DIALOG MIT BIBLIOTHEKEN - 2017/2 29. Jahrgang - Katalog der Deutschen ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DIALOG MIT BIBLIOTHEKEN 2017/2 29. Jahrgang ISSN 0936-1138
BESUCHEN SIE UNS! Auf der Frankfurter Buchmesse vom 11. bis 15. Oktober 2017 in Halle 4.2 am Stand K83 Wir freuen uns auf das persönliche Gespräch mit Ihnen und erwarten Sie am Stand mit Informationen zu den vielfältigen Angeboten der Deutschen Nationalbibliothek. Für Fragen | zur Gemeinsamen Normdatei (GND), | zur Ablieferung von Netzpublikationen, | zu den bibliografischen Angeboten und Diensten, | zum Lizenzierungsservice Vergriffene Werke und | zu Resource Description and Access (RDA) stehen Ihnen von Mittwoch bis Sonntag weitere Fachkolleginnen und Fachkollegen zur Verfügung, Sprechzeiten unter www.dnb.de/veranstaltung. Besuchen Sie auch die Führungen und Lesungen im Rahmen der Frankfurter Buchmesse, zu denen wir Sie herzlich in die Räume der Deutschen Nationalbibliothek an der Adickesallee 1 einladen. Ihre Ansprechpartnerin: Frau Uta Ackermann, E-Mail: u.ackermann@dnb.de www.dnb.de Foto: DNB, Stephan Jockel
Inhalt Dr. Elisabeth Niggemann 3 EDITORIAL FORUM Ulrike Junger, Ute Schwens 4 Die inhaltliche Erschließung des schriftlichen kultu- rellen Erbes auf dem Weg in die Zukunft Dr. Britta Woldering 8 Organisationsentwicklung: Das war der Auftakt – Wie geht es weiter? Nadine Walger 14 Sammlung von Netzpublikationen erreicht nächste Stufe Dr. Katharina Schöneborn 17 Sorgfältig gesucht Renate Behrens 20 Regelwerke als Motoren der Zusammenarbeit Dr. Sören Flachowsky 25 „Braune Flecken“ unter weißer Patina Dr. Christian Rau 32 Im Auftrag der „Freundschaft“? Dr. Sylvia Asmus 37 „Mut ist im Leben viel wichtiger als Schokolade“ ZEITPUNKTE Julia Rinck 40 „Brausepulver im Nachtgeschirr“ – 100 Jahre Humor in deutschen Zeitschriften Dr. Jesko Bender 44 Zweifaches Exil, Flucht über das Meer, Echos auf Ovid und ein Chanson-Abend Ulrike Merrem 47 Versteckte Orte – Verborgene Schätze Vera Marz 49 Der nestor-Praktikertag 2017 in Kiel Dr. André Wendler 51 Sound des Papiers Annett Koschnick 54 Veranstaltungsvorschau Barbara Fischer 58 Nachgelesen – Ein Veranstaltungsrückblick NOTIZEN Kathrin Jockel 61 „Was macht ihr eigentlich?“ – Schulterblicke bei den Digitalen Diensten Dora Carstensen, Anne-Sophie Goebel 63 Suchen und Finden – Freiwilligendienst im Kulturbereich 65 Personelles 66 In memoriam 67 Neue Veröffentlichungen der Deutschen Nationalbibliothek 68 Fachveranstaltungen Dialog mit Bibliotheken 2017/2 1
GESELLSCHAFT Sie fühlen sich der Deutschen Nationalbibliothek verbunden? FÜR DAS BUCH E.V. Sie möchten die Deutsche Nationalbibliothek als ein Zentrum der Wissenschaft und Kultur fördern? Sie befinden sich gerne in anregender Gesellschaft und treffen an Kultur interessierte Menschen? Sie möchten exklusive Führungen durch die Deutsche National- bibliothek und deren Ausstellungen erleben und persönliche Einladungen zu den kulturellen Veranstaltungen erhalten? Werden Sie Mitglied in der Gesellschaft für das Buch e. V.! Ziel des Freundes- und Förderkreises ist es, die Deutsche Nationalbibliothek in ihren vielfältigen Aufgaben und ihrem Kultur- programm finanziell und ideell zu fördern. Mit Ihrem Engagement unterstützen Sie die Bibliothek dabei, Ausstellungen, Lesungen, Tagungen, Publikationen und pädagogische Angebote zu realisieren. Weitere wichtige Aufgaben sind die Bewahrung der Bestände und die Erweiterung von besonderen Sammlungen. Wir freuen uns auf Sie und informieren Sie gerne über mögliche Formen der Mitgliedschaft. Gesellschaft für das Buch e. V. c/o Deutsche Nationalbibliothek Adickesallee 1 60322 Frankfurt am Main Tel: 069 1525-1026 E-Mail: info-gfdb@dnb.de www.dnb.de/foerderer
Editorial Die Frankfurter Buchmesse öffnet ihre Tore, und wir laden Sie zu Füh- rungen und literarischen Veranstaltungen herzlich in unser Frankfurter Haus ein. Mit dem Symposium „New Directions for Libraries, Scholars, and Partnerships“ haben wir eine große Fachveranstaltung zu Gast. Wie überhaupt im Herbst interessante Themen auf der Tagesordnung stehen. Gerne weise ich an dieser Stelle auf „Zugang gestalten! Mehr Verantwor- tung für das kulturelle Erbe“ hin. Diese Konferenz findet am 19. und Foto: Deutsche Nationalbibliothek, 20. Oktober 2017 unter dem Motto „Zusammen Arbeiten“ bei uns in Stephan Jockel Frankfurt am Main statt. Anfang November folgt mit „Lizenzangaben und Rechtedokumentationen im Dialog – Datenflüsse nachhaltig ge- stalten“ eine eintägige Informationsveranstaltung. Wissenswertes zu diesen Konferenzen finden Sie auf unseren Internetseiten. Am Messestand (Halle 4.2 | Stand K83) bieten wir Informationen zu unseren Dienstleistungen und Projekten ebenso wie Beratungen für Ablieferungspflichtige an. Wir freuen uns auf das persönliche Gespräch mit Ihnen! Gesprächsthema könnte unsere Ankündigung sein, die Inhaltserschließung der Deutschen Nationalbiblio- thek schrittweise auf automatisierte Verfahren umzustellen. Die verbale Erschließung unseres Zugangs kann auf diesem Weg ausgeweitet werden, da wir mit maschinellen Verfahren Schlagworte für Schriften außerhalb des Verlagsbuchhandels und für Hochschulschriften vergeben, die bisher nicht auf diese Weise erschlossen wurden. Damit übertragen wir die in der Reihe O, den Onlinepublikationen, seit einiger Zeit angewandte Erschließungspraxis auf die in den Reihen B und H der Deutschen Nationalbibliografie verzeichneten Ver- öffentlichungen. Ulrike Junger und Ute Schwens stellen in ihrem Beitrag den Weg der verbalen inhaltlichen Erschließung des schriftlichen kulturellen Erbes in die Zukunft dar. „Was macht ihr eigentlich?“ Außerhalb des eigenen Teams sind Arbeitsinhalte oft nur in Ansätzen bekannt. In der Deutschen Nationalbibliothek nutzen unsere Beschäftigten bei sogenannten Schulterblicken einzel- ner Organisationseinheiten gerne die Gelegenheit, ihre Aufgaben zu präsentieren. Schöner Nebeneffekt: Zu manchem Namen gibt es danach auch ein Gesicht. Kathrin Jockel über das Format „Schulterblick“ zur internen Öffentlichkeitsarbeit und die Schulterblicke der „Digitalen Dienste“. Seit fünf Jahren bieten wir in Leipzig Arbeitsmöglichkeiten im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes Kultur an. Dora Carstensen und Anne-Sophie Goebel erzählen von Einblicken und Erfahrungen in Öffent- lichkeitsarbeit und Museumspädagogik unserer Bibliothek und des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in den vergangenen 12 Monaten. Aber sehen Sie selbst, was Sie interessiert. Wir freuen uns über Ihr Feedback! Elisabeth Niggemann Dialog mit Bibliotheken 2017/2 3
Forum Ulrike Junger, Ute Schwens Die inhaltliche Erschließung des schrift- lichen kulturellen Erbes auf dem Weg in die Zukunft Automatische Vergabe von sowie mit europäischen Nationalbibliotheken, die Schlagwörtern in der Deutschen ihrerseits Interesse an dem Thema und den Erfah- Nationalbibliothek rungen der DNB haben. Als Nationalbibliothek mit umfangreichen Beständen an digitalen Publi- Hintergrund kationen hat die DNB auch Expertise bei der di- gitalen Langzeitarchivierung aufgebaut und ist im Wir leben im 21. Jahrhundert, und vieles, was vor Netzwerk ihrer Partner als kompetente Gesprächs- hundert und noch vor fünfzig Jahren als Science partnerin geschätzt. Fiction abgetan worden wäre, ist mittlerweile Rea- lität. Raumsonden fliegen zum Mars, machen dort Experimente und liefern Daten zur Erde zurück. Funktion und Status der verbalen Roboter werden für Routineaufgaben eingesetzt, Inhaltserschließung in der Deut- zum Beispiel in der Industrie oder in der Medizin. schen Nationalbibliothek Digitalisierung, künstliche Intelligenz und automa- tisierte Verfahren sind kaum mehr aus unserem All- Inhaltserschließung – ob verbal oder klassifikato- tag wegzudenken. Grundlage vieler Prozesse sind risch – ermöglicht es, umfangreiche heterogene lernende Algorithmen. Datenbestände zu strukturieren und erlaubt da- Neue Möglich- Die fortschreitende digitale Transformation ist durch sachliche und themenbezogene Recherchen. keiten durch Digitalisierung global und umfasst alle Lebens- und Arbeitsbe- Auch wenn sie angesichts der Möglichkeiten von reiche: Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Sie Volltextsuchen und Suchmaschinentechnologie eröffnet neue Möglichkeiten, von denen auch Bib- manchmal in Frage gestellt wird, leistet sie einen liotheken profitieren. Der starke Anstieg digitaler wichtigen Beitrag, wenn es darum geht, den Zugang Publikationen, die einen wichtigen und prozentual zu Medienwerken und dem in ihnen gespeicherten immer größer werdenden Teil des Kulturerbes dar- Wissen zu erlangen und zu verbessern. Das zeigen stellen, sollte für Bibliotheken Anlass sein, diese auch kommerzielle Verkaufsplattformen, wie zum Möglichkeiten aktiv aufzugreifen und einzusetzen. Beispiel Amazon oder eBay, die ganz selbstver- Die Auswertbarkeit digitaler Inhalte, beispielswei- ständlich thematische Suchen als Option anbieten. se durch Text- and Data-Mining (TDM), und die Bisher ist die intellektuelle verbale Inhaltserschlie- Entwicklung technischer Verfahren, mittels derer ßung in der DNB auf einen Teil des gesamten Neu- Inhalte miteinander vernetzt und semantisch in zugangs an Medienwerken beschränkt: Mit Schlag- Beziehung gesetzt werden können, bieten Raum, wörtern aus dem Vokabular der Gemeinsamen auch bibliothekarische Erschließungsverfahren neu Normdatei (GND) werden – mit einigen Einschrän- zu denken. kungen – gedruckte Bücher und Zeitschriftentitel Daher beschäftigt sich die Deutsche Nationalbib- der Reihe A der Deutschen Nationalbibliografie Prozesse bei der Erschließung liothek (DNB) seit einigen Jahren mit der Frage, (Monografien und Periodika des Verlagsbuchhan- verbessern wie sich die Prozesse bei der Erschließung von Me- dels) erschlossen.3 2016 waren dies rund 74.000 Me- dienwerken verbessern und maschinell unterstützen dienwerke.4 lassen.1, 2 Sie steht dabei im regelmäßigen kollegia- Netzpublikationen hingegen wurden seit 2010 len Austausch mit anderen Bibliotheken, die sich zunächst nicht inhaltlich erschlossen. Stattdessen ebenfalls aktiv mit dieser Fragestellung befassen, nutzte die DNB für die Nachweise im Katalog die 4 Dialog mit Bibliotheken 2017/2
Forum Metadaten der Ablieferer nach und baute maschi- Inhaltserschließung für alle nelle Verfahren auf, um die Datensätze unter ande- Publikationen rem mit inhaltserschließenden Daten anzureichern. Digitale Hochschulschriften und wissenschaftliche Angesichts der enormen Flut an digitalen Publi- Verlagspublikationen erhalten mittlerweile auf die- kationen und des Wunsches der Nutzerinnen und se Weise DDC-Sachgruppen und Schlagwörter.5, 6 Nutzer, alle Werke auch inhaltlich suchen und fin- Die Verfahren werden laufend weiterentwickelt und den zu können, ist es aus Sicht der DNB der einzig Weiterentwick- optimiert sowie jetzt schrittweise auf andere, auch gangbare Weg, Verfahren zu entwickeln und Prozess- lung erprobter Verfahren gedruckte, Publikationen ausgeweitet. ketten aufzubauen, die möglichst vielen Publika- Der Zugang an Netzpublikationen weist derzeit tionen über maschinelle Verfahren gute, das heißt enorme Steigerungsraten auf: So hat er sich 2016 im Sinne der Auffindbarkeit nützliche Inhaltser- Einheitlichkeit und im Vergleich zum Vorjahr auf 1,3 Millionen ver- schließungsdaten mitgeben. Dabei beabsichtigt Kompatibilität doppelt, für die kommenden fünf Jahre erwartet sie, perspektivisch alle eingehenden Publikationen die DNB eine Versechsfachung des heutigen Be- einheitlich inhaltlich zu erschließen und mit the- Prozentual ge- standes auf dann 26 Millionen Netzpublikationen. matischen Zugriffspunkten auszustatten. Gleich- sehen nimmt der Anteil intellektuell Andererseits bleibt der Zugang an gedruckten und zeitig sollen die Ergebnisse im Hinblick auf das erstellter Daten ab anderen körperlichen Medienwerken relativ kon- Retrieval maschineller und intellektueller Erschlie- stant. Dies bedeutet, dass der Anteil intellektuell er- ßungsdaten miteinander kompatibel sein. Deshalb stellter Inhaltserschließung in Relation zu maschi- werden maschinelle Verfahren zur Optimierung der nell erstellten Daten perspektivisch immer kleiner Erschließungsprozesse und zur Erzeugung inhalts- werden wird. erschließender Daten auch für körperliche Medien- Entwicklung des Zugangs in der DNB (in Tausend) seit 2006 Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Ge- werke weiterentwickelt und auf diese ausgeweitet. samtheit der maschinenlesbar vorliegenden Katalog- Die DNB ist davon überzeugt, dass die umfassende daten, so zeigt sich, dass der Anteil der bibliografi- Erfüllung des gesetzlichen Auftrags zur national- schen Nachweise mit verbaler Inhaltserschließung bibliografischen Verzeichnung nur mit Hilfe sol- derzeit nur bei rund 20 Prozent liegt. cher Verfahren gelingen kann. Dialog mit Bibliotheken 2017/2 5
Forum Durch den Einsatz maschineller Inhaltserschlie- Die Gemeinsame Normdatei als ßungsverfahren als ein Anwendungsfall von TDM Grundpfeiler der verbalen Inhalts- soll künftig eine qualitativ gute Inhaltserschließung erschließung aller Publikationen erfolgen. Dabei sollen die Ver- fahren erst dann und nur in den Fachgebieten ein- Sowohl die intellektuelle als auch die maschinelle Qualitätsmana- gesetzt werden, in denen gute Ergebnisse erzielt wer- Inhaltserschließung erfolgen mit dem Vokabular gement und Transparenz den können, und wenn die DNB davon überzeugt der Gemeinsamen Normdatei (GND). Eine intellek- ist, dass die so erzeugten Daten ein entsprechendes tuelle Erschließung wird künftig weiterhin für Pu- Qualitätsniveau erreicht haben und die Fehlerquo- blikationen derjenigen Fachgebiete vorgenommen, te gering ist. Die DNB baut daher ein Qualitätsma- für die automatische Verfahren (noch) keine zufrie- nagement auf, das auch die intellektuelle Kontrolle denstellenden Ergebnisse liefern. Eine wichtige Vo- von Verfahren und Ergebnissen beinhaltet, und raussetzung für gute Ergebnisse bei der maschinel- wird das Vorgehen für Datenbezieher sowie Nutze- len Erschließung ist die Aktualität des eingesetzten rinnen und Nutzer transparent machen. Vokabulars. Deshalb wird ein GND-Pflegetool ent- Thematische Selbst wenn eine intellektuelle Erschließung im wickelt, das im Laufe des Prozesses der maschinellen Suche über alle Publikationen Einzelfall ein besseres Ergebnis liefern könnte als Erschließung Schlagwortkandidaten für die GND möglich die automatische, so stellt doch die Inhaltserschlie- vorschlägt, die dann in die GND eingearbeitet wer- ßung aller Medienwerke einen Gewinn für die den. Dafür ist die Expertise der Bibliothekarinnen Recherche der Nutzerinnen und Nutzer dar. The- und Bibliothekare auch weiterhin unerlässlich. Die matische Recherchen werden insgesamt verbessert, intellektuelle Erschließungsarbeit wird sich künftig weil ein viel größerer Anteil an Publikationen er- aber je nach fachlicher Anforderung und der Ver- schlossen werden kann. Es wird möglich sein, ein fügbarkeit geeigneter maschineller Verfahren verän- Neue Schwer- punkte bei der Desiderat vieler wissenschaftlich und insbesondere dern. Tätigkeitsschwerpunkte werden sich von der intellektuellen Erschließung naturwissenschaftlich arbeitender Benutzerinnen Einzelfallbearbeitung perspektivisch in Richtung und Benutzer zu erfüllen, nämlich die thematische einer verstärkten Normdatenpflege und zum Quali- Suche auch nach Zeitschriftenartikeln und Confe- täts- und Datenmanagement verschieben. rence-Proceedings. Erschließung Ein weiterer zentraler Vorteil der Anwendung ma- als dynamischer Vorgang schineller Verfahren besteht darin, dass man Er- Nächste Schritte der Umsetzung schließungsvorgänge als dynamische Prozesse be- trachten kann, bei denen die Daten immer wieder Da die Methoden und Verfahren der maschinellen verändert und verbessert werden, und sie nicht mehr Inhaltserschließung heute weiter entwickelt sind als einmalig und abgeschlossen angesehen werden als zu Beginn ihrer Überlegungen dazu, macht die müssen. Es ist also möglich, einen bereits bearbei- DNB nun einen nächsten Schritt in deren Anwen- teten Bestand nach einer Optimierung der maschi- dung und erschließt seit dem 1. September 2017 nellen Verfahren erneut zu erschließen und damit auch gedruckte Medienwerke maschinell. Die besser zugänglich zu machen. Alle Daten werden deutsch- und englischsprachigen Publikationen der den anderen Bibliotheken und weiteren Daten-Nut- Reihen B und H werden mit DDC-Sachgruppen er- zern frei und kostenlos zur Verfügung gestellt. Die schlossen, darüber hinaus mit maschinell erzeugten technischen Voraussetzungen für die Verarbeitung Schlagwörtern aus der GND. Die entsprechenden der Datenströme bei einem dynamischen Verfahren Daten werden voraussichtlich ab Mitte September müssen in Zusammenarbeit mit den Daten-Nut- 2017 bereitgestellt und sind mit einem Herkunfts- zern erarbeitet werden. Notwendige Anpassungen kennzeichen codiert.7 der Schnittstellen und der Infrastruktur wird die Damit setzt die DNB den Weg zu einer – perspek- DNB wie bisher mit den Bibliotheksverbünden in tivisch – alle Publikationen umfassenden inhaltli- den gemeinsamen Gremien besprechen. chen Erschließung ihres Zugangs fort, unabhängig 6 Dialog mit Bibliotheken 2017/2
Forum davon, ob ein Werk digital oder gedruckt vorliegt. und Steuerung intensiv begleiten, um für möglichst Sie wird die maschinellen Erschließungsverfahren alle Publikationen eine gute, das bedeutet, für dem technischen Fortschritt folgend ständig anpas- Search and Retrieval nützliche, Inhaltserschließung sen und sie durch intellektuelle Qualitätskontrollen zu ermöglichen. Anmerkungen 1 Dazu wurde von 2009 bis 2011 das Projekt PETRUS (Prozessunterstützende Software für die digitale Deutsche Nationalbiblio- thek) als Einstieg in die Nutzung maschineller Erschließungsverfahren durchgeführt: (zuletzt besucht am 15. August 2017) 2 Renate Gömpel, Ulrike Junger, Elisabeth Niggemann: Veränderungen im Erschließungskonzept der Deutschen Nationalbiblio- thek. In: Dialog mit Bibliotheken, 22 (2010) 1, S. 20 – 22; online unter: 3 Die Medienwerke der Reihen A werden außerdem klassifikatorisch mit Notationen der Dewey Dezimalklassifikation (DDC), die Medienwerke der Reihen B (Monografien und Periodika außerhalb des Verlagsbuchhandels) und H (Hochschulschriften) aus- schließlich klassifikatorisch erschlossen. Darüber hinaus werden alle Publikationen mit DDC-Sachgruppen versehen; diese dienen zur fachlichen Gliederung der Deutschen Nationalbibliografie. 4 Deutsche Nationalbibliothek. Jahresbericht 2016, S. 27; online unter: 5 Für rund 37.000 Netzpublikationen mit Erscheinungsjahr 2016 wurden maschinell Schlagwörter vergeben. 6 Ausführlich beschrieben sind die Ausgangslage und das Erschließungskonzept der Deutschen Nationalbibliothek zum Beispiel in Ulrike Junger: Quo vadis Inhaltserschließung der Deutschen Nationalbibliothek. Herausforderungen und Perspektiven. o-bib 2015/1; online unter: 7 Die bisherige klassifikatorische Tiefenerschließung mit der Dewey-Dezimalklassifikation (DDC) wird für die Reihen B und H ab 1. September 2017 eingestellt. Sie soll durch DDC-Kurznotationen ersetzt werden. Dialog mit Bibliotheken 2017/2 7
Forum Britta Woldering Organisationsentwicklung: Das war der Auftakt – Wie geht es weiter? Im März 2017 schloss die Deutsche Nationalbiblio- thek erfolgreich ihr durch externe systemische Bera- tung begleitetes Organisationsentwicklungsprojekt „Auftakt“1 ab und überführte die dort entwickelten Elemente und Instrumente in die Linienaufgaben. In der Rückschau auf die Projektphase und den Ausblick auf die Organisationsentwicklung im Normalbetrieb soll das Erreichte gewürdigt und die Pläne skizziert werden. Grundelemente der Ausgangspunkt für den Organisationsentwicklungs- Organisationsent- wicklung prozess war die Erkenntnis, dass es nicht ausreicht, nur Strategische Prioritäten2 zu formulieren und schriftlich zu fassen, sodass sie nachgelesen und überprüft werden können. Vielmehr braucht es zur erfolgreichen Umsetzung der Prioritäten auch strukturelle und kulturelle Veränderungen in der Organisation. Der Ansatz für die Organisationsentwicklung in der Deutschen Nationalbibliothek geht von drei Grundelementen aus, die im Zusammenspiel für das Erreichen der Strategischen Prioritäten notwendig Der „Auftakt“-Baum: Grundelemente und Interventionen der Organisationsentwicklung, die die strategischen Ziele der sind: der gesetzliche Auftrag, die Mitarbeiterinnen Deutschen Nationalbibliothek zur Entfaltung bringen. Abbildung: Deutsche Nationalbibliothek, Jürgen Bley, und Mitarbeiter sowie die Organisationsstruktur Britta Woldering und Prozesse der Deutschen Nationalbibliothek. Alle drei Grundelemente nahm die Organisati- onsentwicklung in den Blick und wirkte in mehre- mit immer schnelleren Entwicklungsschritten Ein- ren Teilprojekten mit verschiedenen Interventionen fluss auf das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer auf sie ein. von Bibliotheken. Zur Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags muss sich die Deutsche Nationalbiblio- thek diesen Veränderungen immer wieder neu stel- Was: Gesetzlicher Auftrag len. Um angemessen reagieren zu können, muss sie ihre Ziele überprüfen, Prioritäten setzen und einen Der gesetzliche Auftrag ist die Basis und die Legiti- Fahrplan zum Erreichen ihrer Ziele entwickeln, mation für die Arbeit der Deutschen Nationalbi- der ihre finanziellen Möglichkeiten berücksichtigt. bliothek. Die konkrete Ausgestaltung der Arbeit zur Als ersten Schritt dahin hatte sie die Strategischen Erfüllung des Auftrags muss jedoch immer wieder Prioritäten 2013 – 2016 erarbeitet (…). Unmittelbar neu definiert werden. „Im Laufe ihrer [die Deutsche danach begann der Klärungsprozess zur Festsetzung Nationalbibliothek, Anm. d. Verf.] mehr als hun- der langfristigen Ziele.“3 dertjährigen Geschichte sind viele neue Medien und Die Zeitplanung und die Planung der Vorgehens- Strategieprozess Publikationsformen entstanden. Gleichzeitig hat der weise für das Erarbeiten der langfristigen Ziele der Fortschritt im Bereich der Informationstechnologie Deutschen Nationalbibliothek war ein Teilprojekt 8 Dialog mit Bibliotheken 2017/2
Forum von „Auftakt“. Der eigentliche Strategieprozess und geschärft, Besprechungsrunden, Informations- fand dann parallel zur Organisationsentwicklung und Kommunikationswege neu strukturiert, aber außerhalb der Projektstruktur statt und mündete in auch der Klärungsbedarf zu anderen Bereichen und die Publikation des Strategischen Kompass 20254. Abteilungen definiert. Nicht zuletzt dienten die Dieser wiederum bildete die Basis für den zweiten Workshops auch der Teambildung. Die Workshops Strategiezyklus, die Strategischen Prioritäten 2017 waren zeitintensiv, doch die Investition wurde als bis 20205. Damit ist eine Grundlage geschaffen, ausgesprochen lohnenswert empfunden: Alle Berei- WAS getan werden soll. che beschlossen, dieses Format jährlich zu wieder- holen. Die Schnittstellen-Workshops förderten auch be- Wie: Organisationsstruktur und reichsübergreifende Themen zutage, die für die Prozesse gesamte Deutsche Nationalbibliothek bearbeitet werden müssen, beispielsweise Regeln für den Um- Die Frage, WIE die Aufgaben der Deutschen Na- gang mit E-Mails oder die Überarbeitung der fast tionalbibliothek erledigt werden sollen, beantwor- 80 Formulare für interne Anträge und Genehmi- tet unter anderem die Organisationsstruktur, die gungsprozesse. Zuständigkeiten und Prozesse festlegt. Das ist das Mit der neuen Organisationsstruktur wurde das zweite Grundelement der Organisationsentwick- standortübergreifende Arbeiten und Führen ver- lung. stärkt. In der Evaluation 2015 wurde hierfür ein Das erste und umfassendste Teilprojekt von „Auf- Desiderat deutlich formuliert: Investition in takt“ war die Weiterentwicklung der Organisa- technische Unterstützung für Video- und Tele- tionsstruktur unter dem Motto „ein Thema – eine fonkonferenzen. Auch hier ist seitdem investiert Verantwortung“, in welchem standortübergreifen- worden: Die Deutsche Nationalbibliothek verfügt de Leitungen der Kern- und Querschnittsaufgaben inzwischen an beiden Standorten über je zwei Vi- etabliert wurden. Ziel dieses Leitprinzips war es, deokonferenzräume, hat eine Vielzahl von Einzel- zusammengehörende Themenfelder gemeinsam arbeitsplätzen mit Kameras und Mikrofonen für weiterzuentwickeln, Ziele und – wo sinnvoll – Ge- individuelle Videokonferenzen ausgestattet und schäftsgänge zu vereinheitlichen sowie durch klare mobile Videokonferenzanlagen beschafft, die Zuständigkeit und Verantwortung Entscheidungs- in allen Besprechungsräumen eingesetzt werden wege zu verkürzen und damit eine höhere Reakti- können. Neben der technischen Ausstattung sind onsgeschwindigkeit zu erreichen. Dieses Teilprojekt auch Räumlichkeiten für die standortübergreifend wurde nach gut einem Jahr evaluiert6 und war Teil Führenden und Arbeitenden wichtig. Nicht alles des Fragenkatalogs der dritten Mitarbeiterbefra- lässt sich per Video und Telefon erledigen, gerade gung 2017. Aus der Evaluation wurde deutlich, dass persönliche Treffen sind für die gute Zusammen- das Leitprinzip gut ist, jedoch die Umsetzung einer arbeit essenziell. So hat die Deutsche Nationalbib- neuen Struktur mit allen Details im Alltag sehr viel liothek feste Büros für die standortübergreifend mehr Zeit braucht als erwartet. Führenden am jeweils anderen Standort und fle- Schnittstellen- Das Thema Entscheidungswege und Entschei- xibel buchbare Büros für Tagesgäste des anderen Workshops dungskompetenz kristallisierte sich als Schwer- Standorts eingerichtet. punkt heraus, der intensiver bearbeitet werden muss. Hierfür führten die zum Teil neu gebildeten Bereiche7 interne Schnittstellen-Workshops mit ih- Wer: Mitarbeiterinnen und ren Führungskräften durch. Die Workshops bestan- Mitarbeiter, Schwerpunkt den aus drei Teilen und umfassten auch einen Vor- Führungskräfte bereitungs-Workshop und einen Reflexions-Work- shop nach einigen Wochen. Je nach Anforderung Stark verbunden mit der Frage, WIE die Aufga- der Bereiche wurden in diesen Workshops Zustän- ben erledigt werden, ist die Frage, WER sie WIE digkeiten und Entscheidungskompetenzen geklärt festlegt, organisiert, steuert und erledigt. Damit Dialog mit Bibliotheken 2017/2 9
Forum kommen wir zum dritten Grundelement der Or- kompetent erledigen zu können, braucht es mehr ganisationsentwicklung, den Menschen, die in der als einen Hammer. Deshalb hat sich ein Teilpro- Organisation arbeiten. jekt von „Auftakt“ damit befasst, den vorhande- Beteiligung In „Auftakt“ wurden Begleitgruppen als Beteili- nen Schatz an Methodenwissen und -kenntnissen gungsformate genutzt, allerdings in geringerem der Führungskräfte für die Deutsche Nationalbi- Maße als zunächst gedacht, da sich die Themen der bliothek zu heben, das Repertoire an verfügbaren Teilprojekte im Projektverlauf stark auf die Füh- Methoden zu erweitern und allen in Form eines rungskräfte konzentrierten. Beteiligung wird oft als „Methodenkoffers“ zugänglich zu machen. Demokratisierung missverstanden, dabei liegen die Strukturgebendes Element für den Methodenkof- endgültigen Entscheidungen einer Angelegenheit fer sind die vier Phasen des Steuerungskreislaufs: stets in der Hand der verantwortlichen Führungs- Planen – Umsetzen – Kontrollieren – Anpassen. kraft. Sie kann sich über Beteiligung von Mitarbei- Die in der Teilprojektgruppe bekannten Methoden terinnen und Mitarbeitern aber Informationen und wurden zusammengetragen, in eine systematische Beratung verschaffen, die sie zur Entscheidung be- Kurzbeschreibung gebracht, mit Beispielen angerei- nötigt. Übersicht 18 macht die verschiedenen Grade chert und Ansprechpersonen benannt, die zu der von Beteiligungsgrundsätzen deutlich. jeweiligen Methode Auskunft geben können. Darü- Im Projekt „Auftakt“ lag der Schwerpunkt auf der ber hinaus stellten Berater von der Prognos AG, die Entwicklung der rund 80 Führungskräfte, sind die- das Organisationsentwicklungsprojekt begleiteten, se doch dafür verantwortlich, dass die Aufgaben eine ganze Reihe weiterer Methoden vor. Daraus der Deutschen Nationalbibliothek erfüllt und die wählte die Gruppe diejenigen aus, die geeignet er- Ziele erreicht werden. In der ersten Projekthälfte schienen, um in den Methodenkoffer aufgenom- entwickelte die Deutsche Nationalbibliothek mit men zu werden. Der Methodenkoffer umfasst 24 breiter Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mit- Methoden der Steuerung, die den vier Phasen des arbeiter ihre Führungsgrundsätze9. Auf dieser Basis Steuerungskreislaufs zugeordnet beziehungsweise wurden mit allen Führungskräften mehrtägige Se- für alle Phasen geeignet sind. Sie werden in unter- minare zu den Themen „Führungskraft als Coach“ schiedlicher Ausführlichkeit vorgestellt und sollen und „Führungskraft als Entscheider“ durchgeführt. in erster Linie eine Anregung sein, sich mit mögli- Jede Führungskraft braucht eine passende Füh- chen Methoden auseinanderzusetzen und neugie- rungsstruktur, ein Bewusstsein für ihre Führungs- rig zu machen. rolle, regelmäßige Reflexion ihres Führungsverhal- Der Methodenkoffer wurde auf der Führungskräf- Vermittlung des Methodenkoffers tens und Handwerkszeug. „Wer als Werkzeug nur te-Konferenz der Deutschen Nationalbibliothek einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen im Januar 2017 allen Führungskräften vorgestellt Nagel“: Um die Führungs- und Steuerungsaufgaben und einzelne Methoden in einer Poster-Session nä- Wir haben entschieden … und haben Sie eingeladen, um … nichts zu klären, ob etwas gemacht werden soll dass etwas gemacht werden soll zu klären, was gemacht werden soll was gemacht werden soll zu klären, wer es wie, wann und wo machen soll wer es wie, wann und wo machen soll die Konsequenzen zu klären, die damit verbunden sind alles Sie zu informieren Übersicht 1: Beteiligungsgrundsätze, Quelle: Prognos AG 10 Dialog mit Bibliotheken 2017/2
Forum her erläutert. Da sich die Notwendigkeit von Steu- Die Führungskräfte-Konferenz fand an zwei ganzen erungsmethoden nicht auf Führungskräfte be- Tagen in einem Tagungshaus außerhalb der Deut- schränkt, sondern auch andere Kolleginnen und schen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main Kollegen Aufgaben planen, umsetzen, kontrollie- statt. Alle rund 80 Führungskräfte nahmen daran ren und anpassen müssen, wurde der Methoden- teil. Das Programm war eine Mischung aus Vorträ- koffer nach der Führungskräfte-Konferenz in zwei gen, Workshops, Gruppenarbeit und Fortbildungsan- Poster-Sessions an beiden Standorten allen Interes- geboten und sollte eine Balance zwischen Zuhören sierten vorgestellt. Die Vertiefung und Einübung und Selbermachen sein. Zum Abschluss von „Auf- einzelner Methoden wird künftig über das Fortbil- takt“ lag ein Schwerpunkt auf dem Thema Metho- dungsprogramm der Deutschen Nationalbiblio- den. Die Teilprojektgruppe präsentierte den Metho- thek angeboten. denkoffer, ein Workshop-Block befasste sich mit der Steuerungskreislauf und Methoden der Steuerung Erste Füh- Als Abschluss des Organisationsentwicklungspro- Umsetzungsplanung für die gerade frisch erarbeite- rungskräfte- Konferenz jekts „Auftakt“ fand im Januar 2017 die erste Füh- ten Strategischen Prioritäten 2017 bis 2020 und der rungskräfte-Konferenz der Deutschen Nationalbib- Vormittag des zweiten Tages war dem Ausprobieren liothek statt. Diese Konferenz war aus den vielfälti- des agilen Arbeitens gewidmet: Die Führungskräfte gen positiven Erlebnissen der Führungskräfte im erlebten durch das Ubongo Flow Game, dass die Art, Zuge der mehr als zweijährigen Führungskräfte-Ent- wie man zusammenarbeitet, viel mehr Einfluss auf wicklung im Rahmen von „Auftakt“ entstanden: das Ergebnis hat als die individuelle Kompetenz oder Zum einen wurde der bereichs- und abteilungsüber- Motivation der Spielerinnen und Spieler. Dieses Spiel greifende Austausch über Führungsrolle und Füh- simuliert Projektarbeit mit verschiedenen Rollen in rungsverhalten, über konkrete „Fälle“ des Führungs- sechs Minuten. Das Spiel hat insgesamt drei Runden, alltags von vielen Führungskräften als sehr unterstüt- in welchen das Team Arbeitspakete fertigstellt. Ge- zend und bereichernd empfunden, zum anderen ist messen wird, wie viele Wertpunkte ein Team in einer das Interesse an Fortbildung zu Themen aus dem Runde schafft. In jeder Runde wird etwas am Prozess Führungsalltag groß und vielfältig. geändert (Wasserfall, Kanban, Scrum).10 Dialog mit Bibliotheken 2017/2 11
Forum Der Nachmittag des zweiten Tages bot kurze, zwei- Das war der Auftakt … stündige „Appetithappen“ zu Führungsthemen wie „Führen in der Sandwich-Position“, „Selbstfürsor- Organisationsentwicklung ist kein Lichtschalter, ge als Führungskraft“, „Stress und Burnout“ oder der beliebig an- und ausgeknipst werden kann, „Führen auf Distanz“, und bot mit einem Bericht sondern ein kontinuierlicher Prozess, dessen Ele- aus der Praxis des Kontinuierlichen Verbesserungs- mente und Instrumente angewendet, fortgeführt prozesses (KVP) noch einmal einen Methoden-In- und weiterentwickelt werden müssen, um sich wei- put. Bewusst war eine große Bandbreite an Ange- ter zu entfalten und zu wirken. Durch „Auftakt“ boten gemacht worden, die Themen anreißen, aber sollten die Strategischen Prioritäten 2013 bis 2016 nicht vertiefen sollten. erreicht, Führungsgrundsätze erarbeitet und das Führen mit Zielen initiiert werden, die Führungs- kräfte im Veränderungsmanagement gestärkt und die Beschäftigten aktiv eingebunden und schließ- lich hausübergreifende Leitungen der Kern- und Querschnittsaufgaben etabliert werden. Durch die externe systemische Beratung sollte die Deutsche Nationalbibliothek befähigt werden, ihre eigenen Lösungswege zu entwickeln statt vorgefertigte Re- zepte von Beratern zu implementieren: Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist gelungen: Mit dem ersten Strategiezyklus Eigene Lösungs- wege entwickeln und der Ausrichtung der Arbeit danach fand eine bewusstere Auseinandersetzung mit Zielen, mit ih- Führungskräfte der Deutschen Nationalbibliothek beim Ubongo Flow Game rer Formulierung und auch damit statt, was tat- Foto: Deutsche Nationalbibliothek, Britta Woldering sächlich erreichbar ist. Die Entwicklung des zwei- ten Strategiezyklus’ und des Strategischen Kompass 2025 lief parallel zu „Auftakt“ und wurde zum Teil Nächste Führungs- Die Führungskräfte-Konferenz wurde insgesamt po- durch „Auftakt“ begleitet. Die Herangehensweise kräfte-Konferenz geplant sitiv aufgenommen. Der Themen- und Methoden- in dieser zweiten Runde war eine deutlich andere: Mix hat sich für die erste Konferenz bewährt. Im Expertinnen und Experten in den Bereichen und Feedback zur Konferenz äußerten die Kolleginnen Abteilungen wurden über Zukunftswerkstätten sehr und Kollegen häufig den Wunsch nach Vertiefung viel stärker in die Formulierung der Ziele eingebun- der dieses Mal nur als Schnupperangebote präsen- den und interessierte Beschäftigte über Begleitgrup- tierten Themen. Die informelle Begegnung der pen beteiligt. Führungskräfte aller Hierarchieebenen und beider Die Sensibilisierung für das Thema „Führung“ ist Standorte wurde als gute Chance sich kennenzuler- gelungen und die Auseinandersetzung mit Füh- nen und miteinander ins Gespräch zu kommen rungsrolle und -verhalten ist über die Führungs- wahrgenommen. Deshalb gab es viele Rückmel- grundsätze, eine sehr viel stärkere Vernetzung der dungen, dass die Pausen großzügiger hätten aus- Führungskräfte untereinander und den Austausch fallen dürfen, um diesen Austausch untereinander zu Führungsthemen im Alltag verankert. noch mehr zu fördern. Aufgrund der Rückmel- Die aktive Einbindung der Beschäftigten hat in dungen beschloss die Lenkungsgruppe des Projekts geringerem Maße stattgefunden als ursprünglich „Auftakt“ in ihrer letzten Sitzung, dass es in etwa gedacht, da sich die Themen der Teilprojekte zwei Jahren eine nächste Führungskräfte-Konferenz schließlich stark auf Führungskräfte-Entwicklung geben soll. konzentriert haben. Dennoch: Das Format der 12 Dialog mit Bibliotheken 2017/2
Forum Begleitgruppen als Möglichkeit zur Rückkopplung nommen. Dazu gehören unter anderem die Pflege von Zwischenergebnissen findet Eingang in Projek- und Fortführung des Methodenkoffers, der Aufbau te, und das Bewusstsein für gute Kommunikation eines Coaching-Angebots und die Integration von und die Vorteile einer breiteren Beteiligung bei ge- Fortbildungsangeboten für Führungskräfte in das eigneten Themen ist geschärft – auch das Bewusst- Fortbildungsprogramm der Deutschen Nationalbib- sein dafür, dass Beteiligung nicht gleichbedeutend liothek. Aktivitäten auf der Schnittstelle von Orga- ist mit Demokratisierung. nisation und Kommunikation werden in Koopera- Die neue Organisationsstruktur, in der hausüber- tion von „Organisation und Controlling“ und der greifende Leitungen der Kern- und Querschnitts- Stabsstelle Marketing und Kommunikation fortge- aufgaben etabliert wurden, ist ein langer Prozess, führt; das ist beispielsweise die Organisation und der aber langsam Früchte trägt. Das verstärkte Durchführung der nächsten Führungskräfte-Konfe- standortübergreifende Führen und Arbeiten macht renz oder die Begleitung der dritten Befragung der sehr gute Fortschritte und die Bereiche und Abtei- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der daraus lungen wachsen zusammen. entstehenden bereichsübergreifenden Aktivitäten. Bewährte Instrumente und Elemente von „Auftakt“ werden aber auch in den Bereichen und Abteilun- … wie geht es weiter? gen aufgegriffen und weiter gepflegt, beispielsweise jährliche interne Schnittstellen-Workshops oder Be- Es bleibt viel zu tun: das Erreichte zu stärken und teiligungsformate wie Begleitgruppen. das Begonnene fortzuführen. Das Thema Organi- Die Strategischen Prioritäten bis 2020 sind festge- sationsentwicklung ging nach der Projektphase in legt und der Strategische Kompass weist bis 2025 die Verantwortung des Referats „Organisation und den Weg. Um im Bild des „Auftakt“-Baums zu blei- Controlling“ über. Dort wird die Weiterentwick- ben: Die Deutsche Nationalbibliothek wird fort- lung der Organisationsstruktur im Kleinen wie im fahren, mit den erprobten Instrumentarien ihre Großen begleitet. Die Führungskräfte-Entwicklung Basis zu gießen, zu düngen und von Zeit zu Zeit wird als neues Thema kooperativ von den Refera- Bodenproben zu nehmen, um die mittel- und lang- ten „Organisation und Controlling“ und „Perso- fristigen Ziele zum Blühen zu bringen. nalangelegenheiten, Aus- und Fortbildung“ über- Anmerkungen 1 Zum Start und zur Zwischenbilanz des Organisationsentwicklungsprojekts „Auftakt“ siehe auch Dialog mit Bibliotheken 26 (2014) 2: und 28 (2016) 1: 2 Strategische Prioritäten 2013 bis 2016: 3 Aus: Strategischer Kompass 2025, Vorwort 4 Strategischer Kompass 2025: 5 Strategische Prioritäten 2017 bis 2020: 6 Zu den Evaluationsergebnissen siehe Beitrag im Dialog für Bibliotheken 28 (2016) 1: 7 Bereiche der Deutschen Nationalbibliothek als oberstes Strukturprinzip: Zentralbereich Verwaltung, Fachbereiche Erwerbung und Erschließung, Benutzung und Bestandsverwaltung, Informationsinfrastruktur 8 Quelle: Prognos AG 9 Führ ungsgrundsätze der Deutschen Nationalbibliothek: 10 Ubongo Flow Game, entwickelt von Jan Fischbach vom Common Sense Team in Karlsruhe, hier beschrieben nach: Dialog mit Bibliotheken 2017/2 13
Forum Nadine Walger Sammlung von Netzpublikationen erreicht nächste Stufe Die Deutsche Nationalbibliothek schätzt den Bestand an archivierten Netzpublika- erweitert ihre Sammelaktivitäten tionen für das Jahr 2021 auf insgesamt etwa 26 Mil- um wissenschaftliche Open- lionen.2 Access-Publikationen Um dieses strategische Ziel zu erreichen, verstärkt Erfolgsfaktor Kooperation die DNB ihre Sammelaktivitäten im Verlags- und Das am 22. Juni 2006 erweiterte Gesetz über die Wissenschaftsbereich.3 Der Fokus der zweiten Sam- Deutsche Nationalbibliothek (DNBG) verpflich- melstufe liegt unter anderem auf wissenschaftlichen tet die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) zur Open-Access-Publikationen, die nach Maßgabe des Sammlung, Erschließung, Verzeichnung und Lang- DNBG an die DNB abzuliefern sind. zeitarchivierung von unkörperlichen Medienwer- In der Vergangenheit hat es sich bewährt, bei grö- ken (Netzpublikationen). Dieser Sammelauftrag ßeren Sammlungsvorhaben mit verschiedenen Ko- ist angesichts der stetig ansteigenden Zahl an Pu- operationspartnern zusammenzuarbeiten, so zum blikationen, die in Deutschland in öffentlichen Beispiel im E-Book-Bereich mit Vertriebsplattfor- Netzen publiziert werden, kein leichtes Unter- men sowie mit der Marketing- und Verlagsservice fangen und wäre ohne automatisierte Ablieferungs- des Buchhandels GmbH (MVB), im Zeitschrif- verfahren, Standardisierungsbemühungen sowie tensektor mit Software- und Verlagsdienstleistern. eine leistungsfähige technische Infrastruktur nicht Um die komplexe Aufgabe der Sammlung von möglich. Open-Access-Publikationen zu bewältigen, hat die DNB im Jahr 2015 Kontakt zu den Betreibern der wissenschaftlichen Spezialsuchmaschine Bielefeld Pragmatisches Vorgehen Academic Search Engine (BASE) der Universitäts- bibliothek Bielefeld aufgenommen und konnte den Sammeln in Um die Massen an sammelpflichtigen Netzpublika- bereits seit zehn Jahren international agierenden Stufen tionen zu bewältigen, hat sich die DNB von An- Metadaten-Aggregator für eine Zusammenarbeit beginn für ein Sammeln in mehreren Stufen ent- gewinnen. schieden.1 In einer ersten Stufe konzentrierten sich die Aktivitäten vornehmlich auf elektronische monografische Verlagspublikationen und Hoch- Neue Verfahren, Workflows schulschriften, meist Dissertationen. Parallel dazu und Prozesse wurden automatische Prozesse und Workflows ent- wickelt, mit deren Hilfe online erschienene Hör- Angesichts der ablieferungspflichtigen Massen, bücher und Noten, E-Paper-Ausgaben, Zeitschnitte die die DNB bereits heute bewältigen muss, wird von Webseiten sowie nach und nach auch Ar- es unumgänglich sein, die Speicherkapazitäten tikel aus elektronischen Zeitschriften aus dem Ver- weiter auszubauen. Eine erste Anpassung erfolgte lags- und Wissenschaftssektor importiert werden im Jahr 2016 „entsprechend des prognostizierten konnten. Wachstums im Bereich der elektronischen Publi- Aktuell sind über vier Millionen Netzpublikatio- kationen“.4 Daneben gilt es, die technische Infra- nen archiviert; weitere Millionen von digitalen Me- struktur sowie automatische Geschäftsprozesse und dienwerken, die in den gesetzlichen Sammelauftrag Workflows für einen modularisierten und parallel gehören, stehen noch aus. Die DNB wagt in ihrem verarbeitenden Import von Netzpublikationen an- Jahresbericht 2016 einen Blick in die Zukunft und zupassen. 14 Dialog mit Bibliotheken 2017/2
Forum Unbestritten ist in diesem Zusammenhang, dass für Der zweite Projektschritt beinhaltet die Übernahme die zweite Sammelstufe erweiterte Anforderungen der digitalen Objekte in die Speichersysteme der an die bisherigen automatischen Ablieferungsver- DNB. Der Objektimport erweist sich hier als Spe- fahren gestellt werden, für deren Umsetzung techni- zialfall, da die Objekte von BASE selbst nicht lokal sche Lösungen entwickelt werden müssen. Das im gespeichert werden, sondern auf den jeweiligen Re- Projekt März 2016 gestartete Projekt SamOA – Sammlung positorien und Plattformen vorgehalten sind. Das SamOA von Open-Access-Publikationen5 unterstützt dieses derzeit technische Konzept der DNB sieht daher Vorhaben. Es ist im Fachbereich Informationsinfra- vor, den Objektimport über die Hyperlinks in den struktur der DNB angesiedelt und auf eine Laufzeit BASE-Metadaten zu realisieren. Im Idealfall sind von zunächst drei Jahren angelegt. diese Hyperlinks volltextverbunden und die DNB Ziel des Projekts ist die Anpassung des Workflows kann nach Maßgabe des DNBG auf das jeweilige für die automatische Pflichtablieferung von wis- unkörperliche Pflichtexemplar zugreifen und des- senschaftlichen Open-Access-Publikationen von sen Langzeitarchivierung sowie Langzeitverfügbar- in Deutschland betriebenen Repositorien und Pu- keit sicherstellen. blikationsdiensten mit Hilfe der aggregierten Da- tensammlung der Suchmaschine BASE. Die DNB sieht sich bei diesem Vorhaben explizit als nach- weisende Institution und Langzeitarchiv, jedoch nicht als Betreiberin einer Publikationsplattform Workflow Schritt 2 für Zweitveröffentlichungen. DNB als Im Projekt SamOA kommt erstmals ein für die nachweisende Institution und Übernahme von Netzpublikationen ergänztes Langzeitarchiv zweistufiges Verfahren zur Anwendung: Beschrei- Herausforderungen und bende Metadaten zur Publikation werden nicht, Perspektiven wie bisher, zusammen mit dem digitalen Objekt abgeliefert, sondern getrennt voneinander. In ei- Neben der Anpassung der technischen Workflows nem ersten Schritt werden die von BASE aggregier- und Prozesse ergeben sich aus dem Projekt weitere ten und normalisierten bibliografischen Metadaten Herausforderungen für die Pflichtablieferungsver- über das OAI-Protocol for Metadata Harvesting fahren insgesamt, so zum Beispiel für eine automa- (OAI-PMH) in den Katalog der DNB übernom- tisierte Verwaltung von Dubletten, Embargofristen men. Ein Mehrwert für Nutzerinnen und Nutzer oder verschiedenen Versionen von Publikationen, besteht darin, dass viele Volltexte über einen exter- wie Preprint, Postprint, Verlags-PDF und Ähnli- nen Hyperlink in den BASE-Metadaten direkt und chem. frei genutzt werden können. Eine Besonderheit der BASE-Metadaten ist, dass sie Lizenzangaben und Rechte- Lizenzinformationen zur Nachnutzung der Publi- dokumentationen kationen über das Urheberrecht hinaus enthalten. Die Angabe von Nachnutzungslizenzen und Rechtshinweisen ist für die DNB insbesondere zum Zweck der Sammlung und Langzeitarchivierung wichtig. Die DNB entwickelt derzeit Lösungen für die Übernahme und Bereitstellung dieser Angaben in den Katalog. Die hierbei gesammelten Erfahrun- gen und Projektergebnisse sind sicher auch für die Weiterentwicklung der Metadatenformate (bei- spielsweise MARC 21 oder NISO JATS) zur Pflicht- ablieferung nachnutzbar. Ein positiver Nebeneffekt des Kooperationspro- jekts mit BASE ist, dass die Nachweissituation und Workflow Schritt 1 Dialog mit Bibliotheken 2017/2 15
Forum damit die Sichtbarkeit von häufig stark verteilt vor- einbarung zwischen der DNB und BASE im April liegenden Open-Access-Publikationen verbessert 2017 hat das Projekt SamOA einen wichtigen ersten wird. Mit Unterzeichnung der Kooperationsver- Meilenstein erreicht. Anmerkungen 1 Vgl. Diebel, Cornelia: Netzpublikationen – Sammlung, Archivierung und Bereitstellung in der Deutschen Nationalbibliothek. In: Dialog mit Bibliotheken 27 (2015) 1, S. 25. 2 Vgl. Deutsche Nationalbibliothek (Hrsg.) Zwei Null Eins Sechs – Jahresbericht 2016. Frankfurt am Main, 2016, S. 5. 3 Vgl. ebenda. 4 Vgl. ebenda, S. 35. 5 16 Dialog mit Bibliotheken 2017/2
Forum Katharina Schöneborn Sorgfältig gesucht Ein Erfahrungsbericht über den Wo anfangen? Theorie und Praxis Umgang mit verwaisten Werken in Büchern Die gesetzlich vorgeschriebenen „Quellen einer sorgfältigen Suche“ im Anhang zu § 61a UrhG5 Im Mai 2010 veröffentlichte die EU-Kommission machen schnell deutlich, dass hier kein massen- einen Bericht zu den verwaisten Werken sowie die tauglicher Weg beschrieben ist. Jedoch eröffnet das Kosten ihrer Rechteklärung1, in dem bei konser- Gesetz Möglichkeiten für Einzelobjekte. Um den vativer Schätzung von insgesamt drei Millionen tatsächlichen Aufwand und die Erfolgsaussichten verwaisten Büchern in Europa ausgegangen wurde. der Rechteklärung anhand § 61 UrhG nachzuvoll- Definition Was ist damit gemeint? Als verwaist werden Werke ziehen, wurde der Prozess der sorgfältigen Suche verwaistes Werk bezeichnet, deren Rechteinhaber entweder nament- von der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) an lich unbekannt oder trotz sorgfältiger Suche nicht einer kleinen Auswahl von Werken getestet. auffindbar sind. Grund dafür kann sein, dass ein Hierfür wurden zunächst elf Bücher ausgewählt, Praxistest Werk ohne Urheberangabe veröffentlich wurde bei denen schon die Metadaten erfolgversprechend oder dass zwar der Name des Urhebers bekannt ist, aussahen: Es handelte sich um Werke, deren Haupt- aber keine weiteren Informationen über ihn oder verfasserin oder Hauptverfasser schon über 70 Jah- seine Erben zu ermitteln sind. Viele Werke, auf die re verstorben und ihre Texte somit gemeinfrei wa- dies zutrifft, werden auf lange Sicht nicht gemein- ren. Eine weltweite digitale Bereitstellung dieser frei sein, denn die Feststellung der Gemeinfreiheit Bücher scheiterte jedoch an granularen Werkteilen, basiert in erster Linie auf den Sterbedaten der Urhe- so genannten „embedded works“, wie Fotografien ber, die in vielen Fällen nicht feststellbar sind. oder Karten, deren urheberrechtlicher Status nicht Richtlinie zur Zweieinhalb Jahre nach dem eingangs genannten zu ermitteln war, weil beispielsweise eine Urheber- digitalen Nutzung Bericht verabschiedeten EU-Parlament und EU-Rat angabe fehlte. Die Wahrscheinlichkeit eines negati- die Richtlinie 2012/28/EU über bestimmte zulässi- ven Suchergebnisses, das den Status „verwaist“ für ge Formen der Nutzung verwaister Werke2, die es diese Werkteile bestätigt, war folglich als sehr hoch europäischen Gedächtnisorganisationen ermögli- anzusehen. Alle Bücher waren in Deutschland im chen sollte, eben solche Werke in ihren digitalen Jahr 1913 erschienen, dem Beginn der Sammlung Sammlungen zugänglich zu machen. Am 1. Januar der DNB. 2014 trat die Richtlinie in Deutschland mit dem Nach der ersten Sichtung der Objekte zeigte sich Gesetz zur Nutzung verwaister und vergriffener folgendes Bild: Die elf Bücher enthielten insgesamt Werke […]3 in Kraft. 21 verwaiste Werkteile. In 19 von 21 Fällen war der „Sorgfältige In § 61 UrhG ist seitdem geregelt, unter welchen Name der Urheberin oder des Urhebers nicht be- Suche“ Voraussetzungen Bibliotheken und andere Ge- kannt, nur in zwei Fällen wurde der Urheber im dächtnisinstitutionen verwaiste Werke online zei- Werk benannt. Bei den 21 Werkteilen handelte es gen dürfen: Eine so genannte „sorgfältige Suche“ sich um Fotografien (zwölf), Karten (sechs) und Il- nach den Rechteinhabern muss erfolglos geblieben lustrationen (drei). Bei zwei von elf Büchern musste und dokumentiert sein. Trifft dies zu, ist das Werk eine sorgfältige Suche Quellen anderer EU-Staaten in der Orphan Works Database4 des Amtes der Eu- umfassen, weil sie Werke ausländischer Urheberin- ropäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) nen und Urheber enthielten. Insgesamt 15 Verlage einzutragen. Von diesem Zeitpunkt an kann die waren an den elf Büchern beziehungsweise ihren Gedächtnisorganisation das registrierte Werk in ih- granularen Bestandteilen beteiligt; so enthielt bei- rer digitalen Sammlung weltweit anzeigen. spielsweise ein Buch eines deutschen Verlags die Dialog mit Bibliotheken 2017/2 17
Forum Landkarte eines unbekannten Urhebers, welche deren bekannten Buchhandelsplattformen. Sie erstmals bei einem französischen Zeitschriftenver- blieben ebenso wie Recherchen auf Wikipedia und lag erschienen war. Google nach Buch, Grundriss sowie der Buch- Vier Testbücher Zum eigentlichen Test der sorgfältigen Suche wur- druckerei ohne weiterführende Ergebnisse. den vier Bücher ausgewählt, jeweils zwei mit na- Im Zuge der Recherche wurden zwei Verlegerver- mentlich bekannten und zwei mit namentlich un- bände kontaktiert. Zwei Anfragen beim Verband bekannten Beitragenden, darin enthalten jeweils kartografischer Verlage in Deutschland (VKViD) zwei Landkarten, Illustrationen und Fotografien. blieben ohne Ergebnis. Die Suche im Archiv des Mit dieser Auswahl waren verschiedene Vorgaben Börsenvereins des deutschen Buchhandels nach des Anhangs zu § 61a UrhG relevant: neben Ab- dem Namen der Druckerei ergab, dass die Firma A. schnitt 1 (Bücher) auch Abschnitt 3 (visuelle Werke S. Weil zugleich Verlag war, womit die fehlende Ver- in Büchern). Zudem war klar, dass beispielsweise lagsangabe ermittelt war. Die „Verlagsveränderun- im Fall der Karten anstelle von Verleger- oder Auto- gen des deutschsprachigen Buchhandels“8 gaben renverbänden auch Verbände von Kartografen in Auskunft darüber, dass der Verlagsteil der Firma A. die Suche einzubeziehen waren. S. Weil im Jahr 1919 an den Verlag Kohlhammer Stuttgart überging. Eine Anfrage bei dessen Rechts- abteilung ergab, dass dem Verlag keine Informatio- Ein Beispielfall nen über die Rechteinhaber vorlagen. Die Unterschrift unter der Abbildung „Gez. Tübin- „Die Neueinrichtung des Tübinger Schlosses“6 ist gen, den 2. Mai 1911, K. Bezirksbauamt“ legte die ein 24-seitiger Sachtext mit einem einseitigen An- Vermutung nahe, dass die Stadt Tübingen bezie- hang, auf dem zwei Grundrisse des Schlosses Ho- hungsweise das heutige Bauamt in seinem Archiv hentübingen abgebildet sind. Verfasser des Texts ist weiterführende Informationen halten könnte. Je der laut Gemeinsamer Normdatei (GND) 1921 ver- nach urheberrechtlicher Situation oder arbeitsver- storbene Prof. Dr. Konrad Lange.7 Die Grundrisse traglicher Regelung im Jahr 1911 war auch nicht geben keinen Hinweis auf einen persönlichen Ur- auszuschließen, dass die Rechte an den Abbildun- heber oder eine persönliche Urheberin, enthalten gen, die eventuell als Auftragsarbeit entstanden wa- jedoch den Vermerk „Gez. Tübingen, den 2. Mai ren, bei einer Tübinger Behörde liegen. Auf Anfrage 1911, K. Bezirksbauamt“. Das Werk erschien 1913, per E-Mail erfolgte die telefonische Auskunft durch es enthält keinen eindeutigen Hinweis auf den Ver- das Tübinger Service-Center Bauen, dass im Archiv lag. Auf der Titelseite ist die Buchdruckerei A. S. des Fachbereichs Bauen und Vermessen der Stadt Weil genannt. keine Informationen über die Rechteinhaber vor- Im Katalog der DNB, im Karlsruher Virtuellen lagen, zugleich wurde auf das Tübinger Stadtarchiv Katalog KVK und in der Digitalen Sammlung des verwiesen. Mit Hilfe des Stadtarchivars war schnell Bundesarchivs wurden keine weiterführenden Hin- ermittelt, dass der Rechtsnachfolger des Kaiserli- weise gefunden. Wegen des unbekannten Urhebers chen Bezirksbauamtes das Land Baden-Württem- entfiel eine Suche in Personendatenbanken. Anfra- berg ist und die Anfrage somit an das Staatsarchiv gen bei den Verwertungsgesellschaften WORT und Baden-Württemberg in Sigmaringen zu richten sei. Bild|Kunst brachten keine weiteren Erkenntnisse. Auch hier lagen keine weiteren Informationen vor, Auf den Webseiten mehrerer Bildagenturen (Arkivi, zugleich wurde auf das Amt Vermögen und Bau Getty Images, Inmagine, Picture Alliance) wurden Baden-Württemberg, Amt Tübingen verwiesen. Es Suchen durchgeführt, ebenso auf der Webseite lagen jedoch auch hier keine Informationen zu den buchhandel.de (VLB) der Marketing- und Verlags- Rechteinhabern des Grundrisses vor. service des Buchhandels GmbH (MVB) und an- 18 Dialog mit Bibliotheken 2017/2
Sie können auch lesen