IMPULSE - Deutsche Sporthochschule Köln
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IMPULSE Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln Sport WISSENSCHAFT Themen: Climbing to Yourself | 100 Jahre Sporthochschule | Die App als Coach | Geisterspiele | Multitasking & Vorhersehbarkeit | Lernen fürs Leben? | 01 | 2021 | MAI |
VORWORT Liebe Leserin, lieber Leser, mit interessanten Beiträgen aus den Instituten möch- jekt „Climbing to Yourself“ installiert. Unter der Lei- ten wir Ihnen erneut einen kleinen Einblick in das tung von Dr. Lisa Musculus aus dem Psychologischen vielseitige Spektrum an Forschungsprojekten an der Institut wird in diesem Projekt untersucht, wie Reprä- Sporthochschule geben: sentation und Einschätzung des eigenen Körpers mit motorischen und kognitiven Planungsprozessen zu- Multitasking soll für Zeitersparnis sorgen, geht aber sammenhängen und wie sich diese Zusammenhänge nicht selten zu Lasten der Qualität der Handlung. im Laufe der Entwicklung verändern. Kann Vorhersehbarkeit die Multitasking-Fähigkeit beeinflussen? Dieser Frage ist Dr. Laura Bröker aus Vom Kletterlabor in das Setting Schule: Der Beitrag dem Psychologischen Institut auf den Grund gegan- von Dr. Johannes Karsch beschäftigt sich mit der Ge- gen. Gesellschaftlich relevant wird diese Fragestel- staltung von Schulunterricht. „Lernen fürs Leben?“ lung, wenn es zum Beispiel um autonomes Fahren fragt der Mitarbeiter des Instituts für Vermittlungs- und Instrumente zur Gefahrenwarnung geht. kompetenz in den Sportarten. Im Rahmen seiner Dissertation hat er Lernprozesse und -ergebnisse von Das Handy ist aus unserem Alltag nicht mehr hinweg- Schüler*innen untersucht. zudenken. Aber können Sie ad hoc beantworten, wie viele Apps auf Ihrem Handy installiert sind und ob Außerdem finden Sie in dieser Ausgabe einen Beitrag sich darunter auch eine Fitness-App befindet? Rund zu Corona als Chance für die Wissenschaft und weitere 9.7 Millionen Deutsche nutzen solche Apps. Dr. Ben- interessante Informationen zur Forschung. jamin Bonn hat pädagogische Aspekte im Zusammen- hang mit Selftracking untersucht. Ergänzend empfehle ich Ihnen auch unseren neuen Wissenschaftspodcast, den Sie auf der Webseite der Mit einem ganz anderen Thema beschäftigt sich der Hochschule finden können: www.dshs-koeln.de/ Beitrag „100 Jahre Sporthochschule“ – der zugleich podcast Titel des dritten Buches der Reihe „Abgestaubt und neu erforschbar: Die historischen Sammlungen Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen und Hören. der Deutschen Sporthochschule Köln“ ist. Mit Hil- Bleiben Sie gesund! fe einer Vielzahl von niemals zuvor veröffentlichten Dokumenten und Fotos wird die Hochschulgeschichte ausführlich nachgezeichnet. Dr. Ansgar Molzberger stellt die für das Buch durchgeführte Forschungsar- beit anhand von zwei Beispielen aus frühen Kapiteln der Hochschulgeschichte dar. Nicht selten werden für Forschungsarbeiten umfang- reiche Laboratorien und Testapparaturen entwickelt. Univ.-Prof. Dr. Heiko Strüder Ein interaktives Kletterlabor wurde eigens für das Pro- Rektor
INHALT 40 6 Climbing to Yourself Lernen fürs Leben? Vom Einsatz nichtlinearer Pädagoik NEWS...................................46 +++ eSport: Die Deutsche Sporthochschule im Schulunterricht Forschung im interaktiven Köln veröffentlicht ihre dritte eSport-Studie. Kletterlabor Dieses Mal steht die Ernährung im Fokus. +++ Neuer Studiengang: Der M.A. Führungskompe- tenz und Management im Spitzensport (FMS) bildet für hochrangige Führungspositionen in deutschen und internationalen Sportorgani- 32 sationen aus. +++ Krebsforschung: Eine neue wissenschaftliche Entdeckung, an der auch die Deutsche Sporthochschule beteiligt war, könnte eine genaue Vorhersage der Krebsaus- Multitasking breitung ermöglichen, noch bevor der Krebs Kann Vorhersehbarkeit Multitas- entsteht. +++ kingfähigkeit verbessern? 22 Die App als Coach Selftracking und Pädagogisierung Impressum IMPULSE Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln 1/2021, 26. Jahrgang Herausgeber Univ.-Prof. Dr. Heiko Strüder Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln Redaktion Deutsche Sporthochschule Köln, Stabsstelle Akademische Planung und Steuerung, Abt. Presse und Kommunikation, Am Sportpark Müngersdorf 6, 50933 Köln Telefon: 0221 4982-3440 Fax: 0221 4982-8400 E-Mail: presse@dshs-koeln.de Redaktionsleitung: Sabine Maas Redaktion und CvD: Lena Overbeck Layout: Sandra Bräutigam DRUCKEREI 14 DFS Druck Brecher GmbH, www.dfs-pro.de 28 ISSN-Nr. 2192-3531 100 Jahre Cover: Sporthochschule Geisterspiele als Chance für die Wissenschaft Deutsche Sporthochschule Köln Abgestaubt und neu erforschbar Der Heimvorteil und Fußball-Sponsoring in leeren Stadien Eine PDF- und Online-Version finden Sie unter: www.dshs-koeln.de/impulse 4 IMPULSE | 01 | 2021 5
Ein Forschungsprojekt zum bidirektionalen Zusammenhang von minimalem Selbst und Embodied Planning im Entwicklungsverlauf Climbing to Yourself Was hat Klettern mit dem Selbst zu tun? Was ist Embodied Planning? Antwor- ten auf diese Fragen liefert das DFG-Projekt „Climbing to Yourself“ von Markus Raab und Azzurra Ruggeri unter der Leitung von Lisa Musculus. In diesem Pro- jekt wird aus einer Embodiment Perspektive untersucht, wie die Repräsentati- on und die Einschätzung des eigenen Körpers, das sogenannte minimale Selbst, mit motorischen und kognitiven Planungsprozessen zusammenhängt und wie sich der Zusammenhang im Laufe der Entwicklung verändert. Das Ganze wird mithilfe eines neu entwickelten Kletterparadigmas untersucht, in dem bei- spielsweise die Reichweite der Arme und Beine eingeschränkt wird. 6 IMPULSE 01 | 2021 7
Text Lisa Musculus, Azzurra Ruggeri & Markus Raab Climb up Um erfolgreich zu klettern, muss man planen, wel- che Route man klettern möchte und überlegen, wie genau man diese geplante Route motorisch ausführt. Embodied Planning in Action! B esser als unsere zehnjährige Studienteilneh- präsentation und Einschätzung des eigenen Körpers merin kann man die theoretische Idee hin- umfasst. In den Worten unserer zehnjährigen Studi- ter unserem „Climbing to Yourself“-Projekt enteilnehmerin wäre dies die Einschätzung, ob man nicht in einfachen Worten beschreiben. „Climbing to jetzt mit den Armen „da oben hinfassen“ kann, also yourself: A developmental embodied cognition per- eine Einschätzung der Reichweite. In unserem Pro- spective on the relation between the minimal self jekt steht der Zusammenhang des minimalen Selbst, „Normalerweise weiß man ja, ich and sensorimotor and cognitive skills” ist eines von erfasst durch Einschätzung der Reichweite zu motori- insgesamt 21 Projekten, das von der DFG im Rahmen schem und kognitivem Planen, im Fokus. Motorisches kann jetzt da oben hinfassen, aber des Schwerpunktprogramms “The Active Self “ (SPP Planen (Domellöf et al., 2020) und kognitives Planen dann [mit Reichweitenmanipulation 2134; Homepage „The Active Self“) gefördert wird (RA (Best et al., 2009) werden generell und im Entwick- des minimalen Selbst] stimmte das 940/21-1 / RU 2272/1-1). Das DFG-Schwerpunktpro- lungsverlauf meist getrennt voneinander untersucht. erstmal nicht mehr. Das war wirk- gramm integriert verschiedene Forschungsdisziplinen Aus einer Embodied-Cognition Perspektive ist es je- lich verwirrend. […] Beim ersten Mal wie Psychologie, Bewegungswissenschaft, Kogniti- doch sinnvoll die beiden Konstrukte zu integrieren [klettern] wusste ich erstmal nicht onswissenschaft und Robotik und zielt darauf ab, die und in Abhängigkeit voneinander zu betrachten. Eine wie weit komme ich jetzt damit, wie dem sogenannten minimalen Selbst zugrundeliegen- Embodied-Cognition Perspektive (vgl. Gentsch et weit kann ich jetzt meine Beine stre- den Mechanismen zu spezifizieren. Unser Projekt hat al., 2016; Wilson, 2002) nimmt an, dass Körper und cken, damit ich da und da hin kom- sich einer der zentralen Fragestellungen verschrieben Geist in einer dynamischen Wechselwirkung stehen me, und beim letzten Mal hat man und untersucht mithilfe experimenteller Studien den und demnach ein bidirektionaler Zusammenhang zwi- dann gemerkt, dass man die Kont- bidirektionalen Zusammenhang zwischen minimalem schen Motorik und Kognition besteht. Ausgehend von rolle wirklich hatte wo ich wie lang- Selbst und motorischen und kognitiven Planungs- diesen theoretischen Grundannahmen, haben wir das prozessen. Dazu basieren unsere theoretischen und Konstrukt „Embodied Planning“ eingeführt und ent- klettern muss [Embodied Planning].“ methodischen Überlegungen auf einer Entwicklungs- wicklungsspezifische Vorhersagen formuliert (Muscu- (O-Ton einer Studienteilnehmerin in perspektive von Embodied Cognition. lus et al., 2021): Embodied Planning umfasst kogniti- einem Radiobeitrag zum Projekt) ve Planung, die vor dem Beginn der Ausführung einer Minimales Selbst und Embodied Planning zielgerichteten Handlung stattfindet und berück- Das minimale Selbst wird definiert als „die phänome- sichtigt gleichzeitig, dass der Körper und motorische nale Erfahrung einer Person im Hier und Jetzt“, die Erfahrung Einfluss auf kognitive Planungsprozesse stark vom Körper abhängig ist (Gallagher, 2000). Da- nehmen. Demnach schreibt Embodied Planning dem mit bildet das Konstrukt des minimalen Selbst eine Art eigenen Körperzustand, körperliche Einschränkungen rudimentäres, körperliches Selbst ab, welches die Re- und (vorheriger) motorischer Erfahrung Bedeutung 8 IMPULSE 01 | 2021 9
> 100 Interaktive Kletterwand Teilnehmer*innen nahmen bislang am Projekt teil. Es werden weiterhin Proband*innen zwischen 6-12 und 18- Für die Studie wurde eigens ein Kletterlabor installiert – mit einer 2,4 x 3,6 m gro- 40 Jahren ohne Klettererfahrung ge- ßen interaktiven Kletterwand. Die Kletterwand ist mit berührungssensitiven Klet- sucht. Nähere Infos: www.dshs-koeln. tergriffen bestückt, die angeleuchtet (LED) und über ein Computerprogramm ge- de/climbingtoyourself steuert werden können. für und Auswirkung auf den gesamten Planungspro- Minimales Selbst und Embodied Planning im Klettern zess zu. Konkret hängt kognitive Planung auch vom Klettern eignet sich, um den Zusammenhang zwischen Bewusstsein, wie genau ein Handlungsschritt mo- minimalem Selbst und Embodied Planning zu untersu- torisch ausgeführt werden kann/muss und von der chen, weil es Anforderungen an beides stellt: Um er- Rückmeldung des motorischen Systems während der folgreich zu klettern, muss man planen, welche Route Umsetzung ab. Folglich integriert Embodied Planning man klettern möchte, d. h. welche Griffe man in wel- motorische und kognitive Planungsprozesse und kann cher Reihenfolge verwendet (kognitive Planung) und konzeptuell als dynamische, kontinuierliche Feed- überlegen, wie genau man diese geplante Route moto- backschleife zwischen motorischer und kognitiver risch ausführt. Während des Kletterns fließt dann ein Planung verstanden werden (Musculus et al., 2021). kontinuierliches sensomotorisches (z. B. von Muskeln und Gelenken) und kognitives (z. B. Urteile über die Ei- Eine Embodied-Cognition Entwicklungsperspektive genschaften der nächsten Griffe) Feedback dynamisch Ausgehend von Embodied Cognition (vgl. Gentsch et in den Planungsprozess ein – Embodied Planning live. al., 2016; Wilson, 2002), kann der Zusammenhang Wichtig ist für unser Projekt darüber hinaus, dass vom minimalen Selbst und Embodied Planning nur Klettern eine geeignete Aufgabe ist, die von Erwach- bidirektional sein. Diese Bidirektionaliät bedeutet, senen und Kindern gleichermaßen absolviert werden dass einerseits Veränderungen im minimalen Selbst kann. Kinder klettern natürlicherweise schon in jun- zu Veränderungen im Planen führen sollten und, an- gen Jahren und es wurden bereits experimentelle Klet- dererseits, Veränderungen im Planen Anpassungen im terstudien zu Körper- und Handlungsgrenzen mit Kin- minimalen Selbst nach sich ziehen sollten. Da im Lau- dern ab sechs Jahren durchgeführt (Croft et al., 2018). fe der Entwicklung natürlicherweise Veränderungen des Körpers generell sowie vom minimalen Selbst und Kletterlabor und Embodied-Planning Paradigma motorischer und kognitiver Planung im Speziellen In unserem Projekt haben wir zur Erfassung des Zu- stattfinden, eignet sich eine Entwicklungsperspektive sammenhangs von minimalem Selbst und Embodied besonders, um den bidirektionalen Zusammenhang zu Planning im Klettern ein innovatives Kletterlabor auf- untersuchen. gebaut und ein kletterspezifisches Embodied-Planning Für die Verbindung zwischen dem körperlichen, Paradigma entwickelt. minimalen Selbst und Embodied Planning, die auch Im Kletterlabor ist eine interaktive Kletterwand entwicklungsbedingte Veränderungen berücksich- (2,40 m × 3,60 m) mit berührungssensitiven Kletter- tigt, haben wir einen Mechanismus postuliert, der griffen installiert (Fa. ClimbLing). Die Klettergriffe auf einem internalen Modell basiert (Wolpert et al., leuchten in verschiedenen Farben und erlauben die 1995). Konkret gehen wir davon aus, dass Erfahrung Erfassung von Reaktionszeiten, in dem Moment, in zu einer genaueren Einschätzung und einem kohären- teren minimalen Selbst führt. Eine erfahrungsbasierte Veränderung des minimalen Selbst sollte sich auf Em- dem sie benutzt werden. Außerdem ist die interaktive Kletterwand mit einem Bewegungsanalysesystem von Vicon, bestehend aus 10 Infrarotkameras (VICONTM, 3 bodied Planning auswirken (d. h. minimales Selbst -> Embodied Planning; Manipulationsstudie). Entspre- chend der Grundannahme von Embodied Cognition Oxford, UK) synchronisiert. Mithilfe von Vicon kann die Ganzkörperkinematik während des Kletterns erfasst werden. Zum Aufbau und Einrichtung des Bewegungs- 10 kletterspezifische Planungs- aufgaben wurden zunächst ohne und dann mit einer Ma- sollten diese Zusammenhänge auch in entgegenge- analyse Systems sowie zur Festlegung des Marker Se- Infrarotkameras erfassen die Ganz- nipulation durchgeführt. Das setzter Richtung bestehen (d. h. Embodied Planning tup habt maßgeblich Sina David (ehemals Institut für körperkinematik während des Klet- Ergebnis: bei den Routen mit -> minimales Selbst; Trainingsstudie). Im Rahmen Biomechanik und Orthopädie) beigetragen. Alice Seel terns. Die Klettergriffe erlauben die Manipulation brauchten die des Projektes untersuchen wir in zwei großangeleg- hat mit unseren studentischen Mitarbeiterinnen tat- Erfassung von Reaktionszeiten, in Teilnehmer*innen länger, um ten Studien jeweils eine Richtung des bidirektionalen kräftig den Laboraufbau unterstützt. In Kombination dem Moment, in dem sie benutzt Zusammenhangs und betrachten darin Erfahrungszu- erlaubt das Kletterlabor nun die Erfassung von kogni- ihre Routen vorab zu planen werden. und führten diese weniger wachs im Verlauf der Entwicklung von der Kindheit bis tiven und motorischen Parametern, die zur Beschrei- ins junge Erwachsenenalter sowie durch kletterspezi- bung von Embodied Planning relevant sind. flüssig aus. fisches motorisches und/oder kognitives Training. Das dazu entwickelte Embodied-Planning Paradig- ma umfasst weiter drei kletterspezifische Planungsauf- 10 IMPULSE 01 | 2021 11
gaben, welche motorische und kognitive Planungsas- vorzustellen, dass ihre maximale Reichweite auf x cm methodische Entwicklung des kletterspezifischen Dr. Lisa Musculus pekte separiert abbilden können. In der motorischen begrenzt ist, wobei x 80 % ihrer tatsächlich maxima- Embodied-Planning Paradigmas sinnvoll genutzt hat in Köln und Konstanz Psycho- Planungsaufgabe werden Teilnehmer*innen gebeten, len Reichweite entsprochen hat. In der motorisch- werden wird. Insbesondere ist das Paradigma zur logie studiert, ist wissenschaft- sich Schritt für Schritt entlang einer Kletterroute kognitiven Manipulationsgruppe wurde die Reich- Erforschung motorisch-kognitiver Entwicklung und liche Mitarbeiterin im Psycholo- zu bewegen. Dazu wird der nächste Griff immer vom weite der Teilnehmer*innen mit Hilfe von Seilen und zur Interaktion von Motorik und Kognition als Exper- gischen Institut der Deutschen Experimentator vorgegeben und an der Wand ange- Vorstellungskraft auf 80 % reduziert. tisefaktoren im Klettersport geeignet. Längerfristig Sporthochschule (seit 2014) und leuchtet, wodurch kognitive Planungsanforderungen Die vorläufigen Ergebnisse zeigen anhand eines haben wir die Vision, dass unsere kletterbasierten angewandte Sportpsychologin minimiert werden. In der kognitiven Planungsaufgabe behavioralen Maßes zur Reichweiteneinschätzung Trainingskonzepte Anwendung im Vereins- und nach asp (seit 2016). In ihrer For- hingegen werden die TeilnehmerInnen gebeten, eine und Selbstbericht, dass die Manipulation in allen Schulsetting finden können. Dabei bietet der Einbe- schung untersucht sie, wie kognitive und motorische Route zu einem vordefinierten Zielgriff zu generieren, drei Gruppen effektiv war, d. h. dass die Reichwei- zug des Körpers und der Motorik in kognitiv orien- Prozesse interagieren, sich im Verlauf der Entwick- ohne diese Route motorisch auszuführen. Sie geben te der Teilnehmer*innen durch ihr kognitives und/ tierten Übungen besonders für kognitiv schwächere lung und durch (sportliche) Erfahrung verändern und lediglich mit einem Laserpointer oder über eine App oder durch ihr motorisches System eingeschränkt oder sprachlich weniger versierte Kinder eine sinn- ob sie zukünftige Expertise vorhersagen können. Sie an, welchen Griff sie als nächstes benutzen würden, wurde. Außerdem weisen die Ergebnisse darauf hin, volle Förderung. ist außerdem im Blog-Team und als Mitherausgeberin wodurch motorische Planungsanforderungen mini- dass die Manipulation kletterspezifisches Embodied In Anlehnung an die Ausrichtung des Schwer- des Psychologiemagazins inMind tätig. miert werden. In der kombinierten motorisch-kogni- Planning beeinflusste. Die Manipulation (d. h. mit punktprogramms planen wir derzeit die computa- » l.musculus@dshs-koeln.de tiven Planungsaufgabe sollen die Teilnehmer*innen vs. ohne Reichweiten-Einschränkung) hatte Effekte tionale Implementation der angenommenen und dann „normal klettern“, das heißt sie generieren eine auf kognitive (initiale Planung) und motorische Pla- empirisch untersuchten Mechanismen zum Zusam- Prof. Dr. Dr. Azzurra Ruggeri Route und führen diese aus. nungsvariablen (IMR, GIE). Konkret brauchten die menhang des minimalen Selbst und Embodied Plan- ist Leiterin der Max-Planck- 80 % In der Datenanalyse werten wir folgende kletter- Teilnehmer*innen länger, um ihre Routen vorab zu ning und erweitern unser experimentelles Set-Up um Forschungsgruppe iSearch (In- spezifische Planungsvariablen: Für kognitives Pla- planen und führten diese weniger flüssig aus, wenn eine Virtual-Reality Version des Kletterparadigmas. formationssuche, Ökologisches nen berücksichtigen wir entsprechend klassischer sie die Routen mit Manipulation absolvierten als Darüber hinaus ist es vorstellbar, dass die in unse- und Aktives Lernen bei Kindern) Literatur die initiale Planungszeit (d. h. vor Beginn wenn sie diese ohne Manipulation absolvierten. An- rem Projekt aufgezeichneten kinematischen Klet- und Professorin für Kognitions- des Routenstarts), die Routenvervollständigungszeit ders als ausgehend von Embodied-Cognition Ansät- Reichweiten-Einschrän- terbewegungen für Robotik-Simulationen genutzt und Entwicklungspsychologie an und die Anzahl der verwendeten Griffe. Wir analysie- zen erwartet, fanden wir keinen stärkeren negativen kung als Manipulation: werden und vielleicht tragen wir damit ein wenig zur der TUM School of Education der ren außerdem die Bewegungskinematik, hinsichtlich Effekt der motorischen und motorisch-kognitiven In der motorischen Ma- Entwicklung von Robotern bei, die irgendwann wie Technischen Universität München. Ihre Forschung zeitlicher (d. h. Geschwindigkeit, Immobilität-zu- Manipulationsgruppe auf die Embodied-Planning- nipulationsgruppe wur- Menschen klettern können besonders da, wo es für setzt sich mit der Frage auseinander, wie Kinder und Mobilität-Verhältnis; IMR) und räumlicher Parameter Effizienz im Vergleich zur kognitiven Manipulati- de die Reichweite durch Menschen gefährlich wird. Erwachsene bei der Entscheidungsfindung aktiv nach (d. h. Distanz, Index geometrischer Entropie; GIE), onsgruppe. Die Publikation der hier umrissenen Er- Seile auf 80 % reduziert, Informationen suchen, kausale Schlussfolgerungen die die Qualität einer Kletterbewegung abbilden (Orth gebnisse, die auch die Entwicklung von minimalem in der kognitiven durch Literatur bei den Autor*innen ziehen und Kategorisierungsaufgaben lösen. Sie et al., 2017). Selbst und Embodied Planning in Kindheit und Ju- untersucht, wie lernfähig Kinder und Erwachsene Vorstellungskraft und in gend abbildet, befindet sich derzeit in Vorbereitung. bei der Suche nach Informationsstrategien sind, wie der motorisch-kogniti- Effekte von experimenteller Manipulation des mi- Partnercheck sensibel sie auf verschiedene Merkmale und Aufga- nimalen Selbst auf Embodied Planning? Effekte von kletterspezifischem Embodied-Plan- ven durch Seile und Vor- Im Klettersport ist der sogenannte Partnercheck un- benstrukturen reagieren und welchen Einfluss aktive In der ersten groß angelegten Studie haben wir den ning Training auf das minimale Selbst? stellungskraft. erlässlich. Ein Partnercheck im übertragenden Sinne Informationssuche auf unser Lernen, Verstehen und Einfluss einer Manipulation des minimalen Selbst auf In unserer derzeit unter strengen Hygienemaßnah- sollte auch im wissenschaftlichen Kontext gelten und Erklären hat. Embodied Planning bei 6- bis 8-, 10- bis 12-, 14- bis men laufenden achtwöchigen Trainingsstudie mit hier erfolgen: Unser Projekt wäre nicht möglich ohne » ruggeri@mpib-berlin.mpg.de 16-jährigen Kindern und jungen Erwachsenen bis 40 Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren und Erwach- eine Reihe wissenschaftlicher Partner*innen und vie- Jahre bei über hundert Teilnehmer*innen untersucht. senen untersuchen wir, wie motorisches, kognitives len Projektmitarbeiter*innen. Demnach gilt an dieser Prof. Dr. Dr. Markus Raab Dazu haben wir ein gemischtes Design implementiert, oder kombiniert motorisch-kognitives Training von Stelle ein großer Dank an die Abt. Leistungspsychologie ist Professor für Psychologie und bei dem die Teilnehmer*innen die drei kletterspezifi- Embodied Planning im Klettern im Vergleich zu einer für immer konstruktiv-kritisches Feedback zum Projekt teilt sich die Leitung des Psycho- schen Planungsaufgaben zunächst ohne und dann mit Kontrollgruppe wirkt. Dazu werden acht aufeinander und an unsere Kooperationspartnerin und Koautorin logischen Instituts der Deutschen Fotos: Deutsche Sporthochschule Köln; Freepik; Privat einer Manipulation durchgeführt haben. aufbauende, kletterspezifische Planungsaufgaben Sina David, die das Projekt mit ihrer biomechanischen Sporthochschule (DSHS) mit Prof. Die Teilnehmer*innen wurden zufällig einer von durchgeführt. Die Trainingsstudie wurde vor Beginn Expertise bereichert. Außerdem bedanken wir uns bei Dr. Jens Kleinert. Er ist Leiter der drei Manipulationsgruppen zugewiesen, die unter- der Datenerhebung im Open Science Framework unseren Projektmitarbeiter*innen und Koautor*innen Abt. für Leistungspsychologie der schiedliche Arten von Reichweiten-Einschränkungen präregistriert. Einen konkreten Einblick zum Ablauf Laura Juppen (WHB seit Beginn des Projektes), Niklas DSHS und Forschungsprofessor erhalten haben: In der motorischen Manipulations- der Testung bietet außerdem dieses kurze Rekrutie- Petersen (WHB) sowie Melina Gleißert und Franziska an der London South Bank University, London, UK. gruppe wurde die Reichweite mit Hilfe von Seilen, rungsvideo. Studienteilnehmer*innen ohne Kletter- Kalde, die das Projekt während der Elternzeit von Lisa Seine Hauptforschungsinteressen liegen im Bereich die sowohl an einem Klettergurt als auch an Armen erfahrung und im Alter von 6 bis 12 und von 18 bis 40 Musculus weitergeführt haben. Nicht zuletzt gilt unser Sport, Bewegung und Leistung im Allgemeinen. Ur- und Beinen befestigt waren, auf 80 % reduziert. Die- Jahren sind noch herzlich willkommen! Dank den Studierenden, die im Rahmen des Projekts teilsvermögen, Entscheidungsfindung, motorisches se Manipulation basierte auf einer Pilotstudie mit mitgewirkt und -gedacht haben: Julia Ahaus, Jana Lernen, Kontrolle und verkörperte Kognition sind erfahrenen Kletterern, die ergab, dass die Reduktion Minimales Selbst und Embodied Planning der Zukunft Bannon, Tina Baus, Anja Beckmann, Hendrik Christen, Bereiche seines Profils, die er aus einer dynamischen der Erreichbarkeit (zum Beispiel mit Seilen) die Pla- Für die nahe Zukunft erhoffen wir uns, dass unser Marie Croon-Hoffeld, Linus Drost, Ole Hallmann, Helen und probabilistischen kognitionspsychologischen nung stärker beeinflusste als zusätzliches Gewicht DFG-Projekt zum besseren theoretischen Verständ- Hammelberg, Elisa Hansel, Sven Krüger, Ines Loll, Mia Perspektive unter Verwendung einfacher Heuristiken (mit Gewichtswesten). In der kognitiven Manipulati- nis des minimalen Selbst und Embodied Planning Raab, Gina Mie Rogge, Nikem Smet, Fiona Stahl, Ka- untersucht. onsgruppe wurden Teilnehmer*innen gebeten, sich im Entwicklungsverlauf beitragen kann und unsere tharina Thies, Felix Völlinger. » raab@dshs-koeln.de 12 IMPULSE 01 | 2021 13
100 Jahre Sporthochschule (1920–2020) Archivgut erzählt Hochschulgeschichte Text Ansgar Molzberger 14 IMPULSE 01 | 2021 15
1920 // Deutsche Hochschule für Leibesübungen Unter Zustimmung der deutschen Turn- und Sportverbände wurde die vom Deutschen Reich- sausschuss für Leibesübungen (DRA) getragene Deutsche Hochschule für Leibesübungen am 15. Mai 1920 in Berlin eröffnet, als Hochschulsitz diente das 1913 im Grunewald angelegte Deut- sche Stadion. Erster Rektor wurde August Bier (1861–1949), der als Professor für Chirurgie an der Universität Berlin nationale und internationale Reputation ausstrahlte. Das Amt des Prorektors übernahm DRA-Generalsekretär Carl Diem (1882–1962), er gab von Beginn an maßgebliche Impulse zur Ausgestaltung einer modernen Sporthoch- schule in Forschung, Lehre und Praxis. Kern der Deutschen Hochschule für Leibesübungen war das Diplomstudium, das die Ausbildung in allen Zweigen des Sports sowie in Gesundheits-, Er- ziehungs- und Verwaltungslehre umfasste und den Absolventinnen und Absolventen vielfältige Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt verschaff- te. 71 Studierende, darunter eine Frau, nahmen 1920 das Studium auf. Innerhalb weniger Jahre wuchs die Studierendenzahl stark an, auch mehr und mehr Studentinnen fanden ihren Weg an die D ie 2009 von Univ.-Prof. Dr. Stephan Wassong ins Leben gerufene Hochschule. Als größte Sportuniversität in Europa nimmt die Deutsche Sporthochschule Projektgruppe „Hochschulgeschichte“, zusammengesetzt aus Mit der Grundsteinlegung für das Deutsche Sport- Köln nicht nur durch ihre sportbezogene Forschung und Lehre sowie ihre Wei- Vertreter*innen des Instituts für Sportgeschichte, der Zentralbib- forum im Jahr 1925 wurde es in den Folgejahren liothek der Sportwissenschaften sowie der Abteilung Presse und Kommu- möglich, neue Bauten und Sportanlagen in di- terbildungs- und Beratungsaktivität national wie international eine besondere nikation, hat es sich zur Aufgabe gemacht, erstmals die Gesamtheit der rekter Nähe zum Berliner Stadion zu nutzen, die Stellung ein. Verschiedene Hochschulinstitutionen – vor allem das in das Zent- Archivbestände zu erschließen, zu verzeichnen und zentral zugänglich Deutsche Hochschule für Leibesübungen konnte rum für Olympische Studien integrierte Carl und Liselott Diem-Archiv, die Zen- zu machen. Die Arbeitsfortschritte der Projektgruppe sollen der inter- expandieren. 1931 erfolgte die staatliche Aner- essierten Öffentlichkeit zudem in regelmäßigen Abständen präsentiert kennung, auf die man lange hingearbeitet hatte. tralbibliothek der Sportwissenschaften und das Institut für Sportgeschichte werden. So wurden im Jahr 2013 unter Einbeziehung von Zeitzeug*innen 1932 übernahm der weltweit bekannte Chirurg Fer- – verfügen zudem über hochwertige, historisch gewachsene Sammlungen, die zwei Filmabende veranstaltet, um historische Hochschulportraits aus dinand Sauerbruch (1875–1951) das Amt des Rek- das komplette Spektrum des Sports und der Sportwissenschaft widerspiegeln dem Bestand des Filmarchivs zu zeigen. Im Wintersemester 2013/14 tors – von dem er bereits 1933 wieder zurücktrat. wurde darüber hinaus im Auftrag des Rektorats nach intensiver Sichtung Gleichzeitig stellten ab den späten 1920er Jah- und in ihrer Gesamtheit mehr als 1.000 Regalmeter einnehmen. Große Teile der der Fotosammlungen das Treppenhaus im Hauptgebäude mit einer Dau- ren die Weltwirtschaftskrise und das Erstarken Archivbestände enthalten zugleich wertvolle Informationen zur Geschichte der erausstellung zur Hochschulgeschichte gestaltet, diese Ausstellung soll des Nationalsozialismus in Deutschland große Deutschen Sporthochschule Köln. zeitnah fortgeführt werden. Herausforderungen für die Tätigkeit dar, mit der Im Zuge der langfristig angelegten Projektarbeit entstand zudem die Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Idee, mit Hilfe einer gemeinsam vom Institut für Sportgeschichte und der Januar 1933 endete die liberale Ausrichtung der Zentralbibliothek der Sportwissenschaften herausgegebenen Buchreihe Deutschen Hochschule für Leibesübungen abrupt: die auf dem Campus vorhandenen Archivbestände in Text und Bild vorzu- Der Großteil des Lehrkörpers wurde entlassen, stellen, um auf diese Weise auf den großen Forschungswert der histori- Diem wurde im Mai 1933 beurlaubt und konnte schen Sammlungen zu verweisen. Zwei Bände wurden bereits veröffent- nicht mehr an „seine“ Hochschule zurückkehren. licht, präsentiert und kommentiert wurde besonders interessantes – und In den Folgejahren trieben die neuen Machthaber auch ausgefallenes – Archivmaterial aus den auf dem Campus vorhan- die Umwandlung der Institution in eine national- denen Personennachlässen (2014) und zur Geschichte der Olympischen sozialistische Reichsakademie für Leibesübungen Bewegung (2018). voran, 1937 war dieser Prozess abgeschlossen. Vor zwei Jahren wurde die Arbeit am dritten Band der Reihe aufge- Fortan wurden in nur noch einjährigen Lehr- nommen: Mit Blick auf das Hochschul-Jubiläumsjahr 2020 – mit der gängen „Sportführer“ mit den Schwerpunkten Deutschen Hochschule für Leibesübungen wurde 1920 in Berlin die Vor- Wehrertüchtigung und ideologische Schulung aus- gängerinstitution der Deutschen Sporthochschule Köln gegründet – wur- gebildet, die akademisch fundierte Auseinander- den die kompletten Sammlungsbestände zum Thema „100 Jahre Sport- setzung mit Turnen und Sport wurde nicht länger hochschule“ gesichtet. angestrebt. Im Zweiten Weltkrieg kam der Betrieb Das Ergebnis liegt nun vor: Molzberger, A., Wassong, S., Quanz, D. zum Erliegen. & Sühl, R. (2020). Abgestaubt und neu erforschbar: Die historischen Sammlungen der Deutschen Sporthochschule Köln. Band 3 – 100 Jahre 16 IMPULSE 01 | 2021 17
1947 // Sporthochschule Köln Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kamen in den westlichen Besatzungszonen frühzeitig Gedanken zum Aufbau einer zentralen, mit der Deutschen Hochschule für Leibesübungen ver- gleichbaren Institution auf. Im Februar 1946 wurde bei einer von der britischen Militärregie- rung initiierten Sporttagung die Einrichtung einer Sporthochschule diskutiert. Der „Zonen- erziehungsrat“ nahm die Anregung auf und för- derte die Idee einer demokratisch und interdis- ziplinär geprägten Hochschule, die den Sport als Teil der Persönlichkeitsentfaltung und Möglich- keit zur spielerischen Selbstvollendung lehren sollte. Besonders hervor tat sich hierbei der bri- tische „Physical Education Control Officer“ John G. Dixon (1910–2000). Um den Standort der neuen Hochschule be- warben sich Frankfurt, München und Köln. Mit ausschlaggebend für den Zuschlag an Köln war die Zusage der Stadt, das größtenteils unbeschä- digte Stadion in Müngersdorf zur Verfügung zu stellen und die Trägerschaft zu übernehmen. Zum Leiter der neuen Institution wurde der von den britischen Alliierten favorisierte Carl Diem berufen. Am 7. Juli 1947 nahm die Sporthoch- schule Köln ihren Lehrbetrieb auf, 35 Frauen und 65 Männer waren für das erste Semester Sporthochschule. Hellenthal: Sportverlag Strauß. Dank der Unterstüt- Gruppierungen für besondere Verdienste um die Olympische Bewegung zugelassen worden. Die zentrale Form der aka- zung durch den Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln, Herrn Univ.- vergeben wird – des Jahres 1932. demischen Auseinandersetzung mit dem Sport Prof. Dr. Heiko Strüder, und die Mitglieder des Rektorats konnte das Buch Seinen besonderen Sinn für werbewirksames Arbeiten hatte Klin- in Theorie und Praxis stellte das sechssemestrige darüber hinaus auch als eigener Sonderband zur Hochschulgeschichte in ge auch bereits an anderer Stelle unter Beweis gestellt: 1924 hatte er Diplom-Studium dar. Im Rahmen eines Festakts deutscher und englischer Sprache veröffentlicht werden. „Die Deutsche Turnplatte“ als Anleitung für das Fitnesstraining in den am 29. November 1947 wurde die Sporthoch- Im vorliegenden Artikel soll die für das Buch betriebene Forschungs- eigenen vier Wänden herausgegeben. Vermarktet wurde die Schellack- schule Köln dann auch offiziell eröffnet. arbeit anhand von zwei Beispielen aus frühen Kapiteln der Hochschul- platte der Berliner Tonträgerfirma Beka unter der Überschrift „Tägliche In den ersten Jahren prägten große materielle geschichte dargestellt werden. Hierbei soll illustriert werden, wie mit Übungen, zusammengestellt im Auftrage der Deutschen Hochschule für Nöte die Hochschultätigkeit, die Etablierung der Hilfe des Archivguts die Geschichte der Deutschen Sporthochschule Köln Leibesübungen von Dr. Klinge, Dozent an der Deutschen Hochschule für Institution in Sport und Gesellschaft konnte aber rekonstruiert und dargestellt werden kann – und welche besonderen He- Leibesübungen – mit Orchester“. dennoch vorangetrieben werden. Eine enge Zu- rausforderungen die Arbeit mit den historischen Sammlungen mitunter Für „100 Jahre Sporthochschule“ wurde die im Carl und Liselott Diem- sammenarbeit wurde insbesondere mit dem Na- mit sich bringt. Archiv der Deutschen Sporthochschule Köln vorliegende Schallplatte als tionalen Olympischen Komitee für Deutschland Die Deutsche Turnplatte, 1924. Die bedruckte Innenhülle fungierte besonderes Beispiel für die Darstellung der vielfältigen Werbeaktivitäten und dem Deutschen Sportbund gepflegt. als Text- und Bild-Anleitung für die Übungen, neben der Kopfzeile Werbung für die institutionalisierte Sportwissenschaft: Aktivitäten der Deutschen Hochschule für Leibesübungen ausgewählt. Zudem lässt Die Infrastruktur der in den Stadionbauten be- „Deutsche Hochschule für Leibesübungen“ befindet sich das Abzei- der Deutschen Hochschule für Leibesübungen sich mit dem Tonträger aus dem Jahr 1924 sehr gut zeigen, dass inno- heimateten Institution stellte sich – bei kontinu- chen des Hochschulträgers, des Deutschen Reichsausschusses für Wie die im Archiv vorhandenen Dokumente zur Deutschen Hochschule vative Mitmachangebote für das Training zu Hause eine lange Tradition ierlichem Anstieg der Studierendenzahl – jedoch Leibesübungen (DRA). für Leibesübungen zeigen, gehörten zum Konzept der freien, vom Deut- aufweisen – und nicht etwa eine Erfindung des derzeitigen „Corona-Zeit- zunehmend als defizitär dar. 1958 sicherte das schen Reichsausschuss für Leibesübungen getragenen Hochschule, die alters“ sind. Land NRW schließlich den Ausbau und die Über- Wer Klinge und Orchester in Aktion erleben möchte: Hörbeispiele stets auf eine werbewirksame Außendarstellung bedacht war, regelmä- nahme der Sporthochschule Köln zu, 1962 wur- lassen sich online mit Hilfe der Suchbegriffe „Beka“ und „Deutsche ßig stattfindende Vorführungen der Studierenden – und Lehrkräfte – bei Sporthochschule Köln: Partner des organisierten Sports und der de die Übernahme per Staatsvertrag vereinbart. Turnplatte“ finden. feierlichen Anlässen und Sportereignissen, um die Ausbildung an der Olympischen Bewegung Bereits 1960 war die Grundsteinlegung für den Berliner Institution zu demonstrieren und gleichzeitig Werbung für die- Auch wenn bei der Gründung der Sporthochschule Köln 1947 das Land Neubau der Hochschule in direkter Nähe zum se zu machen. Beispielsweise führten Studierende 1928 auf Einladung Nordrhein-Westfalen und die Stadt Köln als Träger fungierten, pfleg- Stadion erfolgt, zum Sommersemester 1963 des Auswärtigen Amts sportliche Übungen vor dem in Berlin weilenden te man mit der Entstehung des Nationalen Olympischen Komitees für wurden die neuen Gebäude bezogen. afghanischen Königspaar vor, 1931 präsentierte sich die Deutsche Hoch- Deutschland (1949) und des Deutschen Sportbunds (1950) die kontinu- Eine Zäsur in der Hochschulgeschichte mar- schule für Leibesübungen in der Staatsoper Unter den Linden. ierliche Zusammenarbeit mit dem organisierten Sport. kiert der 1. Januar 1965: Für die Hochschule Einen Höhepunkt in diesem Zusammenhang stellte der Hochschul- Mit Hilfe der Archivbestände können zahlreiche Beispiele für das „sui generis“ des Landes NRW trat eine Rekto- Auftritt bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam dar: Unter der partnerschaftliche Arbeiten aufgeführt werden, etwa durch Dokumen- ratsverfassung in Kraft, Institute konnten nun Leitung von Erich Klinge (1889–1957), Dozent für Bewegungslehre und te zur dauerhaften Einrichtung einer Sportstätten-Beratungsstelle des eigenständig gegründet und erste Lehrstühle Methodik, wurde dem Stadionpublikum am 7. August 1928 eine 45-minü- Deutschen Sportbunds im Jahr 1954 oder zur 1956 an der Sporthoch- besetzt werden. Mit der Verfassung einher ging tige „Deutsche Olympische Turnvorführung“ dargeboten, die unter ande- schule Köln durchgeführten DSB-Präsidiumstagung. Darüber hinaus zei- die Namensänderung in „Deutsche Sporthoch- rem Freiübungen, leichtathletische Demonstrationen, ein Handballspiel gen die historischen Sammlungen, wie aktiv die Sporthochschule Köln schule Köln“. 1970 erfolgte schließlich die über sowie Tänze der Studentinnen und Studenten beinhaltete. 1931 wurde in der Olympischen Bewegung war. So zeigen archivierte Aushänge und viele Jahre angestrebte Anerkennung als wis- dieses Engagement vom Internationalen Olympischen Komitee gewür- Nachrichten, dass man die Olympiateilnahmen und Medaillengewinne senschaftliche Hochschule im Universitätsrang. digt, die Deutsche Hochschule für Leibesübungen erhielt den „Coupe von Studierenden – und Dozierenden: Turndozent Helmut Bantz (1921– Hiermit verbunden war das Satzungs-, Promo- Olympique“ – eine von Pierre de Coubertin (1863–1937) ins Leben geru- 2004) wurde 1956 in Melbourne Olympiasieger im Pferdsprung – stets tions- und Habilitationsrecht. fene Auszeichnung, die seit 1906 an Institutionen, Vereinigungen oder feierlich würdigte, 1955 hatte man zudem IOC-Präsident Avery Brundage 18 IMPULSE 01 | 2021 19
Dokumente (vorherige Seite) und Fotos zur Einkleidung des westdeutschen Olympiateams 1964 an der Sporthochschule Köln – Fauxpas der Bühnenbildner in Hörsaal 1: Die olympische Fahne hängt spiegelverkehrt – sowie zum NOK-Empfang der Medaillenge- winnerinnen und -gewinner nach den Olympischen Spielen 1964 in Tokio (rechte Seite). (1887–1975) als Gast an der Sporthochschule Köln begrüßen können. klusivität des niemals zuvor veröffentlichten Bildmaterials wurde dieser Dank neu zugänglich gemachter Fotos – im Zuge der Projektarbeit Aufwand jedoch gern in Kauf genommen, neu digitalisierte Fotos von waren im Archiv vorhandene Farbdias und nicht entwickelte Filme di- weiteren Veranstaltungen – beispielsweise wurde auch ein Betriebsaus- gitalisiert worden, insgesamt mehr als 1.400 Motive – konnte in „100 flug der Hochschulverwaltung 1966 nach Maastricht, Antwerpen und Jahre Sporthochschule“ darüber hinaus ein bis heute einmaliges Ereig- Brüssel fotografisch dokumentiert – wurden auch an anderen Stellen ins nis in der „olympischen“ Hochschulgeschichte erstmals mit Hilfe von Buch eingebracht. Bildern dargestellt werden: Auf Grundlage einer Absprache zwischen Die inhaltliche Erschließung der Fotos, zu denen bislang keine genau- NOK-Geschäftsführer Walther Tröger (1929–2020) und Sporthochschul- en Informationen recherchiert werden konnten, soll in den kommenden Dr. Ansgar Molzberger, Verwaltungsdirektor Willi Schwarz (1905–1983) wurden die westdeut- Monaten vorangetrieben werden. geb. 1972 in Koblenz, studierte schen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Olympischen Spielen Sport und Nordische Philologie in Tokio (10. bis 24. Oktober 1964) am 12./13. September 1964 an der Besonderer Charme der historischen Dokumente in Köln und Stockholm. Er ist Sporthochschule Köln eingekleidet, die Ausgabe der Bekleidung fand in Wie aufgezeigt kann die Geschichte der Deutschen Sporthochschule Köln wissenschaftlicher Mitarbeiter im Halle 8 statt. Am 12. Dezember 1964 wurden die siegreichen Athletinnen mit Hilfe der vorliegenden Archivbestände erforscht und dargestellt wer- Institut für Sportgeschichte der und Athleten zudem im Rahmen des offiziellen NOK-Empfangs auf dem den. Im Zuge der Forschungsarbeit für das Buch „100 Jahre Sporthoch- Deutschen Sporthochschule Köln Hochschulcampus gefeiert. schule“ war allerdings von Beginn an klar, dass nicht das Schreiben der, (seit 2012) und wissenschaftli- Eine besondere Herausforderung bei der Recherchearbeit mit den digi- sondern die Zusammenstellung von mannigfaltigen Quellen zur Hoch- cher Leiter des Carl und Liselott talisierten Fotos stellte dar, dass die Dias und Filmrollen bei der Aufnah- schulgeschichte das Ziel sein sollte. So war es aufgrund der unterschied- Diem-Archivs; zuvor Kurator des me ins Archiv gar nicht oder nur sehr unzureichend beschriftet worden lich stark ausgefallenen Überlieferung in verschiedenen Zeitabschnitten Deutschen Sport & Olympia Mu- waren – genaue Datumsangaben, Hinweise auf den/die Fotografen oder nicht möglich, alle Kapitel der hundertjährigen Hochschulgeschichte seums, Köln. Forschungsschwer- gar auf die auf den Fotos abgebildeten Personen sind nicht vorhanden. gleich umfangreich darzustellen. Ein inhaltliches Ungleichgewicht bei punkte: Olympische Bewegung, Für die Arbeit am Buch „100 Jahre Sporthochschule“ bedeutete dieser der Erstellung des insgesamt chronologisch aufgebauten Bands, der Skandinavische Sportgeschichte, Umstand, dass die für die inhaltliche Erschließung der Fotos notwendi- mehr als 1.000 Abbildungen enthält, wurde daher in Kauf genommen – Geschichte der Deutschen gen Informationen mit Hilfe der vorliegenden Dokumentensammlungen zumal das Archivmaterial zur frühen Hochschulgeschichte einen beson- Sporthochschule Köln, Sport- und (Hochschultagebücher, Hochschulnachrichten, Personennachlässe etc.) deren Charme aufweist. Olympiamuseen. zeitaufwendig zusammengetragen werden mussten. Angesichts der Ex- » molzberger@dshs-koeln.de 20 IMPULSE 01 | 2021 21
Die App als Coach? Auf der Suche nach dem Pädagogischen beim Selftracking Text Benjamin Bonn 23
Daten zu Sport, Bewegung, Fitness, Körper stehen gegenwärtig beim Selftracking im Fokus. Schlagwörter wie Selbstoptimierung Rund 9,7 Millionen Deutsche nutzten im Jahr 2017 Fitness-Apps. oder Quantified Self (Lupton, 2016) umreißen Facetten dieser Laut Prognose könnte die Anzahl der Nutzer*innen von Fitness- Apps in Deutschland bis zum Jahr 2024 auf rund 18,3 Millionen Selbstvermessung und deuten an, worum es bei den Schrittzahlen, ansteigen.(Statista Digital Market Outlook) Kalorienbilanzen oder anderweitigen Trainingsparametern gehen kann. Ausgangspunkt meiner Dissertation „Pädagogisierung und Selftracking“ aus dem Jahr 2020 ist die Überlegung, dass diese Selbstvermessung bestimmte Ansprüche mitführt, an denen sich auch pädagogische Anliegen orientieren: Personen zu verändern. Dieser Beitrag schildert ausgewählte Argumentationslinien und Ergebnisse dieser Dissertation (veröffentlicht in Bonn, 2021). Eine Untersuchung der Selbstvermessung mit ei- Ordnungsebene (Luhmann, 2012). Kommunikation nem pädagogischen Erkenntnisinteresse erscheint kommt in diesem Verständnis zustande, indem ein*e gerade mit Blick auf die Notwendigkeit informier- Beobachter*in eine Mitteilung von einer Informati- ter Diskurse um die Bedeutung von Technologien on unterscheidet und Verstehen in einer Anschluss- für (Sport-) Pädagogik (Casey, Goodyear & Armour, kommunikation manifestiert wird. Am diskutablen 2017) ertragreich. Denn mit der Verbreitung und Beispiel: Die Wearable-Angabe „It’s time to move“ Anwendung entsprechender Hard- und Software zur (Transkript B2-3, 210) kann für Adressat*innen als Selbstvermessung kommt es zu (neuartigen) sozia- Mitteilung gelten, sich sportlich zu betätigen und die len Verhältnissen, in denen Möglichkeiten der Beob- sportliche Betätigung wiederum treibt die Datenspu- achtung des eigenen Körpers und/oder Verhaltens le an. Offenkundig fügt sich dieses Beispiel allzu ge- ebenso eine Rolle spielen wie die Erwartung, sich zu schmeidig an den Untersuchungsgegenstand Selftra- verändern. „Self-Tracking als Optimierungsprojekt?“ cking mit seiner computertechnologischen Grundlage (Duttweiler et al., 2016) ist deshalb eine naheliegen- an – die Frage zur Anwendung dieses Modells auf Kom- de Frage und für Körner (2020) passt Selftracking in munikation mit und mittels Computer ist allerdings die typisch moderne Vorgehensweise von Erziehung weitläufiger, hier stark vereinfacht und an anderer und Sport, derzeitige Wirklichkeiten auf ihre mögli- Stelle differenzierter diskutiert (Bonn, 2021). chen Zukünftige hin zu beobachten: So ist der Körper Grundlegend ist das Pädagogische bei der Selbst- – gemäß den Daten – und so könnte er sein. Selftra- vermessung mit diesem Zugang in der Kommunikation cking bildet einen Zusammenhang, in dem Personen zu suchen, wobei der Fokus zum einen auf den sozi- sich unter anderem entlang einer Veränderungser- alen Verhältnissen liegt, in denen Selftracker*innen wartung (an sich selbst) bewegen. Zugleich kreist die eingebunden sind, und zum anderen auf der Bedeu- Selbstvermessung in besonderer Weise um den Um- tung von Apps und Wearables in diesen Verhältnissen. gang mit Wissen: „self knowledge through numbers“ Selftracking lässt sich in der Folge als ein Netz- als Slogan der Quantified-Self-Community bringt die- werk aus Kommunikation (Fuhse, 2015) zwischen sen Anspruch eindrücklich zum Ausdruck (Quantified Anwender*innen, Geräten, Apps und anderen betei- Self Institute, 2020). ligten Akteuren beobachten, das auf pädagogische Mit der Selbstvermessung im privaten Sporttrei- Kommunikationsformen hin erforscht werden kann. ben oder Alltagshandeln erstrecken sich diese Fragen Das theoretisch hergeleitete Analysemodell unter- auf einen informellen Kontext und nicht auf explizit scheidet hierfür drei Ebenen (Bonn, 2021): pädagogische Settings, wie Schule oder Unterricht. Pädagogische Kommunikation kommt nach Kade Selftracking und Pädagogisierung so geläufig (z.B. Lupton, 2016). Die empirische Lage Der in der Dissertation titelgebende Begriff der Päd- (2004) durch den Bezug einer Vermittlung, Aneig- Die Selbstvermessung mittels Apps und Wearables ist zum Selftracking erscheint allerdings insgesamt aus- agogisierung wirkt deshalb als analytischer Fixpunkt. nung und Überprüfung von Wissen zustande, der vor allem im Freizeitbereich Erwachsener verbreitet baufähig und es mangelt an pädagogisch orientier- Er verweist mitunter auf Entwicklungen, die sich in sich an einer Veränderungserwartung orientiert. (Lupton, 2016; GFK, 2016). Das entsprechende Soft- ten Zugängen (Ausnahmen z.B. medienpädagogisch: der Ausbreitung pädagogischer Kommunikationsfor- Diese Form der Kommunikation hängt üblicherwei- und Hardwareangebot ist vielfältig und Möglichkei- Darmberger, 2017). Das mag auch daran liegen, dass men außerhalb von Organisationszusammenhängen se mit bestimmten Konstruktionen zusammen. Ty- ten der Anwendung variieren. Die sozial- und kul- Selbstvermessung in Schule, Unterricht und Co. bis- expliziter pädagogischer Ansprüche manifestieren pisch pädagogische Adressat*innen weisen Defizite turwissenschaftliche Betrachtung dieses Phänomens lang nicht auffällig verbreitet oder relevant scheint. (Proske, 2002). In diesem Fall geht es um die Erfor- und Potenziale auf und sie sind eingebunden in be- weist ebenfalls verschiedene Zugänge auf und kommt Allerdings weist die Selbstvermessung einige Eigen- schung pädagogischer Formen beim Selftracking. stimmte Verhältnisse gegenseitiger Erwartungen. zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Bei- heiten auf, die ein pädagogisches Erkenntnisinteres- In der Regel wissen Lehrer*innen etwas und lehren, spielsweise steht Kritik zur Orientierung an fremden se motivieren können. Wearables gelten beispielswei- Die Suche nach dem Pädagogischen Schüler*innen wissen das (noch) nicht und lernen. (marktlogischen) Normalitäts- und Wertvorstellun- se als Bestandteil „of the broader and more complex Es macht für dieses Erkenntnisinteresse einen Unter- Als Reflexion können diese Aspekte wiederum Thema gen (Owens & Cribb, 2017) einem wahrgenommenen landscapes of different pedagogical sites of learning“ schied, was als pädagogisch gilt. Eine Möglichkeit werden und pädagogisches Wissen ausdrücken (Kade Empowerment aus Anwender*innensicht gegenüber im Gesundheitsbereich (Goodyear, Armour & Wood, ergibt sich durch eine kommunikationstheoretische & Seitter, 2007). Etwa: Welche Vermittlungsform (Wolf, 2010) und eine Einordnung des Phänomens in 2018). Grundlage und das Verständnis von Kommunikation führt wahrscheinlich zur Aneignung oder mit welchen gegenwartsgesellschaftliche Überlegungen ist eben- als einer emergenten, selbstbezüglich operierenden Adressat*innen ist wie genau umzugehen? 24 IMPULSE 01 | 2021 25
unpassend sein und ignoriert werden, während es in Netzwerk, in dem auch andere Akteure wie Trainer, anderen Situationen wie einem Lauftraining zu einer Freund*innen oder Personen im Newsfeed geteilter Verschränkung von Laufverhalten und den Angaben Daten auftauchen. Beim Selftracking erscheint die Si- Haben Sie in den letzten 12 Monaten Fitness- bzw. Sport-Apps gekauft bzw. genutzt des Geräts kommt (z.B. Herzfrequenz, Intensitätsbe- tuativität entscheidend, mit der die Angaben behan- oder planen Sie diese zu nutzen bzw. zu kaufen? reich). delt werden (Pantzar & Ruckenstein, 2017). Auf diese Frage einer Online-Umfrage aus dem Jahr 2019 antworteten die Befrag- Was warum als bedeutend gilt, welcher Wert Wer- ten folgendes: 33 % gaben an, Fitness- bzw. Sport-Apps genutzt zu haben. 6 % sind Die App als Coach oder Datenspeicher ten zukommt und inwieweit sich an dieser Bestim- ehemalige Nutzer*innen, bei 23 % besteht Interesse und 38 % lehnen die Nutzug Ansatzpunkt für das Selftracking sind mitunter eigene mung andere Akteure beteiligen, sind kontrovers von Fitness- bzw. Sport-Apps ab. (SPLENDID RESEARCH) Defizite (z.B. fehlende Bewegung im Alltag) und Po- diskutierte Fragen (Owens & Cribb, 2017). Vorliegend tenziale. Befragte schildern, sich verändern zu wollen steht die Erkenntnis im Vordergrund, dass es beim und dies auch getan zu haben: mehr Bewegung im All- Selftracking zu pädagogisch relevanten Verhältnis- tag, sportliche Verbesserung, gesündere Ernährung sen und bestimmten Formen von Pädagogisierung etc. Wearables und Apps agieren in diesem Zusam- kommen kann. Eine ‘profession-wide‘ debate“ (Casey, menhängen in verschiedenen Funktionen. Sie gelten Goodyear & Armour, 2017) zum Verhältnis von „peda- als Beratung, Leitfaden, Datenbank uvm. Bei einigen gogy, technology and learning in health and physical Befragten stellt die App oder das Wearable einen An- education“ (ebd.) und zur Gestaltung dieses Verhält- stoß zur Bewegung dar. Auf die Vorgabe des Coaches nisses hat angesichts der vorliegenden Studie deshalb als Teil der Freeletics App beschreibt eine Befragte auch (neuartige) Entwicklungen in informellen Kon- beispielsweise ihre Reaktion wie folgt: „Dann mache texten zu berücksichtigen. ich das.“ (Transkript B1-2, 348). Für andere Befragte Das Erkenntnisvermögen der Untersuchung ist Elf Selftracker*innen zwischen 22 und 35 Jahren Am Beispiel: „Ich schaue mir ganz gerne nach dem wiederum steht die (beiläufige) Dokumentation der dabei an die eigene Perspektive auf das Pädagogi- 08:36 Search 4G Als qualitative Studie nutzt meine Disser- Schlafen an, wie habe ich geschlafen. […] Und das sportlichen oder alltäglichen Aktivität im Vorder- sche gebunden. Die Ergebnisse resultieren aus den tation leitfadengestützte, teilstrukturierte Schlafverhalten gibt mir so zumindest eine Orientie- grund. Dabei betreiben einige Befragte ihre Selbst- angelegten theoretischen Entscheidungen in der Expert*inneninterviews mit Selftracker*innen rung oder eine Erklärung, warum ich in so fühle, wie ich vermessung nicht nur für sich, sondern tauschen sich Modellbildung und alternative Schlussfolgerungen (n=11) als Datenbasis und zieht ergänzend Webseiten mich fühle quasi.“ (Transkript B2-3, 154-174). in einem breiteren Netzwerk mit Freund*innen und zum Phänomen Selftracking liegen ebenso nahe. von zwei Selftrackinganbietern und einer Kranken- Andererseits schildern die Befragten wiederum Bekannten aus, nutzen appinterne Gruppen, Wett- Die Untersuchung bietet deshalb nur einen limitier- versicherung hinzu. Die Interviews wurden zwischen eine Aneignung des Vermittelten, die auf unter- kämpfe oder soziale Medien oder sind über den Trainer ten Einblick in dieses Feld und das Netzwerk einiger Juni 2018 und März 2019 durchgeführt, betreffen schiedliche Weise zum Ausdruck kommt: Befragte zum Datensammeln gekommen. Anwender*innen. Dieser Einblick begründet sich au- elf Anwender*innen zwischen 22 und 35 Jahren (5 wissen Neues, verbessern ihre Leistung, gestalten ßerdem auf der reaktiven Erhebung mittels Leitfade- Frauen) und fokussieren auf die Art und Weise der den Alltag bewegungsorientierter („[…] dass ich Der Wert der Zahl ninterviews und stellt keinen direkten Blick auf das Nutzung von Selftracking und dessen Bedeutung für mehr gehe, dass ich tatsächlich jetzt eine Haltestelle Die Befragten reflektieren ihr Selftracking in wei- Verhalten dieser Personen dar. die Befragten. Zur Auswertung wurde eine qualitative früher aussteige […]“; Transkript B2-6, 327-329), tergehenden Überlegungen. Es geht sowohl um die Inhaltsanalyse (Schreier, 2014) für eine inhaltliche und sehen den Anlass für diese Veränderungen unter Frage, für wen Selftracking wie geeignet ist, als auch Zukünftig geht es in diesem Forschungsfeld unter Strukturierung auf Basis deduktiv-induktiver Kate- anderem in der Selbstvermessung: „Weil ich einfach um kritische Reflexionen der eigenen Beziehung zum anderem darum, die Bedeutsamkeit dieser Techno- gorien verwendet. Die Analyse liefert Ergebnisse im auch aktiver werden möchte, und vorher [vor dem Wearable oder der App. Die zahlenbasierten Werte der logien in bestimmten Situationen, wie Training zu Querschnitt der Fälle und über Fallzusammenfassun- Selftracking; Anm. BB] ist es halt gar nicht so auf- Apps und Wearables bilden in diesem Zusammenhang untersuchen und Implikationen für praktisches Han- gen zur Identifizierung typischer Tendenzen. Die fol- gefallen.“ (Transkript B1-4, 356-357). „Man hat ja einerseits eine vertrauenswürdige, evidenzbasierte deln (von Trainer*innen, Lehrkräften etc.) stärker gende Darstellung greift auf ausgewählte Ergebnisse dann auch die Diagramme und so weiter. [Ich] gucke Grundlage und „neutrale Instanz“ (Transkript B2- zu thematisieren. Dabei scheint ein Blick auf andere der Interviewstudie zurück. da drauf: Passt das? Aber das war halt früher für den 1, 277), andererseits wird die Wirkmächtigkeit der Erhebungsverfahren wie z.B. Beobachtungen oder Dr. Benjamin Bonn, Anfang. Ich denke, nach einer Zeit weiß man das auch Wearables und Apps auch beschränkt, die Program- Ein-/Ausgabeprotokolle von Apps lohnend, um wei- geboren 1990, studierte bis 2016 Zwischen losem Interesse und der Erwartung, sich alles. Das ist so, wie mit seinem Verbrauch so ungefähr. miertheit betont oder auf fehlerhafte Messwerte und tere Einsichten über die Interaktion zwischen Tech- gymnasiales Lehramt für die zu verändern Ich weiß, was verbrauche ich […]. Am Anfang fand ich Einschränkungen bei Messverfahren verwiesen. Die nologien und Anwender*innen zu ermöglichen. Einer Fächer Sport und Spanisch an Die Befragten nutzen Tools zur Selbstvermessung es relativ wichtig, dann auch zu gucken, aber nach ei- Anwendung wird in diesem Sinne reflektiert, wenn- informierten trainings- oder schulsportpädagogi- der Deutschen Sporthochschule vor allen Dingen für Sport, Training, Fitness und All- ner Zeit hat sich das dann ein bisschen eingespielt im gleich implizite Wert- und Normalitätsvorstellungen schen Praxis bieten die vorliegenden Einsichten ein Köln und der Universität zu Köln. tagsverhalten und richten Erwartungen im Kontext Kopf.“ (Transkript B2-2, 110-115). Die Bedeutung der innerhalb der Angaben und Darstellungen der Apps Verständnis für die mögliche personale Bedeutung Er ist derzeit wissenschaftlicher Fotos: Deutsche Sporthochschule Köln; LSB NRW/ Mark Hermenau von Sport, Fitness oder Bewegung im Alltag an sich Angaben von App und Wearable und der Umgang mit und Wearables eher kein Thema sind. von Apps und Wearables zur Verhaltensänderung und Mitarbeiter in den Abteilungen selbst. Teilweise werden sie ergänzt durch Erwartun- der Selbstvermessung variieren in Abhängigkeit von damit womöglich: Ansätze zur Gestaltung pädagogi- Trainingspädagogik und Martial gen anderer bspw. dadurch, dass Geräte zur Bewe- Befragten und Situationen, in denen sie sich befin- Die App als Coach? Ein Fazit scher Verhältnisse mit ihnen. Research (Institut für Vermitt- gung auffordern oder Trainer Vorgaben machen, die den. Während es einzelnen Befragten oder in be- Pädagogisch orientierte und empirisch informier- lungskompetenz in den Sportar- mittels Selftracking verfolgt werden. Wearables und stimmten Situationen kaum um eine Veränderung, te Blickwinkel auf den Gegenstand der Selbstver- Die ausführliche Argumentation und Analyse zur Pä- ten) und Sportdidaktik (Institut Apps liefern dabei relevante Informationen unter an- sondern vielmehr um ein loses Interesse oder eine messung sind bislang unterrepräsentiert. Die hier dagogisierung im Kontext der Selbstvermessung ist für Sportdidaktik und Schulsport) derem zur Planung, Durchführung von Training und Beiläufigkeit der Datensammlung geht, richten sich auszugsweise skizzierten Ergebnisse meiner Unter- nachzulesen in: Bonn, B. (2021). Pädagogisierung der Deutschen Sporthochschule anderweitigen Aktivitäten und zu absolvierten Akti- andere Befragte stärker nach den Angaben der Apps suchung deuten an, wohin eine Suche nach dem Pä- und Selftracking. Academia: Baden-Baden. Köln. In seiner Promotion befass- vitäten. Eine Befragte beschreibt beispielsweise: und Wearables und der Erwartung, sich in bestimmten dagogischen beim Selftracking führen kann. Trotz te er sich bis 2020 mit pädagogi- „Also Coach ist halt einfach auch die App selber, das Domänen zu verändern. Einerseits bieten ihnen die Variationen beim Umgang mit Wearables und Apps Literatur bei dem Autor schen Kommunikationsformen im ist einfach ein Algorithmus. Kann man sagen: ‚Ja okay, technisch erfassten Parameter Anhaltspunkte (Kalo- kreist die Selbstvermessung bei den Befragten Per- Kontext von Wearables und Apps ich will drei- oder fünf- oder einmal trainieren in der rien, Herzfrequenz etc.), andererseits wird ebenfalls sonen um Erwartungen zur Veränderung. Wearables zur Selbstvermessung. Seine For- Woche.‘ Und dann erstellt der halt ein Training. Also, der Anspruch betont, z.B. das Gefühl für den eigenen und Apps übernehmen in diesem Zusammenhang si- schungsgebiete sind u.a.: Themen so weiß ich halt, was ich machen werde.“ (Transkript Körper zu erweitern. Zugleich wirken Angaben nicht tuative, persönlich bedeutsame Funktionen der Bera- der Digitalisierung, Verbund von B1-3, 204-206). uneingeschränkt, sondern eher kontextspezifisch tung, Vermittlung etc. Sie werden mitunter als Coach Schule und Leistungssport und Darüber hinaus dienen die Angaben auch zur In- und situationsabhängig. Bewegungsaufforderungen und Kommunikationsteilnehmer*in, aber auch als Netzwerkforschung. formation über den eigenen (körperlichen) Zustand. der Wearables können z.B. in bestimmten Situationen computerbasierte Technologie beobachtet in einem » b.bonn@dshs-koeln.de 26 IMPULSE 01 | 2021 27
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