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Dialog Handwerk Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks am 18. Januar 2018 Innovation und Wettbewerb in digitalen Zeiten Land der Chancen – Neue Wege in der Migrations- und Integrationspolitik 01 | 2018
Schriftenreihe: Dialog Handwerk 1 | 2018 Herausgeber: Handwerk.NRW e. V. Verantwortlich: Josef Zipfel Stenografische Protokollierung und Rednerkorrekturen: Günter Labes Bilder: Wilfried Meyer Gestaltung: Jessica Handke
Innovation und Wettbewerb in digitalen Zeiten Land der Chancen – Neue Wege in der Migrations- und Integrationspolitik Dreikönigstreffen 2018 des nordrhein-westfälischen Handwerks Dokumentation des Dreikönigsforums mit Andreas Ehlert Prof. Dr. Justus Haucap Sebastian Grethe Prof. Dr. Frank Czaja Prof. Dr. Hans Jörg Hennecke Hans-Joachim Hering Holger Steltzner, Moderator und des Dreikönigsessens mit Andreas Ehlert Wolfgang Kirsch Dr. Joachim Stamp MdL, stellvertretender Ministerpräsident des Landes NRW und Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in der DZ BANK AG Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank Ludwig-Erhard-Allee 20, Düsseldorf am Donnerstag, 18. Januar 2018 Dialog Handwerk 1 | 2018
Inhalt 3 Zum Geleit 4 Dreikönigsforum Begrüßung Andreas Ehlert Präsident HANDWERK.NRW 9 Podiumsdiskussion Professor Dr. Justus Haucap Direktor des Duesseldorf Institute for Competition Economics (DICE) der Heinrich-Heine-Universiät Düsseldorf Sebastian Grethe Mitgründer und Geschäftsführer der Mapudo GmbH Professor Dr. Frank Czaja Professor für Technische Logistik an der SRH Hochschule für Logistik und Wirt- schaft Hamm Professor Dr. Hans Jörg Hennecke Geschäftsführer HANDWERK.NRW Holger Steltzner, Moderation Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) 33 Schlusswort Hans-Joachim Hering Vizepräsident HANDWERK.NRW 36 Dreikönigsessen Begrüßung und Einführung Andreas Ehlert Präsident HANDWERK.NRW 41 Grußwort Wolfgang Kirsch Vorstandsvorsitzender der DZ BANK AG Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank 45 Festansprache „Land der Chancen – Neue Wege in der Migrations- und Integrationspolitik“ Dr. Joachim Stamp MdL, stellvertretender Ministerpräsident des Landes NRW und Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration 53 Bisherige Veröffentlichungen
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 Zum Geleit Unser diesjähriges Dreikönigsforum stand im Zeichen von zwei Mega-Themen, die uns gerade im Handwerk intensiv beschäftigen und noch lange begleiten werden. Wenn im politischen Raum von Digitalisierung die Rede ist, denkt man oft an Start-ups mit cleveren Plattformideen und an eine neu aufblühende Digitalwirtschaft, vielleicht auch noch an „Industrie 4.0“ mit ihren digitalen Produktionsprozessen. Aber das Thema revolutioniert die Wirtschaft in allen Bereichen. Auch das Handwerk ist betroffen. Und mehr als das: Hand- werk ist Ausrüster und Dienstleister für „Industrie 4.0.“, es bringt eigene Innovationen voran, es positioniert sich mit neuen Angeboten auf dem Markt, es entwickelt seine Berufsbilder und seine Qualifikationsangebote dynamisch weiter. Gerade bei uns in Nordrhein-Westfalen setzt das Handwerk selbstbewusst auf Innovation, es will nicht nur verändert werden, es will selber Veränderungen anstoßen und mitgestalten, es will die Chancen der Digitalisierung ergreifen. Dafür ist es aber auf ordnungspolitische Rahmenbedingungen angewiesen, die dafür sorgen, dass die Digitalisierung den Wettbewerb belebt, aber nicht eingeschränkt wird. Schon an der Frage „Wem gehören die Kundendaten?“ entscheidet sich, ob für das Handwerk beispielsweise in der Haus- und Gebäudetechnik, im Kfz-Gewerbe oder im Gesundheitsgewerbe offene Märkte gewährleistet werden. Unsere Podiumsdiskussion am Nachmittag beleuchtete auf lebendige Weise Chancen und Gefahren der Digitalisierung und ging auch auf ordnungs- und innovati- onspolitische Rahmenbedingungen ein. Der Abend war dem nicht minder drängenden Thema Integration gewidmet. Viele Zuwanderer sind seit 2015 zu uns gekommen, viele von ihnen werden bleiben. Wenn wir wollen, dass die Integration dieser Menschen gelingen soll, verlangt das den guten Willen beider Seiten. Gerade die jungen Menschen, die zu uns gekommen sind, müssen wir durch passgenaue Bildungsange- bote, zu denen zuallererst Werteerziehung und Sprachförderung gehören, auf eine Ausbildung vorbereiten. Ebenso großer Anstrengungen bedarf es, sie erfolgreich durch die Ausbildung zu führen und ihnen Kompetenzen zu vermitteln, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Der Weg über Bildung und Arbeitsmarkt ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass kulturelle Integration gelingt. Wir im nordrhein-westfälischen Handwerk haben das zu unserer Aufgabe gemacht. Allein aus den acht wichtigsten Herkunftsländern der Flüchtlinge befanden sich Ende 2017 rund 2000 in einer Ausbildung. Innungen, Fachverbände und Kammern tun viel dafür, dass aus möglichst jedem Fall eine Erfolgsstory wird. Man kann lange darüber streiten, ob der Islam zu Deutschland gehört. Entscheidend ist am Ende, ob die, die bleiben dürfen, zu Deutsch- land gehören wollen. Wir finden: Wer sich für eine Ausbildung entscheidet und mit einer guten Qualifikation im Berufsleben Fuß fassen will, ist auf dem richtigen Weg. Denn bei uns im Hand- werk kommt es nicht darauf an, woher jemand kommt, sondern wohin er will. Düsseldorf, im Mai 2018 HANDWERK.NRW Andreas Ehlert Dipl.-Volksw. Josef Zipfel Präsident Hauptgeschäftsführer Dialog Handwerk 1 | 2018 3
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 Dreikönigsforum Begrüßung Lieber Herr Kirsch, dieses Dreikönigsforum ist immer eine wunderbare Gelegenheit, die Ge- meinsamkeiten zwischen dem Genossenschafts- Andreas Ehlert, wesen – insbesondere auch den Genossenschafts- Präsident HANDWERK.NRW banken – und dem Handwerk herauszustellen. Es gibt eine sehr lange gemeinsame Tradition. Auch Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es Sie feiern in diesem Jahr „200 Jahre Friedrich ist eine wunderschöne Tradition, dass sich das Wilhelm Raiffeisen – Der großartige genossen- nordrhein-westfälische Handwerk einmal im schaftliche Leitgedanke“. Insofern ist das heute Jahr in der DZ BANK versammelt, um gemein- eine schöne Gelegenheit, noch einmal deutlich sam sein Dreikönigsforum abzuhalten, das Drei- zu machen, dass uns viele gemeinsame Themen königsabendessen einzunehmen und in diesem verbinden. Ich denke bei den Genossenschafts- Haus seine Gremiensitzungen durchzuführen. banken etwa an die Themen der Geldpolitik, der Bankenregulierung, der Unternehmensfinanzie- Heute begrüße ich eine „Persönlichkeit“, die rung und der sozialen Vorsorge. Bei diesen The- „Friederike“ heißt, die zwar nicht in diesem Saal men haben wir gemeinsame Positionen, die wir anwesend ist, aber ziemlich viel Unheil angerich- auch im politischen Raum zusammen vertreten tet hat. Sie aber sind gekommen. Das soll nicht sollten. zu Ihrem Schaden sein. Wir werden gemeinsam eine wunderschöne Veranstaltung erleben. Ein Dank geht auch an unseren Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Hand- Mir ist soeben von Herrn Kindermann gesagt werks, Hans Peter Wollseifer, unserem ersten worden, dass es heute Morgen mächtig gestürmt Handwerker in Deutschland. Ihn begrüße ich habe. Dachziegel seien vom Dach gefallen. Er stellvertretend für all die Präsidenten, Landes- habe seinen Dachdecker angerufen, der inner- innungsmeister und Obermeister aus unseren halb von zwei Stunden da gewesen sei. Ich ver- Handwerkskammern, Zentralfachverbänden, Lan- mute, dass das der gleiche Dachdecker gewesen desinnungsverbänden, Kreishandwerkerschaften ist, der mir dann eine Mail geschickt hat, mit dem und Innungen. Inhalt: „Hör mal, die Kunden rufen ohne Ende an. Ich kann nicht kommen.“ (Beifall) Also: Alles, was oberhalb der Dächer arbeitet, hat Dass der Arbeitstag von Hans Peter Wollseifer für heute absagen müssen und ist nicht bei die- seit der Bundestagswahl in Berlin nicht mehr ent- sem Forum. Sie aber sind da, worüber ich mich spannt ist, muss ich wohl niemandem erzählen. sehr freue. Erst kam die Niedersachsenwahl. Anschließend folgten die Jamaika-Sondierungen. Danach ka- Mein erster Gruß und Dank gilt dem Hausherrn, men die Sondierungen für eine Große Koalition. Wolfgang Kirsch, dem Vorstandsvorsitzenden Was am Sonntag geschieht – darüber hat er eben der DZ BANK. Lieber Herr Kirsch, vielen Dank, im Vorstand berichtet –, ist anscheinend völlig dass wir auch heute wieder bei Ihnen im Haus offen. unser Dreikönigsforum und unsere Gremiensit- zungen abhalten dürfen. Ich bitte Sie, unseren Für uns im Handwerk ist es gut zu wissen, dass Dank an all Ihre Mitarbeiterinnen und Mitar- in Berlin ein Mann für Mittelstand und Hand- beiter weiterzugeben, die sich fürsorglich und werk unterwegs ist, der ein Standing hat, der professionell im Hintergrund darum kümmern, über die entsprechende Vernetzung verfügt und dass wir uns bei Ihnen wohlfühlen. der in der Lage ist, die Themen zu setzen, die für Mittelstand und Handwerk in Berlin wichtig Sie sind aus Frankfurt gekommen, um einige sind. Auch wenn es gelegentlich nur dazu dient, Stunden am heutigen Nachmittag und Abend den größten Unfug zu vermeiden. Das ist Dir mit uns zu verbringen. Darüber freuen wir uns gelungen. Wir wünschen Dir vom nordrhein- sehr. Danke schön, lieber Herr Kirsch! westfälischen Handwerk auch für das Jahr 2018 viel Kraft und Gesundheit für die Wahrnehmung (Beifall) dieser wichtigen Aufgabe für Mittelstand und 4 Dialog Handwerk 1 | 2018
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 Handwerk in Berlin. Schön, dass Du da bist, Pe- Ich freue mich sehr, dass wir Vertreter befreun- ter. deter Kammern und Institutionen begrüßen kön- nen. Ich nenne die Industrie- und Handelskam- (Beifall) mern, die Architektenkammer und die weiteren Freien Berufe. Ganz besonders freue ich mich, Für die Institutionen, die dem Handwerk sehr dass der Präsident der Industrie- und Handels- nahe stehen, darf ich zwei Persönlichkeiten be- kammer zu Düsseldorf, Andreas Schmitz, bei uns grüßen, die die DNA des Handwerks in sich ist. Herzlich willkommen, lieber Herr Schmitz. tragen. Von der SIGNAL IDUNA Gruppe begrü- Schön, dass Sie dabei sind. Ich kenne Ihren en- ße ich den Aufsichtsratsvorsitzenden Reinhold gen Terminplan. Schulte und den Vorstandsvorsitzenden Ulrich Leitermann. Es ist wunderbar, dass Sie beide die Ich war bei Ihrer Jahreseröffnungsveranstaltung. Zeit finden – wir haben gerade schon gemeinsam Ich weiß, Sie sind ein Mann der klaren Worte. Mir die Vorstandssitzung wahrgenommen –, an die- hat das sehr gut gefallen. Sie haben eine wichti- ser Diskussionsveranstaltung teilzunehmen. Ich ge Diskussion in Düsseldorf in Gang gesetzt, die kann Ihnen im Grunde das Gleiche sagen, was lange noch nicht abgeschlossen ist. Schön, dass ich schon zum Genossenschaftswesen gesagt Sie die Zeit für die Teilnahme hier gefunden ha- habe: Uns verbindet so viel, dass wir diese Ge- ben. meinsamkeiten auch in öffentlichen Veranstal- tungen immer wieder postulieren müssen. Wenn Ansonsten muss ich etwas vorsichtig mit Begrü- ich sehe, dass wir in Zeiten leben, in denen die ßungen sein, weil der eine oder andere entweder private Vorsorge für das Alter oder für Krankheit im Laufe des Nachmittags oder spätestens zum auf dem Altar des Populismus geopfert wird, Abendessen hinzukommt. Angemeldet haben dann erscheint es mir wichtiger als je zuvor, dass sich der handwerkspolitische Sprecher der CDU- wir ganz eng beieinanderstehen, um diesen Un- Landtagsfraktion, Matthias Goeken, und der sinn, wo immer die Möglichkeit besteht, laut- wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Land- stark anzuprangern. tagsfraktion, Ralph Bombis, verschiedene Abge- ordnete und Mitglieder der Enquetekommission, (Beifall) die hoffentlich alle nach und nach eintrudeln Dialog Handwerk 1 | 2018 5
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 werden. Wir werden sicher Gelegenheit haben, Lieber Peter Eul, ich komme darauf, weil auch miteinander zu sprechen. die Friseure oder Kosmetiker am Ende natürlich von Digitalisierung berührt sind. Gerade hat ein Bekanntlich gibt es nichts Langweiligeres als Be- großes Düsseldorfer Familienunternehmen, das grüßungen. Vor allem ist es immer dann beson- sein Geld auch mit dem Verkauf von Wasch- ders langweilig, wenn man selber nicht begrüßt mitteln und Haarshampoo verdient, eine Gerät- wird. In diesem Fall gibt es zwei Möglichkeiten. schaft entwickelt, mit der Friseure die Haare ih- Ich entscheide mich jetzt für die zweite. Ich heiße rer Kunden scannen, diese dann analysieren und Sie alle noch einmal sehr herzlich willkommen anschließend ein persönliches Shampoo zusam- beim Handwerk. menmischen können. Ich will damit sagen, dass die Digitalisierung wirklich alle Bereiche in der Wir haben uns heute ein spannendes Thema vor- gesamten Bandbreite berührt. Das ist dann viel- genommen. Ich bitte Sie, gleich nicht nur die Teil- leicht auch eine Chance für uns. nehmer auf dem Podium diskutieren zu lassen, sondern sich auch selbst mit Ihrem Fachwissen Zweitens. Es ist verständlich, dass die Politik von einzubringen. Hier sitzt aus den einzelnen Fach- dieser Start-up-Kultur begeistert ist. Das meine bereichen sehr viel Kompetenz. Ich bitte, Ihre ich gar nicht despektierlich. Es ist wunderbar, Themen und Wünsche auch an die Podiumsteil- dass wir ein hohes Innovationspotenzial durch nehmer heranzutragen, um dann miteinander Gründungen haben und viel Kreativität neu in diskutieren zu können. die Märkte kommt. Aber am Ende geht es bei kluger Wirtschaftspolitik nicht nur darum, Rah- Aufgerufen haben wir das Thema „Innovation menbedingungen für einzelne Unternehmen zu und Wettbewerb in digitalen Zeiten“. Das ist für verbessern. Wir müssen immer dafür sorgen, das Handwerk ein hochspannendes Thema. Es dass wir faire Wettbewerbsbedingungen für alle gibt keine politische Partei mehr, die das Thema Unternehmen am Markt haben – ob es sich um nicht für sich entdeckt hätte. Hinter Glasfaser- Neugründungen handelt oder um bestehende ausbau – Kupferkabel sind mittlerweile komplett Betriebe. Es darf keine Begünstigungen und kei- out – und glänzender, hochinnovativer Start-up- ne Privilegierungen für einzelne Formen von Un- Kultur schart sich jeder Politiker gerne. Das ist ternehmen geben. auch für das Handwerk wichtig. In der „Neuen Zürcher Zeitung“ ist vor einiger Bevor wir in die Diskussion einsteigen, möchte Zeit hierzu die Gretchenfrage gestellt worden: ich ganz wenige Punkte vorweg nennen, um sie Nützt eine geplante Maßnahme auch einem seit schon ein wenig „aufzuwärmen“. zwanzig Jahren hart arbeitenden Bäckermeister oder einer Werkzeugmanufaktur? Erstens. Bei der Digitalisierung geht es nicht nur um die Digitalwirtschaft. Am Ende geht es Das finde ich, ist die richtige Frage. So richtig es nämlich um die Realwirtschaft in ihrer gesamten ist, dass wir Gründungen durch Digitalisierung Bandbreite. Man muss dafür nicht den Versiche- vereinfachen, so richtig es ist, dass wir ein büro- rungsbereich oder den Bankenbereich bemühen. kratiefreies erstes Jahr schaffen wollen – was ma- Ein Blick ins Handwerk selbst reicht. Die Digitali- chen wir eigentlich mit dem zweiten, dritten oder sierung durchdringt alle Märkte des Handwerks. vierten Jahr? –, so wichtig ist es aber auch, dass Unternehmen während ihrer gesamten Lebens- Im Baubereich etwa soll „Building Information dauer am Markt von unnötigen Dokumentati- Modeling“ für den Bau- und Liegenschaftsbe- onspflichten entlastet werden, dass sie von be- trieb Nordrhein-Westfalen oder für Straßen.NRW schleunigten Genehmigungsverfahren und von ab dem Jahr 2020 verpflichtend werden. Im Kfz- E-Government profitieren können. Es muss wäh- Bereich führen die neuen Technologien enorme rend der gesamten Lebensdauer eines Betriebes Veränderungen herbei. Das gilt auch für die Ge- am Markt gleiche Wettbewerbsbedingungen ge- sundheitswirtschaft. Im gesamten Bereich des ben. Ich denke, die neue Landesregierung – das Handwerks ist das so. sei nebenbei gesagt – ist hier auf einem ziemlich guten Weg. 6 Dialog Handwerk 1 | 2018
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 Drittens. Digitalisierung verändert natürlich auch tische Distanz erhalten und nicht nur unkritisch die Anforderungen an unsere Betriebe, verändert mit reiner Technikeuphorie auf diese Verände- die Anforderungen, die die Marktteilnehmer an rungen schauen. Wir sollten nicht alles, weil es uns als Unternehmer stellen, und verändert die digital ist, als besser und richtig empfinden. Ein Anforderungen an unsere Mitarbeiter. Im Kern bisschen Nüchternheit gehört dazu. gibt es darauf eine ganz einfache Antwort. Diese heißt „Qualifizierung“. Wir kommen nicht um- Es gibt von Konrad Adenauer einen wunder- hin, die Menschen für die neuen Herausforde- schönen Spruch, den Sie alle kennen – zumin- rungen zu qualifizieren, die sich am Markt und dest haben wir ihn alle schon mal auf irgendei- in den Unternehmen ergeben. Wir müssen die ner Postkarte gelesen –: „Die Wirtschaft soll dem Schulabgangsreife und die Ausbildungsreife der Menschen dienen, nicht der Mensch der Wirt- Schulabgänger verbessern. Wir müssen schauen, schaft.“ Das kann man eins zu eins auf Digitali- dass unsere Berufsschulen vernünftig ausgestat- sierung übertragen. Am Ende soll Digitalisierung tet sind, ferner die überbetrieblichen Werkstätten den Menschen dienen, sie soll für uns vieles ver- des Handwerks, dass wir genügend Berufsschul- einfachen. Wir sollten die Chancen sehen und die lehrer haben, dass nicht fachfremd unterrichtet Möglichkeiten nutzen, die sich daraus ergeben. wird, dass es keinen Unterrichtsausfall in den Schulen gibt. All diese Punkte sind enorm wich- Ich will das an dem Beispiel des autonomen Fah- tig, damit junge Menschen nach ihrer Ausbildung rens deutlich machen: „Autonomes Fahren“ be- für die Arbeitsmärkte qualifiziert sind. Auf dieses deutet auf der einen Seite, dass wir vermutlich Fundament von qualifizierten jungen Menschen bessere Verkehrsflüsse haben werden. Das be- können wir dann auch hochinnovative Angebote deutet auch, dass es vermutlich weniger Unfälle der Fort- und Weiterbildung aufsetzen. geben wird. Auf der anderen Seite bedeutet auto- nomes Fahren auch, dass uns ein Stück weit Au- Viertens. Wenn Märkte durch Digitalisierung tonomie genommen wird. Das heißt, bestimmte verändert werden, sollten wir genau hinschauen. Entscheidungen treffen nicht mehr wir, sondern Ist es wirklich so, dass Digitalisierung immer und trifft irgendeine künstliche Intelligenz. Wir müs- jederzeit für mehr Wettbewerb und mehr Innova- sen zumindest als Gesellschaft darüber diskutie- tion sorgt? Oder ist es gelegentlich auch so, dass ren, was wir wollen, damit wir am Ende einen sie freien Wettbewerb behindern kann? Kommt Konsens in der Gesellschaft darüber haben, was es in Teilen gegebenenfalls zur Vermachtung, Digitalisierung für uns bedeuten und leisten soll. Monopolbildung oder zum Marktversagen? Ich Ich will damit nur sagen: Digitalisierung ist keine meine, Politik darf sich nicht von kurzfristigen neue Religion. Effekten leiten lassen, sondern muss genau hin- schauen. Das ist am Ende auch eine ordnungspo- Das sollen nur wenige Denkanstöße vor der Dis- litische Aufgabe. kussionsrunde gewesen sein. Ich bitte jetzt die Teilnehmer auf die Bühne. Zuerst begrüße ich Ich weiß nicht, Herr Leitermann, ob der CEO der meinen Unternehmerkollegen Sebastian Grethe. „Allianz“, Herr Oliver Bäte, recht hat, der dieser Herzlich willkommen, Herr Grethe. Tage in einer großen überregionalen Zeitung ge- sagt hat, die Hälfte der Geschäftsmodelle, die im (Beifall) digitalen Bereich stattfänden, würden, wenn wir sie in die analoge Welt übertrügen, dazu führen, Sebastian Grethe ist ein richtiger Start-up-Un- dass wir alle im Gefängnis säßen. Ich weiß nicht, ternehmer. Er hat eine digitale Plattform für ob das so richtig ist, aber zumindest stößt er da- den Stahlhandel ins Leben gerufen und damit mit eine Debatte an, ob man manche Geschäfts- die Märkte mächtig aufgemischt. Wir haben uns modelle, die online stattfinden, auf die Offline- schon an anderer Stelle kennenlernen können Version eins zu eins übertragen kann. und uns ausgetauscht. Ich finde seine Geschichte hochspannend. Das ist eine kluge Geschäftsidee. Ein letzter Punkt: Digitalisierung ist – daran Ich denke, dass diese auch für das Handwerk führt kein Weg vorbei – eine gewaltige Chance. sehr interessant ist. Sie kann das Leben und das Arbeiten vereinfa- chen. Dennoch sollten wir alle uns auch eine kri- Dialog Handwerk 1 | 2018 7
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 Ich freue mich, dass wir Prof. Dr. Frank Czaja zu Hennecke hat die Themen der Digitalisierung so Gast haben. Er ist ein unternehmerischer Kopf. tief in sich, dass er die Stimme des Handwerks Herr Prof. Czaja, Sie sind tätig an der SRH Hoch- hier sein wird. Außerdem sitzen hier so viele schule für Logistik und Wirtschaft in Hamm. Die Handwerksmeister, die ihn auch inhaltsstark un- Digitalisierung, haben Sie gesagt, revolutioniert terstützen werden. Herzlich willkommen, Hans die Logistikbranche. Aus Ihrer Sicht müssen sich Jörg Hennecke. politische Rahmenbedingungen diesbezüglich verändern. Etablierte Geschäftsmodelle werden (Beifall) über den Haufen geworfen. Wir müssen neu denken und vermutlich auch über neue Qualifi- Weiter darf ich Prof. Dr. Justus Haucap begrü- kationen nachdenken, die daraus hervorgehen. ßen. Er kommt von der Heinrich-Heine-Univer- Sie haben auch gesagt, die Anforderungen an sität Düsseldorf und ist einer der profiliertesten unsere Infrastruktur werden sich gewaltig ver- Ökonomen Deutschlands. Darüber hinaus ist ändern. Auch die intelligente Vernetzung der Prof. Haucap ein großer Freund des Handwerks. Verkehrsträger ist sicherlich ein Thema. Für uns Ich freue mich sehr, lieber Herr Haucap, dass Sie im Handwerk ist das hochspannend. Herr Prof. heute an dieser Diskussion teilnehmen. Sie ha- Czaja, schön, dass Sie dabei sind. ben schon verschiedentlich ordnungspolitische Hinweise in Fragen der Digitalisierung gegeben. (Beifall) Herzlich willkommen, Prof. Haucap. Einen für unsere Podiumsrunde ursprüng- (Beifall) lich vorgesehenen Teilnehmer hat „Friederike“ dann doch davon abgehalten, hierher zu kom- Schließlich darf ich noch den Mitherausgeber men, nämlich Dr. Alexander Barthel. Wir dür- der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Holger fen an seiner Stelle Herrn Prof. Dr. Hans Jörg Steltzner, begrüßen. Herrn Steltzner muss ich Hennecke begrüßen. Er ist Geschäftsführer bei in dieser Runde nicht besonders vorstellen. Er HANDWERK.NRW und Geschäftsführer in der macht das schon seit vielen Jahren und ist immer Handwerkskammer Düsseldorf. Er ist ein heller in der Lage, die Fäden zusammenzuhalten. Mal Kopf. Ich habe zwei Jahre lang mit ihm zusam- sehen, ob Ihnen das heute wieder gelingt. Ich menarbeiten dürfen in der Enquetekommission freue mich sehr, lieber Herr Steltzner, dass Sie über die Herausforderungen der Digitalisierung auch am heutigen Tag wieder die Aufgabe der für Mittelstand und Handwerk. Er ist so tief in Moderation übernehmen. diesen Themen drin, dass er nicht nur als Ersatz für Herrn Barthel angesehen werden kann. Herr Ich überlasse Ihnen jetzt das Podium. Barthel ist derjenige, bei dem in Berlin alle Fäden der Digitalisierung zusammenlaufen. Aber Prof. (Beifall) 8 Dialog Handwerk 1 | 2018
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 Podiumsdiskussion Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Duesseldorf Institute for Competition Economics (DICE): Moderator Holger Steltzner, Mitherausgeber der „Frankfurter Wenig, wie ich leider sagen muss. Das Papier ist Allgemeinen Zeitung“: bekanntlich 28 Seiten lang. Ich versuche einmal zu rekonstruieren, auf welcher Seite das Thema Herzlichen Dank, lieber Herr Ehlert, für diese „Digitalisierung“ vorkommt. Es befindet sich re- freundliche Begrüßung. lativ weit hinten in dem Papier. „Innovation und Wettbewerb in digitalen Zei- Im Wesentlichen sind es zwei Punkte: erstens ten“ ist ein weites Feld. Das hat verschiedene Di- Breitbandausbau. Das ist hinreichend wenig mensionen. Es weist politische Dimensionen auf. kontrovers. Es gibt wahrscheinlich niemanden, Wer sind die Treiber der Digitalisierung? Natür- der sagt: „Nein, bitte das Breitband nicht bei uns lich die Internetkonzerne aus den USA und zu- ausbauen.“ Breitbandausbau ist populär. Als nehmend auch aus China. Man könnte fragen: zweites steht E-Government in dem Papier. E- Wo bleibt eigentlich Europa? Government ist in der Tat wichtig. Selbst von der Europäischen Kommission wird uns jedes Jahr Es gibt eine sozialpolitische Dimension. Die ha- vorgehalten, dass Deutschland im E-Govern- ben Sie, Herr Ehlert, schon angetippt mit der ment-Bereich eines der Schlusslichter ist. Viele Erwähnung der Frage nach den Wettbewerbs- Länder sind auf diesem Gebiet weiter. bedingungen. Weiter gibt es rechtliche Dimensi- onen. Außerdem geht es um Datenfragen. Wem Was mir ein bisschen fehlt ist Folgendes: Es gehören eigentlich die Daten? Weiter enthält es stimmt zwar, dass die Breitbandpenetration nicht unternehmerische Dimensionen. Welche Folgen überall so hoch ist wie in anderen Ländern. Aber hat das für Geschäftsmodelle und für Branchen- auch dort, wo es Breitband gibt, ist der Take-up entwicklungen? Es gibt technische Dimensionen. in Deutschland sehr gering. Bei der Verbreitung des Breitbandangebots sieht es eigentlich gar Was bedeutet das eigentlich, dass jetzt die künst- nicht so schlecht bei uns aus. Schlecht ist vor al- liche Intelligenz als Großthema beginnt, die lem der Take-up. Ungefähr ein Viertel der Leute, Digitalisierung in den Schatten zu stellen? Was bei denen Breitband vor dem Haus verfügbar ist, passiert denn da mit den Arbeitsplätzen? Und so hat den Anschluss auch bestellt. Drei Viertel hin- weiter. Es gibt demografische Dimensionen und gegen bestellen das Breitband nicht. Sie sagen: vieles andere mehr. „Nein. Danke schön, dass bei mir vor der Haus- tür Breitband verfügbar ist, aber ich brauche es Um das ein bisschen einzuhegen, wäre es viel- eigentlich gar nicht.“ leicht sinnvoll, die Debatte hier auf die handfes- ten Bereiche sozialpolitische Dimensionen, recht- Es stellt sich natürlich die Frage, warum das so liche Dimensionen und das Unternehmerische ist. Das liegt wohl auch daran, dass in vielen zu konzentrieren. Bereichen die Inhalte, die angeboten werden, noch nicht interessant genug sind oder auch Ge- Aber eine politische Frage muss ich doch an die schäftsmodelle durch ganz unterschiedliche As- Runde zu Beginn stellen. Am Sonntag findet in pekte verhindert werden. Teils haben wir hohe Bonn der Sonderparteitag der SPD statt. Es ist regulatorische Barrieren, teils fehlt es an Anrei- völlig offen, wie er ausgeht. Herr Haucap, wie zen. Ich denke an den Bereich E-Health, wo es bewerten Sie denn dieses Sondierungspapier mit teils fehlende Abrechnungsmöglichkeiten für die Blick auf das, was uns hier thematisch umtreibt? Leistungserbringer gibt etc. Was steckt darin für Digitalisierung, für Innova- tion und Wettbewerb? Was ich mir gewünscht hätte? Wir haben fol- genden Vorschlag im Kronberger Kreis, also im Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, gemacht: Warum schaffen wir nicht nach der Bundestags- wahl eine Kommission, die einmal versucht, sys- Dialog Handwerk 1 | 2018 9
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 tematisch, also nicht einzeln für einen kleinen weicht werden – geschieht. Er hat gesagt, es gehe Bereich, sondern für die gesamte Wirtschaft oder vor allem um die digitale Bildung – das ist wie- auch für den Gesamtbereich Staat und Wirtschaft der so ein schwammiger Begriff, Herr Grethe – zu erheben, was eigentlich die Barrieren für die mit Blick auf die Jugend und die Nachwachsen- Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen den. Sind die digital gut gebildet, oder wünscht und digitalen Angeboten sind, und festzustellen, man sich da viel mehr? woran es fehlt, und die überlegt, wie wir Pake- te schnüren können, um das mit zentralisierter Kompetenz voranzubringen? Sebastian Grethe, Mitgründer und Im Sondierungspapier werden viele Kommissio- Geschäftsführer der Mapudo GmbH: nen vorgeschlagen: eine Kommission für Demo- kratie, eine Kommission für Wachstum und eine Das ist eine gute Frage. Ich will einmal aus un- Kommission für Klimaschutz, nur Digitalisie- serer Erfahrung sprechen. Als Start-up sind für rung wird nach wie vor doch ziemlich stiefmüt- uns die Entwickler, die wir bei uns sitzen haben terlich behandelt. Bezüglich dieses Themas fehlt und die für uns die Codes umsetzen, eine ganz mir ein bisschen mehr Schwung. wichtige Ressource. Für uns ist es sehr schwie- rig, dafür junge Leute für unser Unternehmen zu gewinnen, die tatsächlich in kürzester Zeit an bestimmten Problemen arbeiten können und Moderator Holger Steltzner: selbstständig zu Lösungen kommen. Aus dem Nähkästchen geplaudert: Wir hatten Ich habe intern viele Gespräche darüber geführt, uns mit Herrn Schulz am Freitagabend für das woran das liegt. Tatsächlich ist es so, dass viele Interview für die Sonntagszeitung getroffen. Leute, die zu uns auch von den Hochschulen Phänomenal war erst einmal, dass er nach 36 kommen, Theoretiker sind. Wir brauchen aber Stunden total fit war. Ich war überrascht. Ich viel mehr Praktiker. Wir haben ganz konkrete wäre wahrscheinlich während des Interviews Anwendungsfälle und Probleme, die gelöst wer- weggenickt. Er war aber vielleicht noch eupho- den möchten. Wir brauchen jemanden, der im risiert von den Erfolgen, die seine Partei heute ja Tagesgeschäft dafür Ergebnisse abliefert. anders sieht. Gerade junge Leute nutzen sehr viel Technik, die Ich habe ihn danach gefragt, was digital und mit vorhanden ist, aber bei vielen fehlt ein tieferes Blick auf die Bildung – das Kooperationsverbot technisches Verständnis. Die Personen, die bei soll zwar nicht fallen, aber ein bisschen aufge- uns von den Universitäten kommen, sind halt 10 Dialog Handwerk 1 | 2018
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 sehr theoretisch ausgebildet. Da fehlt wirklich Als private Uni sind wir hier ganz anders aufge- für uns der praktische Mehrwert. Wir brauchen stellt. Wir haben ein hohes Interesse daran, un- eine Mischung bei den Personen, die intellektuell sere Studenten zu einem erfolgreichen Abschluss verstehen, worin das Problem besteht, die gleich- zu bringen. Insofern besteht da ein wesentlicher zeitig aber auch Praktiker sind, um das Problem Unterschied. Die Studentenzahlen sind logi- ganz konkret lösen zu können. scherweise da etwas anders. Ich meine, es geht aber schon viel früher los. Wir müssen nämlich die Leute rechtzeitig dafür inte- Moderator Holger Steltzner: ressieren, was sie denn studieren. Viele Leute – ich führe relativ viele Beratungsgespräche – wis- Herr Czaja, nun wird ja schon lange über die IT- sen nach dem Abitur gar nicht, was sie studieren Entwickler, die Software-Ingenieure gesprochen. sollen. Es wird schon lange darüber geklagt, dass es uns an einer ausreichenden Zahl fehlt. Ich möchte deshalb dieses Gremium nutzen, um für eine Idee zu werben: Wir versuchen gemein- Mein Jüngster hat angefangen, in Würzburg sam mit der Wirtschaftsförderung im Kreis Unna Wirtschaftsinformatik zu studieren. Er war im eine Broschüre zu erstellen, in der gerade mit- ersten Semester mit vielen seiner Kommilitonen telständische Unternehmen darstellen können, extrem gefrustet, dass er in der ersten Klausur in welche Ausbildungsplätze zur Verfügung ste- Wirtschaftsinformatik eine Durchfallquote von hen und welche Studiermöglichkeiten in diesen 86 Prozent hatte. Muss man das so machen, muss Unternehmen bestehen, um Jugendliche – das man diejenigen, die ein gutes Abi haben, mit ist kein neues Phänomen – und auch Auszubil- Durchfallquoten von 86 Prozent erschrecken? Ich dende zu finden und dafür zu begeistern, sich in hatte die gleiche Frage gestern bei einer Diskussi- den Unternehmen zu bewerben und dort anzu- on mit Heike Schmoll, unserer Bildungsexpertin fangen. aus der Politik. Wir hatten die Preisverleihung „Jugend schreibt“ und debattierten mit Lehrern. Wir haben das relativ intensiv gemacht. Dazu Die sagten: Man muss die im ersten Semester haben wir über 300 Unternehmen mehrfach an- gleich „rauskegeln“. Ich würde sagen: Will man geschrieben. Es war wirklich schwierig, für eine nicht erst einmal versuchen, sie auszubilden? Broschüre, welche für die Unternehmen kosten- Muss man mit so hohen Quoten da hineingehen? los ist, auch nur 30 Unternehmen zu finden, die sich in einer solchen Broschüre, die an potenziel- le Interessenten ausgegeben wird, darstellen. Da bedarf es noch eines Umdenkens. Das hat auch Prof. Dr. Frank Czaja, SRH Hochschule mit der Digitalisierung zu tun, wenn wir uns an- für Logistik und Wirtschaft, Hamm: sehen, welche Medien heute junge Leute nutzen. Die sind in den Tools der Weiterbildung – das ist Vielen Dank für diese Frage. Ich muss ein biss- ein weiteres Thema – „Digitalisierung“ auch ab- chen aufpassen, was ich dazu sage. Ich komme gebildet. von einer privaten Universität. Wir sind natür- lich etwas anders aufgestellt als eine öffentliche Wenn man sich ansieht, welche Weiterbildungs- Hochschule. maßnahmen oder Tools unter den Top Ten stehen, sieht man auf Platz 1 YouTube und auf Von der privaten Universität aus sage ich: Das Platz 5 Twitter. Wenn ich mich selber frage, wo System in der Wissenskultur ist heute so ange- wir als Hochschule aktuell YouTube oder Twitter legt, dass ich als Universität eine Kopfprämie für Weiterbildung nutzen, wenn wir etwa über dafür bekomme, dass ich einen Studenten werbe. EdTech (Educational Technology) reden, ist fest- Ich bekomme diese Kopfprämie dafür, dass er zustellen, es gibt Studien und Prognosen, dass im bei mir anfängt. Dass er erfolgreich abschließt, ist Jahr 2030 das größte Internetunternehmen eine keine Bedingung. Das heißt, ich bekomme mei- digitale Weiterbildungsinstitution sein wird. Auf ne finanzielle Prämie. Ich denke, dazu wird es diesem Gebiet gibt es viele Möglichkeiten, die gleich eine Ergänzung geben. Dialog Handwerk 1 | 2018 11
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 wir heute alle gemeinsam inhaltlich noch nicht Wenn man wirklich etwas tun wollte, sollte man nutzen. in die Wirtschaftsinformatik investieren: Das ist meine Erfahrung aus Nürnberg. Dort war ich zwei Jahre, bevor ich nach Düsseldorf kam. In Nürnberg hatten wir an der Fakultät drei Profes- Moderator Holger Steltzner: soren für Wirtschaftsinformatik. Wenn wir die auch in Düsseldorf hätten, dann würden wir – da Herr Haucap, Sie wollen direkt dazu etwas sa- bin ich mir sicher – auch mehr Start-ups haben. gen. Das ist nämlich das typische Umfeld, aus dem heraus Start-ups entstehen. Wenn also die Stadt Düsseldorf für die Start-up-Kultur etwas tun will, sollte sie dazu beitragen, drei Professuren Prof. Dr. Justus Haucap: für Wirtschaftsinformatik an die HHU zu holen. Dann wird nach ein paar Jahren etwas passieren. Ich will dazu in Kombination zu Ihrer Frage et- Als Dekan der Fakultät denke ich, dass man da- was sagen. Die Steuerung an Hochschulen ist durch etwas bewegen könnte. sicherlich auch im öffentlichen Bereich sehr un- terschiedlich. Bei uns an der Heinrich-Heine-Universität ist es Moderator Holger Steltzner: wie folgt: Ich bin momentan auch Dekan der Fa- kultät. Nicht für jeden Studienanfänger bekom- Das war der Werbeblock. – Aber jetzt zum Hand- men wir Geld, sondern nur für bestimmte, näm- werk und zum Mittelstand, Herr Hennecke. In lich für diejenigen, die vorher noch nicht studiert der veröffentlichten Meinung, aber auch in der haben. Für Leute, die aus einem anderen Studi- politischen Debatte, dominiert das Schlagwort engang zu uns wechseln, bekommen wir nichts. „Industrie 4.0“. Dabei ist Digitalisierung viel Wir erhalten als Fakultät momentan rund 6.500 mehr. Sie erfasst die ganze Gesellschaft und die Euro für einen Studienanfänger. Wir können bei komplette Wirtschaft. Kommen in der Debatte der Zulassung nicht differenzieren, ob es ein Stu- das Handwerk und der Mittelstand zu kurz? Ich dienanfänger oder ein Studienfachwechsler ist. würde sagen: Ja. Folgefrage: Was muss man da- Im Erwartungswert bekommen wir daher etwa gegen tun? 4.500 bis 4.800 Euro pro Studienanfänger. Für ei- nen Absolventen bekommen wir 4.000 Euro, also ein bisschen weniger. Aber wir erhalten auch für die Absolventen Geld. Das mag helfen zu erklä- Prof. Dr. Hans Jörg Hennecke, ren, warum wir keine Durchfallquoten von 85 Geschäftsführer HANDWERK.NRW: Prozent haben. Aber es ist wohl auch eine Frage der Philosophie. Bei uns an der Fakultät haben Zuvor noch eine Anmerkung zur Bildungsde- wir kein Interesse, die Leute an die Hochschule batte: Die Hochschulen bekommen Geld für die zu locken, nur damit sie nach einem Jahr frus- jungen Leute, die sie ausbilden. Im Handwerk triert wieder gehen. Wir haben vielmehr schon zahlen die Betriebe den Auszubildenden etwas. den Anspruch, Leuten etwas beizubringen und Das ist eine ganz andere Anreizkultur, die viel erfolgreich zu sein. ausmacht. Man kann es nicht ganz abstellen, dass es immer In der Tat ist es so, dass die politische Debatte wieder Kollegen gibt, die „tollwütig“ sind und sehr stark auf die Industrie fixiert ist, auf die um sich beißen und Leute aus dem Studiengang Forschungskultur, die es zum Thema „Digitali- „rausprüfen“. Man muss als Dekan versuchen, sierung“ gibt. Das ist insofern auch nachvollzieh- das zu verhindern, dass es dazu kommt. Wir ha- bar, weil es da um große Einheiten geht. Da geht ben bei uns dieses Problem Gott sei Dank nicht. es um serielle Prozesse. Das heißt, man kann eine Ich weiß aber von anderen Fakultäten, dass es Innovation sehr schnell anwenden in einem gro- manchmal gar nicht so einfach ist, solche Kolle- ßen Feld und mit einfachen Lösungen relativ viel gen davon abzuhalten, so vorzugehen. an Innovation und an Wertschöpfung erzeugen. 12 Dialog Handwerk 1 | 2018
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 Handwerk und Mittelstand sind sehr viel klein- die es gibt, diese neuen Oberflächen, viel stärker teiliger. Das heißt, wenn Sie Digitalisierung in herausstellen sollte und könnte? einen Betrieb mit fünf bis zehn Mitarbeitern brin- gen wollen, wenn Sie die sehr vielfältigen Kun- denkontakte und Geschäftsbeziehungen eines solch kleinen Unternehmens begreifen wollen, Prof. Dr. Hans Jörg Hennecke: dann können Sie nicht mit Standardlösungen kommen, sondern dafür müssen Sie Lösungen Ganz klar. Herr Czaja hat das eben angedeutet anbieten, die an diese konkrete Situation ange- mit den Unternehmen im Umfeld seiner Hoch- passt und flexibel sind. Das ist eine Sache, an der schule. Wenn man junge Leute für eine Branche viele wissenschaftliche Innovationen scheitern, gewinnen möchte, dann muss man denen attrak- weil sie einfach nicht diese Umsetzungsgenauig- tive Perspektiven bieten können. Das ist sicher keit hinbekommen, nicht so sehr die Märkte ken- eine Frage der Entlohnung, aber viel wichtiger nen, auf denen sich das abspielt. Deswegen ist es sind, denke ich, die Sinnerfüllung, die man im eine ganz wichtige Aufgabe, dass man das, was Berufsleben hat, und die Offenheit der Perspekti- an Innovationspolitik und Forschungspolitik be- ven. Das heißt, es ist ganz wichtig für das Hand- trieben wird, sehr viel stärker an die Realität von werk, auch diese Karriereperspektiven und diese kleinen und mittleren Unternehmen heranführt Bildungsperspektiven, ausgehend von der Aus- und auch an das, was bei diesen in den Kunden- bildung, darzustellen und zu verstärken. beziehungen passiert. Wir reden im Augenblick sehr viel über Integra- tion. Gerne wird gesagt, die Flüchtlinge könnten alle ins Handwerk kommen. Wir könnten dafür Moderator Holger Steltzner: die Standards senken, dann würde das schon pas- sen. Wir sind da manchmal in einer Diskussion, Aber wie kann man denn das stärker in die Köp- bei der wir uns zu sehr mit diesen Themen befas- fe des Publikums bringen? Das ist ja auch eine sen. Dabei geht etwas unter, dass wir mittlerweile Frage der Nachwuchsgewinnung. in vielen Gewerken hochinnovative Berufsbilder haben, dass da inzwischen auch sehr viel passiert In der Vorbereitung des heutigen Nachmittages im Bereich der höheren Berufsbildung, wo man habe ich gelernt – ich wusste das vorher gar nicht, auch jenseits des Meisters bis hin zur Promoti- bis auf das Zahnlabor aus familiären Gründen –, on innerhalb der Berufsbildung aufsteigen kann. dass es schon hochinnovativ und digital im Dort gibt es auch sehr viele akademische Mög- Handwerk zugeht, nämlich mit dem 3D-Druck lichkeiten in dualen und trialen Studiengängen. im Zahnlabor oder selbst in der Konditorei mit Das sind sicher Themen, die das Handwerk im Gussformen für Pralinen, wie Sie es vorgetra- Ganzen nach außen stärker darstellen und intern gen haben, Herr Wollseifer, vom 3D-Scanner auch noch stärker entwickeln muss. Darin gibt es im Gesundheitswesen für Prothesen, über den noch sehr viel Dynamik. Jedes Gewerk muss für Schuhmacher, der damit seine Leisten anfertigt, sich selber entscheiden, wie es seine Strategie der oder den Maßschneider, der damit seinen An- Qualifizierung auch im Wettbewerb mit akade- zug vorbereitet, zu den 3D-Brillen als Werkzeug, mischen Angeboten versteht. wenn man Werkstücke herstellt, oder, wenn man Gebäude entwerfen möchte, dass man Drohnen der Dachdecker einsetzt, bis zum Roboter, den die Tischler schon nutzen. Das war mir alles gar Moderator Holger Steltzner: nicht bekannt. Zu den Gründerdebatten noch ein kleiner Schlen- Ist es nicht vielleicht auch so, wenn Medienleu- ker: Sie werden wahrscheinlich denken, als Start- te Nachwuchskräfte und auch die Öffentlichkeit up-Unternehmer rollt mir jeder Politiker in den begeistern möchten, zeigen möchten, was das Sonntagsreden den roten Teppich aus. Man hat Handwerk alles kann, dass man diese Faszinati- so das Gefühl, wir befinden uns in einem Grün- on von Technik und auch die neuen Werkstoffe, derparadies. Dialog Handwerk 1 | 2018 13
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 Wir haben vorher kurz miteinander telefoniert. dafür eigentlich notwendig sind, um so etwas Da klang das nicht ganz so nach paradiesischen auch gesellschaftlich umzusetzen. Häufig höre Zuständen. Wo hakt es denn? Wie können wir ich dann Vergleiche mit den USA, was die dort al- Gründer besser unterstützen? les auf die Beine stellen und wie toll es dort ist in Bezug auf das Unternehmertum und hinsichtlich der größer als in Deutschland ausgeprägten Risi- kobereitschaft. Das mag alles sein. Aber es wird Sebastian Grethe: übersehen, dass in den USA oder in den ameri- kanischen Unternehmen, die so erfolgreich sind, Man muss unterscheiden, aus welchen Situatio- es gelingt, weltweit die besten Kräfte ins Land zu nen heraus Gründungen vollzogen werden. Wir holen. Das ist für eine Start-up-Kultur sehr wich- reden ja im weitesten Sinne über Industrie 4.0. tig. Als Start-up hat man nicht viele Ressourcen. Dies bedeutet für mich, dass dort reife Ideen aus Jeder Einzelne, der ins Team kommt, muss pro- dem Tagesgeschäft in neue Konzepte eingebracht duktiv sein und gleich einen Beitrag leisten. Wir werden. können nicht jemanden ein Jahr lang einweisen. Das bedeutet aber für uns hier, dass der Zugang Ich denke, die Innovationen im Handwerk sind zu Programmierern ein enormer Kampf um we- welche, die aus dem Tagesgeschäft heraus kom- nige schlaue Köpfe ist. men. Es ist nicht ein Genius, der von der Hoch- schule kommt, der sagt: „Ich erfinde im Ge- Wir haben in Düsseldorf mit Trivago das bekann- sundheitswesen neu, wie man Zahnprothesen teste deutsche Start-up. Die räumen den Markt abbilden kann.“ Das sind vielmehr Ideen, die erst einmal leer. Auch Trivago hat Probleme, aus dem Tagesgeschäft heraus entstehen. Für hier Leute zu bekommen. Alle anderen, die dann mich besteht darin gerade die Stärke Deutsch- klein anfangen, können zusehen, wie sie das auf lands. die Beine stellen. Letztlich bedeutet das aber, dass die Personen, Letztlich ist die Situation im Alltag so: Personal- die diese Gründungen vornehmen – dazu zähle berater rufen bei mir an. Sie fragen mich, ob ich ich mich auch –, schon einen bestimmten Karri- Entwickler brauche. Gleichzeitig erhalten die ereweg hinter sich haben. Das Risiko, dann aus Entwickler Anrufe, in denen gefragt wird, ob sie einem sicheren, gut bezahlten Job herauszuge- einen neuen Job suchen. So ist das dann ein gro- hen und ein Unternehmen zu gründen, ist schon ßer Kreislauf. So sieht die Situation aus, die wir erheblich. Jeder muss das für sich gut überlegen haben. und entscheiden, ob er bereit ist, diesen Schritt zu gehen. Das heißt, wenn wir in Deutschland über Indus- trie 4.0 sprechen – Digitalisierung – dann denke Für diese Art der Gründung gibt es in Deutsch- ich immer: Ja, mit welchen Leuten? Wo sollen die land keinerlei Programme. Man hat die Möglich- herkommen? Das ist eine etwas andere Frage als keit, sich entweder arbeitslos zu melden, was die, warum die nicht von Universitäten kommen aber bei einer Eigenkündigung bedeutet, dass oder ob nicht mehr auf Schulebene gemacht wer- man eine bestimmte Sperrfrist hat, oder man fi- den muss. Jetzt ist das aber die Situation, in der nanziert sich aus eigenen Mitteln, was ich letztlich wir uns befinden. Die Frage ist, wie man damit gemacht habe. Es gibt aber nicht, wie für Hoch- umgeht. schulstudenten solche EXIST-Förderprogramme, bei denen für einen bestimmten Zeitraum vom Das heißt, wenn Sie für Ihre Betriebe schon alle Staat Geld bereitgestellt wird und womit eine be- die tollen digitalen Ideen und Ihre Konzepte auf stimmte Gründungsphase überbrückt wird. Ich dem Tisch haben, wünsche ich Ihnen viel Spaß denke, das ist einmal das, wenn man auf reife bei der Umsetzung. Wo wollen Sie die Leute her- Ideen sieht, was in Deutschland besser gemacht bekommen? Das wird in Deutschland bei vielen werden kann. Debatten übersehen. Wenn wir in Deutschland über Industrie 4.0 spre- chen, dann wird übersehen, welche Ressourcen 14 Dialog Handwerk 1 | 2018
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 Moderator Holger Steltzner: In Deutschland gibt es eine große Plattform, die sich mytaxi nennt. Sie ist von Daimler für wohl Gibt es nicht auch noch ein Problem beim Kapi- 70 Millionen gekauft worden. Mytaxi hätte viel- tal? leicht das Potenzial gehabt, ein Uber, die große Plattform aus den USA, zu werden. Das ist aber für unsere deutsche Risikomentalität eine riesige Sebastian Grethe: Geldverbrennungsmaschine. Geschäftsmodelle wie Amazon, die über zehn Jahre Verluste ge- Ja, auch beim Kapital gibt es hier ein Problem. macht haben, in Deutschland durchzuschleppen, Aber inzwischen hat sich das ein wenig gemil- ist, glaube ich, undenkbar. Da herrscht eher die dert. Wir sind gut aufgestellt. Das ist nicht der Idee vor, in drei Jahren muss ein Profit heraus- Punkt. Wir brauchen aber neue Leute. Um neue kommen. Die Wagnisbereitschaft ist insoweit in Leute zu bekommen, brauchen wir erst einmal den USA deutlich größer. Deshalb kommen auch neues Geld. Sie sind letztlich der Engpass bei diese großen Plattformen aus den USA, weil da- vielen Vorhaben, die wir gerne umsetzen wür- für dort das Geld bereitgestellt wird. Es ist zu fra- den. Kapital ist in Deutschland zwar vorhanden, gen, wo kommt das Facebook aus Deutschland aber da heranzukommen, das geht alles nur in her oder woher kommt das nächste Google, das kleinen Schritten. In anderen Ländern – ich habe sind Digitalunternehmen. Aber woher sollen die gerade die USA angeführt, die in dieser Hinsicht kommen? Weder sind hier IT-seitig die Ressour- Vorbild sind – ist mehr Kapital vorhanden. Dort cen noch ist das Kapital dafür vorhanden. wird auch für Ideen mehr Geld in die Hand ge- nommen, auch wenn sie noch mit einem großen Risiko behaftet sind. Moderator Holger Steltzner: Sind Sie auch so pessimistisch? Dialog Handwerk 1 | 2018 15
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 Prof. Dr. Justus Haucap: Deutschland verhindert, weil das von jedem der Nutzer eine schriftliche Einwilligung für die Zu- Mein Optimismus hält sich auch ein bisschen in sammenführung der drei Plattformen erfordert Grenzen, wenn auch aus anderen Gründen. Ka- hätte, wahrscheinlich noch mit einem Postident- pital mag einerseits ein gewisses Problem sein. Verfahren. Jedoch sehe ich das ein bisschen entspannter, und zwar aus dem Grunde, weil man sich Ka- Da gibt es bei uns Barrieren. Dann muss man sich pital nicht zwangsläufig aus Deutschland besor- nicht wundern, dass andere vielleicht sagen: „Na gen muss, auch wenn es schwieriger sein mag, gut, ich muss ja nicht in Deutschland beginnen.“ ausländische Investoren zu gewinnen. Aber es gibt auch kalifornische Investoren, die durchaus bereit sind, in deutsche Start-ups zu investieren und das auch tatsächlich tun. Moderator Holger Steltzner: Facebook und Google sind angesprochen wor- Aber es gibt doch auf der anderen Seite auch den. Wir haben aber natürlich unheimliche regu- schöne Erfolgsgeschichten. FlixBus ist so eine, latorische Beschränkungen, die mit dem Daten- der jetzt Europa aufrollt, und auf französischer schutz und anderen Sachverhalten zu tun haben, Seite BlaBlaCar, das meine Kinder furchtbar ger- die es sehr unattraktiv machen, solche Unter- ne nutzen, der auch hier in Deutschland sehr nehmen gerade in Deutschland zu gründen. Ich erfolgreich ist. Es gibt auch diese Beispiele von zeige bei meinen Vorträgen manchmal die Karte, Tüftlern und Technikern, von einfach genialen wo auf der Welt überall Google Street View vor- Ideen, sogar von Hochschulen. Ich denke an das handen ist. Eigentlich in allen Staaten der Welt Beispiel von Prof. Günther Schuh, der sagte, weil bis auf Deutschland, Österreich, Ukraine, Weiß- die gesamte Autoindustrie meinte, es würde kei- russland. Wahrscheinlich auch Nordkorea, aber ne Nachfrage nach Elektrotransportern geben, ich verwende immer eine Europakarte. dann baue ich doch selbst einen. Die Deutsche Post war das einzige Unternehmen, das daran In der Ukraine und in Weißrussland ist es aus an- auch glaubte. Mittlerweile verkauft die Deutsche deren Gründen nicht verfügbar als bei uns. Bei Post auch Elektrotransporter, die Prof. Schuh uns ist es nicht verfügbar, weil zu viele Leute ihre mit seinen Studenten entwickelt hat. Das ist eine Häuser verpixeln wollten. Daraufhin hat Google wunderbare Erfolgsgeschichte. Ist das ein Mus- entschieden, dass Google Street View mit zahl- terbeispiel, Herr Czaja, für Innovation? Kommt reichen verpixelten Häusern zu uninteressant ist. Innovation, weil ein solcher Professor oder ein Aber die Vermessung der Straßen diente natür- Tüftler eine geniale Idee hat, oder kann man In- lich auch dazu, das automatisierte Fahren deut- novation auch anreizen, für Innovation sorgen, lich zu vereinfachen, indem man alles möglichst Innovation sozusagen in die Pipeline bringen? gut vermisst. Wenn ich alle anderen Länder gut vermesse, nur Deutschland nicht, dann stelle ich mir als innovativer Unternehmer natürlich schon die Frage, wo fange ich an, die nächsten Produk- Prof. Dr. Frank Czaja: te, die wiederum auf diesen Dienstleistungen aufbauen, zu entwickeln. Vermutlich fange ich Das wäre zu hoffen. Ob das innovativ ist, weiß nicht gerade in Deutschland damit an, sondern ich gar nicht. Der eigentliche Erfolgsfaktor ist eher woanders. ja, dass ein Bedarf geweckt wurde. Die großen Marktplayer haben ein Elektroauto hingestellt, Wir hatten studiVZ oder meinVZ. Es gab sicher- das eine geringe Reichweite hat, relativ schwer lich verschiedene Gründe, warum das letztlich war, eine Klimaanlage und tausend technische nichts geworden ist. Wenn Sie mit den damaligen Gimmicks wie elektrische Fensterheber und der- Leuten sprechen, erfahren Sie, dass der Daten- gleichen mehr hat. Das war aber nicht typischer- schutz tatsächlich ein gravierendes Problem war. weise die Anforderung des Handwerks, son- Das hat eine erfolgreiche Weiterentwicklung, wie dern man hat gesagt, ich will es einfach haben, zum Beispiel die Zusammenführung von mein- ich möchte eine Paketversorgung von A nach B. VZ, studiVZ und schülerVZ sehr erfolgreich in Ich brauche keine elektrischen Fensterheber und 16 Dialog Handwerk 1 | 2018
Dreikönigstreffen des nordrhein-westfälischen Handwerks 2018 keine Klimaanlage. Und das Fahrzeug wurde Moderator Holger Steltzner: gebaut. Die Deutsche Post hat das dann relativ schnell erkannt, hat das Modell übernommen Dann haben wir drei Netze, ein traditionelles und es ausgerollt. Der nächste Innovationsschritt Tankstellennetz, ein Netz mit Ladestationen für steht daher unmittelbar bevor. Das ist der nächste die Elektroautos … Gedanke. Wenn ich als Logistiker darauf schaue, ist E-Mobilität eines der treibenden Themen, die auch von der Bundesregierung momentan ein bisschen gehypt werden. Das ist aber eigentlich Prof. Dr. Frank Czaja: viel zu kurz gesprungen. Das haben wir auch noch nicht. Der nächste Innovationshub ist eigentlich in der Planung. Elektromobilität kommt gerade in ländlichen Gebieten, wenn ich mir beispielsweise eine Postverteilung im Umkreis von Hamm an- Moderator Holger Steltzner: sehe – das ist viel zu ländlich, viel zu räumlich –, mit einer Reichweite von 100 km nicht aus. … und, wenn das dritte Netz auch noch kommt, Das, was in dem E-Scooter in dem Modell L ent- hätten wir dann auch ein Wasserstoffnetz. Das wickelt wird – das ist auch schon patentiert und klingt fast wie die Energiewende. Wie wollen wir wird jetzt auch ausgerollt –, ist ein sogenannter das finanzieren? Range Extender, der hinzukommt. Das wird ein Wasserstoffantrieb sein. Jeder von uns wird heute sagen: Mensch, Was- Prof. Dr. Frank Czaja: serstoffantrieb? Wir haben heute in Deutschland gerade einmal 20 Tankstellen. Das funktioniert Ja, das kostet erst einmal etwas. Aber Wasserstoff doch überhaupt nicht. ist mehr oder minder ein Abfallprodukt, das aus der Gaserzeugung kommt. Insbesondere Stadt- Aber da gibt es auch wieder innovative Unter- werke, also Regionalversorger, und die Politik nehmen, H2-Mobility beispielsweise, die sich auf sind gefordert. Dafür gibt es heute Töpfe. Es gibt die Fahne geschrieben haben, bis zum Jahr 2030 80 Prozent Förderung der Differenz zu dem heu- 1.000 Tankstellen zu installieren und da komplett tigen Verkehrsträger – eben Diesel. Wenn ich das neue Geschäftsmodelle – das passt in ein Politi- umrechne, lassen sich daraus Geschäftsmodelle kum der Deutschen Post, emissionsneutral bis generieren. Das kann man dann noch verbin- zum Jahr 2050 zu sein – zu entwickeln. Da gibt den. Die asiatischen Hersteller sind uns da vo- es auch erste Erfolge. Wenn man beispielsweise raus. Es gibt asiatische Modelle, die eben auch nach Köln sieht oder nach Heidelberg, wo städ- Wasserstoffantriebe für Pkws anbieten. Das ist tische Busflotten geschaffen werden. Wasserstoff ein zusätzlicher Markt. Ich fahre heute ein Die- hat eben die Qualität mit Reichweiten bis zu 600 selauto. Momentan würde ich mir das zweimal km. Wir haben heute in Deutschland 2,9 Mil- überlegen, ob ich noch einmal einen Diesel neh- lionen Lkws zugelassen. Wenn ich Sie jetzt fra- me, weil ich mir nicht so sicher bin, ob ich dem- ge, wie viele dieser Lkws emissionsfreundlich nächst damit noch nach Stuttgart problemlos unterwegs sind, wird der eine oder andere das hineinkomme. Insofern ist das eine innovative vielleicht wissen. Es sind genau 30.000 Lkws. Der Technologie – politisch gewollt oder nicht – für Rest ist mit Diesel ausgestattet. Das ist also ein die zu klären ist, wie man diese inhaltlich um- Riesenmarkt. Aus dem konkreten Marktbedarf setzen kann. heraus entsteht also eher eine solche Innovation. Da sind die nächsten Entwicklungsschritte vor- handen, die auch schwierig sind, etwa von 20 auf 1.000 Tankstellen und auf ein flächendeckendes Moderator Holger Steltzner: Netz mit Wasserstofftankstellen zu kommen. Da- rüber hat zwar heute noch keiner nachgedacht, Ich bin ebenfalls Dieselfahrer und würde genau- aber ich bin mir sicher, dass das kommen wird. so wie Sie aufgrund der vorhandenen Debatte Dialog Handwerk 1 | 2018 17
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