DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT - EINE EINFÜHRUNG - UFZ
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DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT EINE EINFÜHRUNG EIN BEITRAG DEUTSCHLANDS ZUM INTERNATIONALEN TEEB-PROZESS
IMPRESSUM INHALTSVERZEICHNIS Zitationsempfehlung Naturkapital Deutschland – TEEB DE-Koordinationsgruppe Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2012): Der Wert der Bernd Hansjürgens (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – Natur für Wirtschaft und Gesellschaft – Eine Einführung. UFZ), Aletta Bonn (UFZ), Miriam Brenck (UFZ), Sonja Macke München, ifuplan; Leipzig, Helmholtz-Zentrum für Umwelt- (Bundesamt für Naturschutz – BfN), Christa Ratte (Bundes- forschung – UFZ; Bonn, Bundesamt für Naturschutz ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Vorworte 6 – BMU), Irene Ring (UFZ), Christoph Schröter-Schlaack (UFZ), Autoren Burkhard Schweppe-Kraft (BfN), Sebastian Tilch (UFZ). 1 Ein ökonomischer Blick auf die Leistungen der Natur 8 Stefan Marzelli, Christoph Moning, Sabrina Daube, Monika 1.1 Naturkapital für uns und unsere Kinder 9 Offenberger, Institut für Umweltplanung und Raumentwick- Danksagung 1.2 Weshalb eine ökonomische Sicht helfen kann 14 lung – ifuplan | Adrienne Grêt-Regamey, Sven-Erik Rabe, Die Autorinnen und Autoren und die TEEB DE-Koordinations- 1.3 Natur und Ökonomie – ein Thema gewinnt an Bedeutung 18 Eidgenössische Technische Hochschule Zürich | Thomas Köllner, gruppe danken allen Kolleginnen und Kollegen für die zahl- Patrick Poppenborg, Universität Bayreuth | Bernd Hansjürgens, reichen fachlichen Hinweise. Besonders herzlichen Dank auch 2 Natur und Ökosystemleistungen – Irene Ring, Christoph Schröter-Schlaack, Helmholtz-Zentrum an die Mitglieder des TEEB DE - Projektbeirats für kritische Grundlage für Wirtschaft und Wohlfahrt 22 für Umwelt forschung – UFZ | Burkhard Schweppe-Kraft, Sonja Durchsicht und viele hilfreiche Vorschläge. 2.1 Wovon wir leben 23 Macke, Bundesamt für Naturschutz 2.2 Versorgungsleistungen – womit uns die Natur versorgt 24 Disclaimer 2.3 Regulierungsleistungen – wobei uns die Natur hilft 30 Naturkapital Deutschland – TEEB DE Die in diesem Bericht geäußerten Ansichten geben aus- 2.4 Kulturelle Leistungen – wodurch uns die Natur bereichert 36 ›Naturkapital Deutschland – TEEB DE‹ ist ein interdisziplinäres schließlich die Haltung der Autoren wieder und sind keinesfalls 2.5 Basisleistungen – Grundlage aller anderen Leistungen 40 Vorhaben, das zum Ziel hat, die Fragestellungen und Forschungs- als offizieller Standpunkt der beteiligten Organisationen zu 2.6 Erhaltung von Naturkapital bedeutet Erhaltung ansätze der internationalen Studie ›Die Ökonomie von Öko- betrachten. der Wohlfahrt 41 systemen und der Biodiversität‹ (The Economics of Ecosystems and Biodiversity, TEEB) auf die Erhaltung von Biodiversität und ›Naturkapital Deutschland – TEEB DE‹ wird gefördert durch das 3 Ökosystemleistungen erfassen, bewerten Ökosystemleistungen in Deutschland anzuwenden. Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums und in Entscheidungen integrieren 42 Die internationale TEEB-Studie wurde von Deutschland im für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. 3.1 Warum werden Entscheidungen häufig auf Kosten Rahmen seiner G8-Präsidentschaft im Jahr 2007 gemeinsam des Naturkapitals getroffen? 43 mit der EU-Kommission initiiert und mithilfe zahlreicher Grafisches Konzept | Layout 3.2 Warum ökonomische Bewertung von Ökosystemleistungen weiterer Institutionen unter der Schirmherrschaft des Metronom | Agentur für Kommunikation und Design GmbH, und wie geht man dabei vor? 47 Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) durch- Leipzig 3.3 Was erfasst die ökonomische Bewertung? 53 geführt. Leiter der internationalen TEEB-Studie war der 3.4 Welche Bewertungsmethoden stehen zur Verfügung? 56 indische Ökonom Pavan Sukhdev. Auflage 3.5 Berücksichtigung bei Entscheidungen in Politik, Der Studienleiter von ›Naturkapital Deutschland – TEEB DE‹ 1.200 Verwaltung und Wirtschaft 62 ist Prof. Dr. Bernd Hansjürgens, Helmholtz-Zentrum für Umwelt forschung – UFZ, Leipzig. Ähnlich wie die internationale Gesamtherstellung 4 Naturkapital Deutschland: Das Gesamtvorhaben 68 Studie basiert ›Naturkapital Deutschland – TEEB DE‹ auf der Landwirtschaftsverlag GmbH in Münster-Hiltrup 4.1 Ausgangspunkt: Der internationale TEEB-Prozess 69 unabhängigen und freiwilligen Mitarbeit einer Vielzahl von 4.2 Das deutsche Nachfolgeprojekt »Naturkapital Deutschland« 70 Wissenschaftlern und Praktikern. Das Vorhaben wird von Papier aus ökologischer Waldwirtschaft einem Projektbeirat unterstützt, dessen Mitglieder neben ihrer Glossar 78 Beratungsfunktion auch zu einer breiten Diskussion des ISBN: 978-3-944280-01-1 Quellen 82 Themas in der Öffentlichkeit beitragen sollen. Zudem erfolgt über eine Projektbegleitende Arbeitsgruppe die Einbindung von relevanten gesellschaftlichen Gruppen.
6 DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT VORWORTE 7 Die biologische Vielfalt zu erhalten, zählt weltweit zu den größten »Naturkapital Deutschland« – dahinter verbirgt sich eine Metapher umweltpolitischen Herausforderungen. Eine intakte und vielfältige für die mit unserer Natur verbundenen Werte und für das Potenzial Natur ist schön, faszinierend und einzigartig – sie ist aber zugleich dieser Natur, ökologische Leistungen zu generieren. Und damit eine elementare Grundlage für die Wirtschaft und das Wohlergehen der wichtige Basis für unsere Wirtschaft und für unsere Lebensqualität. Menschen. Die internationale Studie »The Economics of Ecosystems Unser natürliches Kapital ist begrenzt, verbrauchen wir es, stehen and Biodiversity« (TEEB) hat bereits eindrucksvoll auf diese ökonomi- uns auch die damit verbundenen Ökosystemleistungen nicht mehr sche Dimension hingewiesen und gezeigt, dass sich Investitionen in zur Verfügung. den Schutz der Natur auch gesamtwirtschaftlich lohnen. »Naturkapital Deutschland« – diese Bezeichnung wurde daher bewusst Mit dem Projekt »Naturkapital Deutschland« knüpfen wir daran an. für die Fortführung des internationalen TEEB-Prozesses auf nationa- Auch in Deutschland gehen durch die Nutzung der Natur – trotz recht- ler Ebene gewählt. Dahinter verbirgt sich zugleich eine große Heraus- licher Anforderungen und einzelner Fortschritte beim Naturschutz – forderung. Denn viele aktuelle Fragen der Landnutzung, wie etwa die weiterhin wertvolle Lebensräume verloren. Dabei wird oft übersehen, Energiewende oder die künftige Ausgestaltung der Landbewirtschaf- dass intakte Ökosysteme wichtige Leistungen erbringen, für die sonst tung, gehen mit Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die kostenintensive technische Lösungen erforderlich wären (Klimaschutz, Leistungen der Ökosysteme einher. Zielkonflikte zwischen Ökosys- Hochwasserschutz, Reinhaltung von Luft und Gewässern) oder hohe temleistungen, verschiedene Nutzerinteressen und komplexe ökolo- gesellschaftliche Kosten anfallen (Erholung und Gesundheit). gische Zusammenhänge gilt es, transparent zu machen. »Naturkapital Das Grundgesetz verpflichtet den Staat zur Erhaltung der natürlichen Deutschland« will zeigen, dass die Natur zusätzlich zu ihrem Eigen- Lebensgrundlagen. »Naturkapital Deutschland« soll zur Erfüllung die- wert und zu ästhetischen und emotionalen Werten auch eine hohe ser Verpflichtung beitragen, indem das Bewusstsein für die vielfäl- wirtschaftliche Bedeutung aufweist, der wir uns aber häufig weniger tigen Leistungen und Werte unseres Naturkapitals geschärft und der bewusst sind. Naturschutz von vornherein stärker in allen Politikbereichen und Wirt- Gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ schaftssektoren berücksichtigt wird. In diesem Sinne wünsche ich mir und allen Beteiligten im Vorhaben »Naturkapital Deutschland« von »Naturkapital Deutschland« auch positive Impulse für die Umset- möchten wir das ändern. Die vorliegende Broschüre bietet dazu einen zung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Damit leisten Einstieg in das Thema. Weitere Publikationen und Aktivitäten sind wir zugleich einen Beitrag, um die europäischen und globalen Biodiver- geplant, um einen Grundstein zu legen, künftig bei allen Entscheidun- sitätsziele zu verwirklichen. gen in Politik, Verwaltung und bei privaten Unternehmen und Konsu- menten auch die ökonomischen Werte der Natur zu berücksichtigen – zu unser aller Wohl. Schauen Sie hinein in die Broschüre »Naturkapital Deutschland – Der Wert der Natur für Wirtschaft und Gesellschaft« und lassen Sie sich PETER ALTMAIER von den Beispielen inspirieren und motivieren. Denn jede und jeder (Bundesminister für Umwelt, Naturschutz kann im täglichen Handeln dazu beitragen, das wertvolle Naturkapital und Reaktorsicherheit) in Deutschland zu bewahren. Aus meiner Sicht ist dies nicht nur eine Verantwortung und Verpflichtung gegenüber der künftigen Genera- tion; es ist auch ökonomisch betrachtet vernünftig – schon heute! PROF. DR. BEATE JESSEL (Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz)
EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR 9 EIN ÖKONOMISCHER KERNAUSSAGEN 1 BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR Biologische Vielfalt und die Leistungen der Natur – unser Naturka- pital – bilden die Grundlage für menschliches Wirtschaften und Wohl- ergehen. Natur ist neben dem Humankapital und dem Sachkapital ein Vermögen, aus dem wertvolle Leistungen hervorgehen. Der Wert der Natur bleibt oft verborgen, weil ihre Leistungen scheinbar unbegrenzt kostenlos zur Verfügung stehen. Daher wird er – trotz recht- licher Anforderungen zum Schutz der Natur – in gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Entscheidungen nicht ausreichend berücksichtigt. Dies hat weitreichende Folgen, denn die Natur stellt ihre wertvollen Leistungen nur dann dauerhaft zur Verfügung, wenn die dafür erforder- lichen Prozesse und Funktionen erhalten werden. Eine ökonomische Perspektive hilft, den Wert der Natur und ihre viel- ÖKONOMISCH GESEHEN IST NATUR fältigen Leistungen sichtbar zu machen und regt an, Lösungen für eine angemessene Berücksichtigung dieses Wertes in öffentlichen und pri- EIN VERMÖGEN, DAS ES ZU ERHALTEN GILT. vaten Entscheidungen zu entwickeln und umzusetzen. Sie liefert öko- WIR MÜSSEN VON DEN ZINSEN LEBEN nomische Argumente für die Erhaltung des »Naturkapitals«, die ethi- sche und ökologische Begründungen ergänzen können. UND DÜRFEN ES NICHT VERBRAUCHEN. MEMORANDUM ÖKONOMIE FÜR DEN Das Projekt »Naturkapital Deutschland« ist der deutsche Beitrag zum internationalen TEEB-Prozess (The Economics of Ecosystems and Bio- NATURSCHUTZ [2009] diversity). Die vorliegende Broschüre bietet einen Einstieg und ist der Auftakt zu weiteren Schwerpunktberichten. WIR HABEN VIEL ZU LANGE DIE MEINUNG 1.1 NATURKAPITAL FÜR UNS UND UNSERE KINDER VERTRETEN, ES GEBE […] NUR ZWEI Wie wertvoll die Natur ist, erleben wir bei jedem Waldspaziergang, bei KAPITALBEREICHE FÜR ENTWICKLUNG – DAS jedem Biss in einen Apfel, beim Anblick faszinierter Kinder auf Ent- deckungstour nach Lebewesen in Bächen und Tümpeln. Dass die Natur FINANZKAPITAL UND DAS HUMANKAPITAL. […] auch die unverzichtbare Grundlage unseres Wohlstandes und Wohl- WIR HABEN UNS ÜBER LANGE ZEIT HINWEG befindens sowie zahlreicher Wirtschaftsaktivitäten in Land- und Forst- wirtschaft, Fischerei und vielen anderen Branchen darstellt, machen DER ILLUSION HINGEGEBEN, DASS ES SO ETWAS sich die Wenigsten bewusst. Denn für viele ist der Alltag in einer Indus- WIE UMWELTKAPITAL NICHT GIBT. DAS MAN trienation wie Deutschland von technischen Systemen geprägt, die das tägliche Leben bestimmen – von der Kommunikation über den Ver- DIE UMWELT, DAS UMWELTKAPITAL ZUM NULL- kehr bis zu Ver- und Entsorgungsleistungen. Internet, Satelliten-Fern- TARIF NUTZEN KANN UND MAN IN DIESEN sehen, Hochgeschwindigkeitszüge und ein zu jeder Jahreszeit reich- haltiges Angebot an frischen Nahrungsmitteln vermitteln den Eindruck KAPITALSTOCK NICHT REINVESTIEREN MUSS. einer weitgehend von der Natur unabhängigen Befriedigung unserer KLAUS TÖPFER [2005] Bedürfnisse. Doch der Schein trügt. Denn tatsächlich erwachsen mate- rieller Wohlstand und persönliches -> Wohlergehen in zahlreichen Lebensbereichen direkt oder indirekt aus Leistungen der Natur.
10 DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR 11 Das Spektrum der Leistungen der Natur ist breit (-> Kapitel 2). Eine vielfältige Natur (-> Infobox 1) birgt ein enormes Innovationspoten- INFOBOX 2 zial, etwa bei der Erforschung neuer Medikamente und industrieller Rohstoffe, als Vorbild für technische Entwicklungen (Bionik) und nicht Umweltbelastung und Naturzerstörung auf globaler Ebene zuletzt als genetische Ressource zur langfristigen Sicherung unserer Nach den Ergebnissen des »Millennium Ecosystem Assessment« gelten Ernährung. Zu solchen -> Ökosystemleistungen (-> Infobox 1) gehö- zwei Drittel aller Ökosysteme weltweit als geschädigt (MA 2005). ren auch die Bindung von Klimagasen, zum Beispiel in Holz und Böden Dadurch ist die Bereitstellung ihrer Leistungen gefährdet – mit teils dra- von Wäldern und in Mooren, oder die Bereitstellung von sauberem matischen Folgen für die Betroffenen. Viele Triebkräfte der Naturzer- Grundwasser. Daneben bietet die Natur verschiedene Schutzfunk- störung werden dabei zukünftig noch zunehmen: tionen: Natürliche Auen mindern Hochwassergefahren, Bergwälder Der Klimawandel hat schon heute weitreichende Auswirkungen auf schützen vor Lawinen. Außerdem nutzen wir auch gesundheitliche terrestrische und marine Ökosysteme: durch die Verringerung des Was- und -> kulturelle Leistungen der Natur: Vielfältige Naturräume serdargebots in vielen Teilen der Welt, Bodendegradation und Verlust der verhelfen zu einer Steigerung der Lebensqualität und sind die Grund- landwirtschaftlichen Produktivität, erhöhtem Hitzestress in urbanen lage von Arbeitsplätzen vor allem in einer nachhaltig ausgerichteten Zentren oder der steigenden Gefahr von Extremereignissen (IPCC 2007). Tourismusbranche an der Küste, in den Bergen oder in nationalen Der Wasserverbrauch hat sich zwischen 1930 und 2000 weltweit ver- Natur- und Kulturlandschaften wie Nationalparks, Biosphärenreser- sechsfacht, durch Klimawandel und Wasserverschmutzung werden sich vaten und Naturparks. die nutzbaren Süßwasservorkommen weiter verringern. Schätzungen Die Produkte und Leistungen der Natur wurden lange Zeit als selbst- zufolge werden bis 2020 bis zu 40 Prozent aller Länder in Asien und der verständlich betrachtet und meist gratis genutzt. Doch die Endlich- Subsahararegion von schwerwiegender Wasserknappheit betroffen keit von Naturressourcen und die Schädigung von -> Ökosystemen sein (UNESCO 2012). ABBILDUNG 2 zeigen sich immer häufiger und führen zu gesellschaftlichen Kosten. Der Nettoverlust an Waldflächen betrug in den Jahren 2000 bis 2010 (Foto: mlehmann78, Fotolia.com) In zahlreichen internationalen Beispielen konnte gezeigt werden: – trotz enormer Aufforstungsbemühungen – 5,2 Millionen Hektar jähr- lich, dies entspricht einer Fläche von etwas mehr als der Landesfläche Niedersachsens (FAO 2010A). Dies trägt zum CO2-Ausstoß bei, beein- flusst den regionalen Wasserhaushalt, führt zum Verlust von biologi- INFOBOX 1 scher Vielfalt und zerstört die Lebensgrundlagen von Millionen von Biologische Vielfalt und Ökosystemleistungen Menschen. Biologische Vielfalt (oder kurz: Biodiversität) bezeichnet die Vielfalt des Fisch ist die wichtigste Eiweißquelle für die Ernährung von rund 3 Mil- Lebens auf unserer Erde. Sie ist die Variabilität lebender Organismen liarden Menschen, doch durch nicht nachhaltige Fischereipraktiken gel- und der von ihnen gebildeten ökologischen Komplexe. -> Biolo- ten derzeit 32 Prozent aller Fischbestände als überfischt, 53 Prozent als gische Vielfalt umfasst die folgenden drei Ebenen: vollständig ausgeschöpft (FAO 2010B). Ein an der Regeneration der die Vielfalt an Ökosystemen beziehungsweise Lebensgemein- Fischbestände ausgerichtetes Management könnte nicht nur die Nah- schaften, Lebensräumen und Landschaften, rungsgrundlagen für diese Menschen erhalten, es wäre auch für die die Artenvielfalt und Fischereiwirtschaft um mehr als 50 Milliarden US-Dollar jährlich rentabler. die genetische Vielfalt innerhalb der verschiedenen Arten. Die Übernutzung und Zerstörung anderer wertvoller Ökosysteme Ökosystemleistungen bezeichnen demgegenüber direkte und indi- (Mangroven, Korallenriffe, etc.) macht die dort lebenden Menschen ABBILDUNG 1 rekte Beiträge von Ökosystemen zum menschlichen Wohlergehen, anfälliger für Naturgefahren wie Hochwasser oder Stürme, reduziert (Foto: Metronom GmbH) das heißt Leistungen und Güter, die dem Menschen einen direkten Nahrungsquellen (Korallenriffe nehmen nur 1 Prozent der Weltmeere ABBILDUNG 3 oder indirekten wirtschaftlichen, materiellen, gesundheitlichen ein, bieten aber Lebensraum für 25 Prozent der Biomasse) und gefährdet (Foto: Mahmoud Habeeb) oder psychischen -> Nutzen bringen. In Abgrenzung zum Begriff auch die Lebensräume von seltenen Arten. -> Ökosystemfunktion entsteht der Begriff Ökosystemleistung aus einer anthropozentrischen Perspektive und ist an einen Nutzen des Ökosystems für den Menschen gebunden. Der Schutz und die nachhaltige Nutzung von Natur und biologischer Das Vorhaben »Naturkapital Deutschland – TEEB DE« konzentriert sich Vielfalt lohnen sich – auch ökonomisch gesehen. Denn die Vorsorge auf Ökosystemleistungen, um eine neue und ergänzende Perspektive zur Sicherung unserer Lebens- und Wirtschaftsgrundlagen ist deut- für den Biodiversitätsschutz zu entwickeln. lich preiswerter als der Versuch, zerstörte Ökosysteme wiederherzu- stellen oder Naturressourcen zu ersetzen – sofern dies überhaupt
12 DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR 13 INFOBOX 3 Ausgewählte Probleme für die Natur in Deutschland Anhaltender Nährstoffeintrag aus industrieller Produktion, Verbren- nung fossiler Energiequellen, Verkehr und Landwirtschaft bewirkt eine hohe Belastung der Böden, der Grund- und Oberflächengewässer so- wie der Meere mit Stickstoff und Phosphat. Dies hat schwerwiegende Folgen: so weisen die küstennahen Regionen und insbesondere die inneren Küstengewässer einen schlechten Gewässerzustand nach den Kriterien der Wasserrahmenrichtlinie auf (Nausch u. a. 2011). Hohe Summen werden ausgegeben, um diesen Zustand zu verbessern, ohne dass das Ziel nur annähernd erreicht wird. Durch die Verbauung der Fließgewässer ist die natürliche Hoch- wasserrückhaltefunktion der Auen dauerhaft beeinträchtigt, wodurch Hochwasserabflüsse verschärft und Schäden erhöht werden. Schät- zungen zufolge können in vielen Abschnitten von Rhein, Elbe, Donau und Oder nur 10 bis 20 Prozent der ehemaligen Auenflächen für Hoch- wasserrückhaltung genutzt werden. Dies erfordert einen techni- schen Hochwasserschutz, der zunehmend an finanzielle und tech- nische Grenzen stößt. Nur rund ein Prozent der ursprünglichen Verbreitungsflächen von Auwäldern befindet sich in einem natur- nahen Zustand; noch weniger sind von den Altauenflächen der einsti- gen Feuchtgrünländer erhalten (BMU / BfN 2009). Weniger Erhol- ungsmöglichkeiten und der Verlust von biologischer Vielfalt sind die Folgen. Knapp drei Viertel der insgesamt 690 in Deutschland vorkomm- enden Biotoptypen werden nach der Roten Liste als »gefährdet« ABBILDUNG 4 möglich ist. Dabei geht es nicht darum, Pflanzen und Tiere mit Preis- eingestuft (BMU 2009) – gut ein Drittel aller in Deutschland leben- (Foto: Metronom GmbH) schildern zu versehen oder eine einzelne Wertgröße für das -> Natur- den Wirbeltierarten gelten als »ausgestorben«, »verschollen« oder kapital zu berechnen (-> Kapitel 3). Vielmehr soll ein stärkeres »aktuell gefährdet« (BfN 2009). Von den verbliebenen 65 Rassen Bewusstsein für den Wert von Naturkapital (-> Infobox 4) geschaffen der wichtigsten Nutztierarten Pferd, Rind, Schwein, Schaf und Ziege ABBILDUNG 5 Der Uhu (bubo werden mit dem Ziel, diesen Wert – in Wahrnehmung unserer mora- gelten 54 Rassen als »gefährdet« (BLE 2010). Wir verlieren Vielfalt, ohne bubo) war Anfang des letzten lischen Verantwortung – künftig stärker in privaten, unternehmeri- uns über die damit einhergehenden möglichen Verluste heute im Jahrhunderts in Deutschland fast schen und politischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Anschau- Klaren zu sein. ausgerottet. Durch Artenhilfspro- liche Beispiele sollen zeigen, wie Entscheidungsträger aus Politik und Die Umwandlung von naturnahen und landwirtschaftlichen Flä- gramme konnte der Bestand deutlich Wirtschaft volkswirtschaftlich sinnvoll mit der Natur in Deutschland chen in Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke ist mit nahezu erhöht werden. Der Uhu bevorzugt umgehen können. 90 Hektar pro Tag – das entspricht rund 100 Fußballfeldern – anhal- reich strukturierte Landschaften mit tend hoch. Die Folgen dieses Flächenverbrauchs sind unter anderem einem Wechsel an Offenland und Viele Leistungen der Natur sind auf Grund ihrer hohen Beanspru- Bodenversiegelung und Bodenverlust, Zerschneidung von Land- Waldflächen. Gefährdungen ergeben chung und trotz zahlreicher gesetzlicher Regelungen zum Schutz der schaften, negative Wirkungen auf den Wasserablauf und das Mikro- sich u. a. durch Verluste in Folge von Natur zunehmend gefährdet. Besonders deutlich zeigt sich der dro- klima. Bei der Ausweisung von Bau- und Gewerbeflächen werden Leitungsanflug und durch elektri- hende Verlust solcher elementaren Leistungen auf globaler Ebene diese nachteiligen Wirkungen wie auch die Kosten der Erstellung schen Schlag an ungenügend (-> Infobox 2). und der lang fristigen Unterhaltung von öffentlichen Infrastrukturen konstruierten und gesicherten Doch auch auf nationaler Ebene gibt es – trotz einiger Erfolge wie für diese Gebiete von kommunalen Entscheidungsträgern oft unter- Strommasten. (Foto: Katherine zum Beispiel bei der Gewässerqualität oder beim Aufbau von Schutz- schätzt. Haluska, Fotolia.com) gebieten – weiterhin einen schleichenden Verlust an biologischer
14 DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR 15 Vielfalt und den Leistungen eines intakten -> Naturhaushalts (-> Infobox 3). Der Klimawandel verändert das Niederschlagsregime – INFOBOX 4 mit schwerwiegenden Folgen für Teile der land- und forstwirtschaft- lichen Produktion und mit neuen Herausforderungen für die Infrastruk- Naturkapital und Ökosystemleistungen tursysteme wie zum Beispiel den Hochwasserschutz. Die Ökosysteme – Das Naturkapital umfasst die Natur mit ihrer Vielfalt an Arten, Lebens- und damit oft auch direkt oder indirekt die Menschen – werden in gemeinschaften und Ökosystemen. Es bildet neben technischem Kapi- vielen Bereichen mit immer stärkeren Belastungen durch Schadstoffe tal (Maschinen, Produktionsanlagen etc.) und menschlichem Kapital konfrontiert; gleichzeitig sorgen Zerschneidung und Flächeninan- (Wissen, Arbeitskraft) die Grundlage für Wertschöpfung und Wohlstand. spruchnahme durch Siedlung und Verkehr für einen Verlust an intak- Die verschiedenen Leistungen der Natur, die Ökosystemleistungen, sind ten zusammenhängenden Ökosystemen und Naturräumen. Die inten- Voraussetzung für die Produktion zahlreicher Güter und Dienstleistun- sive Produktion von Lebensmitteln erfolgt oft mit problematischen gen, fördern unsere Gesundheit und sind damit wichtige Basis für unser Folgen für die Erhaltung und den Schutz unserer Böden und die biolo- Wohlergehen. gische Vielfalt. Durch den Anbau von Bioenergiepflanzen wird dieser Die Natur bildet im ökonomischen Sinne ein »Kapital«, und ihre Leistun- Prozess in jüngster Zeit noch verschärft. Und wir dürfen nicht verges- gen lassen sich als »Dividende« auffassen, die der Gesellschaft zufließt. sen: Wir sind Teil der Weltgemeinschaft – durch unsere Konsumge- Die Erhaltung des natürlichen Kapitalstocks ermöglicht es, diese Divi- wohnheiten und unseren Lebensstil tragen wir zu den globalen Prob- denden auch künftigen Generationen dauerhaft bereitzustellen. Natur- lemen bei. schutz und nachhaltiger Umgang mit unseren natürlichen Lebens- grundlagen sind daher ein Gebot ökonomischer Weitsicht und Die Folgekosten dieses Verlustes der biologischen Vielfalt sowie der Verantwortung. Leistungen der Ökosysteme sind bereits heute spürbar und werden Naturkapital und Ökosystemleistungen sind »anthropozentrisch« ge- sich zukünftig noch erhöhen. »Naturkapital Deutschland« will einen prägte Begriffe. Sie grenzen sich in ihrer vom Nutzen des Menschen her Beitrag aus ökonomischer Sicht dafür leisten, dass es zu einer Umkehr geprägten Sichtweise deutlich ab vom »bio-« oder »ökozentrisch« ge- der negativen Trends kommt – für uns und unsere Kinder. prägten Begriff des »Eigenwerts« der Natur (-> Kapitel 3, -> Infobox 19). 1.2 WESHALB EINE ÖKONOMISCHE SICHT HELFEN KANN ihrer ökonomischen Dimension berücksichtigt werden können. Die Die Natur an sich ist es unbestritten wert, erhalten zu werden. Hierzu derzeitige Vernachlässigung führt in vielen Bereichen zu Entschei- haben wir eine moralische Verpflichtung, die auch im Grundgesetz dungen auf Kosten von -> Biodiversität und Ökosystemleistungen – verankert ist, das den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen for- von der intensiven Landwirtschaft, der Ausweisung von Bebauungs- dert. »Naturkapital Deutschland« stellt die ökonomische Sichtweise gebieten in Flussauen bis hin zu Wirtschaftlichkeitsberechnungen für auf die Natur bewusst neben den »Eigenwert« der Natur (-> Kapitel 3, Anlagen und Projekte, in die Naturbelange und Ökosystemleistungen -> Infobox 19). Das Motiv, Natur als Wert an sich zu erhalten, soll durch nicht eingehen ( -> Kapitel 3, -> Infobox 15 und 21). diese Sichtweise nicht vernachlässigt oder gar ersetzt werden. Naturnahe Auen halten Hochwasserfluten zurück und reduzieren da- durch Schäden an Gebäuden und Infrastruktur. Die Schadensminde- In Deutschland gibt es für den Schutz von Natur und auch von Öko- rung spart Kosten bei den Privaten und beim Staat und verbessert die systemleistungen bereits seit längerem gesetzliche Anforderungen. Bilanzen der Versicherungen. Diese wirtschaftlichen Vorteile werden ABBILDUNG 6 Wozu also eine zusätzliche ökonomische Sicht auf die Natur? aber bisher nicht den Auen zugerechnet. Ihre Umwandlung oder Ein- (Foto: Metronom GmbH) Ausgangspunkt von »Naturkapital Deutschland« ist die These, dass deichung ist deshalb oft nur scheinbar wirtschaftlich. Eine systemati- die Leistungen der Natur in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen sche Einbeziehung der eingesparten Kosten hätte im Rückblick oft zur Entscheidungen unter anderem deshalb nicht ausreichend berück- Erhaltung von Auen beigetragen. sichtigt werden, weil sie als -> öffentliche Güter frei verfügbar sind Ein weiteres der Beispiele, die in Kapitel 2 näher erläutert werden, ist und ihre wirtschaftliche Bedeutung nicht ausreichend bekannt, die Umwandlung von Grünland in Ackerland. Für den Landwirt ist sie quantifiziert und bewertet ist. Dies heißt nicht, dass diese öffentli- heute oft profitabel. Sie kann aber die Belastung von Grund- und chen Güter privatisiert werden sollen (-> Infobox 5). Wichtig ist aus Oberflächengewässern erhöhen und zu einem vermehrten Austrag ökonomischer Sicht vielmehr, dass die Werte identifiziert und so weit schädlicher Klimagase führen. Die einzelwirtschaftlichen Vorteile der wie sinnvoll und möglich auch quantifiziert werden, damit sie in Ent- Umwandlung vom Ökosystem »Grünland« in das Ökosystem »Acker« scheidungen zunehmend in ihrem vollen Umfang, das heißt: auch mit verbessern die ökonomische Bilanz des landwirtschaftlichen Betriebs.
16 DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR 17 Die verloren gegangenen Filter- und Senkenfunktionen des Grünlan- temleistungen – würde zusätzliche Impulse zur Umsetzung von mehr des führen dagegen zu Kosten, welche die Gesellschaft als Ganzes zu Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft geben. tragen hat: zusätzliche Maßnahmen zur Wasserreinhaltung und zur Die Beispiele lassen sich weiter fortführen: Stadtgrün verringert Kos- Reduktion von Klimagasen. Eine systematische Gegenüberstellung ten im Gesundheitssystem, touristisch attraktive Landschaften füh- aller Kosten und Nutzen – einschließlich der entgangenen Ökosys- ren zu zusätzlichen Einnahmen der Gastronomiebetriebe, Baden in sauberen Gewässern wird häufig attraktiver empfunden als der kos- tenpflichtige Besuch eines Freibades. In allen Fällen besteht dasselbe Dilemma: Der wirtschaftliche Wert der kostenfrei erbrachten Leis- INFOBOX 5 tungen wird nicht erfasst und den Ökosystemen nicht zugerechnet. Ökonomische Bewertung versus »Ökonomisierung« der Natur Viele Aktive aus dem Natur- und Umweltschutz stehen einer ökonomi- Bei der Erfassung der wirtschaftlichen Bedeutung der Leistungen der schen Bewertung distanziert oder ablehnend gegenüber. Sie befürchten Natur kommt es nicht in erster Linie darauf an, diese Werte in Geld- vor allem eine Kommerzialisierung und »Kommodifizierung« der Natur einheiten zu fassen (-> Monetarisierung). Vielmehr soll grundsätz- (von englisch »commodity« = die Ware, der Handelsartikel) in Form ei- lich deutlich gemacht werden, wie wichtig es ist, Ökosystemleistun- ner Bepreisung und anschließenden Vermarktung, die schließlich ihren gen sowohl quantitativ als auch von ihrer Bedeutung und ihrem Wert »Ausverkauf« bedeuten kann. Es wird befürchtet, dass die Art und Wei- her möglichst vollständig zu erfassen. Eine Monetarisierung ist dabei se, wie wir Natur bewerten, auch die Art und Weise prägt, wie wir mit nur eine Methode unter anderen. Darüber hinaus wird der ökonomi- Natur umgehen. Da jede Form der Bewertung sozial eingebettet und sche Ansatz häufig zu Unrecht allein auf die Bewertung reduziert. kultur- und interessenabhängig ist, könne eine monetäre Bewertung Tatsächlich ist er aber breiter als es auf den ersten Blick scheint. Der von Natur negative Auswirkungen im Hinblick auf das eigentliche Prozess der -> ökonomischen Bewertung umfasst neben der Bewer- Schutzziel mit sich bringen (TEEB 2010 A). Gerade die Erfahrungen im tung (als »Wertbeimessung« im eigentlichen Sinne) immer auch die ABBILDUNG 7 Klimabereich scheinen diese Auffassungen zu bestätigen: Die Berück- Identifikation von auftretenden Wirkungen einer Maßnahme, eines (Foto: eyewave, Fotolia.com) sichtigung von Wäldern als CO2-Speicher in derzeit diskutierten inter- Projekts oder einer Umweltveränderung sowie die Erfassung dieser nationalen Instrumenten der Klimapolitik wie REDD (Reducing Emissi- Wirkung durch geeignete Kennzahlen und Messgrößen (-> Kapitel 3). ons from Deforestation and Degradation) weckt Erwartungen einer Häufig ist die Identifikation der Naturausstattung und der biologi- Wertsteigerung der betroffenen Wälder. Das führt unter anderem be- schen Vielfalt sowie die systematische und vollständige Erfassung reits heute schon dazu, dass in vielen Entwicklungsländern die Landprei- von Veränderungen sogar wichtiger als die Bewertung. Die Frage, wer se spekulativ steigen, mit oft nachteiligen Wirkungen für die einheimi- wann und wo von welchen Effekten in welcher Weise betroffen ist, sche Bevölkerung und die Natur (Monokulturen). ist mitunter für Entscheidungen wichtiger als die Frage nach der Ein kritischer Blick auf die ökonomische Bewertung hilft uns, keine vor- Höhe eines bestimmten Vorteils (dem in Geldeinheiten ausgedrück- eiligen Schlüsse hinsichtlich der Instrumente im Umgang mit der Natur ten Wert) (-> Infobox 5). Es geht somit nicht darum, der Natur ein und ihren Ökosystemleistungen zu ziehen. Die Ergebnisse einer ökono- mischen Betrachtung sind keinesfalls zwangsläufig Privatisierung und ABBILDUNG 8 Vermarktung; vielmehr kann es durchaus Ergebnis sein, dass das Ord- (Foto: micromonkey, Fotolia.com) nungsrecht und bestehende Planungsinstrumente zu stärken sind, um das öffentliche Gut »Natur« zu bewahren. Es geht darum, die ökonomi- sche Bewertung sorgsam und verantwortungsbewusst einzusetzen. Es geht nicht darum, unzulässige Gleichungen aufzustellen, bei denen Ökosystemleistungen gegeneinander »verrechnet« werden könnten, ohne ökologische Zusammenhänge und den Eigenwert der Natur anzu- erkennen. Mit Blick auf ökonomische Anreize und Märkte ist die Aus- gestaltung der Rahmenbedingungen (wie etwa die Gestaltung der Eigentumsrechte, der Zugang zu Ressourcen oder Haftungsregeln) ent- scheidend dafür, ob sie zu den gewünschten Ergebnissen (im Sinne natur verträglicheren Wirtschaftens und Konsumierens) führen und ob dies in sozial verträglicher Form geschehen kann.
18 DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR 19 »Preisschild anzuhängen«. Vielmehr geht es um ein Bewusstsein über die Multifunktionalität der jeweiligen Ökosysteme, der Identifikation INFOBOX 6 und Erfassung sowie umfassenden Berücksichtigung aller auftreten- den Leistungen und um eine Analyse der Verteilung der Nutzen und Die internationale TEEB-Studie Kosten dieser Leistungen auf die Betroffenen. Ein nicht zwangsläufig Deutschland initiierte im Rahmen seiner G8-Präsidentschaft im Jahr in Geldeinheiten ausgedrückter ökonomischer Wert der Vorteile der 2007 gemeinsam mit der EU-Kommission eine internationale Studie Erhaltung intakter Ökosysteme kann dabei für mehr Transparenz sor- über »Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität« (The Eco- gen. Er entbindet aber nie von dem Bewusstsein, dass viele Schäden nomics of Ecosystems and Biodiversity, kurz TEEB). Die Umweltminister in der Natur irreversibel und Funktionen und Güter der Natur schon der G8-Mitgliedstaaten beschlossen in Potsdam, sich mit dem globalen aus ökologischen Gründen nicht frei austauschbar sind. wirtschaftlichen Nutzen der biologischen Vielfalt und den Kosten des Biodiversitätsverlustes zu befassen. Als Leitbild des TEEB-Prozesses Eine ökonomische Sicht kann demnach zeigen, dass mit der Natur wurde formuliert: »Die Biodiversität in all ihren Dimensionen – Qualität, und den davon ausgehenden Leistungen – neben ethischen und kul- Quantität und Vielfalt der Ökosysteme, Arten und Gene – muss nicht turellen Werten – auch ökonomische Werte verbunden sind. Sie ver- nur aus gesellschaftlichen, ethischen oder religiösen Gründen erhalten deutlicht damit, dass Natur einen Kapitalbestand darstellt, ähnlich werden, sondern auch im Sinne des wirtschaftlichen Nutzens für heu- ABBILDUNG 9 Das »Logo« dem Sach- oder Humankapital (-> Infobox 4). Es kann gezeigt werden, tige und künftige Generationen. Erstrebenswert ist daher eine Gesell- der internationalen TEEB-Studie wer von den Leistungen der Natur profitiert und wer die Kosten für schaft, die ökonomisch verantwortlich mit ihrem natürlichen Kapital den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Natur trägt. Damit kön- umgeht.« (TEEB 2010B: 40). nen Argumente für die Erhaltung der Natur auch für jene geliefert Die Ergebnisse der TEEB-Studie wurden zwischen 2008 und 2011 ver- werden, die sich bisher nicht für den Naturschutz eingesetzt haben öffentlicht (-> www.teebweb.org). Dabei richten sich die einzelnen oder die sich nicht darüber im Klaren waren, dass ihre Entscheidun- TEEB-Berichte gezielt an ausgewählte Adressaten wie politische Ent- gen möglicherweise einen negativen Einfluss auf das Naturkapital scheidungsträger auf verschiedenen Ebenen, an Repräsentanten inter- und die Leistungen der Natur haben. Dies bezieht sich sowohl auf nationaler und zwischenstaatlicher Organisationen, an Vertreter von Naturschutzmaßnahmen (zum Beispiel Renaturierung von Mooren) Wirtschaft, Wissenschaft, zivilgesellschaftlichen Organisationen und als auch auf die seit langem geforderte konsequentere Integration Städten sowie an den einzelnen Bürger. von Biodiversitätszielen und -belangen in andere Politikbereiche mit dem Ziel eines naturverträglicheren Wirtschaftens. Mitgliedstaaten bis 2014 ihre Ökosysteme und deren Leistungen 1.3 NATUR UND ÖKONOMIE – EIN THEMA erfassen, bewerten und kartieren. GEWINNT AN BEDEUTUNG In einzelnen Staaten wurde mit der nationalen Erfassung von Natur- Die Einsicht, dass Ökosysteme und daraus resultierende Leistungen kapital begonnen, zum Beispiel in Großbritannien oder der Schweiz eine wesentliche Grundlage für das menschliche Wohlergehen sind (vgl. UK NEA 2011; Staub, Ott 2011). Nationale TEEB-Studien werden und durch eine ökonomische Perspektive erfasst werden können, ist zunehmend initiiert – unter anderem in den Niederlanden, Norwegen, keineswegs neu. Sie wird bereits seit Jahrzehnten in Wissenschaftskrei- Brasilien und Korea. sen international diskutiert und fand mit dem »Millennium Ecosystem Assessment« (MA 2005) weltweit große Beachtung. Ökonomische Das Vorhaben »Naturkapital Deutschland« ist der deutsche Beitrag Argumente spielen dabei eine immer größere Rolle, wie eindrucksvoll zum internationalen TEEB-Prozess. Das Vorhaben »Naturkapital mit der internationalen TEEB-Studie gezeigt wurde (-> Infobox 6). Deutschland« will Auch auf politischer Ebene wurde die Bedeutung der Ökosysteme den Zusammenhang zwischen den Leistungen der Natur, der Wert- und ihrer Leistungen in den vergangenen Jahren fest verankert: Ihre schöpfung der Wirtschaft und dem menschlichen Wohlergehen Erhaltung und Wiederherstellung gehört zu den globalen und EU- bewusst machen, weiten Biodiversitätszielen. Die 2011 von der EU-Kommission vorge- einen Anstoß liefern, um die Leistungen und Werte der Natur ge- legte Biodiversitätsstrategie (Europäische Kommission 2011) fordert nauer zu erfassen und in Deutschland sichtbarer zu machen, unter anderem als ein Ziel die Sicherung und Verbesserung von Öko- Möglichkeiten untersuchen und Vorschläge entwickeln, um Natur- systemen und deren Leistungen durch eine »Grüne Infrastruktur« bis kapital besser in private und öffentliche Entscheidungsprozesse zum Jahr 2020. Dabei sollen mindestens 15 Prozent der geschädigten einzubeziehen, damit langfristig die natürlichen Lebensgrundlagen ABBILDUNG 10 Ökosysteme wiederhergestellt werden. Zur Umsetzung sollen die EU- und die biologische Vielfalt erhalten werden. (Foto: Rolf Quandt)
20 DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT EIN ÖKONOMISCHER BLICK AUF DIE LEISTUNGEN DER NATUR 21 Deutschland verfügt bereits durch die Nationale Biodiversitätsstra- tegie (Bundesregierung 2012), die Nationale Nachhaltigkeitsstrate- INFOBOX 7 gie, umweltgesetzliche Regelungen und die dafür entwickelten Instru- mente über Grundlagen zur Erhaltung von Naturkapital und Ökosys- Standpunkt: Interview mit Fernsehmoderator Karsten Schwanke temleistungen. Mit dem Vorhaben »Naturkapital Deutschland« soll Herr Schwanke, Sie haben sich bereit erklärt, als Berater und auch die Umsetzung der genannten nationalen Ziele und Strategien Botschafter im Vorhaben »Naturkapital Deutschland« mitzuwirken. unterstützt werden. Warum setzen Sie sich gerade für ein solches Projekt ein? Deutschland hat eine reichhaltige Natur. Diese Natur ist ein Kapital, Im Kern des Projektes »Naturkapital Deutschland« geht es darum, vor- das viel zu oft unterschätzt wird. Es gibt für mich zwei Gründe, handenes Wissen über die Natur und ihre Leistungen zusammenzu- mich für das Projekt einzusetzen: Einerseits möchte ich das Bewusst- tragen. Dazu sollen ein Netzwerk aufgebaut und Prozesse angestoßen sein in der Gesellschaft für den Reichtum unserer Natur schärfen – werden, die dazu beitragen, dass der Wert der Natur und ihrer Leis- und andererseits auch klar machen, dass Natur nicht »nur« schön ABBILDUNG 11 Karsten Schwanke, tungen künftig besser in Entscheidungen berücksichtigt wird. Unter- anzusehen ist, sondern auch eine darüber hinausgehende monetär ARD-Meteorologe und Wissen- stützt wird das Vorhaben unter anderem von einer Projektbegleiten- erfassbare Bedeutung hat. Unsere Natur ist auch ein finanzieller schaftsmoderator, ist Mitglied des den Arbeitsgruppe und einem Beirat (-> Kapitel 4 und Infobox 7). Schatz unserer Gesellschaft, den wir sorgsam hüten müssen. Projektbeirats »Naturkapital Gerade für Sie als Fernsehjournalist ist die Natur ja ein faszinierendes Deutschland«. In Kapitel 2 weisen wir zunächst auf die Vielzahl der Ökosystemleis- Objekt, unendlich abwechslungsreich und wandelbar. Ist Ihnen der (Foto: Ralf Wilschewski) tungen in Deutschland hin und stellen für einige ihre Bedeutung für Fokus auf den ökonomischen Wert da nicht viel zu eingeschränkt? Wohlstand und Wohlergehen dar. Umgekehrt: Mir ist eher die rein optisch-faszinierende Betrachtung In Kapitel 3 werden wir ökonomische Ansätze der Bewertung und der Natur zu wenig, zu eingeschränkt. Die Reduzierung der Natur -> Inwertsetzung vorstellen und einordnen. Wir werden erläutern, auf den »Sonntagsspaziergang im Park« macht uns blind für die wahre wie die ökonomische Sichtweise zur Erhaltung der Natur in Deutsch- Bedeutung der Natur. Wir brauchen sie und sind abhängig von ihr. land beitragen kann. Deshalb ist es wichtig, diese Bedeutung mit Zahlen zu untermauern, Kapitel 4 gibt schließlich weitere Informationen zu Zielsetzung, Struk- auch, um in der Gesellschaft ein neues Bewusstsein dafür zu schaffen. tur und Verlauf des Projekts »Naturkapital Deutschland«. Welche Rolle sehen Sie für die Medien bei der Frage nach Erhaltung und nachhaltiger Nutzung von Natur? Wenn ich einmal den Vergleich zum Stern-Report (zum Thema globale Erwärmung) ziehen darf: Nach Veröffentlichung dieses Klima-Reports hatten die Medien Fakten und Zahlen in der Hand. Die Klimadiskussion gelangte auf eine neue Ebene und wurde quer durch die ganze Gesellschaft geführt. Das erhoffe ich mir von dem deutschen Beitrag zum TEEB-Prozess auch im Verständnis für die Bedeutung der Natur, dass dieses Thema vielschichtiger diskutiert wird. Journalisten sind dankbar für Hintergrundinformationen, für Zahlen und Fakten. Wenn »Naturkapital Deutschland« diese liefert, wird das Thema nicht nur in den Medien, sondern auch in der Gesellschaft mit einer anderen Ernsthaftigkeit diskutiert. Wer müsste Ihrer Meinung nach die geplanten Berichte zu »Naturkapital Deutschland« lesen und verinnerlichen? Das gesamte Projekt wird wahrscheinlich nur von Entscheidungsträ- gern in der Politik und Gesellschaft, von Wissenschaftlern und in den Naturschutzorganisationen studiert. Nichtsdestotrotz sollte man einer interessierten Öffentlichkeit die Möglichkeit geben, die wichtigsten Ergebnisse in Form einer kurzen Zusammenfassung lesen zu können. Auch ein Abstract, ein 10-Punkte-Papier mit den wichtigsten Eckdaten sollte natürlich breite Schichten der Gesellschaft erreichen.
22 DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT NATUR UND ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN – GRUNDLAGE FÜR WIRTSCHAFT UND WOHLFAHRT 23 In diesem Kapitel soll ein kurzer Überblick über wichtige -> Ökosys- temleistungen in Deutschland gegeben werden. Dabei kann es NATUR UND ÖKOSYSTEM- nicht um eine vollständige Erfassung gehen, sondern vielmehr um 2 LEISTUNGEN – GRUNDLAGE FÜR WIRTSCHAFT UND WOHLFAHRT die exemplarische Darstellung der ökonomischen Bedeutung von Ökosystemleistungen und biologischer Vielfalt. Beispiele illustrieren unterschiedliche -> Versorgungs-, -> Regulierungs- und -> kultu- relle Leistungen sowie -> Basisleistungen der -> Ökosysteme in Deutschland sowie ihr Verhältnis zur -> Biodiversität. 2.1 WOVON WIR LEBEN Die Natur und die mit ihr verbundenen Ökosystemleistungen in Deutschland bilden die Grundlage für unser -> Wohlergehen und sind in vielen Bereichen lebensnotwendig. Ökosystemleistungen lie- fern die Basis für Grundnahrungsmittel ebenso wie für die Herstel- lung von Produkten in so unterschiedlichen Sektoren wie Hochtechno- ABBILDUNG 12 Das Millennium logie, Energieversorgung und Erholung. Ökosystemleistungen haben Ecosystem Assessment (MA 2005) eine erhebliche ökonomische Bedeutung. hat ein Konzept zur Klassifizierung DIE GESELLSCHAFT MUSS DRINGEND IHREN MANGEL- Voraussetzungen für alle Ökosystemleistungen sind die Basisleistun- der weltweiten Ökosystemleistun- gen, die das Funktionieren von Ökosystemen erst ermöglichen. Darauf gen sowie ihrer Bedeutung für HAFTEN ÖKONOMISCHEN KOMPASS ERSETZEN, aufbauend lassen sich Versorgungsleistungen, Regulierungsleistun- das Wohlergehen der Menschen DAMIT SIE NICHT DAS MENSCHLICHE WOHLERGEHEN gen und kulturelle Leistungen unterscheiden. Lebensräume oder Ar- erarbeitet. Demnach bilden Öko- tengemeinschaften bilden die direkte oder indirekte Voraussetzung systemleistungen Grundlagen UND DIE GESUNDHEIT DES PLANETEN DURCH einzelner Ökosystemleistungen. Diese Voraussetzungen geraten je- für Sicherheit, materielle Grundver- DIE UNTERBEWERTUNG UND DEN DAUERHAFTEN VER- doch durch intensive Flächennutzung zunehmend in Gefahr. Daher sorgung, Gesundheit, soziale soll in diesem Kapitel ein besonderes Augenmerk darauf gelegt wer- Interaktion und Handlungsfreiheit LUST VON ÖKOSYSTEMEN UND BIODIVERSITÄT den, wie eine Nutzung von Ökosystemleistungen erfolgen kann, ohne (übersetzt und verändert nach AUFS SPIEL SETZT. ihre Basis zu zerstören. MA 2005, BfN 2012). PAVAN SUKHDEV [2008] ÖKOSYSTEMLEISTUNGEN BESTANDTEILE MENSCHLICHEN WOHLERGEHENS Versorgungsleistungen Sicherheit KERNAUSSAGEN Nahrung persönliche Sicherheit Trinkwasser gesicherter Zugang zu Ressourcen Holz und Fasern Sicherheit vor Katastrophen Brennstoffe Ökosystemleistungen in Deutschland sind vielfältig und wertvoll. Basis-, … Materielle Grundversorgung Versorgungs-, Regulierungs- und kulturelle Leistungen der Natur bilden angemessene Lebensgrundlagen Regulierungsleistungen ausreichende Versorgung mit die Grundlage für unsere Wirtschaft und für das Wohlergehen jedes Ein- Basisleistungen Klimaregulierung Nahrung und Nährstoffen Nährstoffkreislauf Hochwasserregulierung Unterkunft Entscheidungs- und zelnen. Bodenbildung Krankheitenregulierung Zugang zu Gütern Handlungsfreiheit Primärproduktion Wasserreinigung Möglichkeit, ein selbst- … … bestimmtes Leben zu Ökosystemleistungen stehen untereinander in Wechselwirkung. Je Gesundheit führen Lebenskraft nach Nutzung von Ökosystemen können sie sich untereinander begüns- Kulturelle Leistungen Wohlbefinden Ästhetik Zugang zu sauberer Luft und tigen oder konkurrieren. Entsprechendes gilt für ihr Verhältnis zur biolo- Spiritualität sauberem Wasser Bildung gischen Vielfalt. Erholung Gute soziale Beziehungen … sozialer Zusammenhalt Beispiele zeigen, wie die Erhaltung von Ökosystemleistungen gleichzei- gegenseitiger Respekt Fähigkeit, anderen zu helfen tig auch zur Erhaltung von Natur und biologischer Vielfalt beitragen kann. LEBEN – BIOOGISCHE VIELFALT
24 DER WERT DER NATUR FÜR WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT NATUR UND ÖKOSYSTEM LEISTUNGEN – GRUNDLAGE FÜR WIRTSCHAFT UND WOHLFAHRT 25 2.2 VERSORGUNGSLEISTUNGEN – WOMIT UNS DIE gung der Produktionsgrundlagen führen: So führt etwa der übermä- NATUR VERSORGT ßige Einsatz von Düngemitteln zum Rückgang der natürlichen Versorgungsleistungen bezeichnen beispielsweise Nahrung, Wasser, Bodenfruchtbarkeit; schwere Maschinen bewirken eine zunehmende Feuer- und Bauholz; Güter, die von Ökosystemen oder mit deren Hilfe Bodenverdichtung; die Vernichtung von Randstrukturen wie Hecken produziert werden. Auch wenn wesentliche Teile der pflanzlichen oder Raine fördert Erosionsschäden durch Wind und Wasser (-> Info- und tierischen Agrarproduktion heute mit einem hohen Arbeits- und box 8 und -> Kapitel 2.3). Kapitaleinsatz verbunden sind, so sind sie doch eng mit Leistungen unserer Ökosysteme verknüpft und ohne deren Beiträge nicht denk- bar. INFOBOX 8 Trinkwasser Ökosystemleistungen in der Landwirtschaft – ABBILDUNG 13 Auf der Grund- Der Bedarf an dieser Ökosystemleistung ist gewaltig. Nach Angaben mehr als nur Nahrungsmittelproduktion lage der Europäischen Wasser- des Statistischen Bundesamtes (2009) umfasst die Wasserabgabe der Landwirtschaft kann auch so betrieben werden, dass die von ihr bewirt- rahmenrichtlinie soll bis 2015 öffentlichen Wasserversorgung an Endverbraucher im Durchschnitt schafteten Flächen neben den Versorgungsleistungen weitere wichtige ein guter ökologischer und chemi- rund 5.000 Millionen Kubikmeter pro Jahr; davon entfallen circa Produkte und Leistungen wie Wasserfilterung, Erholung und Lebens- scher Zustand aller europäischen 70 Prozent auf Grund- und Quellwasser, der Rest wird aus Oberflächen- raum für Pflanzen und Tiere erbringen kann. Ein gutes Beispiel für diese Gewässer erreicht werden. wasser (22 Prozent) und Uferfiltrat (8 Prozent) gewonnen. Je Einwoh- Multifunktionalität von Landwirtschaft liefert der ökologische Landbau. (Foto: ifuplan) ner und Tag wurden 2007 durchschnittlich rund 122 Liter verbraucht. In Deutschland werden derzeit circa eine Million Hektar ökologisch be- Die ausreichende Verfügbarkeit von Wasser in annehmbarer Qualität wirtschaftet; dies entspricht einem Anteil von rund 6 Prozent der land- ist eine zentrale Lebensgrundlage für Menschen, aber auch für viele wirtschaftlich genutzten Fläche. Ziel der Bundesregierung ist es, den Tier- und Pflanzenarten. Die Wasserqualität wird dabei wesentlich Anteil des ökologischen Landbaus auf 20 Prozent zu erhöhen. Der Um- bestimmt durch Nutzungsintensität und Regulierungsleistungen unse- satz von Ökolandbauprodukten hat in den vergangenen Jahren stetig rer Böden, die Qualität unserer Gewässer und den Zustand unserer zugenommen. Die Fläche des Ökolandbaus in Deutschland hat sich in- Feuchtgebiete. Das quantitative Wasserdargebot ist dank der klimati- nerhalb von 16 Jahren vervierfacht. Die Nachfrage übersteigt dabei zu- schen Bedingungen in Deutschland in der Regel ausreichend. Regio- nehmend das Angebot an heimischen Produkten, sodass der Bedarf nale und saisonale Knappheiten können jedoch aufgrund des Klima- zusätzlich mit Hilfe von Importen gedeckt werden muss. Da letztlich die wandels zunehmen. Die Ökosystemleistungen von Wäldern und agrarische Produktion vor allem auf der Verfügbarkeit fruchtbarer Bö- Feuchtgebieten – insbesondere ihr Vermögen, Wasser zu speichern, den (Basisleistungen) basiert, kann der Ökolandbau langfristig von die- den Abfluss zu verzögern, Oberflächenwasser zu reinigen und Grund- ser Ökosystemleistung profitieren, Grund ist eine schonendere Boden- wasser neu zu bilden – werden deshalb in Zukunft an Bedeutung ge- bewirtschaftung mit wechselnden Fruchtfolgen ohne Einsatz von winnen. Die Qualität des Grundwassers ist an vielen Orten immer chemischen Düngemitteln und chemisch-synthetischen Pflanzen- noch ein Problem, das insbesondere durch eine nachhaltige Ausge- schutzmitteln. Denn das spart Kosten an anderer Stelle: zum Beispiel staltung unserer Landnutzungen zu lösen ist (-> Kapitel 2.3). bei der Aufbereitung von Wasser im Klärwerk. ABBILDUNG 14 Die landwirt- schaftliche Nutzung prägt rund Nahrungsmittel ABBILDUNG 15 Entwicklung des 6,1 52 Prozent der Fläche Deutschlands Die Natur ist die Basis landwirtschaftlicher Produktion und bietet 5,6 5,9 ökologischen Landbaus – eine 5,4 an der landwirtschaftlichen Fläche in % und stellt die Erwerbsgrundlage für lebenswichtige Produkte von Getreide über Obst und Gemüse bis hin 4,9 5,1 Nutzungsart, die Ökosystemleis- 4,7 circa 1,1 Millionen Arbeitskräfte dar. zu Milch und Fleisch. Im Bereich der Landwirtschaft erfolgt die Pro- tungen sichert (Tabelle nach Anteil des ökologischen Landbaus 4,5 4,1 4,3 Im Jahr 2009 betrug der Anteil duktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen teilweise im industriel- 3,7 UBA 2009 , BÖLW 2009 – 2012). der Landwirtschaft an der Brutto- len Maßstab. Der Beitrag von Ökosystemleistungen ist aber auch hier 3,2 2,6 wertschöpfung gesamtwirtschaft- unverzichtbar. Dies gilt sowohl für die Pflanzenproduktion als auch 2,1 2,3 2,4 lich nur etwa 0,6 Prozent. Die via Futterpflanzen und Wiesen- und Weidewirtschaft für die Tierpro- 1,6 1,8 volkswirtschaftliche Bedeutung der duktion. Die landwirtschaftliche Produktion ist auf dauerhaft intakte Landwirtschaft ist jedoch deutlich und stabile Bodenfunktionen und auf die Bereitstellung von Wasser höher: 2010 erzielte sie einen Umsatz und Nährstoffen für das Pflanzenwachstum angewiesen. 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 von 42,2 Milliarden Euro (DBV 2010, Eine einseitig auf die intensive Produktion bestimmter Nutzpflanzen Foto: ifuplan). ausgerichtete Bewirtschaftung von Ökosystemen kann zur Schädi-
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