Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit - Diesel, Benzin, Elektro: Die Antriebstechnik allein macht noch keine Verkehrswende
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit Diesel, Benzin, Elektro: Die Antriebstechnik allein macht noch keine Verkehrswende
Impressum Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit Diesel, Benzin, Elektro: Die Antriebstechnik allein macht noch keine Verkehrswende Herausgeber Bischöfliches Hilfswerk Brot für die Welt PowerShift – Verein für eine MISEREOR e. V. Evangelisches Werk für Diakonie ökologisch-solidarische Mozartstraße 9, 52064 Aachen und Entwicklung e. V. Energie- & Weltwirtschaft e. V. Tel.: +49 241 442 0 Caroline-Michaelis-Str. 1, 10115 Berlin Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin E-Mail: info@misereor.de Tel.: +49 30 65 21 10 Tel.: +49 30 42805479 www.misereor.de www.brot-fuer-die-welt.de E-Mail: info@power-shift.de http://power-shift.de Autor*innen: Merle Groneweg und Laura Weis (PowerShift) Mit Beiträgen von: Maren Leifker (Brot für die Welt): Kapitel 4.2.4 Sarah Lincoln (Brot für die Welt): Kapitel 4.2.4, 4.2.6, 4.3.1, 4.3.2 Armin Paasch (Misereor): Kapitel 4.3.1; Infokasten Rohstoffe für Energiewende Vincent Neussl (Misereor): Kapitel 4.2.5 Susanne Friess (Misereor): Kapitel 4.2.1, 4.2.2 Michael Reckordt (PowerShift): Kapitel 4.2.3 Layout, Satz und Reinzeichnung: Tilla Balzer | buk.design nach einer Layoutvorlage von Monika Brinkmöller Bildredaktion: Joyce Moore Infografik: Tilla Balzer, Charlotte Röhren (Recherche) Redaktion: Merle Groneweg, Michael Reckordt, Laura Weis (PowerShift), Sven Hilbig (Brot für die Welt), Armin Paasch (Misereor) Berlin, November 2018 © PowerShift e. V. Alle Links in den Fußnoten wurden am 17.10.2018 auf Gültigkeit überprüft. Gefördert durch Gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auf trag des Gefördert von Für den Inhalt dieser Publikation ist allein die bezuschusste Insititution (PowerShift e. V.) verantwortlich; die hier dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt von Engagement Global gGmbH, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe wieder.
Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit Diesel, Benzin, Elektro: Die Antriebstechnik allein macht noch keine Verkehrswende
Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung 6 1. Einleitung 10 2. Autoland Deutschland - Zahlen und Fakten 11 2.1 Politische Unterstützung für Automobilität 12 2.2 Potential alternativer Antriebstechnologien bleibt ungenutzt 13 2.3 Große Autos, große Gewinne: die deutsche Automobilindustrie 14 Industrie am Steuer: Die Bundesregierung und der Abgasskandal 16 3. Klima-, Umwelt- und Gesundheitsfolgen von Verbrennungsmotor und Autoverkehr 18 3.1 Treibhausgase 18 3.2 Stickoxide 19 4 3.3 Feinstaub 20 3.4 Flächenverbrauch, Lärm und Lebensqualität 20 Sport Utility Vehicles (SUVs) als Ausdruck der imperialen Lebensweise 22 4. Menschenrechtlich, sozial und ökologisch ein Problem: der Bedarf an metallischen Rohstoffen für Automobilität und Elektroautos 23 4.1 Der Rohstoffverbrauch der deutschen Autoindustrie 23 4.1.1 Rohstoffe für Karosserie und technische Ausstattung von Autos 23 4.1.2 Neue Antriebe – neue Rohstoff bedarfe 24 4.1.3 Rohstoffe für Elektromotoren 24 4.1.4 Rohstoffe für die Akkus von Elektro-Fahrzeugen 25 4.1.5 Der industriepolitische Diskurs der Versorgungssicherheit 27 4.2 Die fatalen Folgen des Rohstoffabbaus 28 4.2.1 Dammbruch in Brasilien: Eine katastrophale Folge des E isenerzabbaus 29 4.2.2 Im Ausnahmezustand: Kupferabbau in Lateinamerika 30 4.2.3 Kaum Gewinne für lokale Gemeinden: Nickelabbau auf den Philippinen 32
4.2.4 Wasserstress im Lithiumdreieck – Chile im Fokus 33 4.2.5 Kobalt-Konflikte: industrieller und artisanaler Bergbau in der DRK 35 4.2.6 Edles Metall, unwürdiger Abbau: ein Blick auf den Platingürtel Südafrikas 37 4.3.1 Deutschland auf dem Weg zur gesetzlichen Unternehmensverantwortung? 39 4.3.2 Was machen BMW, Daimler und VW zum Schutz der Menschenrechte? 40 5. Auf die Herkunft kommt es an – Strom für die Elektromobilität 42 5.1 Klimabilanz von Elektroautos 42 5.2 Technologieoptionen und zukünftiger Strombedarf für den Verkehr 44 5.3 Ausbaupotenzial EE und Strombedarf in Deutschland 45 5.4 Import strombasierter Kraftstoffe? 46 Infokasten: Rohstoffe für die Energiewende 47 6. Was nötig wäre: Weniger Autos, bessere Alternativen 48 6.1 Wie die Verkehrswende in Deutschland gelingen könnte 48 6.2 Mehr Rad und ÖPNV, weniger Auto – Wie Städte weltweit die Verkehrswende bereits heute voranbringen 50 6.3 Konsequentes Recycling zur Senkung des Rohstoffbedarfs 51 7. Eine klima- und ressourcengerechte Verkehrswende ist nötig 53
Zusammenfassung Knapp ein Fünf tel der CO2-Emissionen verur- Der Ressourcenverbrauch von Autos ist, ungeach- sachte der Verkehrssektor 2015 in Deutschland. tet der Antriebstechnik, grundsätzlich hoch. Der Im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen sind Trend zu immer größeren Fahrzeugen ist dabei die CO2-Emissionen im Verkehrssektor ange- besonders Besorgnis erregend: Inzwischen ist stiegen und liegen nach vorläufigen Zahlen des jedes zehnte in Deutschland zugelassene Auto BMUB sogar über dem Wert von 19901. Verant- ein SUV oder Geländewagen; ihr Anteil an den wortlich sind dafür vor allem Pkw. Neben den Neuzulassungen lag zuletzt bei 22,5 Prozent2. klimaschädlichen CO2-Emissionen entstehen Auch die deutschen Autohersteller bauen gerne beim Verbrennen von Benzin und Diesel gro- große Fahrzeuge, die sich teuer verkaufen las- ße Mengen gesundheitsschädlicher Stickoxide sen. Ohnehin gehört die Automobilindustrie als und Feinstaub. Insbesondere in großen Städten größte Branche des verarbeitenden Gewerbes in und Ballungsgebieten führt das zu erheblichen Deutschland zu den größten Ressourcenverbrau- Gesundheitsbelastungen und Umweltschäden. chern. Die metallischen Primärrohstoffe für die Hinzu kommen die vielen Verkehrsunfälle, die immer größer und schwerer werdenden Fahrzeu- Lärmbelastung und der Flächenverbrauch. Glo- ge der deutschen Autobauer stammen jedoch zu bal wie auch in Deutschland leiden vor allem är- fast 100 Prozent aus dem Ausland. Oftmals wer- mere Bevölkerungsgruppen unter den durch den den diese unter katastrophalen menschenrecht- Autoverkehr verursachten Umweltbelastungen. lichen, ökologischen und sozialen Bedingungen Die zügige Abkehr vom Verbrennungsmotor ist in Ländern des Globalen Südens abgebaut. Das aus Gründen der Umwelt- und Klimagerechtig- gilt für Metalle wie Stahl und Kupfer, die bereits keit deshalb dringend geboten. heute in großen Mengen in allen Autos verbaut werden. 6 Elektroautos mit Akkuspeicher sind die derzeit beste Option, um Verbrennungsmotoren zu er- Für die Produktion von Akkus für Elektrofahr- setzen. Zum einen sind sie schon heute weniger zeuge werden zusätzlich Rohstof fe wie Kobalt, klimaschädlich als Autos mit konventionellen Lithium, Graphit und Nickel benötigt, deren Ver- Antrieben. Das gilt selbst dann, wenn man den brauch drastisch ansteigen wird. Bereits 2030 größtenteils fossilen Strommix in Deutschland könnte vier Mal so viel Lithium in Elektroautos zugrunde legt und den hohen Energieverbrauch verbaut werden, wie heute jährlich weltweit ab- bei der Herstellung der Batteriezellen berück- gebaut wird. Auch der prognostizierte Kobalt- sichtigt. Im Vergleich zu anderen alternativen verbrauch liegt deutlich über den derzeit global Antrieben verbrauchen Elektroautos mit Akku geförderten Mengen. Aufgrund dieser hohen deutlich weniger Strom. Das ist wichtig, weil Prognosen steigen die Preise für diese Rohstoffe auch erneuerbarer Strom nicht in unbegrenz- bereits heute enorm an. In vielen Staaten wer- ten Mengen zur Verfügung steht. Windräder den neue Lizenzen für die Exploration oder den und Solarzellen benötigen Flächen und Roh- Abbau vergeben, was oft mit den Interessen der stoffe. Gleichzeitig wird der Stromverbrauch in ansässigen Bevölkerung kollidiert. Die Vorkom- Deutschland durch die zunehmende Elektrifi- men im Lithium-Dreieck lagern in Salzseen in zierung von Verkehr und Wärme ansteigen. Vor- hochandinen Steppenregionen, die durch ext- aussichtlich wird in Zukunft ein wachsender Teil rem hohe Sonneneinstrahlung und sehr geringe der in Deutschland genutzten Energie aus dem Niederschläge gekennzeichnet sind. Die aride Ausland importiert werden. Als mögliche Her- Landschaft ist Heimat zahlreicher indigener Ge- kunftsländer gelten vor allem Staaten mit einem meinden, die dort seit Jahrhunderten leben und hohen Potenzial für erneuerbare Energien, wie Viehzucht, Handwerk und Landwirtschaf t be- z. B. nordafrikanische Länder. Die Erzeugung treiben. In der kobaltreichen Demokratischen von erneuerbarer Energie für den Export nach Republik Kongo zählt zu den direkten Konse- Europa kann eine Chance für die wirtschaftliche quenzen des industriellen Bergbaus, dass Klein- Entwicklung sein, könnte aber auch menschen- schürfer*innen verdrängt werden. Dabei ist der rechtliche, soziale und ökologische Probleme so genannte artisanale Bergbau bei allen Pro- schaffen oder verstärken. blemen, die er mit sich bringt, für die einfache 1 BMUB (2017): Klimaschutz in Zahlen: Der Sektor Verkehr. 2 KBA (2018): Jahresbilanz der Neuzulassungen 2017. https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klima- https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Neuzulassungen/n_ schutz/klimaschutz_in_zahlen_verkehr_bf.pdf jahresbilanz.html
Bevölkerung deutlich (überlebens-)wichtiger als Autofahren ausgebaut und attraktiver gestaltet der industrielle Bergbau. werden müssen, muss der systematische Vor- rang für das Auto in Stadtplanung, Straßen- Darüber hinaus stellt der Abbau von metalli- verkehrsordnung und bei der Finanzierung der schen Rohstoffen einen irreparablen Eingriff in Infrastruktur endlich ein Ende haben. Die ver- Ökosysteme dar und geht of t mit starker Um- bleibenden Autos müssen deutlich kleiner, leich- weltverschmutzung einher. Eine Umstellung der ter und elektrisch angetrieben sein. Der Anteil gesamten deutschen Autoflotte – 56,5 Millionen von Sharing-Angeboten muss zunehmen. Das Kraftfahrzeuge, davon 46,5 Millionen PKW3 – auf Auto mit Verbrennungsmotor im Privatbesitz den Antrieb mit Elektromotoren kann aus ent- wird damit zum Auslaufmodell. Der Verbrauch wicklungspolitischer Sicht nicht die Lösung sein. von Primärrohstof fen muss durch konsequen- Die sozialen, ökologischen und menschenrecht- tes Recycling auf ein Minimum begrenzt werden. lichen Kosten der Mobilität in Deutschland, die Für die verbleibenden Rohstoffimporte müssen auf dem Pkw im Privatbesitz basiert, werden zu menschenrechtliche, soziale und ökologische großen Teilen externalisiert. Sorgfaltspflichten gesetzlich festgeschrieben werden. Es ist höchste Zeit, die Weichen für eine Der Schutz der Menschenrechte ist in erster Li- zukunftsfähige Mobilität zu stellen – für globale nie eine staatliche Verpflichtung. Primär stehen Gerechtigkeit, saubere Luft, sichere Straßen und dabei jene Staaten in der Pflicht, in denen die lebenswerte Städte. betref fenden Bergbauprojekte durchgeführt werden. Allerdings hat der UN-Ausschuss für wirtschaf tliche, soziale und kulturelle Rechte in seinem Allgemeinen Kommentar Nr. 24 (Juni Dafür sind aus unserer Sicht folgende Schritte 2018) nochmals ausdrücklich und umfassend erforderlich: die Verpflichtung von Staaten bekräftigt, auch außerhalb des eigenen Territoriums seine Ein- ʇʇ Ein zügiges Ende des Verbrennungsmotors flussmöglichkeiten zur Achtung, zum Schutz und und eine Abkehr vom Vorrang des motorosier- zur Gewährleistung der Menschenrechte auszu- ten Individualverkehrs in der Verkehrspolitik. 7 schöpfen4. Das betrifft besonders Deutschland als einen der wichtigsten Importeure metalli- ʇʇ Eine absolute Senkung des Verbrauchs von Pri- scher Rohstof fe. Mit Blick auf Abbauregionen, märrohstoffen durch eine drastische Reduktion in denen es häufig zu Konflikten, Umweltschä- der Zahl und Größe der Autos in Deutschland den und Menschenrechtsverletzungen kommt, sowie durch konsequentes Recycling. und Staaten, die nicht willens oder in der Lage sind, die Rechte der Betroffenen angemessen zu ʇʇ Die Einführung gesetzlich verpflichtender schützen und den Betroffenen Zugang zu Gerich- menschenrechtlicher, sozialer und ökologi- ten und einem fairen Verfahren zu gewährleisten, scher Sorgfaltspflichten für den Import von kommt den extraterritorialen Staatenpflichten Rohstoffen. eine hohe Relevanz zu. Den 2011 verabschiedeten UN-Leitprinzipien zufolge tragen jedoch auch Unternehmen Verantwortung dafür, die Men- schenrechte in ihren Aktivitäten und Geschäfts- beziehungen zu achten. Dies durchzusetzen, ist wiederum Teil der menschenrechtlichen Schutz- pflicht der Staaten. Ziel einer zukunf tsfähigen und global gerech- ten Mobilitätspolitik muss es sein, die Zahl der Autos und die mit ihnen zurückgelegten Kilo- meter drastisch zu reduzieren. Die Bundesre- gierung muss deshalb ein Ausstiegsszenario für den Verbrennungsmotor erarbeiten und ein nahes Datum für das Ende seiner Zulas- sung benennen. Während die Alternativen zum 3 KBA (2018): Jahresbilanz des Fahrzeugbestandes am 1. Ja- nuar 2018. https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/b_ jahresbilanz.html 4 General Comment 24 on State Obligations under the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights in the Context of Business Activities.
Weniger Autos, mehr Ressourcengerechtigkeit Aus entwicklungspolitischer Sicht sind sowohl fossil als auch elektrisch betriebene Pkw problematisch. Denn die metallischen Rohstoffe für die immer größeren und schwereren Fahrzeuge der deutschen Autobauer werden oftmals unter katastrophalen menschenrechtlichen, ökologischen und sozialen Bedingungen in Ländern des Globalen Südens abgebaut. Ziel einer zukunftsfähigen und global gerechten Mobilitätspolitik muss es deshalb sein, den Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastung durch Autos drastisch zu reduzieren. Stahl Aluminium Karosserie ~ 700 kg Stahl Kupfer E-Motor Aluminium Seltene Erden ~ 60kg Eisen NMC Batterie Graphit ~ 440kg Anderes (EPA Reichweite 384 km) Kupfer ~ 560 kg Kobalt (hauptsächlich innenausstattung Nickel Beispiel: Mittelklasse E-Auto inkl. Bordelektronik) Reifen Mangan Chevrolet Bolt, meist verkauftes E-Auto, ~ 33 kg Polyester seit 2017 in Europa als Opel Ampera-e vertrieben, Lithium Gesamtgewicht: ca. 1800 kg, seit 2017 in Europa als Opel Ampera-e vertrieben Anderes (weiterhin in Detroit von GM gebaut) Quelle: UBS Q-Series, https://neo.ubs.com/shared/d1wkuDlEbYPjF/ Veränderung des Rohstoffverbrauchs bei weltweitem Umstieg auf E-Autos Lithium +2.898 % Kobalt +1.928 % Seltene Erden +655 % Graphit +524% Nickel +105% Kupfer +22% Mangan +14% Aluminium +13% Silikon +0% Stahl -1% Platingruppenmetalle -53% (0% bedeutet: keine Veränderung der aktuellen Produktionsmenge) Quelle: UBS Q-Series, https://neo.ubs.com/shared/d1wkuDlEbYPjF/, S.8
Rohstoffe für Autos - Globale Produktion und zentrale Probleme beim Abbau Eisen Andere 15,1% Kupfer Australien 4,7% Andere 40,4% Südafrika 2,9% USA 6,4% Russland 4,2% Australien 37% Indien 8% China 9,4% Chile 27% China 14,3% Peru 12,1% Brasilien 18,5% Kupferminen werden, wie viele andere Minen auch, immer wieder mit Beim Abbau von Rohstoffen kommt es immer wieder zu Rissen in gravierenden Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht. und Bersten von Rückhaltebecken. So auch beim Abbau von den für Dazu gehören Zwangsumsiedelung, unzureichende Kompensations- Stahl gebrauchten Eisenerzen, wie im Jahr 2015 in Mariana (Brasilien). zahlungen, kontaminierte Gewässer, Luftverschmutzung oder Die entstehenden schwermetallhaltigen Schlammwellen fordern Nutzungskonflikte um Trinkwasser. Einige Bergbaukonzerne stehen Menschenleben und zerstören Lebensgrundlagen sowie Flora und regelmäßig wegen Steuervermeidungstricks, Steuerhinterziehung und Fauna, vor allem entlang der Wasserläufe. Zudem sind der Abbau von Korruptionszahlungen in der Kritik. Insbesondere in Peru kommt es Eisenerz und die Stahlproduktion sehr energie- und wasserintensiv immer wieder zur gewaltsamen Niederschlagung von Protesten, bei und können den Wassermangel in umliegenden Regionen verschärfen. denen es mitunter auch Todesopfer zu betrauern gibt. Kobalt Andere 28,7% Lithium Andere 1,7% Zimbabwe 2,3% Australien 43,5% China 6,9% DR Kongo 58% Kanada 3,9% Argentinien 12,8% Kuba 3,8% Australien 4,5% Chile 32,8% Russland 5,1% Lithium wird unter anderem aus dem mineralhaltigen Wasser von Salz- Kobalt wird momentan mehrheitlich in der DR Kongo abgebaut. Vor seen mithilfe von Salz- und Schwefelsäure, Kalk und Natriumkarbonat Ort stehen die immer größeren Konzessionsgebiete für industriellen gewonnen. Dies bedeutet einen extrem hohen Wasserverbrauch mit Bergbau im Konflikt mit dringend benötigtem Agrar- oder Siedlungs- darauf folgende Dürren, Wasserknappheit und Versalzung der Böden, land. Kleinschürfer*innen werden durch industriellen Bergbau ver- welches wiederum Landwirtschaft und Vegetation bedroht und der drängt und ihrer Lebensgrundlage entzogen. Bei beiden Abbauarten dort angesiedelten indigenen Gemeinschaften ihre Lebensgrundlage kommt es zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen sowie zum entzieht. Gerade in Lateinamerika sind einmalige Naturräume in ihrer Einsatz von Kinderarbeit. Existenz bedroht. Platin Andere 4% Nickel Indonesien 19% USA 2% Philippinen 11% Kanada 6% Südafrika 70% Andere 41% Zimbabwe 7,5% Kanada 10% Australien 9% Neu-Kaledonien 10% Russland 10,5% Auch beim Nickelabbau werden so genannte saure Grubenabwässer Platin wird aus wirtschaftlichen Gründen zunehmend in oberflächen- freigesetzt, die sich im Grundwasser, Flussläufen sowie in den Böden nahen, offenen Gruben gewonnen. Dies führt zur Vertreibung der niederschlagen. Sie behindern das Pflanzenwachstum sowie die land- lokalen Bevölkerung sowie zu Wasserknappheit durch Absenkung des wirtschaftliche Produktion und zerstören die Wasserflora und -fauna. Grundwasserpegels. Die in einigen Regionen weiterhin verbreitete Der Abbau hat außerdem unmittelbar gesundheitliche Auswirkungen Förderung untertage findet unter schlechten Lebens- und Arbeits- auf die Arbeiter*innen, die durch die freigesetzten Schadstoffe unter bedingungen der Bergarbeiter*innen statt. In Südafrika führten diese Lungen- oder Herzkrankheiten leiden können. In den Philippinen wird im Jahr 2012 zu massiven Protesten, die blutig niedergeschlagen wurden zudem das Recht auf angemessene Ernährung von Landwirt*innen und 34 Arbeitern das Leben kosteten („Massaker von Marikana“). und Fischer*innen verletzt; Kompensationszahlungen an Fischzucht- Besitzer*innen sind häufig viel zu gering. Die Diagramme zeigen den Anteil von Ländern an der globalen Produktion 2017 auf. Quelle: U.S. Geological Survey, https://minerals.usgs.gov/minerals/pubs/mcs/2018/mcs2018.pdf
1. Einleitung Rund 130 Jahre nach Erfindung des Automobils metallischen Rohstoffe, die oftmals unter katast- prägt der motorisierte Individualverkehr das Er- rophalen menschenrechtlichen, ökologischen und scheinungsbild unserer Städte. Aus dem Leben sozialen Bedingungen in Ländern des Globalen Sü- vieler Menschen sind Autos kaum noch wegzuden- dens abgebaut werden. Dass der Trend zu immer ken. Das war nicht immer so: Im Schweizer Kanton größeren und schwereren Autos wie SUVs geht, Graubünden blieb das Autofahren bis zum Jahr verschärft dieses Problem. Akkus für Elektrofahr- 1925 aufgrund verschiedener Volksabstimmungen zeuge lassen den Verbrauch bestimmter Rohstof- verboten. Grund dafür waren in erster Linie Sicher- fe wie Kobalt, Lithium oder Nickel zusätzlich in die heitsbedenken5. In den USA waren Autos zu Beginn Höhe schnellen. Zusätzlich stellt sich hier die Fra- des 20. Jahrhunderts alles andere als beliebt: Im ge, woher der erneuerbare Strom für den Antrieb Jahr 1912 war im „Chicago Tribune“ zu lesen, dass der Elektrofahrzeuge kommen soll. Statt auf den die meisten Menschen übereinstimmten, dass die Import von Kohle, Öl und Erdgas könnte Deutsch- Straßen für Kinder zum Spielen seien6. Seitdem land in Zukunft auf den Import erneuerbarer Ener- steht der Autoverkehr in fortwährender Kritik – gien angewiesen sein8. und diese ist heute wieder besonders deutlich zu vernehmen. Die große Zahl der Verkehrstoten, der Die sozialen, ökologischen und menschenrecht- hohe Flächenverbrauch und der krankmachen- lichen Kosten unserer auf dem Auto basierenden de Lärm sind dabei eher Randnotizen. Im Fokus Mobilität werden zu großen Teilen externalisiert. der Aufmerksamkeit stehen aktuell die hohen Die Politologen Ulrich Brand und Markus Wissen CO2- und Schadstoff-Emissionen von Dieseln und sprechen in diesem Zusammenhang von „impe- Benzinern. Und das zu recht: In Deutschland lagen rialer Lebensweise“ 9, der Soziologe Stephan Les- 2016 die CO2-Emissionen aus dem Verkehrssektor senich von der „Externalisierungsgesellschaft“ 10. 10 nach vorläufigen Zahlen des BMUB über dem Wert Mit dieser Studie möchten wir einen Beitrag von 1990. Stickoxidemissionen belasten die Luft- dazu leisten, jene ausgelagerten und unsichtbar qualität in zahlreichen Städten erheblich und schä- gemachten Kosten aufzuzeigen. digen die Gesundheit der dort lebenden Menschen. Für die Umwelt- und Gesundheitskosten, die aus In Kapitel zwei geben wir einen Überblick zur den kriminellen Machenschaften der deutschen Automobilität in Deutschland und werfen einen Autoindustrie resultieren, kommt bislang die All- Blick auf die verkehrspolitische Agenda von Poli- gemeinheit auf. Die Hauptleidtragenden der ne- tik und Industrie, bevor wir in Kapitel drei die gativen Umwelt- und Gesundheitsauswirkungen Auswirkungen des Autoverkehrs in Deutschland sind in Deutschland wie auf der ganzen Welt in ers- auf Klima, Umwelt und Gesundheit aufzeigen. ter Linie arme Bevölkerungsgruppen. Um die gra- Im vierten Kapitel untersuchen wir, welche me- vierendsten Auswirkungen der Klimaerwärmung tallischen Rohstoffe in Elektroautos stecken, wo- noch zu begrenzen, müssen die CO2-Emissionen her diese kommen und mit welchen Folgen dies weltweit schnell und umfassend reduziert wer- für die Menschen in den Abbaugebieten verbun- den – auch im Verkehrssektor. den ist. Kapitel fünf zeigt, warum Elektroautos trotz der negativen Begleiterscheinungen die Die große Zahl der in Deutschland zugelassenen beste Alternative zum Verbrennungsmotor dar- Autos, die vielen mit ihnen gefahrenen Kilometer stellen. Im sechsten Kapitel skizzieren wir, wie ebenso wie die von der deutschen Automobil- die Verkehrswende, also die politische, soziale industrie produzierten Pkw-Modelle laufen einer und ökonomische Transformation hin zu einer global gerechten, zukunftsfähigen Politik zuwider. nachhaltigen und global gerechten Mobilität, ge- Trotzdem gehen die meisten Prognosen davon aus, lingen könnte. Auf dieser Grundlage stellen wir dass die Zahl der Autos in Deutschland wie welt- in Kapitel 7 Politikempfehlungen für eine global weit in den kommenden Jahrzehnten noch weiter gerechte und zukunftsfähige Verkehrspolitik in ansteigen wird7. Damit steigt auch der Verbrauch Deutschland und Europa vor. der von der Automobilindustrie verarbeiteten 8 Ebenda. Vgl. außerdem: Agora Energiewende (2017): Mit 5 Neue Zürcher Zeitung (2016): Der Kampf ums Automobil. der Verkehrswende die Mobilität von morgen sichern. https://www.nzz.ch/schweiz/schweizer-geschichte/sonderfall- https://www.agora-verkehrswende.de/fileadmin/Projekte/2017/ graubuenden-der-kampf-ums-automobil-ld.103634 12_Thesen/Agora-Verkehrswende-12-Thesen_WEB.pdf 6 Tagesschau (2018): Autos in den USA – nicht immer die 9 Brand, Ulrich und Wissen, Markus (2017): Imperiale große Liebe. https://www.tagesschau.de/ausland/usa-autos-101.html Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im 7 UBA (2014): Treibhausgasneutrales Deutschland im Jahr globalen Kapitalismus, oekom verlag. 2050. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/ 10 Stephan Lessenich (2016): Neben uns die Sintflut. Die medien/378/publikationen/07_2014_climate_change_dt.pdf E xternalisierungsgesellschaft und ihr Preis, Hanser Berlin.
2. Autoland Deutschland - Zahlen und Fakten Seit Ende des zweiten Weltkriegs ist die Zahl der motorisierten Individualverkehr 14. Wirklich ver- Autos in Deutschland explodiert: Während im wunderlich ist das nicht. Während die Schweiz Jahr 1960 knapp fünf Millionen Autos in Deutsch- im Jahr 2016 378 Euro pro Kopf in die Schienenin- land zugelassen waren, sind es heute über 46 frastruktur investierte, waren es in Deutschland Millionen11. Und es werden jedes Jahr mehr. 77 gerade einmal 64 Euro15. Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen heute mindestens einen Pkw, in fast 30 Prozent Doch nicht nur die Zahl der mit den Autos ge- sind sogar zwei oder mehr Autos vorhanden12. fahrenen Kilometer wächst stetig, sondern auch Konkret bedeutet das: auf 1.000 Einwohner*in- ihre Größe, Gewicht und Motorleistung. Wäh- nen kommen 554 Pkw. rend beispielsweise der VW Käfer im Jahr 1948 rund 600 Kilogramm auf die Waage brachte, Mit diesen Autos werden immer weitere Stre- wiegt ein VW Golf heute weit über 1.000 Kilo- cken zurückgelegt: Zwischen 1976 und 2014 hat gramm. Viele SUVs bringen gar mehr als zwei sich die Zahl der zurückgelegten Kilometer pro Tonnen auf die Waage. Analog zum Gewicht Person in Deutschland verdoppelt. Die Nutzung der Autos steigen der Verbrauch von Rohstof- des Umweltverbunds aus Fußgänger-, Rad-, fen und Energie sowie der Schadstof fausstoß. Schienen- und öf fentlichem Straßenpersonen- Gut jedes zehnte in Deutschland zugelassene verkehr ist dabei von 24 Prozent auf 20 Prozent Auto ist inzwischen ein SUV oder Geländewa- zurückgegangen13. Stattdessen entfallen zwei gen16. Von diesem Trend ist kein Ende in Sicht: Drittel der gefahrenen Kilometer auf den Im Jahr 2017 wurden erstmals mehr SUV und Motorisierter Personenverkehrsaufwand nach Verkehrsträgern 1.400 Milliarden Personenkilometer 11 1.208 1.200 1.000 875 800 600 400 200 0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016* Motorisierter Individualverkehr** Öffentlicher Straßenpersonenverkehr Eisenbahn Luftverkehr*** * zum Teil vorläufige Werte Quelle: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.), Verkehr ** Motor. Individualverkehr: ab 1994 veränderte Methodik, die zu einem höheren Verkehrsaufwand führt in Zahlen 2017/2018 *** Luftverkehr: ab 2010 geänderte Erfassungsmethode Motorisierter Personenverkehrsaufwand nach Verkehrsträgern Quelle: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/fahrleistungen-verkehrsaufwand-modal-split#textpart-3 14 UBA (2018): Fahrleistungen, Verkehrsaufwand und “Modal 11 KBA (2018): Bestand in den Jahren 1960 bis 2018 nach Fahr- Split”. https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/fahrleis- zeugklassen. https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/ tungen-verkehrsaufwand-modal-split#textpart-3 FahrzeugklassenAufbauarten/b_fzkl_zeitreihe.html 15 Allianz pro Schiene (2017): EU-Ranking: Deutschland 12 UBA (2018): Mobilität privater Haushalte. https://www. knausert beim Schienennetz. https://www.allianz-pro-schiene. umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/mobilita- de/presse/pressemitteilungen/eu-ranking-deutschland-knau- et-privater-haushalte#textpart-2 sert-beim-schienennetz/ 13 UBA (2018): Indikator: Umweltfreundlicher Personenver- 16 KBA (2018): Fahrzeugzulassungen. https://www.kba.de/ kehr. https://www.umweltbundesamt.de/indikator-umweltfreund- SharedDocs/Publikationen/DE/Statistik/Fahrzeuge/FZ/2018/ licher-personenverkehr#textpart-3 fz12_2018_xls.xls?__blob=publicationFile&v=2
dem Fiskus durch den vergünstigten Steuersatz für Dieseltreibstof f. Der Bundesrechnungshof kritisierte das im Jahr 2017 in einem Bericht und forderte die Abschaffung der Subvention. Doch ein Ende ist nicht in Sicht. Gleichzeitig verursacht der Autoverkehr hohe Kosten: Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass sich die durch den Straßenverkehr verur- sachten Umweltkosten im Jahr 2014 auf über 50 Milliarden Euro beliefen19. Im Preis für das Auto- fahren spiegeln sich diese Kosten jedoch nicht wider. Zwar sind alternative Verkehrsmittel in vielen Fällen günstiger als die Fahrt mit dem ei- genen Pkw20, doch insgesamt betrachtet sind die Preise für ÖPNV und Fernfahrten mit der Bahn in den vergangenen Jahren deutlich stärker an- gestiegen, als jene für die Nutzung des Autos21. Und während Mieten in begehrten Innenstadt- Sindelfingen, Mercedes Autowerk, May 1956 Foto: Rolf Unterberg lagen immer weiter in die Höhe schießen und bezahlbaren Wohnraum für viele Menschen un- Bundesarchiv, B 145 Bild-F003562-0006, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5448592, CC BY-SA 3.0 de erschwinglich machen, wird Parkraum selbst in Geländewagen neu zugelassen als Kleinwagen. dicht besiedelten Innenstädten oft kostenlos zur Der Anteil an den Neuzulassungen lag bei 22,5 Verfügung gestellt. Prozent 17. 2.1 Politische Unterstützung für Von politischer Seite wird der Kauf von großen Automobilität 12 Modellen durch das Dienstwagenprivileg unter- stützt. Es führt dazu, dass die Wahl in vielen Dafür, dass das so bleibt, sorgt nicht zuletzt die Fällen auf große, schwere und damit rohstof f- Lobbymacht der deutschen Autoindustrie. Wie intensive und verbrauchsstarke Modelle fällt. eng Autoindustrie und Politik in Deutschland Denn wer mehr bezahlt, kann steuerlich mehr verflochten sind, hat zuletzt der Dieselskandal absetzen. Unternehmen haben mit der Wahl ih- auf erschreckende Weise vor Augen geführt. Re- rer Dienstwagenmodelle einen entscheidenden cherchen von Lobbycontrol zeigen, dass es zwi- Einfluss auf die Pkw-Flotte auf deutschen Stra- schen dem Bekanntwerden des Dieselskandals ßen: Mehr als 50 Prozent aller Neuwagen werden im September 2015 und Mai 2017 163 Tref fen in Deutschland als Firmenwagen zugelassen, von zwischen Bundesregierung und Vertreter*innen denen viele nach wenigen Jahren auf dem Ge- deutscher Autokonzerne zum Thema Mobilität brauchtwagenmarkt landen18. gab. Mit Umweltverbänden waren es hingegen nur 21 Tref fen, Verbraucherschützer*innen hat- Zahlreiche steuerliche Anreize sind so gestaltet, ten 28 Mal die Gelegenheit ihren Standpunkt zu dass sie das Autofahren statt der Alternativen vertreten22. fördern. Dazu zählt auch die Pendlerpauscha- le. Zwar gilt diese für alle Verkehrsmittel, doch Der Dieselskandal hat gezeigt, wie eifrig die in der Mehrheit der Fälle fällt die Wahl auf das Bundesregierung ihre schützende Hand über die Auto. Das setzt ökologisch falsche Anreize, da deutschen Autobauer hält. Im Oktober 2018 rang es zur Zersiedelung beiträgt, den Staat viel Geld sich die Bundesregierung endlich dazu durch, kostet und zudem sozial ungerecht ist. Denn wer Hardware-Nachrüstungen für Diesel mit der Ab- aufgrund seines niedrigen Einkommens keine gasnorm 5 oder schlechter zu fordern – drei Jahre oder nur wenig Steuern zahlt, kann die Pauscha- nach Beginn des Dieselskandals. In 14 Städten le nicht steuerlich geltend machen. Ein weiteres prominentes Beispiel sind die Dieselsubventio- 19 UBA (2017): Indikator: Umweltkosten von Energie und Straßenverkehr. https://www.umweltbundesamt.de/indikator- nen: Mehrere Milliarden Euro jährlich entgehen umweltkosten-von-energie-strassenverkehr#textpart-4 20 Verkehrsclub Deutschland (2018): Intelligent mobil. 17 KBA (2018): Jahresbilanz der Neuzulassungen 2017. https://www.vcd.org/themen/klimafreundliche-mobilitaet/verkehrs- https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Neuzulassungen/n_ mittel-im-vergleich/ jahresbilanz.html 21 Canzler, Weert und Andreas Knie (2018): Taumelnde 18 Finanzwirtschaftilches Forschungsinstitut an der Universi- Giganten: Gelingt der Autoindustrie die Neuerfindung?, oekom. tät zu Köln (2011): Steuerliche Behandlung von Firmenwagen in 22 LobbyControl (2017): Bundesregierung bevorzugt die Deutschland. http://kups.ub.uni-koeln.de/5530/1/FiFo%2DBErich- Autoindustrie. https://www.lobbycontrol.de/2017/09/lobby te_Nr_13_2011%2DFirmenwagenII.pdf kontakte-bundesregierung-bevorzugt-die-autoindustrie/
mit besonders schlechter Luft sollen die Autoher- Pläne für ein klares Enddatum für Neuzulas- steller die Kosten für diese Nachrüstungen über- sungen von Fahrzeugen mit fossilen Verbren- nehmen – ein Versuch, weitere Fahrverbote zu nungsmotoren, wie andere Länder sie eingeführt verhindern. Zur finanziellen Übernahme der Kos- haben, sucht man im Koalitionsvertrag oder im ten dieser Nachrüstungen will die Bundesregie- Klimaschutzplan 2050 vergeblich. Im Koalitions- rung die Autohersteller jedoch nicht verpflichten. vertrag haben sich CDU, CSU und SPD statt- Das von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dessen das Ziel gesetzt, Verbrennungsmotoren und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) vor- „effizienter“ und „sauber“ zu machen. Zusätzlich gestellte Konzept sieht zudem eine so genannte will die Bundesregierung bis 2020 300 Millionen Umtauschprämie vor, mit der Besitzer*innen Euro in den Aufbau von öffentlich zugänglichen ihre älteren Dieselfahrzeuge abgeben sollen und Ladestationen für Elektrofahrzeuge investie- beim Kauf eines neueren Autos mit vier- bis fünf- ren28 und den Kauf von Elektrofahrzeugen för- tausend Euro bezuschusst werden. Der Bund für dern. Darüber hinaus sah der Koalitionsvertrag Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) die Einrichtung der inzwischen einberufenen bezeichnete diese Maßnahme als „Konjunktur- Nationalen Plattform „Zukunf t der Mobilität“ programm für Autobauer“ 23. Für den Bau der (NPM) vor, die die seit 2010 bestehende Natio- neuen Autos werden wieder zahlreiche Rohstof- nale Plattform Elektromobilität ablöst. Es bleibt fe verbraucht, während die alten Gebrauchtwa- abzuwarten, ob die NPM ambitionierte Vor- gen in anderen Ländern weiterhin Schadstoffe in schläge für eine sozial und ökologisch gerechte die Luft blasen24. Verkehrspolitik entwickelt. 2.2 Potential alternativer Antriebs Klar ist, dass der Fokus der gegenwärtigen Politik technologien bleibt ungenutzt auf dem Auto liegt. So sieht der Bundesverkehrs- wegeplan 2030 insgesamt 132,8 Milliarden Euro Deutschland hinkt im internationalen Vergleich für den Ausbau der Straßeninfrastruktur vor; bei deutlich hinterher, wenn es um das Ende des Ver- 50 Prozent aller Neubauvorhaben handelt es sich brennungsmotors und den Ausbau der Elektro- um Fernstraßen29. Nicht umsonst kritisieren Um- mobilität geht. Am 1. Januar 2018 waren gerade weltverbände den Bundesverkehrswegeplan als 13 einmal 53.861 Elektroautos, gut 200.000 Hyb- gigantisches Straßenbauprogramm und fordern rid-Pkw und 44.419 Plug-In-Hybride in Deutsch- eine grundlegende Überarbeitung hin zu einem land zugelassen25. Das bereits im Jahr 2016 Verkehrswendekonzept, das den Anforderungen selbstgesteckte Ziel der Bundesregierung, bis des Pariser Klimaschutzabkommens gerecht wird. zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen, liegt damit in weiter Ferne. Ein Sogar im Ausland trägt die Bundesregierung im Grund dafür ist die Ladeinfrastruktur: Während Gleichklang mit der deutschen Autoindustrie in Norwegen und den Niederlanden bereits 185 Ladestationen auf 100.000 Einwohner kommen, sind es in Deutschland gerade einmal 25 26. Die „Nationale Plattform Elektromobilität“ geht da- von aus, dass im Jahr 2020 70.000 öf fentliche Ladepunkte und 7.100 Schnellladesäulen not- wendig wären. Demgegenüber standen im Sep- tember 2017 10.700 öffentliche Ladepunkte und 530 Schnelladesäulen 27. 23 NDR (2018): Diesel: Nachrüstung, Umtauschprämie – was jetzt? https://www.ndr.de/nachrichten/Diesel-Nachruestung- Umtauschpraemie-was-jetzt,diesel280.html 24 Deutsche Welle (2018): Dreckige Diesel für Osteuropa, alte Autos nach Afrika. https://www.dw.com/de/dreckige-diesel- f%C3%BCr-osteuropa-alte-autos-nach-afrika/a-44805459 Kanzlerin Angela Merkel bei dem Electromobility Summit Berlin, 2013 25 KBA (2018): Jahresbilanz des Fahrzeugbestandes am 1. Ja- nuar 2018. https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/b_ Foto: RudolfSimon https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Electromobility_Summit_Berlin_2013_-_Angela_Merkel.JPG , CC BY-SA 3.0 jahresbilanz.html 26 Handelsblatt (2018): Deutschland ist bei Ladestationen für Elektroautos ein Entwicklungsland. https://www.handelsblatt. 28 BMVI (2018): Die Zukunft fährt elektrisch. com/unternehmen/energie/elektromobilitaet-deutschland-ist-bei-lade http://www.bmvi.de/DE/Themen/Mobilitaet/Elektromobilitaet/ stationen-fuer-elektroautos-ein-entwicklungsland/22682288.html Elektromobilitaet-kompakt/elektromobilitaet-kompakt.html 27 Nationale Plattform Elektromobilität (2018): Ladeinfra- 29 Klimaretter (2016): „Autobahnen sind Rückgrat der struktur. http://nationale-plattform-elektromobilitaet.de/themen/ Mobilität“. http://www.klimaretter.info/mobilitaet/hinter- ladeinfrastruktur/#tabs grund/21686-autobahnen-sind-rueckgrat-der-mobilitaet
Expansive Politik: Der Bundesverkehrswegeplan schaff t den nötigen Platz für immer mehr Autos. Foto: A6 https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2316469, CC BY-SA 3.0 maßgeblich dazu bei, die Verkehrswende aus- Auslandsproduktion um 41 Prozent gewachsen zubremsen oder zumindest zu verlangsamen. und rangiert bereits auf Platz zwei der wichtigs- 14 2017 verhinderte sie gemeinsam mit der deut- ten Modelle31. Dazu passen die Berichte über die schen Automobilindustrie die Einführung einer Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) 2017: Quote für Elektroautos auf EU-Ebene. In China „Die IAA 2017 könnte schon fast eine SUV-Messe sein. lobbyierte die deutsche Bundesregierung auf Be- Neue Hochbeiner stehen bei den meisten Herstellern treiben der deutschen Hersteller ebenfalls gegen im Mittelpunkt“ 32, schreibt „Die Welt“. Auch in der eine Quote für die Produktion von Elektroautos, Wochenzeitung „Die Zeit“ heißt es: „Das Gesagte wenn auch weniger erfolgreich. Verhindert wer- passt nicht zum Gezeigten. Volkswagen ist dafür das den konnte die chinesische Quote nicht, aber sie beste Beispiel. Das Gesagte dreht sich bei VW fast gilt nun erst ein Jahr später als geplant. Ab 2019 ausschließlich um die 80 angekündigten Hybrid- oder muss mindestens jedes zehnte Auto eines jeden E-Modelle, die bis 2025 entwickelt werden sollen. Das Herstellers, das im Land produziert oder ver- Gezeigte jedoch – die Autos also, die den Besuchern kauf t wird, einen elektrischen Antrieb haben30. auf der IAA tatsächlich präsentiert werden – sind Um diese Quote überhaupt erfüllen zu können, überwiegend große, luxuriöse Limousinen oder SUVs, suchen die deutschen Hersteller die Kooperation die natürlich mit Diesel oder Benzin fahren“ 33. Ange- mit chinesischen Unternehmen, die Elektroautos sichts der Tatsache, dass jedes fünfte Auto welt- und Akkus bauen. Denn in den deutschen Pro- weit das Logo eines deutschen Konzerns trägt, duktpaletten dominieren weiterhin vor allem die ist dies aus ökologischer Sicht fatal. Durch ihre fossilen Antriebe. Marktmacht hätte die deutsche Autoindustrie auch global gesehen die Möglichkeit, Standards 2.3 Große Autos, große Gewinne: die bei Umwelt- und Klimaschutz zu setzen. deutsche Automobilindustrie Stattdessen manövrieren sich die deutschen Die deutsche Autoindustrie macht gerade mit Autokonzerne mit ihrem Festhalten an Diesel schweren, großen und PS-starken Premium und Verbrennungsmotor zunehmend in eine autos gute Geschäfte. Denn je teurer das Auto, Sackgasse. Denn in vielen Staaten ist das Ende umso größer ist in der Regel auch die Gewinn- des Verbrennungsmotors längst beschlossene marge. Premiumautos machen rund 90 Prozent der Exporte nach Asien und Nordamerika aus. 31 VDA (2018): Produktion. https://www.vda.de/de/themen/ automobilindustrie-und-maerkte/produktion/entwicklun- Der Anteil von Geländewagen und SUVs ist in der gen-in-der-produktion.html 32 Welt (2017): IAA 2017. https://www.welt.de/motor/news/ 30 SPIEGEL (2017): Berlin will deutsche Autoindustrie article168564392/IAA-2017.html schützen. http://www.spiegel.de/auto/aktuell/autoindustrie-berlin- 33 Zeit (2017): Die E-Autokanzlerin. https://www.zeit.de/mobi bremst-co2-plan-der-eu-kommission-a-1176859.html litaet/2017-09/iaa-automesse-angela-merkel-volkswagen/seite-2
Sache: Neben der bereits erwähnten Quote für Batterien weiter in Kamenz zusammengebaut – E-Autos in China haben andere Staaten, darunter doch die Batteriezellen importieren alle deut- Norwegen, die Niederlande, Indien, Großbri- schen Autobauer aus Asien40. Unter den sechs tannien und Frankreich, bereits ein Enddatum größten Herstellern für Batteriezellen sind vier für die Neuzulassungen von Autos mit Verbren- chinesische Unternehmen, darunter der weltwei- nungsmotor verkündet. Der Grünen-Politiker te Spitzenreiter CATL, der japanische Hersteller Jürgen Trittin bringt es auf den Punkt: „Wenn die Panasonic und das südkoreanische Unterneh- Welt auf E-Mobilität umsteigt, wird Deutschland den men LG41. Diesel nicht retten – sondern nur keine Autos mehr bauen“ 34. Das könnte in naher Zukunf t für die Beschäf- tigten in der deutschen Autoindustrie zum Pro- In ganz Europa gibt es derzeit nur 30 Modelle blem werden. 820.000 Menschen waren nach zu kaufen, die elektrisch fahren. Für viele davon Angaben des VDA 2017 im Jahresmittel „in den fallen lange Wartezeiten an. Im starken Kontrast Betrieben der Hersteller von Kraf tfahrzeugen und dazu steht die Tatsache, dass derzeit 370 Mo- Kraf tfahrzeugteilen beschäf tigt“ 42. Ähnlich wie in delle mit konventionellem Antrieb zum Verkauf der Kohleindustrie gilt: Je später der Struktur- stehen35. Als die Post, die in den kommenden wandel eingeleitet wird, desto gravierender sind Jahren ihre Fahrzeugflotte auf Elektro-Lkw um- die Folgen für die Beschäftigten. Selbst wenn die rüsten will, feststellte, dass keiner der angefrag- deutsche Bundesregierung und Autoindustrie ten Lkw-Hersteller liefern konnte, entschied das versuchen, das Ende des Verbrennungsmotors Unternehmen kurzerhand, die Fahrzeuge selbst hinauszuzögern, werden sie es nicht aufhalten zu produzieren. Auch Google hat bereits ein eige- können. Denn anders als in der Energiewirt- nes elektrisch und autonom fahrendes Auto auf schaf t macht die deutsche Autoindustrie den die Straße gebracht36. Beim Absatz von Elektro- Großteil ihrer Gewinne im Ausland und steht autos und Plug-In-Hybriden hatte im Jahr 2017 im globalen Wettbewerb. Es wäre deshalb auch ein chinesisches Unternehmen die Nase vorn. im Sinne der Beschäftigten in der Autoindustrie, BYD konnte sich vor Tesla und BMW beim welt- wenn die Abkehr vom Verbrennungsmotor bald weiten Absatz von Fahrzeugen behaupten. Eben- eingeleitet würde. 15 falls unter den Top Ten, aber mit deutlich weniger verkauften Autos waren die japanischen Herstel- ler Nissan und Toyota sowie Volkswagen37. Dass dies möglich ist, liegt auch an den veränderten technischen Herausforderungen. Denn die Her- stellung von batterieelektrischen Antrieben ist vergleichsweise einfach38. Zugleich steckt ca. ein Viertel der Wertschöp- fung eines Elektroautos in den Zellen, aus denen der Akku gefertigt wird. Gemeinsam mit Evonik hatte Daimler von 2012 bis 2014 versucht, eine Batteriezellproduktion im sächsischen Kamenz aufzubauen. Doch die Zellen waren aufgrund des Preises nicht konkurrenzfähig mit den Pro- dukten asiatischer Hersteller39. Zwar werden die 34 Rosa-Luxemburg-Stiftung (2018): Das Auto im digitalen Kapitalismus 35 Transport & Environment (2018): Carmakers continue to miss their EV sales targets due to poor marketing, choice and availability – report. https://www.transportenvironment.org/press/ Auf der IAA 2017 wurden SUVs besonders gerne präsentiert carmakers-continue-miss-their-ev-sales-targets-due-poor-marke- Foto: Matti Blume ting-choice-and-availability-%E2%80%93 https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62577522, CC BY-SA 4.0 36 Rosa-Luxemburg-Stiftung (2018): Das Auto im digitalen Kapitalismus 37 Statista (2018): Größten Hersteller von Elektroautos nach der Anzahl der ausgelieferter Fahrzeuge weltweit im Jahr 2018. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/561568/umfrage/ 40 FAZ (2017): Daimler baut zweite Batteriefabrik in Sachsen. die-groessten-hersteller-von-elektroautos-nach-absatz/ http://www.faz.net/aktuell/wirtschaf t/unternehmen/daim- 38 Rosa-Luxemburg-Stiftung (2018): Das Auto im digitalen ler-baut-zweite-batteriefabrik-in-kamenz-in-sachsen-15027634.html Kapitalismus 41 Manager Magazin (2018): Diese sechs Hersteller teilen sich 39 Manager Magazin (2015): Hier verscherbelt Daimler eine den Weltmarkt. http://www.manager-magazin.de/fotostrecke/ deutsche Industrie-Hoffnung. http://www.manager-magazin.de/ catl-vor-panasonic-als-batteriehersteller-fotostrecke-161557-6.html unternehmen/autoindustrie/daimler-verscherbelt-li-tec-das-ende-ei- 42 VDA (2018): Zahlen und Daten. https://www.vda.de/de/ ner-deutschen-industrie-hoffnung-a-1053709.html services/zahlen-und-daten/zahlen-und-daten-uebersicht.html
Industrie am Steuer: Die Bundesregierung und der Abgasskandal Ein Gastbeitrag von Lobbycontrol Auswertung einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken Quelle: LobbyControl e. V. https://www.lobbycontrol.de/2017/09/lobbykontakte-bundesregierung-bevorzugt-die-autoindustrie/ Die deutsche Autolobby ist eine der mächtigs- Fall Koschnicke reiht sich in eine ganze Reihe von ten und einflussreichsten Lobbybranchen der Seitenwechslern ein, von denen viele einen engen 16 Republik und der gesamten EU. In Deutschland ist Draht zu Merkel haben. es praktisch Staatsräson, die deutsche Automobil- branche zu schützen – auch wenn dies zulasten der Nicht nur bei Seitenwechseln, auch bei den Partei- Umwelt oder des Verbraucherschutzes geht. Ob spenden ist die Autobranche Spitzenreiter. So Interventionen der Bundesregierung in Brüssel bei erhielten Union, SPD, FDP und Grüne im Zeitraum Abgasgrenzwerten oder die enge Zusammenarbeit von 2009 bis 2015 rund 13,6 Millionen Spenden aus zwischen Politik und Autoindustrie bei der Einfüh- der Autoindustrie. Allein im Wahljahr 2013 beka- rung des Effizienzlabels für Neuwagen: Der Einsatz men die Parteien über eine Million aus dem Umfeld von Kanzlerin Merkel und ihrer Verkehrsminister der Autolobby. zugunsten der deutschen Autolobby ist eine poli- tische Konstante. Die personellen Verflechtungen Lobbyskandal Dieselgate zwischen deutscher Politik und Autolobby könnten Der Dieselgate-Skandal zeigt, welche Auswirkun- kaum enger sein. gen die engen Verflechtungen zwischen Politik und Autolobby haben können. Die Bundesregierung sah Sinnbild dafür ist Matthias Wissmann: Der ehe- der steigenden Luftverschmutzung in den Städten malige Chef des Verbandes der Automobilindustrie lange Zeit tatenlos zu, obwohl weithin bekannt war, (VDA) war in den 1990er Jahren Kabinettskollege dass die Messwerte im Straßenbetrieb von denen der damaligen Umweltministerin Angela Merkel auf dem Prüfstand abwichen. Auch wurde immer und gilt noch heute als ihr enger Vertrauter. Allein wieder thematisiert, dass die Luftbelastung trotz zwischen März 2014 und September 2015, also un- sinkender Abgasgrenzwerte stieg. Spätestens mit mittelbar vor Bekanntwerden der Manipulationen dem Vertragsverletzungsverfahren der Europäi- bei VW, trafen sich Spitzenvertreter*innen aus der schen Kommission gegen Deutschland – es ging Bundesregierung neun Mal persönlich mit Wiss- um die erhöhte Luftverschmutzung in den Städten mann und sechs Mal mit dem damaligen VW-Chef durch Dieselabgase – hätte die Bundesregierung Martin Winterkorn. handeln müssen. Stattdessen ließ das Verkehrs- ministerium kritische Nachfrager wie die Deutsche 2017 berief Merkel mit Joachim Koschnicke einen Umwelthilfe abblitzen. Außerdem bremsten Ver- Autolobbyisten zu ihrem Wahlkampfmanager. In kehrsministerium und das Kraftfahrt-Bundesamt seiner vorherigen Funktion als Opel-Cheflobbyist das Umweltministerium und das Umweltbundes- hatte Koschnicke noch wenige Monate zuvor eine amt aus, die den Abschalteinrichtungen schon im zweifelhafte Rolle in der Dieselgate-Affäre gespielt. Jahr 2011 auf der Spur waren. Sein Einfluss führte unter anderem dazu, dass das Kraftfahrtbundesamt ein Opel-Modell trotz Bei der Aufklärung des Dieselgate-Skandals hat betrügerischer Abschalteinrichtung zuließ. Der sich vor allem der ehemalige Verkehrsminister
Alexander Dobrindt (CSU) als Schutzpatron der technischen Prüfdienste wie TÜV oder Dekra an- deutschen Autoindustrie erwiesen. Nach Bekannt- gewiesen sei und selbst keine Tests durchführe. Die werden der Affäre zog er die Kontrolle schnell an Prüfdienste wiederum finanzieren sich durch die sich und richtete eine eigene Untersuchungskom- Autohersteller, die sie testen sollen – eine fragwür- mission ein. Mit vier Vertretern aus dem Verkehrs- dige Art der Finanzierung, die die Unabhängigkeit ministerium – drei aus dem Kraftfahrt-Bundesamt der Prüfinstitute infrage stellt. und einem Professor, der früher für die Autoindus- trie gearbeitet hat – fehlte dieser allerdings ganz Fazit: Enges Verhältnis zwischen Politik und offensichtlich die notwendige Unabhängigkeit Autolobby überprüfen gegenüber Bundesregierung und Autoindustrie. Dieselgate legt offen, wie schädlich die Kumpa- Im Zuge der Untersuchung hatten die vom nei zwischen Bundesregierung, Behörden und damaligen Verkehrsminister Dobrindt beauftrag- Autoindustrie ist – für die Verbraucher*innen, den ten Prüfer schnell festgestellt, dass nicht nur bei Gesundheitsschutz, die Umwelt und nicht zuletzt VW, sondern auch bei vielen anderen Herstellern für die Autoindustrie und ihre vielen Beschäftigten. Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung Die Bundesregierung muss ihr enges Verhältnis zur eingebaut waren. Allerdings mit einem Unter- deutschen Autolobby überprüfen. Verkehrspoliti- schied: Während bei VW nachgewiesen werden sche Entscheidungen dürfen nicht allein zugunsten konnte, dass die Abschalteinrichtung den Prüf- einiger finanzstarker Konzerne und aufgrund ihres stand erkannte, reagierten sie bei den anderen auf Drohpotenzials getroffen werden, sondern müssen sogenannte „Thermofenster“. Das bedeutet, dass auch Verbraucher-, Gesundheits- und Umwelt- die Abgasreinigung nur innerhalb einer Tempera- schutz in den Mittelpunkt stellen. Schärfere Regeln turspanne funktioniert – etwa zwischen 17 und 33 zu Seitenwechseln und zur Parteienfinanzierung Grad – und außerhalb dieses Temperaturfensters können einen Beitrag leisten, um den Einfluss der ausgeschaltet wird. Die offizielle Begründung Autolobby zumindest zu dämpfen. Passiert das dafür: Auf diese Weise würde der Motor geschont. nicht, sind weitere Skandale vorprogrammiert. Eine Trickserei, die viele Sachverständige als solche benannten und die viele Jurist*innen für illegal hielten. 17 Bei diesem Text handelt es sich um eine leicht überarbei- Kritische Passagen zu diesem Thema tilgten KBA tete und gekürzte Fassung des Kapitels „Industrie am und Verkehrsministerium aus dem Untersuchungs- Steuer: Die Autolobby und der Abgasskandal“ aus dem bericht. Stattdessen erklärten der Minister und Lobbyreport 2017, zu finden auf lobbycontrol.de. seine Beamt*innen den Thermofenster-Trick öffentlich als zulässig und ordneten lediglich eine freiwillige Rückrufaktion an. Ihre Erklärung: Die EU habe es versäumt, Ausnahmen beim Motoren- schutz richtig zu definieren. Beim Verbraucher- schutz stellte sich der Minister ebenfalls auf die Seite der Autoindustrie: Den Vorschlag einer Musterklage gegen VW, mit deren Hilfe Verbrau- cher*innen gemeinsam Schadenersatz für mangel- hafte Produkte hätten fordern können, strich er mit den Worten „Lehnen wir ab!!! Komplett streichen!“ aus dem Gesetzentwurf des Justizministeriums. Auch die Rolle des Kraftfahrt-Bundesamts fügt sich in das Regulierungsversagen der Bundesregierung ein. Das KBA ist die oberste Behörde, die für die Kontrolle der Abgasgrenzwerte bei der Typenzulas- sung von Autos zuständig ist. Bei der Erarbeitung des Untersuchungsberichts zur Dieselgate-Affäre stellte sich das KBA auf die Seite der Autobauer: Als der damalige Opel-Lobbyist Koschnicke sich über die Bewertung seiner Modelle beschwerte, gab ihm KBA-Chef Ekhard Zinke kurzerhand recht und ordnete die Streichung der entsprechenden Abschnitte an. Um keinen Zweifel an seiner Ein- stellung zu lassen, unterzeichnete er die E-Mail an seine Beamt*innen mit „industriefreundlichem Gruß“. Kritik an der eigenen Regulierungspraxis weist das KBA damit zurück, dass es auf die Arbeit der
Sie können auch lesen