WOHNANGEBOT UND -EIGENTUM ZWISCHEN REGULIERUNG UND KLIMASCHUTZ - ARGUMENTE ZU MARKTWIRTSCHAFT UND POLITIK
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Wohnangebot 2 und -eigentum Zwischen Das Mandat der Preisstabilität Regulierung und Klimaschutz Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 157 | September 2021 Barbara Bültmann-Hinz
Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Barbara Bültmann-Hinz Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 157 Inhaltsverzeichnis Vorwort 03 1 Einleitung 04 2 Aktuelle Preisentwicklung und relevante Faktoren 04 3 Mietpreis und ökologische Nachhaltigkeit 10 4 Wohneigentum und Wohnungsbau 12 5 Der Mietendeckel und der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 15 6 Erfahrungen mit dem Mietendeckel 16 7 Eingriff in das Eigentum 20 7.1 Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes 20 7.2 Die (materielle) Verfassungsmäßigkeit einer (neuen) Mietpreisdeckelung 21 7.3 Enteignung 22 7.4 Die Programme der Parteien 23 8 Lösungsansätze 24 8.1 Wohnraum schaffen – mehr bauen 24 8.2 Kooperation statt Konfrontation und Hände weg vom Eigentum 24 8.3 Wohngeld stärken 25 8.4 Attraktivität des Umlands und der Mittelstädte erhöhen 25 8.5 Ausgleich beim Klimaschutz schaffen 25 8.6 Wohneigentum fördern 26 9 Fazit 26 Literaturverzeichnis 27 Executive Summary 28 © 2021 Stiftung Marktwirtschaft (Hrsg.) Charlottenstraße 60 10117 Berlin Telefon: +49 (0)30 206057-0 Telefax: +49 (0)30 206057-57 www.stiftung-marktwirtschaft.de ISSN: 1612 – 7072 Die Publikation ist auch über den QR-Code Titelbild: © PeskyMonkey – istockphoto.com kostenlos abrufbar.
Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Vorwort Vorwort Der Volksmund formulierte einst: „Ein eigner Herd ist Goldes und bildet die Voraussetzung für die freiheitliche Rechts- und wert“. Diese simple Weisheit ist im Mieterland Deutschland Wirtschaftsordnung unseres Landes. lange Zeit in Vergessenheit geraten. Mieten war attraktiv und Statt über Eingriffe, Enteignung und die Pflicht zu Solar- der Mieter dank Kündigungsschutz sowie komfortablem zellen auf dem Dach zu debattieren sowie Unsummen für den Mietrecht gut geschützt. Doch mit dem verstärkten Zuzug in Ankauf von Immobilien im Interesse einiger weniger auszuge- die Ballungsräume hat sich die Lage geändert: In den Groß- ben, sollte man sich besser auf die Schaffung von Wohnei- städten und erst recht in den begehrten Lagen ist der Leer- gentum für die breite Masse der Bevölkerung konzentrieren. stand gering und die Nachfrage hoch. Es rächt sich die wenig Damit auch dieser das unentziehbare Recht an der eigenen vorausschauende Wohnungspolitik der 2000er Jahre, in de- Wohnung zusteht – nicht nur als Zuhause, sondern auch als nen viel zu wenig gebaut und investiert wurde. Mittel für Vermögensaufbau und eigenverantwortliche Vorsor- Die Immobilien- und Mietpreise steigen wenig überra- ge für das Alter und somit ganz im Sinne von: „Ein eigner schend und das niedrige Zinsniveau tut sein Übriges dazu. Herd ist Goldes wert“! In den beliebten Lagen der Kernstädte und immer häufiger in deren Umland ist die Nachfrage nach Wohnraum oft größer Wir danken der informedia-Stiftung für die Förderung dieser als das Angebot. Die Preise steigen, nicht zuletzt auch auf- Publikation. grund immer neuer Anforderungen des Baurechts und des Klimaschutzes. Als vermeintlicher Ausweg werden oft mehr Regulierung und weitreichende Eingriffe in das Eigentum bis hin zur Enteignung propagiert. Doch dabei sollte man zweierlei bedenken: Erstens wer- den in den begehrten Lagen nicht alle wohnen können, die dort gerne wohnen würden. Zweitens ist die Wertung des Grundgesetzes eindeutig: Das Privateigentum ist garantiert und dieser Schutz des Eigentums darf nicht bis zur Unkennt- lichkeit ausgehöhlt werden. Diese Wertung haben die Väter Prof. Dr. Michael Eilfort Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen des Grundgesetzes mit Bedacht vorgenommen. Der Schutz Vorstand Vorstand des Eigentums vor Eingriffen des Staates ist ein hohes Gut der Stiftung Marktwirtschaft der Stiftung Marktwirtschaft 3
Einleitung Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz 1 Einleitung 2019 waren der Wohnraum(mangel) und die Preisentwick- und (zusätzlichen) Eingriffen in die Preisbildung neu entfacht lung von Immobilien, insbesondere in den Ballungsgebieten und wurde auch in den Wahlprogrammen der Parteien für Deutschlands, noch unter den beherrschenden Themen. 2020 den Bundestagswahlkampf 2021 aufgegriffen. Der Volks- wurden diese Themen angesichts der Corona-Pandemie zwar entscheid über die Enteignung großer Wohnungsbaugesell- nicht vollständig, aber doch vorübergehend verdrängt – ob- schaften in Berlin befeuerte die Diskussion zusätzlich. wohl die eigene Wohnung für viele plötzlich mehr als zuvor Doch wer (weitere) Eingriffe in die Preisbildung fordert, im Mittelpunkt ihres Alltags stand. Die Wohnung wurde zum verkennt die effiziente Wirkung freier Preise. Sie signalisieren zentralen Lebensort mit völlig neuen Nutzungsarten als Ar- Knappheiten und setzen dadurch Anreize, diese zu besei- beitsort, Klassenzimmer oder Sportstudio. Damit gingen neue tigen. Wo Wohnraum knapp ist, wird Wohnraum teuer. Die Anforderungen z.B. an die Wohnungsgröße einher, während steigende Nachfrage führt zu steigenden Preisen und dar- andere Parameter, wie die Nähe zur Arbeit oder die Attraktivi- auffolgend zu einem größeren Angebot oder die Nutzung tät des städtischen Umfelds, angesichts der Schließung von der vorhandenen Wohnfläche verdichtet sich. Diese Studie Gastronomie, Kulturbetrieben und Geschäften, tendenziell an untersucht, wie heterogen die Preisentwicklung auf dem Bedeutung verloren. Im Zuge der Corona-Pandemie haben Wohnungsmarkt ist und beleuchtet die Faktoren, die sich sich auf dem Wohnungsmarkt mehr Perspektiven abseits der auf die Preisbildung auswirken. Zudem werden Zulässigkeit Großstädte ergeben, die so entlastet werden könnten. und Sinnhaftigkeit von (weiteren) Eingriffen in die Preisbildung Beeinflusst wurde die Entwicklung auf dem Wohnungs- bzw. das Eigentumsrecht bis hin zur Enteignung untersucht markt auch durch den im Mai 2021 veröffentlichten Beschluss und abschließend eigene Lösungsansätze unterbreitet, die des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Mietendeckel, zur Entspannung auf dem Wohnimmobilienmarkt beitragen der diesen als verfassungswidrig und damit nichtig erklärt könnten. Die Studie schließt an die Publikation „Wohnen – Irr- hat.1 Dadurch ist die Frage nach Mietpreisbegrenzungen wege, Holzwege, Auswege“2 aus dem Jahr 2019 an. 2 Aktuelle Preisentwicklung und relevante Faktoren Es lohnt sich, die Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt der ersten Dekade des neuen Jahrtausends noch stagnierten genauer zu analysieren. Neben regionalen Unterschieden bzw. sogar rückläufig waren. muss dabei zwischen Kaufpreisen sowie Mietpreisen und bei Die in Abbildung 1 dargestellten Durchschnittswerte bil- Letzteren zwischen Bestands- und Neuvertragsmieten unter- den die Realität jedoch nur unvollständig ab, da die Miet- und schieden werden. Hauspreise regional und strukturell sehr unterschiedlich aus- Abbildung 1 zeigt auf, dass die Mietpreisentwicklung fallen. Ein Vergleich der Entwicklung der Neuvertragsmieten weitgehend parallel zur allgemeinen Preisentwicklung erfolgt, zu den Bestandsmietverträgen (vgl. Abbildung 2) zeigt, dass während die Nominallöhne in den vergangenen Jahren im sich die Bestandsmieten moderat entwickelt haben, während Schnitt etwas stärker gestiegen sind – mit Ausnahme des die Neuvertragsmieten stark gestiegen sind. Damit kann der Jahres 2020 aufgrund der Corona-Pandemie. Die Haus- erste Schluss gezogen werden, dass Neumieter und Woh- bzw. Kaufpreise3 haben sich jedoch in den letzten 10 Jahren nungssuchende von Mietsteigerungen in der Gesamtheit deutlich stärker entwickelt als die Mietpreise, nachdem sie in deutlich stärker betroffen sind als Bestandsmieter, deren 1 BVerfG (2021). 2 Bültmann-Hinz (2019). 3 Der Hauspreisindex erfasst Preisveränderungen bei allen von privaten Haushalten erworbenen Wohnimmobilien (Wohnungen, Einfamilienhäuser, Reihenhäuser usw.), sowohl bei Neubauten als auch im Bestand, unabhängig von Endverwendung und Vorbesitzern. 4
Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Aktuelle Preisentwicklung und relevante Faktoren 150 Abbildung 1: 140 Verbraucherpreisindex Entwicklung von Miet- und Hauspreisen im Mietpreisindex 130 Vergleich zur allgemeinen Hauspreisindex Preisentwicklung 120 Nominallohnentwicklung 2000–2020 in Deutsch- 110 land (2015 = 100) 100 Quelle: Statistisches Bundesamt. 90 80 70 60 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 Mieten sich in der Gesamtheit moderat entwickeln. Ein Ef- nicht mehr passenden Wohnungen (zu groß/zu klein/zu weit fekt dieses Unterschieds ist eine fehlende Mobilität auf dem weg vom Arbeitsplatz), um sich die günstige Bestandsmiete Wohnungsmarkt: Menschen bleiben zu lange in eigentlich zu sichern. 160 Abbildung 2: 150 Neuvermietung 7 A-Städte Stärkeres Ansteigen der Neuvertragsmieten Neuvermietung 127 Städte 140 im Vergleich zu den Neuvermietung insgesamt Bestandsmieten in 130 Bestandsverträge (Verbraucherpreisindex) Deutschland 120 (2010 = 100) Quelle: Deutsche Bundesbank 110 2021. 100 90 80 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 Auch regional unterscheiden sich die Mietpreise stark. Angebotsmieten der Inserate basiert. Viele und gerade auch Während die Neuvermietungspreise in München im Schnitt eher günstige Wohnungen werden nicht inseriert, sondern bei 18,48 Euro/qm liegen,4 sind die Preise in Frankfurt, Stutt- von den Eigentümern, insbesondere Wohnungsbaugesell- gart oder Berlin, den drei nächstteueren Städten, bereits schaften, direkt vergeben, so dass die tatsächlichen Werte deutlich geringer (vgl. Abbildung 3). Aber auch diese Preise deutlich darunter liegen dürften. sind nur bedingt aussagekräftig, da die Auswertung auf den 4 Alle Angaben beziehen sich auf Angebotsmieten für Wohnungen, die jeweils in den letzten 10 Jahren errichtet wurden (Neubau) und eine Größe von 60–80 qm aufweisen mit gehobener Ausstattung. 5
Aktuelle Preisentwicklung und relevante Faktoren Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz München 18,48 Abbildung 3: Frankfurt am Main 15,75 Städte mit den höchsten Angebotsmieten* für Stuttgart 14,74 Wohnungen in Deutsch- Berlin 13,68 land im 1. Quartal 2021 Hamburg 13,5 (in Euro/qm) Freiburg im Breisgau 13,46 Quelle: empirica. Düsseldorf 13,2 Mainz 13,03 * Alle Angaben beziehen sich auf Angebotsmieten für Wohnungen, Darmstadt 13,01 die jeweils in den letzten 10 Jahren Wiesbaden 12,95 errichtet wurden (Neubau) und eine Größe von 60–80 qm aufweisen mit gehobener Ausstattung. Im europäischen Vergleich (vgl. Abbildung 4) ist in den Stadtgebieten selbst. Im Landkreis Dahme-Spreewald Deutschland ein gewisser Aufholeffekt zu beobachten. War im Umfeld Berlins stiegen beispielsweise die Mieten im Ver- das Mietniveau in der teuersten deutschen Stadt München gleich 1. Halbjahr 2019 zu 1. Halbjahr 2020 um 17 Prozent.9 im internationalen Vergleich 2018 noch moderat,5 so haben Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Hauspreisen. Während die deutschen Städte insgesamt zugelegt. Allerdings sind die durchschnittlichen Angebotspreise für Häuser etwa in die Mieten in Berlin im Vergleich zu anderen europäischen Düsseldorf um 7,7 Prozent gestiegen sind, erhöhten sich die Hauptstädten wie Paris, London, Kopenhagen, Madrid oder Preise in allen Umlandkreisen deutlich stärker: im Rhein-Kreis Amsterdam immer noch vergleichsweise günstig. Neuss etwa um 13,7 Prozent, in Mettmann um 12,5 Pro- Es gibt erste Anzeichen, dass sich die Mietpreisentwick- zent.10 Angesichts der Pandemie und der damit verbundenen lung in Deutschland in jüngster Zeit abschwächt. In einer abnehmenden Attraktivität städtischer Lagen sowie der zu- Auswertung der Mietspiegel von 351 deutschen Städten über nehmenden Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten, dürfte 20.000 Einwohner wurde festgestellt, dass die Mietpreise das sich diese Entwicklung noch verstärken. Wer nicht jeden Tag dritte Jahr in Folge weniger stark gestiegen sind als zuvor: ins Büro gehen muss, sondern auch aus dem Homeoffice 2020 stiegen deutschlandweit die ortsüblichen Vergleichs- arbeiten kann, für den kommen auch Lagen außerhalb der mieten um 1,6 Prozent an nach 1,8 Prozent 2019 und 2,2 Großstädte in Frage, wo die Preise günstiger sind. Zwar stei- Prozent 2018.6 Der Mietpreiszuwachs in den acht größten gen auch in diesen Gegenden die Preise, das Mietniveau liegt deutschen Städten7 lag nach einer anderen Erhebung zwar in der Regel aber immer noch deutlich unterhalb der Innen- mit 3,5 Prozent oberhalb des gesamtdeutschen Durch- stadtlagen. Auch sonstige Anforderungen an die Wohnung schnitts, aber deutlich unter dem mittleren Preisanstieg in können außerhalb der Großstädte oft besser abgedeckt wer- den eher ländlich geprägten Landkreisen (+ 4,7 Prozent). Die den, wie etwa ein eigener Garten oder mehr Platz für Home- Analyse führt dies vor allem auf den Preisanstieg im Umland office und Homeschooling. der acht größten deutschen Städte zurück.8 Bei der Betrachtung, wie sich der Anteil der Wohnkosten Diese Verlagerung in die sog. „Speckgürtel“ war bereits (d.h. Miete oder Kosten für selbstgenutztes Eigenheim) am vor Corona zu beobachten und führt dazu, dass im Umland verfügbaren Haushaltseinkommen in den letzten Jahren entwi- der Ballungsgebiete die Mieten derzeit stärker steigen als in ckelt hat, fällt zweierlei auf: Erstens gibt es signifikante Unter- 5 Vgl. Bültmann-Hinz (2019). 6 Vgl. F+B (2021). 7 Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, Leipzig, München und Stuttgart. 8 Vgl. Grimm/Heidrich (2021). 9 Vgl. Berliner Mieterverein basierend auf Daten von Immowelt: https://www.berliner-mieterverein.de/magazin/online/mm1020/steigende-mieten-preisrallye-im- berliner-umland-102010a.htm 10 Vgl. Der Spiegel: „Immobilien: Wo das Haus im Grünen jetzt billiger wird“ vom 23.07.2021. 6
Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Aktuelle Preisentwicklung und relevante Faktoren 0 5 10 15 20 25 30 Abbildung 4: Paris FR 28,6 Mieten im europäischen London (Innenstadt) UK 26,07 Vergleich 2020 Oslo NO 24,72 (in Euro/qm) Kopenhagen DK 19,92 Quelle: Deloitte Property Index Amsterdam NL 19,2 2021. London (Aussenbz.) UK 18,54 München DE 16,8 Barcelona ES 16,7 Lyon FR 16 Madrid ES 15,97 Warschau PL 15,13 Den Haag NL 14,59 Brüssel BE 13,93 Marseille FR 13,9 Frankfurt DE 13,3 Dublin IR 13,18 Rom IT 13,09 Mailand IT 12,47 Prag CZ 11,46 Hamburg DE 11,2 Lissabon PT 11 Berlin DE 10,1 Birmingham UK 9,89 Budapest HU 9,76 Krakau PL 9,31 Wien AT 8,65 Porto PT 8 Turin IT 6,83 schiede zwischen den Haushaltstypen. Insbesondere bei Al- Bevölkerung.11 Zweitens ist der Anteil der Wohnkosten am ver- leinerziehenden ist der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren fügbaren Haushaltseinkommen im Durchschnitt bei allen dar- Haushaltseinkommen deutlich höher als im Durchschnitt der gestellten Haushaltstypen seit 2009 deutlich gesunken. 40 Abbildung 5: Anteil der Wohnkosten* am verfügbaren 30 Haushaltseinkommen nach ausgewählten Haushaltstypen in 20 Deutschland 2009–2019 (in Prozent) Quelle: Statistisches Bundesamt. 10 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 * Einschließlich Wasser- und Ab- wasser-, Energie- und Heizkosten, Bevölkerung insgesamt Alleinerziehende zwei Erwachsene ohne Kinder Ausgaben für die Instandhaltung der Wohnung bzw. des Hauses, Hypothekenzinsen (bei Eigentü- mern), Versicherungsbeiträgen (bei Eigentümern; bei Mietern, falls diese die Kosten tragen) sowie sonstiger Wohnkosten. 11 Familien mit Kindern liegen in der Belastung sogar noch unter den Haushalten mit zwei Erwachsenen ohne Kinder. 7
Aktuelle Preisentwicklung und relevante Faktoren Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Betrachtet man die Mietbelastungsquoten12 (nur Mie- deutlich unterhalb des Durchschnitts und der Belastung in terhaushalte) im Vergleich der Bundesländer zueinander, so den Stadtstaaten. Dies könnte als ein Beleg für die anteilig zeigen sich klare Unterschiede (vgl. Abbildung 6). In den ost- höhere Belastung von Mietern im städtischen Raum heran- deutschen Bundesländern liegt die Mietbelastungsquote z.B. gezogen werden. 35% Abbildung 6: Durchschnitt Deutschland 30% Mietbelastungsquote von Hauptmieterhaushalten 25% 2018 (in Prozent) 20% Quelle: Statistisches Bundesamt. 15% 10% Baden-Württ. Mecklenburg-V. Nordrhein-W. Schleswig-Holst. Deutschland Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Thüringen Die Entwicklung der Haushaltsgrößen beeinflusst eben- tig abgenommen. Nicht überraschend nimmt zugleich die falls die Situation auf dem Wohnungsmarkt und damit die Wohnfläche pro Kopf zu (vgl. Abbildung 7). Damit vergrößert Preise. Über die Jahre hinweg hat die Haushaltsgröße, d.h. sich der Wohnflächenbedarf insgesamt und der Druck auf die die Anzahl der in einem Haushalt lebenden Personen, ste- Wohnungsmärkte. Freie Preise können einen gewissen Aus- 2,3 50 Abbildung 7: Entwicklung von Pro- 2,25 45 Kopf-Wohnfläche und Haushaltsgröße in Deutschland Haushaltsgröße (Personenzahl) (blau) 2,2 40 Wohnfläche/Kopf in qm (grau) 1991–2019 Quelle: Statistisches Bundesamt 2,15 35 2018 und 2019, eigene Berech nungen. 2,1 30 2,05 25 2 20 1,95 15 1991 1993 1995 1997 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 12 Die Mietbelastungsquote eines Haushalts bezeichnet den Anteil am Haushaltsnettoeinkommen, der für die Bruttokaltmiete (d.h. Miete einschließlich aller Betriebs- kosten mit Ausnahme von Heizung und Warmwasser) aufgebracht werden muss. 8
Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Aktuelle Preisentwicklung und relevante Faktoren gleich herbeiführen. Wo Wohnungen teuer sind, führt dies in ebenfalls stetig angestiegen (vgl. Abbildung 8) um immerhin der Regel zu einer gewissen Verdichtung der Nutzung, die mehr als 20 Prozent in gut vier Jahren. Ein kurzer Einbruch Wohnfläche pro Kopf nimmt ab. Wenn Preise jedoch wegen war der Corona-Krise geschuldet, doch dieser wurde durch staatlicher Eingriffe wie dem Mietendeckel nicht frei reagie- die Entwicklung seit dem 4. Quartal 2020 bereits mehr als ren können oder der Wohnungsmarkt größtenteils aus rela- kompensiert. Die seit Jahresbeginn 2021 zu beobachtende tiv fixen Bestandsverträgen besteht, findet eine Verdichtung Preissteigerung bei Baumaterialien schlägt sich mittlerweile des Wohnraums nicht statt. Da auch große Wohnungen er- zusätzlich in den Baupreisen nieder. Stiegen die Preise im schwinglich bleiben, wird die vorhandene Wohnfläche weni- Bauhauptgewerbe im Januar 2021 noch um 1,9 Prozent, so ger effizient genutzt. lag die Preisentwicklung im Juni des gleichen Jahres bei 6,1 Ein weiterer Faktor, der die Wohnkosten beeinflusst, Prozent.13 sind die Baukosten. Diese sind in den vergangenen Jahren 125 Abbildung 8: Wohngebäude Baupreisindizes Neubau 120 (konventionelle Bauart) Bürogebäude von Wohn- und Nicht- Gewerbliche Betriebsgebäude wohngebäuden einschl. 115 USt in Deutschland (2015 = 100) Quelle: Statistisches Bundesamt. 110 105 100 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Alles in allem stellen sich das Preisbild und die preisbil- • Die Mietsteigerungen haben sich im Vergleich des Miet- denden Faktoren heterogen dar: spiegelindexes verlangsamt. • In vielen Städten gab und gibt es Ausweichreaktionen in • Die Hauspreise steigen in der Summe deutlich stärker als die Peripherie. In den Speckgürteln einiger Großstädte stei- die Mieten. gen die Mieten stärker an als im jeweiligen Zentrum (teilwei- • Die Mieten insgesamt entwickeln sich entsprechend der se auch verstärkt durch Corona). Preis- und Lohnentwicklung. • Der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Haushaltsein- • Die Neuvertragsmieten steigen in ihrer Gesamtheit deutlich kommen ist – entgegen der öffentlichen Wahrnehmung – rascher an als die Bestandsmieten. seit 2009 in der Tendenz bei allen Haushaltstypen gesunken. 13 Vgl. Bauindustrie, Bau-Telegramm Konjunktur, Ausgabe 8, August 2021, Berlin. 9
Mietpreis und ökologische Nachhaltigkeit Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz 3 Mietpreis und ökologische Nachhaltigkeit Ein Faktor, der zusätzlich auf die Preise wirkt, sind die zuneh- Energiebereich aufgefangen werden können, die Wohnung menden Anforderungen an energetisch nachhaltiges Bauen nicht mehr leisten zu können. Dieses als Mieter-Vermieter- bzw. Sanieren. Klimaschutz ist eine der großen Herausfor- Dilemma bezeichnete Problem der Kostenverteilung bedarf derungen dieses Jahrhunderts. Der Weg zur Einhaltung der einer Lösung, um eine höhere Akzeptanz für energetische Klimaschutzziele ist jedoch steinig. Rund 30 Prozent der Sanierungen bei den Beteiligten und eine deutlich höhere CO2-Emissionen sind in Deutschland auf den Gebäudesektor Sanierungsquote zu erreichen. Dabei muss die ebenfalls be- zurückzuführen.14 Das Ziel, spätestens zum Jahr 2050 (oder rechtigte Forderung nach bezahlbarem Wohnraum vor allem schon 2045) einen annähernd klimaneutralen Gebäudebe- in den Ballungsgebieten im Auge behalten werden. stand vorzuweisen, liegt derzeit noch in weiter Ferne. Da die Um mehr Anreize für Investitionen zu setzten, hat der Neubauquote mit 0,7 Prozent vergleichsweise gering ist,15 Gesetzgeber die Modernisierungsumlage geschaffen. Die- kann dieses Ziel nur erreicht werden, wenn der Gebäudebe- se seit 2001 in § 559 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) stand modernisiert wird. Das größte Einsparpotenzial liegt verankerte Regelung19 erlaubt dem Vermieter eine gewisse dabei bei älteren Gebäuden, insbesondere solchen, die vor Umlage von Modernisierungskosten (nicht nur energetischer dem Inkrafttreten der Ersten Wärmeschutzverordnung 1977 Natur) auf die Miete. Dadurch kann die Miete stark steigen. errichtet wurden.16 Dies ist allerdings mit erheblichen Investi- Aus diesem Grund wurde der Regelungsgehalt der Moderni- tionen und damit Kosten verbunden, die nicht immer durch sierungsumlage mehrfach angepasst und 2019 u.a. die Um- entsprechende Energieeinsparungen ausgeglichen werden.17 lage von 11 auf 8 Prozent der Investitionskosten begrenzt. Die Einführung eines CO2-Preises verteuert die Ener- Die Regelung lautet nun wie folgt: giekosten. Diese kann der Bewohner einer Wohnung über seinen Energieverbrauch steuern, wenn auch in begrenztem Umfang. Verteuern sich die Energiekosten, wird das Wohnen in nicht energetisch sanierten Wohnungen vergleichsweise Die Modernisierungsumlage teurer und damit unattraktiver und bewirkt einen gewissen, gemäß § 559 BGB: Anreiz, energetisch zu sanieren. Die Verteilung der durch die energetische Sanierung ent- • Der Vermieter kann nach Durchführung bestimmter stehenden Kosten ist vor allem im vermieteten Bereich pro- Modernisierungsmaßnahmen die (Jahres-)Miete blematisch. Dieser steht im Mieterland Deutschland für einen um 8 Prozent der für die Wohnung aufgewendeten großen Teil des Wohnungsbestands (vgl. Abbildung 9). Ver- Kosten erhöhen. mieter haben in der Grundkonstellation des deutschen Miet- • Nicht zu berücksichtigen sind Kosten, die für den rechts kaum Anreize, solche Sanierungen durchzuführen, da Erhaltungsaufwand erforderlich gewesen wären. sie die Investitionskosten dafür tragen müssen, die Nutzen in • Die Mieterhöhung ist auf 3 Euro/qm begrenzt bzw. Form niedrigerer Verbrauchskosten jedoch den Mietern zu- bei Mieten von unter 7 Euro/qm auf 2 Euro/qm. gutekommen.18 Vermieter profitieren in der Regel nur indirekt durch Steigerungen des Gebäudewerts von den Maßnahmen • Ausnahmen von der Umlagefähigkeit gelten in zur Einsparung von Energieverbrauch – wenn überhaupt. Da- Härtefällen. rüber hinaus tragen sie das Investitionsrisiko. Bei den Mietern sind energetische Gebäudesanierungen ebenfalls unbeliebt. Zum einen ist dies der Fall wegen der Be- einträchtigungen während der Sanierungsmaßnahmen. Zum Diese Begrenzung der Umlagefähigkeit kommt den In- anderen fürchten gerade in angespannten Wohnungsmärk- teressen der Mieter entgegen, die nachvollziehbarer Weise ten viele Mieter sich davor nach einer Sanierung aufgrund hö- mit starken Mieterhöhungen schnell überfordert sind. Mit der herer Mietpreise, die nicht zwingend durch Einsparungen im Begrenzung der Kostenumlage sinkt jedoch der Anreiz zur 14 Carstensen et al. (2021) S. 121. 15 Fertigstellungen von 306.376 Neubauten im Verhältnis zum Gesamtbestand von 42,8 Mio. Wohnungen (Statistisches Bundesamt (2021)). 16 Vgl. Henger/Voigtländer (2012). 17 Vgl. Henger/Krotova (2020). 18 Vgl. Geuder (2015). 19 Die Vorgängernorm war bis 2001 im Miethöhegesetz geregelt. 10
Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Mietpreis und ökologische Nachhaltigkeit Modernisierung des Gebäudebestands für den Vermieter auf- einer anderen Form, eine Möglichkeit sein, die Anreize und grund der vielfach mangelhaften Rentabilität der Investition.20 Akzeptanz für eine energetische Sanierung zu erhöhen und so Dieses Dilemma ist schwer aufzulösen. Im Hinblick auf die die Energiewende voranzutreiben. Für die Ausgestaltung der Verteilung der Modernisierungskosten werden verschiedene Förderung und deren Finanzierung liegen verschiedene Vor- Alternativen diskutiert: schläge auf dem Tisch. Ein Vorschlag beinhaltet die Nutzung der Mittel des Energie- und Klimafonds (EKF), um Mieter und 1. Eine vollständige Überwälzung auf den Vermieter. Selbstnutzer bei den Kosten der energetischen Sanierung 2. Eine Überwälzung auf den Mieter soll nur erfolgen, soweit in der Form zu entlasten, dass die Modernisierungsumlage dieser von der energetischen Sanierung profitiert. im ersten Jahr voll und in den Folgejahren in abnehmendem 3. Eine vollständige Überwälzung auf den Mieter. Maß vom EKF übernommen wird. Für Selbstnutzer soll eine 4. Staatliche Förderungen zum Ausgleich der Interessen. vergleichbare Förderung gelten. Durch die Einbeziehung des Verkehrs- und Gebäudesektors in den Emissionshandel ste- Eine vollständige Überwälzung auf den Vermieter, um die hen dem EKF ab dem Jahr 2021 zusätzliche Finanzmittel zur Mieten nicht zu erhöhen, ist nicht sachgerecht, da er von den Verfügung, die auf diese Weise an Unternehmen und Bevöl- Einsparungen beim Energieverbrauch nicht profitiert, die en- kerung zurückgeführt werden könnten.21 Eine bessere Alter- ergetische Sanierung mit viel Aufwand verbunden ist und Li- native wäre die Einbeziehung des Gebäudesektors in das quidität erfordert. Energetische Sanierungen würden mangels EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS). Anreize und Rentabilität ausbleiben, die Sanierungsquote würde nicht erreicht. Eine Begrenzung der Umlegung auf den Vorzugswürdig: Die Einbeziehung in das EU-ETS Mieter in Höhe seines Einsparpotentials würde dazu führen, dass ein Großteil der Kosten beim Vermieter verbleibt und Durch eine Ausweitung eines (einheitlichen) Emissionshan- hätte ähnliche Folgen. Eine vollständige Umlage auf die Miete dels auf weitere Sektoren würden Emissionseinsparungen erscheint ebenfalls nicht zielführend, da der Mieter in diesem unabhängig von Sektor oder Mitgliedstaat dort innerhalb des Fall eine Modernisierung zu verhindern versuchen wird oder EU-ETS geschehen, wo sie am günstigsten sind.22 Selbst – falls das nicht gelingt – die Mieten beträchtlich verteuert wenn einzelne Sektoren aufgrund höherer Kosten zunächst werden. Letzteres könnte insbesondere in angespannten weniger oder gar nicht zur CO2-Reduktion beitrügen, wäre Wohnungsmärkten viele Mieter finanziell überfordern. dies nicht relevant, da die Emissionen insgesamt gedeckelt Staatliche Förderungen sind grundsätzlich nicht erstre- würden. Damit würde CO2 dort eingespart, wo die Einspa- benswert, da sie zu hohen Kosten, Mitnahmeeffekten, der rung volkswirtschaftlich am effizientesten zu realisieren wäre. Bedienung von Lobbyinteressen und Verwerfungen führen Das Ziel eines annähernd klimaneutralen Gebäudebestandes können. Im Rahmen von öffentlichen Gütern kann eine staat- würde so im Zeitrahmen ggf. nicht erfüllt, das Klimaschutzziel liche Förderung jedoch angezeigt sein, auch wenn dies eine insgesamt wäre dennoch erreicht. mangelhafte Lösung wäre. Da der Vorteil einer Erreichung Dieser Vorschlag steht allerdings im Gegensatz zum der Klimaschutzziele im Gebäudesektor der gesamten Ge- deutschen Klimaschutzgesetz, welches verbindliche Sek- sellschaft zugutekommt, sollte die Gesellschaft auch einen torziele vorsieht und gerade keinen übergreifenden Ansatz Teil der Kosten tragen. verfolgt. Dabei ist ein sektorspezifischer Emissionshandel na- Um das Mieter-Vermieter-Dilemma zielführend zu lösen, türlich immer noch besser, als kein Emissionshandel. könnte daher eine staatliche Förderung, ob steuerlich oder in 20 Vgl. Voigtländer (2018). 21 Vgl. Henger/Krotova (2020). 22 Vgl. hier und im Folgenden SVR (2019). 11
Wohneigentum und Wohnungsbau Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz 4 Wohneigentum und Wohnungsbau Nach wie vor ist in Deutschland der Anteil der Bevölkerung, als benötigt. Lediglich in Hamburg und Frankfurt übersteigt die im Eigentum wohnt, auffallend gering.23 Im europäischen die Anzahl der im Jahr 2020 fertiggestellten Wohnungen den Vergleich wohnen lediglich in der Schweiz mehr Menschen jährlichen Bedarf (Abbildung 10). Dies berücksichtigt jedoch zur Miete als in Deutschland (vgl. Abbildung 9). Und noch im- nicht den Aufholbedarf der Vorjahre. mer wird in Deutschlands Ballungsgebieten weniger gebaut Abbildung 9: Mieter- und Eigentümerquote im internationalen Vergleich 2018 oder letztes verfügbares Jahr (in Prozent) Quelle: OECD. 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Rumänien Kroatien Bulgarien Littauen Slowakei Ungarn Lettland Polen Slowenien Estland Italien Griechenland Tschechien Mexiko Malta Spanien Chile Zypern Irland Korea Portugal Frankreich Belgien Verein. Königreich Luxemburg Finnland Australien Kanada Österreich Deutschland Norwegen Vereinigte Staaten Island Dänemark Schweden Niederlande Schweiz Sonstiges Miete Eigentum (belastet) Eigentum (unbelastet) 23 Vgl. hier und im Folgenden Bültmann-Hinz (2019). 12
Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Wohneigentum und Wohnungsbau 25.000 Abbildung 10: Wohnungsbedarf und jährlicher Bedarf -angebot in den A-Städten 20.000 Baugenehmigungen 2020 Baufertigstellungen (Wohnungen in Wohn- 15.000 und Nichtwohngebäuden, inkl. Maßnahmen an bestehenden Gebäuden) 10.000 Quellen: Statistische Landes ämter. 5.000 0 Berlin Hamburg Düsseldorf Köln Stuttgart Frankfurt a. M. München Im europäischen Vergleich (vgl. Abbildung 11) liegt preises können hierfür anfallen. Zum anderen können diese in Deutschland mit der Anzahl fertiggestellter Wohnungen pro der Regel nicht fremdfinanziert werden, so dass die Hürde für 1.000 Einwohner im Jahr 2020 lediglich im Mittelfeld und den Erwerb von Wohnungseigentum gerade für junge Leu- dies, obwohl Deutschland in den letzten Jahren einen mas- te, die am Anfang ihres Berufslebens stehen, hoch ist. Die siven Bevölkerungszuzug zu verzeichnen hatte. niedrigen Zinsen – der Wohnungskauf wäre daher eigentlich Die Erklärungsversuche hierfür sind vielfältig. Zum einen attraktiv – sind für Eigennutzer in Deutschland im Unterschied sind die Erwerbsnebenkosten (Grunderwerbsteuer, Makler, zu vielen anderen Ländern steuerlich nicht abzugsfähig. Zu- Notar etc.) in Deutschland hoch – bis zu 15 Prozent des Kauf- dem ist Mieten hierzulande angesichts des gut ausgebauten 6 Abbildung 11: 5 Intensität des Wohnungs- 4 baus – Anzahl der fertig- gestellten Wohnungen 3 pro 1.000 Einwohner 2 2020 1 Quelle: Deloitte Property Index 0 2021. Bosnien u. Herz. Polen Frankreich Belgien Norwegen Israel Irland Niederlande Dänemark Slowakei Deutschland Tschechien Ungarn Bulgarien Großbritannien Portugal Spanien Lettland 13
Wohneigentum und Wohnungsbau Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Mieterschutzes vielfach vermeintlich attraktiver. mögensungleichheit in Deutschland resultiert unter anderem Die geringe Neubauquote ist nicht nur mit Blick auf auch aus der ungleichen Verteilung des Immobilienvermö- fehlenden Wohnraum, sondern auch verteilungspolitisch gens, dessen Wert in den letzten Jahren teils rasante Zu- problematisch, da insbesondere Wohneigentum zum Ver- wächse erlebt hat. Darüber hinaus schützt Wohnungseigen- mögensaufbau beitragen kann. Die vielfach beklagte Ver- tum vor Mieterhöhungen und Inflation. 40.000 Abbildung 12: 35.000 Anzahl Baugenehmi- gungen in Deutschland 30.000 für Wohngebäude 2001–2020 25.000 Quelle: Statistisches Bundesamt. 20.000 15.000 10.000 5.000 0 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 Anzahl Wohnungen gesamt (neu und Bestand) Anzahl neu zu errichtende Wohnungen Anzahl Baumaßnahmen an Wohnungen im Bestand Die Politik tut sich mit der Förderung von Wohneigentum landmodernisierungsgesetz in das Gesetz aufgenommen schwer. Staatliche Förderungen wie die Wohnungsbauprä- wurde, weitere Hürden für den Erwerb von Wohneigentum mie, das Baukindergeld oder der Wohn-Riester sind zum Teil errichtet.24 Gemäß der Neuregelung bedarf in Gebieten mit ineffizient und leiden an Akzeptanzproblemen. So muss man angespannten Wohnungsmärkten bei Bestandswohngebäu- beispielsweise beim Baukindergeld von einem eher durch- den die Begründung oder Teilung von Wohnungseigentum wachsenen Erfolg sprechen. Die Gelder wurden zwar abge- oder Teileigentum einer Genehmigung. Ausnahmen gibt es rufen, allerdings muss von beträchtlichen Mitnahmeeffekten z.B. für Wohngebäude mit nicht mehr als fünf Wohnungen,25 ausgegangen werden. Darüber hinaus führt das Baukinder- wenn die Wohnungen eines Gebäudes zu mindestens zwei geld zu dem unerwünschten Nebeneffekt, dass Wohnraum Dritteln an Mieter verkauft werden oder unter bestimmten dort entsteht, wo er billig ist, aber nicht unbedingt dort, wo Umständen in Erbfällen. er dringend gebraucht wird. In Gebieten, in denen Wohnen So ergibt sich im Handeln der Politik in Bezug auf die und Bauen teuer ist, so dass sich viele Menschen einen un- Förderung von Wohneigentum eine gewisse Schizophrenie: geförderten Neubau nicht leisten können, greift die Förderung Einerseits wird eine ungleiche Vermögensverteilung beklagt, regelmäßig nicht, da sie teurere Bauvorhaben bewusst nicht andererseits ist der Erwerb von Wohneigentum – zumindest in erfasst. angespannten Wohnungsmärkten – scheinbar unerwünscht, Zum Teil wird der Erwerb von Wohneigentum sogar ak- um Wohnungen nicht dauerhaft dem Mietmarkt zu entziehen. tiv verhindert. In Städten mit umkämpftem Wohnungsmarkt Eine verfehlte Förderungspolitik und stark steigende Grund- werden durch den neuen § 250 BauGB, der durch das Bau- erwerbsteuersätze sind Ausdruck dieser Politik. 24 Das Gesetz zur Mobilisierung von Bauland (Baulandmobilisierungsgesetz) zur Novelle des Baugesetzbuches (BauGB) wurde am 22.6.2021 im Bundesgesetz- blatt veröffentlicht und ist am 23.6.2021 in Kraft getreten. 25 In einer Rechtsverordnung könnte auch eine abweichende Regelung für Immobilien mit zwischen drei und 15 Wohnungen getroffen werden. 14
Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Der Mietendeckel und der Beschluss des BVerfG 5 Der Mietendeckel und der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Der Berliner Wohnungsmarkt steht seit längerem im Fokus. Reallohnentwicklung bis 2019) errechnet wurde. Für ein- Die Gründe für die angespannte Wohnungssituation sind hier fache (-28 Cent), mittlere (-9 Cent) und gute Lagen (+74 vielschichtig. Zum einen ist die Einwohnerzahl durch Zuzug Cent) wurden Zu- und Abschläge berücksichtigt. stark gestiegen, von 3,326 Millionen Einwohnern im Jahr • Neben der Lage berücksichtigte die Mietobergrenze die 2011 auf 3,664 Millionen Einwohner im Jahr 2020.26 erstmalige Bezugsfertigkeit und die Ausstattung der Woh- Zum anderen hat die Bautätigkeit mit der Bevölkerungs- nung mit Sammelheizung und/oder Bad. Sie lag (ohne Zu- zahl nicht Schritt gehalten.27 Zu dieser Gemengelage aus feh- und Abschläge) zwischen 3,92 Euro/qm und 9,80 Euro/ lendem Angebot bei einer wachsenden Bevölkerung kommen qm. Wohnungen in Gebäuden mit nicht mehr als zwei noch mangelnde Kapazitäten bei der seit Jahren zwangsge- Wohnungen unterlagen einem Zuschlag von 10 Prozent. schrumpften Verwaltung, was die Bautätigkeit be- oder ver- • Für Wohnraum mit moderner Ausstattung erhöhte sich die hindert. Zusammen mit der gestiegenen Anziehungskraft des Mietobergrenze um 1 Euro/qm.28 Standorts Berlin auf Investoren führt dies zu stark steigenden • Für Modernisierungsmaßnahmen bestand eine Anzeige- Preisen. Darüber hinaus waren die Mieten in Berlin im Vergleich pflicht und eine sehr begrenzte Umlagemöglichkeit in Höhe zu anderen großen deutschen und europäischen Städten ex- von 1 Euro/qm. trem niedrig, so dass ein Nachholeffekt wenig überrascht. • Verstöße gegen die Anforderungen des Berliner Mietenge- Der Berliner Senat hat sich 2019 zur Entschärfung der setzes wurden als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld Wohnungsmarktsituation zu einem massiven Eingriff in die von bis zu 500.000 Euro geahndet. Preisfindung entschlossen und mit dem Gesetz zur Mieten- begrenzung im Wohnungswesen in Berlin („Mietendeckel“) Das Gesetz war von vornherein massiver Kritik ausge- die Mietenhöhe noch weitreichender als durch die im BGB setzt.29 Nach weitverbreiteter Ansicht fehlte es dem Land geregelte Mietpreisbremse reguliert. Der Vorstoß hat für viel Berlin bereits an der formalen Gesetzgebungskompetenz.30 Aufsehen und Kritik gesorgt. Der Mietendeckel trat am 23. Darüber hinaus stellt der Mietendeckel einen erheblichen Februar 2020 als Berliner Landesgesetz in Kraft und wurde Eingriff in das Eigentumsrecht dar, dessen Rechtfertigung mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) gut höchst zweifelhaft ist (vgl. nachfolgend Kapitel 6). Es er- ein Jahr später als verfassungswidrig erklärt. Der Mietende- schien fraglich, ob der geplante Mietendeckel in seiner Breite ckel war wie folgt ausgestaltet: überhaupt erforderlich und geeignet war, zum angegebenen Ziel der Entspannung der Situation am Wohnungsmarkt bei- • Die Mieten sollten in einer ersten Phase für die nächsten zutragen. Vielmehr stand zu befürchten, dass die künstliche fünf Jahre eingefroren werden (Mietenstopp). Deckelung der Mieten im Vergleich zum Umland den Druck • Ab 2022 hätte die Möglichkeit einer Anpassung von 1,3 auf die – dann günstigeren – Innenstädte eher noch erhöht, Prozent pro Jahr bestanden, sofern die Miete unterhalb Investitionen und Modernisierungen ausbleiben, die Qualität der Mietobergrenze gelegen hätte. Abgestellt wurde auf des Wohnungsbestands und die Bereitschaft zu mehr Neu- die Miethöhe zum 18. Juni 2019. bauten gleichermaßen abnehmen. Zudem stand der Mieten- • Ab 23. November 2020 trat die zweite Phase des Mieten- deckel auch im Widerspruch zum Klimaschutz (vgl. Kapitel 3), deckels in Kraft. Der Vermieter musste die Herabsetzung da der Mietendeckel nicht nur keine Anreize für energetische einer „überhöhten Miete“, d.h. eine Miete, die 20 Prozent Gebäudesanierung beinhaltete, sondern diese aufgrund der über der Mietobergrenze lag, veranlassen. sehr begrenzten Umlagefähigkeit massiv verringerte. Es war • Ausnahmen galten u.a. für Wohnungsneubau (erstmalig absehbar, dass vom Mietendeckel die Falschen profitieren bezugsfertig ab 1. Januar 2014), öffentlich geförderten würden, nämlich insbesondere gutsituierte Mieter in teuren, Wohnungsbau oder wirtschaftliche Härtefälle. sanierten Altbauwohnungen. Benachteiligt würden diejenigen • Grundlage für die Mietobergrenze war die Miettabelle der Mieter, die sich auf dem Wohnungsmarkt ohnehin schwer- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, die tun wie Personen mit ungeregeltem Einkommen, Familien mit auf Basis des Mietspiegels 2013 (fortgeschrieben um die vielen Kindern etc. 26 Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2021. 27 So entstanden 2011 beispielsweise nur ca. 3.000 neue Wohnungen in Berlin im Vergleich zu rund 16.000 neuen Wohnungen 2019 (Quelle: Statistisches Bundesamt). 28 Eine moderne Ausstattung lag vor, wenn der Wohnraum wenigstens drei der folgenden fünf Merkmale aufweist: (1) schwellenlos von der Wohnung und vom Hauseingang erreichbarer Personenaufzug, (2) Einbauküche, (3) hochwertige Sanitärausstattung, (4) hochwertiger Bodenbelag in der überwiegenden Zahl der Wohnräume und/oder (5) Energieverbrauchskennwert von weniger als 120 kWh/(m2 a). 29 Vgl. Bültmann-Hinz (2019). 30 Vgl. Papier (2019), Liesenfeld et al. (2019). 15
Erfahrungen mit dem Mietendeckel Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Das BVerfG hat mit Beschluss vom 25. März 2021 den Bereits 2020 wurde die Initiative zu einem „Mieten- Mietendeckel aufgrund der fehlenden Gesetzgebungskom- stopp“ in Bayern vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof petenz als mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb für gestoppt, da es dem Landesgesetzgeber an der Gesetz- nichtig erklärt.31 Wenig überraschend gelangte das BVerfG zu gebungskompetenz für eine derartige Regelung fehle.32 Die der Erkenntnis: Initiatoren haben Verfassungsbeschwerde beim BVerfG in Karlsruhe eingereicht. • Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, Bedauerlich ist allerdings, dass das BVerfG, das über der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden eine abstrakte Normenkontrolle von 284 Abgeordneten der kann (ungebundener Wohnraum), fallen in die konkurrie- Fraktionen der FDP und der CDU/CSU zu entscheiden hat- rende Gesetzgebungszuständigkeit. te, lediglich die formelle Rechtmäßigkeit des Gesetzes geprüft • Die Länder seien nur zur Gesetzgebung befugt, solange und keine inhaltliche Würdigung hinsichtlich der Zulässigkeit und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompe- der Grundrechtseingriffe vorgenommen hat und vermutlich in tenz keinen abschließenden Gebrauch gemacht habe (Art. absehbarer Zeit auch nicht vornehmen wird.33 Das gilt umso 70, Art. 72 Abs. 1 GG). mehr, als im Bundestagswahlkampf 2021 die Rufe nach einem • Da der Bundesgesetzgeber das Mietpreisrecht in den §§ bundesweiten Mietendeckel laut wurden. Der Bund hätte zwar 556 bis 561 BGB abschließend geregelt habe, sei auf- zweifelsohne die Gesetzgebungskompetenz für eine derartige grund der Sperrwirkung des Bundesrechts für die Gesetz- Regelung. Ob eine solche Regelung allerdings sinnvoll oder gebungsbefugnis der Länder kein Raum. Da das Gesetz überhaupt inhaltlich verfassungsgemäß wäre, steht jedoch auf zum Mietendeckel im Kern ebenfalls die Miethöhe für un- einem anderen Blatt (vgl. Kapitel 7). Umso wichtiger ist es, gebundenen Wohnraum regelt, sei es insgesamt nichtig. sich die Auswirkungen des – wenn auch kurzlebigen – Berliner Mietendeckels etwas genauer anzuschauen. 6 Erfahrungen mit dem Mietendeckel Der in den vergangenen 10 Jahren erfolgte starke Anstieg der als Regulierungsinstrument funktioniert. Allerdings überrascht Mietpreise in Berlin ist aktuell gebremst. Befürworter des Mie- es wenig, dass ein zwangsweiser Mietenstopp auch zu einer tendeckels sehen sich gestärkt in der Annahme, dass dieser Mietpreisstagnation führt. Die Entwicklung der Angebotsmie- 11 Abbildung 13: Mietpreisentwicklung 10 in Berlin Mietpreis in Euro pro qm Q1 2012 bis Q1 2021 9 Quelle: empirica regio 2021. 8 7 6 Q1 2012 Q3 2012 Q1 2013 Q3 2013 Q1 2014 Q3 2014 Q1 2015 Q3 2015 Q1 2016 Q3 2016 Q1 2017 Q3 2017 Q1 2018 Q3 2018 Q1 2019 Q3 2019 Q1 2020 Q3 2020 Q1 2021 31 Vgl. BVerfG (2021). 32 Vgl. Bayerischer Verfassungsgerichtshof (2021). 33 Die zu dem Zeitpunkt der Entscheidung noch anhängigen Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG per Beschluss vom 19. Mai 2021 nicht zur Entscheidung angenommen, da das Rechtschutzbedürfnis wegen der Nichtigkeit des Gesetzes entfallen war, vgl. BVerfG Beschluss vom 19. Mai 2021 - 1 BvR 487/20. 16
Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Erfahrungen mit dem Mietendeckel ten in Berlin zeigt (vgl. Abbildung 13), dass bereits im 3. Quar- wirkungen. Zum ersten hat sich das – auf dem frei verfügbaren tal 2018 der Anstieg gebremst wurde und das Mietniveau im Markt vorhandene – Angebot an Mietwohnungen drastisch Prinzip stagnierte. Mithin trat diese Entwicklung bereits unab- reduziert. Eine Aufstellung der Zahl neu erfasster Online-An- hängig vom Mietendeckel ein, der erst Mitte 2019 angekün- gebote im Zeitraum zwischen 2015 und 2020 zeigt, dass die digt wurde und am 23. Februar 2020 in Kraft trat. Wohnungsinserate in Berlin von knapp 12.000 im Jahr 2019 Jedoch hatte der Mietendeckel andere gravierende Aus- auf unter 6.000 Anfang 2020 gefallen sind (vgl. Abbildung 14). 14.000 Abbildung 14: Entwicklung der Zahl neu 12.000 erfasster Online-Angebote für Mietwohnungen, 2015–2. Quartal 2020 10.000 Quelle: empirica-Preisdatenbank (Basis: empirica-systeme). 8.000 Berlin Hamburg 6.000 München Düsseldorf 4.000 Köln Frankfurt 2.000 Stuttgart 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Diese Halbierung des Angebots hat verschiedene Ur- Mit Einsetzen der zweiten Phase des Mietendeckels sachen, die aber alle auf den Mietendeckel zurückzuführen im November 2020 mussten die Mieten abgesenkt werden. sind. In den meisten Fällen dürften Vermieter erst einmal Profitiert haben davon allerdings vor allem (Bestands-)Mieter abgewartet haben, wie sich die rechtliche Lage weiterentwi- teurer, sanierter Altbauwohnungen in guter Lage und weniger ckelt und leerstehende Wohnungen zunächst nicht weiterver- die Mieter in weniger ansprechenden Bauten und Lagen und mietet haben. Zudem wurden verstärkt vormals vermietete erst recht nicht Wohnungssuchende. Die Absenkungspoten- Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt und so tiale verteilen sich sehr unterschiedlich auf den Wohnungs- langfristig dem Mietmarkt entzogen. Auch nutzten Vermieter bestand je nach Baualters- und Ausstattungsklasse.35 Die vermehrt private Kontakte, um Wohnungen zu vermieten und 165.000 gut ausgestatteten Altbauwohnungen mit Baujahr bis weniger Online-Annoncen.34 Der Effekt ist für Wohnungssu- 1918 weisen das zahlenmäßig höchste Einsparungspotential chende dramatisch, da das Angebot radikal verringert wur- auf. 84 Prozent des geschätzten Absenkungspotentials, d.h. de. Übrig blieben vor allem teure Neubauwohnungen, die rund 193 Millionen Euro/Jahr, entfällt auf diese Wohnungen, vom Mietendeckel ausgenommen waren, für Mieter mit be- die ca. ein Drittel der betroffenen Wohnungen ausmachen. grenzten Finanzmitteln jedoch keine Alternative darstellten. Das Segment der Baujahre 1965 bis 1990, welches beson- 34 Vgl. Sagner/Voigtländer (2021). 35 Vgl. hier und im Folgenden F+B (2021a). 17
Erfahrungen mit dem Mietendeckel Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz ders viele Plattenbau- und Großsiedlungen beinhaltet, kommt dass die Mieteinnahmen unverändert blieben, 15 Prozent auf ein Absenkungspotential von nur rund 21 Millionen Euro/ verzeichneten einen Anstieg. Jahr, obwohl es über ein Viertel des betroffenen Wohnungs- Die Verteilung der Miethöhe in Berlin (vgl. Abbildung 15) bestandes ausmacht (27,1 Prozent). zeigt auf, dass zumindest bei den befragten privaten Vermie- Stark beeinträchtigt wurde die Situation der privaten Ver- tern ein Großteil der Mieten (Bestands- und Neuvertragsmie- mieter in Berlin. Gemäß einer Studie von Sagner/Voigtländer36 ten) im moderaten Segment zwischen 6 und 8 Euro liegt und hatten diese erhebliche Mietminderungen zu tragen. 15 Pro- damit weit unter den Angebotsmieten, wie sie den einschlä- zent der Vermieter hatten Einbußen von mehr als 20 Prozent gigen Portalen zu entnehmen sind. Der Anteil der „günstigen“ zu beklagen. 14 Prozent verzeichneten einen Rückgang zwi- Mieten hat im Jahresvergleich deutlich zugenommen. Die schen 10 und 20 Prozent und 15 Prozent einen Rückgang durchschnittliche Nettokaltmiete der befragten Vermieter re- von unter 10 Prozent. 42 Prozent der Befragten gaben an, duzierte sich um sechs Prozent von 7,43 Euro auf 6,96 Euro.37 0 5 10 15 20 25 30 35 Abbildung 15: 12 Euro und mehr Verteilung der Miethöhe in März 2021 Berlin – Anteile der Netto- 10 bis unter 12 Euro Januar 2020 kaltmieten nach Euro/qm (in Prozent) 9 bis unter 10 Euro Quelle: IW Köln. 8 bis unter 9 Euro 7 bis unter 8 Euro 6 bis unter 7 Euro 5 bis unter 6 Euro Unter 5 Euro Der Rückgang in den Mieten hatte für die befragten Ver- Qualität des Wohnungsbestandes. mieter, die die Wohnungen über Kredite finanziert hatten, zum Weitere Untersuchungen38 kommen ebenfalls zu dem Teil erhebliche Auswirkungen. Immerhin 4 Prozent der Ver- Ergebnis, dass der Mietendeckel die Investitionstätigkeit er- mieter hatten Kreditausfälle zu verzeichnen, da sie die Kre- heblich beeinträchtigt. Bereits die laufende Instandhaltung, ditraten aufgrund der Einnahmeausfälle nicht mehr bedienen die gemäß den rechtlichen Bestimmungen nicht zu Mieterhö- konnten. 15 Prozent beklagten starke anderweitige finanzielle hungen führen darf, wird zum Problem, wenn die Miete per Einschränkungen, um die Kreditraten bedienen zu können Gesetz erheblich abgesenkt wird. Erst recht unrentabel wird und 17 Prozent leichte Einschränkungen. die ohnehin nur schleppend vorankommende energetische Erhebliche Auswirkungen hat der Mietendeckel laut der Gebäudesanierung, wenn die Modernisierungsumlage von 8 befragten Vermieter auf das Investitionsverhalten. Die Mehr- Prozent der Investitionskosten pro Jahr um zwei Drittel bzw. heit der befragten Vermieter gibt an, dass sie Investitionen die Hälfte auf 1 Euro pro qm gedeckelt wird. deutlich zögerlicher gegenüberstünden als dies vor dem Mie- Der Neubaubestand war zwar formal nicht reguliert, tendeckel der Fall gewesen sei. Dies betrifft insbesondere dennoch leidet das Investitionsklima in Berlin insgesamt. größere Investitionen wie etwa energetische Sanierungen. Investoren sind verunsichert, befürchten zukünftig weitere Dies ist fatal für die Erreichung der Klimaschutzziele im Ge- Regulierungen. Mit 20.459 Wohnungen lag die Zahl der ge- bäudesektor (vgl. Kapitel 3) und verschlechtert langfristig die nehmigten Wohnungen im Jahr 2020 9,2 Prozent unter dem 36 Vgl. hier und im Folgenden Sagner/Voigtländer (2021). 37 Vgl. Sagner/Voigtländer (2021). 38 Vgl. F+B (2021a) und Sagner/Voigtländer (2019). 18
Wohnangebot und -eigentum zwischen Regulierung und Klimaschutz Erfahrungen mit dem Mietendeckel 80 Abbildung 16: Auswirkungen des Allgemeine Investitionen 1) Berliner Mietendeckels 60 Kleine Investitionen 2) auf die Investitions Große Investitionen 3) entscheidungen der Vermieter (in Prozent) 40 Quelle: IW Köln. 20 1) Investitionstätigkeit insgesamt 2) Kleinere Investitionen wie Maler- arbeiten und andere Renovie- rungsarbeiten 0 3) Größere Investitionen: stark gemindert etwas gemindert kein Einfluss etwas begünstigt stark begünstigt umfassende Modernisierungen (energetische Sanierung, Hebung des Wohnstandards) Jahr 2019 und sank das vierte Jahr in Folge.39 Sofern Neu- • Die Auswirkung auf die Preisentwicklung war spürbar, al- bauprojekte noch realisiert werden, dürften sie ohnehin dem lerdings hatte sich die Preisentwicklung in Berlin bereits vor eher höherpreisigen Segment zuzuordnen sein, so dass auch dem Mietendeckel abgeflacht. das Ziel, günstigen Wohnraum zu schaffen, verfehlt wird. • Der Mietendeckel hatte einen negativen Effekt auf die Wird aber weniger investiert, entstehen weniger Wohnungen, Investitionen in Bestand und Neubau. wodurch sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt weiter ver- • Investoren haben sich (vorübergehend?) vom Standort schärft. Berlin abgekehrt mit möglicherweise langfristigen nega- Die Rechtsunsicherheit, die die (absehbare) Verfassungs- tiven Folgen für den Berliner Wohnungsmarkt. widrigkeit des Mietendeckels verursacht hat, belastet Mieter, • Das frei verfügbare Angebot ist signifikant gesunken. Aus- Vermieter und den Investitionsstandort Berlin massiv. Hun- weicheffekte wie Verkäufe von zuvor vermieteten Woh- derttausende Mieter sehen sich nun mit Mietnachzahlungen nungen als Eigentumswohnungen, Leerstand oder private konfrontiert, die nicht wenige in Existenznot bringen, da sie Vermittlung sind zu beobachten. Wohnungssuchenden keine Rücklagen gebildet haben oder bilden konnten. Unklar wird die Wohnungssuche deutlich erschwert. ist, wie z.B. mit Zinsen auf Nachforderungen oder mit ver- • Profitiert haben – vorübergehend – eher die Bewohner der hängten Bußgeldern umzugehen, wie der neue Mietspiegel teuren Wohnungen als die Mieter im unteren Segment. aufzustellen und wie es um Mietnachforderungen bei Neu- • Private Vermieter hatten erhebliche Einnahmeminderungen verträgen bestellt ist. Bei Letzteren ist insbesondere fraglich, zu erleiden, die teilweise zu Schwierigkeiten bei der Kredit- ob die sog. Schattenmiete40 wirksam vereinbart wurde. Dies finanzierung bis hin zu Kreditausfällen führten. So geraten führt bei Bevölkerung und Investoren gleichermaßen zu Ver- Existenzen in Gefahr. unsicherung und schadet dem Ansehen der Politik und dem • Die Rückabwicklung des Mietendeckels ist höchst pro- Investitionsstandort Berlin schwer. Die Berliner Regierung und blematisch und viele Mieter sind mit Mietnachforderungen das Parlament hat in verantwortungsloser Weise 1,5 Millio- überfordert, da sie auf die Rechtmäßigkeit der Regelung nen Mieter in Berlin für schädliche Symbolpolitik mit fatalen vertrauten. Nebenwirkungen als Versuchskaninchen benutzt, ohne dass dabei mit Hinblick auf tatsächliche Knappheit von Wohnraum Überdies stellt der Mietendeckel einen starken Eingriff in in irgendeiner Weise eine Verbesserung bewirkt wurde. das Eigentumsrecht dar (siehe nachfolgend Kapitel 7). Zusammenfassend lässt sich Folgendes feststellen: 39 Amt für Statistik Berlin-Brandenburg (2021). 40 In den meisten neu abgeschlossenen Mietverträgen wurden zwei Mietpreise angegeben: Der Mietpreis, der laut Vertrag zu bezahlen ist (sog. BGB-Miete oder Schattenmiete), und die nach Mietendeckel zulässigerweise zu erhebende Miete, mit dem Hinweis, dass bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Mietendeckels, die BGB-Miete zu zahlen sei. 19
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