DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND - Handlungsempfehlungen für die Sprachförderung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland 07/ 2020 - Bibliothek ...

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DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND - Handlungsempfehlungen für die Sprachförderung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland 07/ 2020 - Bibliothek ...
07/ 2020
Jana Scheible, Hanne Schneider

DEUTSCH LERNEN
AUF DEM LAND

                                 D I S K U R S
Handlungsempfehlungen
für die Sprachförderung von
Migrantinnen und Migranten
in Deutschland
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND - Handlungsempfehlungen für die Sprachförderung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland 07/ 2020 - Bibliothek ...
WISO DISKURS
07/ 2020

Die Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die
traditionsreichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis
ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die
Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und
Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerk­‑
schaften verbunden.

Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch:
– politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft;
– Politikberatung;
– internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern;
– Begabtenförderung;
–	das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und
   Bibliothek.

Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der
Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion
an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um
Antworten auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und
Sozialpolitik zu geben. Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und
entwickeln Konzepte, die in einem von uns organisierten Dialog zwischen
Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit vermittelt werden.

WISO Diskurs
WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und
politische Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische
Handlungsempfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich
basierten Politikberatung leisten.

Über die Autorinnen
Jana Scheible, Soziologin und Sozialforscherin (M.Sc.), ist freie Wissenschaftlerin
und Programmkoordinatorin im Bereich Dialog und Forschung des Instituts für
Auslandsbeziehungen in Stuttgart und war bis 2018 wissenschaftliche Mitarbeite‑
rin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
Hanne Schneider, Migrationswissenschaftlerin (M.A.), ist seit 2018 wissen‑
schaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Humangeographie mit dem
Schwerpunkt Europäische Migrationsforschung an der Technischen Universität
Chemnitz.

Die Studie gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der
Autorinnen wieder.

Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich
Susan Javad, Leiterin des Arbeitskreises Migration und Integration, Abteilung
Wirtschafts- und Sozialpolitik, Friedrich-Ebert-Stiftung.
07/ 2020                                                                             WISO DISKURS

Jana Scheible, Hanne Schneider

DEUTSCH LERNEN
AUF DEM LAND
Handlungsempfehlungen
für die Sprachförderung von
Migrantinnen und Migranten
in Deutschland

 4          VORWORT

 6          ZUSAMMENFASSUNG

 8   1      EINLEITUNG

10    2     STUDIENDESIGN

12    3     RAHMENBEDINGUNGEN
12    3.1   Ländliche Regionen als Räume der Integration

13    3.2   Gesamtprogramm Sprache der Bundesregierung
13          Integrationskurse
14          Berufsbezogene Deutschsprachförderung
14          Qualitätsdebatten und Evaluationen der bundesgeförderten Deutschkurse

14    3.3   Landesgeförderte Sprachprogramme
16          Landessprachförderung in Baden-Württemberg
16          Landessprachförderung in Sachsen

17    3.4   Rolle der Kommunen vor Ort im Kontext von bundes- und landesgeförderten Sprachkursen

20    4     ZENTRALE HANDLUNGSFELDER UND GELINGENSBEDINGUNGEN
20    4.1   Kursangebot und Förderregularien
20          Eingeschränktes Kursangebot
20          Geringe Kurs- und Trägervielfalt
21          Geringere Flexibilität von Kursträgern
21          Abwandern von Teilnehmenden erschwert Planbarkeit
21          Kursabbrüche
21          Neufestlegung der Mindestvergütung je Modul
22          Administrativer Aufwand – Fahrtkostenregelung
22          Herausforderung Lehrkräftebedarf in ländlichen Räumen
22          Landessprachprogramme bieten Vorteile und Risiken
23          Wunsch nach Flexibilisierung – kleinere Gruppen ermöglichen
24          Mindestvergütung an tatsächliche Bedarfe anpassen
24          Teilnehmendenorientierung durch flexiblere Kursgestaltung und Stundenkontingente

            >
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG   –W   irtschafts- und Sozialpolitik                                                 2

                >

24              Lösung für Neufestlegung von Mindestvergütung finden
25              Niederschwellige Sprachkurse – Erstorientierungskurse „Leben in Deutschland“ weiterdenken
25              Bedingungen für Dozierende in ländlichen Räumen verbessern
25              Potenziale digitaler Formate stärker nutzen
26              Innovative und informelle Sprachförderkonzepte für ländliche Räume

26       4.2    Zielgruppen und besondere Bedarfe
27              Frauen mit Kinderbetreuungsbedarfen: Mangel an Kinderbetreuung in Kursortnähe
27              Kommunale Kinderbetreuung ausbauen – Öffnungszeiten erweitern
27              Kursbegleitende Kinderbetreuung stärker kommunal einbetten
28              Berufstätige und Auszubildende: Berufsbegleitende Teilzeitkurse ermöglichen
28              Angebote für Schichtarbeitende schaffen
29              Digitales Lernen am Abend statt Busfahrt – auch für Berufstätige
29              Kurse für Jugendliche und Auszubildende

29       4.3    Koordinierung von Sprachkursangeboten
29              Doppelstrukturen innerhalb des Bundesprogramms abbauen
30              Mehrwert durch Zusammenwirken von Landes- und Bundesprogrammen
30              Sprachangebot ist für alle Zugewanderten sinnvoll
31              Wenig Teilnehmende, weite Wege: Koordinierung unerlässlich
31              Kommunale Koordination als Vermittler und Netzwerker stärken
32              Teilnehmendenakquise: Zwischen Kooperation unter Kursträgern und Zusteuerung durch das BAMF
33              Kommunale Expertise stärker in Weiterentwicklung einbeziehen

34       4.4    Mobilität und Infrastruktur als Querschnittsherausforderung
34              Neue Bedarfe im ÖPNV – Erreichbarkeit zu Kurszeiten nicht immer möglich
34              Lange Fahrtzeiten und wenig Ausweichmöglichkeiten
35              ÖPNV-Erreichbarkeit oft nur zu Schulzeiten
35              Erreichbarkeitshürden auch für Beratungsangebote
35              Hürden durch Fahrtkosten
35              Der Härtefall als Regelfall: Einzelanträge für Fahrtkosten abbauen
36              Mit lokaler Expertise und Digitalisierung der Mobilitätsproblematik begegnen

37       5      FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN

40       Anhang
41       Abkürzungsverzeichnis
41       Literaturverzeichnis
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND   3
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG      – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                    4

VORWORT

Ohne ausreichend gute Deutschkenntnisse sind die Mög‑                  Insgesamt, das sei an dieser Stelle klar gesagt, ist unter
lichkeiten in unserer Gesellschaft begrenzt. Und was                   schwierigen Bedingungen viel Positives erreicht worden
ausreichend gut bedeutet, ist dabei in hohem Maße vom                  und viele der Kursteilnehmenden sind am Ende tatsächlich
jeweiligen Bezugsrahmen abhängig. So gibt es die Um‑                   mit den Deutschkenntnissen aus den Kursen entlassen
gangssprache, die Schriftsprache, das Behördendeutsch                  worden, die ihnen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt und
und je nach Themenfeld eine Vielzahl an Varianten von                  ein eigenständiges Leben in Deutschland möglich ge‑
fachsprachlichem Deutsch, das Wörter beinhaltet, die weit‑             macht haben. Das ist das Verdienst vieler engagierter Lehr‑
ab von der alltäglich gesprochenen Sprache sind.                       kräfte, aber auch der beauftragenden, verwaltenden und
    Wie zentral Sprache für Verständigung ist, zeigt sich              kontrollierenden Behörde, des Bundesamts für Migration
meist dann, wenn wir uns in einem Kontext bewegen,                     und Flüchtlinge.
in dem wir die vorherrschende Sprache nicht oder eben                      Gleichzeitig brachen jedoch auch viele der Kursteilneh-
nicht ausreichend gut beherrschen. Schnell kommen                      menden ihre Integrationskurse ab, und rund die Hälfte
wir hier an unsere Grenzen.                                            der Kandidat_innen für den abschließenden Test erreichte
    Die meisten der nach Deutschland einwandernden Men‑                das eigentlich angestrebte Sprachniveau nicht. Vor die‑
schen bringen keine oder nur rudimentäre Deutschkennt-                 sem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass die Integrations-
nisse mit. Das gilt vor allem für diejenigen, die aus ihrer Hei‑       kurse derzeit evaluiert werden, denn sicherlich besteht
mat flüchten mussten. Für die Mehrheit von ihnen ist die               noch Veränderungs- und Verbesserungsspielraum, den es
Teilnahme an einem Integrationskurs mittlerweile verpflich‑            auszuschöpfen gilt. Die Ergebnisse dieser Evaluation wer‑
tend. Dieser soll ihnen die Sprachkenntnisse vermitteln,               den für 2022 erwartet.
die sie für die eigenständige und eigenverantwortliche Ge‑                 Die hier nun vorliegende Studie möchte einen zusätzli‑
staltung ihres Lebens in der Bundesrepublik benötigen.                 chen, unabhängigen Beitrag zu diesem Evaluationspro‑
    Ergänzt werden die Integrationskurse durch berufsbezo‑             zess der Integrationskurse leisten. Der Fokus liegt dabei
gene Sprachkursangebote. Gemeinsam bilden diese bei‑                   auf der Umsetzung der Kurse in den ländlichen Regionen
den Komponenten das „Gesamtprogramm Sprache“, das                      Deutschlands.
seit 2016 in dieser Form besteht und als einer der zen‑                    Mit hohem persönlichem Engagement haben die beiden
tralen Bausteine der bundespolitisch verantworteten Inte‑              Autorinnen eine Studie zusammengestellt, die einen qua‑
grationspolitik gewertet werden kann.                                  litativ basierten, detaillierten Einblick in die Herausforde-
    Eben weil diese Sprachkursangebote so wichtig dafür                rungen für die Deutschsprachförderung in ländlichen Regio‑
sind, Neuankommenden in Deutschland Orientierung zu                    nen gibt. Dabei standen die durch Bundesmittel geför‑
geben – sprachlich wie auch landeskundlich1 –, stehen sie              derten bzw. finanzierten Kursangebote im Zentrum der
immer wieder im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit.                 Aufmerksamkeit, aber auch Landesprogramme wurden am
Insbesondere in den vergangenen Jahren, in denen inner‑                Beispiel der Bundesländer Sachsen und Baden-Württem-
halb eines relativ kurzen Zeitraums über eine Million Men‑             berg in die Betrachtung miteinbezogen.
schen nach Deutschland geflüchtet sind, waren die Kurs‑                    Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang
angebote einem enormen Druck ausgesetzt. So mussten                    den Teilnehmer_innen der Fokusgruppengespräche, die im
die Kapazitäten in kurzer Zeit stark ausgebaut werden, und             Kontext der Studienerstellung in Stuttgart und Dresden
neue Zielgruppen mit teilweise vielschichtigen Problem‑                stattgefunden haben, und ebenso den zahlreichen Inter‑
lagen kamen in die Kurse.                                              viewpartner_innen, die ihr Wissen geteilt haben.
                                                                           Basierend auf diesen, oft sehr praxisnahen Einblicken
1 Inwiefern dies gelingt, kann und muss wahrscheinlich auch kritisch   und deren systematischer Auswertung haben die Auto‑
diskutiert werden (vgl. Thränhardt 2020).                              rinnen Handlungsempfehlungen entwickelt. Diese sind
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND                                   WISO DISKURS   5

übersichtlich und knapp im abschließenden Kapitel der Stu‑
die zusammengefasst. Sie bieten politisch und administra‑
tiv Verantwortlichen im Themenfeld der Deutschsprachför-
derung viele konkrete Anhaltspunkte, wie die Erfolge der
Kurse gesteigert werden können.
    Die Studie zeigt deutlich: Viele der Problemlagen, die
hier identifiziert werden, gelten weit über den Teilneh‑
mendenkreis der Deutschsprachförderung hinaus. Mobili‑
tät und Erreichbarkeit sind hier Stichwörter, aber auch die
Fachkräfteverfügbarkeit jenseits der städtischen Zentren.
Hier politische Antworten zu finden wäre nicht nur von
Vorteil für die Zielgruppe der Deutschkursteilnehmenden,
sondern für alle Menschen, die im ländlichen Raum leben
und hier auch bleiben wollen.

SUSAN JAVAD
Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
Friedrich-Ebert-Stiftung
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG   – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                              6

ZUSAMMENFASSUNG

Seit der erhöhten Fluchtzuwanderung um das Jahr 2015            lichen Regionen. Im Fokus der Studie standen die vier
wurde die Diskussion um Deutschsprachförderung                  Handlungsfelder Kursangebot, besondere Zielgruppen,
von Zugewanderten neu belebt. Im Zuge der verstärkten           die Bund-Land-Kommune-Koordination sowie Mobilität.
Aufnahme von Geflüchteten in ländlichen Regionen
Deutschlands rückte auch die Frage der Integration in           Kursangebot und Förderregularien
ländlichen Räumen stärker in den gesellschaftspoliti‑           Wesentliches Merkmal ländlicher Regionen ist ein einge‑
schen wie auch akademischen Fokus. Speziell in Bezug            schränktes Kursangebot. Bedingt durch geringere Teil‑
auf Sprachförderung in ländlichen Regionen gibt es              nehmendenzahlen dauert es vielfach sehr lange, bis Kurse
bis dato allerdings wenig wissenschaftliche Erkenntnisse,       zustandekommen. Der zentrale Ansatzpunkt wurde hier
während es durchaus Hinweise darauf gibt, dass die              in der Herabsetzung der Mindestteilnehmendenzahl gese‑
strukturellen Bedingungen ländlicher Regionen beson‑            hen. Eine weitere Herausforderung stellt die Lehrkräfte‑
dere Herausforderungen für die Sprachförderung mit              situation dar. In diesem Kontext wurde ein Anreizsystem
sich bringen.                                                   für Lehrkräfte in ländlichen Räumen als Ausgleich für lan‑
     Diese Studie soll einen Beitrag dazu leisten, diese For‑   ge Fahrzeiten diskutiert.
schungslücke zu schließen, indem Herausforderungen
der Deutschsprachförderung in ländlichen Räumen iden‑           Bedarfe besonderer Zielgruppen
tifiziert und Handlungsempfehlungen abgeleitet wer‑             Spezialkurse für besondere Zielgruppen werden in ländli‑
den. Dabei liegt der Fokus auf dem Gesamtprogramm               chen Regionen kaum angeboten. Große Herausforderun-
Sprache der Bundesregierung, das heißt den Integrations-        gen bestehen in Bezug auf Frauen mit Kinderbetreuungs-
kursen und der berufsbezogenen Deutschsprachförde-              bedarfen und Berufstätige. Für diese Gruppen müssen
rung (DeuFöV). Im Sinne eines ganzheitlichen Blicks auf         dringend Angebote geschaffen werden, die es ermögli‑
die Deutschsprachförderung vor Ort werden auch er‑              chen, mit größerer Flexibilität auf Kinderbetreuungsbedar-
gänzende Sprachförderprogramme, insbesondere der                fe, Arbeitszeiten, Fahrtwege und zeitliche Kapazitäten
Länder, in den Blick genommen. Exemplarisch werden              der Teilnehmenden einzugehen. Kursortnahe Kinderbe-
Baden-Württemberg und Sachsen untersucht. Beide                 treuung muss flächendeckend bereitgestellt werden.
Bundesländer setzten in den vergangenen Jahren eigene
Sprachförderprogramme auf, die sich an Personen rich‑           Koordination zwischen Bund, Ländern und
ten, die rechtlich oder faktisch keinen Zugang zu den           Kommunen
bundesgeförderten Sprachkursen haben. In diesem Kon‑            Befragte sprechen von einem „Förderdschungel“ in der
text entstanden auch in den Kommunen teilweise neue             Deutschsprachförderung. Doppelstrukturen in Bezug auf
Koordinierungsstrukturen, wie etwa die vom Land geför‑          die bundesgeförderten Sprachkursprogramme sollten
derten Integrationsbeauftragten in Baden-Württemberg            abgebaut und Förderbestimmungen harmonisiert werden.
oder die Kommunalen Integrationskoordinator_innen (KIK)         Zudem könnte die Öffnung der Bundessprachkurse für alle
in Sachsen zeigen.                                              Zugewanderten die Sprachförderung weiter entbürokrati-
    Auf Basis von Telefon- und Fokusgruppengesprächen           sieren. Dies würde besonders kleine Sprachkursträger, die
mit kommunalen Koordinierungsstellen, Kursträgern               in ländlichen Regionen überwiegen, entlasten. Kommu‑
sowie Personen aus der Migrations- und Sozialberatung           nalen Koordinierungsstellen kommt bei der bedarfsgerech-
konnte die Studie praxisnahe Einblicke gewinnen. Trotz          ten Umsetzung vor Ort eine zentrale Schnittstellenfunktion
regionaler Unterschiede zeigten sich überwiegend Ge‑            zu. Sie sollten daher langfristig im Weiterentwicklungs‑
meinsamkeiten in Bezug auf die Herausforderungen und            prozess des Gesamtprogramms Sprache mitgedacht
Lösungsansätze von Deutschsprachförderung in länd‑              und einbezogen werden.
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND                                WISO DISKURS   7

Mobilität

Lange Wege und die Abhängigkeit von öffentlichen Ver‑
kehrsmitteln stellen große Hindernisse in ländlichen Re‑
gionen dar. In den Kommunen sollten daher zielgruppen-
gerechte Lösungen im öffentlichen Nahverkehr in den
Blick genommen werden. Darüber hinaus kann auf Sprach‑
kursseite eine Erleichterung der Fahrtkostenregelung in
ländlichen Räumen neue Ressourcen freisetzen. Diese
können z. B. in die Entwicklung und Umsetzung digitaler
Formate investiert werden, um eingeschränkte Mobilität
auszugleichen.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG   – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                            8

1

EINLEITUNG

Seit nunmehr 15 Jahren werden Integrationskurse für Zuge‑      in kleinen Kommunen hingewiesen (Bundesregierung 2008:
wanderte durch den Bund finanziert. Sie stellen seit 2005      218). Als Herausforderung wurde u. a. die „bedarfsgerech-
einen zentralen Teil der Integrationsförderung dar, die in     te Zusammensetzung der Kursgruppe“, z. B. für Spezial‑
ganz Deutschland verschiedene Gruppen von Migrant_in-          kurse, benannt, die sich aus geringen Teilnehmendenzah-
nen adressiert. Sie sollen ihre Wirkung in allen Bundeslän‑    len ergeben. Auch das Bundesamt für Migration und
dern und Regionen entfalten – egal ob in großstädtischen       Flüchtlinge (BAMF), welches die Ausgestaltung der Inte‑
Regionen oder in ländlichen Gebieten. Letztere nimmt die       grationskurse und berufsbezogenen Deutschförderung
vorliegende Studie in den Blick.                               gestaltet, schuf inzwischen Sonderregelungen für länd‑
    Das Kurssystem des Bundes unterliegt seit seiner Einfüh‑   liche Regionen, um die dortige Durchführung von Kursen
rung einer stetigen Umgestaltung, Ausweitung und Ver‑          mit einer kleineren Teilnehmendenzahl im Vergleich zu
änderung in Inhalt, Form und Zielgruppenfokussierung.          urbanen Gebieten zu erleichtern. Trotz vielfacher Anpas‑
2016 wurden die Kurse der berufsbezogenen Sprachförde-         sungen des Sprachkurssystems bestehen bis heute viele
rung (DeuFöV) als weiteres Regelinstrument der Sprach‑         Herausforderungen. Seither befassten sich verschiedene
förderung des Bundes eingeführt, welches zuvor aus dem         Forschungs- und Praxisvorhaben mit Integration in länd‑
Europäischen Strukturfonds gefördert wurde (ESF-BAMF-          lichen Regionen – keine jedoch umfassend mit dem
Programm). Zusammen bilden die Integrations- und Berufs‑       Gesamtprogramm Sprache.
sprachkurse das Gesamtprogramm Sprache des Bundes.                 Die vorliegende Studie bringt daher bisherige wissen‑
    Der deutliche Anstieg der Fluchtmigration um das Jahr      schaftliche Erkenntnisse mit Erfahrungswissen von Prak‑
2015 und die damit veränderte Zuwanderungsstruktur             tiker_innen aus ländlichen Regionen zusammen. Ziel ist es,
stellten neue Herausforderungen für die Sprachkurse dar.       Handlungsempfehlungen für die Ausgestaltung der Kur‑
Auch wenn der Anteil von Migrant_innen in Großstädten          se zu entwickeln, aber auch Anregungen für die Zusam‑
weiterhin größer ausfällt als in ländlichen Regionen, stieg    menarbeit zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund
der Anteil von Migrant_innen mit Deutschlernbedarf auch        zu geben. Es werden daher auch strukturelle Rahmen‑
in kleinen und mittleren Kommunen in ländlichen Regio‑         bedingungen wie Mobilität und Anbindung an öffentliche
nen deutlich an (BIB 2016). Somit wurde die Frage der Um‑      Verkehrsmittel, Angebote der Kinderbetreuung und sozial‑
setzung von Integrationsmaßnahmen auch in ländlichen           pädagogischen Beratung (u. a. Migrationsberatung, Ju‑
Gegenden zu einer dringlichen Aufgabe. Viele kleinere          gendmigrationsdienste) in den Blick genommen. Des Wei‑
Kommunen verfügen über weniger hauptamtliche Integra‑          teren werden Koordinationsformate in den Kommunen
tionsbeauftragte, weniger differenzierte Integrationsabtei-    und bei den Kursträgern beleuchtet.
lungen oder -konzepte. Allerdings variieren diese Struk‑           Exemplarisch wurden für diese Studie zwei Bundeslän‑
turen von Kommune zu Kommune und zwischen den                  der untersucht: Baden-Württemberg und Sachsen. Diese
Bundesländern stark (vgl. Ritgen 2018; Rösch/Schneider         bieten migrationshistorisch, politisch, aber auch geogra‑
2019; Schammann et al. 2020). Besonders der Spracher-          fisch zwei kontrastierende Beispiele und können so die
werb gewann in Klein- und Mittelstädten sowie Landkrei‑        Heterogenität und vielfältigen Herausforderungen ländli‑
sen an Bedeutung, wie Befragungen von Kommunen                 cher Kommunen verdeutlichen. Die Gegenüberstellung
zeigen (Gesemann/Roth 2016).                                   beider Bundesländer ist überdies sinnvoll, da beide in den
    Dass diese Herausforderungen nicht neu, aber nun prä‑      vergangenen Jahren im bundesweiten Vergleich in große
senter im Fokus stehen, verdeutlicht auch ein Blick in den     Landessprachprogramme investiert haben. Diese Landes‑
ersten Fortschrittsbericht des Nationalen Integrationsplans    programme haben Baden-Württemberg und Sachsen
der Bundesregierung: Bereits 2008 wurde darin auf die          komplementär zum Bundesprogramm Sprache aufgebaut.
Herausforderungen eines ausgewogenen Sprachangebotes           Die beispielhafte Betrachtung mit einem begrenzten qua‑
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND                                      9

litativen Sampling darf selbstverständlich nicht als repräsen‑
tativ verstanden werden. Gleichwohl zeigen beide Bun‑
desländer ähnliche Herausforderungen auf, und die hier
vorgelegten Praxiseinblicke in unterschiedliche kommu‑
nale Strategien können innovative Handlungsoptionen
anregen.
    Im Folgenden werden die Rahmenbedingungen für
das Sprachkursangebot in ländlichen Regionen skizziert.
Anschließend werden die Ergebnisse der Gespräche mit
Expert_innen aus Baden-Württemberg und Sachsen
dargestellt. Aus diesen Erkenntnissen wurden Handlungs-
empfehlungen formuliert, die den Schluss dieser Studie
darstellen und zur Weiterentwicklung des Sprachförder-
programms auf verschiedenen föderalen Ebenen an‑
regen sollen.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG        – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                     10

2

STUDIENDESIGN

Diese Studie basiert auf explorativen qualitativen Erkennt‑               Beide Bundesländer besitzen ein ausdifferenziertes Landes‑
nissen aus ländlichen Kommunen in Baden-Württem‑                          sprachprogramm, die regionalen Voraussetzungen sind
berg und Sachsen. Zwar kann die Studie keinen Anspruch                    jedoch unterschiedlich. Ziel – im Sinne der qualitativen Fall‑
auf Repräsentativität erheben, dafür liefert sie empirische               auswahl – war es, die Heterogenität ländlicher Regionen
Einblicke in die lokale Vor-Ort-Umsetzung der Deutsch-                    innerhalb der Studie abzubilden und gemeinsame Faktoren
sprachförderung in ländlichen Regionen, was für die Frage‑                zu identifizieren (Kelle/Kluge 2010: 41–43). So wurde ver‑
stellung zentral ist. Die untersuchten ländlichen Kommu‑                  sucht, auf Landkreis- sowie Gemeindeebene der Befragten
nen wurden mithilfe der Klassifizierung des Thünen-Insti-                 den Grad der Ländlichkeit zu variieren sowie unterschied‑
tuts für ländliche Räume ausgewählt (siehe Infobox 1).                    liche Regionen der beiden Bundesländer auszuwählen.
                                                                              Das methodische Vorgehen beinhaltete mehrere Schrit‑
                                                                          te (siehe Infobox 2). Neben einer umfangreichen Auswer‑
                                                                          tung bisheriger Literatur erfolgten 15 leitfadengestütz‑
                                                                          te Telefoninterviews mit lokalen Expert_innen, die in
  Infobox 1
  Was sind „ländliche Regionen“?
                                                                          Protokollen dokumentiert wurden. Nach zusammenfassen-
                                                                          der Auswertung der wichtigsten Themenfelder der Tele‑
  Ländliche Regionen werden aufgrund verschiedener Faktoren defi‑         foninterviews fanden im Januar und Februar 2020 zwei
  niert: In der Definition des Thünen-Instituts für ländliche Räume
  werden neben einer geringen Siedlungsdichte auch der Anteil der
                                                                          halbtägige Fokusgruppengespräche mit jeweils sie‑
  land- und forstwirtschaftlichen Flächen, der Anteil der Ein- und        ben Expert_innen in Stuttgart und Dresden statt, um die
  Zweifamilienhäuser, die Erreichbarkeit großer Zentren und das re‑       identifizierten Schwerpunktthemen kreisübergreifend zu
  gionale Bevölkerungspotenzial zu einem Wert berechnet (Küpper           diskutieren (zur Methodik von Fokusgruppengesprächen
  2016: 5). Wichtig ist dabei, dass Kommunen, das heißt Gemeinden
  und Landkreise, weniger oder stärker ländlich sein können. Eine
                                                                          siehe z. B. Benighaus/Benighaus 2012; Krueger/Casey
  einseitige Gegenüberstellung von „Stadt“ und „Land“ wird damit          2006). Darüber hinaus wurden bundeslandspezifische
  vermieden. So kann beispielsweise eine Kleinstadt in einer peri‑        Informationen zu den Kursformaten bei den zustän‑
  pheren Lage ländlicher sein als eine Dorfgemeinde im direkten           digen Landesministerien erfragt und ausgewertet.
  Umfeld einer Großstadt.
                                                                              Um die lokalen Besonderheiten in der Deutschsprach‑
  Auch wenn umgangssprachlich oft angenommen wird, dass ländli‑           förderung zu betrachten, wurde der Schwerpunkt auf
  che Regionen wirtschaftlich schlechter gestellt seien als urbane        Expert_innen vor Ort gelegt. Dabei wurden neben kommu­‑
  Regionen, gibt die Ausprägung der Ländlichkeit nicht direkt Aus‑        nalen Koordinierungsstellen für Bildungs- und Integra‑
  kunft über die sozioökonomische Lage. Auch wenn Küpper (2016)
  zufolge Landkreise sozioökonomisch etwas schlechter dastehen
                                                                          tionsangebote auch Ansprechpartner_innen von Kurs‑
  als Städte, gibt es einen großen Anteil an wirtschaftlich gutgestell‑   trägern befragt sowie Sozial- und Migrationsbera-
  ten ländlichen Landkreisen (Küpper 2016: 21). Der Disparitäten‑         tungsstellen einbezogen. Letztere waren insbesondere
  bericht der Friedrich-Ebert-Stiftung 2019 zeigt auf, dass ländlich      von Relevanz, um Sichtweisen von Kursteilnehmenden
  geprägte Räume in Ostdeutschland allerdings besonderen Heraus‑
  forderungen im strukturellen Wandel unterliegen, z. B. durch
                                                                          einzubringen. Unter den Gesprächspartner_innen der Kurs‑
  geringere Einkommen. Ähnliches gilt für städtisch geprägte Re‑          träger waren zudem Personen vertreten, die selbst Erfah-
  gionen im Strukturwandel, wie z. B. das Ruhrgebiet (Fink et al.         rung als Lehrkraft hatten.
  2019: 10).                                                                  Für die Studie wurde Wissen von Expert_innen aus
  Des Weiteren vermeidet die Publikation, über „den einen“ ländli‑
                                                                          insgesamt 13 Landkreisen in Baden-Württemberg und
  chen Raum zu sprechen, sondern nutzt die Formulierung „länd‑            Sachsen einbezogen: In Sachsen waren das der Erzgebirgs-
  liche Räume“ im Plural, um auf die Heterogenität dieser großen          kreis, Landkreis Bautzen, Landkreis Görlitz, Landkreis Nord‑
  Fläche mit ihren verschiedenen Siedlungsformen, geografischen           sachsen, Landkreis Mittelsachsen, Landkreis Sächsische
  und regionalen Besonderheiten zu verweisen.
                                                                          Schweiz-Osterzgebirge und Vogtlandkreis; in Baden-Würt‑
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND                                                                         WISO DISKURS             11

  Infobox 2
  Methodisches Vorgehen

                                       insgesamt 15 leitfadenge-     Diskussion von Hypothesen in
     Auswertung wissen-                                                                                    Auswertung und
                                       stützte Telefoninterviews     2 Fokusgruppen mit je 7 Per-
     schaftlicher Literatur                                                                                Entwicklung von
                                       in Baden-Württemberg          sonen in Baden-Württemberg
     und praxisnaher Studien                                                                               Empfehlungen
                                       und Sachsen                   und Sachsen

  Quelle: eigene Darstellung.

temberg der Landkreis Biberach, Hohenlohekreis, Land‑
kreis Heidenheim, Landkreis Reutlingen, Neckar-Odenwald‑
Kreis und Ortenaukreis. 2
    Aufgrund der Komplexität der Thematik kann auch die‑
se Studie nur einen Teil des Themenfeldes empirisch ab‑
decken. Sie soll weiterführende Hinweise für umfangreiche
Evaluationen geben, die auch die besonders geforderten
ländlichen Räume mitbeachten. In die vorliegende Studie
wurden die in der bestehenden Literatur und im Laufe
des Forschungsprozesses identifizierten Themenbereiche
vertieft betrachtet: das Kursangebot (Kapitel 4.1), Ziel‑
gruppen und besondere Bedarfe (Kapitel 4.2), Koordinie-
rung Bund-Länder-Kommunen (Kapitel 4.3) sowie Mobili-
tät (Kapitel 4.4).

2 Für eine Übersicht zur Verteilung der teilnehmenden Expert_innen
an den Telefon- und Fokusgruppengesprächen siehe Anhang.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG       – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                 12

3

RAHMENBEDINGUNGEN

Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Rahmenbedin-              aufnahme wurde in den vergangenen Jahren durch poli‑
gungen für Deutschsprachkurse in ländlichen Regionen.                  tische Interessenvertretungen der Kommunen angetrieben,
Zunächst führt Kapitel 3.1 in ländliche Kommunen als Orte              aber auch von privaten Forschungsinstituten, die aufgrund
von Integrationsprozessen ein. Im Anschluss wird das                   verfügbaren Wohnraums und Arbeitsplätzen eine verstärk‑
Gesamtprogramm Sprache (Kapitel 3.2) vorgestellt, dann                 te Ansiedlung von Geflüchteten empfahlen. Diese Diskurse
werden die beiden Landessprachprogramme in Baden-                      beinhalteten zuweilen auch plakative Forderungen wie
Württemberg und Sachsen dargelegt (Kapitel 3.2) und im                 „Familien aufs Land!“ (empirica 2015).
Anschluss die Rolle der Kommunen in der Sprachförde‑                       Medial und politisch wurde in diesem Zusammenhang
rung ausgeführt (Kapitel 3.4).                                         auch eine Angst um eine sogenannte Ghettoisierung der
                                                                       Großstädte geführt, an die sich eine Diskussion der Vertei‑
                                                                       lung von Migrant_innen auf kleinere Kommunen anschloss.
3.1 LÄNDLICHE REGIONEN ALS RÄUME                                       Während einige Kommunen öffentlichkeitswirksam die
DER INTEGRATION                                                        weitere Zuteilung von Geflüchteten zu verhindern versuch‑
                                                                       ten, wurden auch Beispiele von Bürgermeister_innen
Ländliche Regionen erhalten im Kontext aktueller politischer           kleinerer Kommunen bekannt, die die Ansiedlung von Ge‑
Fragestellungen zunehmende Aufmerksamkeit, beispiels‑                  flüchteten zugunsten kommunaler Entwicklung nutzen
weise in den Bereichen des infrastrukturellen Ausbaus, der             wollten, etwa um den Folgen des demografischen Wandels
Digitalisierung oder auch bezüglich demografischer He‑                 entgegenzuwirken (Reimann 2016; Rosenfeld 2014; Watzke/
rausforderungen. Unter dem Stichwort der „Ländlichen Ent‑              Krone 2016). Gleichzeitig forderten die kommunalen Inte‑
wicklung“ wird versucht, Disparitäten zwischen eher ur‑                ressensverbände nachdrücklich, die Kommunen durch
banen und eher ländlichen Regionen auszugleichen. Doch                 Bund und Länder stärker mit den Integrationsmaßnahmen
nicht nur Defizite ländlicher Regionen finden Platz in die             zu unterstützen. Der Deutsche Landkreistag resümiert in
sen Debatten, sondern auch ihre Potenziale werden disku‑               einer Publikation, dass die Vielfalt an kommunalen Auf‑
tiert. 3 Insgesamt machen ländliche Regionen in Deutsch‑               gaben dazu führe, „dass gerade die kleinen Städte und
land mit etwa 57 Prozent der Bevölkerung mehr als 90 Pro‑              Gemeinden mit dieser Aufgabe vielfach überfordert und
zent der Fläche aus, so die Berechnungen des Thünen-Insti‑             auf Unterstützung und Koordinierung seitens der Land‑
tuts für ländliche Räume von 2016 (Küpper 2016: 27).                   kreise angewiesen sind“ (Ritgen 2018: 409).
    Insbesondere seit 2015 stieg der Anteil von Migrant_in‑                Auch das Thema Sprachförderung nimmt bei den politi‑
nen durch humanitäre Zuwanderung in den ländlichen                     schen Forderungen der Kommunalvertreter_innen einen
Landkreisen deutlich an. 4 Das Themenfeld Integration in               zentralen Platz ein: Beispielsweise sprach sich der Deutsche
ländlichen Räumen stand selten so präsent im Fokus wie                 Landkreistag für eine Kompetenzverlagerung der Zustän‑
seither, auch wenn Migration in ländlichen Regionen stets              digkeiten für bundesgeförderte Sprachförderung auf die
vorhanden war (Boos-Krüger 2005: 416ff.). Die Diskus‑                  Landkreise aus und verwies auf besondere Bedingungen,
sion um die Rolle kleinerer Kommunen in der Geflüchteten‑              die für Integrationskurse in ländlichen Regionen gelten.
                                                                       Dazu zählten beispielsweise weniger potenzielle Kursteil‑
                                                                       nehmende und ein kleineres Kursangebot. Er plädierte
3 Als Überblick in eine Reihe dieser Debattenstränge empfiehlt sich    dabei für Modellprojekte der kommunalen Koordinierung
die Ausgabe „Land und Ländlichkeit“ der Zeitschrift „Aus Politik und
Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung (2016).
                                                                       und für eine Änderung der Integrationskursverordnung
4 Eigene Vergleiche von Daten des Ausländerzentralregisters laut
                                                                       hin zu einer Zuweisungs- und Zusteuerungskompetenz, mit
Destatis 2018 sowie statistische Zusammenstellungen des Portals        der die Kommunen die Teilnahme an Kursen stärker selbst
Landatlas (www.landatlas.de).                                          regeln können (Deutscher Landkreistag 2017: 1–2). Der
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND                                                                  WISO DISKURS                 13

Deutsche Städtetag hingegen wies nicht nur auf die aus sei‑    3.2 GESAMTPROGRAMM SPRACHE DER
ner Sicht unzureichende Finanzierung der Sprachförde‑          BUNDESREGIERUNG
rung hin, sondern auch auf die wichtige Rolle kommunaler
Volkshochschulen (Deutscher Städtetag 2016). Auch die          Das Gesamtprogramm Sprache ist die gesetzlich verankerte
Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Landentwicklung stellte        Sprachförderung der Bundesregierung für Zugewanderte
in einem Strategiepapier die Potenziale von Migration für      und umfasst die Integrationskurse und berufsbezogene
ländliche Regionen in den Fokus, die dem Fachkräfteman-        Deutschsprachförderung – kurz DeuFöV (BMAS 2019). Der
gel positiv entgegenwirken könne. Der Spracherwerb und         Integrationskurs soll Orientierung und Deutschkenntnisse
die Qualifizierung seien jedoch „hierfür Voraussetzung und     für den Alltag auf den Niveaus A1–B1 nach dem Europäi‑
müssen auch in ländlichen Regionen angeboten werden“           schen Referenzrahmen (GER) vermitteln. Die berufsbezo‑
(ARGE Landentwicklung 2016: 11).                               genen Deutschkurse bauen darauf auf und fokussieren auf
    Ebenfalls finden in der wissenschaftlichen Literatur       Berufssprache und Qualifizierung auf den Niveaus B2–C2.
ländliche Regionen in Bezug auf Integrationsforschung          Während das Bundesinnenministerium (BMI) die Integrati‑
zunehmend Rezeption. Hier sind zunächst regionale              onskurse bis Niveau B1 verantwortet, ist das Bundesar-
Fallstudien zu nennen (Nadler et al. 2010; Roos 2016), die     beitsministerium (BMAS) für die berufsbezogenen Deutsch‑
Sprache als zentrales Moment von Bleibe- und Abwan‑            kurse zuständig. Das Bundesamt für Migration und Flücht‑
derungsgründen von Zugewanderten in ländlichen Regio‑          linge (BAMF) setzt sowohl die Integrationskurse als auch
nen identifizierten. Hervorzuheben ist auch das praxis‑        die DeuFöV-Kurse um. Die Durchführung vor Ort erfolgt
nahe Forschungsprojekt der Schader-Stiftung, das bereits       durch private und öffentliche Kursträger, die hierfür vom
im Jahr 2011 Integrationsangebote für verschiedene Zu‑         BAMF zugelassen werden.
wanderungsgruppen in den Blick nahm (Schader Stiftung
2011). Seit der hohen Flüchtlingszuwanderung um das            Integrationskurse
Jahr 2015 erschienen weitere praxisnahe Forschungspro-
jekte in Kooperation mit Kommunen (Mann et al. 2018;           Der Integrationskurs ist seit Inkrafttreten des Zuwande-
Ohliger et al. 2017; Özer/Schwarze 2017), die Integrations-    rungsgesetzes 2005 das zentrale Sprachförderprogramm
maßnahmen in verschiedenen Landkreisen in Deutsch‑             der Bundesregierung (BAMF 2019a). Die rechtliche Grund‑
land mit dem Ziel untersuchten, ländliche Entwicklung zu       lage für die Durchführung des Integrationskurses ist § 43ff.
stärken.                                                       Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die Integrationskursverord-
    Darüber hinaus werden seit wenigen Jahren erste über‑      nung (IntV) und die Integrationskurstestverordnung (IntTestV).
regionale und somit stärker vergleichende Forschungs‑          Der Integrationskurs besteht aus einem Sprachkurs (allge‑
projekte durchgeführt, wie das Verbundforschungsprojekt        meiner Sprachkurs 600 Unterrichtseinheiten) und einem
„Zukunft für Geflüchtete in ländlichen Regionen Deutsch‑       Orientierungskurs (gesellschaftspolitische Bildung, 100 Un‑
lands“, das im Rahmen des Bundesprogramms für Länd‑            terrichtseinheiten). Der Kurs wird auf Grundlage bundes‑
liche Entwicklung gefördert wird (2018–2021). Auch das         einheitlicher Curricula durchgeführt und mit bundeseinheit‑
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führte von             lichen Abschlusstests beendet, dem Deutsch-Test für Zu‑
2017 bis 2020 ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Inte‑       wanderer (DTZ) und dem Abschlusstest „Leben in Deutsch‑
gration von Geflüchteten in ländlichen Räumen“ durch           land“. Neben dem allgemeinen Sprachkurs mit 600 Unter‑
(Rösch et al. 2020). Keine dieser Studien nimmt jedoch die     richtseinheiten (UE), der auf Personen ohne spezielle Bedar‑
Sprachförderung explizit in den Blick. Speziell mit Integra‑   fe ausgerichtet ist, gibt es Spezialkurse mit bis zu 900 UE
tionskursen in ländlichen Räumen beschäftigt sich das          für Analphabet_innen, Zweitschriftlernende, Jugendliche,
Ende 2019 veröffentlichte Positionspapier der Robert Bosch     Eltern und Frauen, Teilnehmende mit Behinderungen sowie
Stiftung, das auf Praxiserfahrungen aus ländlichen Kom‑        Teilnehmende an Förder- und Intensivkursen. Teilnehmen-
munen basiert. Die Autor_innen plädieren insbesondere          de haben die Möglichkeit, 300 UE zu wiederholen, sofern
für eine stärkere Dezentralisierung der Kursstrukturen mit     sie den Abschlusstest nicht erfolgreich bestanden haben.
dem Ziel, Neuzugewanderte vor Ort zu binden (Ohliger/              Für die Integrationskurse veröffentlicht das BAMF quar‑
Schweiger 2019: 2–6).                                          talsweise die Integrationskursgeschäftsstatistik (InGe).
    Zusammenfassend lässt sich bemerken, dass mit der          Demnach wurde im Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr
humanitären Zuwanderung der vergangenen Jahre die              ein leichter Rückgang bei den Berechtigungen und neuen
Sprachförderung und Integrationsmaßnahmen in länd‑             Teilnehmenden verzeichnet (BAMF 2020a). Der Großteil
lichen Regionen neu diskutiert wurden. Somit wurde die         der neuen Teilnehmenden besuchte 2019 bundesweit
anhaltende sprachwissenschaftliche Debatte um die Quali‑       einen Allgemeinen Integrationskurs (74,7 Prozent). Am
tät der Integrationskurse (vgl. hierzu Schroeder/Zakharova     zweithäufigsten wurde der Alphabetisierungskurs besucht
2014) durch die Fluchtzuwanderung wiederbelebt und             (16,4 Prozent). Nachdem der Anteil von Alphabetisierungs-
um eine verstärkt kommunalpolitische Diskussion zum Inte‑      kursen seit 2015 stark gestiegen war, ist er nun wieder
grationskurssystem ergänzt (siehe nachfolgende Kapitel         rückläufig. Unter den Herkunftsländern der Teilnehmenden
3.3 und 3.4)                                                   liegt Syrien weiterhin auf Platz eins (14,2 Prozent). Auf
                                                               dem zweiten Platz liegt mit Rumänien (7,0 Prozent) wieder
                                                               ein EU-Mitgliedstaat. Der Anteil von EU-Bürger_innen
                                                               (ohne Deutschland) unter den neuen Teilnehmenden steigt
                                                               mit 26,6 Prozent weiter an. Auch der Frauenanteil erhöhte
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG   – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                              14

sich weiter auf 58,8 Prozent. Im Vergleich der beiden Bun‑     für ist die Kritik an der Fahrtkostenerstattung in ländlichen
desländer begannen 2019 in Baden-Württemberg 26.667            Räumen, die bereits 2012 im Bericht der Integrationsbeauf‑
neue Teilnehmende einen Integrationskurs (15,1 Prozent         tragten der Bundesregierung Erwähnung fand: „Die Fahrt‑
der neuen Kursteilnehmenden bundesweit), in Sachsen            kostenübernahme im Rahmen einer Kursteilnahme stellt
waren es in Relation dazu mit 5.041 Teilnehmenden (2,9         gerade im ländlichen Raum ein wichtiges Kriterium in Be‑
Prozent) deutlich weniger.                                     zug auf die Teilnahmebereitschaft dar, insbesondere für
                                                               den Personenkreis der Erwerbstätigen mit niedrigem Ein‑
Berufsbezogene Deutschsprachförderung                          kommen“ (Bericht der Bundesbeauftragen 2012: 66).
                                                               2017 berücksichtigte auch das Bundesamt für Migration
Die berufsbezogene Deutschsprachförderung (DeuFöV) ist         und Flüchtlinge in den Kursregularien, dass in ländlichen
seit dem 1.7.2016 Regelinstrument der Sprachförderung          Regionen spezielle Bedingungen für Kurse gelten, und
des Bundes und soll Zugewanderte auf den Arbeitsmarkt          führte eine „Mindestvergütung für Integrationskurse in
vorbereiten (BAMF 2020b). Das Programm stellt die Ver‑         Regionen mit geringem Teilnehmerpotential“ (BAMF
stetigung des vorherigen ESF-BAMF-Programms dar. Die           2017a) ein (mehr dazu siehe Infobox 4, Kapitel 4.1).
Grundlage für die berufsbezogene Deutschsprachförde-               Mit einer Laufzeit bis 2022 führt das Forschungszen‑
rung ist § 45a AufenthG. Die Verordnung über die berufs‑       trum des BAMF derzeit eine „Evaluation der Integrations-
bezogene Deutschsprachförderung regelt die Details             kurse (EvIk)“ durch. Ende 2019 wurde der erste Zwischen‑
(BGBI 2019). Die berufsbezogene Deutschsprachförderung         bericht vorgelegt (Tissot et al. 2019). Die Evaluationsstudie
unterscheidet zwischen Basismodulen (400 bzw. 500 Un‑          greift dabei u. a. auf selbst erhobene qualitative und
terrichtseinheiten) und Spezialmodulen (300–600 Unter‑         quantitative Daten zurück. Zuvor war das Integrationspa-
richtseinheiten). Die Basismodule vermitteln Deutschkennt-     nel 2007/08 des BAMF-Forschungszentrums die letzte um‑
nisse, die generell in der Berufswelt benötigt werden, und     fassende Evaluation der Integrationskurse (Scheible/Rother
sollen helfen, z. B. E-Mails und Briefe zu verfassen. Die      2017; Schuller et al. 2012). Ergänzend wurden Auswertun-
Basismodule zielen auf das jeweils nächsthöhere Sprach‑        gen zu Deutschkursen auf Basis der IAB-BAMF-SOEP-Be-
niveau ab, also von B1 auf B2, von B2 auf C1 und von C1        fragung von Geflüchteten veröffentlicht , einem gemein‑
auf C2. Die Spezialmodule hingegen vertiefen fachspezifi‑      samem Forschungsprojekt des Instituts für Arbeitsmarkt-
sches Wissen und sind auf Berufsanerkennung oder be‑           und Berufsforschung, des BAMF-Forschungszentrums und
stimmte Berufsfelder ausgerichtet, z. B. Pflege. Die Kurse     des Sozio-oekonomischen Panels am Deutschen Institut
schließen mit einer Zertifikatsprüfung ab. Um einen besse‑     für Wirtschaftsforschung Berlin (z. B. Brücker et al. 2017;
ren Übergang von den Integrationskursen in die berufs‑         Scheible 2018).
bezogene Deutschförderung zu gewährleisten, kann auch              Weiterhin wird von verschiedenen Seiten eine umfassen‑
ein ergänzendes Brückenelement B1–B2 durchgeführt              de unabhängige Evaluation der bundesgeförderten Sprach‑
werden, welches in 100 UE berufsweltliche B1-Inhalte aus       kurse gefordert. Die letzte externe Evaluation der Inte‑
dem Integrationskurs wiederholt und somit auf den              grationskurse wurde 2006 von der Unternehmensberatung
B2-DeuFöV-Kurs vorbereitet.                                    Rambøll Management im Auftrag des Bundesinnenminis‑
                                                               teriums vorgelegt (BMI/Rambøll 2006). Im Rahmen der
Qualitätsdebatten und Evaluationen der bundesgeför-            Erstellung des Rahmencurriculums veröffentlichte außer‑
derten Deutschkurse                                            dem das Goethe-Institut im Jahr 2007 Erkenntnisse zu
                                                               Sprachbedarfen von Teilnehmenden in Integrationskursen
Seit Einführung der bundesgeförderten Deutschkurse wur‑        (Goethe-Institut 2007). Hinzu kommt eine unveröffentlich-
den mehrere Reformen umgesetzt, die etwa die finanzi‑          te Untersuchung der Integrationskurse durch die Unter‑
elle Ausstattung der Kursträger, die Vergütung von Lehr‑       nehmensberatungen McKinsey und Rambøll Management
kräften sowie Verwaltungsprozesse verbessern sollten.          von 2016 (Ohliger/Schweiger 2019).
In den vergangenen Jahren wurde die Qualitätsdebatte um
die bundesgeförderten Deutschkurse u. a. durch gestie‑
gene Zuwanderungszahlen neu belebt und eine Reihe von          3.3 LANDESGEFÖRDERTE SPRACH‑
Handlungsempfehlungen vorgelegt. Viele Forderungen             PROGRAMME
sind jedoch nicht neu und wurden bereits in den frühen
Jahren nach Einführung der Integrationskurse angemerkt.        Wenn Zugewanderte keine Möglichkeit haben, an einem
Zentrale Ansatzpunkte betreffen die Vergütung von Lehr‑        bundesgeförderten Sprachkurs teilzunehmen, können
kräften, eine weitere Ausdifferenzierung des Angebots          sie nach Verfügbarkeit auch Sprachkurse außerhalb des
in der Praxis, eine Dezentralisierung der Integrationskurse,   Bundesprogramms besuchen. Dazu zählen insbesondere
die Verknüpfung der Kurse mit Praktika und ehrenamtli-         ehrenamtliche Kurse, Kurse auf Selbstzahlerbasis bei
chen Initiativen sowie die Öffnung für weitere, bisher von     Bildungsträgern, Kurse in kommunaler Trägerschaft sowie
der Kursteilnahme ausgeschlossene Personengruppen,             vom Land geförderte bzw. durchgeführte Sprachkurse.
insbesondere Geduldete (Heinrich-Böll-Stiftung 2017;           In beiden untersuchten Bundesländern, Baden-Würt‑
Klinger et al. 2019; Robert Bosch Stiftung 2016, 2019;         temberg und Sachsen, wurden als Reaktion auf die erhöh‑
Schroeder/Zakharova 2015).                                     te Fluchtzuwanderung um das Jahr 2015 eigene Landes‑
    Auch in Bezug auf die Umsetzung in ländlichen Regio‑       programme zur Sprachförderung als Teil eines breiter
nen gibt es fortbestehende Forderungen: Ein Beispiel hier‑     ausgerichteten Integrationsprogramms eingerichtet.
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND                                                                                                                                   WISO DISKURS                                   15

Infobox 3 gibt einen Überblick über regionale Integrations-
bedingungen in den zwei Bundesländern.

  Infobox 3
  Regionale Integrationsbedingungen in Baden-Württemberg und Sachsen

                              Baden-Württemberg                                                                        Sachsen

    räumliche                 Baden-Württemberg ist mit elf Millionen Einwohner_innen                                  Sachsen ist mit seinen rund vier Millionen Einwohner_in-
    Gegeben‑                  nach Nordrhein-Westfalen und Bayern eines der einwoh-                                    nen deutlich kleiner als Baden-Württemberg. Das Bundes-
    heiten                    nerstärksten Bundesländer Deutschlands. Das Bundesland                                   land hat zehn Landkreise sowie drei kreisfreie Großstädte.
                              zählt 35 Landkreise sowie weitere neun Stadtkreise. Zu‑                                  Die drei Großstädte Leipzig, Dresden und Chemnitz bilden
                              gleich zählt es auch gemessen an der Fläche zu den größ‑                                 die zentralen Ballungszentren, die seit einigen Jahren ins‑
                              ten Bundesländern. Innerhalb des Flächenlands verfügt die                                besondere durch die positive Bevölkerungsentwicklung
                              Hauptstadt Stuttgart als Ballungszentrum über eine beson-                                innerhalb Sachsens hervorstechen. Die Landkreise sind im
                              dere Strahlkraft. Gleichzeitig gibt es in dem Bundesland                                 bundesweiten Vergleich groß, mit einer geringen Bevöl-
                              auch viele ländliche Landkreise mit unterschiedli-                                       kerungsdichte. Laut Thünen-Index der Ländlichkeit hat
                              chem Ländlichkeitswert. Sie sind im Vergleich zum                                        Sachsen keine „sehr ländlichen“ Landkreise, sondern es
                              gesamten Bundesgebiet überwiegend sozioökonomisch                                        lassen sich „eher ländliche“ Landkreise vorfinden*
                              überdurchschnittlich ausgestattet (Fink et al. 2019;                                     (Küpper 2016: 26) und diese sind sozioökonomisch in einer
                              Küpper 2016).                                                                            weniger guten Lage (Fink et al. 2019).

    integrations‑             Seit 2016 gibt es eine grün-schwarze Landesregierung. Die                                Seit 2019 gibt es in Sachsen eine schwarz-rot-grüne Lan-
    politische                nächste Landtagswahl findet planmäßig im März 2021                                       desregierung. Die landespolitischen Integrationsmaßnah-
    Rahmen‑                   statt. Für sozial- und integrationspolitische Themen ist in                              men der vergangenen Jahre wurden maßgeblich durch die
    bedingungen               Baden-Württemberg das Ministerium für Soziales                                           schwarz-rote Staatsregierung von 2015 bis 2019 geprägt.
                              und Integration verantwortlich, das seit 2016 von Minis-                                 Zuständig hierfür war das Staatsministerium für Soziales
                              ter Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen) geleitet wird.                                 und Verbraucherschutz. Seit 2019 wird das Themenfeld In‑
                              Im Vergleich zu Sachsen hat Baden-Württemberg einen                                      tegration vom Sächsischen Staatsministerium für
                              länger landespolitisch verankerten Fokus auf Integrations-                               Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS)
                              themen: Es führte als erstes Bundesland deutschlandweit                                  verantwortet, welches von Petra Köpping (SPD) geführt
                              2011 ein Ministerium für Integrationsfragen ein.                                         wird.

                              Der Ausländeranteil liegt in Baden-Württemberg bei                                       Der Ausländeranteil liegt im Freistaat Sachsen bei 4,6
                              15,6 Prozent (Statistisches Landesamt Baden-Württemberg                                  Prozent (Der Sächsische Ausländerbeauftragte o. J.a).
                              2019). Das Sozialministerium bezeichnet das Bundesland                                   Besonders in den Landkreisen ist er mit Werten zwischen
                              als „das Flächenland mit dem höchsten Migrantenanteil“                                   1,9 Prozent und vier Prozent besonders niedrig. Die Asyl-
                              (Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württem-                                 zuwanderung der vergangenen Jahre sorgte in ländlichen
                              berg o. J.a).                                                                            Landkreisen teilweise zu einer Verdoppelung der bis dato
                                                                                                                       geringeren Zahlen.
                              Landespolitische Ausgaben für Integration lagen be‑
                              reits 2014 laut Vielfaltsmonitor über dem Bundesdurch-                                   Bis 2014 war der Anteil der Landesausgaben für integra-
                              schnitt. In 2015 erhöhten sie sich noch einmal deutlich auf                              tionspolitische Maßnahmen vergleichsweise gering. Diese
                              770,4 Millionen Euro: Sie machten 1,75 Prozent des Lan-                                  vervielfachten sich in 2015 jedoch auf 222 Millionen Euro.
                              deshaushaltes aus. Der Bundesdurchschnitt lag bei 0,98                                   Sie machten 1,29 Prozent des Landeshaushaltes aus und
                              Prozent (Bartig et al. 2017: 46). Hiermit besitzen Sachsen                               lagen somit über dem Bundesdurchschnitt von 0,98 Pro-
                              und Baden-Württemberg die höchsten relativen Ausgaben                                    zent. Hiermit besitzen Sachsen und Baden-Württemberg
                              zum Jahreshaushalt des Landes. Wie in Sachsen auch,                                      die höchsten relativen Ausgaben zum Jahreshaushalt des
                              besteht für anerkannte Geflüchtete eine landkreisweite                                   Landes (Bartig et al. 2017: 267; Damm 2019: 7f.). Ebenso
                              Wohnsitzauflage.                                                                         wie in Baden-Württemberg besteht eine landkreisweite
                                                                                                                       Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete in Sachsen.

    zentrale                  2015 wurde Integration in dem Partizipations- und                                        Grundlage der sächsischen Integrationspolitik bildet das
    Maßnahmen                 Integrationsgesetz des Landes Baden-Württemberg ver-                                     Zuwanderungs- und Integrationskonzept II (ZIK II)
    Integrations‑             ankert. Außerdem schlossen am 27.4.2017 das Land und                                     von 2018, das wiederum an das ZIK I aus 2012 anknüpft.
    förderung                 die kommunalen Landesverbände einen Pakt für Integra-                                    Zentrales Instrument für die kommunale Ebene der säch‑
                              tion. Kernstück des Pakts ist das Integrationsmanagement,                                sischen Integrationspolitik ist die Förderrichtlinie „Inte‑
                              das eine flächendeckende soziale Beratung und Begleitung                                 grative Maßnahmen“. Sie wurde am 13.8.2015 einge-
                              in der Anschlussunterbringung gewährleisten soll. Nach ei-                               führt und seither mehrfach angepasst. Die aktuell gültige
                              ner zunächst zweijährigen Laufzeit wurde der Pakt erst bis                               Fassung ist vom 20.3.2020. Sie beinhaltet verschiedene
                              Ende 2019, dann bis 2020/2021 verlängert. Der Pakt für                                   Fördermaßnahmen, die soziale Integration und Partizipa‑
                              Integration umfasst neben dem Integrationsmanagement                                     tion von Menschen mit Migrationshintergrund sowie den
                              weitere landespolitische Maßnahmen zur Sprachförderung,                                  gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern sollen. Das Lan‑
                              zur Unterstützung von jungen Geflüchteten beim Über-                                     dessprachprogramm ist Teil dieser Richtlinie, ebenso wie
                              gang von der Schule in den Beruf sowie zur Förderung des                                 kommunale Unterstützungsformate, z. B. Finanzierung für
                              gesamtgesellschaftlichen Dialogs.                                                        Kommunale Integrationskoordinator_innen (KIK). Des Wei‑
                                                                                                                       teren wird mit der „Richtlinie Soziale Betreuung Flüchtlin‑
                                                                                                                       ge“ die Flüchtlingssozialarbeit in den Kommunen gefördert.

 * Gründe hierfür können in der Berechnungsmethode des Ländlichkeits-Index begründet sein, beispielsweise dem Anteil der Ein- und Zweifamilienhäuser, der in Ostdeutschland historisch bedingt deutlich
 geringer ausfällt, „denn hier wurden in der DDR-Zeit industriell errichtete Geschosswohnungen bis in kleine Dörfer gebaut, sodass diese ländlichen Räume partiell von urbanen Elementen überprägt wurden“
 (Küpper 2016: 26).
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG    – Wirtschafts- und Sozialpolitik                                                                     16

Landessprachförderung in Baden-Württemberg                     vor Ort im Zusammenhang stehen. Unter dem Titel „VwV
                                                               Integrationsbeauftragte“ fördert das Land kommunale
Seit 2015 stellt das Land Baden-Württemberg über das Lan‑      Integrationsbeauftragte in Landkreisen, Städten und Ge‑
desförderprogramm „Verwaltungsvorschrift/VwV Deutsch           meinden (SozM BW 2019). Die Integrationsbeauftragten
für Flüchtlinge“ den Stadt- und Landkreisen Gelder für         sollen insbesondere als zentrale Koordinierungsstelle für
Deutschkurse für Geflüchtete zur Verfügung. Zum 1.1.2019       institutionelle Akteure wirken, einen kommunalen Integra‑
löste die Neufassung „VwV Deutsch“ das vorherige Sprach‑       tionsplan sowie ein Integrationsnetzwerk aufbauen und
förderprogramm ab (Ministerium für Soziales und Integra‑       weiterentwickeln und zudem in den zuständigen Gremien
tion Baden-Württemberg o. J.b). Das Förderprogramm             der Kommune informieren. Die Stellen werden jährlich
wird durch das Sozialministerium aus dem Landeshaushalt        über die Landeskreditbank Baden-Württemberg gefördert.
und dem „Pakt für Integration“ gefördert. Den „Pakt für        Im April 2019 berichtete die Landesregierung, dass das
Integration“ schlossen das Land und die kommunalen Lan‑        Förderprogramm verstetigt wurde und Kommunale Integra‑
desverbände am 27.4.2017, um die Kommunen mit Blick            tionsbeauftragte flächendeckend und dauerhaft in allen
auf die Flüchtlingszugänge zu unterstützen. Nach einer zu‑     Kommunen des Landes unterstützt werden können (Ba‑
nächst zweijährigen Laufzeit wurde der Pakt erst bis 2019,     den-Württemberg o. J.). Zu diesem Zeitpunkt wurden rund
dann bis 2020/21 verlängert (RP BW 2020).                      220 Kommunale Integrationsbeauftrage gefördert.
    Die „VwV Deutsch“-Kurse orientieren sich an den Sprach‑        Darüber hinaus fördert das Land Baden-Württemberg
kursen des BAMF und richten sich an Zugewanderte, die          als Kernstück des „Pakts für Integration“ das Integrations-
keinen oder noch keinen Zugang zu den BAMF-Kursen ha‑          management (VwV Integrationsmanagement), das eine
ben (SozM BW 2018). Das Ziel ist ein aufeinander aufbau‑       flächendeckende soziale Beratung und Begleitung Geflüch‑
endes Sprachkurskonzept, dessen Kurse jeweils mit einem        teter in Anschlussunterbringungen gewährleisten soll (RP
zertifizierten Abschlusstest abschließen. Die Steuerung        BW 2020). 2017/2018 wurden rund 1.200 Integrationsma-
der Kurse und die Auswahl der Kursteilnehmenden liegt in       nager_innen gefördert.
der Verantwortung der Stadt- und Landkreise. Es können
entweder ganze Kurse eingerichtet werden oder auch die         Landessprachförderung in Sachsen
Teilnahme einzelner Teilnehmenden an regulären BAMF-In‑
tegrationskursen gefördert werden.                             Seit August 2016 finden im Freistaat Sachsen Landes-
    Zu den Regelformaten der „VwV Deutsch“ zählen Alpha‑       sprachkurse als Teil 4 der „Richtlinie Integrative Maßnah‑
betisierungskurse mit 600 UE, Grundkurse von 300 UE            men“ statt. Die „Richtlinie Integrative Maßnahmen“
sowie Aufbaukurse mit allgemeiner bzw. berufsbezogener         befindet sich im Verantwortungsbereich des Sächsischen
Ausrichtung von je 300 bzw. 400 UE. Die Alphabetisie-          Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen
rungs- und Grundkurse sollen zum Zielniveau A1 bzw. A2         Zusammenhalt (SMS). Die Sächsische Aufbaubank (SAB)
führen, die Aufbaukurse zum nächsthöheren Sprachni‑            wickelt die Förderung und administrative Betreuung ab.
veau des GER von A2 bis C1. Seit 2019 können neben den         Anders als in Baden-Württemberg obliegt in Sachsen die
Regelformaten auch spezifische Kursformate angeboten           Steuerung der Kurse nicht den Kommunen. Stattdessen
werden. Dazu zählen Eltern- und Frauen-Teilzeitkurse mit       sind die Kursträger die direkten Zuwendungsempfänger,
Kinderbetreuung, berufsbegleitende Teilzeit-Sprachkurse        die bereits vom Bundesamt als Integrationskursträger
für Erwerbstätige, Intensivsprachkurse vor Ausbildungs‑        zugelassen wurden. Im Jahr 2018 wurden im Landeshaus-
beginn in den Sommerferien sowie Deutschkurse beglei‑          halt 6,5 Millionen Euro „für Maßnahmen für Spracherwerb
tend zu einer Einstiegsqualifizierung.                         und zur Verständigung“ berechnet und auch weitere
    In den ersten drei Förderperioden 2015/16, 2016/17         Mittel 2019 zur Verfügung gestellt.6
und 2017/18 nahmen im gesamten Bundesland jeweils                  Wie in Baden-Württemberg orientieren sich die Deutsch‑
zwischen 33 und 38 Kreisen teil, und es wurden zusam‑          kurse in ihrer Ausgestaltung der „Richtlinie Integrative
men rund 13.400 Teilnehmende gefördert. 5 Dafür waren          Maßnahmen“ an den Sprachkursen des BAMF. Es können
im Haushalt je Förderperiode zwischen 4,65 Millionen und       entweder ganze Kurse eingerichtet oder auch die Teil‑
6,2 Millionen Euro eingestellt. Davon wurden letztlich         nahme einzelner Teilnehmenden an regulären BAMF-Inte‑
jeweils zwischen 2 und 3 Millionen Euro je Förderperiode       grationskursen gefördert werden.7 Dabei wird das Pro‑
ausgezahlt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lagen für       gramm als nachrangig zu bundesgeförderten Sprachkursen
die zwei darauffolgenden Förderperioden 2018/19 und            gesehen und richtet sich an Zugewanderte, die keinen
2019/20 noch keine ausführlichen Teilnehmerzahlen vor.         oder noch keinen Zugang zu den BAMF-Kursen haben.
Die Anzahl der teilnehmenden Kreise, das vorgesehene
Budget im Haushalt sowie das bewilligte Budget befand
                                                               6 Siehe Drs. 6/18368, Antwort der Staatsregierung auf die Kleine
sich jedoch in einer ähnlichen Größenordnung wie in den        Anfrage der Abgeordneten Petra Zais (B90/Die Grünen) sowie Haus-
vorherigen Förderperioden.                                     halts- und Vermögensrechnung des Freistaates Sachsen (https://www.
    Neben dem Sprachförderprogramm werden vom Land             finanzen.sachsen.de/download/HaushaltsundVermoegensrechnung-
Baden-Württemberg weitere integrationsunterstützende           2018Band.pdf, 9.5.2020). Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Studie
                                                               lagen keine Daten zu den tatsächlich bewilligten Mitteln des Gesamt-
Maßnahmen gefördert, die mit der Sprachkursumsetzung           jahres 2019 vor.
                                                               7 Ausnahmen gelten für Asylbewerber_innen aus sicheren Herkunfts-
5 Daten auf Anfrage beim Sozialministerium Baden-Württemberg   ländern (§ 29a AsylG), die nach dem 1.8.2019 eingereist sind, sowie
(SozM) am 21.4.2020.                                           Personen mit einer Duldung gemäß § 60a Abs.6 AufenthG.
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