FACING URBAN CHALLENGES - NET

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FACING URBAN CHALLENGES - NET
ULI / 2019   26. Jahrgang € 15 ISSN 0938-3689

CHALLENGES
FACING URBAN
FACING URBAN CHALLENGES - NET
Ein DEnkmal
   untEr Druck
   Foto \ Photo: Moritz Bernoully, 2019

Deutsches Architekturmuseum
Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt am main, Germany, dam-online.de
GEöFFnEt \ open Di, Do —So Tue, Thu — Sun 10.00 — 18.00 \ mi Wed 10.00 — 20.00
FACING URBAN CHALLENGES - NET
EDITORIAL

PROF. DR. JOHANNES BUSMANN

                         Wer hätte noch vor zehn Jahren gedacht, dass wir      Die Komplexität der technologischen Innovatio-
                         nicht mehr darüber sprechen, wie das Auto von         nen, der wachsende gesellschaftliche Zuspruch
                         morgen aussieht, sondern welche Formen der Mo-        für eine nachhaltige Wirtschaft und die Notwen-
                         bilität wir künftig für ein erfolgreiches Leben in    digkeit zum sozialen Ausgleich fordern einen
                         unseren Städten benötigen. Und die Frage nach         Betrachtungswinkel. Das einzelne Objekt wird
                         der Mobilität von morgen erhält ihre zunehmende       hinterfragt, welche Auswirkungen es auf Klima,
                         Relevanz und teilweise Brisanz durch die öffentli-    Mobilität, Energieeffizienz, Quartier und den
                         che Diskussion um verfügbaren bzw. bezahlbaren        Sozialraum Stadt hat. In der Projektentwicklung
                         Wohnraum in unseren Städten. Wo können wir in         werden sich diese Anforderungen nach einer
                         den Ballungsräumen noch wohnen? Wo besteht            integrierten Perspektive abbilden, während die
                         die Möglichkeit, Eigentum zu bilden und damit ei-     Stadtentwicklung parallel steigende Erwartungen
                         nen Teil zur Altersvorsorge zu leisten? Wie lassen    an die Immobilienentwicklung formuliert.
                         sich Arbeitsplatz und Wohnort verbinden? Wel-
                         che Vorteile bietet das Leben in der Metropole?       Vor dem Hintergrund der Raumfrage bildet die
                         Was kann der ländliche Raum noch leisten, wenn        Nutzungsmischung einen zentralen Ansatz. Über
                         selbst Ärzte kaum noch zu bewegen sind, sich          die Baunutzungsverordnung ist daher mit dem
                         entfernt von Großstädten nieder zu lassen?            „Urbanen Gebiet“ der rechtliche Rahmen geschaf-
                                                                               fen worden, die Möglichkeiten zur Festsetzung
                         Alles ist mehr denn je zu einer Frage des verfüg-     unterschiedlicher Nutzungen für einzelne Ge-
                         baren Raums geworden. Die Funktionen Wohnen,          schosse deutlich einfacher zu nutzen. Sie hilft,
                         Arbeiten, Handel, Mobilität und Logistik stehen       bisher schwierige Quartiere anders denken zu
                         im Wettbewerb um jeden Quadratmeter Fläche            können und immobilienwirtschaftliche Impulse als
                         in den Städten und auf absehbare Zeit wird sich       Teil der Quartiersentwicklung zu begreifen.
                         dies wohl nicht ändern. Auf der Landkarte der Bo-
                         denwerte rennen die Metropolen voran und las-
                         sen fast keinen Spielraum für Eigentumsbildung.
                         Mietpreise beanspruchen über ein Drittel des
                         verfügbaren Einkommens. Distanzen zwischen
                         Arbeitsplatz und Wohnort steigen und relativie-
                         ren die Attraktivität der Metropole.

                         So mag es nicht überraschen, dass sich auch die
                         Anforderungen an die Immobilienentwicklung
                         verändern und vermutlich auch in Zukunft weiter
                         ändern werden. Der Blick auf die unmittelbaren
„I was brought
                         Bedingungen des Projekts weicht einer Perspek-
up to believe that       tive, in der Immobilien zu einem integrierten Be-
there is no virtue       standteil des urbanen Anforderungsprofils werden.
in conforming meekly
to the dominant
opinion of
the moment.“

JANE JACOBS

                                                                                                                                  EDITORIAL   3
FACING URBAN CHALLENGES - NET
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                                                                                                       „Irgendwann werden keine einzelnen Immobilien- oder

                                                                                                       Infrastrukturprodukte mehr entwickelt, sondern ganze

                                                                                                       Stadtteile, in denen alle wichtigen Prozesse miteinander

                                                                                                       harmonieren und die den Anwohnern eine größtmögliche

                                                                                                       Lebensqualität ermöglichen.“

                                                                                                       Prof. Dr. Stephan Bone-Winkel

                                                                                          71
© Diana Kinnert

                                                                                                                                                                    © ULI Germany/Austria/Switzerland
                       INHALT
                           FACING URBAN CHALLENGES

                           03   EDITORIAL                              16   RETAIL IM WANDEL                            32    MEINUNGSBEITRAG
                                                                            Antworten auf aktuelle Heraus-                    DIE STADT ALS ABBILD DER
                           06   WELCOME                                     forderungen im stationären Einzelhandel           OFFENEN GESELLSCHAFT
                                FACING URBAN CHALLENGES                     Oliver W. Prinz                                   Diana Kinnert
                                Stephanie Baden
                                                                       18   URBANER WEITBLICK                           34    ULI NEXT MEETS…
                           8    GRUNDSATZBEITRAG                            Herausforderungen und Lösungen                    ORTE, MENSCHEN UND PROJEKTE
                                VON DIGITALEN ZWILLINGEN                    für die Stadtentwicklung                          Im Fokus: Neue Perspektiven der
                                UND EINER SHARING CITY                      Tobias Sauerbier                                  35- bis 45-Jährigen
                                Prof. Dr. Stephan Bone-Winkel                                                                 Julia Erdmann und Anaïs Cosneau
                                                                       22   INTERVIEW
                           10   MICRO LIVING, DIE SCHNELL                   WUNDERBAR WANDELBAR                         38    INTERVIEW
                                WACHSENDE ASSETKLASSE                       Über die Resilienz von Städten                    YOUNG LEADER PORTRAITS
                                Ein europäischer Trend mit Potenzial        und wie sie rapiden Veränderungs-                 Unsere Young Leader Chairs über das
                                für institutionelle Anleger                 prozessen begegnen                                ULI, ihr Engagement und die Heraus-
                                Charles Smith                               Interview mit Prof. Jochen Rabe                   forderungen der Branche
                                                                                                                              Interview mit Yama Mahasher,
                           12   WIE WERDEN BAUSTELLEN SMART? 28             STADTERNEUERUNG IN SEOUL                          Benjamin Heinrich und Brice Hoffer
                                Innovative Prozessplanung dank              ULI unterstützt größtes Stadtumbau-
                                Lean Construction Management                projekt der südkoreanischen Hauptstadt
                                                                            Olaf Cunitz

4                 INHALT
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                                                                                                                                                  © STUDIO ALEXANDER KLEBE
                                                                          42

                                                                                                19
                        © David Chipperfield Architects

42   HIER GIBT’S WAS AUF DIE OHREN                        54   SCHNELLER BAUEN                       76   LOCAL COUNCIL CHAIRS
     Der ULI Germany Podcast                                   Birgitt Wüst und Birgit Werner             Ob Deutschland, Österreich oder
     Stephanie Baden                                                                                      Schweiz: ULI Local Chairs kennen alle
                                                          56   „URBAN CHALLENGES“                         Besonderheiten ihrer Stadt
44   DER ZUKUNFT EINEN SCHRITT                                 Wie stellt sich Wien diesen
     VORAUS                                                    Herausforderungen?                    80   UNSER EXCOM UND
     Wie die Stadt von morgen nachhal-                         Jasmin Soravia                             ADVISORY BOARD 2019
     tiger, smarter und lebenswerter wird                                                                 Engagement, Expertise,
     Klaus Dederichs                                      58   ULI GERMANY PRODUCT COUNCILS               Entscheidung
                                                               Über den Mehrwert des Teilens
48   IMMOBILIEN: WESENTLICHER HEBEL                            von Fachwissen                        84   ENGAGEMENT UND EHRENAMT
     FÜR KLIMAZIELE                                            Michael Müller                             FÜR UNSERE STÄDTE
     Mehr Klarheit für mehr Grün – Grünes                                                                 Unser Young Leader- und
     Bauen muss attraktiver werden                        62   DIE NACHT DER GEWINNER                     NEXT Committee
     Gero Bergmann                                             Der ULI Leadership Award 2019
                                                                                                     89   UNSERE GESCHÄFTSSTELLE
50   DIE VISION DER VERTIKALEN STADT                      68   INTERACT TO GET INSPIRED!                  IN FRANKFURT
     Von Gewerbegebiet und                                     Der Urban Leader Summit 2019               ULI Germany/Austria/Switzerland
     Bürostadt zum urbanen Quartier                            Michael Müller
     Christian Schmid                                                                                90   IMPRESSUM
                                                          72   WAS FÜR EIN JAHR!
                                                               RÜCKBLICK 2019

                                                                                                                                       INHALT                  5
FACING URBAN CHALLENGES - NET
WELCOME

                            © ULI Germany/Austria/Switzerland

                   STEPHANIE BADEN
                   Executive Director ULI Germany/
                   Austria/Switzerland

6   WELCOME
FACING URBAN CHALLENGES - NET
FACING URBAN
CHALLENGES

Facing Urban Challenges – ja, Städte sehen sich He-         unsere unabhängige Arbeit, in die Umsetzung unserer
rausforderungen gegenüber, und zwar keinen geringen.        Mission. Wäre dem nicht so, wie stellte sich das ULI an-
Mobilität, Verdichtung, Klimawandel, Baukultur, Gen-        sonsten samt seiner Partner dar? Als ein Geflecht, das
trifizierung, digitale Vernetzung, Wettbewerb, sozialer     permanent im eigenen Saft schmorte. Nein, dafür ste-
Frieden, alleine diese sind große Schlagworte, hinter       hen wir nicht. Als Think Tank diskutieren wir gemeinsam
denen noch größere Aufgaben stehen. Und das Heraus-         mit der Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichen Hand
forderndste daran: Dies sind alles Themen, die Millio-      die Potenziale unserer Städte und zeigen dabei manch
nen von Menschen betreffen. 77 Prozent von 83 Mio.          neue Wege auf. An dieser Stelle danke ich unseren Part-
in Deutschland Lebenden wohnen in Städten und Bal-          nern für die Freiheit, die sie uns geben, Themen zu setzen,
lungsräumen.                                                und das Vertrauen, das sie meinem Team und mir bei der
                                                            Umsetzung entgegenbringen. Wer darf schon so frei und
Dazu kommen Millionen Pendler. Sie alle gehen die           unabhängig agieren? ULI Germany darf es. Wie wir dies
großen Themen etwas an und sind betroffen von den           2019 gemeinsam mit so vielen Engagierten umgesetzt
Auswirkungen der Entscheidungen, die Städte und die         haben, lesen Sie in dieser vierten ULI-Sonderausgabe.
Immobilienbranche treffen. Städter selbst prägen das
urbane Leben jeden Tag, positiv und negativ, hierbei        Viel Spaß & einen wunderbaren, erholsamen Jahresaus-
ist der Umgangston zum Teil sehr rau, das Vertreten         klang für Sie und Ihre Lieben.
der eigenen Meinung radikal. Ein funktionierendes Mit-
einander ist dringend auf Toleranz und Akzeptanz an-        Herzlichst, Stephanie Baden
gewiesen, genau dies scheint jedoch aktuell für viele
besonders herausfordernd. Manche Themen sind derart
aufgeheizt, dass konstruktive Kommunikation und Infor-
mation dringender sind denn je.

Welche Rolle spielt das ULI in diesem Geflecht? Wir
bieten die unabhängige Plattform, auf der wir Themen
spielen können, die wir für wichtig und aktuell halten,
um sie mit denjenigen zu diskutieren, die wir im jeweili-
gen Kontext als genau die Richtigen erachten. „Ihr seid
unabhängig?“, werden wir mitunter mit Blick auf unsere
Partnerunternehmen gefragt. Ja, wir sind inhaltlich völ-
lig unabhängig! Kein Unternehmen, das ULI Germany/
Austria/Switzerland finanziell unterstützt, kauft sich                         „Als Think Tank diskutieren wir gemeinsam
thematisch oder persönlich ein. Jeder Cent fließt in                    mit der Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichen
                                                                           Hand die Potenziale unserer Städte und zeigen
                                                                                             dabei manch neue Wege auf.“

                                                                                                                            WELCOME   7
FACING URBAN CHALLENGES - NET
VON DIGITALEN
    ZWILLINGEN UND
    EINER SHARING CITY
    VERÄNDERT SICH DAS URBANE LEBEN JETZT KOMPLETT?

    TEXT: Prof. Dr. Stephan Bone-Winkel

                                                      Über dem Himmel von Dubai schweben vollautomatische

                                                      Lufttaxis, Elon Musk testet bei Los Angeles den Hyper-

                                                      loop. Georgien hat das Grundbuch zugunsten einer Block-

                                                      chain abgeschafft, Singapur setzt auf eine Smart-Data-

                                                      Stadtplanung. Und in Fachkreisen diskutiert man gar, ob

                                                      es in wenigen Jahrzehnten die vorgefertigte „Smart City“

                                                      aus dem Katalog gibt. Auch hierzulande werden sich die

                                                      Städte verändern – im internationalen Vergleich aber wo-

                                                      möglich deutlich langsamer.

                                                              In den vergangenen Jahrhunderten waren es vor allem einzelne
                                                              Technologien, die das Stadtbild maßgeblich geprägt haben – so
                                                              zum Beispiel die Dampfmaschine, die das Zeitalter der Indus-
                                                              trialisierung einläutete, oder das Kraftfahrzeug, das für die Ent-
                                                              wicklung der Autostädte im 20. Jahrhundert gesorgt hat. Heute
                                                              jedoch wird der Fortschritt sowohl durch eine rasant fortschrei-
                                                              tende Digitalisierung geprägt, die nach wie vor die Aktualität des
                                                              Moore'schen Gesetzes beweist, als auch durch radikale Umbrüche
                                                              in der Mobilität verbunden mit gesellschaftlichen Veränderungen,
                                                              beispielsweise durch eine Sharing Economy. Und während es in
                                                              der Vergangenheit gut und gerne fünfzig Jahre dauerte, bis sich
                                                              die Folgen einer disruptiven Technologie städtebaulich tatsächlich
                                                              zeigten, ist der betreffende Zeitraum heute deutlich kürzer. Das
                                                              sorgt für Herausforderungen – nicht nur technischer, sondern auch
                                          © BEOS AG

                                                              rechtlicher und kultureller Natur.

                                                              Hat bald jede Stadt ihren digitalen Zwilling?

                                                              Dabei steht die digitale Revolution noch relativ am Anfang.
                                                              Während unsere Smartphones, Automobile und Produktions-

8     GRUNDSATZBEITRAG
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anlagen online sind, sind vor allem unsere Räume – und damit in         Hyperloop für unsere Städte ermöglicht: In Nürnberg wohnen
großem Maßstab auch unsere Städte – bislang nicht ausreichend           und täglich nach Berlin zur Arbeit fahren wäre auf einmal kein
miteinander beziehungsweise mit den in ihnen lebenden Menschen          Problem mehr.
vernetzt. Ich spreche dabei nicht unbedingt von Smart-Building-
Technologien zur automatischen Regelung der Heizung oder der            Bis es jedoch soweit ist, müssen wir eine Lösung für die Wachs-
Beleuchtung in einer Büroimmobilie, sondern vielmehr von Sen-           tumsschmerzen der Städte finden. Auch was die Flächenverfüg-
soren und KI-basierten Anwendungen im öffentlichen Raum, die            barkeit betrifft – die rasanten Anstiege der Quadratmeterpreise
uns Aufschluss darüber geben, wie wir unsere Flächen tatsächlich        in Berlin oder München sind hier nur ein Symptom. Wir stehen
nutzen. Und aus denen wir Rückschlüsse ziehen, was wir bei der          vor der Herausforderung, unsere Nutzungsintensität der Flächen
Stadtplanung zukünftig verbessern müssen – oder die uns helfen,         radikal zu erhöhen. Das gilt für Parkplätze mit einem Pkw, der
bestehende Mängel beispielsweise beim Mikroklima besser zu er-          ohnehin 95 Prozent der Zeit nicht genutzt wird, genauso wie für
kennen und der Überhitzung unserer Städte entgegenzuwirken.             leerstehende stationäre Büroarbeitsplätze und Produktionshallen.
                                                                        Eng mit dem Gedanken der Sharing Economy verbunden ist hier
Die Herausforderung lautet: Schritt halten. Die nötige Technologie      das Prinzip der Mischnutzung. Denn nur wenn die Flächen intelli-
für komplexe urbane Analysen existiert allemal, inzwischen kön-         gent miteinander verzahnt werden und kurze Wege möglich sind,
nen KI-Anwendungen in Kameras beispielsweise relevante Ob-              wird auch unsere Flächennutzung effizienter. Wenn wir nicht ler-
jekte, also unter anderem Fahrzeuge oder Passanten, automatisch         nen, mit der Fläche als Ressource besser umzugehen, bleibt bei
und anonymisiert erfassen. In Singapur finden sogar komplexe            einer wachsenden Urbanisierung nur die Möglichkeit, ein radika-
Simulationsprogramme Anwendung, die neben der Stadtplanung              les Downsizing zu betreiben. Wie sich das auswirken kann, zeigen
auch Umweltaspekte wie das ideale Regenwasser-Management                die winzigen Apartmentwohnungen in Hongkong, die von ihren
und die Durchlüftung der Stadt mit frischem Seewind berechnen.          Anwohnern gar als „Sargbox“ bezeichnet werden. Wir brauchen
In Deutschland kennen wir vor allem Lärmprognosen.                      also konsequente „Sharing Cities“ im Sinne von Ressourceneffi-
                                                                        zienz auf allen Ebenen.
Der Zeitpunkt wird kommen, an dem nicht nur einzelne Immo-
bilien, sondern auch ganze Städte ihre digitalen Zwillinge haben        Sind wir überhaupt auf dem richtigen Weg?
werden – also eine digitale Erfassung sämtlicher wichtiger Para-
meter, inklusive derjenigen des digitalen Staatswesens mit allen        Die Stadtentwicklung unterliegt zurzeit also massiven Herausfor-
behördlichen Abläufen. Eine weitere Folge davon ist, dass die ein-      derungen. Das Problem: Wir sind hierzulande nur sehr begrenzt
zelnen Prozesse leichter miteinander harmonisiert werden können.        dafür bereit, diese zu erfüllen. Denn oftmals dominieren Parti-
Am Ende dieses Wegs steht eine Vision, wie sie das Stuttgarter          kularinteressen, wenn es um die konkreten Projekte geht. Vielen
SmartCity.insitute formuliert hat: Irgendwann werden keine ein-         Städten fehlt es an übergeordneten städtebaulichen Leitbildern.
zelnen Immobilien- oder Infrastrukturprodukte mehr entwickelt,          In Berlin beispielsweise haben zwar in den letzten dreißig Jahren
sondern ganze Stadtteile, in denen alle wichtigen Prozesse mitei-       die besten Architekten der Welt gebaut – aber oftmals mit einer
nander harmonieren und die den Anwohnern eine größtmögliche             für ihre Verhältnisse schwachen Arbeit. Das ist nur bedingt ihre
Lebensqualität ermöglichen.                                             Schuld, eine bessere Arbeit wurde durch zu viele kleine Ansätze
                                                                        verhindert, die oft nur das eigene Grundstück betrafen. Solche
Hierzulande gibt es jedoch einen großen digitalen Bremsklotz: Den       Ansätze greifen jedoch für das komplexe Ökosystem Stadt zu
Ausbau des mobilen Internets. Hier ist Deutschland im internatio-       kurz. Um dem Bedarf gerecht zu werden, brauchen wir mehr
nalen Vergleich bestenfalls digitales Mittelfeld.                       Verantwortungsgefühl sowohl unter den politischen Entschei-
                                                                        dungsträgern als auch in der privaten Wirtschaft. Denn ansons-
Gleichzeitig müssen wir kritisch bleiben und dürfen nicht in einen      ten droht die Gefahr von „Failed Cities“.
digitalen Herdentrieb hin zum durch und durch smarten Gebäu-
de verfallen, bei dem um des Digitalisierens willen digitalisiert
wird – und nicht aus Vernunftgründen.

Schlüsselfaktoren: Mobilität und Fläche

Genauso wichtig wie die Digitalität ist die Mobilitätsfrage der                    PROF. DR. STEPHAN BONE-WINKEL
Menschen im Zeitalter der Reurbanisierung. Denn unsere Städte
wachsen so schnell wie nie zuvor, auf der einen Seite steht also eine              ist Geschäftsführer der ceos Investment GmbH. Er ist Gründer und
mögliche Überlastung unserer Verkehrsadern mit verstopften Stra-                   Mitglied des Aufsichtsrats der BEOS AG, einem deutschlandweit
ßen, U-Bahnen und einer unkoordinierten innerstädtischen Logis-                    tätigen Immobilienunternehmen, das sich auf die Entwicklung und
tik. Auf der anderen Seite steht der Gedanke der Sharing Economy                   das Management von Unternehmensimmobilien spezialisiert hat.
und der bestmöglichen Ausnutzungen der gegebenen Ressourcen.                       Stephan Bone-Winkel ist zudem Inhaber der Honorarprofessur
Die Vielfalt der Ansätze ist schier grenzenlos, sie beginnt beim                   Immobilienentwicklung mit Schwerpunkt Projektentwicklung am
Siegeszug des Carsharings, geht über die Idee, U-Bahn-Schächte                     IREBS Institut für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg.
während der Nachtstunden für Logistikprozesse zu nutzen, und
endet noch lange nicht bei den Folgen, die ein funktionierender

                                                                                                                                      GRUNDSATZBEITRAG      9
FACING URBAN CHALLENGES - NET
MICRO LIVING, DIE
 SCHNELL WACHSENDE
 ASSETKLASSE
     EIN EUROPÄISCHER TREND MIT POTENZIAL FÜR
     INSTITUTIONELLE ANLEGER

     TEXT: Charles Smith

                      Möblierte Kurzzeitwohnungen sind in Europa so gefragt wie nie. Globale

                      Megatrends sorgen dafür, dass sich diese Entwicklung in den kommenden

                      Jahren weiter verstärken wird. Da Investitionen in Micro-Living-Konzepte

                      langfristig stabile Erträge bei vergleichsweise geringem Risiko bieten, werden

                      diese auch für institutionelle Anleger immer interessanter.

            Mit dem Begriff Micro Living wurden früher insbesondere Stu-           3. Serviced Apartments: richten sich an Berufstätige, die ihre
            dentenwohnungen assoziiert. Heute beschreibt der Begriff eine          Unterkunft mit den Vorzügen eines Hotels kombinieren wollen;
            Vielzahl unterschiedlicher Wohnkonzepte, die alle eines gemein-        Konzept umfasst Zimmerservice, Businesscenter, TV-Lounges,
            sam haben: Kleine, für Einzelpersonen ausgerichtete, möblierte         Ess- und Trinkbereiche
            Wohneinheiten, die von ihren Bewohnern nur für eine begrenzte
            Zeit benötigt werden.                                                  Eigene Assetklasse

            Neben Studierenden richten sich Micro-Living-Konzepte daher            Die Nachfrage nach Micro-Living-Objekten ist in den vergan-
            insbesondere an Young Professionals, Projektarbeiter, Berufstätige     genen Jahren enorm gestiegen. Zu erwarten ist, dass sich dieser
            im Auslandseinsatz und Langstreckenpendler. Da jede Zielgruppe         Trend nicht nur fortsetzt, sondern weiter verstärkt. Hierzu tra-
            ihre eigenen Bedürfnisse hat, ist es sinnvoll, drei Konzepte vonein-   gen die demografische Entwicklung und der Trend zu Einperso-
            ander zu unterscheiden:                                                nenhaushalten in Europa genauso bei wie die anhaltende Urbani-
                                                                                   sierung und die zunehmend geforderte Arbeitsflexibilität. Immer
            1. Student Apartments: kleine Küche, eigenes Bad; Gemein-              mehr, vor allem junge Arbeitskräfte, ziehen in die Städte, wo die
            schaftsflächen wie Lernbereiche, Fernseh- und Wäscheräume so-          Bevölkerung seit Jahren kontinuierlich steigt.
            wie Fitnessstudio
                                                                                   Micro Living ist damit längst keine Modeerscheinung mehr, son-
            2. Business Apartments: orientieren sich an den Bedürfnissen           dern ein langfristiger, strukturell geprägter Trend. Sein Anteil und
            von Berufstätigen, ähnlich ausgestattet wie Student Apartments;        damit auch seine Bedeutung auf dem Wohnungsmarkt steigen
            kleinere Gemeinschaftsflächen                                          weltweit an. Waren Investitionen in Micro-Living-Konzepte vor

10     ULI PERSPECTIVES
© CORESTATE
                                                                                                  JOYN Vienna. Neues Serviced Apartments House
                                                                                                                     der CORESTATE Marke JOYN

wenigen Jahren noch ein Nischenmarkt, hat sich heute eine eigene
Assetklasse mit verschiedenen Ausprägungen etabliert. Aufgrund
der begrenzten Nutzungsdauer und der Ausrichtung an junge Ziel-
gruppen grenzt sich der Micro-Living-Markt in seinen Strukturen
vom herkömmlichen Wohnungsmarkt mittlerweile klar ab.
                                                                     dem Exit. Damit diese Komplexität nicht zu hohen Transakti-
Attraktive Investmentmöglichkeiten                                   onskosten führt und damit die Rendite beeinträchtigt, ist es für
                                                                     den Investor vorteilhaft, wenn alle diese Services aus einer Hand
In Europa haben sich insbesondere in Deutschland, Frankreich,        kommen. Wichtig ist darüber hinaus, dass Investoren die Erfah-
Großbritannien und den Niederlanden Micro-Living-Märkte ge-          rungen und die Philosophie ihres Micro-Living-Geschäftspart-
bildet, die interessierten Investoren etablierte Marktstrukturen     ners hinterfragen und seinen Track Record prüfen.
mit zahlreichen Investmentmöglichkeiten bieten. In Belgien, Dä-
nemark, Irland, Italien, Österreich, Polen, Portugal, der Schweiz,   Dass Investitionen in Micro-Living-Objekte auch zukünftig ra-
Schweden und Spanien bilden sich die Strukturen derzeit erst         sant ansteigen und sich damit zu einer immer bedeutungsvolleren
heraus. Nichtsdestotrotz bieten sich auch hier für institutionelle   Assetklasse für institutionelle Anleger entwickeln, liegt nicht nur
Anleger attraktive Investitionsmöglichkeiten.                        am derzeitigen Immobilienmarkt in Europa. Die Micro-Living-
                                                                     Konzepte sind auch Ausdruck eines neuen Lebensgefühls: Sie er-
Gerade in stark wachsenden Universitätsstädten, europäischen         füllen das Bedürfnis nach Gemeinschaft genauso wie die Anfor-
Metropolen und Regionen mit ansteigenden Beschäftigungszah-          derungen nach Coworking, Sharing, New Work, Flexibilität und
len erzielen Micro-Living-Investments gute und stabile Erträge       Mobilität. Damit kommen sie insbesondere den Erwartungen der
bei vergleichsweise geringem Risiko. Die Erfahrungen der vergan-     jungen und nachwachsenden Generationen entgegen und greifen
genen Jahre zeigen, dass Investoren in Micro-Living-Objekte mit      in ihrer Konzeption die Lebensrealität der Zukunft auf.
Renditen rechnen können, die um 50 bis 100 Basispunkte höher
liegen als im reinen Wohnbereich. Nicht zuletzt deswegen sind die
Transaktionsvolumina in diesem Markt rasant gewachsen.

Zu den Vorteilen der Micro-Living-Investments zählt, dass die al-
lermeisten am Markt verfügbaren Micro-Apartments erst kürzlich
entstanden sind oder gerade erst entstehen – denn Bestandsim-
mobilien bieten in aller Regel nicht die notwendige Infrastruktur
der Micro-Living-Konzepte. Daher handelt es sich bei Micro-
Living-Objekten typischerweise um Neubauten, die nach neues-
ten Erkenntnissen entwickelt wurden und modernsten Standards                                       CHARLES SMITH
entsprechen.
                                                                                                   ist Managing Director Client Relations Deutsch-
Alle Services aus einer Hand                                                                       land & Österreich bei der CORESTATE Capital
                                                                                                   Group. Zuvor war er bei Savills Investment
Wie bei allen Immobilienprojekten ist auch die Entwicklung und                                     Management für das Business Development für
das Management von Micro-Living-Objekten komplex. Heraus-                                          institutionelle Investoren im deutschsprachigen
forderungen stellen sich von der Akquise und der Due Diligence                                     Raum verantwortlich. Weitere Stationen seiner
über die Projektplanung und den Bau bis hin zum Betrieb und                                        Karriere waren Jones Lang LaSalle und Pricewa-
                                                                                                   terhouseCoopers. Er hat einen internationalen
                                                                                                   Wirtschaftsabschluss.

                                                                                                                                 ULI PERSPECTIVES    11
WIE WERDEN
 BAUSTELLEN SMART?
     INNOVATIVE PROZESSPLANUNG DANK LEAN CONSTRUCTION
     MANAGEMENT

                         Berlin, Washingtonplatz, 8.30 Uhr: Alle Projektbeteiligten treffen sich zur

                         Tagesbesprechung auf der Baustelle des cube berlin. Die wichtigen Fragen sind

                         schnell geklärt: Welche Gewerke sind heute an der Reihe? Wurden alle nöti-

                         gen Vorarbeiten abgeschlossen? Wann wird das passende Material geliefert?

                         Dass die Prozesse so reibungslos ablaufen, ist einer innovativen Methode zu

                         verdanken: Dem sogenannten Lean Construction Management.

           Es kommt erstmals von der omniCon zum Einsatz, einem auf            ruction Management fußt auf der Erkenntnis, dass sich Fehler
           Construction Management spezialisierten Tochterunternehmen          durch transparente und standardisierte Prozesse vermeiden las-
           der CA Immo. Damit ist die Baustelle eine Art Pilotprojekt des      sen. Um die Prozesse optimal takten zu können, sind Kommu-
           Unternehmens für effektives, transparentes und stressfreies Bau-    nikation und Kooperation entscheidende Voraussetzungen. Die
           en. Ende des Jahres soll hier schließlich – dank konsequenter Di-   ausführenden Gewerke werden daher frühzeitig in die Baupro-
           gitalisierung und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz – das     zesse eingebunden. Im Mittelpunkt steht die Frage: Was muss
           „schlauste Gebäude Europas“, wie Berlins größte Tageszeitung        bis zu welchem Zeitpunkt erledigt sein? Denn im Gegensatz zur
           unlängst titelte, stehen.                                           herkömmlichen Planungsmethode planen die Projektbeteiligten
                                                                               hier von hinten nach vorne, also vom Ergebnis zum Anfang
           Beim Lean Construction Management wurden die Prinzipien             und nicht vom Anfang zum Ergebnis. Um die Terminziele zu
           des Lean Management bzw. der Lean Production aus der Au-            erreichen und kostspielige Wiederholungsfehler zu vermeiden,
           toproduktion auf den Bausektor übertragen. Toyota hatte die         gibt es einen auf den Tag durchdachten Projektablaufplan. Das
           wesentlichen Prinzipien bereits Mitte des 20. Jahrhunderts mit      Besondere: Dieser Prozessplan ist kein starres Gerüst, sondern
           dem Ziel eingeführt, die Effizienz und Qualität in der Produktion   wird wöchentlich auf den Prüfstand gestellt, neu angepasst und
           jenseits der technischen Automation zu erhöhen. Lean Const-         von den Beteiligten laufend fortgeschrieben. Gearbeitet wird

12    ULI PERSPECTIVES
© CA Immo (3)
dabei mit dem Last-Planner-System, einem kollaborativen Steu-
erungstool, das die einzelnen Arbeitsschritte in „sollte / kann /
wird erledigt“ einstuft und dafür sorgt, dass die Abläufe detail-
liert betrachtet und damit hindernisfrei werden.

Für die tägliche Planung auf der Baustelle eignet sich das Steck-
kartensystem. Eine Tafel, die zur Visualisierung des Projektstandes
dient. „Die visuelle Darstellung ist einfach grandios“, sagt omni-
Con-Projektleiter Wilko Eichholz. Farbige Karten symbolisieren
die Aufgaben der einzelnen Gewerke in den kommenden vier Wo-
chen. Der Subunternehmer legt in Absprache mit anderen Gewer-
ken im Rahmen der Prozessplanung selber fest, wann er seine Auf-
gaben erledigen kann und sortiert die entsprechenden Karten auf
der Tafel. „Das ergibt Sinn, er muss schließlich die Verantwortung
für die Rechtzeitigkeit seiner Arbeit übernehmen“, sagt Sebastian                                                   So wird der ONE nach seiner
Eckernkamp, Geschäftsführer bei omniCon.                                                                         Fertigstellung 2022 aussehen.

Wilko Eichholz sieht bei der neuen Arbeitsweise deutliche Unter-
schiede zu früher. „Damals hat der Projektleiter mit MS Project
im stillen Kämmerlein die Terminplanung erstellt und an alle an-
deren verteilt – die Kommunikation und Koordination der Ab-
läufe kam viel zu kurz. Heute fangen wir am Ende des Prozesses
an – also bei der Fertigstellung des Objekts. Dabei gehen wir
partnerschaftlich-kooperativ vor. Man ‚zwingt‘ die Kollegen da-       Projekte in kleine Teile aufgeteilt, sogenannte Individual- und
durch, sich bereits vorher mit den Abläufen zu beschäftigen. Dies     Gleichbereiche. Gleichbereiche sind Bereiche, die sich oft wieder-
erfordert die Verantwortung eines jeden Einzelnen. Schließlich        holen, zum Beispiel Sanitärkerne, Treppenhäuser oder Teeküchen.
sind pro Woche mehrere Gewerke gleichzeitig im Einsatz, da ist        Eckernkamp gibt ein Beispiel: „Ich kann in einem Hochhaus mit
es wichtig, dass sie sich organisieren und abstimmen.“                50 Etagen auf jedem Stockwerk jeweils die Anschlüsse für drei
                                                                      Teeküchen installieren. Hinterher stellt der Küchenbauer wo-
Eichholz hat Lean Construction Management gemeinsam mit               möglich fest, dass die Wasseranschlüsse überhaupt nicht zu den
Construction-Manager Oleg Weinbender auf der cube-berlin-             Küchen passen. Um das zu verhindern, setzen sich die jeweili-
Baustelle eingeführt – mit dem Ziel, es auch auf anderen Bau-         gen Gewerke beim Lean Construction Management frühzeitig
stellen der omniCon zu implementieren. Unterstützt wurden sie         zusammen. Dann bauen wir eine Küche picobello fertig. Wenn
dabei vom Beratungsunternehmen Drees & Sommer. Bereits im             alles passt, werden die Küchen nach dem immer gleichen Ablauf
Rahmen seiner Diplomarbeit hatte Weinbender die Probleme              auf allen Etagen umgesetzt. Auf diese Weise können wir bei Pro-
bei der klassischen Terminplanung analysiert und Lösungsmög-          blemen viel schneller reagieren.“
lichkeiten aufgezeigt. „Es geht um die Frage, wie sich Kosten-,
Qualitäts- und Effizienzziele noch besser erreichen lassen“, sagt     Für Wilko Eichholz und seine Kollegen ist Lean Construction
Weinbender. Dazu gehört die Beschleunigung der Prozesse, eine         Management ein Erfolg: „Wir haben kaum Ausfälle und Still-
höhere Stabilität und weniger Verschwendung auf der Baustelle.        standszeiten beim Bau des cube berlin. Damit sind wir im Ter-
                                                                      min, die Qualität passt auch. Die Abläufe sind besser struktu-
Um mögliche Fehler frühzeitig zu erkennen und beheben zu kön-         riert, dazu haben wir auch die entsprechenden Rückmeldungen
nen, werden beim Lean Construction Management komplexe                bekommen“, betont er.

                                                                                                                                ULI PERSPECTIVES   13
30 MIN.
                        So lange dauert es, bis Sie Ihre neuen, auf otto.de gefundenen und vorrätigen Sneaker im nächstgelegenen
                        ECE-Shopping-Center abholen können. Denn das ist für rund 60 % der Bevölkerung Deutschlands nicht
                        weiter als 30 Minuten entfernt. So schnell müssen Sie in Ihren neuen Laufschuhen erst mal joggen.
                        www.ece.de/connected-commerce

14   ULI PERSPECTIVES
Der ONE (m.) wird eine neue Landmarke
                                                                                                     in der Frankfurter Skyline.

                                                     Für Sebastian Eckernkamp ist die Zusammenarbeit der Gewer-
                                                     ke ein entscheidender Erfolgsfaktor: „Die Baustelle muss geord-
                                                     net und sauber sein. Denn die einzelnen Gewerke möchten so
                                                     schnell wie möglich und ohne Hindernisse ihre Arbeit fertig-
                                                     stellen.“ Das größte Lob im vergangenen Jahr kam dann auch
                                                     von einem zufriedenen Nachunternehmer: Ihr habt eine gut
                                                     funktionierende und optimal geplante Baustelle, zu euch kann
                                                     man kommen, hieß es. „Das hat uns natürlich sehr gefreut.
                                                     Wir kennen andere Großprojekte – gerade in Berlin –, wo das
                                                     Chaosprinzip herrscht. Das unterscheidet uns deutlich von den
                                                     Wettbewerbern und ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil für
                                                     den Nachunternehmer. Während er auf anderen Baustellen teils
                                                     stundenlang warten muss, bis er sein Gewerk erstellen kann,
                                                     ist er bei uns schon fertig.“ Gerade vor dem Hintergrund der
                                                     boomenden Baubranche und der damit verbundenen Gewerke-
                                                     Knappheit ist Termintreue ein wichtiger Faktor, um sich von
                                                     anderen Baustellen positiv abzuheben.

                                                     omniCon setzt die innovative Methode nicht nur beim cube
                                                     berlin, sondern auch bei weiteren Projekten wie dem neuen Frank-
                                                     furter Bürohochhaus ONE ein. Hier hat Lean Construction Ma-
                                                     nagement eine noch größere Bedeutung, da die Errichtung eines
                                                     Hochhauses eine hochkomplexe Aufgabe ist und bei dem 190 m
                                                     hohen Gebäude mit seiner Nutzungsmischung aus Hotel und Büro
                                                     ein reibungsloser Ablauf für die einzelnen Gewerke gewährleistet
So wird der cube berlin nach seiner Fertigstellung
Ende 2019 aussehen.                                  sein muss. Bis Anfang 2022 entstehen im ONE neben dem Life-
                                                     style-Hotel nhow mit 375 Zimmern 43.000 m² Bürofläche. Ab-
                                                     geschlossen sind die Innovationsprozesse aber nie. Im Gegenteil:
                                                     „Wir sind ständig dabei uns zu optimieren“, sagt Oleg Weinben-
                                                     der. Lean Management lässt sich auch bereits zu einem früheren
                                                     Zeitpunkt anwenden, nämlich in der Planungsphase, dann als so
                                                     genanntes Lean Design Management. Das ist aber noch ein wenig
                                                     Zukunftsmusik. Planungsprozesse sind hochkomplex.

                                                                                                                ULI PERSPECTIVES   15
RETAIL IM WANDEL
           ANTWORTEN AUF AKTUELLE HERAUSFORDERUNGEN
           IM STATIONÄREN EINZELHANDEL

     TEXT: Oliver W. Prinz

                          Seit jeher gilt: Handel ist Wandel – aber Digitalisierung, veränderte Ein-

                          kaufsgewohnheiten und zunehmendes Online-Shopping fordern den Einzel-

                          handel aktuell besonders heraus. Ziel der ECE ist es, mit ihren Shoppingcen-

                          tern positive Antworten auf die Frage zu finden, wie der Wandel erfolgreich

                          gestaltet werden kann, den Besuchern ein modernes Einkaufserlebnis zu bie-

                          ten und die Mieter bei dieser Transformation zu unterstützen. Viele Initiati-

                          ven sind auf Einzelhandelslagen insgesamt übertragbar. „BID“ (Business Im-

                          provement Districts) können die nachbarschaftliche Zusammenarbeit noch

                          deutlich ausbauen.

            Der Online-Handel boomt und Einzelhändler müssen sich im            Erlebnis bietet, das es online nicht gibt – und sich vom „place
            Wettbewerb positionieren. Gastronomie, breit gefächerte Ser-        to shop“ zum „place to be“ entwickeln. Zugleich steigen die
            vices und digitale Innovationen werden zum differenzierenden        Ansprüche an Atmosphäre und Komfort: Attraktives Design,
            Merkmal gegenüber dem E-Commerce. Seit 2017 arbeitet die            Lounge-Ecken und angenehme Beleuchtung führen zu einer ge-
            ECE mit der Initiative At your Service daran, die Serviceangebote   steigerten Aufenthaltsqualität und rücken immer stärker in den
            ihrer Center weiter zu steigern. Dafür wurde die gesamte Cus-       Fokus. Darüber hinaus bietet die ECE saisonale Services, wie
            tomer Journey, der Weg von der Einkaufsvorbereitung daheim          z. B. den Himmlischen Service zur Vorweihnachtszeit: Besucher
            bis zum Verlassen des Shoppingcenters, untersucht, um mögli-        können eine individuelle Geschenkeberatung, Kinderbetreuung
            ches Verbesserungspotenzial für ein positives Einkaufserlebnis zu   und Weihnachtspagen in Anspruch nehmen.
            identifizieren und umzusetzen.
                                                                                Entscheidend ist zudem die Vernetzung von Online und Off-
            Die Customer Journey beginnt bereits zuhause. Mit der Digital       line: Der Kunde möchte frei wählen, in welchem Kanal er sich
            Mall bietet die ECE ihren Kunden die Möglichkeit, sich schon        informiert und wo er kauft. Die Hälfte der stationären Käufe
            vorab auf den Center-Webseiten über die verfügbaren Produk-         wird online vorbereitet. Online bestellte Ware soll in kurzer Zeit
            te zu informieren. Auch für die An- und Abreise stehen neue         und ohne Zustellprobleme auf der „letzten Meile“ geliefert wer-
            Angebote zur Verfügung: Hier ist zum Beispiel das kontaktlose       den. Ob diese Anforderungen mit großen Warenverteilzentren der
            Express-Parken mittels RFID-Karte möglich.                          Online-Händler außerhalb der Städte zukünftig noch ausreichend
                                                                                erfüllt werden können, ist fraglich. Obwohl das gesuchte Produkt
            Shopping ist heute Freizeitgestaltung – und wird daher mit Gas-     im nahegelegenen Laden schnell verfügbar sein kann, werden
            tronomie und Unterhaltung verknüpft. Der stationäre Handel          Konsumenten heute in der Regel auf die Websites großer Online-
            kann sich erfolgreich vom Online-Handel abheben, indem er ein       Anbieter gelenkt, wenn sie online nach Waren suchen – denn bei

16     ULI PERSPECTIVES
© ECE (2)
                                                                                               Service und Aufenthaltsqualität sind im stationären Handel
                                                                                                von großer Bedeutung. Daher investieren Center-Betreiber
                                                                                            unter anderem in Lounge-Bereiche und ein helles, freundliches
                                                                                                        Ambiente – wie hier im Alstertal-Einkaufszentrum.

Vernetzung von Online und Offline: In der
Digital Mall der ECE können Kunden die im
Center verfügbaren Produkte bereits von
Zuhause aus recherchieren.

     der Onlinesuche stellt der stationäre Einzelhandel bisher oft eine    Auf diese Weise entwickeln sich Shoppingcenter zu Omni-Chan-
     „Blackbox“ dar. Die ECE hat daher die Digital Mall entwickelt,        nel-Plattformen mit Wohlfühl- und Erlebnischarakter – dies
     mit der die tatsächlich verfügbaren Produkte in einem Shopping-       schafft online Reichweite, stationär Frequenz und lokal Umsät-
     center erstmals online angezeigt werden – ein wichtiger Schritt bei   ze. Um auch allgemein in Einzelhandelslagen das Einkaufserlebnis
     der Entwicklung zu Omni-Channel-Plattformen. Über die Vor-            zu steigern, bedarf es des gemeinsamen Willens der Einzelhändler,
     aussetzungen verfügen Shoppingcenter schon heute: Breite Sorti-       Eigentümer und Städte. BIDs, entstanden zur Verschönerung von
     mentsvielfalt, etablierte Partnerschaften zu stationären Händlern,    Einkaufsstraßen durch Anlieger, können nachbarschaftlich fort-
     Nähe zum Kunden sowie eine verkehrliche Anbindung und Logis-          entwickelt ein Ansatz für Services und Digitalisierung sein. Gelingt
     tik. Das Pilotprojekt Digital Mall, das mittlerweile mit 1,2 Mio.     die Transformation zu ganzheitlichen Omni-Channel- und Frei-
     Artikeln aus 200 Shops in 18 Centern online ist, zeigt die Zu-        zeit-Plattformen, erfindet sich der stationäre Einzelhandel einmal
     kunft des Shoppens. Mit dem Connected-Commerce-Konzept                mehr neu – ganz im Sinne von „Handel ist Wandel“.
     geht die ECE gemeinsam mit dem Online-Händler OTTO noch
     einen Schritt weiter: Die beiden Partner schaffen eine einzigar-
     tige Verbindung zwischen Stationär- und Onlinehandel. Lokale
     Sortimente können online auf otto.de eingebunden werden. Ziel
     dieses Connected-Commerce-Konzeptes ist es, den stationären
     Handel durch zusätzliche Reichweite zu stärken und das Online-
     Angebot von OTTO um lokale Bezugsquellen zu erweitern. Es
     verbindet die Filialnetze stationärer Händler mit der Plattform
     otto.de – und schafft so eine, in dieser Form deutschlandweit bis-
     lang einmalige, Kooperation zwischen E-Commerce und klas-
     sischem Einzelhandel. Die ECE-Center bringen hierfür einen
     entscheidenden Vorteil mit: 60 Prozent der Deutschen erreichen
     in 30 Minuten ein ECE-Einkaufszentrum – ein echtes Allein-                                            OLIVER W. PRINZ
     stellungsmerkmal. In der ersten Ausbaustufe können Kunden
     bereits für rund 20.000 Artikel von sechs ausgewählten Part-                                          ist als Project Director M&A bei ECE Projektma-
     nern auf otto.de online sehen, ob diese in einem nahegelegenen                                        nagement in Hamburg beschäftigt. Zuvor war
     Store vorrätig sind. Die Erweiterung folgt sukzessive. In einer                                       er als Projektentwickler bei ECE tätig. Oliver W.
     späteren Ausbaustufe ermöglicht „Click und Collect“ den Kauf                                          Prinz studierte an der WHU in Koblenz sowie an
     direkt über die Plattform. Mit „Ship from Store“ ist perspek-                                         der IREBS in Eltville. Im ULI ist er Chair des ULI
     tivisch auch die taggleiche Lieferung der Produkte unmittelbar                                        NEXT Committees.
     aus dem Center geplant.

                                                                                                                                            ULI PERSPECTIVES    17
URBANER
           WEITBLICK
           HERAUSFORDERUNGEN UND LÖSUNGEN
           FÜR DIE STADTENTWICKLUNG

     TEXT: Tobias Sauerbier

                      Bereits Ende 2018 lebten rund drei Viertel der Menschen in Deutschland in

                      Städten. 2050 werden es – so die Schätzungen – annähernd 90 Prozent sein.

                      Dies erfordert ein radikales Umdenken und Handeln, um knappe Wohn- und

                      Gewerbeflächen so effektiv und fair wie möglich zu verteilen.

            Die Stadt- und Metropolregionen müssen dabei vielen Heraus-             über digitale Plattformen kennenlernen. Dieses Interaktionsbe-
            forderungen genügen. Dazu zählen die Beibehaltung der Wett-             dürfnis verlangt auch nach einer urbanen Umgebung, die mit di-
            bewerbsfähigkeit, die Wohnraumschaffung, die Bewältigung der            versen Angeboten leicht erreichbar ist. Öffentlicher und privater
            Verkehrs-, Energie- und Klimaproblematik und die alternde               Raum verschmelzen dabei zunehmend, die Übergangsbereiche
            Gesellschaft. Eine intakte und ausgeklügelte Infrastruktur, bei der     sollten Community-Katalysatoren sein. Gute Freiraumnetze sind
            auch der Umweltschutz und die Nachhaltigkeit höchsten Stellen-          lebenswichtig für unsere Städte.
            wert haben, ist Voraussetzung. Die Lösungen dafür müssen primär
            im urbanen Raum erarbeitet werden.                                      In vielen deutschen Städten sieht die Realität allerdings anders
                                                                                    aus: Wohnen, Arbeiten, Shopping und Freizeit finden in verschie-
            Bedarf nach urbanen Strukturen                                          denen Stadtvierteln statt. Dieses Prinzip der Trennung wurde
                                                                                    jahrelang von der Stadtentwicklung gefordert und gefördert.
            Die Menschen zieht es wieder in die Zentren der Städte – dort           Das Konzept führt aber dazu, dass tagsüber die Wohnviertel und
            wollen sie wohnen und arbeiten. Daher brauchen die Haushalte            abends die Innenstädte nahezu verlassen sind. Hinzu kommt der
            kurze Wege, um ihre notwendigen Infrastrukturen, Services und           Wandel im Einzelhandel, in den meisten Einkaufsstraßen finden
            Einrichtungen zu erreichen. Deswegen ziehen nicht nur Büros,            sich immer wieder die gleichen Filialisten, egal ob Sie in Berlin
            sondern auch andere gewerbliche Arbeitsplätze, wie urbane Ma-           oder Oldenburg sind. In vielen, insbesondere kleineren Städten,
            nufaktur oder wissensbasierte Institutionen, zurück in die Stadt.       stehen Ladenflächen leer. Ein Zustand, der nicht mehr zukunfts-
            Ein weiterer Grund ist die digitalisierte Gesellschaft: Sie führt pa-   fähig ist. Umdenken ist gefragt. Vor allem die Bedürfnisse der jun-
            radoxerweise zu mehr physischen Begegnungen. Noch nie zuvor             gen Generation werden von diesen überholten Konzepten nicht
            gab es so viel Real-Life-Interaktion zwischen Menschen, die sich        mehr erfüllt. Dies zeigt sich auch darin, dass Städte mit urbanen

18     ULI PERSPECTIVES
© David Chipperfield Architects

                                                      Elbtower: An den Hamburger Elbbrücken baut
                                                      SIGNA ein zeichensetzendes Hochhaus.

Strukturen wie Berlin, München und Hamburg vom Zuzug jun-                                          anderen Seite. Es ist zugleich Aufgabe, eine Architektur zu schaf-
ger Menschen profitieren. Das trifft natürlich im vollen Maß auch                                  fen, die sich die Menschen aneignen können. Das Bauen dient vor
für ältere Menschen zu – Stichwort Generation Gold.                                                allem dem Leben in unseren Städten – Raum erzeugt Kultur.

Der Umgang mit dem Trend der Urbanisierung ist in erster In-                                       Parallel gewinnen Quartiere generell wieder mehr an Bedeutung.
stanz weniger eine Aufgabe der Stadtplaner und Architekten als                                     Wohnen und Arbeiten verschmelzen immer mehr und damit ent-
vielmehr der Stadtpolitik. Städte können den Nutzungsmix von                                       stehen sogenannte Mischquartiere mit flexibler Nutzung. Diese
Grundstücken bestimmen, Verdichtungsstrategien entwickeln und                                      sind vor allem bei jungen Erwachsenen gefragt. Die Herausfor-
umsetzen, Wohnungsbaukontingente festlegen, Areale für Kreativ-                                    derung für die Planer von Quartieren in den Innenstädten großer
nutzungen transformieren. In zweiter Instanz können Stadtplaner                                    Metropolen besteht also darin, eine neue urbane Lebensqualität
und Architekten Städten helfen, intelligente Lösungsansätze hin-                                   zu schaffen. Entscheidend sind dabei vor allem kurze Wege, es
sichtlich Straßen- und Mobilitätsnetzwerk, Verdichtung, Typolo-                                    gilt möglichst viele Nutzungsmöglichkeiten an einem Standort
gie, Freiraum und Nutzungsmischung zu entwickeln. Und sie kön-                                     zu vereinen: Wohnen, Arbeiten, Shopping, Cafés und Restaurants,
nen die Politiker und Behörden mit Visionen inspirieren.                                           kulturelle und sportive Angebote. Weitläufige öffentliche Flächen
                                                                                                   wie große Dachterrassen sorgen für Ausgleich in einer sich ver-
Quartiere gewinnen an Bedeutung                                                                    dichtenden Stadt. Entwickler müssen also Orte schaffen, an denen
                                                                                                   zum einen die Dynamik der Metropole spürbar ist und zum ande-
Die junge, gut ausgebildete Generation möchte in gemischt genutz-                                  ren Rückzugsmöglichkeiten schnell erreichbar sind. Diese Rück-
ten Immobilien arbeiten. Moderne Projektentwicklungen sollten                                      zugsmöglichkeiten müssen ohne Konsumdruck bestehen – wir
dementsprechend eine große Vielfalt an Möglichkeiten bieten,                                       brauchen Städte für alle.
Arbeit und Alltag, Business und Freizeit harmonisch miteinander
zu verbinden. Die Immobilie der Zukunft dient als Stadt in der                                     Verdichtung wird notwendig
Stadt mit vielfältiger Nahversorgung und Gastronomie, umfassen-
den Services und einem ebenso ansprechenden wie funktionellen                                      Stadtkultur ist auch eine Kultur der Dichte, nicht nur ein Ver-
Office-Ambiente, das hervorragende Effizienz und Flexibilität mit                                  hältnis von Geschoss- zu Grundstücksfläche. Es geht um Viel-
intelligenter Nachhaltigkeit kombiniert. Unsere Bauten müssen                                      schichtigkeit, Durchmischung, Komplexität und das Aufeinan-
neben funktionalen Aufgaben in erster Linie Identifikation erzeu-                                  dertreffen von Gegensätzen auf kompaktem Raum. Die Vertika-
gen – mit den Nutzern auf der einen und dem Stadtraum auf der                                      le, das Hochhaus muss weiter an Bedeutung gewinnen. Dabei

                                                                                                                                                            ULI PERSPECTIVES   19
Partnerschaft ist unser Fundament

                                    Nachhaltige Investments
                                    geben Zukunftssicherheit.
                                    Etwa 30 % der CO2-Emissionen in Deutschland gehen auf
                                    Gebäude zurück. Lassen Sie uns gemeinsam Verantwortung
                                    übernehmen: Nachhaltige Immobilien verbinden wirtschaft-
                                    liche und ökologische Interessen für unsere Zukunft.

                                    www.berlinhyp.de
© comm.ag
                                                                       THE ICON VIENNA: Architektonisches Highlight
                                                                                    am neuen Wiener Hauptbahnhof

sind Hochhäuser in gewachsene Strukturen einzubinden, nur so
sind sie identitätsstiftend. Sie ermöglichen, dort zu wohnen und
zu arbeiten, wo kulturelle Angebote und Infrastruktur gegeben
sind. Hochhäuser sollten innerhalb von nutzungsdurchmischten
Komplexen bzw. Quartieren gebaut werden und sich über das
Stadtgebiet verteilen, so gewinnt die Stadt an Attraktivität. Bei
aller Nutzungsdurchmischung dürfen ökonomische Aspekte nicht
außen vor bleiben: So ist es beispielsweise wenig zielführend, Hy-
bridhochhäuser zum stadtplanerischen Dogma zu erklären. Eine
Variation von Nutzungen in der Vertikalen führt immer zu Effi-
zienzverlusten und zu erhöhten Gesamtaufwendungen, was zu-
nächst nicht mit der viel zitierten Nachhaltigkeit zu vereinbaren
ist. In erster Linie sollte sich Nutzungsdurchmischung auf die So-                         TOBIAS SAUERBIER
ckelzonen und damit auf den unmittelbar erlebbaren Stadtraum
konzentrieren, alles Weitere sollte die Ausnahme bilden.                                   ist seit März 2019 Vorstandsmitglied der SIGNA
                                                                                           Prime Selection AG sowie der SIGNA Development
Innenstädte müssen zu Lieblingsorten werden                                                Selection AG. Zudem wurde er zum Geschäftsfüh-
                                                                                           rer von SIGNA Real Estate Management Germany
Der Run auf unsere Städte hat Vor- und Nachteile. Ein nicht zu ig-                         GmbH bestellt. Davor war er in zahlreichen
norierender Vorteil ist, dass, durch den Anstieg der Grundstücks-                          Management-Positionen tätig, u. a. als Geschäfts-
und Immobilienpreise, eine generelle Wertsteigerung der gesamten                           führer der IFM Asset Management GmbH und
Stadt entsteht. Ein Nachteil ist die Gefahr der Übergentrifizierung.                       Vorstandsmitglied der IFM Immobilien AG (2009–
Daher sollte auch weniger kapitalkräftigen Gruppen wie Empfän-                             2013), als Geschäftsführer der GWH Bauprojekte
gern von Wohnberechtigungsscheinen, Studenten, Baukollektiven,                             GmbH (2013–2015) und zuletzt (2016–2019) als
Sozial- und Jungunternehmern sowie Kreativgemeinschaften im-                               Mitglied der Geschäftsleitung des Projektentwick-
mer ein substanzieller Teil der Innenstadt zur Verfügung gestellt                          lers Groß & Partner. Tobias Sauerbier absolvierte
werden. Dies ist jedoch nicht mit einem politisch motivierten Gieß-                        das Studium für Bauingenieurwesen an der Fach-
kannenprinzip, also mit fixierten Nutzungsquoten, die für sämt-                            hochschule Wiesbaden und studierte Immobilien-
liche Projekte einheitlich Anwendung finden, zu lösen, sondern                             ökonomie an der European Business School in
bleibt eine Aufgabe im Gesamtzusammenhang, die Fingerspitzen-                              Oestrich-Winkel.
gefühl erfordert. Bedingte Unterschiede in der Nutzungsstruktur
von Quartier zu Quartier machen Stadt seit jeher aus und haben
ihre Berechtigung. Dennoch soll Stadt kein Zoo von Elitegruppen
sein, sondern ein dynamischer Organismus.

                                                                                                                                   ULI PERSPECTIVES   21
WUNDERBAR
WANDELBAR
UBER DIE RESILIENZ VON STADTEN UND WIE SIE
RAPIDEN VERANDERUNGSPROZESSEN BEGEGNEN
„Unterschiedlichkeit zu erleben und
wahrzunehmen ist meiner Meinung nach ein
wesentliches Element für die Resilienz einer
Gesellschaft und eines jeden Bürgers.“

                        Im Gespräch mit Jochen Rabe, Professor für Urbane Resilienz und

                              Digitalisierung am Einstein Center Digital Future (ECDF)

                                                          Prof. Dr. Johannes Busmann

 Sie sind Professor für Urbane Resilienz und Digitalisierung am         hat. Meiner Meinung nach kennt man es primär aus der Psycholo-
 Einstein Center Digital Future (ECDF). Was verstehen Sie unter         gie, in der es darum geht, dass Menschen Wandel in ihre Identität
 „urbaner Resilienz“?                                                   zu integrieren vermögen, ohne diese zu verlieren. Die Stadt erleben
                                                                        wir oft als stabil, und dennoch gibt es keine Städte, die nicht per-
 Unter urbaner Resilienz versteht man die Fähigkeit einer Stadt,        manentem Wandel unterliegen. Kritiker bemängelten anfänglich,
 mit Wandel umzugehen. Grundsätzlich tritt Wandel meist in zwei         dass der Begriff urbane Resilienz lediglich den Wandel von Städten
 Formen auf: Entweder in Form von Schocks oder in Form von Kri-         entlang wirtschaftlicher Interessen zu rechtfertigen versuche. In-
 sen. Wenngleich der Begriff Krise sehr negativ konnotiert ist, meint   sofern muss klargestellt werden, dass es auch bei der Stadt darum
 er oft nichts weiter als längerfristige Übergangsphasen von alten      geht, Wandel in bestehende Identitäten zu integrieren und diese
 zu neuen Systemzuständen, kurz Wandel. Dabei ist Resilienz kein        fortzuschreiben und zukunftsfähig zu machen. Von daher geht es
 normatives Konzept, sondern lediglich die Fähigkeit, mit Wandel        bei der urbanen Resilienz auch darum, Städte in Ihren Entwick-
 besser umgehen zu können. Normative Konzepte wie die Nachhal-          lungsprozessen stabiler und weniger vulnerabel zu machen.
 tigkeit werden somit also nicht ersetzt. Aufgrund der Digitalisie-
 rung kommt Wandel nicht nur schneller auf uns zu, sondern auch         Welche Parameter besitzt denn Ihrer Meinung nach das Idealbild
 in einem größeren Maßstab. Die Forschung zur urbanen Resilienz         der „Europäischen Stadt“, die es in Wandlungsprozessen lohnt
 beschäftigt sich entsprechend mit der Frage nach passenden Stra-       zu erhalten?
 tegien, wie wir mit diesen rapiden Veränderungsprozessen in der
 eher trägen Stadtentwicklung besser umgehen können.                    Wir wollen die europäische nachhaltige Stadt, die sich im Vergleich
                                                                        zu anderen städtischen Typologien wie der amerikanischen Sub-
 Sofern Stadt als Organismus betrachtet wird, ist Resilienz dann        urbia bereits als sehr wandlungsfähig erwiesen hat. Dabei spielen
 auch eine Facette des beständig bzw. des stabil Seienden?              z. B. Dichte und Zentralität eine wichtige Rolle. Das Verhältnis
                                                                        beider zueinander hat sich im europäischen Kontext oftmals als
 Es gibt Streitigkeiten zwischen den Psychologen und Physikern          ein System erwiesen, welches sehr verschiedene infrastrukturelle,
 hinsichtlich der Frage, wer den Begriff der Resilienz zuerst benutzt   ökonomische und auch kulturelle Kapazitätszustände erlaubt.

                                                                                                                                        INTERVIEW   23
Jetzt stoßen wir aber durch die Auslastung oder zum Beispiel in        Sensorik und künstlicher Intelligenz Luftverschmutzung in Straßen
         ökologischen Aspekten durch Überlastung der Kapazitäten an             evidenzbasiert über einen Zeitraum von 3-5 Tagen voraussagen
         vielen Stellen an Grenzen. Das Resultat sind weniger und weniger       können (und dieses ist bereits möglich und wird in Nürnberg ge-
         Reserven, die aber eine zentrale Strategie zur Schaffung resilienter   testet), dann benötigen wir auch eine Gesetzgebung und Prozesse,
         Systeme sind. Erklären Sie das einmal jemandem hier in Berlin, sys-    die einem Bürgermeister ermöglichen, dieses zum Beispiel durch
         tematisch an ausgewählten Standorten der Stadt NICHT zu bau-           gezielte Fahrverbote für hohe Emittenten zu verhindern. Die Digi-
         en. Der Urbanisierungsdruck ist mittlerweile so hoch, dass wir ge-     talisierung bringt so definitiv neue Formen des Seins in eine Stadt
         zwungen sind, alle Kapazitäten auszuschöpfen, was per se bedingt,      und auch neue Formen von Urbanität, die ebenfalls Experimen-
         dass wir die Resilienz schwächen. Kommt dann nämlich doch eine         tierräume brauchen. Und genau an dieser Stelle benötigen wir
         Veränderung, sind wir nicht mehr dazu in der Lage angemessen           Möglichkeitsräume, nicht einen oder zwei, sondern systematisch
         zu reagieren, weil wir keine Reserven mehr haben. Jedes Unter-         und strategisch vorgehaltene Räume und Systeme.
         nehmen bedenkt dieses sehr genau, in Städten ist die langfristige
         Sicherung der Zukunftsfähigkeit aber politisch schwer durchzu-         Passen die Instrumente, die die Digitalisierung mit sich bringt,
         setzen. Dennoch geschieht der Wandel z. B. durch Digitalisierung       denn überhaupt noch zu unseren Planungsmethoden des räum-
         und dennoch benötigen wir schnellen Wandel, alleine um den             lichen Denkens?
         gesetzten Klimaschutzzielen gerecht zu werden. Die jetzige Stadt-
         planung ist allerdings auf langfristige Entwicklungszyklen aus-        Nein – das sicherlich nicht. Aber es geht hier, wie gesagt, nicht um
         gelegt, die der Entwicklungsgeschwindigkeit nicht mehr gerecht         eine Entweder-oder-Entscheidung. Wir brauchen sowohl „alte“
         wird. Wir brauchen diese weiter, wir benötigen aber dennoch            Instrumente, die langfristige Entwicklungstrajektorien setzten. Wir
         Werkzeuge und Governance-Systeme, die schneller sind auf dem           benötigen aber auch wie o. g. neue schnellere und moderierende
         Weg zur nachhaltigen Stadt.                                            Instrumente – und genau hierin liegt die Herausforderung. Wenn
                                                                                wir eine neue U-Bahn bauen wollen, müssen wir immer in Zeit-
         Sind die gerade angesprochenen Reserven Unbestimmtheiten,              spannen von 10 bis 15 Jahren denken – wenn nicht sogar länger.
         Offenheiten, Experimentier- oder Möglichkeitsräume?                    Das bedeutet, es wird auch zukünftig natürlich Instrumente zur
                                                                                langfristigen Stadtplanung geben müssen. Diesen Planungen muss
         Genau. Harald Kegler hat Resilienz korrekt als die Chance be-          aber ein höheres Maß an Flexibilität von Beginn an einbeschrieben
         schrieben, eine Freiheit im Umgang mit der Zukunft zu finden.          werden, um auf veränderte Bedarfe reagieren zu können. Das ist
         Keine Resilienz bedeutet, über keine Gestaltungsfreiheit ange-         ökonomisch und baulich oftmals schwierig kurzfristig umzuset-
         sichts des vielfältigen Entwicklungsdrucks zu verfügen. Eine hohe      zen, aber ich denke, hier kann uns die urbane Digitalisierung und
         Resilienz hingegen erlaubt es, Städte nachhaltiger und menschen-       ihre Wirkmacht entscheidend helfen. Sharing-Angebote sind erst
         gerechter zu machen. Hier kann die Digitalisierung Lösungen vor-       durch die Digitalisierung und deren massenhafte Verbreitung mög-
         halten, da sie uns erlaubt, die Stadt in einer bislang unbekannten     lich geworden. Plattformen vermitteln hier Dienstleistungen wie
         Granularität in Echtzeit zu analysieren und zu steuern. Wir stehen     die Nutzung von E-Scootern. Aber auch die Nutzung von Raum
         hier noch ganz am Anfang, aber in einer Stadt, die z. B. im Infra-     kann so dynamisch vermittelt werden und wir sehen das in Form
         strukturbereich meist an sogenannten Spitzenlast-Problemen lei-        von den schnell wachsenden Coworking-Angeboten. Das lässt sich
         det, bekommen wir verstärkt die Möglichkeit, die Stadt so zu steu-     weiterdenken, in dem man Typologien entwickelt, in denen der
         ern, dass wir diese Spitzen umgehen. Das bedeutet allerdings auch,     privat und statisch genutzte Raum auf das notwendige Minimum
         dass wir Infrastrukturen nicht mehr lediglich verwalten, sondern       reduziert wird und der gemeinschaftliche Raum mit seinen vielfäl-
         zunehmend moderierend betreiben müssen, was wiederum signifi-          tigen Nutzungen über den Tag dynamisch verhandelt und organi-
         kant veränderte Governance-Prozesse benötigt. Wenn wir mittels         siert wird. So lassen sich Kapazitäten als auch hoffentlich neuen
                                                                                Formen der Gemeinschaft schöpfen.

                                                                                Ist dies ein Forschungsbereich, der bundesweit genug Aufmerk-
                                                                                samkeit erhält?

                                                                                Insgesamt ist die Aufmerksamkeit noch sehr gering. Ich selbst
                                                                                erlebe vieles hier in Deutschland als sehr tradiert. Nichtsdesto-
                                                                                trotz gibt es vereinzelte Projekte, wie der Sonderforschungsbe-
                                                                                reich Re-Konfiguration von Räumen an der TU Berlin, der sich
                                                                                mit der Frage beschäftigt, wie Menschen mit Räumen aufgrund

                                „Wir brauchen ‚alte‘ Instrumente,
                                die langfristige Entwicklungstrajektorien setzen.
                                Wir benötigen aber auch neue schnellere und
                                moderierende Instrumente.“

24   INTERVIEW
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