FACING URBAN CHALLENGES - NET
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Ein DEnkmal untEr Druck Foto \ Photo: Moritz Bernoully, 2019 Deutsches Architekturmuseum Schaumainkai 43, 60596 Frankfurt am main, Germany, dam-online.de GEöFFnEt \ open Di, Do —So Tue, Thu — Sun 10.00 — 18.00 \ mi Wed 10.00 — 20.00
EDITORIAL PROF. DR. JOHANNES BUSMANN Wer hätte noch vor zehn Jahren gedacht, dass wir Die Komplexität der technologischen Innovatio- nicht mehr darüber sprechen, wie das Auto von nen, der wachsende gesellschaftliche Zuspruch morgen aussieht, sondern welche Formen der Mo- für eine nachhaltige Wirtschaft und die Notwen- bilität wir künftig für ein erfolgreiches Leben in digkeit zum sozialen Ausgleich fordern einen unseren Städten benötigen. Und die Frage nach Betrachtungswinkel. Das einzelne Objekt wird der Mobilität von morgen erhält ihre zunehmende hinterfragt, welche Auswirkungen es auf Klima, Relevanz und teilweise Brisanz durch die öffentli- Mobilität, Energieeffizienz, Quartier und den che Diskussion um verfügbaren bzw. bezahlbaren Sozialraum Stadt hat. In der Projektentwicklung Wohnraum in unseren Städten. Wo können wir in werden sich diese Anforderungen nach einer den Ballungsräumen noch wohnen? Wo besteht integrierten Perspektive abbilden, während die die Möglichkeit, Eigentum zu bilden und damit ei- Stadtentwicklung parallel steigende Erwartungen nen Teil zur Altersvorsorge zu leisten? Wie lassen an die Immobilienentwicklung formuliert. sich Arbeitsplatz und Wohnort verbinden? Wel- che Vorteile bietet das Leben in der Metropole? Vor dem Hintergrund der Raumfrage bildet die Was kann der ländliche Raum noch leisten, wenn Nutzungsmischung einen zentralen Ansatz. Über selbst Ärzte kaum noch zu bewegen sind, sich die Baunutzungsverordnung ist daher mit dem entfernt von Großstädten nieder zu lassen? „Urbanen Gebiet“ der rechtliche Rahmen geschaf- fen worden, die Möglichkeiten zur Festsetzung Alles ist mehr denn je zu einer Frage des verfüg- unterschiedlicher Nutzungen für einzelne Ge- baren Raums geworden. Die Funktionen Wohnen, schosse deutlich einfacher zu nutzen. Sie hilft, Arbeiten, Handel, Mobilität und Logistik stehen bisher schwierige Quartiere anders denken zu im Wettbewerb um jeden Quadratmeter Fläche können und immobilienwirtschaftliche Impulse als in den Städten und auf absehbare Zeit wird sich Teil der Quartiersentwicklung zu begreifen. dies wohl nicht ändern. Auf der Landkarte der Bo- denwerte rennen die Metropolen voran und las- sen fast keinen Spielraum für Eigentumsbildung. Mietpreise beanspruchen über ein Drittel des verfügbaren Einkommens. Distanzen zwischen Arbeitsplatz und Wohnort steigen und relativie- ren die Attraktivität der Metropole. So mag es nicht überraschen, dass sich auch die Anforderungen an die Immobilienentwicklung verändern und vermutlich auch in Zukunft weiter ändern werden. Der Blick auf die unmittelbaren „I was brought Bedingungen des Projekts weicht einer Perspek- up to believe that tive, in der Immobilien zu einem integrierten Be- there is no virtue standteil des urbanen Anforderungsprofils werden. in conforming meekly to the dominant opinion of the moment.“ JANE JACOBS EDITORIAL 3
32 „Irgendwann werden keine einzelnen Immobilien- oder Infrastrukturprodukte mehr entwickelt, sondern ganze Stadtteile, in denen alle wichtigen Prozesse miteinander harmonieren und die den Anwohnern eine größtmögliche Lebensqualität ermöglichen.“ Prof. Dr. Stephan Bone-Winkel 71 © Diana Kinnert © ULI Germany/Austria/Switzerland INHALT FACING URBAN CHALLENGES 03 EDITORIAL 16 RETAIL IM WANDEL 32 MEINUNGSBEITRAG Antworten auf aktuelle Heraus- DIE STADT ALS ABBILD DER 06 WELCOME forderungen im stationären Einzelhandel OFFENEN GESELLSCHAFT FACING URBAN CHALLENGES Oliver W. Prinz Diana Kinnert Stephanie Baden 18 URBANER WEITBLICK 34 ULI NEXT MEETS… 8 GRUNDSATZBEITRAG Herausforderungen und Lösungen ORTE, MENSCHEN UND PROJEKTE VON DIGITALEN ZWILLINGEN für die Stadtentwicklung Im Fokus: Neue Perspektiven der UND EINER SHARING CITY Tobias Sauerbier 35- bis 45-Jährigen Prof. Dr. Stephan Bone-Winkel Julia Erdmann und Anaïs Cosneau 22 INTERVIEW 10 MICRO LIVING, DIE SCHNELL WUNDERBAR WANDELBAR 38 INTERVIEW WACHSENDE ASSETKLASSE Über die Resilienz von Städten YOUNG LEADER PORTRAITS Ein europäischer Trend mit Potenzial und wie sie rapiden Veränderungs- Unsere Young Leader Chairs über das für institutionelle Anleger prozessen begegnen ULI, ihr Engagement und die Heraus- Charles Smith Interview mit Prof. Jochen Rabe forderungen der Branche Interview mit Yama Mahasher, 12 WIE WERDEN BAUSTELLEN SMART? 28 STADTERNEUERUNG IN SEOUL Benjamin Heinrich und Brice Hoffer Innovative Prozessplanung dank ULI unterstützt größtes Stadtumbau- Lean Construction Management projekt der südkoreanischen Hauptstadt Olaf Cunitz 4 INHALT
22 © STUDIO ALEXANDER KLEBE 42 19 © David Chipperfield Architects 42 HIER GIBT’S WAS AUF DIE OHREN 54 SCHNELLER BAUEN 76 LOCAL COUNCIL CHAIRS Der ULI Germany Podcast Birgitt Wüst und Birgit Werner Ob Deutschland, Österreich oder Stephanie Baden Schweiz: ULI Local Chairs kennen alle 56 „URBAN CHALLENGES“ Besonderheiten ihrer Stadt 44 DER ZUKUNFT EINEN SCHRITT Wie stellt sich Wien diesen VORAUS Herausforderungen? 80 UNSER EXCOM UND Wie die Stadt von morgen nachhal- Jasmin Soravia ADVISORY BOARD 2019 tiger, smarter und lebenswerter wird Engagement, Expertise, Klaus Dederichs 58 ULI GERMANY PRODUCT COUNCILS Entscheidung Über den Mehrwert des Teilens 48 IMMOBILIEN: WESENTLICHER HEBEL von Fachwissen 84 ENGAGEMENT UND EHRENAMT FÜR KLIMAZIELE Michael Müller FÜR UNSERE STÄDTE Mehr Klarheit für mehr Grün – Grünes Unser Young Leader- und Bauen muss attraktiver werden 62 DIE NACHT DER GEWINNER NEXT Committee Gero Bergmann Der ULI Leadership Award 2019 89 UNSERE GESCHÄFTSSTELLE 50 DIE VISION DER VERTIKALEN STADT 68 INTERACT TO GET INSPIRED! IN FRANKFURT Von Gewerbegebiet und Der Urban Leader Summit 2019 ULI Germany/Austria/Switzerland Bürostadt zum urbanen Quartier Michael Müller Christian Schmid 90 IMPRESSUM 72 WAS FÜR EIN JAHR! RÜCKBLICK 2019 INHALT 5
WELCOME © ULI Germany/Austria/Switzerland STEPHANIE BADEN Executive Director ULI Germany/ Austria/Switzerland 6 WELCOME
FACING URBAN CHALLENGES Facing Urban Challenges – ja, Städte sehen sich He- unsere unabhängige Arbeit, in die Umsetzung unserer rausforderungen gegenüber, und zwar keinen geringen. Mission. Wäre dem nicht so, wie stellte sich das ULI an- Mobilität, Verdichtung, Klimawandel, Baukultur, Gen- sonsten samt seiner Partner dar? Als ein Geflecht, das trifizierung, digitale Vernetzung, Wettbewerb, sozialer permanent im eigenen Saft schmorte. Nein, dafür ste- Frieden, alleine diese sind große Schlagworte, hinter hen wir nicht. Als Think Tank diskutieren wir gemeinsam denen noch größere Aufgaben stehen. Und das Heraus- mit der Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichen Hand forderndste daran: Dies sind alles Themen, die Millio- die Potenziale unserer Städte und zeigen dabei manch nen von Menschen betreffen. 77 Prozent von 83 Mio. neue Wege auf. An dieser Stelle danke ich unseren Part- in Deutschland Lebenden wohnen in Städten und Bal- nern für die Freiheit, die sie uns geben, Themen zu setzen, lungsräumen. und das Vertrauen, das sie meinem Team und mir bei der Umsetzung entgegenbringen. Wer darf schon so frei und Dazu kommen Millionen Pendler. Sie alle gehen die unabhängig agieren? ULI Germany darf es. Wie wir dies großen Themen etwas an und sind betroffen von den 2019 gemeinsam mit so vielen Engagierten umgesetzt Auswirkungen der Entscheidungen, die Städte und die haben, lesen Sie in dieser vierten ULI-Sonderausgabe. Immobilienbranche treffen. Städter selbst prägen das urbane Leben jeden Tag, positiv und negativ, hierbei Viel Spaß & einen wunderbaren, erholsamen Jahresaus- ist der Umgangston zum Teil sehr rau, das Vertreten klang für Sie und Ihre Lieben. der eigenen Meinung radikal. Ein funktionierendes Mit- einander ist dringend auf Toleranz und Akzeptanz an- Herzlichst, Stephanie Baden gewiesen, genau dies scheint jedoch aktuell für viele besonders herausfordernd. Manche Themen sind derart aufgeheizt, dass konstruktive Kommunikation und Infor- mation dringender sind denn je. Welche Rolle spielt das ULI in diesem Geflecht? Wir bieten die unabhängige Plattform, auf der wir Themen spielen können, die wir für wichtig und aktuell halten, um sie mit denjenigen zu diskutieren, die wir im jeweili- gen Kontext als genau die Richtigen erachten. „Ihr seid unabhängig?“, werden wir mitunter mit Blick auf unsere Partnerunternehmen gefragt. Ja, wir sind inhaltlich völ- lig unabhängig! Kein Unternehmen, das ULI Germany/ Austria/Switzerland finanziell unterstützt, kauft sich „Als Think Tank diskutieren wir gemeinsam thematisch oder persönlich ein. Jeder Cent fließt in mit der Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichen Hand die Potenziale unserer Städte und zeigen dabei manch neue Wege auf.“ WELCOME 7
VON DIGITALEN ZWILLINGEN UND EINER SHARING CITY VERÄNDERT SICH DAS URBANE LEBEN JETZT KOMPLETT? TEXT: Prof. Dr. Stephan Bone-Winkel Über dem Himmel von Dubai schweben vollautomatische Lufttaxis, Elon Musk testet bei Los Angeles den Hyper- loop. Georgien hat das Grundbuch zugunsten einer Block- chain abgeschafft, Singapur setzt auf eine Smart-Data- Stadtplanung. Und in Fachkreisen diskutiert man gar, ob es in wenigen Jahrzehnten die vorgefertigte „Smart City“ aus dem Katalog gibt. Auch hierzulande werden sich die Städte verändern – im internationalen Vergleich aber wo- möglich deutlich langsamer. In den vergangenen Jahrhunderten waren es vor allem einzelne Technologien, die das Stadtbild maßgeblich geprägt haben – so zum Beispiel die Dampfmaschine, die das Zeitalter der Indus- trialisierung einläutete, oder das Kraftfahrzeug, das für die Ent- wicklung der Autostädte im 20. Jahrhundert gesorgt hat. Heute jedoch wird der Fortschritt sowohl durch eine rasant fortschrei- tende Digitalisierung geprägt, die nach wie vor die Aktualität des Moore'schen Gesetzes beweist, als auch durch radikale Umbrüche in der Mobilität verbunden mit gesellschaftlichen Veränderungen, beispielsweise durch eine Sharing Economy. Und während es in der Vergangenheit gut und gerne fünfzig Jahre dauerte, bis sich die Folgen einer disruptiven Technologie städtebaulich tatsächlich zeigten, ist der betreffende Zeitraum heute deutlich kürzer. Das sorgt für Herausforderungen – nicht nur technischer, sondern auch © BEOS AG rechtlicher und kultureller Natur. Hat bald jede Stadt ihren digitalen Zwilling? Dabei steht die digitale Revolution noch relativ am Anfang. Während unsere Smartphones, Automobile und Produktions- 8 GRUNDSATZBEITRAG
anlagen online sind, sind vor allem unsere Räume – und damit in Hyperloop für unsere Städte ermöglicht: In Nürnberg wohnen großem Maßstab auch unsere Städte – bislang nicht ausreichend und täglich nach Berlin zur Arbeit fahren wäre auf einmal kein miteinander beziehungsweise mit den in ihnen lebenden Menschen Problem mehr. vernetzt. Ich spreche dabei nicht unbedingt von Smart-Building- Technologien zur automatischen Regelung der Heizung oder der Bis es jedoch soweit ist, müssen wir eine Lösung für die Wachs- Beleuchtung in einer Büroimmobilie, sondern vielmehr von Sen- tumsschmerzen der Städte finden. Auch was die Flächenverfüg- soren und KI-basierten Anwendungen im öffentlichen Raum, die barkeit betrifft – die rasanten Anstiege der Quadratmeterpreise uns Aufschluss darüber geben, wie wir unsere Flächen tatsächlich in Berlin oder München sind hier nur ein Symptom. Wir stehen nutzen. Und aus denen wir Rückschlüsse ziehen, was wir bei der vor der Herausforderung, unsere Nutzungsintensität der Flächen Stadtplanung zukünftig verbessern müssen – oder die uns helfen, radikal zu erhöhen. Das gilt für Parkplätze mit einem Pkw, der bestehende Mängel beispielsweise beim Mikroklima besser zu er- ohnehin 95 Prozent der Zeit nicht genutzt wird, genauso wie für kennen und der Überhitzung unserer Städte entgegenzuwirken. leerstehende stationäre Büroarbeitsplätze und Produktionshallen. Eng mit dem Gedanken der Sharing Economy verbunden ist hier Die Herausforderung lautet: Schritt halten. Die nötige Technologie das Prinzip der Mischnutzung. Denn nur wenn die Flächen intelli- für komplexe urbane Analysen existiert allemal, inzwischen kön- gent miteinander verzahnt werden und kurze Wege möglich sind, nen KI-Anwendungen in Kameras beispielsweise relevante Ob- wird auch unsere Flächennutzung effizienter. Wenn wir nicht ler- jekte, also unter anderem Fahrzeuge oder Passanten, automatisch nen, mit der Fläche als Ressource besser umzugehen, bleibt bei und anonymisiert erfassen. In Singapur finden sogar komplexe einer wachsenden Urbanisierung nur die Möglichkeit, ein radika- Simulationsprogramme Anwendung, die neben der Stadtplanung les Downsizing zu betreiben. Wie sich das auswirken kann, zeigen auch Umweltaspekte wie das ideale Regenwasser-Management die winzigen Apartmentwohnungen in Hongkong, die von ihren und die Durchlüftung der Stadt mit frischem Seewind berechnen. Anwohnern gar als „Sargbox“ bezeichnet werden. Wir brauchen In Deutschland kennen wir vor allem Lärmprognosen. also konsequente „Sharing Cities“ im Sinne von Ressourceneffi- zienz auf allen Ebenen. Der Zeitpunkt wird kommen, an dem nicht nur einzelne Immo- bilien, sondern auch ganze Städte ihre digitalen Zwillinge haben Sind wir überhaupt auf dem richtigen Weg? werden – also eine digitale Erfassung sämtlicher wichtiger Para- meter, inklusive derjenigen des digitalen Staatswesens mit allen Die Stadtentwicklung unterliegt zurzeit also massiven Herausfor- behördlichen Abläufen. Eine weitere Folge davon ist, dass die ein- derungen. Das Problem: Wir sind hierzulande nur sehr begrenzt zelnen Prozesse leichter miteinander harmonisiert werden können. dafür bereit, diese zu erfüllen. Denn oftmals dominieren Parti- Am Ende dieses Wegs steht eine Vision, wie sie das Stuttgarter kularinteressen, wenn es um die konkreten Projekte geht. Vielen SmartCity.insitute formuliert hat: Irgendwann werden keine ein- Städten fehlt es an übergeordneten städtebaulichen Leitbildern. zelnen Immobilien- oder Infrastrukturprodukte mehr entwickelt, In Berlin beispielsweise haben zwar in den letzten dreißig Jahren sondern ganze Stadtteile, in denen alle wichtigen Prozesse mitei- die besten Architekten der Welt gebaut – aber oftmals mit einer nander harmonieren und die den Anwohnern eine größtmögliche für ihre Verhältnisse schwachen Arbeit. Das ist nur bedingt ihre Lebensqualität ermöglichen. Schuld, eine bessere Arbeit wurde durch zu viele kleine Ansätze verhindert, die oft nur das eigene Grundstück betrafen. Solche Hierzulande gibt es jedoch einen großen digitalen Bremsklotz: Den Ansätze greifen jedoch für das komplexe Ökosystem Stadt zu Ausbau des mobilen Internets. Hier ist Deutschland im internatio- kurz. Um dem Bedarf gerecht zu werden, brauchen wir mehr nalen Vergleich bestenfalls digitales Mittelfeld. Verantwortungsgefühl sowohl unter den politischen Entschei- dungsträgern als auch in der privaten Wirtschaft. Denn ansons- Gleichzeitig müssen wir kritisch bleiben und dürfen nicht in einen ten droht die Gefahr von „Failed Cities“. digitalen Herdentrieb hin zum durch und durch smarten Gebäu- de verfallen, bei dem um des Digitalisierens willen digitalisiert wird – und nicht aus Vernunftgründen. Schlüsselfaktoren: Mobilität und Fläche Genauso wichtig wie die Digitalität ist die Mobilitätsfrage der PROF. DR. STEPHAN BONE-WINKEL Menschen im Zeitalter der Reurbanisierung. Denn unsere Städte wachsen so schnell wie nie zuvor, auf der einen Seite steht also eine ist Geschäftsführer der ceos Investment GmbH. Er ist Gründer und mögliche Überlastung unserer Verkehrsadern mit verstopften Stra- Mitglied des Aufsichtsrats der BEOS AG, einem deutschlandweit ßen, U-Bahnen und einer unkoordinierten innerstädtischen Logis- tätigen Immobilienunternehmen, das sich auf die Entwicklung und tik. Auf der anderen Seite steht der Gedanke der Sharing Economy das Management von Unternehmensimmobilien spezialisiert hat. und der bestmöglichen Ausnutzungen der gegebenen Ressourcen. Stephan Bone-Winkel ist zudem Inhaber der Honorarprofessur Die Vielfalt der Ansätze ist schier grenzenlos, sie beginnt beim Immobilienentwicklung mit Schwerpunkt Projektentwicklung am Siegeszug des Carsharings, geht über die Idee, U-Bahn-Schächte IREBS Institut für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg. während der Nachtstunden für Logistikprozesse zu nutzen, und endet noch lange nicht bei den Folgen, die ein funktionierender GRUNDSATZBEITRAG 9
MICRO LIVING, DIE SCHNELL WACHSENDE ASSETKLASSE EIN EUROPÄISCHER TREND MIT POTENZIAL FÜR INSTITUTIONELLE ANLEGER TEXT: Charles Smith Möblierte Kurzzeitwohnungen sind in Europa so gefragt wie nie. Globale Megatrends sorgen dafür, dass sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren weiter verstärken wird. Da Investitionen in Micro-Living-Konzepte langfristig stabile Erträge bei vergleichsweise geringem Risiko bieten, werden diese auch für institutionelle Anleger immer interessanter. Mit dem Begriff Micro Living wurden früher insbesondere Stu- 3. Serviced Apartments: richten sich an Berufstätige, die ihre dentenwohnungen assoziiert. Heute beschreibt der Begriff eine Unterkunft mit den Vorzügen eines Hotels kombinieren wollen; Vielzahl unterschiedlicher Wohnkonzepte, die alle eines gemein- Konzept umfasst Zimmerservice, Businesscenter, TV-Lounges, sam haben: Kleine, für Einzelpersonen ausgerichtete, möblierte Ess- und Trinkbereiche Wohneinheiten, die von ihren Bewohnern nur für eine begrenzte Zeit benötigt werden. Eigene Assetklasse Neben Studierenden richten sich Micro-Living-Konzepte daher Die Nachfrage nach Micro-Living-Objekten ist in den vergan- insbesondere an Young Professionals, Projektarbeiter, Berufstätige genen Jahren enorm gestiegen. Zu erwarten ist, dass sich dieser im Auslandseinsatz und Langstreckenpendler. Da jede Zielgruppe Trend nicht nur fortsetzt, sondern weiter verstärkt. Hierzu tra- ihre eigenen Bedürfnisse hat, ist es sinnvoll, drei Konzepte vonein- gen die demografische Entwicklung und der Trend zu Einperso- ander zu unterscheiden: nenhaushalten in Europa genauso bei wie die anhaltende Urbani- sierung und die zunehmend geforderte Arbeitsflexibilität. Immer 1. Student Apartments: kleine Küche, eigenes Bad; Gemein- mehr, vor allem junge Arbeitskräfte, ziehen in die Städte, wo die schaftsflächen wie Lernbereiche, Fernseh- und Wäscheräume so- Bevölkerung seit Jahren kontinuierlich steigt. wie Fitnessstudio Micro Living ist damit längst keine Modeerscheinung mehr, son- 2. Business Apartments: orientieren sich an den Bedürfnissen dern ein langfristiger, strukturell geprägter Trend. Sein Anteil und von Berufstätigen, ähnlich ausgestattet wie Student Apartments; damit auch seine Bedeutung auf dem Wohnungsmarkt steigen kleinere Gemeinschaftsflächen weltweit an. Waren Investitionen in Micro-Living-Konzepte vor 10 ULI PERSPECTIVES
© CORESTATE JOYN Vienna. Neues Serviced Apartments House der CORESTATE Marke JOYN wenigen Jahren noch ein Nischenmarkt, hat sich heute eine eigene Assetklasse mit verschiedenen Ausprägungen etabliert. Aufgrund der begrenzten Nutzungsdauer und der Ausrichtung an junge Ziel- gruppen grenzt sich der Micro-Living-Markt in seinen Strukturen vom herkömmlichen Wohnungsmarkt mittlerweile klar ab. dem Exit. Damit diese Komplexität nicht zu hohen Transakti- Attraktive Investmentmöglichkeiten onskosten führt und damit die Rendite beeinträchtigt, ist es für den Investor vorteilhaft, wenn alle diese Services aus einer Hand In Europa haben sich insbesondere in Deutschland, Frankreich, kommen. Wichtig ist darüber hinaus, dass Investoren die Erfah- Großbritannien und den Niederlanden Micro-Living-Märkte ge- rungen und die Philosophie ihres Micro-Living-Geschäftspart- bildet, die interessierten Investoren etablierte Marktstrukturen ners hinterfragen und seinen Track Record prüfen. mit zahlreichen Investmentmöglichkeiten bieten. In Belgien, Dä- nemark, Irland, Italien, Österreich, Polen, Portugal, der Schweiz, Dass Investitionen in Micro-Living-Objekte auch zukünftig ra- Schweden und Spanien bilden sich die Strukturen derzeit erst sant ansteigen und sich damit zu einer immer bedeutungsvolleren heraus. Nichtsdestotrotz bieten sich auch hier für institutionelle Assetklasse für institutionelle Anleger entwickeln, liegt nicht nur Anleger attraktive Investitionsmöglichkeiten. am derzeitigen Immobilienmarkt in Europa. Die Micro-Living- Konzepte sind auch Ausdruck eines neuen Lebensgefühls: Sie er- Gerade in stark wachsenden Universitätsstädten, europäischen füllen das Bedürfnis nach Gemeinschaft genauso wie die Anfor- Metropolen und Regionen mit ansteigenden Beschäftigungszah- derungen nach Coworking, Sharing, New Work, Flexibilität und len erzielen Micro-Living-Investments gute und stabile Erträge Mobilität. Damit kommen sie insbesondere den Erwartungen der bei vergleichsweise geringem Risiko. Die Erfahrungen der vergan- jungen und nachwachsenden Generationen entgegen und greifen genen Jahre zeigen, dass Investoren in Micro-Living-Objekte mit in ihrer Konzeption die Lebensrealität der Zukunft auf. Renditen rechnen können, die um 50 bis 100 Basispunkte höher liegen als im reinen Wohnbereich. Nicht zuletzt deswegen sind die Transaktionsvolumina in diesem Markt rasant gewachsen. Zu den Vorteilen der Micro-Living-Investments zählt, dass die al- lermeisten am Markt verfügbaren Micro-Apartments erst kürzlich entstanden sind oder gerade erst entstehen – denn Bestandsim- mobilien bieten in aller Regel nicht die notwendige Infrastruktur der Micro-Living-Konzepte. Daher handelt es sich bei Micro- Living-Objekten typischerweise um Neubauten, die nach neues- ten Erkenntnissen entwickelt wurden und modernsten Standards CHARLES SMITH entsprechen. ist Managing Director Client Relations Deutsch- Alle Services aus einer Hand land & Österreich bei der CORESTATE Capital Group. Zuvor war er bei Savills Investment Wie bei allen Immobilienprojekten ist auch die Entwicklung und Management für das Business Development für das Management von Micro-Living-Objekten komplex. Heraus- institutionelle Investoren im deutschsprachigen forderungen stellen sich von der Akquise und der Due Diligence Raum verantwortlich. Weitere Stationen seiner über die Projektplanung und den Bau bis hin zum Betrieb und Karriere waren Jones Lang LaSalle und Pricewa- terhouseCoopers. Er hat einen internationalen Wirtschaftsabschluss. ULI PERSPECTIVES 11
WIE WERDEN BAUSTELLEN SMART? INNOVATIVE PROZESSPLANUNG DANK LEAN CONSTRUCTION MANAGEMENT Berlin, Washingtonplatz, 8.30 Uhr: Alle Projektbeteiligten treffen sich zur Tagesbesprechung auf der Baustelle des cube berlin. Die wichtigen Fragen sind schnell geklärt: Welche Gewerke sind heute an der Reihe? Wurden alle nöti- gen Vorarbeiten abgeschlossen? Wann wird das passende Material geliefert? Dass die Prozesse so reibungslos ablaufen, ist einer innovativen Methode zu verdanken: Dem sogenannten Lean Construction Management. Es kommt erstmals von der omniCon zum Einsatz, einem auf ruction Management fußt auf der Erkenntnis, dass sich Fehler Construction Management spezialisierten Tochterunternehmen durch transparente und standardisierte Prozesse vermeiden las- der CA Immo. Damit ist die Baustelle eine Art Pilotprojekt des sen. Um die Prozesse optimal takten zu können, sind Kommu- Unternehmens für effektives, transparentes und stressfreies Bau- nikation und Kooperation entscheidende Voraussetzungen. Die en. Ende des Jahres soll hier schließlich – dank konsequenter Di- ausführenden Gewerke werden daher frühzeitig in die Baupro- gitalisierung und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz – das zesse eingebunden. Im Mittelpunkt steht die Frage: Was muss „schlauste Gebäude Europas“, wie Berlins größte Tageszeitung bis zu welchem Zeitpunkt erledigt sein? Denn im Gegensatz zur unlängst titelte, stehen. herkömmlichen Planungsmethode planen die Projektbeteiligten hier von hinten nach vorne, also vom Ergebnis zum Anfang Beim Lean Construction Management wurden die Prinzipien und nicht vom Anfang zum Ergebnis. Um die Terminziele zu des Lean Management bzw. der Lean Production aus der Au- erreichen und kostspielige Wiederholungsfehler zu vermeiden, toproduktion auf den Bausektor übertragen. Toyota hatte die gibt es einen auf den Tag durchdachten Projektablaufplan. Das wesentlichen Prinzipien bereits Mitte des 20. Jahrhunderts mit Besondere: Dieser Prozessplan ist kein starres Gerüst, sondern dem Ziel eingeführt, die Effizienz und Qualität in der Produktion wird wöchentlich auf den Prüfstand gestellt, neu angepasst und jenseits der technischen Automation zu erhöhen. Lean Const- von den Beteiligten laufend fortgeschrieben. Gearbeitet wird 12 ULI PERSPECTIVES
© CA Immo (3) dabei mit dem Last-Planner-System, einem kollaborativen Steu- erungstool, das die einzelnen Arbeitsschritte in „sollte / kann / wird erledigt“ einstuft und dafür sorgt, dass die Abläufe detail- liert betrachtet und damit hindernisfrei werden. Für die tägliche Planung auf der Baustelle eignet sich das Steck- kartensystem. Eine Tafel, die zur Visualisierung des Projektstandes dient. „Die visuelle Darstellung ist einfach grandios“, sagt omni- Con-Projektleiter Wilko Eichholz. Farbige Karten symbolisieren die Aufgaben der einzelnen Gewerke in den kommenden vier Wo- chen. Der Subunternehmer legt in Absprache mit anderen Gewer- ken im Rahmen der Prozessplanung selber fest, wann er seine Auf- gaben erledigen kann und sortiert die entsprechenden Karten auf der Tafel. „Das ergibt Sinn, er muss schließlich die Verantwortung für die Rechtzeitigkeit seiner Arbeit übernehmen“, sagt Sebastian So wird der ONE nach seiner Eckernkamp, Geschäftsführer bei omniCon. Fertigstellung 2022 aussehen. Wilko Eichholz sieht bei der neuen Arbeitsweise deutliche Unter- schiede zu früher. „Damals hat der Projektleiter mit MS Project im stillen Kämmerlein die Terminplanung erstellt und an alle an- deren verteilt – die Kommunikation und Koordination der Ab- läufe kam viel zu kurz. Heute fangen wir am Ende des Prozesses an – also bei der Fertigstellung des Objekts. Dabei gehen wir partnerschaftlich-kooperativ vor. Man ‚zwingt‘ die Kollegen da- Projekte in kleine Teile aufgeteilt, sogenannte Individual- und durch, sich bereits vorher mit den Abläufen zu beschäftigen. Dies Gleichbereiche. Gleichbereiche sind Bereiche, die sich oft wieder- erfordert die Verantwortung eines jeden Einzelnen. Schließlich holen, zum Beispiel Sanitärkerne, Treppenhäuser oder Teeküchen. sind pro Woche mehrere Gewerke gleichzeitig im Einsatz, da ist Eckernkamp gibt ein Beispiel: „Ich kann in einem Hochhaus mit es wichtig, dass sie sich organisieren und abstimmen.“ 50 Etagen auf jedem Stockwerk jeweils die Anschlüsse für drei Teeküchen installieren. Hinterher stellt der Küchenbauer wo- Eichholz hat Lean Construction Management gemeinsam mit möglich fest, dass die Wasseranschlüsse überhaupt nicht zu den Construction-Manager Oleg Weinbender auf der cube-berlin- Küchen passen. Um das zu verhindern, setzen sich die jeweili- Baustelle eingeführt – mit dem Ziel, es auch auf anderen Bau- gen Gewerke beim Lean Construction Management frühzeitig stellen der omniCon zu implementieren. Unterstützt wurden sie zusammen. Dann bauen wir eine Küche picobello fertig. Wenn dabei vom Beratungsunternehmen Drees & Sommer. Bereits im alles passt, werden die Küchen nach dem immer gleichen Ablauf Rahmen seiner Diplomarbeit hatte Weinbender die Probleme auf allen Etagen umgesetzt. Auf diese Weise können wir bei Pro- bei der klassischen Terminplanung analysiert und Lösungsmög- blemen viel schneller reagieren.“ lichkeiten aufgezeigt. „Es geht um die Frage, wie sich Kosten-, Qualitäts- und Effizienzziele noch besser erreichen lassen“, sagt Für Wilko Eichholz und seine Kollegen ist Lean Construction Weinbender. Dazu gehört die Beschleunigung der Prozesse, eine Management ein Erfolg: „Wir haben kaum Ausfälle und Still- höhere Stabilität und weniger Verschwendung auf der Baustelle. standszeiten beim Bau des cube berlin. Damit sind wir im Ter- min, die Qualität passt auch. Die Abläufe sind besser struktu- Um mögliche Fehler frühzeitig zu erkennen und beheben zu kön- riert, dazu haben wir auch die entsprechenden Rückmeldungen nen, werden beim Lean Construction Management komplexe bekommen“, betont er. ULI PERSPECTIVES 13
30 MIN. So lange dauert es, bis Sie Ihre neuen, auf otto.de gefundenen und vorrätigen Sneaker im nächstgelegenen ECE-Shopping-Center abholen können. Denn das ist für rund 60 % der Bevölkerung Deutschlands nicht weiter als 30 Minuten entfernt. So schnell müssen Sie in Ihren neuen Laufschuhen erst mal joggen. www.ece.de/connected-commerce 14 ULI PERSPECTIVES
Der ONE (m.) wird eine neue Landmarke in der Frankfurter Skyline. Für Sebastian Eckernkamp ist die Zusammenarbeit der Gewer- ke ein entscheidender Erfolgsfaktor: „Die Baustelle muss geord- net und sauber sein. Denn die einzelnen Gewerke möchten so schnell wie möglich und ohne Hindernisse ihre Arbeit fertig- stellen.“ Das größte Lob im vergangenen Jahr kam dann auch von einem zufriedenen Nachunternehmer: Ihr habt eine gut funktionierende und optimal geplante Baustelle, zu euch kann man kommen, hieß es. „Das hat uns natürlich sehr gefreut. Wir kennen andere Großprojekte – gerade in Berlin –, wo das Chaosprinzip herrscht. Das unterscheidet uns deutlich von den Wettbewerbern und ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil für den Nachunternehmer. Während er auf anderen Baustellen teils stundenlang warten muss, bis er sein Gewerk erstellen kann, ist er bei uns schon fertig.“ Gerade vor dem Hintergrund der boomenden Baubranche und der damit verbundenen Gewerke- Knappheit ist Termintreue ein wichtiger Faktor, um sich von anderen Baustellen positiv abzuheben. omniCon setzt die innovative Methode nicht nur beim cube berlin, sondern auch bei weiteren Projekten wie dem neuen Frank- furter Bürohochhaus ONE ein. Hier hat Lean Construction Ma- nagement eine noch größere Bedeutung, da die Errichtung eines Hochhauses eine hochkomplexe Aufgabe ist und bei dem 190 m hohen Gebäude mit seiner Nutzungsmischung aus Hotel und Büro ein reibungsloser Ablauf für die einzelnen Gewerke gewährleistet So wird der cube berlin nach seiner Fertigstellung Ende 2019 aussehen. sein muss. Bis Anfang 2022 entstehen im ONE neben dem Life- style-Hotel nhow mit 375 Zimmern 43.000 m² Bürofläche. Ab- geschlossen sind die Innovationsprozesse aber nie. Im Gegenteil: „Wir sind ständig dabei uns zu optimieren“, sagt Oleg Weinben- der. Lean Management lässt sich auch bereits zu einem früheren Zeitpunkt anwenden, nämlich in der Planungsphase, dann als so genanntes Lean Design Management. Das ist aber noch ein wenig Zukunftsmusik. Planungsprozesse sind hochkomplex. ULI PERSPECTIVES 15
RETAIL IM WANDEL ANTWORTEN AUF AKTUELLE HERAUSFORDERUNGEN IM STATIONÄREN EINZELHANDEL TEXT: Oliver W. Prinz Seit jeher gilt: Handel ist Wandel – aber Digitalisierung, veränderte Ein- kaufsgewohnheiten und zunehmendes Online-Shopping fordern den Einzel- handel aktuell besonders heraus. Ziel der ECE ist es, mit ihren Shoppingcen- tern positive Antworten auf die Frage zu finden, wie der Wandel erfolgreich gestaltet werden kann, den Besuchern ein modernes Einkaufserlebnis zu bie- ten und die Mieter bei dieser Transformation zu unterstützen. Viele Initiati- ven sind auf Einzelhandelslagen insgesamt übertragbar. „BID“ (Business Im- provement Districts) können die nachbarschaftliche Zusammenarbeit noch deutlich ausbauen. Der Online-Handel boomt und Einzelhändler müssen sich im Erlebnis bietet, das es online nicht gibt – und sich vom „place Wettbewerb positionieren. Gastronomie, breit gefächerte Ser- to shop“ zum „place to be“ entwickeln. Zugleich steigen die vices und digitale Innovationen werden zum differenzierenden Ansprüche an Atmosphäre und Komfort: Attraktives Design, Merkmal gegenüber dem E-Commerce. Seit 2017 arbeitet die Lounge-Ecken und angenehme Beleuchtung führen zu einer ge- ECE mit der Initiative At your Service daran, die Serviceangebote steigerten Aufenthaltsqualität und rücken immer stärker in den ihrer Center weiter zu steigern. Dafür wurde die gesamte Cus- Fokus. Darüber hinaus bietet die ECE saisonale Services, wie tomer Journey, der Weg von der Einkaufsvorbereitung daheim z. B. den Himmlischen Service zur Vorweihnachtszeit: Besucher bis zum Verlassen des Shoppingcenters, untersucht, um mögli- können eine individuelle Geschenkeberatung, Kinderbetreuung ches Verbesserungspotenzial für ein positives Einkaufserlebnis zu und Weihnachtspagen in Anspruch nehmen. identifizieren und umzusetzen. Entscheidend ist zudem die Vernetzung von Online und Off- Die Customer Journey beginnt bereits zuhause. Mit der Digital line: Der Kunde möchte frei wählen, in welchem Kanal er sich Mall bietet die ECE ihren Kunden die Möglichkeit, sich schon informiert und wo er kauft. Die Hälfte der stationären Käufe vorab auf den Center-Webseiten über die verfügbaren Produk- wird online vorbereitet. Online bestellte Ware soll in kurzer Zeit te zu informieren. Auch für die An- und Abreise stehen neue und ohne Zustellprobleme auf der „letzten Meile“ geliefert wer- Angebote zur Verfügung: Hier ist zum Beispiel das kontaktlose den. Ob diese Anforderungen mit großen Warenverteilzentren der Express-Parken mittels RFID-Karte möglich. Online-Händler außerhalb der Städte zukünftig noch ausreichend erfüllt werden können, ist fraglich. Obwohl das gesuchte Produkt Shopping ist heute Freizeitgestaltung – und wird daher mit Gas- im nahegelegenen Laden schnell verfügbar sein kann, werden tronomie und Unterhaltung verknüpft. Der stationäre Handel Konsumenten heute in der Regel auf die Websites großer Online- kann sich erfolgreich vom Online-Handel abheben, indem er ein Anbieter gelenkt, wenn sie online nach Waren suchen – denn bei 16 ULI PERSPECTIVES
© ECE (2) Service und Aufenthaltsqualität sind im stationären Handel von großer Bedeutung. Daher investieren Center-Betreiber unter anderem in Lounge-Bereiche und ein helles, freundliches Ambiente – wie hier im Alstertal-Einkaufszentrum. Vernetzung von Online und Offline: In der Digital Mall der ECE können Kunden die im Center verfügbaren Produkte bereits von Zuhause aus recherchieren. der Onlinesuche stellt der stationäre Einzelhandel bisher oft eine Auf diese Weise entwickeln sich Shoppingcenter zu Omni-Chan- „Blackbox“ dar. Die ECE hat daher die Digital Mall entwickelt, nel-Plattformen mit Wohlfühl- und Erlebnischarakter – dies mit der die tatsächlich verfügbaren Produkte in einem Shopping- schafft online Reichweite, stationär Frequenz und lokal Umsät- center erstmals online angezeigt werden – ein wichtiger Schritt bei ze. Um auch allgemein in Einzelhandelslagen das Einkaufserlebnis der Entwicklung zu Omni-Channel-Plattformen. Über die Vor- zu steigern, bedarf es des gemeinsamen Willens der Einzelhändler, aussetzungen verfügen Shoppingcenter schon heute: Breite Sorti- Eigentümer und Städte. BIDs, entstanden zur Verschönerung von mentsvielfalt, etablierte Partnerschaften zu stationären Händlern, Einkaufsstraßen durch Anlieger, können nachbarschaftlich fort- Nähe zum Kunden sowie eine verkehrliche Anbindung und Logis- entwickelt ein Ansatz für Services und Digitalisierung sein. Gelingt tik. Das Pilotprojekt Digital Mall, das mittlerweile mit 1,2 Mio. die Transformation zu ganzheitlichen Omni-Channel- und Frei- Artikeln aus 200 Shops in 18 Centern online ist, zeigt die Zu- zeit-Plattformen, erfindet sich der stationäre Einzelhandel einmal kunft des Shoppens. Mit dem Connected-Commerce-Konzept mehr neu – ganz im Sinne von „Handel ist Wandel“. geht die ECE gemeinsam mit dem Online-Händler OTTO noch einen Schritt weiter: Die beiden Partner schaffen eine einzigar- tige Verbindung zwischen Stationär- und Onlinehandel. Lokale Sortimente können online auf otto.de eingebunden werden. Ziel dieses Connected-Commerce-Konzeptes ist es, den stationären Handel durch zusätzliche Reichweite zu stärken und das Online- Angebot von OTTO um lokale Bezugsquellen zu erweitern. Es verbindet die Filialnetze stationärer Händler mit der Plattform otto.de – und schafft so eine, in dieser Form deutschlandweit bis- lang einmalige, Kooperation zwischen E-Commerce und klas- sischem Einzelhandel. Die ECE-Center bringen hierfür einen entscheidenden Vorteil mit: 60 Prozent der Deutschen erreichen in 30 Minuten ein ECE-Einkaufszentrum – ein echtes Allein- OLIVER W. PRINZ stellungsmerkmal. In der ersten Ausbaustufe können Kunden bereits für rund 20.000 Artikel von sechs ausgewählten Part- ist als Project Director M&A bei ECE Projektma- nern auf otto.de online sehen, ob diese in einem nahegelegenen nagement in Hamburg beschäftigt. Zuvor war Store vorrätig sind. Die Erweiterung folgt sukzessive. In einer er als Projektentwickler bei ECE tätig. Oliver W. späteren Ausbaustufe ermöglicht „Click und Collect“ den Kauf Prinz studierte an der WHU in Koblenz sowie an direkt über die Plattform. Mit „Ship from Store“ ist perspek- der IREBS in Eltville. Im ULI ist er Chair des ULI tivisch auch die taggleiche Lieferung der Produkte unmittelbar NEXT Committees. aus dem Center geplant. ULI PERSPECTIVES 17
URBANER WEITBLICK HERAUSFORDERUNGEN UND LÖSUNGEN FÜR DIE STADTENTWICKLUNG TEXT: Tobias Sauerbier Bereits Ende 2018 lebten rund drei Viertel der Menschen in Deutschland in Städten. 2050 werden es – so die Schätzungen – annähernd 90 Prozent sein. Dies erfordert ein radikales Umdenken und Handeln, um knappe Wohn- und Gewerbeflächen so effektiv und fair wie möglich zu verteilen. Die Stadt- und Metropolregionen müssen dabei vielen Heraus- über digitale Plattformen kennenlernen. Dieses Interaktionsbe- forderungen genügen. Dazu zählen die Beibehaltung der Wett- dürfnis verlangt auch nach einer urbanen Umgebung, die mit di- bewerbsfähigkeit, die Wohnraumschaffung, die Bewältigung der versen Angeboten leicht erreichbar ist. Öffentlicher und privater Verkehrs-, Energie- und Klimaproblematik und die alternde Raum verschmelzen dabei zunehmend, die Übergangsbereiche Gesellschaft. Eine intakte und ausgeklügelte Infrastruktur, bei der sollten Community-Katalysatoren sein. Gute Freiraumnetze sind auch der Umweltschutz und die Nachhaltigkeit höchsten Stellen- lebenswichtig für unsere Städte. wert haben, ist Voraussetzung. Die Lösungen dafür müssen primär im urbanen Raum erarbeitet werden. In vielen deutschen Städten sieht die Realität allerdings anders aus: Wohnen, Arbeiten, Shopping und Freizeit finden in verschie- Bedarf nach urbanen Strukturen denen Stadtvierteln statt. Dieses Prinzip der Trennung wurde jahrelang von der Stadtentwicklung gefordert und gefördert. Die Menschen zieht es wieder in die Zentren der Städte – dort Das Konzept führt aber dazu, dass tagsüber die Wohnviertel und wollen sie wohnen und arbeiten. Daher brauchen die Haushalte abends die Innenstädte nahezu verlassen sind. Hinzu kommt der kurze Wege, um ihre notwendigen Infrastrukturen, Services und Wandel im Einzelhandel, in den meisten Einkaufsstraßen finden Einrichtungen zu erreichen. Deswegen ziehen nicht nur Büros, sich immer wieder die gleichen Filialisten, egal ob Sie in Berlin sondern auch andere gewerbliche Arbeitsplätze, wie urbane Ma- oder Oldenburg sind. In vielen, insbesondere kleineren Städten, nufaktur oder wissensbasierte Institutionen, zurück in die Stadt. stehen Ladenflächen leer. Ein Zustand, der nicht mehr zukunfts- Ein weiterer Grund ist die digitalisierte Gesellschaft: Sie führt pa- fähig ist. Umdenken ist gefragt. Vor allem die Bedürfnisse der jun- radoxerweise zu mehr physischen Begegnungen. Noch nie zuvor gen Generation werden von diesen überholten Konzepten nicht gab es so viel Real-Life-Interaktion zwischen Menschen, die sich mehr erfüllt. Dies zeigt sich auch darin, dass Städte mit urbanen 18 ULI PERSPECTIVES
© David Chipperfield Architects Elbtower: An den Hamburger Elbbrücken baut SIGNA ein zeichensetzendes Hochhaus. Strukturen wie Berlin, München und Hamburg vom Zuzug jun- anderen Seite. Es ist zugleich Aufgabe, eine Architektur zu schaf- ger Menschen profitieren. Das trifft natürlich im vollen Maß auch fen, die sich die Menschen aneignen können. Das Bauen dient vor für ältere Menschen zu – Stichwort Generation Gold. allem dem Leben in unseren Städten – Raum erzeugt Kultur. Der Umgang mit dem Trend der Urbanisierung ist in erster In- Parallel gewinnen Quartiere generell wieder mehr an Bedeutung. stanz weniger eine Aufgabe der Stadtplaner und Architekten als Wohnen und Arbeiten verschmelzen immer mehr und damit ent- vielmehr der Stadtpolitik. Städte können den Nutzungsmix von stehen sogenannte Mischquartiere mit flexibler Nutzung. Diese Grundstücken bestimmen, Verdichtungsstrategien entwickeln und sind vor allem bei jungen Erwachsenen gefragt. Die Herausfor- umsetzen, Wohnungsbaukontingente festlegen, Areale für Kreativ- derung für die Planer von Quartieren in den Innenstädten großer nutzungen transformieren. In zweiter Instanz können Stadtplaner Metropolen besteht also darin, eine neue urbane Lebensqualität und Architekten Städten helfen, intelligente Lösungsansätze hin- zu schaffen. Entscheidend sind dabei vor allem kurze Wege, es sichtlich Straßen- und Mobilitätsnetzwerk, Verdichtung, Typolo- gilt möglichst viele Nutzungsmöglichkeiten an einem Standort gie, Freiraum und Nutzungsmischung zu entwickeln. Und sie kön- zu vereinen: Wohnen, Arbeiten, Shopping, Cafés und Restaurants, nen die Politiker und Behörden mit Visionen inspirieren. kulturelle und sportive Angebote. Weitläufige öffentliche Flächen wie große Dachterrassen sorgen für Ausgleich in einer sich ver- Quartiere gewinnen an Bedeutung dichtenden Stadt. Entwickler müssen also Orte schaffen, an denen zum einen die Dynamik der Metropole spürbar ist und zum ande- Die junge, gut ausgebildete Generation möchte in gemischt genutz- ren Rückzugsmöglichkeiten schnell erreichbar sind. Diese Rück- ten Immobilien arbeiten. Moderne Projektentwicklungen sollten zugsmöglichkeiten müssen ohne Konsumdruck bestehen – wir dementsprechend eine große Vielfalt an Möglichkeiten bieten, brauchen Städte für alle. Arbeit und Alltag, Business und Freizeit harmonisch miteinander zu verbinden. Die Immobilie der Zukunft dient als Stadt in der Verdichtung wird notwendig Stadt mit vielfältiger Nahversorgung und Gastronomie, umfassen- den Services und einem ebenso ansprechenden wie funktionellen Stadtkultur ist auch eine Kultur der Dichte, nicht nur ein Ver- Office-Ambiente, das hervorragende Effizienz und Flexibilität mit hältnis von Geschoss- zu Grundstücksfläche. Es geht um Viel- intelligenter Nachhaltigkeit kombiniert. Unsere Bauten müssen schichtigkeit, Durchmischung, Komplexität und das Aufeinan- neben funktionalen Aufgaben in erster Linie Identifikation erzeu- dertreffen von Gegensätzen auf kompaktem Raum. Die Vertika- gen – mit den Nutzern auf der einen und dem Stadtraum auf der le, das Hochhaus muss weiter an Bedeutung gewinnen. Dabei ULI PERSPECTIVES 19
Partnerschaft ist unser Fundament Nachhaltige Investments geben Zukunftssicherheit. Etwa 30 % der CO2-Emissionen in Deutschland gehen auf Gebäude zurück. Lassen Sie uns gemeinsam Verantwortung übernehmen: Nachhaltige Immobilien verbinden wirtschaft- liche und ökologische Interessen für unsere Zukunft. www.berlinhyp.de
© comm.ag THE ICON VIENNA: Architektonisches Highlight am neuen Wiener Hauptbahnhof sind Hochhäuser in gewachsene Strukturen einzubinden, nur so sind sie identitätsstiftend. Sie ermöglichen, dort zu wohnen und zu arbeiten, wo kulturelle Angebote und Infrastruktur gegeben sind. Hochhäuser sollten innerhalb von nutzungsdurchmischten Komplexen bzw. Quartieren gebaut werden und sich über das Stadtgebiet verteilen, so gewinnt die Stadt an Attraktivität. Bei aller Nutzungsdurchmischung dürfen ökonomische Aspekte nicht außen vor bleiben: So ist es beispielsweise wenig zielführend, Hy- bridhochhäuser zum stadtplanerischen Dogma zu erklären. Eine Variation von Nutzungen in der Vertikalen führt immer zu Effi- zienzverlusten und zu erhöhten Gesamtaufwendungen, was zu- nächst nicht mit der viel zitierten Nachhaltigkeit zu vereinbaren ist. In erster Linie sollte sich Nutzungsdurchmischung auf die So- TOBIAS SAUERBIER ckelzonen und damit auf den unmittelbar erlebbaren Stadtraum konzentrieren, alles Weitere sollte die Ausnahme bilden. ist seit März 2019 Vorstandsmitglied der SIGNA Prime Selection AG sowie der SIGNA Development Innenstädte müssen zu Lieblingsorten werden Selection AG. Zudem wurde er zum Geschäftsfüh- rer von SIGNA Real Estate Management Germany Der Run auf unsere Städte hat Vor- und Nachteile. Ein nicht zu ig- GmbH bestellt. Davor war er in zahlreichen norierender Vorteil ist, dass, durch den Anstieg der Grundstücks- Management-Positionen tätig, u. a. als Geschäfts- und Immobilienpreise, eine generelle Wertsteigerung der gesamten führer der IFM Asset Management GmbH und Stadt entsteht. Ein Nachteil ist die Gefahr der Übergentrifizierung. Vorstandsmitglied der IFM Immobilien AG (2009– Daher sollte auch weniger kapitalkräftigen Gruppen wie Empfän- 2013), als Geschäftsführer der GWH Bauprojekte gern von Wohnberechtigungsscheinen, Studenten, Baukollektiven, GmbH (2013–2015) und zuletzt (2016–2019) als Sozial- und Jungunternehmern sowie Kreativgemeinschaften im- Mitglied der Geschäftsleitung des Projektentwick- mer ein substanzieller Teil der Innenstadt zur Verfügung gestellt lers Groß & Partner. Tobias Sauerbier absolvierte werden. Dies ist jedoch nicht mit einem politisch motivierten Gieß- das Studium für Bauingenieurwesen an der Fach- kannenprinzip, also mit fixierten Nutzungsquoten, die für sämt- hochschule Wiesbaden und studierte Immobilien- liche Projekte einheitlich Anwendung finden, zu lösen, sondern ökonomie an der European Business School in bleibt eine Aufgabe im Gesamtzusammenhang, die Fingerspitzen- Oestrich-Winkel. gefühl erfordert. Bedingte Unterschiede in der Nutzungsstruktur von Quartier zu Quartier machen Stadt seit jeher aus und haben ihre Berechtigung. Dennoch soll Stadt kein Zoo von Elitegruppen sein, sondern ein dynamischer Organismus. ULI PERSPECTIVES 21
WUNDERBAR WANDELBAR UBER DIE RESILIENZ VON STADTEN UND WIE SIE RAPIDEN VERANDERUNGSPROZESSEN BEGEGNEN
„Unterschiedlichkeit zu erleben und wahrzunehmen ist meiner Meinung nach ein wesentliches Element für die Resilienz einer Gesellschaft und eines jeden Bürgers.“ Im Gespräch mit Jochen Rabe, Professor für Urbane Resilienz und Digitalisierung am Einstein Center Digital Future (ECDF) Prof. Dr. Johannes Busmann Sie sind Professor für Urbane Resilienz und Digitalisierung am hat. Meiner Meinung nach kennt man es primär aus der Psycholo- Einstein Center Digital Future (ECDF). Was verstehen Sie unter gie, in der es darum geht, dass Menschen Wandel in ihre Identität „urbaner Resilienz“? zu integrieren vermögen, ohne diese zu verlieren. Die Stadt erleben wir oft als stabil, und dennoch gibt es keine Städte, die nicht per- Unter urbaner Resilienz versteht man die Fähigkeit einer Stadt, manentem Wandel unterliegen. Kritiker bemängelten anfänglich, mit Wandel umzugehen. Grundsätzlich tritt Wandel meist in zwei dass der Begriff urbane Resilienz lediglich den Wandel von Städten Formen auf: Entweder in Form von Schocks oder in Form von Kri- entlang wirtschaftlicher Interessen zu rechtfertigen versuche. In- sen. Wenngleich der Begriff Krise sehr negativ konnotiert ist, meint sofern muss klargestellt werden, dass es auch bei der Stadt darum er oft nichts weiter als längerfristige Übergangsphasen von alten geht, Wandel in bestehende Identitäten zu integrieren und diese zu neuen Systemzuständen, kurz Wandel. Dabei ist Resilienz kein fortzuschreiben und zukunftsfähig zu machen. Von daher geht es normatives Konzept, sondern lediglich die Fähigkeit, mit Wandel bei der urbanen Resilienz auch darum, Städte in Ihren Entwick- besser umgehen zu können. Normative Konzepte wie die Nachhal- lungsprozessen stabiler und weniger vulnerabel zu machen. tigkeit werden somit also nicht ersetzt. Aufgrund der Digitalisie- rung kommt Wandel nicht nur schneller auf uns zu, sondern auch Welche Parameter besitzt denn Ihrer Meinung nach das Idealbild in einem größeren Maßstab. Die Forschung zur urbanen Resilienz der „Europäischen Stadt“, die es in Wandlungsprozessen lohnt beschäftigt sich entsprechend mit der Frage nach passenden Stra- zu erhalten? tegien, wie wir mit diesen rapiden Veränderungsprozessen in der eher trägen Stadtentwicklung besser umgehen können. Wir wollen die europäische nachhaltige Stadt, die sich im Vergleich zu anderen städtischen Typologien wie der amerikanischen Sub- Sofern Stadt als Organismus betrachtet wird, ist Resilienz dann urbia bereits als sehr wandlungsfähig erwiesen hat. Dabei spielen auch eine Facette des beständig bzw. des stabil Seienden? z. B. Dichte und Zentralität eine wichtige Rolle. Das Verhältnis beider zueinander hat sich im europäischen Kontext oftmals als Es gibt Streitigkeiten zwischen den Psychologen und Physikern ein System erwiesen, welches sehr verschiedene infrastrukturelle, hinsichtlich der Frage, wer den Begriff der Resilienz zuerst benutzt ökonomische und auch kulturelle Kapazitätszustände erlaubt. INTERVIEW 23
Jetzt stoßen wir aber durch die Auslastung oder zum Beispiel in Sensorik und künstlicher Intelligenz Luftverschmutzung in Straßen ökologischen Aspekten durch Überlastung der Kapazitäten an evidenzbasiert über einen Zeitraum von 3-5 Tagen voraussagen vielen Stellen an Grenzen. Das Resultat sind weniger und weniger können (und dieses ist bereits möglich und wird in Nürnberg ge- Reserven, die aber eine zentrale Strategie zur Schaffung resilienter testet), dann benötigen wir auch eine Gesetzgebung und Prozesse, Systeme sind. Erklären Sie das einmal jemandem hier in Berlin, sys- die einem Bürgermeister ermöglichen, dieses zum Beispiel durch tematisch an ausgewählten Standorten der Stadt NICHT zu bau- gezielte Fahrverbote für hohe Emittenten zu verhindern. Die Digi- en. Der Urbanisierungsdruck ist mittlerweile so hoch, dass wir ge- talisierung bringt so definitiv neue Formen des Seins in eine Stadt zwungen sind, alle Kapazitäten auszuschöpfen, was per se bedingt, und auch neue Formen von Urbanität, die ebenfalls Experimen- dass wir die Resilienz schwächen. Kommt dann nämlich doch eine tierräume brauchen. Und genau an dieser Stelle benötigen wir Veränderung, sind wir nicht mehr dazu in der Lage angemessen Möglichkeitsräume, nicht einen oder zwei, sondern systematisch zu reagieren, weil wir keine Reserven mehr haben. Jedes Unter- und strategisch vorgehaltene Räume und Systeme. nehmen bedenkt dieses sehr genau, in Städten ist die langfristige Sicherung der Zukunftsfähigkeit aber politisch schwer durchzu- Passen die Instrumente, die die Digitalisierung mit sich bringt, setzen. Dennoch geschieht der Wandel z. B. durch Digitalisierung denn überhaupt noch zu unseren Planungsmethoden des räum- und dennoch benötigen wir schnellen Wandel, alleine um den lichen Denkens? gesetzten Klimaschutzzielen gerecht zu werden. Die jetzige Stadt- planung ist allerdings auf langfristige Entwicklungszyklen aus- Nein – das sicherlich nicht. Aber es geht hier, wie gesagt, nicht um gelegt, die der Entwicklungsgeschwindigkeit nicht mehr gerecht eine Entweder-oder-Entscheidung. Wir brauchen sowohl „alte“ wird. Wir brauchen diese weiter, wir benötigen aber dennoch Instrumente, die langfristige Entwicklungstrajektorien setzten. Wir Werkzeuge und Governance-Systeme, die schneller sind auf dem benötigen aber auch wie o. g. neue schnellere und moderierende Weg zur nachhaltigen Stadt. Instrumente – und genau hierin liegt die Herausforderung. Wenn wir eine neue U-Bahn bauen wollen, müssen wir immer in Zeit- Sind die gerade angesprochenen Reserven Unbestimmtheiten, spannen von 10 bis 15 Jahren denken – wenn nicht sogar länger. Offenheiten, Experimentier- oder Möglichkeitsräume? Das bedeutet, es wird auch zukünftig natürlich Instrumente zur langfristigen Stadtplanung geben müssen. Diesen Planungen muss Genau. Harald Kegler hat Resilienz korrekt als die Chance be- aber ein höheres Maß an Flexibilität von Beginn an einbeschrieben schrieben, eine Freiheit im Umgang mit der Zukunft zu finden. werden, um auf veränderte Bedarfe reagieren zu können. Das ist Keine Resilienz bedeutet, über keine Gestaltungsfreiheit ange- ökonomisch und baulich oftmals schwierig kurzfristig umzuset- sichts des vielfältigen Entwicklungsdrucks zu verfügen. Eine hohe zen, aber ich denke, hier kann uns die urbane Digitalisierung und Resilienz hingegen erlaubt es, Städte nachhaltiger und menschen- ihre Wirkmacht entscheidend helfen. Sharing-Angebote sind erst gerechter zu machen. Hier kann die Digitalisierung Lösungen vor- durch die Digitalisierung und deren massenhafte Verbreitung mög- halten, da sie uns erlaubt, die Stadt in einer bislang unbekannten lich geworden. Plattformen vermitteln hier Dienstleistungen wie Granularität in Echtzeit zu analysieren und zu steuern. Wir stehen die Nutzung von E-Scootern. Aber auch die Nutzung von Raum hier noch ganz am Anfang, aber in einer Stadt, die z. B. im Infra- kann so dynamisch vermittelt werden und wir sehen das in Form strukturbereich meist an sogenannten Spitzenlast-Problemen lei- von den schnell wachsenden Coworking-Angeboten. Das lässt sich det, bekommen wir verstärkt die Möglichkeit, die Stadt so zu steu- weiterdenken, in dem man Typologien entwickelt, in denen der ern, dass wir diese Spitzen umgehen. Das bedeutet allerdings auch, privat und statisch genutzte Raum auf das notwendige Minimum dass wir Infrastrukturen nicht mehr lediglich verwalten, sondern reduziert wird und der gemeinschaftliche Raum mit seinen vielfäl- zunehmend moderierend betreiben müssen, was wiederum signifi- tigen Nutzungen über den Tag dynamisch verhandelt und organi- kant veränderte Governance-Prozesse benötigt. Wenn wir mittels siert wird. So lassen sich Kapazitäten als auch hoffentlich neuen Formen der Gemeinschaft schöpfen. Ist dies ein Forschungsbereich, der bundesweit genug Aufmerk- samkeit erhält? Insgesamt ist die Aufmerksamkeit noch sehr gering. Ich selbst erlebe vieles hier in Deutschland als sehr tradiert. Nichtsdesto- trotz gibt es vereinzelte Projekte, wie der Sonderforschungsbe- reich Re-Konfiguration von Räumen an der TU Berlin, der sich mit der Frage beschäftigt, wie Menschen mit Räumen aufgrund „Wir brauchen ‚alte‘ Instrumente, die langfristige Entwicklungstrajektorien setzen. Wir benötigen aber auch neue schnellere und moderierende Instrumente.“ 24 INTERVIEW
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