DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ

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DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ
DER WERT DER
NATUR FÜR
WIRTSCHAFT UND
GESELLSCHAFT
EINE EINFÜHRUNG
DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ
DER WERT DER
NATUR FÜR
WIRTSCHAFT UND
GESELLSCHAFT
EINE EINFÜHRUNG

EIN BEITRAG DEUTSCHLANDS
ZUM INTERNATIONALEN
TEEB-PROZESS
DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ
IMPRESSUM                                                                                                                                 INHALTSVERZEICHNIS
Zitationsempfehlung                                               Naturkapital Deutschland – TEEB DE-Koordinationsgruppe
Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2012): Der Wert der           Bernd Hansjürgens (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung –
Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung.          UFZ), Aletta Bonn (UFZ), Miriam Brenck (UFZ), Sonja Macke
München, ifuplan; Leipzig, Helmholtz-Zentrum für Umwelt-          (Bundesamt für Naturschutz – BfN), Christa Ratte (Bundes-
forschung – UFZ; Bonn, Bundesamt für Naturschutz                  ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit               Vorworte                                                    6
                                                                  – BMU), Irene Ring (UFZ), Christoph Schröter-Schlaack (UFZ),
Autoren                                                           Burkhard Schweppe-Kraft (BfN), Sebastian Tilch (UFZ).             1     Ein ökonomischer Blick auf die Leistungen der Natur         8
Stefan Marzelli, Christoph Moning, Sabrina Daube, Monika                                                                            1.1   Naturkapital für uns und unsere Kinder                      9
Offenberger, Institut für Umweltplanung und Raumentwick-          Danksagung                                                        1.2   Weshalb eine ökonomische Sicht helfen kann                 14
lung – ifuplan | Adrienne Grêt-Regamey, Sven-Erik Rabe,           Die Autorinnen und Autoren und die TEEB DE-Koordinations-         1.3   Natur und Ökonomie – ein Thema gewinnt an Bedeutung        18
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich | Thomas Köllner,     gruppe danken allen Kolleginnen und Kollegen für die zahl-
Patrick Poppenborg, Universität Bayreuth | Bernd Hansjürgens,     reichen fachlichen Hinweise. Besonders herzlichen Dank auch       2     Natur und Ökosystemleistungen –
Irene Ring, Christoph Schröter-Schlaack, Helmholtz-Zentrum        an die Mitglieder des TEEB DE - Projektbeirats für kritische            Grundlage für Wirtschaft und Wohlfahrt                     22
für Umwelt forschung – UFZ | Burkhard Schweppe-Kraft, Sonja       Durchsicht und viele hilfreiche Vorschläge.                       2.1   Wovon wir leben                                            23
Macke, Bundesamt für Naturschutz                                                                                                    2.2   Versorgungsleistungen – womit uns die Natur versorgt       24
                                                                  Disclaimer                                                        2.3   Regulierungsleistungen – wobei uns die Natur hilft         30
Naturkapital Deutschland – TEEB DE                                Die in diesem Bericht geäußerten Ansichten geben aus-             2.4   Kulturelle Leistungen – wodurch uns die Natur bereichert   36
›Naturkapital Deutschland – TEEB DE‹ ist ein interdisziplinäres   schließlich die Haltung der Autoren wieder und sind keinesfalls   2.5   Basisleistungen – Grundlage aller anderen Leistungen       40
Vorhaben, das zum Ziel hat, die Fragestellungen und Forschungs-   als offizieller Standpunkt der beteiligten Organisationen zu       2.6   Erhaltung von Naturkapital bedeutet Erhaltung
ansätze der internationalen Studie ›Die Ökonomie von Öko-         betrachten.                                                             der Wohlfahrt                                              41
systemen und der Biodiversität‹ (The Economics of Ecosystems
and Biodiversity, TEEB) auf die Erhaltung von Biodiversität und   ›Naturkapital Deutschland – TEEB DE‹ wird gefördert durch das     3   Ökosystemleistungen erfassen, bewerten
Ökosystemleistungen in Deutschland anzuwenden.                    Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums          und in Entscheidungen integrieren                            42
Die internationale TEEB-Studie wurde von Deutschland im           für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.                    3.1 Warum werden Entscheidungen häufig auf Kosten
Rahmen seiner G8-Präsidentschaft im Jahr 2007 gemeinsam                                                                                 des Naturkapitals getroffen?                                 43
mit der EU-Kommission initiiert und mithilfe zahlreicher          Grafisches Konzept | Layout                                        3.2 Warum ökonomische Bewertung von Ökosystemleistungen
weiterer Institutionen unter der Schirmherrschaft des             Metronom | Agentur für Kommunikation und Design GmbH,                 und wie geht man dabei vor?                                  47
Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) durch-              Leipzig                                                           3.3 Was erfasst die ökonomische Bewertung?                       53
geführt. Leiter der internationalen TEEB-Studie war der                                                                             3.4 Welche Bewertungsmethoden stehen zur Verfügung?              56
indische Ökonom Pavan Sukhdev.                                    Auflage                                                            3.5 Berücksichtigung bei Entscheidungen in Politik,
Der Studienleiter von ›Naturkapital Deutschland – TEEB DE‹        1.200                                                                 Verwaltung und Wirtschaft                                    62
ist Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Helmholtz-Zentrum für
Umwelt forschung – UFZ, Leipzig. Ähnlich wie die internationale   Gesamtherstellung                                                 4   Naturkapital Deutschland: Das Gesamtvorhaben                 68
Studie basiert ›Naturkapital Deutschland – TEEB DE‹ auf der       Landwirtschaftsverlag GmbH in Münster-Hiltrup                     4.1 Ausgangspunkt: Der internationale TEEB-Prozess               69
unabhängigen und freiwilligen Mitarbeit einer Vielzahl von                                                                          4.2 Das deutsche Nachfolgeprojekt »Naturkapital Deutschland«     70
Wissenschaftlern und Praktikern. Das Vorhaben wird von            Papier aus ökologischer Waldwirtschaft
einem Projektbeirat unterstützt, dessen Mitglieder neben ihrer                                                                            Glossar                                                    78
Beratungsfunktion auch zu einer breiten Diskussion des            ISBN: 978-3-944280-01-1                                                 Quellen                                                    82
Themas in der Öffentlichkeit beitragen sollen. Zudem erfolgt
über eine Projektbegleitende Arbeitsgruppe die Einbindung
von relevanten gesellschaftlichen Gruppen.
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6   DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT                       VORWORTE                                                                7

    Die biologische Vielfalt zu erhalten, zählt weltweit zu den größten      »Naturkapital Deutschland« – dahinter verbirgt sich eine Metapher
    umweltpolitischen Herausforderungen. Eine intakte und vielfältige        für die mit unserer Natur verbundenen Werte und für das Potenzial
    Natur ist schön, faszinierend und einzigartig – sie ist aber zugleich    dieser Natur, ökologische Leistungen zu generieren. Und damit eine
    elementare Grundlage für die Wirtschaft und das Wohlergehen der          wichtige Basis für unsere Wirtschaft und für unsere Lebensqualität.
    Menschen. Die internationale Studie »The Economics of Ecosystems         Unser natürliches Kapital ist begrenzt, verbrauchen wir es, stehen
    and Biodiversity« (TEEB) hat bereits eindrucksvoll auf diese ökonomi-    uns auch die damit verbundenen Ökosystemleistungen nicht mehr
    sche Dimension hingewiesen und gezeigt, dass sich Investitionen in       zur Verfügung.
    den Schutz der Natur auch gesamtwirtschaftlich lohnen.                   »Naturkapital Deutschland« – diese Bezeichnung wurde daher bewusst
    Mit dem Projekt »Naturkapital Deutschland« knüpfen wir daran an.         für die Fortführung des internationalen TEEB-Prozesses auf nationa-
    Auch in Deutschland gehen durch die Nutzung der Natur – trotz recht-     ler Ebene gewählt. Dahinter verbirgt sich zugleich eine große Heraus-
    licher Anforderungen und einzelner Fortschritte beim Naturschutz –       forderung. Denn viele aktuelle Fragen der Landnutzung, wie etwa die
    weiterhin wertvolle Lebensräume verloren. Dabei wird oft übersehen,      Energiewende oder die künftige Ausgestaltung der Landbewirtschaf-
    dass intakte Ökosysteme wichtige Leistungen erbringen, für die sonst     tung, gehen mit Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die
    kostenintensive technische Lösungen erforderlich wären (Klimaschutz,     Leistungen der Ökosysteme einher. Zielkonflikte zwischen Ökosys-
    Hochwasserschutz, Reinhaltung von Luft und Gewässern) oder hohe          temleistungen, verschiedene Nutzerinteressen und komplexe ökolo-
    gesellschaftliche Kosten anfallen (Erholung und Gesundheit).             gische Zusammenhänge gilt es, transparent zu machen. »Naturkapital
    Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zur Erhaltung der natürlichen      Deutschland« will zeigen, dass die Natur zusätzlich zu ihrem Eigen-
    Lebensgrundlagen. »Naturkapital Deutschland« soll zur Erfüllung die-     wert und zu ästhetischen und emotionalen Werten auch eine hohe
    ser Verpflichtung beitragen, indem das Bewusstsein für die vielfäl-       wirtschaftliche Bedeutung aufweist, der wir uns aber häufig weniger
    tigen Leistungen und Werte unseres Naturkapitals geschärft und der       bewusst sind.
    Naturschutz von vornherein stärker in allen Politikbereichen und Wirt-   Gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
    schaftssektoren berücksichtigt wird. In diesem Sinne wünsche ich mir     und allen Beteiligten im Vorhaben »Naturkapital Deutschland«
    von »Naturkapital Deutschland« auch positive Impulse für die Umset-      möchten wir das ändern. Die vorliegende Broschüre bietet dazu einen
    zung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Damit leisten   Einstieg in das Thema. Weitere Publikationen und Aktivitäten sind
    wir zugleich einen Beitrag, um die europäischen und globalen Biodiver-   geplant, um einen Grundstein zu legen, künftig bei allen Entscheidun-
    sitätsziele zu verwirklichen.                                            gen in Politik, Verwaltung und bei privaten Unternehmen und Konsu-
                                                                             menten auch die ökonomischen Werte der Natur zu berücksichtigen –
                                                                             zu unser aller Wohl.
                                                                             Schauen Sie hinein in die Broschüre »Naturkapital Deutschland – Der
                                                                             Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft« und lassen Sie sich
    PETER ALTMAIER                                                           von den Beispielen inspirieren und motivieren. Denn jede und jeder
    (Bundesminister für Umwelt, Naturschutz                                  kann im täglichen Handeln dazu beitragen, das wertvolle Naturkapital
    und Reaktorsicherheit)                                                   in Deutschland zu bewahren. Aus meiner Sicht ist dies nicht nur eine
                                                                             Verantwortung und Verpflichtung gegenüber der künftigen Genera-
                                                                             tion; es ist auch ökonomisch betrachtet vernünftig – schon heute!

                                                                             PROF. DR. BEATE JESSEL
                                                                             (Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz)
DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ
EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR                           9

    EIN ÖKONOMISCHER                             KERNAUSSAGEN

1   BLICK AUF DIE
    LEISTUNGEN DER NATUR
                                                   Biologische Vielfalt und die Leistungen der Natur – unser Naturka-
                                                 pital – bilden die Grundlage für menschliches Wirtschaften und Wohl-
                                                 ergehen. Natur ist neben dem Humankapital und dem Sachkapital ein
                                                 Vermögen, aus dem wertvolle Leistungen hervorgehen.

                                                    Der Wert der Natur bleibt oft verborgen, weil ihre Leistungen scheinbar
                                                 unbegrenzt kostenlos zur Verfügung stehen. Daher wird er – trotz recht-
                                                 licher Anforderungen zum Schutz der Natur – in gesellschaftspolitischen
                                                 und wirtschaftlichen Entscheidungen nicht ausreichend berücksichtigt.
                                                 Dies hat weitreichende Folgen, denn die Natur stellt ihre wertvollen
                                                 Leistungen nur dann dauerhaft zur Verfügung, wenn die dafür erforder-
                                                 lichen Prozesse und Funktionen erhalten werden.

                                                   Eine ökonomische Perspektive hilft, den Wert der Natur und ihre viel-
    ÖKONOMISCH GESEHEN IST NATUR                 fältigen Leistungen sichtbar zu machen und regt an, Lösungen für eine
                                                 angemessene Berücksichtigung dieses Wertes in öffentlichen und pri-
    EIN VERMÖGEN, DAS ES ZU ERHALTEN GILT.
                                                 vaten Entscheidungen zu entwickeln und umzusetzen. Sie liefert öko-
    WIR MÜSSEN VON DEN ZINSEN LEBEN              nomische Argumente für die Erhaltung des »Naturkapitals«, die ethi-
                                                 sche und ökologische Begründungen ergänzen können.
    UND DÜRFEN ES NICHT VERBRAUCHEN.
    MEMORANDUM ÖKONOMIE FÜR DEN                    Das Projekt »Naturkapital Deutschland« ist der deutsche Beitrag zum
                                                 internationalen TEEB-Prozess (The Economics of Ecosystems and Bio-
    NATURSCHUTZ [2009]
                                                 diversity). Die vorliegende Broschüre bietet einen Einstieg und ist der
                                                 Auftakt zu weiteren Schwerpunktberichten.

    WIR HABEN VIEL ZU LANGE DIE MEINUNG
                                                1.1   NATURKAPITAL FÜR UNS UND UNSERE KINDER
    VERTRETEN, ES GEBE […] NUR ZWEI
                                                Wie wertvoll die Natur ist, erleben wir bei jedem Waldspaziergang, bei
    KAPITALBEREICHE FÜR ENTWICKLUNG – DAS       jedem Biss in einen Apfel, beim Anblick faszinierter Kinder auf Ent-
                                                deckungstour nach Lebewesen in Bächen und Tümpeln. Dass die Natur
    FINANZKAPITAL UND DAS HUMANKAPITAL. […]
                                                auch die unverzichtbare Grundlage unseres Wohlstandes und Wohl-
    WIR HABEN UNS ÜBER LANGE ZEIT HINWEG        befindens sowie zahlreicher Wirtschaftsaktivitäten in Land- und Forst-
                                                wirtschaft, Fischerei und vielen anderen Branchen darstellt, machen
    DER ILLUSION HINGEGEBEN, DASS ES SO ETWAS
                                                sich die Wenigsten bewusst. Denn für viele ist der Alltag in einer Indus-
    WIE UMWELTKAPITAL NICHT GIBT. DAS MAN       trienation wie Deutschland von technischen Systemen geprägt, die das
                                                tägliche Leben bestimmen – von der Kommunikation über den Ver-
    DIE UMWELT, DAS UMWELTKAPITAL ZUM NULL-
                                                kehr bis zu Ver- und Entsorgungsleistungen. Internet, Satelliten-Fern-
    TARIF NUTZEN KANN UND MAN IN DIESEN         sehen, Hochgeschwindigkeitszüge und ein zu jeder Jahreszeit reich-
                                                haltiges Angebot an frischen Nahrungsmitteln vermitteln den Eindruck
    KAPITALSTOCK NICHT REINVESTIEREN MUSS.
                                                einer weitgehend von der Natur unabhängigen Befriedigung unserer
    KLAUS TÖPFER [2005]                         Bedürfnisse. Doch der Schein trügt. Denn tatsächlich erwachsen mate-
                                                rieller Wohlstand und persönliches -> Wohlergehen in zahlreichen
                                                Lebensbereichen direkt oder indirekt aus Leistungen der Natur.
DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ
10                      DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT                             EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR                                                              11

                        Das Spektrum der Leistungen der Natur ist breit (-> Kapitel 2). Eine
                        vielfältige Natur (-> Infobox 1) birgt ein enormes Innovationspoten-
                                                                                                        INFOBOX 2
                        zial, etwa bei der Erforschung neuer Medikamente und industrieller
                        Rohstoffe, als Vorbild für technische Entwicklungen (Bionik) und nicht          Umweltbelastung und Naturzerstörung auf globaler Ebene
                        zuletzt als genetische Ressource zur langfristigen Sicherung unserer            Nach den Ergebnissen des »Millennium Ecosystem Assessment« gelten
                        Ernährung. Zu solchen -> Ökosystemleistungen (-> Infobox 1) gehö-               zwei Drittel aller Ökosysteme weltweit als geschädigt (MA 2005).
                        ren auch die Bindung von Klimagasen, zum Beispiel in Holz und Böden             Dadurch ist die Bereitstellung ihrer Leistungen gefährdet – mit teils dra-
                        von Wäldern und in Mooren, oder die Bereitstellung von sauberem                 matischen Folgen für die Betroffenen. Viele Triebkräfte der Naturzer-
                        Grundwasser. Daneben bietet die Natur verschiedene Schutzfunk-                  störung werden dabei zukünftig noch zunehmen:
                        tionen: Natürliche Auen mindern Hochwassergefahren, Bergwälder                     Der Klimawandel hat schon heute weitreichende Auswirkungen auf
                        schützen vor Lawinen. Außerdem nutzen wir auch gesundheitliche                  terrestrische und marine Ökosysteme: durch die Verringerung des Was-
                        und -> kulturelle Leistungen der Natur: Vielfältige Naturräume                  serdargebots in vielen Teilen der Welt, Bodendegradation und Verlust der
                        verhelfen zu einer Steigerung der Lebensqualität und sind die Grund-            landwirtschaftlichen Produktivität, erhöhtem Hitzestress in urbanen
                        lage von Arbeitsplätzen vor allem in einer nachhaltig ausgerichteten            Zentren oder der steigenden Gefahr von Extremereignissen (IPCC 2007).
                        Tourismusbranche an der Küste, in den Bergen oder in nationalen                    Der Wasserverbrauch hat sich zwischen 1930 und 2000 weltweit ver-
                        Natur- und Kulturlandschaften wie Nationalparks, Biosphärenreser-               sechsfacht, durch Klimawandel und Wasserverschmutzung werden sich
                        vaten und Naturparks.                                                           die nutzbaren Süßwasservorkommen weiter verringern. Schätzungen
                        Die Produkte und Leistungen der Natur wurden lange Zeit als selbst-             zufolge werden bis 2020 bis zu 40 Prozent aller Länder in Asien und der
                        verständlich betrachtet und meist gratis genutzt. Doch die Endlich-             Subsahararegion von schwerwiegender Wasserknappheit betroffen
                        keit von Naturressourcen und die Schädigung von -> Ökosystemen                  sein (UNESCO 2012).                                                           ABBILDUNG 2
                        zeigen sich immer häufiger und führen zu gesellschaftlichen Kosten.                 Der Nettoverlust an Waldflächen betrug in den Jahren 2000 bis 2010          (Foto: mlehmann78, Fotolia.com)
                        In zahlreichen internationalen Beispielen konnte gezeigt werden:                – trotz enormer Aufforstungsbemühungen – 5,2 Millionen Hektar jähr-
                                                                                                        lich, dies entspricht einer Fläche von etwas mehr als der Landesfläche
                                                                                                        Niedersachsens (FAO 2010A). Dies trägt zum CO2-Ausstoß bei, beein-
                                                                                                        flusst den regionalen Wasserhaushalt, führt zum Verlust von biologi-
                         INFOBOX 1
                                                                                                        scher Vielfalt und zerstört die Lebensgrundlagen von Millionen von
                         Biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen                                   Menschen.
                         Biologische Vielfalt (oder kurz: Biodiversität) bezeichnet die Vielfalt des       Fisch ist die wichtigste Eiweißquelle für die Ernährung von rund 3 Mil-
                         Lebens auf unserer Erde. Sie ist die Variabilität lebender Organismen          liarden Menschen, doch durch nicht nachhaltige Fischereipraktiken gel-
                         und der von ihnen gebildeten ökologischen Komplexe. -> Biolo-                  ten derzeit 32 Prozent aller Fischbestände als überfischt, 53 Prozent als
                         gische Vielfalt umfasst die folgenden drei Ebenen:                             vollständig ausgeschöpft (FAO 2010B). Ein an der Regeneration der
                           die Vielfalt an Ökosystemen beziehungsweise Lebensgemein-                    Fischbestände ausgerichtetes Management könnte nicht nur die Nah-
                           schaften, Lebensräumen und Landschaften,                                     rungsgrundlagen für diese Menschen erhalten, es wäre auch für die
                           die Artenvielfalt und                                                        Fischereiwirtschaft um mehr als 50 Milliarden US-Dollar jährlich rentabler.
                           die genetische Vielfalt innerhalb der verschiedenen Arten.                      Die Übernutzung und Zerstörung anderer wertvoller Ökosysteme
                         Ökosystemleistungen bezeichnen demgegenüber direkte und indi-                  (Mangroven, Korallenriffe, etc.) macht die dort lebenden Menschen
ABBILDUNG 1              rekte Beiträge von Ökosystemen zum menschlichen Wohlergehen,                   anfälliger für Naturgefahren wie Hochwasser oder Stürme, reduziert
(Foto: Metronom GmbH)    das heißt Leistungen und Güter, die dem Menschen einen direkten                Nahrungsquellen (Korallenriffe nehmen nur 1 Prozent der Weltmeere             ABBILDUNG 3
                         oder indirekten wirtschaftlichen, materiellen, gesundheitlichen                ein, bieten aber Lebensraum für 25 Prozent der Biomasse) und gefährdet        (Foto: Mahmoud Habeeb)
                         oder psychischen -> Nutzen bringen. In Abgrenzung zum Begriff                  auch die Lebensräume von seltenen Arten.
                        -> Ökosystemfunktion entsteht der Begriff Ökosystemleistung
                         aus einer anthropozentrischen Perspektive und ist an einen Nutzen
                         des Ökosystems für den Menschen gebunden.                                     Der Schutz und die nachhaltige Nutzung von Natur und biologischer
                         Das Vorhaben »Naturkapital Deutschland – TEEB DE« konzentriert sich           Vielfalt lohnen sich – auch ökonomisch gesehen. Denn die Vorsorge
                         auf Ökosystemleistungen, um eine neue und ergänzende Perspektive              zur Sicherung unserer Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen ist deut-
                         für den Biodiversitätsschutz zu entwickeln.                                   lich preiswerter als der Versuch, zerstörte Ökosysteme wiederherzu-
                                                                                                       stellen oder Naturressourcen zu ersetzen – sofern dies überhaupt
DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ
12                      DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT                       EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR                                                             13

                                                                                                 INFOBOX 3

                                                                                                 Ausgewählte Probleme für die Natur in Deutschland
                                                                                                   Anhaltender Nährstoffeintrag aus industrieller Produktion, Verbren-
                                                                                                 nung fossiler Energiequellen, Verkehr und Landwirtschaft bewirkt eine
                                                                                                 hohe Belastung der Böden, der Grund- und Oberflächengewässer so-
                                                                                                 wie der Meere mit Stickstoff und Phosphat. Dies hat schwerwiegende
                                                                                                 Folgen: so weisen die küstennahen Regionen und insbesondere die
                                                                                                 inneren Küstengewässer einen schlechten Gewässerzustand nach den
                                                                                                 Kriterien der Wasserrahmenrichtlinie auf (Nausch u. a. 2011). Hohe
                                                                                                 Summen werden ausgegeben, um diesen Zustand zu verbessern, ohne
                                                                                                 dass das Ziel nur annähernd erreicht wird.
                                                                                                   Durch die Verbauung der Fließgewässer ist die natürliche Hoch-
                                                                                                 wasserrückhaltefunktion der Auen dauerhaft beeinträchtigt, wodurch
                                                                                                 Hochwasserabflüsse verschärft und Schäden erhöht werden. Schät-
                                                                                                 zungen zufolge können in vielen Abschnitten von Rhein, Elbe, Donau
                                                                                                 und Oder nur 10 bis 20 Prozent der ehemaligen Auenflächen für Hoch-
                                                                                                 wasserrückhaltung genutzt werden. Dies erfordert einen techni-
                                                                                                 schen Hochwasserschutz, der zunehmend an finanzielle und tech-
                                                                                                 nische Grenzen stößt. Nur rund ein Prozent der ursprünglichen
                                                                                                 Verbreitungsflächen von Auwäldern befindet sich in einem natur-
                                                                                                 nahen Zustand; noch weniger sind von den Altauenflächen der einsti-
                                                                                                 gen Feuchtgrünländer erhalten (BMU / BfN 2009). Weniger Erhol-
                                                                                                 ungsmöglichkeiten und der Verlust von biologischer Vielfalt sind
                                                                                                 die Folgen.
                                                                                                   Knapp drei Viertel der insgesamt 690 in Deutschland vorkomm-
                                                                                                 enden Biotoptypen werden nach der Roten Liste als »gefährdet«
ABBILDUNG 4             möglich ist. Dabei geht es nicht darum, Pflanzen und Tiere mit Preis-     eingestuft (BMU 2009) – gut ein Drittel aller in Deutschland leben-
(Foto: Metronom GmbH)   schildern zu versehen oder eine einzelne Wertgröße für das -> Natur-     den Wirbeltierarten gelten als »ausgestorben«, »verschollen« oder
                        kapital zu berechnen (-> Kapitel 3). Vielmehr soll ein stärkeres         »aktuell gefährdet« (BfN 2009). Von den verbliebenen 65 Rassen
                        Bewusstsein für den Wert von Naturkapital (-> Infobox 4) geschaffen      der wichtigsten Nutztierarten Pferd, Rind, Schwein, Schaf und Ziege         ABBILDUNG 5       Der Uhu (bubo
                        werden mit dem Ziel, diesen Wert – in Wahrnehmung unserer mora-          gelten 54 Rassen als »gefährdet« (BLE 2010). Wir verlieren Vielfalt, ohne   bubo) war Anfang des letzten
                        lischen Verantwortung – künftig stärker in privaten, unternehmeri-       uns über die damit einhergehenden möglichen Verluste heute im               Jahrhunderts in Deutschland fast
                        schen und politischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Anschau-        Klaren zu sein.                                                             ausgerottet. Durch Artenhilfspro-
                        liche Beispiele sollen zeigen, wie Entscheidungsträger aus Politik und     Die Umwandlung von naturnahen und landwirtschaftlichen Flä-               gramme konnte der Bestand deutlich
                        Wirtschaft volkswirtschaftlich sinnvoll mit der Natur in Deutschland     chen in Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke ist mit nahezu            erhöht werden. Der Uhu bevorzugt
                        umgehen können.                                                          90 Hektar pro Tag – das entspricht rund 100 Fußballfeldern – anhal-         reich strukturierte Landschaften mit
                                                                                                 tend hoch. Die Folgen dieses Flächenverbrauchs sind unter anderem           einem Wechsel an Offenland und
                        Viele Leistungen der Natur sind auf Grund ihrer hohen Beanspru-          Bodenversiegelung und Bodenverlust, Zerschneidung von Land-                 Waldflächen. Gefährdungen ergeben
                        chung und trotz zahlreicher gesetzlicher Regelungen zum Schutz der       schaften, negative Wirkungen auf den Wasserablauf und das Mikro-            sich u. a. durch Verluste in Folge von
                        Natur zunehmend gefährdet. Besonders deutlich zeigt sich der dro-        klima. Bei der Ausweisung von Bau- und Gewerbeflächen werden                 Leitungsanflug und durch elektri-
                        hende Verlust solcher elementaren Leistungen auf globaler Ebene          diese nachteiligen Wirkungen wie auch die Kosten der Erstellung             schen Schlag an ungenügend
                        (-> Infobox 2).                                                          und der lang fristigen Unterhaltung von öffentlichen Infrastrukturen        konstruierten und gesicherten
                        Doch auch auf nationaler Ebene gibt es – trotz einiger Erfolge wie       für diese Gebiete von kommunalen Entscheidungsträgern oft unter-            Strommasten. (Foto: Katherine
                        zum Beispiel bei der Gewässerqualität oder beim Aufbau von Schutz-       schätzt.                                                                    Haluska, Fotolia.com)
                        gebieten – weiterhin einen schleichenden Verlust an biologischer
DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ
14                      DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT                          EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR                          15

                        Vielfalt und den Leistungen eines intakten -> Naturhaushalts
                        (-> Infobox 3). Der Klimawandel verändert das Niederschlagsregime –
                                                                                                     INFOBOX 4
                        mit schwerwiegenden Folgen für Teile der land- und forstwirtschaft-
                        lichen Produktion und mit neuen Herausforderungen für die Infrastruk-        Naturkapital und Ökosystemleistungen
                        tursysteme wie zum Beispiel den Hochwasserschutz. Die Ökosysteme –           Das Naturkapital umfasst die Natur mit ihrer Vielfalt an Arten, Lebens-
                        und damit oft auch direkt oder indirekt die Menschen – werden in             gemeinschaften und Ökosystemen. Es bildet neben technischem Kapi-
                        vielen Bereichen mit immer stärkeren Belastungen durch Schadstoffe           tal (Maschinen, Produktionsanlagen etc.) und menschlichem Kapital
                        konfrontiert; gleichzeitig sorgen Zerschneidung und Flächeninan-             (Wissen, Arbeitskraft) die Grundlage für Wertschöpfung und Wohlstand.
                        spruchnahme durch Siedlung und Verkehr für einen Verlust an intak-           Die verschiedenen Leistungen der Natur, die Ökosystemleistungen, sind
                        ten zusammenhängenden Ökosystemen und Naturräumen. Die inten-                Voraussetzung für die Produktion zahlreicher Güter und Dienstleistun-
                        sive Produktion von Lebensmitteln erfolgt oft mit problematischen            gen, fördern unsere Gesundheit und sind damit wichtige Basis für unser
                        Folgen für die Erhaltung und den Schutz unserer Böden und die biolo-         Wohlergehen.
                        gische Vielfalt. Durch den Anbau von Bioenergiepflanzen wird dieser           Die Natur bildet im ökonomischen Sinne ein »Kapital«, und ihre Leistun-
                        Prozess in jüngster Zeit noch verschärft. Und wir dürfen nicht verges-       gen lassen sich als »Dividende« auffassen, die der Gesellschaft zufließt.
                        sen: Wir sind Teil der Weltgemeinschaft – durch unsere Konsumge-             Die Erhaltung des natürlichen Kapitalstocks ermöglicht es, diese Divi-
                        wohnheiten und unseren Lebensstil tragen wir zu den globalen Prob-           denden auch künftigen Generationen dauerhaft bereitzustellen. Natur-
                        lemen bei.                                                                   schutz und nachhaltiger Umgang mit unseren natürlichen Lebens-
                                                                                                     grundlagen sind daher ein Gebot ökonomischer Weitsicht und
                        Die Folgekosten dieses Verlustes der biologischen Vielfalt sowie der         Verantwortung.
                        Leistungen der Ökosysteme sind bereits heute spürbar und werden              Naturkapital und Ökosystemleistungen sind »anthropozentrisch« ge-
                        sich zukünftig noch erhöhen. »Naturkapital Deutschland« will einen           prägte Begriffe. Sie grenzen sich in ihrer vom Nutzen des Menschen her
                        Beitrag aus ökonomischer Sicht dafür leisten, dass es zu einer Umkehr        geprägten Sichtweise deutlich ab vom »bio-« oder »ökozentrisch« ge-
                        der negativen Trends kommt – für uns und unsere Kinder.                      prägten Begriff des »Eigenwerts« der Natur (-> Kapitel 3, -> Infobox 19).

                        1.2   WESHALB EINE ÖKONOMISCHE SICHT
                              HELFEN KANN                                                           ihrer ökonomischen Dimension berücksichtigt werden können. Die
                         Die Natur an sich ist es unbestritten wert, erhalten zu werden. Hierzu     derzeitige Vernachlässigung führt in vielen Bereichen zu Entschei-
                         haben wir eine moralische Verpflichtung, die auch im Grundgesetz            dungen auf Kosten von -> Biodiversität und Ökosystemleistungen –
                         verankert ist, das den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen for-        von der intensiven Landwirtschaft, der Ausweisung von Bebauungs-
                         dert. »Naturkapital Deutschland« stellt die ökonomische Sichtweise         gebieten in Flussauen bis hin zu Wirtschaftlichkeitsberechnungen für
                         auf die Natur bewusst neben den »Eigenwert« der Natur (-> Kapitel 3,       Anlagen und Projekte, in die Naturbelange und Ökosystemleistungen
                        -> Infobox 19). Das Motiv, Natur als Wert an sich zu erhalten, soll durch   nicht eingehen ( -> Kapitel 3, -> Infobox 15 und 21).
                         diese Sichtweise nicht vernachlässigt oder gar ersetzt werden.             Naturnahe Auen halten Hochwasserfluten zurück und reduzieren da-
                                                                                                    durch Schäden an Gebäuden und Infrastruktur. Die Schadensminde-
                        In Deutschland gibt es für den Schutz von Natur und auch von Öko-           rung spart Kosten bei den Privaten und beim Staat und verbessert die
                        systemleistungen bereits seit längerem gesetzliche Anforderungen.           Bilanzen der Versicherungen. Diese wirtschaftlichen Vorteile werden
ABBILDUNG 6             Wozu also eine zusätzliche ökonomische Sicht auf die Natur?                 aber bisher nicht den Auen zugerechnet. Ihre Umwandlung oder Ein-
(Foto: Metronom GmbH)   Ausgangspunkt von »Naturkapital Deutschland« ist die These, dass            deichung ist deshalb oft nur scheinbar wirtschaftlich. Eine systemati-
                        die Leistungen der Natur in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen         sche Einbeziehung der eingesparten Kosten hätte im Rückblick oft zur
                        Entscheidungen unter anderem deshalb nicht ausreichend berück-              Erhaltung von Auen beigetragen.
                        sichtigt werden, weil sie als -> öffentliche Güter frei verfügbar sind      Ein weiteres der Beispiele, die in Kapitel 2 näher erläutert werden, ist
                        und ihre wirtschaftliche Bedeutung nicht ausreichend bekannt,               die Umwandlung von Grünland in Ackerland. Für den Landwirt ist sie
                        quantifiziert und bewertet ist. Dies heißt nicht, dass diese öffentli-       heute oft profitabel. Sie kann aber die Belastung von Grund- und
                        chen Güter privatisiert werden sollen (-> Infobox 5). Wichtig ist aus       Oberflächengewässern erhöhen und zu einem vermehrten Austrag
                        ökonomischer Sicht vielmehr, dass die Werte identifiziert und so weit        schädlicher Klimagase führen. Die einzelwirtschaftlichen Vorteile der
                        wie sinnvoll und möglich auch quantifiziert werden, damit sie in Ent-        Umwandlung vom Ökosystem »Grünland« in das Ökosystem »Acker«
                        scheidungen zunehmend in ihrem vollen Umfang, das heißt: auch mit           verbessern die ökonomische Bilanz des landwirtschaftlichen Betriebs.
DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ
16   DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT                         EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR                                                         17

     Die verloren gegangenen Filter- und Senkenfunktionen des Grünlan-          temleistungen – würde zusätzliche Impulse zur Umsetzung von mehr
     des führen dagegen zu Kosten, welche die Gesellschaft als Ganzes zu        Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft geben.
     tragen hat: zusätzliche Maßnahmen zur Wasserreinhaltung und zur            Die Beispiele lassen sich weiter fortführen: Stadtgrün verringert Kos-
     Reduktion von Klimagasen. Eine systematische Gegenüberstellung             ten im Gesundheitssystem, touristisch attraktive Landschaften füh-
     aller Kosten und Nutzen – einschließlich der entgangenen Ökosys-           ren zu zusätzlichen Einnahmen der Gastronomiebetriebe, Baden in
                                                                                sauberen Gewässern wird häufig attraktiver empfunden als der kos-
                                                                                tenpflichtige Besuch eines Freibades. In allen Fällen besteht dasselbe
                                                                                Dilemma: Der wirtschaftliche Wert der kostenfrei erbrachten Leis-
      INFOBOX 5
                                                                                tungen wird nicht erfasst und den Ökosystemen nicht zugerechnet.
     Ökonomische Bewertung versus »Ökonomisierung« der Natur
     Viele Aktive aus dem Natur- und Umweltschutz stehen einer ökonomi-         Bei der Erfassung der wirtschaftlichen Bedeutung der Leistungen der
     schen Bewertung distanziert oder ablehnend gegenüber. Sie befürchten       Natur kommt es nicht in erster Linie darauf an, diese Werte in Geld-
     vor allem eine Kommerzialisierung und »Kommodifizierung« der Natur          einheiten zu fassen (-> Monetarisierung). Vielmehr soll grundsätz-
     (von englisch »commodity« = die Ware, der Handelsartikel) in Form ei-      lich deutlich gemacht werden, wie wichtig es ist, Ökosystemleistun-
     ner Bepreisung und anschließenden Vermarktung, die schließlich ihren       gen sowohl quantitativ als auch von ihrer Bedeutung und ihrem Wert
     »Ausverkauf« bedeuten kann. Es wird befürchtet, dass die Art und Wei-      her möglichst vollständig zu erfassen. Eine Monetarisierung ist dabei
     se, wie wir Natur bewerten, auch die Art und Weise prägt, wie wir mit      nur eine Methode unter anderen. Darüber hinaus wird der ökonomi-
     Natur umgehen. Da jede Form der Bewertung sozial eingebettet und           sche Ansatz häufig zu Unrecht allein auf die Bewertung reduziert.
     kultur- und interessenabhängig ist, könne eine monetäre Bewertung          Tatsächlich ist er aber breiter als es auf den ersten Blick scheint. Der
     von Natur negative Auswirkungen im Hinblick auf das eigentliche            Prozess der -> ökonomischen Bewertung umfasst neben der Bewer-
     Schutzziel mit sich bringen (TEEB 2010 A). Gerade die Erfahrungen im       tung (als »Wertbeimessung« im eigentlichen Sinne) immer auch die ABBILDUNG 7
     Klimabereich scheinen diese Auffassungen zu bestätigen: Die Berück-        Identifikation von auftretenden Wirkungen einer Maßnahme, eines (Foto: eyewave, Fotolia.com)
     sichtigung von Wäldern als CO2-Speicher in derzeit diskutierten inter-     Projekts oder einer Umweltveränderung sowie die Erfassung dieser
     nationalen Instrumenten der Klimapolitik wie REDD (Reducing Emissi-        Wirkung durch geeignete Kennzahlen und Messgrößen (-> Kapitel 3).
     ons from Deforestation and Degradation) weckt Erwartungen einer            Häufig ist die Identifikation der Naturausstattung und der biologi-
     Wertsteigerung der betroffenen Wälder. Das führt unter anderem be-         schen Vielfalt sowie die systematische und vollständige Erfassung
     reits heute schon dazu, dass in vielen Entwicklungsländern die Landprei-   von Veränderungen sogar wichtiger als die Bewertung. Die Frage, wer
     se spekulativ steigen, mit oft nachteiligen Wirkungen für die einheimi-    wann und wo von welchen Effekten in welcher Weise betroffen ist,
     sche Bevölkerung und die Natur (Monokulturen).                             ist mitunter für Entscheidungen wichtiger als die Frage nach der
     Ein kritischer Blick auf die ökonomische Bewertung hilft uns, keine vor-   Höhe eines bestimmten Vorteils (dem in Geldeinheiten ausgedrück-
     eiligen Schlüsse hinsichtlich der Instrumente im Umgang mit der Natur      ten Wert) (-> Infobox 5). Es geht somit nicht darum, der Natur ein
     und ihren Ökosystemleistungen zu ziehen. Die Ergebnisse einer ökono-
     mischen Betrachtung sind keinesfalls zwangsläufig Privatisierung und                                                                                 ABBILDUNG 8
     Vermarktung; vielmehr kann es durchaus Ergebnis sein, dass das Ord-                                                                                 (Foto: micromonkey, Fotolia.com)
     nungsrecht und bestehende Planungsinstrumente zu stärken sind, um
     das öffentliche Gut »Natur« zu bewahren. Es geht darum, die ökonomi-
     sche Bewertung sorgsam und verantwortungsbewusst einzusetzen.
     Es geht nicht darum, unzulässige Gleichungen aufzustellen, bei denen
     Ökosystemleistungen gegeneinander »verrechnet« werden könnten,
     ohne ökologische Zusammenhänge und den Eigenwert der Natur anzu-
     erkennen. Mit Blick auf ökonomische Anreize und Märkte ist die Aus-
     gestaltung der Rahmenbedingungen (wie etwa die Gestaltung der
     Eigentumsrechte, der Zugang zu Ressourcen oder Haftungsregeln) ent-
     scheidend dafür, ob sie zu den gewünschten Ergebnissen (im Sinne
     natur verträglicheren Wirtschaftens und Konsumierens) führen und ob
     dies in sozial verträglicher Form geschehen kann.
DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ
18   DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT                        EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR                                                            19

     »Preisschild anzuhängen«. Vielmehr geht es um ein Bewusstsein über
     die Multifunktionalität der jeweiligen Ökosysteme, der Identifikation
                                                                                INFOBOX 6
     und Erfassung sowie umfassenden Berücksichtigung aller auftreten-
     den Leistungen und um eine Analyse der Verteilung der Nutzen und           Die internationale TEEB-Studie
     Kosten dieser Leistungen auf die Betroffenen. Ein nicht zwangsläufig        Deutschland initiierte im Rahmen seiner G8-Präsidentschaft im Jahr
     in Geldeinheiten ausgedrückter ökonomischer Wert der Vorteile der          2007 gemeinsam mit der EU-Kommission eine internationale Studie
     Erhaltung intakter Ökosysteme kann dabei für mehr Transparenz sor-         über »Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität« (The Eco-
     gen. Er entbindet aber nie von dem Bewusstsein, dass viele Schäden         nomics of Ecosystems and Biodiversity, kurz TEEB). Die Umweltminister
     in der Natur irreversibel und Funktionen und Güter der Natur schon         der G8-Mitgliedstaaten beschlossen in Potsdam, sich mit dem globalen
     aus ökologischen Gründen nicht frei austauschbar sind.                     wirtschaftlichen Nutzen der biologischen Vielfalt und den Kosten des
                                                                                Biodiversitätsverlustes zu befassen. Als Leitbild des TEEB-Prozesses
     Eine ökonomische Sicht kann demnach zeigen, dass mit der Natur             wurde formuliert: »Die Biodiversität in all ihren Dimensionen – Qualität,
     und den davon ausgehenden Leistungen – neben ethischen und kul-            Quantität und Vielfalt der Ökosysteme, Arten und Gene – muss nicht
     turellen Werten – auch ökonomische Werte verbunden sind. Sie ver-          nur aus gesellschaftlichen, ethischen oder religiösen Gründen erhalten
     deutlicht damit, dass Natur einen Kapitalbestand darstellt, ähnlich        werden, sondern auch im Sinne des wirtschaftlichen Nutzens für heu-         ABBILDUNG 9      Das »Logo«
     dem Sach- oder Humankapital (-> Infobox 4). Es kann gezeigt werden,        tige und künftige Generationen. Erstrebenswert ist daher eine Gesell-       der internationalen TEEB-Studie
     wer von den Leistungen der Natur profitiert und wer die Kosten für          schaft, die ökonomisch verantwortlich mit ihrem natürlichen Kapital
     den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Natur trägt. Damit kön-         umgeht.« (TEEB 2010B: 40).
     nen Argumente für die Erhaltung der Natur auch für jene geliefert          Die Ergebnisse der TEEB-Studie wurden zwischen 2008 und 2011 ver-
     werden, die sich bisher nicht für den Naturschutz eingesetzt haben         öffentlicht (-> www.teebweb.org). Dabei richten sich die einzelnen
     oder die sich nicht darüber im Klaren waren, dass ihre Entscheidun-        TEEB-Berichte gezielt an ausgewählte Adressaten wie politische Ent-
     gen möglicherweise einen negativen Einfluss auf das Naturkapital            scheidungsträger auf verschiedenen Ebenen, an Repräsentanten inter-
     und die Leistungen der Natur haben. Dies bezieht sich sowohl auf           nationaler und zwischenstaatlicher Organisationen, an Vertreter von
     Naturschutzmaßnahmen (zum Beispiel Renaturierung von Mooren)               Wirtschaft, Wissenschaft, zivilgesellschaftlichen Organisationen und
     als auch auf die seit langem geforderte konsequentere Integration          Städten sowie an den einzelnen Bürger.
     von Biodiversitätszielen und -belangen in andere Politikbereiche mit
     dem Ziel eines naturverträglicheren Wirtschaftens.
                                                                               Mitgliedstaaten bis 2014 ihre Ökosysteme und deren Leistungen
     1.3   NATUR UND ÖKONOMIE – EIN THEMA                                      erfassen, bewerten und kartieren.
           GEWINNT AN BEDEUTUNG                                                In einzelnen Staaten wurde mit der nationalen Erfassung von Natur-
     Die Einsicht, dass Ökosysteme und daraus resultierende Leistungen         kapital begonnen, zum Beispiel in Großbritannien oder der Schweiz
     eine wesentliche Grundlage für das menschliche Wohlergehen sind           (vgl. UK NEA 2011; Staub, Ott 2011). Nationale TEEB-Studien werden
     und durch eine ökonomische Perspektive erfasst werden können, ist         zunehmend initiiert – unter anderem in den Niederlanden, Norwegen,
     keineswegs neu. Sie wird bereits seit Jahrzehnten in Wissenschaftskrei-   Brasilien und Korea.
     sen international diskutiert und fand mit dem »Millennium Ecosystem
     Assessment« (MA 2005) weltweit große Beachtung. Ökonomische               Das Vorhaben »Naturkapital Deutschland« ist der deutsche Beitrag
     Argumente spielen dabei eine immer größere Rolle, wie eindrucksvoll       zum internationalen TEEB-Prozess. Das Vorhaben »Naturkapital
     mit der internationalen TEEB-Studie gezeigt wurde (-> Infobox 6).         Deutschland« will
     Auch auf politischer Ebene wurde die Bedeutung der Ökosysteme               den Zusammenhang zwischen den Leistungen der Natur, der Wert-
     und ihrer Leistungen in den vergangenen Jahren fest verankert: Ihre         schöpfung der Wirtschaft und dem menschlichen Wohlergehen
     Erhaltung und Wiederherstellung gehört zu den globalen und EU-              bewusst machen,
     weiten Biodiversitätszielen. Die 2011 von der EU-Kommission vorge-          einen Anstoß liefern, um die Leistungen und Werte der Natur ge-
     legte Biodiversitätsstrategie (Europäische Kommission 2011) fordert         nauer zu erfassen und in Deutschland sichtbarer zu machen,
     unter anderem als ein Ziel die Sicherung und Verbesserung von Öko-          Möglichkeiten untersuchen und Vorschläge entwickeln, um Natur-
     systemen und deren Leistungen durch eine »Grüne Infrastruktur« bis          kapital besser in private und öffentliche Entscheidungsprozesse
     zum Jahr 2020. Dabei sollen mindestens 15 Prozent der geschädigten          einzubeziehen, damit langfristig die natürlichen Lebensgrundlagen ABBILDUNG 10
     Ökosysteme wiederhergestellt werden. Zur Umsetzung sollen die EU-           und die biologische Vielfalt erhalten werden.                     (Foto: Rolf Quandt)
20   DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT                         EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR                                                               21

     Deutschland verfügt bereits durch die Nationale Biodiversitätsstra-
     tegie (Bundesregierung 2012), die Nationale Nachhaltigkeitsstrate-
                                                                                INFOBOX 7
     gie, umweltgesetzliche Regelungen und die dafür entwickelten Instru-
     mente über Grundlagen zur Erhaltung von Naturkapital und Ökosys-           Standpunkt: Interview mit Fernsehmoderator Karsten Schwanke
     temleistungen. Mit dem Vorhaben »Naturkapital Deutschland« soll              Herr Schwanke, Sie haben sich bereit erklärt, als Berater und
     auch die Umsetzung der genannten nationalen Ziele und Strategien             Botschafter im Vorhaben »Naturkapital Deutschland« mitzuwirken.
     unterstützt werden.                                                          Warum setzen Sie sich gerade für ein solches Projekt ein?
                                                                                Deutschland hat eine reichhaltige Natur. Diese Natur ist ein Kapital,
     Im Kern des Projektes »Naturkapital Deutschland« geht es darum, vor-       das viel zu oft unterschätzt wird. Es gibt für mich zwei Gründe,
     handenes Wissen über die Natur und ihre Leistungen zusammenzu-             mich für das Projekt einzusetzen: Einerseits möchte ich das Bewusst-
     tragen. Dazu sollen ein Netzwerk aufgebaut und Prozesse angestoßen         sein in der Gesellschaft für den Reichtum unserer Natur schärfen –
     werden, die dazu beitragen, dass der Wert der Natur und ihrer Leis-        und andererseits auch klar machen, dass Natur nicht »nur« schön              ABBILDUNG 11      Karsten Schwanke,
     tungen künftig besser in Entscheidungen berücksichtigt wird. Unter-        anzusehen ist, sondern auch eine darüber hinausgehende monetär               ARD-Meteorologe und Wissen-
     stützt wird das Vorhaben unter anderem von einer Projektbegleiten-         erfassbare Bedeutung hat. Unsere Natur ist auch ein finanzieller              schaftsmoderator, ist Mitglied des
     den Arbeitsgruppe und einem Beirat (-> Kapitel 4 und Infobox 7).           Schatz unserer Gesellschaft, den wir sorgsam hüten müssen.                   Projektbeirats »Naturkapital
                                                                                  Gerade für Sie als Fernsehjournalist ist die Natur ja ein faszinierendes   Deutschland«.
      In Kapitel 2 weisen wir zunächst auf die Vielzahl der Ökosystemleis-        Objekt, unendlich abwechslungsreich und wandelbar. Ist Ihnen der           (Foto: Ralf Wilschewski)
      tungen in Deutschland hin und stellen für einige ihre Bedeutung für         Fokus auf den ökonomischen Wert da nicht viel zu eingeschränkt?
      Wohlstand und Wohlergehen dar.                                            Umgekehrt: Mir ist eher die rein optisch-faszinierende Betrachtung
      In Kapitel 3 werden wir ökonomische Ansätze der Bewertung und             der Natur zu wenig, zu eingeschränkt. Die Reduzierung der Natur
     -> Inwertsetzung vorstellen und einordnen. Wir werden erläutern,           auf den »Sonntagsspaziergang im Park« macht uns blind für die wahre
      wie die ökonomische Sichtweise zur Erhaltung der Natur in Deutsch-        Bedeutung der Natur. Wir brauchen sie und sind abhängig von ihr.
      land beitragen kann.                                                      Deshalb ist es wichtig, diese Bedeutung mit Zahlen zu untermauern,
      Kapitel 4 gibt schließlich weitere Informationen zu Zielsetzung, Struk-   auch, um in der Gesellschaft ein neues Bewusstsein dafür zu schaffen.
      tur und Verlauf des Projekts »Naturkapital Deutschland«.                    Welche Rolle sehen Sie für die Medien bei der Frage nach
                                                                                  Erhaltung und nachhaltiger Nutzung von Natur?
                                                                                Wenn ich einmal den Vergleich zum Stern-Report (zum Thema globale
                                                                                Erwärmung) ziehen darf: Nach Veröffentlichung dieses Klima-Reports
                                                                                hatten die Medien Fakten und Zahlen in der Hand. Die Klimadiskussion
                                                                                gelangte auf eine neue Ebene und wurde quer durch die ganze
                                                                                Gesellschaft geführt. Das erhoffe ich mir von dem deutschen Beitrag
                                                                                zum TEEB-Prozess auch im Verständnis für die Bedeutung der Natur,
                                                                                dass dieses Thema vielschichtiger diskutiert wird. Journalisten sind
                                                                                dankbar für Hintergrundinformationen, für Zahlen und Fakten.
                                                                                Wenn »Naturkapital Deutschland« diese liefert, wird das Thema nicht
                                                                                nur in den Medien, sondern auch in der Gesellschaft mit einer
                                                                                anderen Ernsthaftigkeit diskutiert.
                                                                                  Wer müsste Ihrer Meinung nach die geplanten Berichte zu
                                                                                  »Naturkapital Deutschland« lesen und verinnerlichen?
                                                                                Das gesamte Projekt wird wahrscheinlich nur von Entscheidungsträ-
                                                                                gern in der Politik und Gesellschaft, von Wissenschaftlern und in den
                                                                                Naturschutzorganisationen studiert. Nichtsdestotrotz sollte man einer
                                                                                interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, die wichtigsten
                                                                                Ergebnisse in Form einer kurzen Zusammenfassung lesen zu können.
                                                                                Auch ein Abstract, ein 10-Punkte-Papier mit den wichtigsten Eckdaten
                                                                                sollte natürlich breite Schichten der Gesellschaft erreichen.
22   DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT                            NATUR UND ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN – GRUNDLAGE FÜR WIRTSCHAFT UND WOHLFAHRT                                                23

                                                                                   In diesem Kapitel soll ein kurzer Überblick über wichtige -> Ökosys-
                                                                                   temleistungen in Deutschland gegeben werden. Dabei kann es
     NATUR UND ÖKOSYSTEM-                                                          nicht um eine vollständige Erfassung gehen, sondern vielmehr um

2    LEISTUNGEN – GRUNDLAGE
     FÜR WIRTSCHAFT UND
     WOHLFAHRT
                                                                                   die exemplarische Darstellung der ökonomischen Bedeutung von
                                                                                   Ökosystemleistungen und biologischer Vielfalt. Beispiele illustrieren
                                                                                   unterschiedliche -> Versorgungs-, -> Regulierungs- und -> kultu-
                                                                                   relle Leistungen sowie -> Basisleistungen der -> Ökosysteme in
                                                                                   Deutschland sowie ihr Verhältnis zur -> Biodiversität.

                                                                                   2.1   WOVON WIR LEBEN
                                                                                   Die Natur und die mit ihr verbundenen Ökosystemleistungen in
                                                                                   Deutschland bilden die Grundlage für unser -> Wohlergehen und
                                                                                   sind in vielen Bereichen lebensnotwendig. Ökosystemleistungen lie-
                                                                                   fern die Basis für Grundnahrungsmittel ebenso wie für die Herstel-
                                                                                   lung von Produkten in so unterschiedlichen Sektoren wie Hochtechno-          ABBILDUNG 12       Das Millennium
                                                                                   logie, Energieversorgung und Erholung. Ökosystemleistungen haben             Ecosystem Assessment (MA 2005)
                                                                                   eine erhebliche ökonomische Bedeutung.                                       hat ein Konzept zur Klassifizierung
     DIE GESELLSCHAFT MUSS DRINGEND IHREN MANGEL-                                  Voraussetzungen für alle Ökosystemleistungen sind die Basisleistun-          der weltweiten Ökosystemleistun-
                                                                                   gen, die das Funktionieren von Ökosystemen erst ermöglichen. Darauf          gen sowie ihrer Bedeutung für
     HAFTEN ÖKONOMISCHEN KOMPASS ERSETZEN,
                                                                                   aufbauend lassen sich Versorgungsleistungen, Regulierungsleistun-            das Wohlergehen der Menschen
     DAMIT SIE NICHT DAS MENSCHLICHE WOHLERGEHEN                                   gen und kulturelle Leistungen unterscheiden. Lebensräume oder Ar-            erarbeitet. Demnach bilden Öko-
                                                                                   tengemeinschaften bilden die direkte oder indirekte Voraussetzung            systemleistungen Grundlagen
     UND DIE GESUNDHEIT DES PLANETEN DURCH
                                                                                   einzelner Ökosystemleistungen. Diese Voraussetzungen geraten je-             für Sicherheit, materielle Grundver-
     DIE UNTERBEWERTUNG UND DEN DAUERHAFTEN VER-                                   doch durch intensive Flächennutzung zunehmend in Gefahr. Daher               sorgung, Gesundheit, soziale
                                                                                   soll in diesem Kapitel ein besonderes Augenmerk darauf gelegt wer-           Interaktion und Handlungsfreiheit
     LUST VON ÖKOSYSTEMEN UND BIODIVERSITÄT
                                                                                   den, wie eine Nutzung von Ökosystemleistungen erfolgen kann, ohne            (übersetzt und verändert nach
     AUFS SPIEL SETZT.                                                             ihre Basis zu zerstören.                                                     MA 2005, BfN 2012).

     PAVAN SUKHDEV [2008]

                                                                                                     ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN                  BESTANDTEILE MENSCHLICHEN WOHLERGEHENS

                                                                                                                 Versorgungsleistungen    Sicherheit
      KERNAUSSAGEN                                                                                               Nahrung                   persönliche Sicherheit
                                                                                                                 Trinkwasser               gesicherter Zugang zu Ressourcen
                                                                                                                 Holz und Fasern           Sicherheit vor Katastrophen
                                                                                                                 Brennstoffe
        Ökosystemleistungen in Deutschland sind vielfältig und wertvoll. Basis-,                                 …                        Materielle Grundversorgung
      Versorgungs-, Regulierungs- und kulturelle Leistungen der Natur bilden                                                               angemessene Lebensgrundlagen
                                                                                                                 Regulierungsleistungen    ausreichende Versorgung mit
      die Grundlage für unsere Wirtschaft und für das Wohlergehen jedes Ein-                Basisleistungen      Klimaregulierung          Nahrung und Nährstoffen
                                                                                            Nährstoffkreislauf   Hochwasserregulierung     Unterkunft                          Entscheidungs- und
      zelnen.                                                                               Bodenbildung         Krankheitenregulierung    Zugang zu Gütern                    Handlungsfreiheit
                                                                                            Primärproduktion     Wasserreinigung                                               Möglichkeit, ein selbst-
                                                                                            …                    …                                                             bestimmtes Leben zu
        Ökosystemleistungen stehen untereinander in Wechselwirkung. Je                                                                    Gesundheit
                                                                                                                                                                               führen
                                                                                                                                           Lebenskraft
      nach Nutzung von Ökosystemen können sie sich untereinander begüns-                                         Kulturelle Leistungen
                                                                                                                                           Wohlbefinden
                                                                                                                 Ästhetik
                                                                                                                                           Zugang zu sauberer Luft und
      tigen oder konkurrieren. Entsprechendes gilt für ihr Verhältnis zur biolo-                                 Spiritualität
                                                                                                                                           sauberem Wasser
                                                                                                                 Bildung
      gischen Vielfalt.
                                                                                                                 Erholung
                                                                                                                                          Gute soziale Beziehungen
                                                                                                                 …
                                                                                                                                           sozialer Zusammenhalt
        Beispiele zeigen, wie die Erhaltung von Ökosystemleistungen gleichzei-                                                             gegenseitiger Respekt
                                                                                                                                           Fähigkeit, anderen zu helfen
      tig auch zur Erhaltung von Natur und biologischer Vielfalt beitragen kann.                 LEBEN – BIOOGISCHE VIELFALT
24                                   DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT                        NATUR UND ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN – GRUNDLAGE FÜR WIRTSCHAFT UND WOHLFAHRT                                                                                                                    25

                                     2.2 VERSORGUNGSLEISTUNGEN – WOMIT UNS DIE                                 gung der Produktionsgrundlagen führen: So führt etwa der übermä-
                                         NATUR VERSORGT                                                        ßige Einsatz von Düngemitteln zum Rückgang der natürlichen
                                     Versorgungsleistungen bezeichnen beispielsweise Nahrung, Wasser,          Bodenfruchtbarkeit; schwere Maschinen bewirken eine zunehmende
                                     Feuer- und Bauholz; Güter, die von Ökosystemen oder mit deren Hilfe       Bodenverdichtung; die Vernichtung von Randstrukturen wie Hecken
                                     produziert werden. Auch wenn wesentliche Teile der pflanzlichen            oder Raine fördert Erosionsschäden durch Wind und Wasser (-> Info-
                                     und tierischen Agrarproduktion heute mit einem hohen Arbeits- und         box 8 und -> Kapitel 2.3).
                                     Kapitaleinsatz verbunden sind, so sind sie doch eng mit Leistungen
                                     unserer Ökosysteme verknüpft und ohne deren Beiträge nicht denk-
                                     bar.
                                                                                                                INFOBOX 8

                                     Trinkwasser                                                                Ökosystemleistungen in der Landwirtschaft –
ABBILDUNG 13      Auf der Grund-     Der Bedarf an dieser Ökosystemleistung ist gewaltig. Nach Angaben          mehr als nur Nahrungsmittelproduktion
lage der Europäischen Wasser-        des Statistischen Bundesamtes (2009) umfasst die Wasserabgabe der          Landwirtschaft kann auch so betrieben werden, dass die von ihr bewirt-
rahmenrichtlinie soll bis 2015       öffentlichen Wasserversorgung an Endverbraucher im Durchschnitt            schafteten Flächen neben den Versorgungsleistungen weitere wichtige
ein guter ökologischer und chemi-    rund 5.000 Millionen Kubikmeter pro Jahr; davon entfallen circa            Produkte und Leistungen wie Wasserfilterung, Erholung und Lebens-
scher Zustand aller europäischen     70 Prozent auf Grund- und Quellwasser, der Rest wird aus Oberflächen-       raum für Pflanzen und Tiere erbringen kann. Ein gutes Beispiel für diese
Gewässer erreicht werden.            wasser (22 Prozent) und Uferfiltrat (8 Prozent) gewonnen. Je Einwoh-        Multifunktionalität von Landwirtschaft liefert der ökologische Landbau.
(Foto: ifuplan)                      ner und Tag wurden 2007 durchschnittlich rund 122 Liter verbraucht.        In Deutschland werden derzeit circa eine Million Hektar ökologisch be-
                                     Die ausreichende Verfügbarkeit von Wasser in annehmbarer Qualität          wirtschaftet; dies entspricht einem Anteil von rund 6 Prozent der land-
                                     ist eine zentrale Lebensgrundlage für Menschen, aber auch für viele        wirtschaftlich genutzten Fläche. Ziel der Bundesregierung ist es, den
                                     Tier- und Pflanzenarten. Die Wasserqualität wird dabei wesentlich           Anteil des ökologischen Landbaus auf 20 Prozent zu erhöhen. Der Um-
                                     bestimmt durch Nutzungsintensität und Regulierungsleistungen unse-         satz von Ökolandbauprodukten hat in den vergangenen Jahren stetig
                                     rer Böden, die Qualität unserer Gewässer und den Zustand unserer           zugenommen. Die Fläche des Ökolandbaus in Deutschland hat sich in-
                                     Feuchtgebiete. Das quantitative Wasserdargebot ist dank der klimati-       nerhalb von 16 Jahren vervierfacht. Die Nachfrage übersteigt dabei zu-
                                     schen Bedingungen in Deutschland in der Regel ausreichend. Regio-          nehmend das Angebot an heimischen Produkten, sodass der Bedarf
                                     nale und saisonale Knappheiten können jedoch aufgrund des Klima-           zusätzlich mit Hilfe von Importen gedeckt werden muss. Da letztlich die
                                     wandels zunehmen. Die Ökosystemleistungen von Wäldern und                  agrarische Produktion vor allem auf der Verfügbarkeit fruchtbarer Bö-
                                     Feuchtgebieten – insbesondere ihr Vermögen, Wasser zu speichern,           den (Basisleistungen) basiert, kann der Ökolandbau langfristig von die-
                                     den Abfluss zu verzögern, Oberflächenwasser zu reinigen und Grund-           ser Ökosystemleistung profitieren, Grund ist eine schonendere Boden-
                                     wasser neu zu bilden – werden deshalb in Zukunft an Bedeutung ge-          bewirtschaftung mit wechselnden Fruchtfolgen ohne Einsatz von
                                     winnen. Die Qualität des Grundwassers ist an vielen Orten immer            chemischen Düngemitteln und chemisch-synthetischen Pflanzen-
                                     noch ein Problem, das insbesondere durch eine nachhaltige Ausge-           schutzmitteln. Denn das spart Kosten an anderer Stelle: zum Beispiel
                                     staltung unserer Landnutzungen zu lösen ist (-> Kapitel 2.3).              bei der Aufbereitung von Wasser im Klärwerk.
ABBILDUNG 14       Die landwirt-
schaftliche Nutzung prägt rund       Nahrungsmittel                                                                                                                                                                                                                     ABBILDUNG 15      Entwicklung des
                                                                                                                                                                                                                                                                  6,1
52 Prozent der Fläche Deutschlands     Die Natur ist die Basis landwirtschaftlicher Produktion und bietet                                                                                                                                             5,6
                                                                                                                                                                                                                                                            5,9
                                                                                                                                                                                                                                                                        ökologischen Landbaus – eine
                                                                                                                                                                                                                                                5,4

                                                                                                                  an der landwirtschaftlichen Fläche in %
und stellt die Erwerbsgrundlage für    lebenswichtige Produkte von Getreide über Obst und Gemüse bis hin                                                                                                                            4,9
                                                                                                                                                                                                                                          5,1                           Nutzungsart, die Ökosystemleis-
                                                                                                                                                                                                                              4,7
circa 1,1 Millionen Arbeitskräfte dar. zu Milch und Fleisch. Im Bereich der Landwirtschaft erfolgt die Pro-                                                                                                                                                             tungen sichert (Tabelle nach

                                                                                                                  Anteil des ökologischen Landbaus
                                                                                                                                                                                                                        4,5
                                                                                                                                                                                                            4,1   4,3

Im Jahr 2009 betrug der Anteil         duktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen teilweise im industriel-                                                                                            3,7                                                               UBA 2009 , BÖLW 2009 – 2012).
der Landwirtschaft an der Brutto-      len Maßstab. Der Beitrag von Ökosystemleistungen ist aber auch hier                                                                                      3,2

                                                                                                                                                                                          2,6
wertschöpfung gesamtwirtschaft-        unverzichtbar. Dies gilt sowohl für die Pflanzenproduktion als auch                                                               2,1
                                                                                                                                                                              2,3   2,4

lich nur etwa 0,6 Prozent. Die         via Futterpflanzen und Wiesen- und Weidewirtschaft für die Tierpro-                                                   1,6
                                                                                                                                                                  1,8

volkswirtschaftliche Bedeutung der     duktion. Die landwirtschaftliche Produktion ist auf dauerhaft intakte
Landwirtschaft ist jedoch deutlich     und stabile Bodenfunktionen und auf die Bereitstellung von Wasser
höher: 2010 erzielte sie einen Umsatz und Nährstoffen für das Pflanzenwachstum angewiesen.                                                                   1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011

von 42,2 Milliarden Euro (DBV 2010,    Eine einseitig auf die intensive Produktion bestimmter Nutzpflanzen
Foto: ifuplan).                        ausgerichtete Bewirtschaftung von Ökosystemen kann zur Schädi-
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