DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND - Handlungsempfehlungen für die Sprachförderung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland 07/ 2020 - Bibliothek ...
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07/ 2020 Jana Scheible, Hanne Schneider DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND D I S K U R S Handlungsempfehlungen für die Sprachförderung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland
WISO DISKURS 07/ 2020 Die Friedrich-Ebert-Stiftung Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wurde 1925 gegründet und ist die traditionsreichste politische Stiftung Deutschlands. Dem Vermächtnis ihres Namensgebers ist sie bis heute verpflichtet und setzt sich für die Grundwerte der Sozialen Demokratie ein: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Ideell ist sie der Sozialdemokratie und den freien Gewerk‑ schaften verbunden. Die FES fördert die Soziale Demokratie vor allem durch: – politische Bildungsarbeit zur Stärkung der Zivilgesellschaft; – Politikberatung; – internationale Zusammenarbeit mit Auslandsbüros in über 100 Ländern; – Begabtenförderung; – das kollektive Gedächtnis der Sozialen Demokratie mit u. a. Archiv und Bibliothek. Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung Die Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik verknüpft Analyse und Diskussion an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit, um Antworten auf aktuelle und grundsätzliche Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu geben. Wir bieten wirtschafts- und sozialpolitische Analysen und entwickeln Konzepte, die in einem von uns organisierten Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Praxis und Öffentlichkeit vermittelt werden. WISO Diskurs WISO Diskurse sind ausführlichere Expertisen und Studien, die Themen und politische Fragestellungen wissenschaftlich durchleuchten, fundierte politische Handlungsempfehlungen enthalten und einen Beitrag zur wissenschaftlich basierten Politikberatung leisten. Über die Autorinnen Jana Scheible, Soziologin und Sozialforscherin (M.Sc.), ist freie Wissenschaftlerin und Programmkoordinatorin im Bereich Dialog und Forschung des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart und war bis 2018 wissenschaftliche Mitarbeite‑ rin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Hanne Schneider, Migrationswissenschaftlerin (M.A.), ist seit 2018 wissen‑ schaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Humangeographie mit dem Schwerpunkt Europäische Migrationsforschung an der Technischen Universität Chemnitz. Die Studie gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Autorinnen wieder. Für diese Publikation ist in der FES verantwortlich Susan Javad, Leiterin des Arbeitskreises Migration und Integration, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik, Friedrich-Ebert-Stiftung.
07/ 2020 WISO DISKURS Jana Scheible, Hanne Schneider DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND Handlungsempfehlungen für die Sprachförderung von Migrantinnen und Migranten in Deutschland 4 VORWORT 6 ZUSAMMENFASSUNG 8 1 EINLEITUNG 10 2 STUDIENDESIGN 12 3 RAHMENBEDINGUNGEN 12 3.1 Ländliche Regionen als Räume der Integration 13 3.2 Gesamtprogramm Sprache der Bundesregierung 13 Integrationskurse 14 Berufsbezogene Deutschsprachförderung 14 Qualitätsdebatten und Evaluationen der bundesgeförderten Deutschkurse 14 3.3 Landesgeförderte Sprachprogramme 16 Landessprachförderung in Baden-Württemberg 16 Landessprachförderung in Sachsen 17 3.4 Rolle der Kommunen vor Ort im Kontext von bundes- und landesgeförderten Sprachkursen 20 4 ZENTRALE HANDLUNGSFELDER UND GELINGENSBEDINGUNGEN 20 4.1 Kursangebot und Förderregularien 20 Eingeschränktes Kursangebot 20 Geringe Kurs- und Trägervielfalt 21 Geringere Flexibilität von Kursträgern 21 Abwandern von Teilnehmenden erschwert Planbarkeit 21 Kursabbrüche 21 Neufestlegung der Mindestvergütung je Modul 22 Administrativer Aufwand – Fahrtkostenregelung 22 Herausforderung Lehrkräftebedarf in ländlichen Räumen 22 Landessprachprogramme bieten Vorteile und Risiken 23 Wunsch nach Flexibilisierung – kleinere Gruppen ermöglichen 24 Mindestvergütung an tatsächliche Bedarfe anpassen 24 Teilnehmendenorientierung durch flexiblere Kursgestaltung und Stundenkontingente >
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG –W irtschafts- und Sozialpolitik 2 > 24 Lösung für Neufestlegung von Mindestvergütung finden 25 Niederschwellige Sprachkurse – Erstorientierungskurse „Leben in Deutschland“ weiterdenken 25 Bedingungen für Dozierende in ländlichen Räumen verbessern 25 Potenziale digitaler Formate stärker nutzen 26 Innovative und informelle Sprachförderkonzepte für ländliche Räume 26 4.2 Zielgruppen und besondere Bedarfe 27 Frauen mit Kinderbetreuungsbedarfen: Mangel an Kinderbetreuung in Kursortnähe 27 Kommunale Kinderbetreuung ausbauen – Öffnungszeiten erweitern 27 Kursbegleitende Kinderbetreuung stärker kommunal einbetten 28 Berufstätige und Auszubildende: Berufsbegleitende Teilzeitkurse ermöglichen 28 Angebote für Schichtarbeitende schaffen 29 Digitales Lernen am Abend statt Busfahrt – auch für Berufstätige 29 Kurse für Jugendliche und Auszubildende 29 4.3 Koordinierung von Sprachkursangeboten 29 Doppelstrukturen innerhalb des Bundesprogramms abbauen 30 Mehrwert durch Zusammenwirken von Landes- und Bundesprogrammen 30 Sprachangebot ist für alle Zugewanderten sinnvoll 31 Wenig Teilnehmende, weite Wege: Koordinierung unerlässlich 31 Kommunale Koordination als Vermittler und Netzwerker stärken 32 Teilnehmendenakquise: Zwischen Kooperation unter Kursträgern und Zusteuerung durch das BAMF 33 Kommunale Expertise stärker in Weiterentwicklung einbeziehen 34 4.4 Mobilität und Infrastruktur als Querschnittsherausforderung 34 Neue Bedarfe im ÖPNV – Erreichbarkeit zu Kurszeiten nicht immer möglich 34 Lange Fahrtzeiten und wenig Ausweichmöglichkeiten 35 ÖPNV-Erreichbarkeit oft nur zu Schulzeiten 35 Erreichbarkeitshürden auch für Beratungsangebote 35 Hürden durch Fahrtkosten 35 Der Härtefall als Regelfall: Einzelanträge für Fahrtkosten abbauen 36 Mit lokaler Expertise und Digitalisierung der Mobilitätsproblematik begegnen 37 5 FAZIT UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN 40 Anhang 41 Abkürzungsverzeichnis 41 Literaturverzeichnis
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FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 4 VORWORT Ohne ausreichend gute Deutschkenntnisse sind die Mög‑ Insgesamt, das sei an dieser Stelle klar gesagt, ist unter lichkeiten in unserer Gesellschaft begrenzt. Und was schwierigen Bedingungen viel Positives erreicht worden ausreichend gut bedeutet, ist dabei in hohem Maße vom und viele der Kursteilnehmenden sind am Ende tatsächlich jeweiligen Bezugsrahmen abhängig. So gibt es die Um‑ mit den Deutschkenntnissen aus den Kursen entlassen gangssprache, die Schriftsprache, das Behördendeutsch worden, die ihnen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt und und je nach Themenfeld eine Vielzahl an Varianten von ein eigenständiges Leben in Deutschland möglich ge‑ fachsprachlichem Deutsch, das Wörter beinhaltet, die weit‑ macht haben. Das ist das Verdienst vieler engagierter Lehr‑ ab von der alltäglich gesprochenen Sprache sind. kräfte, aber auch der beauftragenden, verwaltenden und Wie zentral Sprache für Verständigung ist, zeigt sich kontrollierenden Behörde, des Bundesamts für Migration meist dann, wenn wir uns in einem Kontext bewegen, und Flüchtlinge. in dem wir die vorherrschende Sprache nicht oder eben Gleichzeitig brachen jedoch auch viele der Kursteilneh- nicht ausreichend gut beherrschen. Schnell kommen menden ihre Integrationskurse ab, und rund die Hälfte wir hier an unsere Grenzen. der Kandidat_innen für den abschließenden Test erreichte Die meisten der nach Deutschland einwandernden Men‑ das eigentlich angestrebte Sprachniveau nicht. Vor die‑ schen bringen keine oder nur rudimentäre Deutschkennt- sem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass die Integrations- nisse mit. Das gilt vor allem für diejenigen, die aus ihrer Hei‑ kurse derzeit evaluiert werden, denn sicherlich besteht mat flüchten mussten. Für die Mehrheit von ihnen ist die noch Veränderungs- und Verbesserungsspielraum, den es Teilnahme an einem Integrationskurs mittlerweile verpflich‑ auszuschöpfen gilt. Die Ergebnisse dieser Evaluation wer‑ tend. Dieser soll ihnen die Sprachkenntnisse vermitteln, den für 2022 erwartet. die sie für die eigenständige und eigenverantwortliche Ge‑ Die hier nun vorliegende Studie möchte einen zusätzli‑ staltung ihres Lebens in der Bundesrepublik benötigen. chen, unabhängigen Beitrag zu diesem Evaluationspro‑ Ergänzt werden die Integrationskurse durch berufsbezo‑ zess der Integrationskurse leisten. Der Fokus liegt dabei gene Sprachkursangebote. Gemeinsam bilden diese bei‑ auf der Umsetzung der Kurse in den ländlichen Regionen den Komponenten das „Gesamtprogramm Sprache“, das Deutschlands. seit 2016 in dieser Form besteht und als einer der zen‑ Mit hohem persönlichem Engagement haben die beiden tralen Bausteine der bundespolitisch verantworteten Inte‑ Autorinnen eine Studie zusammengestellt, die einen qua‑ grationspolitik gewertet werden kann. litativ basierten, detaillierten Einblick in die Herausforde- Eben weil diese Sprachkursangebote so wichtig dafür rungen für die Deutschsprachförderung in ländlichen Regio‑ sind, Neuankommenden in Deutschland Orientierung zu nen gibt. Dabei standen die durch Bundesmittel geför‑ geben – sprachlich wie auch landeskundlich1 –, stehen sie derten bzw. finanzierten Kursangebote im Zentrum der immer wieder im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit, aber auch Landesprogramme wurden am Insbesondere in den vergangenen Jahren, in denen inner‑ Beispiel der Bundesländer Sachsen und Baden-Württem- halb eines relativ kurzen Zeitraums über eine Million Men‑ berg in die Betrachtung miteinbezogen. schen nach Deutschland geflüchtet sind, waren die Kurs‑ Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang angebote einem enormen Druck ausgesetzt. So mussten den Teilnehmer_innen der Fokusgruppengespräche, die im die Kapazitäten in kurzer Zeit stark ausgebaut werden, und Kontext der Studienerstellung in Stuttgart und Dresden neue Zielgruppen mit teilweise vielschichtigen Problem‑ stattgefunden haben, und ebenso den zahlreichen Inter‑ lagen kamen in die Kurse. viewpartner_innen, die ihr Wissen geteilt haben. Basierend auf diesen, oft sehr praxisnahen Einblicken 1 Inwiefern dies gelingt, kann und muss wahrscheinlich auch kritisch und deren systematischer Auswertung haben die Auto‑ diskutiert werden (vgl. Thränhardt 2020). rinnen Handlungsempfehlungen entwickelt. Diese sind
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND WISO DISKURS 5 übersichtlich und knapp im abschließenden Kapitel der Stu‑ die zusammengefasst. Sie bieten politisch und administra‑ tiv Verantwortlichen im Themenfeld der Deutschsprachför- derung viele konkrete Anhaltspunkte, wie die Erfolge der Kurse gesteigert werden können. Die Studie zeigt deutlich: Viele der Problemlagen, die hier identifiziert werden, gelten weit über den Teilneh‑ mendenkreis der Deutschsprachförderung hinaus. Mobili‑ tät und Erreichbarkeit sind hier Stichwörter, aber auch die Fachkräfteverfügbarkeit jenseits der städtischen Zentren. Hier politische Antworten zu finden wäre nicht nur von Vorteil für die Zielgruppe der Deutschkursteilnehmenden, sondern für alle Menschen, die im ländlichen Raum leben und hier auch bleiben wollen. SUSAN JAVAD Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik Friedrich-Ebert-Stiftung
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 6 ZUSAMMENFASSUNG Seit der erhöhten Fluchtzuwanderung um das Jahr 2015 lichen Regionen. Im Fokus der Studie standen die vier wurde die Diskussion um Deutschsprachförderung Handlungsfelder Kursangebot, besondere Zielgruppen, von Zugewanderten neu belebt. Im Zuge der verstärkten die Bund-Land-Kommune-Koordination sowie Mobilität. Aufnahme von Geflüchteten in ländlichen Regionen Deutschlands rückte auch die Frage der Integration in Kursangebot und Förderregularien ländlichen Räumen stärker in den gesellschaftspoliti‑ Wesentliches Merkmal ländlicher Regionen ist ein einge‑ schen wie auch akademischen Fokus. Speziell in Bezug schränktes Kursangebot. Bedingt durch geringere Teil‑ auf Sprachförderung in ländlichen Regionen gibt es nehmendenzahlen dauert es vielfach sehr lange, bis Kurse bis dato allerdings wenig wissenschaftliche Erkenntnisse, zustandekommen. Der zentrale Ansatzpunkt wurde hier während es durchaus Hinweise darauf gibt, dass die in der Herabsetzung der Mindestteilnehmendenzahl gese‑ strukturellen Bedingungen ländlicher Regionen beson‑ hen. Eine weitere Herausforderung stellt die Lehrkräfte‑ dere Herausforderungen für die Sprachförderung mit situation dar. In diesem Kontext wurde ein Anreizsystem sich bringen. für Lehrkräfte in ländlichen Räumen als Ausgleich für lan‑ Diese Studie soll einen Beitrag dazu leisten, diese For‑ ge Fahrzeiten diskutiert. schungslücke zu schließen, indem Herausforderungen der Deutschsprachförderung in ländlichen Räumen iden‑ Bedarfe besonderer Zielgruppen tifiziert und Handlungsempfehlungen abgeleitet wer‑ Spezialkurse für besondere Zielgruppen werden in ländli‑ den. Dabei liegt der Fokus auf dem Gesamtprogramm chen Regionen kaum angeboten. Große Herausforderun- Sprache der Bundesregierung, das heißt den Integrations- gen bestehen in Bezug auf Frauen mit Kinderbetreuungs- kursen und der berufsbezogenen Deutschsprachförde- bedarfen und Berufstätige. Für diese Gruppen müssen rung (DeuFöV). Im Sinne eines ganzheitlichen Blicks auf dringend Angebote geschaffen werden, die es ermögli‑ die Deutschsprachförderung vor Ort werden auch er‑ chen, mit größerer Flexibilität auf Kinderbetreuungsbedar- gänzende Sprachförderprogramme, insbesondere der fe, Arbeitszeiten, Fahrtwege und zeitliche Kapazitäten Länder, in den Blick genommen. Exemplarisch werden der Teilnehmenden einzugehen. Kursortnahe Kinderbe- Baden-Württemberg und Sachsen untersucht. Beide treuung muss flächendeckend bereitgestellt werden. Bundesländer setzten in den vergangenen Jahren eigene Sprachförderprogramme auf, die sich an Personen rich‑ Koordination zwischen Bund, Ländern und ten, die rechtlich oder faktisch keinen Zugang zu den Kommunen bundesgeförderten Sprachkursen haben. In diesem Kon‑ Befragte sprechen von einem „Förderdschungel“ in der text entstanden auch in den Kommunen teilweise neue Deutschsprachförderung. Doppelstrukturen in Bezug auf Koordinierungsstrukturen, wie etwa die vom Land geför‑ die bundesgeförderten Sprachkursprogramme sollten derten Integrationsbeauftragten in Baden-Württemberg abgebaut und Förderbestimmungen harmonisiert werden. oder die Kommunalen Integrationskoordinator_innen (KIK) Zudem könnte die Öffnung der Bundessprachkurse für alle in Sachsen zeigen. Zugewanderten die Sprachförderung weiter entbürokrati- Auf Basis von Telefon- und Fokusgruppengesprächen sieren. Dies würde besonders kleine Sprachkursträger, die mit kommunalen Koordinierungsstellen, Kursträgern in ländlichen Regionen überwiegen, entlasten. Kommu‑ sowie Personen aus der Migrations- und Sozialberatung nalen Koordinierungsstellen kommt bei der bedarfsgerech- konnte die Studie praxisnahe Einblicke gewinnen. Trotz ten Umsetzung vor Ort eine zentrale Schnittstellenfunktion regionaler Unterschiede zeigten sich überwiegend Ge‑ zu. Sie sollten daher langfristig im Weiterentwicklungs‑ meinsamkeiten in Bezug auf die Herausforderungen und prozess des Gesamtprogramms Sprache mitgedacht Lösungsansätze von Deutschsprachförderung in länd‑ und einbezogen werden.
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND WISO DISKURS 7 Mobilität Lange Wege und die Abhängigkeit von öffentlichen Ver‑ kehrsmitteln stellen große Hindernisse in ländlichen Re‑ gionen dar. In den Kommunen sollten daher zielgruppen- gerechte Lösungen im öffentlichen Nahverkehr in den Blick genommen werden. Darüber hinaus kann auf Sprach‑ kursseite eine Erleichterung der Fahrtkostenregelung in ländlichen Räumen neue Ressourcen freisetzen. Diese können z. B. in die Entwicklung und Umsetzung digitaler Formate investiert werden, um eingeschränkte Mobilität auszugleichen.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 8 1 EINLEITUNG Seit nunmehr 15 Jahren werden Integrationskurse für Zuge‑ in kleinen Kommunen hingewiesen (Bundesregierung 2008: wanderte durch den Bund finanziert. Sie stellen seit 2005 218). Als Herausforderung wurde u. a. die „bedarfsgerech- einen zentralen Teil der Integrationsförderung dar, die in te Zusammensetzung der Kursgruppe“, z. B. für Spezial‑ ganz Deutschland verschiedene Gruppen von Migrant_in- kurse, benannt, die sich aus geringen Teilnehmendenzah- nen adressiert. Sie sollen ihre Wirkung in allen Bundeslän‑ len ergeben. Auch das Bundesamt für Migration und dern und Regionen entfalten – egal ob in großstädtischen Flüchtlinge (BAMF), welches die Ausgestaltung der Inte‑ Regionen oder in ländlichen Gebieten. Letztere nimmt die grationskurse und berufsbezogenen Deutschförderung vorliegende Studie in den Blick. gestaltet, schuf inzwischen Sonderregelungen für länd‑ Das Kurssystem des Bundes unterliegt seit seiner Einfüh‑ liche Regionen, um die dortige Durchführung von Kursen rung einer stetigen Umgestaltung, Ausweitung und Ver‑ mit einer kleineren Teilnehmendenzahl im Vergleich zu änderung in Inhalt, Form und Zielgruppenfokussierung. urbanen Gebieten zu erleichtern. Trotz vielfacher Anpas‑ 2016 wurden die Kurse der berufsbezogenen Sprachförde- sungen des Sprachkurssystems bestehen bis heute viele rung (DeuFöV) als weiteres Regelinstrument der Sprach‑ Herausforderungen. Seither befassten sich verschiedene förderung des Bundes eingeführt, welches zuvor aus dem Forschungs- und Praxisvorhaben mit Integration in länd‑ Europäischen Strukturfonds gefördert wurde (ESF-BAMF- lichen Regionen – keine jedoch umfassend mit dem Programm). Zusammen bilden die Integrations- und Berufs‑ Gesamtprogramm Sprache. sprachkurse das Gesamtprogramm Sprache des Bundes. Die vorliegende Studie bringt daher bisherige wissen‑ Der deutliche Anstieg der Fluchtmigration um das Jahr schaftliche Erkenntnisse mit Erfahrungswissen von Prak‑ 2015 und die damit veränderte Zuwanderungsstruktur tiker_innen aus ländlichen Regionen zusammen. Ziel ist es, stellten neue Herausforderungen für die Sprachkurse dar. Handlungsempfehlungen für die Ausgestaltung der Kur‑ Auch wenn der Anteil von Migrant_innen in Großstädten se zu entwickeln, aber auch Anregungen für die Zusam‑ weiterhin größer ausfällt als in ländlichen Regionen, stieg menarbeit zwischen Kommunen, Ländern und dem Bund der Anteil von Migrant_innen mit Deutschlernbedarf auch zu geben. Es werden daher auch strukturelle Rahmen‑ in kleinen und mittleren Kommunen in ländlichen Regio‑ bedingungen wie Mobilität und Anbindung an öffentliche nen deutlich an (BIB 2016). Somit wurde die Frage der Um‑ Verkehrsmittel, Angebote der Kinderbetreuung und sozial‑ setzung von Integrationsmaßnahmen auch in ländlichen pädagogischen Beratung (u. a. Migrationsberatung, Ju‑ Gegenden zu einer dringlichen Aufgabe. Viele kleinere gendmigrationsdienste) in den Blick genommen. Des Wei‑ Kommunen verfügen über weniger hauptamtliche Integra‑ teren werden Koordinationsformate in den Kommunen tionsbeauftragte, weniger differenzierte Integrationsabtei- und bei den Kursträgern beleuchtet. lungen oder -konzepte. Allerdings variieren diese Struk‑ Exemplarisch wurden für diese Studie zwei Bundeslän‑ turen von Kommune zu Kommune und zwischen den der untersucht: Baden-Württemberg und Sachsen. Diese Bundesländern stark (vgl. Ritgen 2018; Rösch/Schneider bieten migrationshistorisch, politisch, aber auch geogra‑ 2019; Schammann et al. 2020). Besonders der Spracher- fisch zwei kontrastierende Beispiele und können so die werb gewann in Klein- und Mittelstädten sowie Landkrei‑ Heterogenität und vielfältigen Herausforderungen ländli‑ sen an Bedeutung, wie Befragungen von Kommunen cher Kommunen verdeutlichen. Die Gegenüberstellung zeigen (Gesemann/Roth 2016). beider Bundesländer ist überdies sinnvoll, da beide in den Dass diese Herausforderungen nicht neu, aber nun prä‑ vergangenen Jahren im bundesweiten Vergleich in große senter im Fokus stehen, verdeutlicht auch ein Blick in den Landessprachprogramme investiert haben. Diese Landes‑ ersten Fortschrittsbericht des Nationalen Integrationsplans programme haben Baden-Württemberg und Sachsen der Bundesregierung: Bereits 2008 wurde darin auf die komplementär zum Bundesprogramm Sprache aufgebaut. Herausforderungen eines ausgewogenen Sprachangebotes Die beispielhafte Betrachtung mit einem begrenzten qua‑
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND 9 litativen Sampling darf selbstverständlich nicht als repräsen‑ tativ verstanden werden. Gleichwohl zeigen beide Bun‑ desländer ähnliche Herausforderungen auf, und die hier vorgelegten Praxiseinblicke in unterschiedliche kommu‑ nale Strategien können innovative Handlungsoptionen anregen. Im Folgenden werden die Rahmenbedingungen für das Sprachkursangebot in ländlichen Regionen skizziert. Anschließend werden die Ergebnisse der Gespräche mit Expert_innen aus Baden-Württemberg und Sachsen dargestellt. Aus diesen Erkenntnissen wurden Handlungs- empfehlungen formuliert, die den Schluss dieser Studie darstellen und zur Weiterentwicklung des Sprachförder- programms auf verschiedenen föderalen Ebenen an‑ regen sollen.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 10 2 STUDIENDESIGN Diese Studie basiert auf explorativen qualitativen Erkennt‑ Beide Bundesländer besitzen ein ausdifferenziertes Landes‑ nissen aus ländlichen Kommunen in Baden-Württem‑ sprachprogramm, die regionalen Voraussetzungen sind berg und Sachsen. Zwar kann die Studie keinen Anspruch jedoch unterschiedlich. Ziel – im Sinne der qualitativen Fall‑ auf Repräsentativität erheben, dafür liefert sie empirische auswahl – war es, die Heterogenität ländlicher Regionen Einblicke in die lokale Vor-Ort-Umsetzung der Deutsch- innerhalb der Studie abzubilden und gemeinsame Faktoren sprachförderung in ländlichen Regionen, was für die Frage‑ zu identifizieren (Kelle/Kluge 2010: 41–43). So wurde ver‑ stellung zentral ist. Die untersuchten ländlichen Kommu‑ sucht, auf Landkreis- sowie Gemeindeebene der Befragten nen wurden mithilfe der Klassifizierung des Thünen-Insti- den Grad der Ländlichkeit zu variieren sowie unterschied‑ tuts für ländliche Räume ausgewählt (siehe Infobox 1). liche Regionen der beiden Bundesländer auszuwählen. Das methodische Vorgehen beinhaltete mehrere Schrit‑ te (siehe Infobox 2). Neben einer umfangreichen Auswer‑ tung bisheriger Literatur erfolgten 15 leitfadengestütz‑ te Telefoninterviews mit lokalen Expert_innen, die in Infobox 1 Was sind „ländliche Regionen“? Protokollen dokumentiert wurden. Nach zusammenfassen- der Auswertung der wichtigsten Themenfelder der Tele‑ Ländliche Regionen werden aufgrund verschiedener Faktoren defi‑ foninterviews fanden im Januar und Februar 2020 zwei niert: In der Definition des Thünen-Instituts für ländliche Räume werden neben einer geringen Siedlungsdichte auch der Anteil der halbtägige Fokusgruppengespräche mit jeweils sie‑ land- und forstwirtschaftlichen Flächen, der Anteil der Ein- und ben Expert_innen in Stuttgart und Dresden statt, um die Zweifamilienhäuser, die Erreichbarkeit großer Zentren und das re‑ identifizierten Schwerpunktthemen kreisübergreifend zu gionale Bevölkerungspotenzial zu einem Wert berechnet (Küpper diskutieren (zur Methodik von Fokusgruppengesprächen 2016: 5). Wichtig ist dabei, dass Kommunen, das heißt Gemeinden und Landkreise, weniger oder stärker ländlich sein können. Eine siehe z. B. Benighaus/Benighaus 2012; Krueger/Casey einseitige Gegenüberstellung von „Stadt“ und „Land“ wird damit 2006). Darüber hinaus wurden bundeslandspezifische vermieden. So kann beispielsweise eine Kleinstadt in einer peri‑ Informationen zu den Kursformaten bei den zustän‑ pheren Lage ländlicher sein als eine Dorfgemeinde im direkten digen Landesministerien erfragt und ausgewertet. Umfeld einer Großstadt. Um die lokalen Besonderheiten in der Deutschsprach‑ Auch wenn umgangssprachlich oft angenommen wird, dass ländli‑ förderung zu betrachten, wurde der Schwerpunkt auf che Regionen wirtschaftlich schlechter gestellt seien als urbane Expert_innen vor Ort gelegt. Dabei wurden neben kommu‑ Regionen, gibt die Ausprägung der Ländlichkeit nicht direkt Aus‑ nalen Koordinierungsstellen für Bildungs- und Integra‑ kunft über die sozioökonomische Lage. Auch wenn Küpper (2016) zufolge Landkreise sozioökonomisch etwas schlechter dastehen tionsangebote auch Ansprechpartner_innen von Kurs‑ als Städte, gibt es einen großen Anteil an wirtschaftlich gutgestell‑ trägern befragt sowie Sozial- und Migrationsbera- ten ländlichen Landkreisen (Küpper 2016: 21). Der Disparitäten‑ tungsstellen einbezogen. Letztere waren insbesondere bericht der Friedrich-Ebert-Stiftung 2019 zeigt auf, dass ländlich von Relevanz, um Sichtweisen von Kursteilnehmenden geprägte Räume in Ostdeutschland allerdings besonderen Heraus‑ forderungen im strukturellen Wandel unterliegen, z. B. durch einzubringen. Unter den Gesprächspartner_innen der Kurs‑ geringere Einkommen. Ähnliches gilt für städtisch geprägte Re‑ träger waren zudem Personen vertreten, die selbst Erfah- gionen im Strukturwandel, wie z. B. das Ruhrgebiet (Fink et al. rung als Lehrkraft hatten. 2019: 10). Für die Studie wurde Wissen von Expert_innen aus Des Weiteren vermeidet die Publikation, über „den einen“ ländli‑ insgesamt 13 Landkreisen in Baden-Württemberg und chen Raum zu sprechen, sondern nutzt die Formulierung „länd‑ Sachsen einbezogen: In Sachsen waren das der Erzgebirgs- liche Räume“ im Plural, um auf die Heterogenität dieser großen kreis, Landkreis Bautzen, Landkreis Görlitz, Landkreis Nord‑ Fläche mit ihren verschiedenen Siedlungsformen, geografischen sachsen, Landkreis Mittelsachsen, Landkreis Sächsische und regionalen Besonderheiten zu verweisen. Schweiz-Osterzgebirge und Vogtlandkreis; in Baden-Würt‑
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND WISO DISKURS 11 Infobox 2 Methodisches Vorgehen insgesamt 15 leitfadenge- Diskussion von Hypothesen in Auswertung wissen- Auswertung und stützte Telefoninterviews 2 Fokusgruppen mit je 7 Per- schaftlicher Literatur Entwicklung von in Baden-Württemberg sonen in Baden-Württemberg und praxisnaher Studien Empfehlungen und Sachsen und Sachsen Quelle: eigene Darstellung. temberg der Landkreis Biberach, Hohenlohekreis, Land‑ kreis Heidenheim, Landkreis Reutlingen, Neckar-Odenwald‑ Kreis und Ortenaukreis. 2 Aufgrund der Komplexität der Thematik kann auch die‑ se Studie nur einen Teil des Themenfeldes empirisch ab‑ decken. Sie soll weiterführende Hinweise für umfangreiche Evaluationen geben, die auch die besonders geforderten ländlichen Räume mitbeachten. In die vorliegende Studie wurden die in der bestehenden Literatur und im Laufe des Forschungsprozesses identifizierten Themenbereiche vertieft betrachtet: das Kursangebot (Kapitel 4.1), Ziel‑ gruppen und besondere Bedarfe (Kapitel 4.2), Koordinie- rung Bund-Länder-Kommunen (Kapitel 4.3) sowie Mobili- tät (Kapitel 4.4). 2 Für eine Übersicht zur Verteilung der teilnehmenden Expert_innen an den Telefon- und Fokusgruppengesprächen siehe Anhang.
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 12 3 RAHMENBEDINGUNGEN Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Rahmenbedin- aufnahme wurde in den vergangenen Jahren durch poli‑ gungen für Deutschsprachkurse in ländlichen Regionen. tische Interessenvertretungen der Kommunen angetrieben, Zunächst führt Kapitel 3.1 in ländliche Kommunen als Orte aber auch von privaten Forschungsinstituten, die aufgrund von Integrationsprozessen ein. Im Anschluss wird das verfügbaren Wohnraums und Arbeitsplätzen eine verstärk‑ Gesamtprogramm Sprache (Kapitel 3.2) vorgestellt, dann te Ansiedlung von Geflüchteten empfahlen. Diese Diskurse werden die beiden Landessprachprogramme in Baden- beinhalteten zuweilen auch plakative Forderungen wie Württemberg und Sachsen dargelegt (Kapitel 3.2) und im „Familien aufs Land!“ (empirica 2015). Anschluss die Rolle der Kommunen in der Sprachförde‑ Medial und politisch wurde in diesem Zusammenhang rung ausgeführt (Kapitel 3.4). auch eine Angst um eine sogenannte Ghettoisierung der Großstädte geführt, an die sich eine Diskussion der Vertei‑ lung von Migrant_innen auf kleinere Kommunen anschloss. 3.1 LÄNDLICHE REGIONEN ALS RÄUME Während einige Kommunen öffentlichkeitswirksam die DER INTEGRATION weitere Zuteilung von Geflüchteten zu verhindern versuch‑ ten, wurden auch Beispiele von Bürgermeister_innen Ländliche Regionen erhalten im Kontext aktueller politischer kleinerer Kommunen bekannt, die die Ansiedlung von Ge‑ Fragestellungen zunehmende Aufmerksamkeit, beispiels‑ flüchteten zugunsten kommunaler Entwicklung nutzen weise in den Bereichen des infrastrukturellen Ausbaus, der wollten, etwa um den Folgen des demografischen Wandels Digitalisierung oder auch bezüglich demografischer He‑ entgegenzuwirken (Reimann 2016; Rosenfeld 2014; Watzke/ rausforderungen. Unter dem Stichwort der „Ländlichen Ent‑ Krone 2016). Gleichzeitig forderten die kommunalen Inte‑ wicklung“ wird versucht, Disparitäten zwischen eher ur‑ ressensverbände nachdrücklich, die Kommunen durch banen und eher ländlichen Regionen auszugleichen. Doch Bund und Länder stärker mit den Integrationsmaßnahmen nicht nur Defizite ländlicher Regionen finden Platz in die zu unterstützen. Der Deutsche Landkreistag resümiert in sen Debatten, sondern auch ihre Potenziale werden disku‑ einer Publikation, dass die Vielfalt an kommunalen Auf‑ tiert. 3 Insgesamt machen ländliche Regionen in Deutsch‑ gaben dazu führe, „dass gerade die kleinen Städte und land mit etwa 57 Prozent der Bevölkerung mehr als 90 Pro‑ Gemeinden mit dieser Aufgabe vielfach überfordert und zent der Fläche aus, so die Berechnungen des Thünen-Insti‑ auf Unterstützung und Koordinierung seitens der Land‑ tuts für ländliche Räume von 2016 (Küpper 2016: 27). kreise angewiesen sind“ (Ritgen 2018: 409). Insbesondere seit 2015 stieg der Anteil von Migrant_in‑ Auch das Thema Sprachförderung nimmt bei den politi‑ nen durch humanitäre Zuwanderung in den ländlichen schen Forderungen der Kommunalvertreter_innen einen Landkreisen deutlich an. 4 Das Themenfeld Integration in zentralen Platz ein: Beispielsweise sprach sich der Deutsche ländlichen Räumen stand selten so präsent im Fokus wie Landkreistag für eine Kompetenzverlagerung der Zustän‑ seither, auch wenn Migration in ländlichen Regionen stets digkeiten für bundesgeförderte Sprachförderung auf die vorhanden war (Boos-Krüger 2005: 416ff.). Die Diskus‑ Landkreise aus und verwies auf besondere Bedingungen, sion um die Rolle kleinerer Kommunen in der Geflüchteten‑ die für Integrationskurse in ländlichen Regionen gelten. Dazu zählten beispielsweise weniger potenzielle Kursteil‑ nehmende und ein kleineres Kursangebot. Er plädierte 3 Als Überblick in eine Reihe dieser Debattenstränge empfiehlt sich dabei für Modellprojekte der kommunalen Koordinierung die Ausgabe „Land und Ländlichkeit“ der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für politische Bildung (2016). und für eine Änderung der Integrationskursverordnung 4 Eigene Vergleiche von Daten des Ausländerzentralregisters laut hin zu einer Zuweisungs- und Zusteuerungskompetenz, mit Destatis 2018 sowie statistische Zusammenstellungen des Portals der die Kommunen die Teilnahme an Kursen stärker selbst Landatlas (www.landatlas.de). regeln können (Deutscher Landkreistag 2017: 1–2). Der
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND WISO DISKURS 13 Deutsche Städtetag hingegen wies nicht nur auf die aus sei‑ 3.2 GESAMTPROGRAMM SPRACHE DER ner Sicht unzureichende Finanzierung der Sprachförde‑ BUNDESREGIERUNG rung hin, sondern auch auf die wichtige Rolle kommunaler Volkshochschulen (Deutscher Städtetag 2016). Auch die Das Gesamtprogramm Sprache ist die gesetzlich verankerte Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft Landentwicklung stellte Sprachförderung der Bundesregierung für Zugewanderte in einem Strategiepapier die Potenziale von Migration für und umfasst die Integrationskurse und berufsbezogene ländliche Regionen in den Fokus, die dem Fachkräfteman- Deutschsprachförderung – kurz DeuFöV (BMAS 2019). Der gel positiv entgegenwirken könne. Der Spracherwerb und Integrationskurs soll Orientierung und Deutschkenntnisse die Qualifizierung seien jedoch „hierfür Voraussetzung und für den Alltag auf den Niveaus A1–B1 nach dem Europäi‑ müssen auch in ländlichen Regionen angeboten werden“ schen Referenzrahmen (GER) vermitteln. Die berufsbezo‑ (ARGE Landentwicklung 2016: 11). genen Deutschkurse bauen darauf auf und fokussieren auf Ebenfalls finden in der wissenschaftlichen Literatur Berufssprache und Qualifizierung auf den Niveaus B2–C2. ländliche Regionen in Bezug auf Integrationsforschung Während das Bundesinnenministerium (BMI) die Integrati‑ zunehmend Rezeption. Hier sind zunächst regionale onskurse bis Niveau B1 verantwortet, ist das Bundesar- Fallstudien zu nennen (Nadler et al. 2010; Roos 2016), die beitsministerium (BMAS) für die berufsbezogenen Deutsch‑ Sprache als zentrales Moment von Bleibe- und Abwan‑ kurse zuständig. Das Bundesamt für Migration und Flücht‑ derungsgründen von Zugewanderten in ländlichen Regio‑ linge (BAMF) setzt sowohl die Integrationskurse als auch nen identifizierten. Hervorzuheben ist auch das praxis‑ die DeuFöV-Kurse um. Die Durchführung vor Ort erfolgt nahe Forschungsprojekt der Schader-Stiftung, das bereits durch private und öffentliche Kursträger, die hierfür vom im Jahr 2011 Integrationsangebote für verschiedene Zu‑ BAMF zugelassen werden. wanderungsgruppen in den Blick nahm (Schader Stiftung 2011). Seit der hohen Flüchtlingszuwanderung um das Integrationskurse Jahr 2015 erschienen weitere praxisnahe Forschungspro- jekte in Kooperation mit Kommunen (Mann et al. 2018; Der Integrationskurs ist seit Inkrafttreten des Zuwande- Ohliger et al. 2017; Özer/Schwarze 2017), die Integrations- rungsgesetzes 2005 das zentrale Sprachförderprogramm maßnahmen in verschiedenen Landkreisen in Deutsch‑ der Bundesregierung (BAMF 2019a). Die rechtliche Grund‑ land mit dem Ziel untersuchten, ländliche Entwicklung zu lage für die Durchführung des Integrationskurses ist § 43ff. stärken. Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die Integrationskursverord- Darüber hinaus werden seit wenigen Jahren erste über‑ nung (IntV) und die Integrationskurstestverordnung (IntTestV). regionale und somit stärker vergleichende Forschungs‑ Der Integrationskurs besteht aus einem Sprachkurs (allge‑ projekte durchgeführt, wie das Verbundforschungsprojekt meiner Sprachkurs 600 Unterrichtseinheiten) und einem „Zukunft für Geflüchtete in ländlichen Regionen Deutsch‑ Orientierungskurs (gesellschaftspolitische Bildung, 100 Un‑ lands“, das im Rahmen des Bundesprogramms für Länd‑ terrichtseinheiten). Der Kurs wird auf Grundlage bundes‑ liche Entwicklung gefördert wird (2018–2021). Auch das einheitlicher Curricula durchgeführt und mit bundeseinheit‑ Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führte von lichen Abschlusstests beendet, dem Deutsch-Test für Zu‑ 2017 bis 2020 ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Inte‑ wanderer (DTZ) und dem Abschlusstest „Leben in Deutsch‑ gration von Geflüchteten in ländlichen Räumen“ durch land“. Neben dem allgemeinen Sprachkurs mit 600 Unter‑ (Rösch et al. 2020). Keine dieser Studien nimmt jedoch die richtseinheiten (UE), der auf Personen ohne spezielle Bedar‑ Sprachförderung explizit in den Blick. Speziell mit Integra‑ fe ausgerichtet ist, gibt es Spezialkurse mit bis zu 900 UE tionskursen in ländlichen Räumen beschäftigt sich das für Analphabet_innen, Zweitschriftlernende, Jugendliche, Ende 2019 veröffentlichte Positionspapier der Robert Bosch Eltern und Frauen, Teilnehmende mit Behinderungen sowie Stiftung, das auf Praxiserfahrungen aus ländlichen Kom‑ Teilnehmende an Förder- und Intensivkursen. Teilnehmen- munen basiert. Die Autor_innen plädieren insbesondere de haben die Möglichkeit, 300 UE zu wiederholen, sofern für eine stärkere Dezentralisierung der Kursstrukturen mit sie den Abschlusstest nicht erfolgreich bestanden haben. dem Ziel, Neuzugewanderte vor Ort zu binden (Ohliger/ Für die Integrationskurse veröffentlicht das BAMF quar‑ Schweiger 2019: 2–6). talsweise die Integrationskursgeschäftsstatistik (InGe). Zusammenfassend lässt sich bemerken, dass mit der Demnach wurde im Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr humanitären Zuwanderung der vergangenen Jahre die ein leichter Rückgang bei den Berechtigungen und neuen Sprachförderung und Integrationsmaßnahmen in länd‑ Teilnehmenden verzeichnet (BAMF 2020a). Der Großteil lichen Regionen neu diskutiert wurden. Somit wurde die der neuen Teilnehmenden besuchte 2019 bundesweit anhaltende sprachwissenschaftliche Debatte um die Quali‑ einen Allgemeinen Integrationskurs (74,7 Prozent). Am tät der Integrationskurse (vgl. hierzu Schroeder/Zakharova zweithäufigsten wurde der Alphabetisierungskurs besucht 2014) durch die Fluchtzuwanderung wiederbelebt und (16,4 Prozent). Nachdem der Anteil von Alphabetisierungs- um eine verstärkt kommunalpolitische Diskussion zum Inte‑ kursen seit 2015 stark gestiegen war, ist er nun wieder grationskurssystem ergänzt (siehe nachfolgende Kapitel rückläufig. Unter den Herkunftsländern der Teilnehmenden 3.3 und 3.4) liegt Syrien weiterhin auf Platz eins (14,2 Prozent). Auf dem zweiten Platz liegt mit Rumänien (7,0 Prozent) wieder ein EU-Mitgliedstaat. Der Anteil von EU-Bürger_innen (ohne Deutschland) unter den neuen Teilnehmenden steigt mit 26,6 Prozent weiter an. Auch der Frauenanteil erhöhte
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 14 sich weiter auf 58,8 Prozent. Im Vergleich der beiden Bun‑ für ist die Kritik an der Fahrtkostenerstattung in ländlichen desländer begannen 2019 in Baden-Württemberg 26.667 Räumen, die bereits 2012 im Bericht der Integrationsbeauf‑ neue Teilnehmende einen Integrationskurs (15,1 Prozent tragten der Bundesregierung Erwähnung fand: „Die Fahrt‑ der neuen Kursteilnehmenden bundesweit), in Sachsen kostenübernahme im Rahmen einer Kursteilnahme stellt waren es in Relation dazu mit 5.041 Teilnehmenden (2,9 gerade im ländlichen Raum ein wichtiges Kriterium in Be‑ Prozent) deutlich weniger. zug auf die Teilnahmebereitschaft dar, insbesondere für den Personenkreis der Erwerbstätigen mit niedrigem Ein‑ Berufsbezogene Deutschsprachförderung kommen“ (Bericht der Bundesbeauftragen 2012: 66). 2017 berücksichtigte auch das Bundesamt für Migration Die berufsbezogene Deutschsprachförderung (DeuFöV) ist und Flüchtlinge in den Kursregularien, dass in ländlichen seit dem 1.7.2016 Regelinstrument der Sprachförderung Regionen spezielle Bedingungen für Kurse gelten, und des Bundes und soll Zugewanderte auf den Arbeitsmarkt führte eine „Mindestvergütung für Integrationskurse in vorbereiten (BAMF 2020b). Das Programm stellt die Ver‑ Regionen mit geringem Teilnehmerpotential“ (BAMF stetigung des vorherigen ESF-BAMF-Programms dar. Die 2017a) ein (mehr dazu siehe Infobox 4, Kapitel 4.1). Grundlage für die berufsbezogene Deutschsprachförde- Mit einer Laufzeit bis 2022 führt das Forschungszen‑ rung ist § 45a AufenthG. Die Verordnung über die berufs‑ trum des BAMF derzeit eine „Evaluation der Integrations- bezogene Deutschsprachförderung regelt die Details kurse (EvIk)“ durch. Ende 2019 wurde der erste Zwischen‑ (BGBI 2019). Die berufsbezogene Deutschsprachförderung bericht vorgelegt (Tissot et al. 2019). Die Evaluationsstudie unterscheidet zwischen Basismodulen (400 bzw. 500 Un‑ greift dabei u. a. auf selbst erhobene qualitative und terrichtseinheiten) und Spezialmodulen (300–600 Unter‑ quantitative Daten zurück. Zuvor war das Integrationspa- richtseinheiten). Die Basismodule vermitteln Deutschkennt- nel 2007/08 des BAMF-Forschungszentrums die letzte um‑ nisse, die generell in der Berufswelt benötigt werden, und fassende Evaluation der Integrationskurse (Scheible/Rother sollen helfen, z. B. E-Mails und Briefe zu verfassen. Die 2017; Schuller et al. 2012). Ergänzend wurden Auswertun- Basismodule zielen auf das jeweils nächsthöhere Sprach‑ gen zu Deutschkursen auf Basis der IAB-BAMF-SOEP-Be- niveau ab, also von B1 auf B2, von B2 auf C1 und von C1 fragung von Geflüchteten veröffentlicht , einem gemein‑ auf C2. Die Spezialmodule hingegen vertiefen fachspezifi‑ samem Forschungsprojekt des Instituts für Arbeitsmarkt- sches Wissen und sind auf Berufsanerkennung oder be‑ und Berufsforschung, des BAMF-Forschungszentrums und stimmte Berufsfelder ausgerichtet, z. B. Pflege. Die Kurse des Sozio-oekonomischen Panels am Deutschen Institut schließen mit einer Zertifikatsprüfung ab. Um einen besse‑ für Wirtschaftsforschung Berlin (z. B. Brücker et al. 2017; ren Übergang von den Integrationskursen in die berufs‑ Scheible 2018). bezogene Deutschförderung zu gewährleisten, kann auch Weiterhin wird von verschiedenen Seiten eine umfassen‑ ein ergänzendes Brückenelement B1–B2 durchgeführt de unabhängige Evaluation der bundesgeförderten Sprach‑ werden, welches in 100 UE berufsweltliche B1-Inhalte aus kurse gefordert. Die letzte externe Evaluation der Inte‑ dem Integrationskurs wiederholt und somit auf den grationskurse wurde 2006 von der Unternehmensberatung B2-DeuFöV-Kurs vorbereitet. Rambøll Management im Auftrag des Bundesinnenminis‑ teriums vorgelegt (BMI/Rambøll 2006). Im Rahmen der Qualitätsdebatten und Evaluationen der bundesgeför- Erstellung des Rahmencurriculums veröffentlichte außer‑ derten Deutschkurse dem das Goethe-Institut im Jahr 2007 Erkenntnisse zu Sprachbedarfen von Teilnehmenden in Integrationskursen Seit Einführung der bundesgeförderten Deutschkurse wur‑ (Goethe-Institut 2007). Hinzu kommt eine unveröffentlich- den mehrere Reformen umgesetzt, die etwa die finanzi‑ te Untersuchung der Integrationskurse durch die Unter‑ elle Ausstattung der Kursträger, die Vergütung von Lehr‑ nehmensberatungen McKinsey und Rambøll Management kräften sowie Verwaltungsprozesse verbessern sollten. von 2016 (Ohliger/Schweiger 2019). In den vergangenen Jahren wurde die Qualitätsdebatte um die bundesgeförderten Deutschkurse u. a. durch gestie‑ gene Zuwanderungszahlen neu belebt und eine Reihe von 3.3 LANDESGEFÖRDERTE SPRACH‑ Handlungsempfehlungen vorgelegt. Viele Forderungen PROGRAMME sind jedoch nicht neu und wurden bereits in den frühen Jahren nach Einführung der Integrationskurse angemerkt. Wenn Zugewanderte keine Möglichkeit haben, an einem Zentrale Ansatzpunkte betreffen die Vergütung von Lehr‑ bundesgeförderten Sprachkurs teilzunehmen, können kräften, eine weitere Ausdifferenzierung des Angebots sie nach Verfügbarkeit auch Sprachkurse außerhalb des in der Praxis, eine Dezentralisierung der Integrationskurse, Bundesprogramms besuchen. Dazu zählen insbesondere die Verknüpfung der Kurse mit Praktika und ehrenamtli- ehrenamtliche Kurse, Kurse auf Selbstzahlerbasis bei chen Initiativen sowie die Öffnung für weitere, bisher von Bildungsträgern, Kurse in kommunaler Trägerschaft sowie der Kursteilnahme ausgeschlossene Personengruppen, vom Land geförderte bzw. durchgeführte Sprachkurse. insbesondere Geduldete (Heinrich-Böll-Stiftung 2017; In beiden untersuchten Bundesländern, Baden-Würt‑ Klinger et al. 2019; Robert Bosch Stiftung 2016, 2019; temberg und Sachsen, wurden als Reaktion auf die erhöh‑ Schroeder/Zakharova 2015). te Fluchtzuwanderung um das Jahr 2015 eigene Landes‑ Auch in Bezug auf die Umsetzung in ländlichen Regio‑ programme zur Sprachförderung als Teil eines breiter nen gibt es fortbestehende Forderungen: Ein Beispiel hier‑ ausgerichteten Integrationsprogramms eingerichtet.
DEUTSCH LERNEN AUF DEM LAND WISO DISKURS 15 Infobox 3 gibt einen Überblick über regionale Integrations- bedingungen in den zwei Bundesländern. Infobox 3 Regionale Integrationsbedingungen in Baden-Württemberg und Sachsen Baden-Württemberg Sachsen räumliche Baden-Württemberg ist mit elf Millionen Einwohner_innen Sachsen ist mit seinen rund vier Millionen Einwohner_in- Gegeben‑ nach Nordrhein-Westfalen und Bayern eines der einwoh- nen deutlich kleiner als Baden-Württemberg. Das Bundes- heiten nerstärksten Bundesländer Deutschlands. Das Bundesland land hat zehn Landkreise sowie drei kreisfreie Großstädte. zählt 35 Landkreise sowie weitere neun Stadtkreise. Zu‑ Die drei Großstädte Leipzig, Dresden und Chemnitz bilden gleich zählt es auch gemessen an der Fläche zu den größ‑ die zentralen Ballungszentren, die seit einigen Jahren ins‑ ten Bundesländern. Innerhalb des Flächenlands verfügt die besondere durch die positive Bevölkerungsentwicklung Hauptstadt Stuttgart als Ballungszentrum über eine beson- innerhalb Sachsens hervorstechen. Die Landkreise sind im dere Strahlkraft. Gleichzeitig gibt es in dem Bundesland bundesweiten Vergleich groß, mit einer geringen Bevöl- auch viele ländliche Landkreise mit unterschiedli- kerungsdichte. Laut Thünen-Index der Ländlichkeit hat chem Ländlichkeitswert. Sie sind im Vergleich zum Sachsen keine „sehr ländlichen“ Landkreise, sondern es gesamten Bundesgebiet überwiegend sozioökonomisch lassen sich „eher ländliche“ Landkreise vorfinden* überdurchschnittlich ausgestattet (Fink et al. 2019; (Küpper 2016: 26) und diese sind sozioökonomisch in einer Küpper 2016). weniger guten Lage (Fink et al. 2019). integrations‑ Seit 2016 gibt es eine grün-schwarze Landesregierung. Die Seit 2019 gibt es in Sachsen eine schwarz-rot-grüne Lan- politische nächste Landtagswahl findet planmäßig im März 2021 desregierung. Die landespolitischen Integrationsmaßnah- Rahmen‑ statt. Für sozial- und integrationspolitische Themen ist in men der vergangenen Jahre wurden maßgeblich durch die bedingungen Baden-Württemberg das Ministerium für Soziales schwarz-rote Staatsregierung von 2015 bis 2019 geprägt. und Integration verantwortlich, das seit 2016 von Minis- Zuständig hierfür war das Staatsministerium für Soziales ter Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen) geleitet wird. und Verbraucherschutz. Seit 2019 wird das Themenfeld In‑ Im Vergleich zu Sachsen hat Baden-Württemberg einen tegration vom Sächsischen Staatsministerium für länger landespolitisch verankerten Fokus auf Integrations- Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS) themen: Es führte als erstes Bundesland deutschlandweit verantwortet, welches von Petra Köpping (SPD) geführt 2011 ein Ministerium für Integrationsfragen ein. wird. Der Ausländeranteil liegt in Baden-Württemberg bei Der Ausländeranteil liegt im Freistaat Sachsen bei 4,6 15,6 Prozent (Statistisches Landesamt Baden-Württemberg Prozent (Der Sächsische Ausländerbeauftragte o. J.a). 2019). Das Sozialministerium bezeichnet das Bundesland Besonders in den Landkreisen ist er mit Werten zwischen als „das Flächenland mit dem höchsten Migrantenanteil“ 1,9 Prozent und vier Prozent besonders niedrig. Die Asyl- (Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württem- zuwanderung der vergangenen Jahre sorgte in ländlichen berg o. J.a). Landkreisen teilweise zu einer Verdoppelung der bis dato geringeren Zahlen. Landespolitische Ausgaben für Integration lagen be‑ reits 2014 laut Vielfaltsmonitor über dem Bundesdurch- Bis 2014 war der Anteil der Landesausgaben für integra- schnitt. In 2015 erhöhten sie sich noch einmal deutlich auf tionspolitische Maßnahmen vergleichsweise gering. Diese 770,4 Millionen Euro: Sie machten 1,75 Prozent des Lan- vervielfachten sich in 2015 jedoch auf 222 Millionen Euro. deshaushaltes aus. Der Bundesdurchschnitt lag bei 0,98 Sie machten 1,29 Prozent des Landeshaushaltes aus und Prozent (Bartig et al. 2017: 46). Hiermit besitzen Sachsen lagen somit über dem Bundesdurchschnitt von 0,98 Pro- und Baden-Württemberg die höchsten relativen Ausgaben zent. Hiermit besitzen Sachsen und Baden-Württemberg zum Jahreshaushalt des Landes. Wie in Sachsen auch, die höchsten relativen Ausgaben zum Jahreshaushalt des besteht für anerkannte Geflüchtete eine landkreisweite Landes (Bartig et al. 2017: 267; Damm 2019: 7f.). Ebenso Wohnsitzauflage. wie in Baden-Württemberg besteht eine landkreisweite Wohnsitzauflage für anerkannte Geflüchtete in Sachsen. zentrale 2015 wurde Integration in dem Partizipations- und Grundlage der sächsischen Integrationspolitik bildet das Maßnahmen Integrationsgesetz des Landes Baden-Württemberg ver- Zuwanderungs- und Integrationskonzept II (ZIK II) Integrations‑ ankert. Außerdem schlossen am 27.4.2017 das Land und von 2018, das wiederum an das ZIK I aus 2012 anknüpft. förderung die kommunalen Landesverbände einen Pakt für Integra- Zentrales Instrument für die kommunale Ebene der säch‑ tion. Kernstück des Pakts ist das Integrationsmanagement, sischen Integrationspolitik ist die Förderrichtlinie „Inte‑ das eine flächendeckende soziale Beratung und Begleitung grative Maßnahmen“. Sie wurde am 13.8.2015 einge- in der Anschlussunterbringung gewährleisten soll. Nach ei- führt und seither mehrfach angepasst. Die aktuell gültige ner zunächst zweijährigen Laufzeit wurde der Pakt erst bis Fassung ist vom 20.3.2020. Sie beinhaltet verschiedene Ende 2019, dann bis 2020/2021 verlängert. Der Pakt für Fördermaßnahmen, die soziale Integration und Partizipa‑ Integration umfasst neben dem Integrationsmanagement tion von Menschen mit Migrationshintergrund sowie den weitere landespolitische Maßnahmen zur Sprachförderung, gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern sollen. Das Lan‑ zur Unterstützung von jungen Geflüchteten beim Über- dessprachprogramm ist Teil dieser Richtlinie, ebenso wie gang von der Schule in den Beruf sowie zur Förderung des kommunale Unterstützungsformate, z. B. Finanzierung für gesamtgesellschaftlichen Dialogs. Kommunale Integrationskoordinator_innen (KIK). Des Wei‑ teren wird mit der „Richtlinie Soziale Betreuung Flüchtlin‑ ge“ die Flüchtlingssozialarbeit in den Kommunen gefördert. * Gründe hierfür können in der Berechnungsmethode des Ländlichkeits-Index begründet sein, beispielsweise dem Anteil der Ein- und Zweifamilienhäuser, der in Ostdeutschland historisch bedingt deutlich geringer ausfällt, „denn hier wurden in der DDR-Zeit industriell errichtete Geschosswohnungen bis in kleine Dörfer gebaut, sodass diese ländlichen Räume partiell von urbanen Elementen überprägt wurden“ (Küpper 2016: 26).
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG – Wirtschafts- und Sozialpolitik 16 Landessprachförderung in Baden-Württemberg vor Ort im Zusammenhang stehen. Unter dem Titel „VwV Integrationsbeauftragte“ fördert das Land kommunale Seit 2015 stellt das Land Baden-Württemberg über das Lan‑ Integrationsbeauftragte in Landkreisen, Städten und Ge‑ desförderprogramm „Verwaltungsvorschrift/VwV Deutsch meinden (SozM BW 2019). Die Integrationsbeauftragten für Flüchtlinge“ den Stadt- und Landkreisen Gelder für sollen insbesondere als zentrale Koordinierungsstelle für Deutschkurse für Geflüchtete zur Verfügung. Zum 1.1.2019 institutionelle Akteure wirken, einen kommunalen Integra‑ löste die Neufassung „VwV Deutsch“ das vorherige Sprach‑ tionsplan sowie ein Integrationsnetzwerk aufbauen und förderprogramm ab (Ministerium für Soziales und Integra‑ weiterentwickeln und zudem in den zuständigen Gremien tion Baden-Württemberg o. J.b). Das Förderprogramm der Kommune informieren. Die Stellen werden jährlich wird durch das Sozialministerium aus dem Landeshaushalt über die Landeskreditbank Baden-Württemberg gefördert. und dem „Pakt für Integration“ gefördert. Den „Pakt für Im April 2019 berichtete die Landesregierung, dass das Integration“ schlossen das Land und die kommunalen Lan‑ Förderprogramm verstetigt wurde und Kommunale Integra‑ desverbände am 27.4.2017, um die Kommunen mit Blick tionsbeauftragte flächendeckend und dauerhaft in allen auf die Flüchtlingszugänge zu unterstützen. Nach einer zu‑ Kommunen des Landes unterstützt werden können (Ba‑ nächst zweijährigen Laufzeit wurde der Pakt erst bis 2019, den-Württemberg o. J.). Zu diesem Zeitpunkt wurden rund dann bis 2020/21 verlängert (RP BW 2020). 220 Kommunale Integrationsbeauftrage gefördert. Die „VwV Deutsch“-Kurse orientieren sich an den Sprach‑ Darüber hinaus fördert das Land Baden-Württemberg kursen des BAMF und richten sich an Zugewanderte, die als Kernstück des „Pakts für Integration“ das Integrations- keinen oder noch keinen Zugang zu den BAMF-Kursen ha‑ management (VwV Integrationsmanagement), das eine ben (SozM BW 2018). Das Ziel ist ein aufeinander aufbau‑ flächendeckende soziale Beratung und Begleitung Geflüch‑ endes Sprachkurskonzept, dessen Kurse jeweils mit einem teter in Anschlussunterbringungen gewährleisten soll (RP zertifizierten Abschlusstest abschließen. Die Steuerung BW 2020). 2017/2018 wurden rund 1.200 Integrationsma- der Kurse und die Auswahl der Kursteilnehmenden liegt in nager_innen gefördert. der Verantwortung der Stadt- und Landkreise. Es können entweder ganze Kurse eingerichtet werden oder auch die Landessprachförderung in Sachsen Teilnahme einzelner Teilnehmenden an regulären BAMF-In‑ tegrationskursen gefördert werden. Seit August 2016 finden im Freistaat Sachsen Landes- Zu den Regelformaten der „VwV Deutsch“ zählen Alpha‑ sprachkurse als Teil 4 der „Richtlinie Integrative Maßnah‑ betisierungskurse mit 600 UE, Grundkurse von 300 UE men“ statt. Die „Richtlinie Integrative Maßnahmen“ sowie Aufbaukurse mit allgemeiner bzw. berufsbezogener befindet sich im Verantwortungsbereich des Sächsischen Ausrichtung von je 300 bzw. 400 UE. Die Alphabetisie- Staatsministeriums für Soziales und Gesellschaftlichen rungs- und Grundkurse sollen zum Zielniveau A1 bzw. A2 Zusammenhalt (SMS). Die Sächsische Aufbaubank (SAB) führen, die Aufbaukurse zum nächsthöheren Sprachni‑ wickelt die Förderung und administrative Betreuung ab. veau des GER von A2 bis C1. Seit 2019 können neben den Anders als in Baden-Württemberg obliegt in Sachsen die Regelformaten auch spezifische Kursformate angeboten Steuerung der Kurse nicht den Kommunen. Stattdessen werden. Dazu zählen Eltern- und Frauen-Teilzeitkurse mit sind die Kursträger die direkten Zuwendungsempfänger, Kinderbetreuung, berufsbegleitende Teilzeit-Sprachkurse die bereits vom Bundesamt als Integrationskursträger für Erwerbstätige, Intensivsprachkurse vor Ausbildungs‑ zugelassen wurden. Im Jahr 2018 wurden im Landeshaus- beginn in den Sommerferien sowie Deutschkurse beglei‑ halt 6,5 Millionen Euro „für Maßnahmen für Spracherwerb tend zu einer Einstiegsqualifizierung. und zur Verständigung“ berechnet und auch weitere In den ersten drei Förderperioden 2015/16, 2016/17 Mittel 2019 zur Verfügung gestellt.6 und 2017/18 nahmen im gesamten Bundesland jeweils Wie in Baden-Württemberg orientieren sich die Deutsch‑ zwischen 33 und 38 Kreisen teil, und es wurden zusam‑ kurse in ihrer Ausgestaltung der „Richtlinie Integrative men rund 13.400 Teilnehmende gefördert. 5 Dafür waren Maßnahmen“ an den Sprachkursen des BAMF. Es können im Haushalt je Förderperiode zwischen 4,65 Millionen und entweder ganze Kurse eingerichtet oder auch die Teil‑ 6,2 Millionen Euro eingestellt. Davon wurden letztlich nahme einzelner Teilnehmenden an regulären BAMF-Inte‑ jeweils zwischen 2 und 3 Millionen Euro je Förderperiode grationskursen gefördert werden.7 Dabei wird das Pro‑ ausgezahlt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lagen für gramm als nachrangig zu bundesgeförderten Sprachkursen die zwei darauffolgenden Förderperioden 2018/19 und gesehen und richtet sich an Zugewanderte, die keinen 2019/20 noch keine ausführlichen Teilnehmerzahlen vor. oder noch keinen Zugang zu den BAMF-Kursen haben. Die Anzahl der teilnehmenden Kreise, das vorgesehene Budget im Haushalt sowie das bewilligte Budget befand 6 Siehe Drs. 6/18368, Antwort der Staatsregierung auf die Kleine sich jedoch in einer ähnlichen Größenordnung wie in den Anfrage der Abgeordneten Petra Zais (B90/Die Grünen) sowie Haus- vorherigen Förderperioden. halts- und Vermögensrechnung des Freistaates Sachsen (https://www. Neben dem Sprachförderprogramm werden vom Land finanzen.sachsen.de/download/HaushaltsundVermoegensrechnung- Baden-Württemberg weitere integrationsunterstützende 2018Band.pdf, 9.5.2020). Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Studie lagen keine Daten zu den tatsächlich bewilligten Mitteln des Gesamt- Maßnahmen gefördert, die mit der Sprachkursumsetzung jahres 2019 vor. 7 Ausnahmen gelten für Asylbewerber_innen aus sicheren Herkunfts- 5 Daten auf Anfrage beim Sozialministerium Baden-Württemberg ländern (§ 29a AsylG), die nach dem 1.8.2019 eingereist sind, sowie (SozM) am 21.4.2020. Personen mit einer Duldung gemäß § 60a Abs.6 AufenthG.
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