Demokratien und Terrorismus - Erfahrungen mit der Bewältigung von Terroranschlägen - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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INTERNATIONALE POLITIKANALYSE Demokratien und Terrorismus – Erfahrungen mit der Bewältigung von Terroranschlägen Fallstudien aus Belgien, Frankreich, Israel und Norwegen ANNA MARIA KELLNER (HG.) Oktober 2017 n Die demokratischen Länder und ihre gewählten Repräsentanten werden durch den Terrorismus vor einzigartige Herausforderungen gestellt. Die Frage lautet: Wie sollen die demokratischen Gesellschaften auf einen Terroranschlag reagieren? Gibt es so etwas wie eine typisch demokratische Antwort auf terroristische Ereignisse? n In ihren Bemühungen, sichtbar und entschieden auf den Terrorismus zu reagieren, sind die untersuchten Länder zum Teil sehr weit gegangen: Die Möglichkeiten der Vollzugsbehörden und der Exekutiven wurden ausgeweitet, neue Gesetze erlassen und sogar längere Ausnahmezustände verhängt – mit fraglichen Ergebnissen. n Auch wenn solche schnellen und nachdrücklichen Reaktionen von der Bevölkerung mehrheitlich unterstützt werden, werfen sie Fragen hinsichtlich der Verhältnismä- ßigkeit der Mittel auf. Wenn die Sicherheit maximiert werden soll, ohne dabei die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit aufzugeben oder die bürgerlichen Rechte und Frei- heiten unnötig zu beschränken, sind regelmäßige Bestandsaufnahmen und Kosten- Nutzen-Analysen unbedingt notwendig.
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS Inhalt Vorwort ���������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������3 Anna Maria Kellner Die Bombenanschläge von Brüssel – Ein Kompromiss zwischen Strafverfolgung und Risikomanagement. . . . . . . . . . . . . 5 Paul Ponsaers & Elke Devroe Demokratie und Terrorismus – Erfahrungen mit der Bewältigung von Terroranschlägen in Frankreich . . . . . . . . . 16 Jean-Pierre Maulny Israel und der neue Terror. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34 Amir Fuchs Norwegen: Ein Fall von Entpolitisierung?������������������������������������������������������������������� 41 Sindre Bangstad Über die Autoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS Vorwort Der Terrorismus stellt Demokratien und ihre gewählten in sozialen Medien eine große Rolle: Israel hat die ge- Repräsentanten vor neue Herausforderungen. Die Be- setzlichen Grundlagen dafür geschaffen, terroristisches kämpfung von Terrorismus und die Prävention terroristi- Gedankengut und Gewaltaufrufe z. B. in Facebook rasch scher Anschläge sind ressort-übergreifend zu einer zent- und umfassend entfernen zu können. Belgien und Frank- ralen politischen Aufgabe geworden. reich suchen zudem nach einem geeigneten Umgang mit sogenannten »Rückkehrern« und »Gefährdern«. Nur: Wie sollten demokratische Gesellschaften eigentlich Der Rechtsstaat sieht eine vorbeugende strafrechtliche auf terroristische Anschläge regieren? Gibt es überhaupt Verfolgung und Belangung in solchen Fällen eigentlich eine genuin demokratische Antwort auf terroristische nicht vor. Neue Gesetze sollen Abhilfe schaffen, sehen Zwischenfälle? Welche politischen Strategien ermög- sich jedoch wachsender Kritik ausgesetzt, weil sie häu- lichen eine Kontrolle über die direkten und indirekten fig tief in die Bürgerrechte und in die Grundsätze der Konsequenzen eines Anschlags? Welche Reaktionen Unschuldsvermutung und der richterlichen Kontrolle ein- dienen der Wahrung der öffentlichen Ordnung und Si- greifen: Gefährder haben sich eben in der Regel noch cherheit und stehen gleichzeitig in Einklang mit den de- keiner konkreten Straftat schuldig gemacht. mokratischen Prinzipien und Grundwerten? Im Bemühen, potentielle terroristische Gefahren auf ein Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat vier Fallstudien über Län- Minimum zu reduzieren, aber auch in dem verständli- der in Auftrag gegeben, die in den letzten Jahren schwe- chen Bestreben, das subjektive Sicherheitsempfinden re Terroranschläge erleben mussten: Belgien, Frankreich, der verunsicherten Bevölkerungen zu bedienen, geraten Norwegen und Israel. Die Fallstudien analysieren die Re- Rechtsstaaten in ein Dilemma: Die Fallstudien Frankreich aktionen demokratischer Regierungen und Gesellschaf- und Belgien, aber auch Israel beschreiben den Versuch, ten auf Anschläge von in- und ausländischen Terroristen. maximale Sicherheit durch maximale strafrechtliche Ver- folgung und Einschränkung der Freiheits- und Bürger- Bei allen Unterschieden, die sich in den einzelnen Fallstu- rechte herzustellen – mit fraglichem Ergebnis. Jean-Pierre dien und in der Natur der terroristischen Bedrohungsla- Maulny (Frankreich) kommt zu dem Schluss, dass drasti- gen feststellen lassen, werden im Gesamtergebnis doch sche Maßnahmen im Rahmen des Ausnahmezustands erhebliche Gemeinsamkeiten erkennbar: Alle Studien eine gute Wirkung erzielen, so lange sie sich einen ge- thematisieren die Herausforderung durch Einzeltäter und wissen Überraschungseffekt zunutze machen können. durch eine Radikalisierung in bereits jungen Jahren. Mit zunehmender Dauer des Ausnahmezustands passen sich potentielle Gefährder und Täter jedoch an die neue Im Bemühen, Handlungsfähigkeit und strafrechtliche Situation an. Die Wirkung der Maßnahmen beginnt zu Härte zu demonstrieren, haben alle Länder zum Teil weit- verpuffen – während gleichzeitig die Einschränkung der reichende legislative Maßnahmen ergriffen: die Ausdeh- Freiheits- und Bürgerrechte persistiert. nung der Befugnisse von Strafverfolgungsbehörden und Exekutive, die Verabschiedung neuer Gesetze oder gar Auf ein weiteres, durchaus auch in anderen Ländern die Verhängung eines andauernden Ausnahmezustands. vorstellbares Problem verweist der Fall Anders Breivik in Über diesen eher reaktiven Maßnahmen, oft direkt im Norwegen. Sindre Bangstad zeichnet in seiner Analyse Anschluss an den terroristischen Angriff und ohne grö- die unmittelbare öffentliche Reaktion und Kommunika- ßere Reflexions- und Konsultationsphase auf den Weg tion nach den Attentaten in Oslo und auf Utøya nach. gebracht, geriet in allen Fallbeispielen die Rolle von Prä- Noch bevor genauere Hintergründe des Attentats be- vention durch sozial- und jugendpolitische Maßnahmen kannt wurden, hatte sich die Öffentlichkeit weitgehend weitgehend aus dem Blick. auf einen islamistischen Hintergrund festgelegt – eine Einschätzung, die auch von offizieller Seite und wohl aus Mit Ausnahme Norwegens spielt auch der Umgang politischem Kalkül, lange unwidersprochen blieb. Dies mit der Verbreitung von extremistischem Gedankengut trug nach Einschätzung von Sindre Bangstad erheblich 3
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS dazu bei, dass das gesellschaftliche Klima in Norwegen seit den Anschlägen stärker von negativen Einstellungen zu Muslimen und gesellschaftlichen Minderheiten ge- prägt ist. Alle Beiträge, auch Norwegen in einer etwas anderen Konstellation, verweisen auf die Risiken sehr schneller Reaktionen. Auch wenn weitreichende Maßnahmen, wie z. B. in Frankreich, alles in allem doch mehrheitlich auf die Zustimmung in der Bevölkerung stoßen: Im Be- mühen, als starker, handlungsfähiger Staat aufzutreten, kann leicht die Verhältnismäßigkeit der Mittel aus dem Blick geraten. Regelmäßige Bestandsaufnahmen und Kosten-Nutzen-Analysen sind unvermeidlich, um das mögliche Maximum an Sicherheit zu gewährleisten, ohne die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit aufzugeben und Freiheits- und Bürgerrechte unnötig zu beschneiden. Dazu gehört auch, dass Terrorismusbekämpfung immer zusammen mit gezielter Terrorismusprävention gedacht wird und letztere nicht als Maßnahme 2. Klasse behan- delt wird. Anna Maria Kellner, Friedrich-Ebert-Stiftung 4
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS Die Bombenanschläge von Brüssel – Ein Kompromiss zwischen Strafverfolgung und Risikomanagement Paul Ponsaers & Elke Devroe Zusammenfassung Die Anschläge von Brüssel Bereits nach den Ereignissen von Paris, also noch vor den Die terroristischen Bombenanschläge, die am 22. März Bombenanschlägen in Brüssel vom 22. März 2016, hatte 2016 die Stadt Brüssel erschütterten, waren keine iso- die belgische Bundesregierung ein ehrgeiziges Antiterror- lierten Ereignisse. Sie waren Teil einer Ereigniskette im programm entwickelt. Die Umsetzung dieses Programms Rahmen der Terrorkampagne eines französisch-belgi- wurde aber durch den föderalen Aufbau des Landes und schen Netzwerks von Dschihad-Terrorist_innen, die eine die komplexe Struktur der Brüsseler Hauptstadtregion Achse zwischen Paris und Brüssel gebildet hatten. Dies erschwert. In der Anfangsphase bestand die Regierung erklärt, warum die belgische Regierung bereits vor dem darauf, Terroranschläge dadurch zu beantworten, dass März 2016 auf diese Kampagne reagiert hatte. Diese sie die Strafgesetze und ihre Durchsetzung verschärfte, Reaktion fand weitgehend gemeinsam mit den französi- die Staatsanwaltschaft förderte und Verstöße gegen die schen Behörden statt. neuen Maßnahmen mit Sanktionen belegte. In der zwei- ten Phase baute die Regierung dann ihre Möglichkei- ten eines proaktiveren Risikomanagements gegenüber Vorherige Ereignisse Personen aus, die behördlich bekannt waren oder ver- dächtigt wurden, terroristische Karrieren einzuschlagen. Belgien blieb vom Dschihad-Terrorismus im eigenen Dies widersprach der allgemeinen Sozialpolitik und dem Land lange Zeit verschont. Es gab zwar Anschläge, die vorbeugenden Ansatz, der von der Regionalregierung meisten von ihnen wurden aber in den 1980er Jahren in Brüssel bevorzugt wurde. Die Regionalregierung ver- von einer linksextremen Gruppe namens Cellules Com- fügte jedoch nicht über genug Mittel, um diesen Ansatz munistes Combattates (CCC, Kämpfende Kommunisti- umzusetzen (Edwards / Devroe /Ponsaers 2017). sche Zellen) (Vander Velpen, 1986) verübt. Diese Gruppe lehnte sich an die Rote Armee Fraktion in Deutschland Der proaktive Ansatz der belgischen Bundesregierung und die Action Directe in Frankreich an. Weitere Atten- wurde von Menschenrechtsorganisationen stark kriti- tate kamen von einer kriminellen Vereinigung, die im siert. Die Kritik aus dem Ausland hingegen richtete sich Verdacht stand, mit Gruppen der extremen Rechten in erster Linie gegen die angeblich schwache Sicher- in Verbindung zu stehen (Bende van Nijvel oder Killer- heitspolitik und die komplexe institutionelle Struktur Bel- bande von Brabant) (Ponsaers / Dupont 1988). Zusätz- giens. Teilweise wurde das Land sogar als »gescheiterter lich wurden noch einzelne weitere (antisemitische) An- Staat« bezeichnet. Dabei wurde nicht nur die erhebli- schläge verübt. Trotzdem hat Brüssel bereits eine lange chen und bereits erfolgten Bemühungen übersehen, Geschichte aktiver Dschihad-Rekrutierungen (Ponsa- sondern auch die Fortschritte, die rasch erzielt werden ers / Devroe 2016a). konnten. Die Dschihad-Kampagne in Belgien begann mit dem Heute jedoch steht Belgien vor neuen Problemen. Die Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel vom 24. größte Herausforderung der Zukunft werden die »Rück- Mai 2014. Dabei wurden vier Menschen getötet. Späte- kehrer« sein – die ehemaligen ausländischen Kämp- re Untersuchungen dieses Ereignisses ergaben, dass der fer_innen in Syrien oder dem Irak, die nach Belgien französisch-algerische Schütze Mehdi Nemmouche im zurückkehren wollen. Auch dieses Problem wird einen Verdacht stand, ein Rückkehrer aus dem syrischen Bür- ganzheitlichen Ansatz erfordern, bei dem das Strafrecht gerkrieg zu sein. Er hatte ein Video aufgenommen, auf mit Risikomanagement und einer soliden Sozialpolitik in dem die Flagge des »Islamischen Staats im Irak und in Einklang gebracht werden muss. Syrien« (ISIS) zu sehen war. Tatsächlich war er der erste 5
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS europäische Freiwillige im Syrienkrieg, der nach seiner Abstammung. Bereits seit seiner Kindheit war er mit Rückkehr nach Europa einen Anschlag verübte (Bartu- Abdelhamid Abaaoud befreundet. Der ISIS übernahm nek 2014). die Verantwortung für die Anschläge (de la Hamaide 2015). Nur eine Woche nach dem Massaker in den Büroräu- men des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo Sofort nach dem 13. November verstärkte Belgien die am 7. Januar 2015 in Paris führte die belgische Polizei Sicherheitsvorkehrungen entlang der Grenze zu Frank- am 15. Januar 2015 in Verviers eine Razzia gegen eine reich. Personen, die aus dem Nachbarland über die dschihadistische Terrorzelle durch. Dabei kamen zwei Grenze kamen, wurden stärker kontrolliert. Da die belgi- Verdächtige ums Leben. Weitere solche Aktionen gab sche Regierung nach den Angriffen auf Paris Informati- es in Brüssel. Das Büro der belgischen Staatsanwalt- onen über mögliche weitere Anschläge hatte, verhängte schaft gab an, die Razzien seien Teil einer Operation sie in Brüssel allgemeine Sperrmaßnahmen, darunter die gegen eine dschihadistische Terrorzelle gewesen, die Schließung von Geschäften, Schulen und öffentlichen angeblich Verbindungen zum ISIS hatte und möglicher- Verkehrseinrichtungen (Tutt / Pramuk 2015). Nach vier weise kurz vor einem Terroranschlag stand. Der Anfüh- Monaten auf der Flucht konnte Salah Abdeslam am 19. rer der Zelle war Abdelhamid Abaaoud1, ein belgisch- März 2016 bei einem Polizeieinsatz in Molenbeek ge- marokkanischer Islamist und Terrorist aus Molenbeek fasst werden (Rubin 2016a). (Brüssel), der auch in Syrien gewesen war. Er diente als Drahtzieher bei einer Serie koordinierter Terroranschlä- ge in Paris, die am 13. November 2015 verübt wurden2. Die Anschläge von Brüssel Bei diesen Anschlägen kamen sieben der Täter ums Leben. Die beiden überlebenden Terroristen wurden Nur wenige Tage später, am Morgen des 22. März 2016, fünf Tage später bei einer Razzia der Polizei in Saint wurden in Brüssel zwei koordinierte Selbstmordatten- Denis getötet. Einer von ihnen war Abdelhamid Abaa- tate verübt. Das erste fand am Flughafen Zaventem oud. Ein anderer Terrorist konnte entkommen und nach statt. Dort detonierten zwei Nagelbomben, die erste Brüssel fliehen. Es war Salah Abdeslam, ein in Belgien um 7.58 Uhr morgens und die zweite neun Sekunden geborener französischer Staatsbürger marokkanischer danach. Später fand die Polizei eine dritte, nicht explo- dierte Bombe, die entschärft werden konnte. Der zwei- 1. Die Auswertung eines Telefongesprächs von Abdelhamid Abaaoud te Anschlag wurde eine Stunde später in der Brüsseler ergab, dass er im Januar 2014 mit Mehdi Nemmouchein in Kontakt gest- Stadtmitte auf die U-Bahn-Station Maalbeek verübt, die anden hatte (Seelow 2015). in der Nähe des Hauptsitzes der Europäischen Kommis- 2. Einen detaillierteren Bericht über diese Ereignisse finden Sie im Kapitel über Frankreich in diesem Band. sion liegt (Lasoen 2017). Abbildung 1: Zeitachse der miteinander verbundenen Ereignisse 2014–2016 6
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS Insgesamt wurden bei den beiden Attentaten 35 Men- n Mohamed Abrini, geboren 1984, marokkanischer schen getötet (davon 32 Zivilist_innen und drei Selbst- Belgier, wohnhaft in Molenbeek (Brüssel), war eben- mordattentäter, nämlich Najim Laachraoui (Rubin falls schon seit seiner Kindheit mit Salah Abdeslam 2016b), Ibrahim El Bakraoui und Khalid El Bakraoui (Ho- befreundet. Er war vorher durch einige Bagatellde- lehouse 2016). Über 300 Zivilist_innen wurden verletzt, likte aufgefallen. Abrini reiste im Juni 2015 für kurze 62 von ihnen schwer. Diese Bombenangriffe waren die Zeit nach Syrien. Ohne Schwierigkeiten konnte er tödlichsten Terroranschläge in der belgischen Geschich- mehrere Grenzen überqueren. Auf seinem Weg zu- te. Die Verantwortung dafür wurde vom ISIS übernom- rück aus Syrien machte er einen Zwischenstopp in men, der als Grund angab, Belgien sei »ein Land, das Großbritannien, von wo er Geld mitbrachte, um die an der internationalen Koalition gegen den Islamischen Anschlagspläne zu finanzieren (Barnes et al. 2016). Staat beteiligt ist« (Hjelmgaard / Reuter / Bacon 2016). Vor den Anschlägen vom 13. November 2015 fuhr er Salah Abdeslam mit dem Auto von Brüssel nach Die Anschläge in Brüssel wurden von zwei verschiede- Paris. Ihr Fahrzeug kam auch bei den Pariser Anschlä- nen Kommandos verübt. Die Mitglieder des ersten Kom- gen zum Einsatz. Es gelang Abrini beim Anschlag am mandos, das die Bomben im Flughafen zündete, waren: Brüsseler Flughafen nicht, seine Bombe zu zünden. Er überlebte und wurde am 8. April 2016 verhaftet. n Najim Laachraoui, geboren 1991 in Marokko. Er lebte in Schaarbeek (Brüssel) und besaß eine doppelte ma- Die Mitglieder des zweiten Kommandos, das die Anschlä- rokkanisch-belgische Staatsbürgerschaft. Im Februar ge in der U-Bahn-Station von Maalbeek verübte, waren: 2013 verließ Laachraoui Belgien, um in Syrien für den ISIS zu kämpfen. Am 9. September 2015 wurde er von n Khalid El Bakraoui (geboren 1989), der jüngere Bru- Salah Abdeslam mit dem Auto aus Budapest abgeholt der von Ibrahim El Bakraoui. Im Oktober 2009 war und kehrte nach Belgien zurück. Laachraoui wird be- er an verschiedenen Verbrechen beteiligt. Er mietete schuldigt, die Sprengstoffwesten angefertigt zu haben, eine Wohnung im belgischen Charleroi. Dort wohnte die sowohl in Paris als auch in Brüssel zur Anwendung die Terrorgruppe, die dann die Anschläge vom 13. kamen3. Er starb am 22. März 2016 bei der Detonation November 2015 in Paris verübte. Außerdem wird seiner Selbstmordbombe auf dem Brüsseler Flughafen. er verdächtigt, eine Wohnung gemietet zu haben, die von Salah Abdeslam nach seiner Flucht von Paris n Ibrahim El Bakraoui, 1986 in Laeken (Brüssel) geboren, nach Brüssel als Versteck genutzt wurde. Die Brüder belgischer Staatsbürger marokkanischer Herkunft. Er El Bakraoui werden beschuldigt, Waffen und Muni- war ein Jugendfreund von Salah Abdeslam und be- tion an die Attentäter von Paris und Brüssel gelie- reits vorher an verschiedenen Verbrechen beteiligt. Im fert zu haben. Khalid El Bakraoui starb am 22. März Juni 2015 wurde er in der Türkei nahe der syrischen 2016, als er seine Selbstmordweste in der U-Bahn- Grenze verhaftet. Bei den türkischen Behörden war Station von Maalbeek zündete. er als »Terrorverdächtiger« geführt. Bakraoui wurde am 14. Juli 2015 von der Türkei in die Niederlande n Osama Krayem (1992 als Sohn syrischer Eltern gebo- ausgewiesen. Die niederländische Polizei ließ ihn nach ren, früher wohnhaft im schwedischen Malmö) radi- seiner Ankunft frei, da sie ihn nicht mit terroristischen kalisierte sich in seinen frühen Zwanzigern. Er verließ Aktivitäten in Verbindung bringen konnte4. Auch er Schweden, um sich 2014 in Syrien dem ISIS anzuschlie- starb am 22. März 2016, als seine Selbstmordbombe ßen. Später kehrte er mit einem falschen Reisepass auf dem Brüsseler Flughafen explodierte. nach Europa zurück. Im Oktober 2015 begegnete er Salah Abdeslam in einem deutschen Flüchtlingslager in Ulm. Krayems DNA wurde in einem Apartment ge- 3. Bei der Untersuchung fand die Polizei in einigen Unterkünften der Ter- roristen Spuren von TAPT (Triacetontriperoxid), eines selbst hergestellten funden, das von den Terroristen bewohnt wurde, die Sprengstoffs, der häufig von den Palästinensern bei Terroranschlägen ge- für die Anschläge vom November 2015 in Paris ver- gen Israel eingesetzt wurde. antwortlich waren. Bei den Bombenanschlägen in der 4. Das belgische Parlament hat eine parlamentarische Untersuchung- skommission eingesetzt, um diesen Vorgang und insbesondere die Rolle Brüsseler U-Bahn-Station Maalbeek trug Krayem zwar und Verantwortlichkeit der belgischen Verbindungsbeamten in Ankara eine Sprengstoffweste, diese explodierte jedoch nicht zu überprüfen. Die Ergebnisse der Kommission wurden noch nicht be- kannt gegeben. (Alexander 2016). Er wurde am 8. April 2016 verhaftet. 7
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS Die Schäden der Bombenanschläge zwischen der Bundesebene und der regionalen Ebene. Die komplizierteste Situation findet sich in der Region Laut Angaben der belgischen Regierung wurden an Brüssel (Ponsaers/Devroe 2016b): Die dortige Regional- die Opfer der Brüsseler Attentate bis zu 322 Millionen regierung wird von einem Sozialdemokraten geführt, Euro an Entschädigungen gezahlt. Während mehre- der für Stadtpolitik und die städtische Sicherheit ver- rer Anhörungen, die die belgische parlamentarische antwortlich ist. Die Koalition besteht dort hauptsächlich Untersuchungskommission zu den Brüsseler Anschlä- aus Sozialdemokraten, Christdemokraten, Liberalen und gen im Januar 2017 durchführte, gaben die Opfer an, einer französischsprachigen Partei. Erneut liegt hier eine sie fühlten sich von den belgischen Behörden im Stich Asymmetrie zur Zentralregierung vor. gelassen. Hilfe und finanzielle Unterstützung seien zu spät gekommen und durch vielerlei bürokratische Hin- Darüber hinaus ist die Brüsseler Region aus neunzehn dernisse sowie mangelnde Fürsorge behindert worden Stadtbezirken zusammengesetzt, die jeweils eigene Bür- (Vancutsem 2016). germeister_innen haben. Diese gehören unterschiedli- chen Parteien an. Zwischen den französischsprachigen In die Reparatur und den Wiederaufbau von Gebäu- Liberalen und Sozialdemokrat_innen besteht eine er- den mussten 2,3 Milliarden Euro investiert werden. Und hebliche Rivalität. diese Summe war nur ein Teil der Gesamtkosten, da auch der Nahverkehr ausfiel und Unternehmen schlie- Insgesamt kann die Föderalstruktur des Landes und die ßen mussten, was vorübergehende Arbeitslosigkeit und Vielzahl der Entscheidungsebenen leicht zu politischem weitere Kosten verursachte. Der gesamte wirtschaftliche Stillstand führen – sowohl zwischen Parteien, die unter- Schaden der Anschläge wird auf 4,47 Milliarden Euro schiedliche Sprachen sprechen, als auch zwischen den geschätzt (Andersen 2016). einzelnen ideologischen Fraktionen (Ponsaers / Devroe 2016c). Insbesondere in Brüssel führen diese Spannun- gen häufig zu heftigen Debatten (Ponsaers 2016a). Die politische Lage in Belgien Auf Bundesebene und in Flandern ist die Terrorabwehr zur Zeit der Anschläge durch strikte Strafverfolgung und repressive Strategien des Risikomanagements gekennzeichnet, während der Belgien ist ein Bundesstaat mit drei Regionen: Flandern Schwerpunkt in Wallonien und Brüssel auf Sozialpolitik (niederländischsprachig), Wallonien (französischsprachig) und Vorbeugung liegt (Renard 2016a). und der Hauptstadtregion Brüssel (zweisprachig). Die belgische Bundesregierung ist unter anderem für Sicher- heit, innere Angelegenheiten und die Justiz zuständig. Die Einschätzung terroristischer Bedrohungen Sie besteht aus einer Koalition von Liberalen, Christde- mokraten und der größten Partei, den flämischen Nati- Als Reaktion auf das Massaker vom 11. September onalisten. Diese Koalition stellt einen Bruch mit der Ver- 2001 in New York gab es in Belgien eine neue Initiati- gangenheit dar: Vorher war die Regierung 25 Jahre lang ve, durch die alle relevanten Anti-Terror-Akteure in eine von den (französischen) Sozialdemokraten dominiert. Koordinationseinheit für die Einschätzung von Bedro- Der Minister für Sicherheit und Innere Angelegenhei- hungen (CUTA, Coordination Unit for Threat Assess- ten ist Jan Jambon, Justizminister ist Koen Geens (Dev- ment) zusammengefasst wurden (Vercauteren 2013). roe / Ponsaers 2017). Heute ist dies die Landesbehörde für die Zusammenar- beit der Polizei mit den Geheimdiensten. Sie bewertet, Zusätzlich zur Regierung auf Bundesebene hat jede Re- wie hoch das Risiko terroristischer und extremistischer gion ihre eigene Regierung. In Flandern wird sie von der- Bedrohungen in Belgien ist. Die CUTA wurde am 10. selben Koalition gebildet, die auch auf der Bundesebene Juli 2006 per Gesetz gegründet. Sie erhält Informati- herrscht. Mit anderen Worten, es besteht eine Symme- onen von der staatlichen und lokalen Polizei, den zi- trie zwischen der Bundesregierung und der flämischen vilen und militärischen Geheimdiensten, den Zoll- und Regierung. Im französischsprachigen Teil ist die Lage an- Einwanderungsbehörden, der Verwaltung für Mobilität ders: Hier haben weiterhin die Sozialdemokraten das Sa- und Transport sowie der Verwaltung für ausländische gen. Mit anderen Worten, es gibt dort eine Asymmetrie Angelegenheiten. 8
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS Per Gesetz wurden vier Stufen terroristischer Bedrohung sich in Brüssel viele Menschen, um die Opfer zu unter- festgelegt (Dallison 2016): stützen. Das staatliche Krisenzentrum der Regierung n keine Bedrohung: Stufe eins oder »niedrig«; (Levy 2007) nahm unverzüglich seine Koordinierungs- n geringe Wahrscheinlichkeit: Stufe zwei oder »mittel«; rolle ein und wies die Bevölkerung an, über das Internet n möglich und wahrscheinlich: Stufe drei oder »ernst«; die sozialen Medien aufzurufen oder ihre Mobiltelefone n erheblich und unmittelbar bevorstehend: auf Textnachrichten zu prüfen. Menschen mit Informa- Stufe vier oder »sehr ernst«. tionsbedarf wurde eine spezielle Nummer gegeben, über die sie jederzeit, auch mitten in der Nacht, das Nach dem Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel Krisenzentrum erreichen konnten (G.N. /J.N.S. 2016). von 24 Mai 2014 wurde die Bedrohungsstufe von drei Die belgische Staatsanwaltschaft veröffentlichte aus auf vier erhöht. Im März 2015 senkte die CUTA nach eigener Initiative Meldungen über die Folgen und die dem Anti-Terror-Einsatz von Verviers das Bedrohungsri- Untersuchungen der Anschläge. Es fand eine aktive siko von drei auf zwei. Nach den Anschlägen von Pa- Zusammenarbeit mit den französischen Polizeibehör- ris vom November 2015 wurde es dann von zwei auf den statt. Die Medien konzentrierten sich nach den drei erhöht. Da Salah Abdeslam nicht gefunden werden Anschlägen auf die Fortschritte bei den strafrechtlichen konnte, kündigte das Innenministerium an, bis zu dessen Ermittlungen und sendeten lange Filmbiographien über Verhaftung bei dieser Stufe zu bleiben. Während der Zeit die toten Terroristen und überlebenden Verdächtigen. vom 21. bis 26. November 2015 wurde die Risikostufe Der König appellierte an die Entschlossenheit, Ruhe und in der Region Brüssel auf vier erhöht. Danach wurde sie Würde der Bevölkerung. dort bis zum 22. März 2016 wieder auf drei gesenkt. Kurz nach den Anschlägen von Brüssel wurde sie dann Noch am 22. März 2016 erklärte sich der ISIS über die vom 22.–24. März 2016 im ganzen Land auf vier ge- ihm nahe stehende Webseite Amaq für die Bomben- setzt, und vom 25. März 2016 bis heute (März 2017) anschläge von Brüssel verantwortlich. Diese Erklärung blieb sie auf Stufe drei. enthielt einen klaren Hinweis auf die Beteiligung Bel- giens an der internationalen Koalition gegen den Isla- mischen Staat. Drei Tage nach den Anschlägen, am 25. Die Reaktion auf die Ereignisse März 2016, wurde im Darknet ein Propagandavideo in französischer Sprache veröffentlicht, in dem Terroristen Kommunikation aus dem belgischen Verviers zu Wort kamen. Einen Tag später erschienen dann zwei Videos, in denen sich bel- Unmittelbar nach den Anschlägen war das Mobilfunk- gische ISIS-Kämpfer über die Anschläge freuten und die netz durch die enorme Anzahl von Gesprächen stark belgische Regierung aufforderten, sich aus dem Nahen überlastet. Opfer riefen um Hilfe, und die Menschen Osten zurückzuziehen. Die belgischen Medien berichte- versuchten, Familienmitglieder zu erreichen, um sie zu ten über diese Ereignisse auf kurze und sachliche Weise warnen oder zu beruhigen. Es wurden Flüge storniert (Knecht 2016). und der Flughafen geschlossen. Der Verkehr in Brüssel kam völlig zum Erliegen. Öffentliche Verkehrsmittel, U- Nach den Bombenanschlägen sah sich Belgien einem Bahnen und Züge wurden stillgelegt. Die Bevölkerung Sturm internationaler Kritik ausgesetzt, die sich haupt- der Stadt wurde aufgefordert, in ihren Häusern zu blei- sächlich gegen die angeblich schwache Sicherheitspoli- ben, und Gebäude wie Schulen und Museen wurden tik und die komplexe institutionelle Struktur des Landes geschlossen. Viele öffentlichen Ereignisse mussten ab- richtete. Die Belgien-Kritiker bezeichneten das Land als gesagt werden. »gescheiterten Staat« (King 2015) und als »dschihadisti- schen Hinterhof« (Papirblat 2015), während seinen Ge- Die Regierung kündigte drei Tage Staatstrauer an. Auf heimdiensten »miserable Handwerkskunst« unterstellt einer Pressekonferenz betonte der Ministerpräsident, wurde (Weiss / Youssef / De Visser 2016). Diese Anschul- die Evakuierung und medizinische Versorgung der Op- digungen waren völlig überzogen (Renard 2016b). Sie fer habe oberste Priorität. Er appellierte an die natio- wurden nicht nur durch differenziertere Studien wider- nale Einheit und Solidarität. Die Politiker forderten die legt, sondern auch durch die vielen Zeugenaussagen Bevölkerung auf, ruhig zu bleiben. Dann versammelten vor der parlamentarischen Untersuchungskommission, 9
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS die nach den Anschlägen in Brüssel eingesetzt wurde auf alle terroristischen Vergehen, die unter belgi- (Renard 2016a). schem Recht als Verbrechen gelten; n die Ausweitung der Anzahl von Gründen für einen Maßnahmen der Regierung möglichen Entzug der belgischen Staatsbürgerschaft bei Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Die- Heute herrscht Einigkeit darüber, dass den Herausfor- se rechtliche Grundlage führte in logischer Folge derungen durch Terroristen und Radikale stärker und zu einem Gesetz6 zur Änderung der konsularischen effizienter begegnet werden muss. Trotzdem wurde Normen, um die Ablehnung, den Einzug oder die seit den Anschlägen von Brüssel viel erreicht. Von den Ungültigkeitserklärung der Reisepässe von Personen 30 Maßnahmen, die von der Regierung im Jahr 2015 zu ermöglichen, die als Bedrohung der nationalen angekündigt wurden, wurden 26 entweder bereits Sicherheit angesehen werden; umgesetzt, oder an ihrer Umsetzung wird gearbeitet (Seron / André 2016). Der rechtliche Rahmen für die n der zeitweise Einzug des Personalausweises, die Ver- Terrorabwehr wurde erweitert, während die finanziel- weigerung der Ausstellung und der Einzug von Rei- len und personellen Ressourcen der Sicherheitsdienste sepässen. Dadurch wird den Behörden ermöglicht, verbessert wurden. Wichtiger noch als strafrechtliche die Ausstellung von Personalausweisen an Belgier zu Aspekte ist, dass auch das lokale Risikomanagement verweigern, Personalausweise einzuziehen oder für gestärkt wurde. ungültig zu erklären7. Weitere Maßnahmen richten sich stärker auf die Organi- Die Reaktion auf die Charlie Hebdo-Anschläge sation der Terrorabwehr: Nach den Pariser Terroranschlägen auf Charlie Heb- n die Einführung eines Nationalen Sicherheitsrats8, um do, den gemeinsamen Polizeiaktionen belgischer und allgemeine Strategien und Prioritäten in Bezug auf französischer Einsatzkräfte und der Razzia von Verviers Geheimdienste und Sicherheit festzulegen und die kündigte die belgische Zentralregierung im Januar 2015 Politik zu koordinieren. Der Rat unterliegt dem Vor- ein Paket von zwölf Anti-Terror-Maßnahmen an (Blyth sitz des belgischen Ministerpräsidenten; 2015). n Dieser Rat ist auch für die Koordinierung der Maß- Einige dieser Maßnahmen betreffen die »Durchsetzung nahmen zuständig, mit denen die Finanzierung des des Strafrechts«. Dabei muss erwähnt werden, dass be- Terrorismus und die Verbreitung von Massenver- reits im Jahr 2013 drei neue mit Terrorismus zusammen- nichtungswaffen ausgetrocknet werden sollen. Die hängende Straftaten ins Strafgesetzbuch aufgenommen gesetzlich eingeführten Mechanismen zur Identifi- worden waren. Dabei ging es um die Rekrutierung von zierung von Personen, die an der Finanzierung des Terroristen, die Bereitstellung und Vermittlung terro- Terrorismus beteiligt sind, wurden umgesetzt, und ristischer Ausbildung und den öffentlichen Aufruf zur es wurden Gelder eingefroren9; Durchführung terroristischer Straftaten. Zusätzlich dazu wurden jetzt folgende neue Maßnahmen eingeführt: n die Herausgabe eines neuen Rundschreibens be züglich nachfolgender Untersuchungen über in Bel- n die Hinzufügung eines neuen terroristischen Tatbe- gien lebende »ausländische Kämpfer«10, insbeson- stands zum Strafgesetz, der sich auf Auslandsreisen 6. Gesetz zur belgischen Staatsangehörigkeit. Art. 23/2, §3, eingeführt zu terroristischen Zwecken bezieht5; per Beschluss vom 20. Juli 2015. 7. Personalausweis: Gesetz vom 10. August 2015; Reisepässe: Konsulari- n die Erweiterung der Anwendung verschiedener Er- sche Norm – Art. 65. mittlungsmethoden – wie beispielsweise Abhörung – 8. Königliches Dekret, 28. Januar 2015. 9. Königliches Dekret vom 28. Dezember 2006 über besondere Restrik- tionen gegen bestimmte Personen im Kampf gegen die Finanzierung des Terrorismus. 5. Beschluss vom 20. Juli 2015 mit dem Ziel, den Kampf gegen den Ter- rorismus zu stärken. 10. Rundschreiben vom 21. August 2015. 10
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS dere durch die Bezirksregierungen. Die Bürgermeis- n die Erhöhung des Sicherheitsbudgets sowie die Be- ter_innen wurden aufgefordert, örtliche Zellen für reitstellung von 400 Millionen Euro für Sicherheit Integrale Sicherheit (LCIS, Local Cells for Integral Se- und den Kampf gegen den Terrorismus; curity) zu bilden11; n die Verstärkung der Polizeikontrollen an den Gren- n die Optimierung des Austauschs von Informationen zen; zwischen den Behörden und den administrativen und juristischen Diensten; die Erstellung einer stän- n die Abberufung von 520 Soldaten zur Verstärkung dig aktualisierten »Dynamischen Datenbank über der Sicherheit. Diese Maßnahme wurde vom Minis- Ausländische Kämpfer_innen« , in der solche Perso- terrat schrittweise ausgeweitet; nen und ihre Aktivitäten erfasst werden12; n die Einführung neuer Technologien für die Geheim- n die Vorbereitung eines neuen, vertraulichen Plans dienste (Stimmerkennung, die Ausweitung der Ab- gegen Radikalisierung durch eine nationale Arbeits- hörung von Telefongesprächen auf den Bereich des gruppe, der festlegt, welche administrativen und Waffenhandels)16; juristischen Maßnahmen auf den Ebenen der Prä- vention, Eigeninitiative und Reaktion vorgenommen n die Verlängerung der möglichen Dauer der adminis- werden können13; trativen Haft17 in Terrorverdachtsfällen von 24 Stun- den auf 72 Stunden durch die Regierung18; n der Kampf gegen die Radikalisierung in Gefängnis- sen durch das Justizministerium14; n die Möglichkeit, bei terroristischen Vergehen 24 Stunden am Tag Hausdurchsuchungen vornehmen n der Einsatz der belgischen Armee für spezielle Beob- zu können. Vorher waren Durchsuchungen zwischen achtungsmissionen15; 21 Uhr abends und 5 Uhr morgens verboten19; n die Stärkung der Kapazitäten des Staatlichen Sicher- n die Absichtserklärung der belgischen Regierung, heitsdienstes und die Delegierung des VIP-Schutzes Rückkehrer bei ihrer Rückkehr nach Belgien systema- an die Bundespolizei. tisch ihre Freiheit zu entziehen20. Momentan ist die Entscheidung, jemandem seine Freiheit zu entzie- hen, keine übliche administrative Maßnahme, son- Die Reaktion auf die Bataclan-Anschläge dern erfordert einen richterlichen Beschluss. Die Ent- scheidung darüber, wer als Terrorist_in oder was als In den Tagen nach den koordinierten Terroranschlägen Kriegsverbrechen unter belgischem Recht bestraft von Paris am 13. November 2015 wurde dann ein zwei- tes Paket mit 18 Maßnahmen angekündigt. Dazu ge- 16. Diese Maßnahmen erfordern eine Überarbeitung der Strafgesetze. hören: Der Ministerrat hat einen Vorschlag vorbereitet, der erstmalig im Parla- ment diskutiert wurde. Eine zweite Anhörung wurde kürzlich von der Partei der Grünen aufgrund der »Abwesenheit ausreichender Kon- 11. Innerhalb der LCIS treffen sich regelmäßig alle lokalen Hauptakteure trollmechanismen« gefordert. wie die Bürgermeister_innen, die örtlichen Polizeichef_innen, Präven- 17. Die sogenannte »garde à vue« innerhalb des Regelwerks für öffen- tionsbeamt_innen und Sozialarbeiter_innen. Es wurden auch regionale tliche Ordnung der Polizei, gilt nicht für Täter, die vom Magistrat für Plattformen und »mobile Teams« gegründet, um den Austausch über bestimmte Verbrechen angeklagt sind. bewährte Vorgehensweisen zwischen den Bezirken zu fördern. Ebenfalls entstanden multidisziplinäre Unterstützungszentren, um Bürger_innen 18. Diese Maßnahme erfordert eine Verfassungsänderung und damit zu helfen, die mit Radikalisierung konfrontiert sind. eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Dieser Vorschlag hat zu Diskus- sionen zwischen den Regierungsparteien und der Opposition geführt, 12. 2. Gesetz über Terrorismus vom 27. April 2016. Königliches Dekret die befürchtet, diese Verlängerung könnte auch für andere Arten von vom 21. Juli 2016. Verbrechen angewendet werden. Eine Kritik dieses Vorschlages findet 13. Eingeführt am 29. Mai 2015. sich bei Human Rights Watch (2016). 14. Parlamentarische Anfrage vom 10. August 2015 an den Minister- 19. Gesetz vom 27. April 2016 über zusätzliche Maßnahmen gegen den präsidenten. Terrorismus (Art. 3). 15. Seit Januar 2015 wird das Militär für Sicherheitsaufgaben einge- 20. Auch die spezielle Frage des Verhältnisses zwischen Gefängnis und setzt. Dies wurde während der »Brüsseler Sperrmaßnahmen« demon- Radikalisierung wird in Belgien gestellt. Die Behörden haben Gefängnis- striert und nach den Terroranschlägen in Brüssel im März 2016 noch bereiche speziell für radikalisierte Insassen eingeführt, um diese daran zu verstärkt. hindern, ihre Ideen an andere weiterzugeben. 11
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS werden kann, wird von einem Gericht getroffen. Da- n die Schließung unregistrierter Gebetsstätten, in de- rüber hinaus kam die Frage auf, ob das Gefängnis nen Dschihadismus propagiert wird; der beste Ort für eine Wiedereingliederung ist21; n das Ende der Anonymität von Prepaid-Karten; n Personen, die allgemein als Quelle der »Bedrohung« der nationalen Sicherheit registriert sind und die n die Durchsetzung des »Molenbeek-Plans« (der spä- nicht notwendigerweise an »ausländischen Kämp- ter in »Kanal-Plan« umbenannt wurde). Dieser Plan fen« beteiligt waren, will die Regierung unter elek- des belgischen Innenministeriums richtet sich auf tronische Beobachtung stellen22. Diese Maßnahme acht Stadtbezirke in Brüssel und ihre Umgebungen. wurde noch nicht systematisch (administrativ und Dort sollen Gebiete überwacht werden, die als anfäl- präventiv) umgesetzt, da es dafür zu viele juristische lig für Radikalisierung gelten; Hindernisse gibt. Der Einsatz elektronischer Überwa- chung kann nur von einem Richter beschlossen wer- n die verstärkte Durchleuchtung von Personen, die an den. Voraussetzung dafür ist, dass ein Verbrechen »sensiblen Arbeitsplätzen« tätig sind; verübt wurde; n die Erweiterung des Netzwerks von Kameras zur n die Planung eines Namensverzeichnisses für Passa- Überwachung von Nummernschildern; giere (PNR, Passenger Name Record) auf europäi- scher Ebene. Es wurde bereits entschieden, ein sol- n die Schließung von Webseiten, auf denen Hass ge- ches Verzeichnis auf der nationalen Ebene Belgiens predigt wird; einzuführen23; n Einschätzungen in Bezug auf die Einführung eines n die Erfassung sämtlicher Hassprediger, um sie unter Gesetzes über einen »Ausnahmezustand« (Prüfung Hausarrest zu stellen, ihnen ihre Freiheit zu entziehen der Möglichkeit zeitweiser und außerordentlicher oder sie auszuweisen. In der Praxis liegt es wiederum Maßnahmen, um die öffentliche Sicherheit zu ge- in der Zuständigkeit der Gerichte, zu entscheiden, ob währleisten). Momentan kann in Belgien (im Gegen- im Einklang mit dem Strafgesetz eine Haft angeord- satz zu Frankreich und den Niederlanden) kein »Aus- net werden kann oder nicht. Auch Formen des so nahmezustand« verhängt werden, da es dazu keine genannten »Hausarrests« können von den Gerichten klare rechtliche Grundlage gibt25; angeordnet werden. In diesen Fällen geht die belgi- sche Maßnahme nicht so weit wie beispielsweise in n die Teilnahme am internationalen Kampf gegen den Frankreich oder den Niederlanden24; ISIS. 21. Im Parlament gab es eine Diskussion über die Einführung eines »Zentrums für die systematische Kontrolle von Rückkehrern«, das alle Rückkehrer anhand ihrer Gefährlichkeit bewerten und Wiedereinglieder- Die Reaktion der Zivilgesellschaft ungsprogramme umsetzen soll. Sogar bei diesem Vorschlag einer Oppo- sitionspartei, über den noch nicht entschieden wurde, bleibt die Entschei- Einige zivilgesellschaftliche Organisationen haben zu dungsgewalt darüber, Rückkehrer zu inhaftieren, beim Gericht. Im Februar 2017 wurde erstmals ein Rückkehrer von einem belgischen den geplanten und eingeführten Regierungsmaßnah- Gericht verurteilt. Die Entscheidung fiel anhand von Beweisen, die durch men Stellung bezogen. Amnesty International (AI) Flan- das Abhören von Telefongesprächen des Verdächtigten mit seiner Freun- din gewonnen wurden. Dabei erwähnte dieser eine von ihm durchgefüh- dern forderte die Parlamentsmitglieder auf, bei ihren In- rte »Exekution«. Es gab keine zusätzlichen Sachbeweise, noch nicht ein- itiativen Zurückhaltung zu üben (Amnesty International mal in Bezug auf die Identität des Opfers. 2015). Auch warnte AI, durch die Maßnahmen dürften 22. Ebenso wurde eine Taskforce für »ausländische Kämpfer« und eine »Rückkehrerplattform« eingerichtet. keine Zivilrechte bedroht oder beeinträchtigt werden 23. In dieser Datenbank werden zunächst hauptsächlich Flugpassagiere und forderte die Regierung auf, vor der Einführung neu- erfasst, aber später sollen auch Hochgeschwindigkeitszüge und Schiffe einbezogen werden, um potenzielle »Red Flags« zu erfassen; 25. Ein Ausnahmezustand wird für eine bestimmte Zeitspanne verhängt. 24. Hassprediger_innen mit einer weiteren Staatsangehörigkeit können Während dieser Zeit können spezielle Maßnahmen ergriffen werden, in ihr Heimatland abgeschoben werden, auch wenn sie in Belgien ge- um unmittelbare Probleme zu lösen. Nach dieser Periode werden diese boren und nicht für ein Verbrechen verurteilt wurden. Dies ist eine neue Maßnahmen wieder aufgehoben, und die Regierung kehrt zur »Normal- behördliche Maßnahme, die im Rahmen der Migrations- und Asylgesetze ität« zurück. Einige der Mehrheitsparteien setzen sich dafür ein. Eine Kri- durchgesetzt werden kann. tik dazu findet sich bei Amnesty International (2017). 12
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS er Maßnahmen zunächst die bestehenden Instrumente Lessons Learnt gegen den Terrorismus einzusetzen. Neue Straftatbe- stände sollten vorher geprüft werden, ob sie den Prin- Zu starke Betonung der Strafverfolgung zipien der Rechtsstaatlichkeit und Proportionalität ent- sprechen. Insbesondere warnte AI davor, Absichten zu Im Moment könnte es noch zu früh sein, um genaue bestrafen, ohne dass ein tatsächliches kriminelles Ver- Schlussfolgerungen aus der oben beschriebenen Ent- halten vorliegt. Die Organisation kritisierte diskriminie- wicklung zu ziehen. Trotzdem ist es möglich die zu er- rende oder beliebige Maßnahmen, setzte sich aber für wartende Effektivität der neuen Maßnahmen zu ana- eine strengere Politik gegen den illegalen Waffenhandel lysieren. Eine Zeit lang lag der Schwerpunkt auf einer ein. 2017 wird AI einen Bericht über die internationale strengen und reaktiven Strafverfolgungsstrategie, wäh- politische Situation in Europa veröffentlichen (Amnesty rend Präventionsstrategien größtenteils vernachlässigt International 2017). wurden. Eine deutlich aktivere präventive Rolle von Sei- ten der Lokalbehörden, insbesondere der Bürgermeis- Die Organisation Human Rights Watch betont, dass ter_innen, wäre wünschenswert gewesen. Insgesamt durch mindestens sechs der von der Regierung neu ver- wurde das Terrorproblem von der Justiz monopolisiert, abschiedeten Gesetze und Regelungen grundlegende und der administrative und präventive Ansatz wurde Bürgerrechte bedroht werden. Ein Gesetz, das es er- vernachlässigt. möglicht, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft die belgische Staatsbürgerschaft abzuerkennen, könnte Dies ist die logische Konsequenz aus der Haltung, die dazu führen, dass Menschen aufgrund ihrer ethnischen die Politiker zur vermeintlich wahren Natur der Polizei- Zugehörigkeit und ihrer Religion als Bürger_innen »zwei- arbeit haben – für sie gelten polizeiliche Ermittlungen ter Klasse« wahrgenommen werden. Der Nachtrag zum in erster Linie der »Bekämpfung des Verbrechens«. Ein Strafgesetz, der es strafbar macht, Belgien »mit terro- solcher Ansatz klingt vor allem in Zeiten vom Sparmaß- ristischen Motiven« zu verlassen, enthält nach Ansicht nahmen attraktiv. Es ist jedoch bekannt, dass die Poli- der Organisation unklare Sprache und könnte die Rei- zei nur einen sehr begrenzten Einfluss auf das Ausmaß sefreiheit von Menschen einschränken – ohne jegliche von Verbrechen hat, was in erster Linie daran liegt, dass Hinweise darauf, ob sie tatsächlich planen, im Ausland die Ursachen dieser Verbrechen jenseits des polizeili- bewaffnete extremistische Taten zu begehen oder zu chen Einflussbereichs liegen. Diese Ursachen können unterstützen (Human Rights Watch 2016). nur durch ein vernünftiges und konkretes Konzept im Rahmen einer lokalen, integrierten Sicherheitspolitik be- Auch die Liga für Menschenrechte äußert zu den neu- kämpft werden. Wie Peter Manning bereits 1977 erklär- en Maßnahmen Bedenken. Sie seien »bereits vorhan- te, ist das Mandat der Polizei fragil und verletzlich, und den«, »völlig sinnlos« oder »nicht anwendbar«. Nach das Polizeipersonal sollte sich bewusst sein, dass es ein Ansicht der Liga darf die Verhaftung »ausländischer Versprechen verkörpert, das es niemals wirklich halten Kämpfer_innen« nur anhand eines Gerichtbeschlusses kann (Ponsaers 2016b). erfolgen, und sie setzt sich entschieden gegen einen administrativen Arrest ein. Die Verwendung elektro- Aus all diesen Tatsachen folgt, dass gewisse Aspekte, nischer Armbänder zur Überwachung radikalisierter die mit der Zentralität der Strafverfolgung im Zusam- Personen sei nicht statthaft. Wenn kein Verbrechen menhang stehen, neu überdacht werden müssen. In verübt wurde, könne diese Entscheidung nur durch Belgien werden im Gegensatz zu einigen Nachbarlän- ein unabhängiges Gericht getroffen werden. Ebenso dern die meisten Terroristenakten sehr schnell an die spricht sich die Liga gegen die Verlängerung des admi- Justizbehörden übergeben, was praktische Folgen für nistrativen Arrests aus. Sie kritisiert auch die Sammlung die Art der Durchführung von Ermittlungen und der zusätzlicher Informationen: »Die meisten Personen, die Sammlung von Informationen hat. Es wird argumen- an den Anschlägen von Paris beteiligt waren, waren tiert, dass die lokalen Akteure eine aktivere Rolle bei den Sicherheitsbehörden bereits bekannt. Anstatt im der Vorbeugung gegen den Terrorismus spielen sollten. Vorfeld die gesamte Zivilbevölkerung zu verdächtigen, Dies müsse gegenüber der Weitergabe von Akten an sollten gezieltere Kontrollen durchgeführt werden.« die Justizbehörden Priorität besitzen (Devroe/Edwards/ (Belga 2015). Ponsaers 2017). 13
ANNA MARIA KELLNER (HG.) | DEMOKRATIEN UND TERRORISMUS Die Herausforderungen der Zukunft gewendet werden soll, immer noch unentschieden. Ein aktueller Bericht der Geheimdienste betont, dass der Trotz aller Bemühungen bleibt Belgien weiterhin anfäl- Einfluss des Salafismus in Belgien zunimmt (L’Express lig für das Problem der Rückkehrer. Zwischen April 2012 2017). Unter jungen Menschen findet in bestimmten und November 2015 wurden 419 Belgier_innen, die dem Gegenden eine eindeutige Radikalisierung statt. Diese Aufruf des ISIS gefolgt sind und das Land in Richtung Jugendlichen nehmen die Grundsätze des radikalen Is- Syrien oder Irak verlassen haben, als »ausländische terro- lam nicht als Glaubensätze an, sondern als eine Form ristische Kämpfer_innen« registriert. Die meisten von ih- von Identität. Ungeachtet der wichtigen Bemühungen nen stammten aus Brüssel (44 Prozent). 84 Prozent von der belgischen Behörden zur Verhinderung von Radika- ihnen sind Männer. Seit April 2013 geht die Tendenz, lisierung legen die aktuellen Entwicklungen nahe, dass sich in die Kriegsgebiete zu begeben, allerdings zurück auf der Präventivebene noch deutlich mehr getan wer- (Bundespolizei 2016). den muss (Noppe et al. 2010). Laut dem Vorsitzenden der CUTA enthält die »Dyna- Der ISIS mag zwar momentan in Syrien und im Irak Ge- mische Datenbank über Ausländische Kämpfer_innen« biete verlieren, aber die Idee eines erfolgreichen dschi- 640 Namen von Belgier_innen. 270 von ihnen reisten hadistischen Projekts, das Kämpfer_innen aus aller Welt nach Syrien oder in den Irak. 160 von ihnen sind immer anzieht, wird den Sturz des physischen Kalifats wahr- noch am Leben (Van Tigchelt 2017). Laut der Führung scheinlich überleben. Die Propaganda- und Rekrutie- des belgischen Geheimdienstes beabsichtigen zwanzig rungsmaschinerie des ISIS bleibt weiterhin stark und sie von ihnen, nach Belgien zurückzukehren (Raes 2017). droht, zum Aufbau eines neuen, mächtigen Narrativs ver- Darüber hinaus sind seit 2012 bereits 120 nach Belgien wendet zu werden, das eine weitere Radikalisierung zur zurückgekehrt – die belgischen Behörden sind über die- Folge hat. Dies bedeutet, dass Länder wie Belgien ihre se Entwicklung extrem besorgt. Aufmerksamkeit auch auf das Internet richten müssen. Das Problem der Rückkehrer wirft wichtige Fragen über die Sicherheitsdienste und Behörden auf. Es ist unwahr- Literatur scheinlich, dass alle Rückkehrer die Absicht haben, in Belgien Anschläge zu begehen. Manche von ihnen könn- Alexander, H. (2016): Brussels terrorist suspect featured in Swedish do- ten sogar ernsthaft anstreben, sich wieder in die Gesell- cumentary about integration; http://www.telegraph.co.uk/news/2016/ 04/15/brussels-terrorist-suspect-featured-in-swedish-documentary-about/. schaft einzugliedern. Aber die Erfahrung aus früheren Amnesty International (2017): Dangerously disproportionate – The dschihadistischen Konflikten legt nahe, dass ein harter ever-expanding national security state in Europe; https://www.amnesty. Kern von Kämpfer_innen plant, in Belgien Gewalttaten org/en/latest/campaigns/2017/01/dangerously-disproportionate/. zu verüben. Andere Rückkehrer könnten in Belgien ihre Amnesty International Vlaanderen (2015): Veiligheid & Mensen- rechten – Maatregelen tegen Terrorisme en Radicalisering; https://www. Kampferfahrungen missbrauchen, Propaganda verbrei- amnesty-international.be/sites/default/files/bijlagen/20150512_briefing- ten, andere zum Kampf ausbilden oder Nachwuchs rek- parlementmaatregelentegenterrorismeenradicalisering_0.pdf. rutieren (Nesser et al. 2016). Bis jetzt war die belgische Andersen, L. (2016): Brussels attacks: attacks cost 322 million euros in compensation and damages; http://www.brusselstimes.com/brus- Reaktion auf die einzelnen Personen maßgeschneidert. sels/6769/brussels-attacks-attacks-cost-322-million-euros-in-compen- Alle ausländischen Kämpfer_innen wurden den indivi- sation-and-damages. duellen Risikobewertungen und personalisierten Maß- Barnes, J. E. / Norman, L. / Stenhauser, G. (2016): Belgium Arrests Key Suspects in Brussels Attacks – Mohamed Abrini has been one of nahmen einer Sondereinsatzgruppe unterzogen, die aus Europe’s most-wanted terrorist suspects since Paris attacks in November; den Geheimdiensten, der Polizei und den Justizbehör- https://www.wsj.com/articles/belgian-authorities-arrest-suspected-third- brussels-airport-attacks-officials-say-1460129257. den zusammengesetzt ist (Renard 2017). Wenn mehr Bartunek, R. J. (2014): Police hunt Brussels Jewish Museum gunman, Dschihadist_innen zurückkehren, könnte dies für die France tightens security; http://uk.reuters.com/article/uk-belgium-shoo- Dienste, die bereits jetzt unter mangelnden Ressourcen ting-idUKKBN0E50IO20140526. Belga (2015): Liga voor Mensenrechten fileert maatregelen tegen ter- und übermäßiger Arbeitsbelastung leiden, sehr schwie- reur: Nutteloos of ontoepasbaar; http://www.demorgen.be/binnenland/ rig werden (Henrard 2017). liga-voor-mensenrechten-fileert-maatregelen-tegen-terreur-nutteloos- of-ontoepasbaar-b103f8b9/. Blyth, D. (2015): Government introduces 12 anti-terrorist measures; Belgien ist in der Frage, welches Modell zur Deradika- http://www.flanderstoday.eu/politics/government-introduces-12-anti- lisierung und Abkehr von radikalem Gedankengut an- terrorist-measures. 14
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