reprä- hen zwei folgenreiche Sätze, die den be- sentanten, dem Kirchenpräsidenten. sonderen Charakter der pfälzischen Kir- Ermöglichung von ungestörter Glau- Seit 1915, also noch in der bayrischen che ausmachen. Der erste dieser Sätze bensfreiheit, so konsequent ernst ge- Zeit, war der Jurist Karl Fleischmann behauptet, dass „es zum innersten und macht. Glaubensgrundlage und Lehr- Konsistorialdirektor. Mit dem Inkraft- heiligsten Wesen des Protestantismus norm ist allein die heilige Schrift, und treten der neuen Verfassung 1921 gehört, immerfort auf der Bahn wohlge- sämtliche altkirchlichen und reforma- wirkte er in der gleichen Funktion wei- prüfter Wahrheit und echt religiöser torischen Bekenntnisschriften sind ge- ter bis 1930; allerdings nannte er sich Aufklärung, mit ungestörter Glaubens- bührend zu achten. Die Inhalte dieser jetzt Kirchenpräsident. Auch sein freiheit mutig voranzuschreiten“. Bekenntnisschriften waren demnach in Amtsnachfolger Jakob Kessler, Kirchen- Das in diesem Satz ausgedrückte der pfälzischen Unionskirche das ganze präsident von 1930 bis 1934, war nicht Programm des Unionsprotestantismus 19. Jahrhundert hindurch Grundlage Theologe, sondern Jurist. bedeutet, dass das Gewissen des ein- für leidenschaftlich geführte theologi- Die Evangelische Kirche der Pfalz zelnen Christen für die einzige wahr- sche Debatten, aber eben nicht zum geht hier im Vergleich mit den anderen heitsfähige Instanz gehalten wird. Nun Glauben vorgegebene Lehrgegenstände, Gliedkirchen der Evangelischen Kirche braucht aber jedes Gewissen, um sich wie dies in lutherischen und reformier- in Deutschland (EKD) einen Sonderweg. zu schärfen, ein Gegenüber, und dieses ten Kirchen mit den dort in der jeweili- Sie verzichtet auf ein Leitendes Geistli- Gegenüber ist dem religiösen Gewissen gen Kirchenordnung genannten Be- ches Amt und entscheidet sich für eine die heilige Schrift sowie die herge- kenntnisschriften der Fall ist. Das be- Verwaltungsspitze, der, je nach Aufga- brachten kirchlichen Bekenntnisse. deutete für die Pfalz, dass sämtliche benbereich, Theologen und Nicht-Theo- Bei letzterem wird der zweite fol- Glaubensaussagen, die seit den Zeiten logen angehören. Gemeinsam bilden genreiche Satz wichtig: „Die protestan- der Alten Kirche als kirchlicher Konsens diese Oberkirchenräte das Kollegium tisch-evangelisch-christliche Kirche gelehrt werden, immer wieder in Frage des Landeskirchenrats, das vom Kir- hält die allgemeinen Symbola und die gestellt und von manchen Theologen chenpräsidenten geleitet wird. bei den getrennten protestantischen für „abgeschafft“ erklärt wurden. Bei- Letztlich billigt die Verfassung dem Konfessionen gebräuchlichen symboli- spielsweise gab es Streit um die Trini- Kirchenpräsidenten zwei Rechte zu, die schen Bücher in gebührender Achtung, tätslehre, um die Person Jesu Christi über diejenigen der Oberkirchenräte hi- erkennt jedoch keinen anderen Glau- und überhaupt um die Frage der Ver- nausgehen: Er ist für die Verteilung der bensgrund noch Lehrnorm als allein die wendung des Apostolischen Glaubens- Geschäftsbereiche im Landeskirchenrat heilige Schrift.“ bekenntnisses im Gottesdienst. zuständig, braucht dafür allerdings das Die in diesem Satz ausgedrückte Vor dem Hintergrund der Betonung Einverständnis der Kirchenregierung; Bekenntnisgrundlage gab nach 1818 der Glaubens- und Gewissensfreiheit in und, sofern er Theologe ist, hat er das der pfälzischen Landeskirche eine ein- der Unionsurkunde waren diese Ausei- Recht, in jeder Gemeinde der Landes- zigartige Stellung im gesamten deut- nandersetzungen um die Lehre legitim, kirche Gottesdienst zu halten – die schen Protestantismus. Keine andere ja sogar geboten. Aber genau deshalb theologischen Oberkirchenräte dürfen Kirche hat mit der Ausdeutung des We- hatte die offene Formulierung des Be- das nur in den ihnen zugewiesenen Kir- sens des Protestantismus, nämlich der kenntnisstands der Landeskirche zu chenbezirken. Martin Schuck 4
Arbeiter im Paragrafendschungel Oberkirchenrat Dieter Lutz geht nach 34 Dienstjahren in den Ruhestand Ist stolz auf die Einführung einer modernen Informationstechnologie im Landeskirchenrat unter seiner Ägide: Oberkirchenrat Dieter Lutz. (Foto: lk) Ende 2020, nach 34 Jahren im Dienst der Evangelischen Kirche der Pfalz, hofft auf eine möglichst hohe Wahlbe- geht Oberkirchenrat Dieter Lutz in den Ruhestand. Die Nachfolge des 62- teiligung. Mit rund 30 Prozent war die Jährigen tritt Anfang des kommenden Jahres Bettina Wilhelm an. pfälzische Landeskirche innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland „Wir sind und bleiben Volkskirche. formationstechnologie, Geschäftslei- (EKD) bisher stets unter den Spitzenrei- Nichts weniger ist unser Anspruch.“ tung und Kirchenwahlen gehören. tern bei der Wahlbeteiligung. Der pfälzische Oberkirchenrat Dieter Wenn am 1. Advent die Presbyterien Rechtssicherheit, Transparenz und Lutz ist zutiefst davon überzeugt, dass in den rund 400 Kirchengemeinden der Dienstleistung sind Begriffe, die der Ju- es sich lohnt, mit ganzer Kraft für den pfälzischen Landeskirche gewählt wer- rist unmittelbar mit seinem Amt ver- christlich-protestantischen Glauben den, zeichnet Lutz mit seinem Team ein bindet. Die presbyterial-synodal aufge- einzutreten. „Das war für mich mein letztes Mal für den reibungslosen Ab- baute Landeskirche entspricht seinen ganzes Arbeitsleben lang Ansporn und lauf verantwortlich. In diesem Jahr ste- innersten Überzeugungen. Es gehöre zu Leitmotiv.“ Ende des Jahres, nach 34 hen die Kirchenwahlen unter besonde- seiner Dienstauffassung, möglichst im- Dienstjahren im Landeskirchenrat der ren Vorzeichen: Aufgrund der Corona- mer ansprechbar und erreichbar zu Evangelischen Kirche der Pfalz, davon Pandemie findet die Stimmabgabe aus- sein. Auch während des Corona-be- 14 als juristischer Oberkirchenrat, tritt schließlich per Briefwahl statt. Zu- dingten Lockdowns, als die Gebäude der 62-Jährige in den Ruhestand. An- gleich wird es vor dem Hintergrund zu- des Landeskirchenrates wochenlang fang 2021 übernimmt seine Nachfolge- rückgehender Kirchenmitgliederzahlen fast menschenleer und viele Mitarbei- rin Bettina Wilhelm das Dezernat, zu „immer anspruchsvoller, die ausrei- terinnen und Mitarbeiter im „Homeof- dessen Aufgaben Rechtsaufsicht, Per- chende Anzahl an Kandidaten zu fin- fice“ waren, sei er jeden Tag von Hei- sonalverwaltung der nichttheologi- den“, sagt Lutz. Noch einmal setzt er delberg nach Speyer ins Büro gefahren. schen Mitarbeiter, die Aufsicht über die seinen ganzen Ehrgeiz in den rechtssi- Gleichwohl ist ihm für die Mitarbeite- landeskirchlichen Tagungsstätten, In- cheren Ablauf des Wahlmarathons und rinnen und Mitarbeiter die Vereinbar- 5
Amtseinführung: Dieter Lutz zieht im Januar 2007 mit dem damaligen Kirchenpräsidenten Eberhard Cherdron in die Gedächtniskirche ein. (Foto: Landry) keit von Beruf und Familie ein großes Einführung einer modernen Informati- ordnungspunkt, den die Synode 2018 Anliegen. Mehrfach ist der Landeskir- onstechnologie in der Landeskirche. Die behandelte: Die Aufhebung der „Kir- chenrat mit dem entsprechenden Qua- Digitalisierung der gesamten Landes- chenzuchtbestimmung“ aus dem Jahr litätssiegel ausgezeichnet worden. kirche, der Relaunch des Intranets, die 1887. „Hat praktisch keine Relevanz Vor allem zwei große Projekte wer- Einführung eines elektronischen Daten- mehr“, lautete Lutz‘ lakonischer Kom- den mit Dieter Lutz verbunden: Er hat – managementsystems und der elektroni- mentar. mit Hilfe eines Beratungsbüros – im schen Personalakte – für den Oberkir- In Dutzenden von Synodalsitzungen Rahmen des von der Landessynode be- chenrat ist das eine „Erfolgsgeschichte“. hat er in unzählige Tagesordnungs- schlossenen Strukturwandels die Orga- Den Idealzustand des „papierlosen Bü- punkte eingeführt, Gesetze auf den nisationsentwicklung des Landeskir- ros“ werde er in den verbleibenden Weg gebracht, Wahlen „beaufsichtigt“ chenrates umgesetzt. In fünf Jahren Wochen seiner Amtszeit wohl nicht und knifflige Rechtslagen erläutert. seien über 120 Maßnahmen zu 90 Pro- mehr erleben. Lutz bekleidet zahlreiche Ehrenämter zent abgewickelt worden: „Ein Riesen- Es gab aber auch Fälle, die ihn um vor allem im diakonischen und ökume- kraftakt“, bilanziert Lutz. Stolz ist der „etliche Stunden Schlaf“ gebracht hät- nischen Bereich. In mehreren Auf- Oberkirchenrat, der seit vielen Jahren ten: Beispielsweise die Sanierung und sichtsgremien waren seine juristischen im Vorstand des kirchlichen Rechen- Erweiterung des Protestantischen Bil- und kaufmännischen Kompetenzen ge- zentrums Südwestdeutschland in Karls- dungszentrums Butenschoen-Campus fragt. Damit sei ohne Wenn und Aber ruhe-Eggenstein ist und als Verfechter in Landau. Unter dem Dach des Ta- am 31. Dezember Schluss, sagt er. „Ich des „papierlosen Büros“ gilt, auf die gungshauses sind vier landeskirchliche bin zwar noch nicht so richtig auf den Bildungsinstitute beheimatet: Das Er- Ruhestand vorbereitet, aber Langeweile ziehungswissenschaftliche Fort- und werde ich bestimmt nicht haben.“ ‰ Hinweis Weiterbildungsinstitut (EFWI), das Pro- Oberkirchenrat Dieter Lutz wurde Die Verabschiedung von Oberkir- testantische Predigerseminar, das Insti- am 28. Juni 1958 in Heidelberg gebo- chenrat Dieter Lutz und Einführung tut für kirchliche Fortbildung und die ren. Nach dem Jurastudium trat er seiner Nachfolgerin Bettina Wilhelm Evangelische Akademie der Pfalz. „Es 1987 als juristischer Referent in den findet am 3. Advent, dem 13. De- gab viele Zusatzwünsche, aber nicht Landeskirchenrat ein. Im Jahr 2000 zember, um 14 Uhr im Rahmen eines mehr Geld. Letztendlich sind wir in der wurde er zum Leitenden Rechtsdirektor Festgottesdienstes in der Speyerer vorgesehenen Zeit fertig geworden, oh- ernannt. Seit 2007 ist Dieter Lutz juris- Gedächtniskirche statt. ne mehr ausgegeben zu haben“, bilan- tischer Oberkirchenrat. ziert Lutz. Eher kurios war ein Tages- Christine Keßler-Papin 6
Selbstbewusste Repräsentanten Das landeskirchliche Konsistorium im Jahr 1920: Zwei Juristen und zwei Theologen Seit den Anfängen der Pfälzischen Unionskirche gehörten zum Leitungskolle- chenpolitischen Gruppierungen an. Der gium in Speyer vier Personen, zwei Nicht-Theologen und zwei Theologen. liberale Flügel war mit Heinrich Trost 1893 hatten sie ihren Dienstsitz im neuerbauten Gebäude am Domplatz be- (1853-1936) vertreten. Der Bauernsohn zogen. Der „Konsistorialdirektor“ war niemals Theologe, sondern meist Jurist. aus Imsbach hatte in Erlangen und in Utrecht studiert. Von 1894 bis 1906 wirkte er als hoch geschätzter Dekan in Winnweiler, zugleich als Schriftleiter des liberalen Gemeindeblatts „Die Uni- on“. Mit einem „Hoch“ auf die Gemein- den nahm er Abschied. Von 1907 bis zu seinem Ruhestand 1927 gehörte Trost dem Konsistorium an. Aus der Kriegs- zeit haben sich Berichte erhalten über die Besuche an der Kriegsfront in Bel- gien und Nordfrankreich 1916/17. Sie bezeugen seine Überzeugung vom Recht der deutschen Sache und von der „Zerstörungswut eines hasserfüllten Feindes“. (Vortrag am 20. März 1917 in Ludwigshafen.) Viele rühmten Trosts noble und respektvolle Art des Um- Das Kollegium des Landeskirchenrats 1920 (von links): Kirchenpräsident Karl Heinrich Fleischmann gangs mit der Pfarrerschaft. mit den Oberkirchenräten Heinrich Trost, Heinrich Drescher und Jakob Eßlinger. (Foto: Zentralarchiv) Mit Heinrich Drescher (1856-1936) war die kirchlich konservative, die „po- Es war ein Glück für unsere Kirche, aus dem Amt 1930 kam die Achtung sitive“ Minderheit in der Kirchenleitung dass der Konsistorialdirektor 1920 der Pfarrerschaft wie der Gemeinden vertreten. Er stammt aus Winterborn, schon fünf Jahre im Amt war. Karl deutlich zum Ausdruck: Der Synodal- dort war sein Vater Lehrer, und absol- Heinrich Fleischmann (1867-1954) war präsident Richard Müller-Mattil rühm- vierte wie Trost sein Studium in Erlan- als Sohn eines Arztes in Freinsheim ge- te „vorbildliche Pflichterfüllung, Sach- gen und Utrecht. Drescher wurde Pfar- boren und hatte das Abitur in Neustadt lichkeit und Gerechtigkeit“. rer in Alsenz und von 1894 bis 1910 abgelegt. Nach dem Jurastudium vor Als zweiter Jurist im Konsistorium Dekan in Homburg. 1910 folgte die Be- allem in München und einigen Jahren wirkte seit 1897 Jakob Eßlinger (1860– rufung nach Speyer, bis 1928 war er im in Lohr folgten Jahre des beruflichen 1926) aus Dürkheim. Nach Jahren in Amt. Anders als der unverheiratete Aufstiegs in Augsburg und Gunzenhau- Sulzbach kam er bereits 1895 nach Trost hatte er Familie, sein Sohn Her- sen, in Ansbach und 1913 in München. Speyer. Eßlinger konnte eine fundierte mann (1893-1959) war ebenso Pfarrer Bei seiner Berufung ins Amt des Kon- Rechts- und Verwaltungserfahrung wie Dreschers jüngerer Bruder Karl sistorialdirektors 1915 bestimmte be- einbringen. Seine „Plauderei von einem (1859-1944). Drescher engagierte sich reits der Erste Weltkrieg stark das alten Derkemer“, mehrfach aufgelegt, in der Diakonie, von 1915 bis 1927 war kirchliche Leben in der Pfalz. Vier Mal erweist ihn als gemütvollen Erzähler, er Vorsitzender im Verwaltungsrat der besuchte Fleischmann Truppenteile. fortschrittlich aufgeklärt und mit Sinn aufstrebenden Diakonissenanstalt. Dem Reformationsjubiläum 1917 sollte für die Prozesslust der Pfälzer. Ans En- Auch kirchengeschichtlich trat er mit der hundertste Geburtstag der Union de rückte er den Wunsch für die Win- Publikationen hervor. folgen. Doch die außerordentliche „Ge- zer, dass „unser Herrgott diesen braven Alle vier Mitglieder im Kollegium neralsynode“ musste für 1918 abgesagt Stand nicht wird zugrunde gehen las- waren Pfälzer, aus verschiedenen Regio- werden. An der Entwicklung der neuen sen.“ Bei seinem Rücktritt 1923 dankte nen. Alle hatten sie im Studium und wie Kirchenverfassung hatte Fleischmann ihm Fleischmann für seine „treue und die Juristen zusätzlich auf ihrem Berufs- einen hohen Anteil. Er galt als hervor- überaus ersprießliche Dienstleistung.“ weg Kontakte mit Bayern. Für alle vier ragender Verwaltungsfachmann und Die Juristen, vor allem der Konsisto- war die Herausforderung groß, aus dem als umgänglicher wie selbstbewusster rialdirektor ließen sich nicht kirchenpo- alten Kirchensystem in eine neue Ge- Repräsentant der Pfälzischen Kirche in litisch festlegen. Die beiden Theologen stalt der protestantischen Kirche der der Öffentlichkeit. Bei seinem Abschied dagegen gehörten einer der beiden kir- Pfalz hinein zu finden. Klaus Bümlein 7
Willkommen und Abschied Ein Gespräch mit und zwischen Kirchenpräsident Christian Schad und Vikarin Daniela Hegel Zwei Generationen an einem Tisch: Der eine geht, die andere kommt – der Kirchenpräsident tritt bald in den Ruhestand, die Vikarin beginnt in Kürze ihren Pfarrdienst. Christian Schad und Daniela Hegel haben sich über ihren Glauben, die Digitalisierung und die Zukunft der Kirche unterhalten. Das Interview führte Vikar Maik Weidemann und Katja Edelmann hat den Text redigiert. Kirchenpräsident Schad, Sie gehen Ende Herr Schad, wie geht es Ihnen, wenn Sie Hegel: Ein Kind vergrößert natür- Februar in den Ruhestand. Worauf das Wort „Ruhe-stand“ hören? lich die Herausforderungen. Und freuen Sie sich? Schad: Irgendwie passen „ruhen“ gleichzeitig glaube ich, dass mich diese Schad: Die Vorstellung, ich könnte und „still stehen“ nicht zu mir. Ich habe Lebenserfahrung persönlich sehr viel mich auf den Ruhestand vorbereiten, in meinen Beruf immer für die Sache weiterbringen wird. Dadurch kann ich ist verfehlt – vor allem wegen Corona. gebrannt und mich vielseitig engagiert, besser verstehen, was Eltern umtreibt. Umso mehr freue ich mich, dass ich ab wenngleich mir dabei meine Fragment- Als „Mama“ werde ich Gelegenheit ha- 1. März eine Nachfolgerin habe: Doro- haftigkeit stets deutlich vor Augen ben, ins Gespräch mit Menschen zu thee Wüst ist die erste Kirchenpräsi- steht. Deswegen wird es bei mir im kommen, die ich als Pfarrerin eher sel- dentin in der Geschichte unserer Lan- Wortsinn keinen Ruhe-stand geben. Ich ten sehen würde. Ich weiß aber auch, deskirche. Ich werde alles mir Mögliche habe zurzeit fast zu viele Angebote, dass es für Pfarrerskinder manchmal tun, um einen guten Übergang zu ge- mich ehrenamtlich zu engagieren. Ich nicht ganz einfach ist – zumal mein währleisten. war und bin mit Leib und Seele Theolo- Mann ja auch Pfarrer wird. Da müssen ge und Ökumeniker. So sehe ich im Be- wir eine gute Balance finden. Daniela, du stehst an einem ganz reich der theologischen Wissenschaft Schad: Dazu fällt mir ein Satz von anderen Punkt: Im März 2021 steht ein und im ökumenischen Dialog zwei Auf- Martin Luther ein, der zusammen mit Pfarramt an. Worauf freust du dich? gabenfelder, auf denen ich mich wei- der Aufforderung „Sola Scriptura – Al- Hegel: Auf jeden Fall weiterhin auf terhin betätigen werde. Ansonsten lein die Schrift!“ zu hören ist. Er lautet: tolle und neue Menschen, die ich ken- bleibe ich Ordinierter dieser Landeskir- „Allein die Erfahrung macht den Theo- nenlerne, ganz neue Erfahrungen und che, also beauftragt, den Menschen das logen, die Theologin!“ Das heißt, die eine spannende Zeit. Das Evangelium Evangelium von Jesus Christus weiter- existenziellen Erfahrungen, die Sie ma- ist ja nichts, wenn man es nicht zu je- zusagen und Sakramente zu spenden. chen, haben gerade in Verbindung mit mandem bringt und teilt. Die Mensch- dem Evangelium Gewicht. Sie bringen lichkeit ist das Entscheidende am Daniela, du bist frisch verheiratet. Dein sie als Pfarrerin ein und verleihen Ih- Christentum. Durch das Vikariat habe Mann und du erwartet nächstes Jahr rem Reden und Tun Authentizität. ich einen kleinen Einblick gehabt und euer erstes Kind. Gleichzeitig beginnst jetzt geht es da halt weiter, auch wenn du mit der Tätigkeit als Pfarrerin. Herr Kirchenpräsident, wie haben Sie es noch ein paar Fragezeichen gibt. Welche Gedanken hast du dazu? die Vereinbarkeit von Ihrem Amt und 8
Die eine kommt, der andere geht: Vikarin Daniela Hegel im Gespräch mit Kirchenpräsident Christian Schad (rechts). Das Interview moderierte Vikar Maik Weidemann (links). (Foto: lk/Landry) Beruf mit der Familie erlebt in der gefallen, aber es haben sich ganz neue Also sollten wir Kirche auf breitere Füße Rückschau? gestellt. Es ging darum, sich neue Wege stellen, um auch Leute mit ihren Schad: Nicht immer einfach. Die Si- zu überlegen, wie man mit der Ge- Bedürfnissen zu erreichen, die wir tuation von Frau Hegel, deren Mann meinde weitermachen kann. Ich fand vorher nicht im Blick hatten? Theologe ist, ist mit meiner vergleich- es faszinierend, wahrzunehmen, wie Schad: Die Corona-Pandemie ruft bar. Allerdings musste ich zu Beginn viele Menschen aktiv geworden sind, uns unüberhörbar in Erinnerung, dass meiner Berufstätigkeit, wie viele – ich von denen man es im gemeindlichen wir verletzlich und verwundbar – und gehöre der Generation an, die man mit Alltag nicht mitbekommt. Beim Thema unsere Pläne und Sicherheiten endlich dem wenig freundlichen Wort „Theolo- Digitalisierung lag mir die Verbindung und brüchig sind. Mitte März erreich- genschwemme“ tituliert hat – eine von Digitalem und Analogen besonders ten uns darüber hinaus die Schreckens- Pfarrstelle mit meiner Frau teilen. Es am Herzen. Wir haben Video-Andach- bilder aus Norditalien. Der Tod vieler war die Pfarrstelle Weingarten, damals ten gestaltet, die Kirchen zum persönli- Menschen stand uns unmittelbar vor kombiniert mit dem Seelsorgeauftrag chen Gebet offengelassen, abends die Augen. Da hatten wir das spontane in der Evangelischen Studierendenge- Glocken geläutet und vieles mehr – das Verlangen, in unsere Kirchen zu gehen meinde Germersheim. Faktisch haben war wichtig für viele Menschen. Es ha- und zu beten, Gemeinschaft, Nähe, wir damals aber zusammen mit 200 ben sich dann auch viele bei uns ge- Trost zu erfahren. Doch der dann fol- Prozent gearbeitet. Da besteht leicht meldet, die sonst nicht in die Kirche gende Shutdown auch bei uns schränk- die Gefahr, im Beruf unterzugehen. gehen. Da sind neue Frömmigkeitsfor- te diese Möglichkeit massiv ein. In die- men deutlich geworden. ser Situation schossen daraufhin Strea- Wenden wir uns einem Thema zu, das In Zukunft sollten wir versuchen, ming-Gottesdienste wie Pilze aus dem Kirche in den letzten Monaten stark Strukturen auch für Menschen zu Boden. Aber ebenso auf analogem Weg verändert hat: die Digitalisierung. schaffen, die offensichtlich ein spiri- suchten Kirchengemeinden den Kon- Daniela, wie hast du den Lockdown in tuelles Interesse an Glaubensdingen takt zu ihren Gemeindegliedern. Darü- der Kirche erlebt? haben, sich aber im Moment nicht auf- ber hinaus haben wir auch im kirchli- Hegel: Ich bin dankbar, dass ich im gehoben bei uns fühlen. Gleichzeitig chen Bereich verstärkt die Möglichkeit Frühjahr im Gemeindevikariat war. Die dürfen wir dabei die Menschen nicht des Home-Office angeboten und damit üblichen Aufgaben sind durch den verlieren, die sich wohl fühlen in der für die bessere Vereinbarkeit von Beruf Lockdown plötzlich größtenteils weg- Kirche, wie sie sie kennen. und Familie gesorgt. Nach dem Lock- 9
down habe ich in meinem nächsten che mit Ehrenamtlichen ganz neu zu Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Umfeld allerdings auch erlebt, wie gestalten. Das soll nicht heißen, dass Herzen, von ganzer Seele und von gan- Menschen aus Freude geweint haben, ich Menschen in ihrer Freizeit noch zem Gemüt … und deinen Nächsten als sie sich wiedersahen und unmittel- mehr Arbeit auflasten möchte, sondern wie dich selbst.“ Gottes-, Nächsten- bare Gemeinschaft erlebten. Es geht al- im Gegenteil, dass da Potential steckt und Selbstliebe bilden hier eine Einheit. so gar nicht um die Alternative „digi- in vielen Menschen, in der Liebe von Selbstsorge hat vor allem auch eine tal“ oder „analog“. Sondern beides hat Menschen zueinander. Und das ist et- geistliche Dimension. So sind für mich sein Recht und wird sich in Zukunft was, was ich in dieser Krise stark be- das tägliche Gebet, Luthers Morgen- noch sehr viel stärker wechselseitig er- merke, zum Beispiel, wenn junge Leute und Abendsegen, die Lektüre der Lo- gänzen. anbieten: „Ich möchte für Menschen, sungen und kleine Oasen der Stille Hegel: Ich gehe da sehr viel mit. die nicht mehr können, einkaufen ge- Kraftquellen. Darum mein Rat: „Reser- Und andererseits bin ich nicht ganz so hen“. Ich sehe in Zukunft weniger den viere Dir Zeiten mit Gott als Ressource euphorisch, was uns als Kirche in dieser Kirchturm und den Pfarrer auf der Kan- Deines persönlichen Glaubens.“ Wer Zeit angeht. Dort wo Kommunikation zel, als den Pfarrer mitten unter den barmherzig ist mit sich selbst, wird gelungen ist, wo unerwartete Verbin- Menschen, die miteinander das Leben, auch barmherzig sein im Umgang mit dungen aufgetaucht sind, habe ich das die Kirche, ihr Christsein gestalten. anderen. als sehr bereichernd empfunden. Aber Schad: Hier bin ich etwas verhalte- ich muss sagen, bei mir bleibt auch ein ner. Ich denke, da sind wir einer Mei- Daniela, du begegnest deinem älteren ganz großer Schmerz stehen über die nung: Wir werden eine zahlenmäßig Ich. Was würdest du deinem älteren Ich nicht gelungene Kommunikation, die kleinere und finanziell ärmere Kirche raten? wir trotz Social Media nicht geschafft werden. Das hat zur Folge, dass wir uns Hegel: „Pass auf, denn das Wich- haben, nämlich mit Menschen, die sich von manchen Arbeitsfeldern verab- tigste ist, dass das Feuer nicht aufhört von Kirche alleingelassen fühlen. schieden müssen. Und das tut weh und zu brennen!“ Das ist ein wunderbarer Schad: Ja, da stimme ich Ihnen zu, wird zu Trauerprozessen führen. Wir Satz vom Sänger Jan Delay. Bewahr‘ Dir Frau Hegel. Rückblickend sage auch ich haben in unserer Landeskirche 2019 die Liebe und das Kind in Dir. selbstkritisch, dass wir manche nicht über 5800 Kirchenmitglieder verloren. erreicht haben, die unseren Beistand Wenn überhaupt, werden sie aber nur und unsere Hilfe dringend gebraucht einzeln zurückzugewinnen sein. Darum hätten: beispielsweise junge Familien sind Strukturen notwendig, die die Zu- mit Kindern. Auch hätten wir alte und spitzung auf die authentische Begeg- pflegebedürftige Menschen, die sich oft nung mit einzelnen Menschen ermögli- einsam und isoliert fühlten, früher in chen, das heißt konkret: auf die per- den Blick nehmen müssen. Deshalb set- sönliche Begegnung und das Zusam- ze ich mich dafür ein, dass es ein völli- menleben von Christen mit denen, für ges Besuchsverbot in Alten- und Pfle- die der Glaube etwas völlig Fremdes geheimen nicht mehr geben darf. Auch, geworden ist. Um Haupt- und Ehren- dass Seelsorgerinnen und Seelsorger – amtliche dabei nicht zu überfordern, unter Beachtung der Schutzmaßnah- müssen wir wechselseitig noch viel men – Menschen in Krankenhäusern stärker kooperieren. Einzelne Gemein- ‰ Zur Person: ungehindert besuchen dürfen. den können Schwerpunkte, ihr beson- Dr. h. c. Christian Schad, geboren deres Profil entwickeln. Und sollen sich 1958 in Ludwigshafen, Theologiestu- Ihnen beiden ist die Kirche wichtig, die fragen: Worin sind wir stark? Wen kön- dium in Bethel, Tübingen und Bonn nah bei den Menschen ist. Wie sieht sie nen wir erreichen? Wo können wir von 1976 bis 1983, Gemeindepfarrer in den kommenden Jahren aus? Schritte über unsere Grenzen hinaus und Studierendenseelsorger in Wein- Hegel: Ich bin sicher, dass sich sehr tun? Aber auch: Was können andere garten und Germersheim, Referent viel verändern wird. Das Entscheidende: besser? Wo können wir von anderen im Landeskirchenrat, Dozent am Pre- Kirche möchte ich nicht als starre profitieren? digerseminar, zehn Jahre Oberkir- Struktur begreifen, sondern als Ort, wo chenrat und zwölf Jahre Kirchenprä- Christen zusammenkommen, als Ge- Herr Schad, wenn Sie sich an den sident. meinschaft von Glaubenden. Dazu zäh- Beginn Ihres Dienstes zurückversetzen, le ich – ganz wichtig – auch alle was würden Sie sich selbst raten? Daniela Hegel, geboren 1986 in Lud- Zweifler und Menschen, die sich in ir- Schad: Ich habe Frau Hegel im wigshafen, Theologiestudium in Hei- gendeiner Form verbunden fühlen, aber Blick, wenn ich sage: „Sorge auch für delberg und Erlangen, Beginn des Vi- vielleicht nicht direkt mit der Instituti- Dich selbst!“ Dabei fällt mir das Dop- kariats 2018 in Schifferstadt und on zu tun haben. Ich glaube, dass da- pelgebot der Liebe ein, das eigentlich Speyer. raus das Potenzial erwächst, diese Kir- ein Dreifachgebot ist: „Du sollst den 10
Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt, zum Beispiel wegen Laub: Kirchliche Gebäude wie hier das alte Verwaltungsgebäude in der Speyerer Roß- marktstraße können zum Mittelpunkt juristischer Auseinandersetzungen werden. (Foto: lk) Von der Taufe bis zum Baum Das Kirchenrecht gibt Orientierung und erleichtert die Entscheidung Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen haben im Vergleich zum kündigung nicht beeinträchtigt wird. staatlichen Recht besondere rechtliche Regelungen, beispielsweise bei der Das Ansehen der Kirche soll keinen Mitbestimmung oder beim Dienstrecht. Für Situationen, die es so zuvor nicht Schaden nehmen. gab, entwickeln die Kirchenjuristinnen und -juristen der Landeskirche neue Kirchenjuristinnen und -juristen Regelungen. müssen also öfter Situationen regeln oder bewerten, für die es entweder kei- Zwei Juristinnen und ein Jurist sind in tungsrecht abweichen. Denn der Staat ne, nur sehr rudimentäre oder unpas- der pfälzischen Kirchenverwaltung da- muss der Kirche eigene Möglichkeiten sende „weltliche“ Regelungen gibt. Der mit beschäftigt, Regelungen für kirchli- geben, die Dienstverfassung im Sinne Grund: „Entweder gab es bisher noch che Angelegenheiten auf den Weg zu des christlichen Bekenntnisses zu ge- keinen Bedarf für solche Regelungen bringen, und „maßgeschneiderte“ Lö- stalten. So steht es im Grundgesetz. oder die Verhältnisse haben sich geän- sungen zu erarbeiten. Die Kirche sowie Ein weiteres Beispiel ist das Dienst- dert. Daher kommt es häufiger vor, dass ihre diakonischen und pädagogischen und Besoldungsrecht der Pfarrerinnen die Regelungsdichte in diesem Bereich Einrichtungen haben besondere Rechte. und Pfarrer: Ihre Besoldung orientiert geringer ist, als im staatlichen Recht“, Die Basis dafür ist ihr Selbstorganisati- sich weitestgehend am staatlichen sagt André Gilbert. onsrecht. Recht, ist jedoch nicht deckungsgleich. Ein dritter exemplarischer Vorgang: Beispielsweise können Mitbestim- Im Dienst und in ihrem Privatleben sind Bislang war die Zahl der zu wählenden mungsrechte der kirchlichen Beschäf- Pfarrerinnen und Pfarrer verpflichtet, weltlichen Bezirkssynodalen an die tigten vom üblichen staatlichen Be- sich so zu verhalten, dass die Glaub- Zahl der Pfarrstellen pro Kirchenge- triebsverfassungs- und Personalvertre- würdigkeit der Kirche und ihrer Ver- meinde geknüpft. Doch mittlerweile 11
das Recht gar keine Handlungsspiel- räume bietet“. Ein Beispiel dafür: Ein Kirchenmit- glied hatte den Wunsch, von der Kir- chensteuerpflicht entbunden zu wer- den, und seinen Beitrag dann in Form von Spenden zu leisten. Dem konnte nicht entsprochen werden, da das Kir- chensteuerrecht weitestgehend durch zwingendes staatliches Recht geregelt ist. In einem solchen Fall kann das Kir- chenrecht nicht davon abweichen. Ein anderer Fall: Nach dem evange- lischem Verständnis kann die Taufe als geistliches Band zwischen Gott und Mensch kirchenrechtlich nicht gelöst werden. Denn das Handeln Gottes kann durch das Handeln des Menschen nicht rückgängig gemacht werden. Doch weil Kirche und Geld: Auch die Kirchensteuer ist oft Thema für die Kirchenjuristen. (Foto: epd) die Kirchenmitgliedschaft auch recht- lich relevante Konsequenzen für das hat sich die Ausgangslage geändert: haben zu wenig Relevanz oder Bedeu- Mitglied hat und zum Beispiel eine Pfarrstellen umfassen immer häufiger tung, um eine eigene Rechtsregelung Steuerpflicht auslösen kann, hat das Teile unterschiedlicher Kirchengemein- zu entwickeln. „In solchen Fällen Bundesland die Beendigung der Kir- den oder zusätzliche Sonderaufgaben. schlägt dann tatsächlich die Stunde der chenmitgliedschaft – durch Austritt Daher wurden die Kirchenverfassung Juristin oder des Juristen“, sagt Bettina mit bürgerlicher Wirkung – umfassend und die Wahlordnung geändert. Wilhelm. „Dann gilt es im Wege der geregelt. Die Verheißung auf die Glied- Viertes Beispiel: Im November 2018 Auslegung eine Lösung zu finden, die schaft am Leib Christi bleibt davon wurde die neue Kirchengemeindeord- rechtlich vertretbar ist und zu sachge- freilich unberührt. nung verabschiedet. Sie regelt zum ei- rechten Lösungen führt, die den kirchli- nen bisher ungeschriebene Verwal- chen Interessen möglichst entgegen tungsvorgänge. Zum anderen fasst sie kommt“. Auslotung des wiederkehrende Rechtsfragen für Pfar- Wie bei der Arbeitnehmerüberlas- rerinnen und Pfarrer, Presbyterinnen sung – es teilen sich zum Beispiel meh- bestehenden Spielraums und Presbyter in einem Gesetz zusam- rere Kirchengemeinden eine Pfarramts- men. Vorher waren die Regelungen sekretärin, aber die Anstellung erfolgt Auch beim Religionsunterricht gibt es über zahlreiche Spezialgesetze ver- nur über ein Pfarramt, das die Perso- wenig Handlungspielraum: Ein evange- streut. nalkosten dann auf alle umlegt. Bei lisch getauftes Kind ist verpflichtet, am dieser Überlassung, die im Rahmen der evangelischen Religionsunterricht teil- Religionsausübung erfolgt, konnte sich zunehmen, wenn dieser in der Schule Nicht alle die Landeskirche mit der Bundesagen- angeboten wird. Es hat kein Wahlrecht tur für Arbeit bei der Rechtsauslegung zwischen evangelischem und katholi- Probleme lösbar darauf einigen, dass diese nicht wirt- schem Religionsunterricht. Nur unter schaftlich und damit nicht erlaubnis- Berufung auf Gewissensgründe kann Ein weiteres Exempel ist das Erpro- pflichtig ist. Das heißt: Die Bereiche der Ethikunterricht besucht werden. bungsgesetz. Damit eröffnet die Lan- Verkündigung, Seelsorge, Liturgie, Kir- Kirchenjuristinnen und Kirchenjuris- deskirche den Kirchengemeinden und chenmusik sowie der Religionsunter- ten loten bestehende Handlungsspiel- Kirchenbezirken die Möglichkeit, neue richt als Kernaufgaben zur Verbreitung räume aus und beraten die kirchlichen Organisationsstrukturen auszuprobie- des Glaubens unterliegen nicht dem Entscheidungsgremien. „Oftmals wer- ren und dabei teilweise vom geltenden Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung. den rechtliche Vorschriften dabei als Recht abzuweichen. „Nicht immer ist es dabei möglich, eine Belastung und Einschränkung Nicht immer ist es möglich oder an- alle Wünsche vollständig zu erfüllen“, wahrgenommen, die die Arbeit von gebracht, Situationen durch neue weiß Jill Rohde aus Erfahrung. „Wie kirchlichen Entscheidungsgremien be- Rechtssetzung zu lösen. Denn bei man- dargestellt, sind auch die Kirchen ver- hindern und erschweren“, stimmen chen Angelegenheiten reicht der zeitli- pflichtet, sich rechtskonform zu verhal- Wilhelm, Rohde und Gilbert überein. che Vorlauf nicht aus, andere Themen ten. Selten kommt es jedoch vor, dass Dieser Eindruck sei sicherlich zum Teil 12
nachvollziehbar. „Denn um einen Inte- der Entscheidung, insbesondere bei aufsichtsrechts sein, „auch wenn diese ressenausgleich herbeizuführen, wie es schwierigen, konfliktträchtigen Angele- oftmals in besonderem Maße als ein- die Aufgabe des Rechtes ist, ist es un- genheiten. Zwingende Rechtsvorschrif- engend empfunden werden“, so die drei abdingbar, dass alle beteiligten Interes- ten schaffen die eindeutige Möglich- Rechtsexperten. Die Aufsicht soll den sen ein Stück weit beschränkt werden keit, dass Kritik an der Entscheidung kirchlichen Entscheidungsträgern bei müssen.“ zurückgewiesen werden kann. rechtlich oder finanziell „riskanten“ Beispielsweise geht es bei der Frage, Maßnahmen zur Seite stehen. Sie soll ob ein Pfarrhaus saniert oder vielleicht darauf hinwirken, Gefahren zu vermei- verkauft werden soll, nicht nur um Sa- Kirchenaufsicht den oder zumindest zu verringern. nierungskosten. Die Kirchengemeinden Oftmals genügt es, die Risiken aufzu- sind verpflichtet, ihrer Pfarrerin oder verdeutlicht Gefahren zeigen und auf deren mögliche Konse- ihrem Pfarrer ein angemessenes Pfarr- quenzen hinzuweisen, um die kirchli- haus zu stellen. Das ist ihr Beitrag zur Beispielsweise wenn ein Nachbar sich chen Entscheidungsträger davon zu Pfarrbesoldung. Sollte das Pfarrhaus über die Arbeit mit dem Laub be- überzeugen, ein alternatives Vorgehen verkauft werden, müsste die Kirchen- schwert, das von einem Baum abfällt, umzusetzen. Wenn zum Beispiel ein gemeinde eine andere Wohnmöglich- der unter Naturschutz und auf einem Presbyterium den Kauf eines Gebäudes keit kaufen oder anmieten oder aber kirchlichen Grundstück steht. Um die plant. Die Kirchenaufsicht überzeugt den Besoldungsbeitrag der Landeskir- Arbeit zu vermeiden, verlangt er die das Gremium, es nicht zu tun. Denn che erstatten – zurzeit etwa 9000 Euro Fällung des Baumes. Das Presbyterium detaillierte Berechnungen weisen nach, im Jahr. weist das mit dem Hinweis auf das gel- dass sich das Gebäude nicht kostende- Auf der anderen Seite bietet das tende Recht zurück, das dem Eigentü- ckend nutzen lässt und die finanziellen Recht den kirchlichen Entscheidungs- mer die Entfernung eines solchen Bau- Möglichkeiten der Kirchengemeinde trägern auch einen Handlungsrahmen, mes untersagt. Ähnlich hilfreich kön- übersteigen würde. André Gilbert, Orientierung und eine Erleichterung bei nen auch die Vorschriften des Kirchen- Jill Rohde und Bettina Wilhelm Erarbeiten Regelungen für kirchliche Angelegenheiten (von links): Bettina Wilhelm, Jill Rohde und André Gilbert. (Foto: lk) 13
Zum Rechtsfrieden beitragen Die Aufgaben des Verfassungs- und Verwaltungsgerichts der Landeskirche Das Verfassungs- und Verwaltungsgericht der Landeskirche wurde durch ein Landeskirchenrats gegenüber einer Kir- kirchliches Gesetz vom 17. Oktober 1959 errichtet; in der Verfassung der chengemeinde wegen einer nicht ge- Landeskirche ist es nicht verankert. nehmigten, gegen Denkmalschutzrecht verstoßenden Baumaßnahme an einem Kirchengebäude. Einen Schwerpunkt der Rechtsprechung bildeten schließ- lich Verfahren zum Recht der Pfarrbe- soldung. In einem Gutachten zum Anschluss der Kirchengemeinden an Verwaltungs- ämter hat das Gericht seine bis dahin ergangene Rechtsprechung zur Stel- lung der Kirchengemeinde bestätigt. Es hat betont, dass die Kirchenverfassung der Kirchengemeinde eine herausra- gende Stellung beimesse, ihr aber kein Recht auf Selbstverwaltung zuerkenne, das demjenigen der politischen Ge- meinde gleichkäme. Landeskirche und Kirchengemeinde seien gleichermaßen Kirche und deren Auftrag verpflichtet. War 24 Jahre lang Vorsitzender des landeskirchlichen Verfassungs- und Verwaltungsgerichts: Hel- Bei der Erfüllung dieses Auftrags hät- mut Damian (links) mit Kirchenpräsident Christian Schad. (Foto: lk) ten sie als Dienstgemeinschaft zusam- menzuwirken. Mit dem Begriff der Das Verfassungs- und Verwaltungsge- staatlichen Recht entwickelt wurden. Dienstgemeinschaft hat das Gericht in richt der Landeskirche entscheidet auf Zu nennen sind hier zum Beispiel das seinen Entscheidungen auch das Ver- Antrag unter anderem über die Recht- Verbot willkürlichen Handelns, der hältnis von Landessynode, Kirchenre- mäßigkeit des dem öffentlichen Recht Grundsatz des rechtlichen Gehörs oder gierung und Landeskirchenrat gekenn- zuzuordnenden kirchlichen Verwal- der Grundsatz des Vertrauensschutzes. zeichnet und die Kompetenz der letzt- tungshandelns mit Ausnahme von Kir- Die bisher ergangenen Entscheidun- genannten Organe zur Rechtssetzung chensteuer- und Disziplinarangelegen- gen betreffen zahlreiche Rechtsberei- bekräftigt. heiten und über öffentlich-rechtliche che. So wurde das Gericht wiederholt Damit hat das Gericht zugleich sei- Streitigkeiten zwischen kirchlichen zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit ne eigene Stellung umschrieben: In sei- Körperschaften. Es kann auch zur Über- kirchlicher Wahlen angerufen, musste nem Bemühen, Rechtssicherheit zu prüfung der Vereinbarkeit eines kirchli- über das Recht der Namensbezeich- schaffen und damit zum Rechtsfrieden chen Gesetzes oder einer kirchlichen nung von Kirchengemeinden entschei- beizutragen, ist es selbst Teil dieser Rechtsverordnung mit höherrangigem den und hatte die Anforderungen an dem Auftrag der Kirche verpflichteten Recht angerufen oder mit der Erstat- die Rechtmäßigkeit der Rückforderung Dienstgemeinschaft. Helmut Damian tung eines Rechtsgutachtens beauf- von Zuwendungen an eine Kirchenge- tragt werden. Das Gericht trifft seine meinde für Baumaßnahmen an der von Entscheidungen im Rahmen des durch der Kirchengemeinde zu unterhalten- das Gesetz vom 17. Oktober 1959 fest- den Pfarrwohnung zu klären. In mehre- gelegten Verfahrens unparteilich und in ren Verfahren befasste sich das Gericht ‰ Zum Autor richterlicher Unabhängigkeit. Maßstab mit Fragen des Zugangs zum öffent- Helmut Damian war bis zu seinem seiner Entscheidungen sind die Vor- lich-rechtlichen Pfarrdienstverhältnis Ruhestand Vorsitzender Richter am schriften des kirchlichen Rechts ein- und der Besetzung einer Gemeinde- Verwaltungsgericht Neustadt und schließlich der Bestimmungen der Kir- pfarrstelle durch die Kirchenregierung von 1996 bis Juli 2020 Vorsitzender chenverfassung. Zum kirchlichen Recht in einer Konkurrenzsituation. Gegen- des Verfassungs- und Verwaltungs- gehören auch ungeschriebene allge- stand eines weiteren, über den Einzel- gerichts der Evangelischen Kirche der meine Rechtsgrundsätze, wie sie unter fall hinaus bedeutsamen Verfahrens Pfalz (Protestantische Landeskirche). der Geltung des Grundgesetzes im war eine aufsichtliche Verfügung des 14
Buchtipps Wenn Christen fragen und Theologische Antwort auf die Biblische Bilder ins Jetzt zweifeln Flüchtlingsfrage übertragen „In meiner ersten Die Debatte ist noch immer hitzig und Wer die Speyerer Dreifaltigkeitskirche kleinen Welt sind emotional – und sie bleibt aktuell. Die betritt oder sie bei Fernsehgottesdiens- Fragen nicht will- sogenannte „Flüchtlingskrise“ lässt an ten gesehen hat, ist von der vollständig kommen gewe- 2015 denken, an ankommende Züge bemalten Decke, 35 Bilderpaaren auf sen“, schreibt Lud- am Münchner Hauptbahnhof und See- der Doppelempore und 96 Bildern ins- wig Burgdörfer, not sowie Rettungsschiffe auf dem gesamt überwältigt. Doch was steckt der ehemalige Lei- Mittelmeer. Die Meinungen zu diesen hinter den einzelnen Bildszenen? Meist ter des Missiona- Ereignissen gehen dabei auch unter werde die Kirche „nur kunsthistorisch risch Ökumeni- evangelischen Bürgerinnen und Bür- betrachtet, nicht theologisch“, sagt schen Dienstes (MÖD) der Landeskirche. gern weit auseinander. Steffen Schramm. Das hat den Leiter Aber mit überwältigender Deutlichkeit Dabei fehlen oft fundierte ethische des Instituts für kirchliche Fortbildung habe er gespürt, dass es erstrebenswert Abwägungen zwischen den einzelnen der Evangelischen Kirche der Pfalz zum und möglich sei, auf alles eine Antwort Positionen. Gerade aus der deutsch- Buchprojekt bewogen. In zehn Jahren zu bekommen. Damit leitet Burgdörfer, sprachigen evangelischen Perspektive Recherche ist das aufwändig produ- der gemeinsam mit Klaus Bümlein das gibt es bislang zierte Buch „Sehen mit erleuchteten im Verlagshaus Speyer erschienene wenige Veröffent- Augen. Dreifaltigkeitskirche Speyer“ Buch „Weiterfragen … In Glaube und lichungen zum nun im Fachverlag Schnell und Steiner Zweifel“ geschrieben hat, die Neuer- Thema. In seinem erschienen. scheinung ein. Bümlein ist promovierter neuen Buch Das Buch enthält 115 farbige Ein- Theologe und ehemaliger Oberkirchen- „Flüchtlingsethik“, zelaufnahmen und Übersichtsbilder. Ein rat der Evangelischen Kirche der Pfalz. erschienen beim zusätzlicher Beileger zeigt – als eine Mit dem Werk unternehmen die Verlag Schöningh, Art Poster – das Komplettbild der De- Theologen einen außergewöhnlichen stellt sich der cke und jedes Emporenbild in seiner Versuch, den Inhalten des christlichen pfälzische Akademiedirektor Christoph Position in der Kirche. Autor Schramm Glaubens näherzukommen. Sie wollen Picker dieser Herausforderung: Sein habe versucht, die Dreifaltigkeitskirche die vielen Fragen der Bibel ernst neh- Anliegen ist es, die Thematik in der durch die „Brille des Glaubens und der men und daraus einen Leitfaden für neuen Veröffentlichung ausgewogen Theologie anzuschauen, weil das Bild- das eigene Glaubensleben entwickeln. und aus ethisch-theologischer Perspek- programm unglaublich theologiehaltig Und tatsächlich gäbe es in der Bibel tive zu reflektieren. ist und uns der Zugang zur Typologie unzählige Fragen, auf die es keine ab- Aus Pickers Sicht sei die Reflexion verloren gegangen schließende Antwort geben kann. Büm- ethischer Grundlagen nötig, um verant- ist“. Aus diesem lein und Burgdörfer regen deshalb zum wortlich politische Entscheidungen persönlichen Erle- Weiterfragen an. treffen zu können. „In Sachen Flücht- ben entstand die Beispielsweise stellen die Autoren lingsethik besteht nach wie vor erheb- Motivation, eine die Frage Gottes an Kain im 1. Buch licher Handlungsbedarf“, stellt er in der Anleitung zu ge- Mose: „Wo ist dein Bruder?“. Es folgt ein Einführung zum Thema fest. In den Ka- ben, um “die Bil- erster, eher intuitiver Blick auf diese piteln des 114-seitigen Buchs widmet der zu lesen“. Frage, dann ein zweiter, biblisch orien- er sich zunächst der Darstellung der Mit dem Buch will Schramm Lese- tierter Blick. Danach folgt die Einord- Thematik. Er ermittelt Störfaktoren für rinnen und Leser einladen, die bibli- nung in einen aktuellen Kontext. Am eine konstruktive Debatte, ethisch- schen Bilder in Bezug zur aktuellen Ende steht eine weiterführende Frage, theologische Grundlagen und zeigt Wirklichkeit zu setzen. Seine Grundthe- die in diesem Fall lautet: „Kann ein schließlich konkrete politische Fragen se heißt: „Diese Kirche will – wie die Mensch, der mir Bruder und Schwester nach Begrenzungen und Alternativen Heilige Schrift – die Wahrnehmung de- ist, eine unerträgliche Last sein?“ Der auf. rer verändern, die mit ihr in Kontakt Leser wird ermutigt, seine eigene Ant- ‰ Christoph Picker: kommen. Deshalb heißt das Buch auch: wort auf diese Frage zu suchen. Flüchtlingsethik. „Sehen mit erleuchteten Augen“. ‰ Klaus Bümlein, Ludwig Burgdörfer: Paderborn 2020, 114 Seiten, ‰ Steffen Schramm: WEITERFRAGEN … In Glaube und eBook (PDF), 29,89 Euro, Sehen mit erleuchteten Augen. Zweifel. Impulse zum fragenden ISBN 978-3-657-70335-7, Dreifaltigkeitskirche Speyer, Christsein, Speyer 2020, 176 Seiten, Hardcover, 29,90 Euro, Regensburg 2020, 224 Seiten, 28 Euro, 14,90 Euro, ISBN 978-3-947534-13-5. ISBN 978-3-506-70335-4. ISBN 978-3-7954-3566-0. 15
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