Dialog - Staat statt Vertrag? Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse - CSS Versicherung

 
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Dialog - Staat statt Vertrag? Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse - CSS Versicherung
Tarifpartnerschaft von der Rolle Seite 4

Plötzlich schwingt das Pendel zurück Seite 8

                                           dialog
                                               im

                Staat statt Vertrag?
                   Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse

                                                                   Ausgabe
                                                                    1 / 2015
Dialog - Staat statt Vertrag? Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse - CSS Versicherung
Echo

                                                                 Andreas Faller, Berater im
                                                                 Gesundheitswesen und Rechtsanwalt

Albert Einstein
                                                                 Selbst ist
Einstein
der Weisen                                                       der Mann
                                                                 «Die Akteure sind sehr wohl in
«Probleme kann man niemals                                       der Lage, ohne staatliche
mit derselben Denkweise lösen,                                   Regelung gute Abmachungen
durch die sie entstanden sind.»                                  zu treffen.»
             Schweiz.-amerik. Physiker, Erfinder                                        Basler Zeitung, 6. Oktober 2014
        der Relativitätstheorie, Nobelpreisträger
                          für Physik (1879–1955)

                        Ernst Gähler, Vizepräsident der FMH

                       Chefsache
                        «Tarifrevision muss Sache der Tarifpartner bleiben.»
                                                                         Schweizerische Ärztezeitung, 23 /2013

            Henry Kissinger

            Pareto-
            Optimum
            gesucht!                                                       Charles Favre, Präsident H+

           «Ein Kompromiss ist nur dann                                    Fischen mit
           gerecht, brauchbar und dauer-
           haft, wenn beide Parteien damit
           gleich unzufrieden sind.»
                                                                           Handgranaten
                                                                           «Wer mit dem Brecheisen in
                              Amerikanischer Politiker und
                           Friedensnobelpreisträger *1923
                                                                           eine komplexe Tarifstruktur
                                                                           eingreift, erntet zu Recht Kritik
                                                                           und Widerstand.»
                                                                                                  H+ Jahresbericht 2013
Dialog - Staat statt Vertrag? Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse - CSS Versicherung
Editorial/Inhalt

                                                                            Folgen Sie uns auf Twitter:
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                             Rückbesinnung                                                                                          Philomena Colatrella ist

                             tut not                                                                                                Generalsekretärin der CSS
                                                                                                                                      philomena.colatrella@css.ch

Inhaltsverzeichnis                                                             Zwischenmenschlich gesehen bezeichnet Partnerschaft eine
                                                                               auf Freiwilligkeit basierende soziale Gemeinschaft zwischen
                                                                               zwei Menschen, die gewissen Spielregeln unterliegt. Was auf
                                                                               dieser Ebene in der Regel noch leidlich funktioniert, wird
 4	Tarifpartnerschaften                                                       eine Stufe höher bereits sehr anspruchsvoll. Dann nämlich,
    Tarifpartnerschaft von der Rolle                                           wenn sich Unternehmen, Institutionen oder Interessenver-
  6         Standpunkt                                                        bände zugunsten eines gemeinsam angestrebten Vorhabens
             «Das drohende Ende der Tarifautonomie»                            finden sollen. Von Partnerschaft – also dem Streben, ein
                                                                               gemeinsames Ziel zu erreichen – bleibt in vielen Fällen nicht
  8         Hintergrund                                                       mehr viel übrig. Aus Partnern werden nicht selten Gegen-
            «Plötzlich schwingt das Pendel zurück»                             spieler. Die gemeinsame Sache rückt zulasten der Eigeninte-
10          Praxis                                                            ressen in den Hintergrund.
             Suche nach dem gemeinsamen Nenner
                                                                               Das Schweizer Gesundheitswesen ist ein gutes Beispiel, wie
11	Die andere Sicht
                                                                               Tarifpartnerschaft in vielen Fällen nicht mehr funktioniert.
    Faire Preise zahlen sich aus
                                                                               Egal, ob TARMED oder Physiotarif: Immer häufiger zeigt sich,
12          Im Gespräch                                                       dass die involvierten Tarifpartner nicht mehr fähig sind,
             «Es geht um Milliarden! Klar, dass das                            sich auch nur schon auf den kleinsten gemeinsamen Nenner
             Zwist gibt.»                                                      zu einigen. Aber je löchriger eine Tarifpartnerschaft wird
   Persönlich
16	                                                                           und je schwächer die Tarifpartner sind, desto eher lassen sich
   «Auf Kosten der Qualität»                                                   staatliche Regulierungen durchsetzen. Aus der Win-win-
                                                                               Situation, die der Tarifpartnerschaft ursprünglich zugrunde
   Santé!
18	                                                                           gelegen hat, wird so immer mehr eine Situation, in der es
   «Will der Staat unsere Gesundheit                                           nur noch Verlierer gibt – mit dem Staat als lachendem Dritten.
   oder unser Geld?»                                                           Die Tarifpartner müssen sich wieder auf die Bedeutung
19 Wissenschaft                                                                des Wortes «Partnerschaft» besinnen. Zum Wohle der Ver-
	Vom Preis- zum Qualitätswettbewerb                                           sicherten.

Impressum
Erscheint dreimal jährlich in deutscher und französischer Sprache. Herausgeber: CSS Versicherung, Tribschenstrasse 21, CH-6002 Luzern,
E-Mail: dialog@css.ch, Internet: www.css.ch, Chefredaktion: Riccarda Schaller, Roland Hügi; Redaktionelle Mitarbeit, Produktion und Grafik:
Infel Corporate Media, Claudia Sebald (Text) und Franziska Neugebauer (Art Direction) | Bildnachweis: zVg, mit freundlicher Unterstützung
Sorell Hotel Ador, Manuela Specker, Beat Schweizer, Blatthirsch/Jeannette Meier Kamer, Grafilu, Berenika Oblonczyk, Olivier Vogelsang |
Lithos: n c ag, 8902 Urdorf | Druck: Kromer Print AG, 5600 Lenzburg.
Diese Publikation wird vollständig aus Mitteln aus dem Zusatzversicherungsgeschäft (VVG) finanziert.

                                                                                                                                                im dialog 1/2015    3
Dialog - Staat statt Vertrag? Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse - CSS Versicherung
Tarifpartnerschaften

Die Zuständigkeiten im Gesundheitswesen sind nicht mehr klar fest-
gelegt. Die Folge davon: mangelndes Verantwortungsbewusstsein und
fehlende Innovationen. Krankenversicherer brauchen nun dringend
ein neues Selbstverständnis als mitverantwortliche Akteure. Nur so kann
der stetig zunehmende Staatseinfluss zurückgedrängt werden.
Von Heinz Locher

Tarifpartnerschaft
von der Rolle

          W
                                   erden in der Alpwirtschaft Wei-   tischen Staaten wird diese ohnehin schon sehr hohe
                                   den nicht gemäht oder abge-       Komplexität durch die «vertikale» Dimension des Ver-
                                   weidet, Gebüsch und unge-         hältnisses zwischen Teilstaaten und dem Bundesstaat
                                   eignete Pflanzen nicht entfernt   noch erhöht. Gemäss Artikel 117 der Bundesverfas-
                                   und der Wald nicht klar abge-     sung erlässt der Bund Vorschriften über die Kran-
                                   trennt, überwuchert Gebüsch       ken- und Unfallversicherung. Gestützt auf diesen
           die vormaligen Weiden, der Wald verkümmert, die Al-       Auftrag ist das KVG erlassen worden. Weil aber eine
           pen verganden. Dieses Bild umschreibt das Geschehen       entsprechende Aufgabenübertragung an den Bund
           im schweizerischen Gesundheitssystem treffend, man        zur Sicherstellung der Gesundheitsversorgung fehlt,
           muss nur die Bezeichnungen Weiden, Wald, Gebüsch          bleiben die Kantone hierfür zuständig. Dieses hybride
           durch Staat, Leistungserbringer und Versicherer erset-    System führt zu vielfältigen Schnittstellen. Unter dem
           zen. Jeder Position waren ursprünglich klar nachvoll-     Titel «Krankenversicherung» kann der Bund auch in
           ziehbare Rollen zugedacht, Regeln soll(t)en das Ge-       die Gesundheitsversorgung eingreifen, beispielswei-
           schehen in geordnete Bahnen lenken. Leider sind die       se mit den Vorschriften zur Ausstattung von Spitälern.
           vergangenen 18 Jahre seit Inkrafttreten des KVG durch     Beide «Logiken» haben ihre eigene Legitimation. Das
           eine zunehmende Vermischung dieser Rollen charak-         Beispiel der Interkantonalen Vereinbarung betreffend
                                      terisiert. Das Gesamtsystem    die Hochspezialisierte Medizin zeigt dies deutlich auf:
                                      vergandet.                     Handelt es sich um die Abstimmung kantonaler Spital-
                                                                     planungen? Oder um die Konkretisierung der Bestim-
  In Kürze                           Worum geht es?                  mungen über die Voraussetzungen und den Umfang
                                     Die Gestaltung des recht-       der Leistungsübernahme durch die obligatorische
  • Das Vertragsprimat ist           lichen Rahmens und der          Krankenpflegeversicherung?
    der Angelpunkt eines             massgebenden Regeln ei-
    wettbewerblichen                 nes Wirtschaftsbereichs ist     Vom Elend des Vertragsprimats
    Gesundheitswesens.               Gegenstand der Ordnungs-        Gemäss den Bestimmungen des KVG schliessen zudem
                                     politik. Sie fragt unter an-    die Leistungserbringer und die Versicherer Tarifverträge
  • Die unklare Rollen-              derem nach den Mechanis-        ab. Dieses Vertragsprimat stellt den Angelpunkt eines
    trennung von Bund                men, mittels deren Angebot      wettbewerblich ausgestalteten Gesundheitssystems
                                     und Nachfrage aufeinander       dar. Leider ist es in den vergangenen Jahren immer
    und Kantonen und
                                     abgestimmt werden, wer          mehr verwässert worden, so insbesondere durch im-
    die Uneinigkeit der
                                     Eigentum an Produktions-        mer engere Vorschriften bezüglich der geforderten ein-
    Tarifpartner haben zur           mitteln erwerben kann oder      heitlichen Tarifstruktur. Die Kantone wurden zudem zur
    jetzigen Blockade                ob Vertragsfreiheit zwischen    Mitfinanzierung der Leistungen im stationären Bereich
    geführt.                         den Akteuren besteht. Ideal-    verpflichtet, ohne sie aber als Tarifpartner zu qualifizie-
                                     typisch wird zwischen plan-     ren. Dieser fehlende Status hinderte sie aber nicht dar-
  • Die Krankenversicherer           wirtschaftlichen und markt-     an, eine Vertretung im Verwaltungsrat der SwissDRG AG
    sind in der Pflicht, mit         wirtschaftlichen Systemen       zu fordern und sogar wiederholt dessen Präsidium zu
    innovativen Ansätzen             unterschieden. In föderalis-    übernehmen. Die Leistungserbringer und Krankenversi-
    den Staatseinfluss
    zurückzudrängen.
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Tarifpartnerschaften

Schweizerische Tarifstrukturen,
aufgeschlüsselt in Struktur und Preis1

                                                                                                                                                                                                                                           FMH

                                                                                                                                           5,119 Mrd.2                                                                                                  H+

                                                                                                                                           Spitalleistungen                                    SwissDRG
                                           3,354 Mrd.2                                                                                     stationär
                                                                                                                                                                                                                                                       GDK
                                           Arztleistungen
                                           im Spital

                                                                                                                                                                                                                                           KVV

               FMH

   H+
                                                                                                                      Spital                      Die Krankenversicherer oder Einkaufs-
                                                  TARMED
                                                                                                                                                  gemeinschaften verhandeln mit jedem der
  MTK                                                                                                                          KV                 289 Spitäler oder Spitalverbunde einzeln.

                KVV

                                                                                           EG
                               EG                                                                KA
                      KA                                                                   TI
                               TG
                                                                                                  EG                  EG

                                                                                                       KA                  KA
                                 EG                                                         UR                   VS
           EG

                            KA        SZ
      KA        SO                                                                                                        EG
                                                                                                                VD

                          EG                                                                           EG            KA

   EG                  KA
                                 SH                                                              ZG
                                                                                                           KA                       EG                                                  3,201 Mrd.2                                  KVV

 KA
             SG                                        5,670 Mrd.            2
                                                                                                                          ZH                                                             Leistungsorientierte
                                                                                                                                    KA                                                   Abgeltung der
                     EG                                Arztleistungen in                                       EG
                               OW                                                                    AG                                                                                  Apotheker (LOA)
                                                       der Praxis                                                                                                                        inkl. SL/ALT                                 PS
                       KA                                                                                   KA
    EG
             NW                                                                                 AR                   AI
   KA                                                                                                     EG                   EG
                            NE
                  EG                                                                                  KA              KA
                        KA                                                            BL
                                                                                            EG       BE         EG
                                            JU          GL                            KA
                            LU        EG                                                                    KA
                                                                       FR                                                                                                 PTV       EG
                  EG                       KA          KA    EG
                       KA                                                        EG                                                                                                                   PTV
                                                 GR                    KA             BS                                                              EG
                                                                                                                                                             PTV               ZH
                                                                                                                                                PTV                                                            EG
                                                                 GE                                                                                                EG
                                                                                            EG                                                        VS                                             AI
                                            EG    KA                                  KA
                                                                                                                                                              VD                    PTV                                   PTV
                                                            KA                                                                                                                                EG                                 EG
                                                                  EG                                                                                                          EG                     PTV
                                                                                                                                                                    PTV
                                                                                                                                                      EG
                                                                                                                                                                                         AG                    EG     BE
                                                                                                                                      EG        PTV
     arifstruktur (Genehmigungsbehörde: Bund)
    T                                                                                                                                                                    ZG
                                                                                                                                                      UR                                             AR
    Preis (Genehmigungsbehörde: Kanton)                                                                                                                                                                              PTV                        PTV
                                                                                                                                    PTV    TI
  Keine Trennung von Tarifstruktur und Preis
                                                                                                                                                                                                                 BL         EG              BS    EG

    MH (Verbindung der Schweizer Ärztinnen
   F                                                                                                                                                                                                                                   PTV
   und Ärzte)
   MTK (UVG, IV, MV)                                                                                                                                                                                                             FR         EG
   H+ (Die Spitäler der Schweiz)                                       KVV                                                                                                663 Mio.2
                                                                                                                                                                                                                                                        PTV
   KVV (Krankenversichererverbände)                                                                                                                                                                                                             GE
    GDK (Schweiz. Konferenz der kant. Gesund-
                                                                                                                          Physiotarif                                                                                                PTV
                                                                                                                                                                                                                                                        EG
   heitsdirektorinnen und -direktoren)                                                                                                                                                                                      GL
                                                                       PTV                                                                                                Physiotherapie in                                           EG
   PTV (Physiotherapieverbände)                                                                                                                                           freier Praxis
   PS (Pharmasuisse)                                                                                                                                                                                                                              EG
                                                                                                                                                                                                                                           GR
   Kantone
                                                                                                                                                                                                                           JU                     PTV
   KA (Kantonale Ärztegesellschaften)                                                                                                                                                                                                 EG
   KV (Einzelne Krankenversicherer)                                                                                                                                                                                             PTV
                                                                                                                                                             SZ
     EG (Einkaufsgemeinschaften der Kranken-                                                                                                          PTV               SH
   versicherer)                                                                                                                      PTV    TG                                           OW
                                                                                                                                                             EG                                           NE                    LU
   PTV (Kantonale Physiotherapeutenverbände)                                                                                                                       PTV                                               EG
                                                                                                                                                                          EG                  EG                                           EG
                                                                                                                                           EG                                           PTV
                                                                                                                                                                                                               PTV                PTV
                                                                                                                                                             SO
                                                                                                                                                                                                   NW
1 Beschränkung
              auf TARMED, SwissDRG, LOA inkl. SL/ALT und Physiotherapie. Weitere verhandelte Tarifstrukturen im                                        PTV                     SG
 Gesundheitswesen: Chiropraktoren-Tarif, Tarif für Ernährungsberatung, Tarif für Diabetesberatung, Tarif für Ergotherapie,
                                                                                                                                                             EG                                PTV
 Schweiz. Hebammentarif, Logopädie-Tarif, Tarifstruktur für Primär- und Sekundärtransporte etc.                                                                          PTV                              EG
                                                                                                                                                                                   EG
2 Quelle:   Bruttoleistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) im Jahr 2013, Datenpool SASIS.

                                                                                                                                                                                                                      im dialog 1/2015                       5
Dialog - Staat statt Vertrag? Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse - CSS Versicherung
Standpunkt

Die Tarifpartner sind zu stark von Eigeninteressen geleitet. Es
wird Zeit, dass sie endlich ihre Verantwortung wahrnehmen –
sonst drohen Staatstarife.

«Das drohende Ende der
Tarifautonomie»
Die tarifpartnerschaftliche Verantwortung        arztmedizin ist eine bittere Kerbe für die
von Leistungserbringern und Kranken-             Tarifautonomie, aber durch die Tarif-
versicherern würde darin liegen, ihren           partner selbst verschuldet. Allgemeines                                   Gerd Marschall ist
Gestaltungsspielraum zu nutzen und               Wehklagen und Kritik am Bundesrat                              Fachspezialist Tarifstrukturen/
gemeinsam tragfähige und innovative              sind nicht angebracht. Vielmehr müssen                        Gesundheitspolitik bei der CSS
Lösungen zu entwickeln. Im Rahmen                die Tarifpartner – und zwar alle – jetzt                             gerd.marschall@css.ch
der Tarifautonomie hätten sie durchaus           ihre Verantwortung wahrnehmen. Nur
Möglichkeiten, Einfluss auf die Ausge-           wenn das gelingt, lässt sich das Mass
staltung des Gesundheitswesens zu neh-           staatlicher Eingriffe beschränken.
men. Dieser Rahmen ist zweifellos                    Es muss den Tarifpartnern bewusst
sehr eng, weil gesetzliche Vorgaben die          sein, dass Verhandlungsergebnisse nur
Verhandlungsfreiheit einschränken.               dann umsetzbar sind, wenn sie den
Die vorhandenen Möglichkeiten sind in            Genehmigungsanforderungen der Be-
der Vergangenheit aber nicht wahr-               hörden entsprechen. Im Falle der
genommen worden.                                 laufenden TARMED-Revision käme es
    Die Tarifstruktur TARMED ist das beste       einem Vabanquespiel gleich, wider
Beispiel. Die bisherigen, über Jahre             besseres Wissen eine Tarifstruktur zur
dauernden Versuche einer gemeinsamen             Genehmigung einzureichen, welche
Revision der Tarifstruktur waren über-           diese Anforderungen nicht erfüllt. Wird auf
wiegend geleitet von Eigeninteressen mit         diese Karte gesetzt, geht das Spiel
der Folge einer dauerhaften Blockade.            verloren. Der Bundesrat wird erneut die
Dass die Politik aufgrund dieses Versagens       aus seiner Sicht notwendigen Anpas-
der Tarifpartner handeln musste, darf            sungen an der Tarifstruktur vornehmen,
kaum jemanden überraschen. Es war auch           der TARMED wird für lange Zeit zu
absehbar, dass der Bundesrat, nach-              einem Staatstarif und die Tarifautonomie
dem er seit dem 1. Januar 2013 über die          zu einer leeren Hülle. Schuld daran
subsidiäre Kompetenz verfügt, Anpas-             werden diejenigen sein, die – getrieben
sungen an Tarifstrukturen vornehmen zu           von Eigeninteressen – ihre Verant-
können, diese früher oder später an-             wortung für die Entwicklung des Gesund-
wenden wird. Seine Verordnung zur An-            heitswesens nicht wahrnehmen. Und
passung der Tarifstruktur TARMED zum             vergessen wir nicht: Verlierer sind letztlich
Zweck der Besserstellung der Haus-               Patienten und Versicherte.

             cherer haben das Ihrige zur Aufweichung des Vertrags-        werden – ebenso auf der Spitalseite, um ein Gegen-
             primats beigetragen, namentlich durch das immer häu-         gewicht zu schaffen.
             figere Zulassen von vertragslosen Zuständen. Sie haben           Dem Vertragsprimat kommt auch eine hohe Be-
             damit breite Einfallspforten für staatliche Interventionen   deutung für die Ausgestaltung der Gesundheitsver-
             geöffnet, deren Höhepunkt die Zubilligung von Kompe-         sorgung und der Innovationen in diesem Bereich zu,
             tenzen an den Bundesrat zur materiellen Ausgestaltung        haben Tarife doch einen grossen Einfluss auf das Ver-
             des Tarifs für ambulante Leistungen darstellt.               halten der Tarifpartner. So ist die erste Schweizer HMO
                 Aus ordnungspolitischer Sicht ist auch der Zusam-        aus einer Initiative von Exponenten einzelner Kranken-
             menschluss der Krankenversicherer in einer zeitweise         versicherer und Ärztepionieren entstanden, notabene
             mehr als zwei Drittel des Marktes umfassenden Ein-           trotz ursprünglich fehlender gesetzlicher Grundlage,
             kaufsorganisation mehr als problematisch, da sie einer       die auf Verordnungsstufe erst noch geschaffen werden
             wettbewerblichen Ausgestaltung des Gesundheitssys-           musste. Dass in der Zwischenzeit solche Innovationen
             tems völlig widerspricht. Dass die Krankenversicherer        weitgehend ausbleiben, ist nicht zuletzt auch eine Fol-
             gleichzeitig die Aufhebung des Kontrahierungszwangs          ge des fehlenden Verantwortungsbewusstseins vie-
             mit Leistungserbringern fordern, ohne sich der inne-         ler Krankenversicherer und Leistungserbringer für die
             ren Widersprüche beider Aspekte bewusst zu sein, ist         Gestaltung der Gesundheitsversorgung. Das alleine
             bedenklich. Aus wettbewerblicher Sicht müsste eine           zeigt, dass es im KVG einen «Experimentierartikel»
             integrale Geltung des Kartellgesetzes auch für die           braucht. Ein solcher Artikel gestattete es, in Abwei-
             obligatorische Krankenpflegeversicherung angestrebt          chung der generellen gesetzlichen Regelungen zeit-

6   im dialog 1/2015
Dialog - Staat statt Vertrag? Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse - CSS Versicherung
Tarifpartnerschaften

lich begrenzte und wissenschaftlich begleitete Pilot-
projekte durchzuführen, um neue Ideen zu erproben.
Gerade im Tarifbereich drängen sich derartige Schritte
auf, z.B. durch die Ergänzung von Einzelleistungsta-
rifen mit qualitätsorientierten Erfolgskomponenten
(payment for results) in Abweichung von der sonst ge-                         Die Tarifstruktur
setzlich vorgegebenen einheitlichen Tarifstruktur.                        TARMED wurde seit
    Hauptprofiteure dieser Fehlentwicklung sind die                        über 13 Jahren
Kantone, welche immer mehr Funktionen usurpieren                            nicht mehr revidiert.
und damit ihre Rollenkumulationen und Widersprüche
stetig vergrössern. Einen traurigen Höhepunkt hierzu
stellt die neueste Vorlage über die Steuerung des am-
bulanten Bereichs dar.

«Ausgelagerte» Bundesbeamte?
Die Schwächung der Krankenversicherer ist aber auch                           Praxisärzte und
eine Folge ihres institutionellen Status als ausgelager-              Krankenversicherer verhandeln
te Einheiten der Bundesverwaltung. Dieses Mantra wird                     jährlich um Leistungen
ungefragt nachgebetet, obschon seine konzeptionelle
                                                                            im Wert von 5670
Begründung mehr als schwach ist (Wahrnehmung einer
öffentlichen Aufgabe, Gewährleistung der Versorgungs-                  Millionen Franken.
sicherheit als staatliche Aufgabe, hohe Regelungsdichte
usw.). Bei konsequenter Anwendung dieser Grundsätze
müsste beispielsweise auch den Landwirtschaftsbetrie-
ben, den Detailhandelsfirmen oder den Tankstellen ein
entsprechender Status zugeordnet werden.
    Diese schwache institutionelle Stellung der Kran-
kenversicherer ist dem Gesundheitssystem abträglich.
So ist es unverständlich, dass ihnen die Legitimation
abgesprochen wird, Rechtsmittel gegen kantonale
Spitalplanungen zu erheben. Damit fehlen alle «checks
and balances» in diesem Bereich. Bei all diesen Um-
ständen wirkt es schon fast höhnisch, wenn der zu
grosse Einfluss der Lobbyisten der Krankenversicherer
im eidgenössischen Parlament beklagt wird.
    Paradoxerweise muss gleichzeitig festgestellt wer-     Was ist zu tun?
den, dass der Bund nicht alle Aufgaben wahrnimmt,          Es wäre sicher ungerecht, alle dargelegten Män-
die ihm in einem ordnungspolitisch kohärenten Sys-         gel lediglich den Krankenversicherern anzulasten.
tem zukommen. Ein wettbewerblich ausgestaltetes            Im Hinblick auf die hier postulierte wettbewerbliche
Gesundheitssystem setzt zwingend voraus, dass der          Ausgestaltung des Gesundheitssystems besteht aber
Bund die Transparenz über das Leistungsgeschehen           bei ihnen der grösste Handlungsbedarf, um den stets
(Leistungsmengen, Qualität der Leistungen) gewähr-         zunehmenden Staatseinfluss zurückzudrängen. Eine
                                                           der grössten Herausforderungen für die Krankenver-
                                                           sicherer wird sein, ein neues Selbstverständnis als ver-
Die schwache institutionelle                               antwortliche Mitgestalter des Gesundheitssystems zu
                                                           entwickeln. Dazu gehören beispielsweise eigene Kon-
Stellung der Kranken-                                      zeptionen für eine qualitativ und wirtschaftlich ver-
versicherer ist dem Gesund-                                tretbare Spitalplanung. Weiter notwendig sind interne
                                                           Regelungen der «Good Corporate Governance», wel-
heitssystem abträglich.                                    che den Einfluss der Versicherten auf die Geschäftspo-
                                                           litik stärken sowie klare Konzeptionen für die Branche
                                                           (politische Organisationen, Einkaufsorganisationen,
leistet. Auch sollte er sicherstellen, dass die obliga-    tiefgehende Bereinigung der Branchenstruktur). Die
torische Krankenpflegeversicherung nur Leistungen          Branche ist gefordert, neue Modelle der System-
übernehmen muss, die wirksam, zweckmässig und              finanzierung (Prämien, Steuergelder) sowie der Leis-
wirtschaftlich sind. Falls die parlamentarische Behand-    tungsfinanzierung (qualitätsorientiert, mit Förderung
lung der nun durch den Bundesrat unterbreiteten Vor-       der Nachhaltigkeit) zu entwickeln.
lage nicht ungebührlich verzögert wird, könnten die             Mit diesen Massnahmen könnte die zunehmende
Bestimmungen über das Qualitätsinstitut und die HTA-       Vergandung zumindest gestoppt werden.
Verfahren «rechtzeitig» in Kraft treten – also 20 Jahre
nach Einführung des KVG. Die Rechtsgrundlage hätte
bereits seit 1996 bestanden. Auch hier hinterlassen die
Kritiken insbesondere der Krankenversicherer einen
schalen Nachgeschmack, haben sie es doch unterlas-
sen, auf entsprechende wirksame Schritte zu pochen,
                                                           —
                                                           Dr. Heinz Locher ist Unternehmensberater und Dozent
beispielsweise in Tarifverträgen.                          im Gesundheitswesen.

                                                                                                           im dialog 1/2015   7
Dialog - Staat statt Vertrag? Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse - CSS Versicherung
Hintergrund

Man signalisiere Kompromissbereitschaft, wenn es um die festgefahrene
TARMED-Revision geht, sagt CSS-Konzernleiter Georg Portmann. Jetzt
sei es an den Leistungserbringern, die Tarifautonomie zu verteidigen –
und sich dem Qualitätswettbewerb zu stellen.
Interview Lukas Hadorn

«Plötzlich schwingt das
Pendel zurück»
                         Herr Portmann, diese Publikation heisst                 Warum sind die Fronten derart verhärtet?
                         «im dialog». Kann man in der Tarifpartnerschaft         Weil die Tarifpartner in grundsätzlichen und von
                         überhaupt noch von einem Dialog sprechen?               Eigeninteressen geprägten Positionen verharren und
                         Ich denke schon, ja. Wir reden ja nach wie vor mitei-   um keinen Preis davon abrücken wollen. Das
                         nander. Aber die Situation ist tatsächlich blockiert.   grundlegende Problem ist, dass die gegenwärtige
                         Die Zielsetzungen der Parteien, die an diesem Dialog    Tarifpartnerschaft auf Zwang beruht. Wir als Ver-
                         beteiligt sind, gehen in ganz unterschiedliche          sicherer werden gezwungen, Leistungen ungeachtet
                         Richtungen. Das macht die Sache nicht ganz einfach.     der Qualität abzunicken. Gleichzeitig ist es unsere

8   im dialog 1/2015
Dialog - Staat statt Vertrag? Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse - CSS Versicherung
Hintergrund

Aufgabe, den Kostenanstieg im Gesundheitswesen               der Struktur und der Kosten voneinander zu trennen.
zu dämpfen. Das passt nicht zusammen. In diesem              Verhandeln wir doch zuerst einmal über eine zeit- und
System können wir unsere Ziele nicht erreichen.              sachgerechte Tarifstruktur. Dann schauen wir, wie
                                                             sich die neue Struktur auf die Kosten auswirkt.
Was würde sich ändern, wenn der Zwang wegfiele?
Wenn Vertragsfreiheit herrschen würde?                       Bundesrat Berset erwartet ebenfalls eine kosten-
Dann könnten wir mit den Leistungserbringern auf             neutrale Revision.
Augenhöhe diskutieren, weil sich diese plötzlich             Das ist vermutlich blauäugig. Am Ende des Tages
dem Qualitätswettbewerb stellen müssten. Und es              bringt eine Neugestaltung der Tarifstruktur immer hö-
würde zu einem Qualitätsanstieg im Gesundheits-              here Kosten mit sich. Das ist jedenfalls meine lang-
wesen führen. Das ist, was wir letztendlich wollen:          jährige Erfahrung. Aber dass man sich deswegen gleich
die bestmögliche Qualität in der Leistungserbrin-            jeglicher Diskussion verschliesst, halte ich für falsch.
gung zu einem vertretbaren Preis.
                                                             Sind Sie denn mit dem Verzicht auf die Forde-
Sie fordern also die Aufhebung des Kontrahierungs-           rung nach Kostenneutralität einen Schritt weiter-
zwangs.                                                      gekommen?
Mittelfristig führt kein Weg daran vorbei, ja. Kurzfristig   Nein, da haben wir mit curafutura noch nicht das
werden wir versuchen, den Vertragszwang wenigs-              erreicht, was wir uns vorgenommen haben. Daraus
tens aufzulockern, indem wir mehr Transparenz bei            ergibt sich für mich die
den Kosten beziehungsweise Leistungen herstellen.            Forderung, dass die Leis-
So können wir die Spreu vom Weizen trennen und Leis-         tungserbringer jetzt den
tungserbringer, welche die Intransparenz des Sys-            Beweis antreten müssen,         «Es will mir ehrlich
tems ausnützen, vom Markt ausschliessen.                     dass ihnen etwas an der
                                                             Tarifautonomie liegt. Dies-     gesagt nicht in
Wie wollen Sie das erreichen?                                bezüglich bin ich mir nicht     den Kopf, dass wir
Da sehe ich zwei verschiedene Wege. Zum einen wer-           bei allen Tarifpartnern ganz
den wir ab dem kommenden Jahr damit begin-                   sicher.                         dieses Problem
nen, die Leistungserbringer qualitativ zu bewerten.                                          unter erwachsenen,
Das ist zunächst ein internes Kontrollsystem,                Wen meinen Sie konkret?
aber mittelfristig sollen solche Informationen öffent-       Ich spüre vor allem inner-      logisch denken-
lich verfügbar sein. Die Kunden wollen doch                  halb der FMH eine grosse        den Menschen nicht
wissen, ob ein Arzt oder ein Spital qualifiziert ist, eine   Zurückhaltung, überhaupt
bestimmte Behandlung vorzunehmen. Zum an-                    schon nur über strukturelle     lösen können.»
deren werden wir verstärkt bilateral mit Leistungser-        Veränderungen zu debattie-
bringern zusammenarbeiten, die sich ebenfalls                ren. Dort wird abgeblockt,
mehr Transparenz wünschen und bereit sind, gemein-           obwohl wir Kompromissbereitschaft signalisieren.
sam mit uns solche Qualitätskriterien zu erarbeiten.         Ich werde den Verdacht nicht los, dass der Ärztever-
                                                             band vielleicht sogar ein wenig mit einem Scheitern
Das dürfte schwierig werden. Auf der Gegenseite ver-         der Revision liebäugelt, damit man sich nicht in den
tritt man den Standpunkt, dass man medizinische              eigenen Reihen unbeliebt machen muss.
Leistungen nicht ökonomischen und versicherungs-
mathematischen Modellen unterwerfen kann.                    Dann droht schon bald ein staatlich verordneter
Aber wenn wir doch wenigstens darüber diskutieren            Tarif.
würden! Ich bin überzeugt, dass man viele medi-              So ist es. Und das darf nicht passieren. Es will mir
zinische Behandlungen qualitativ beschreiben kann,           ehrlich gesagt auch nicht in den Kopf, dass wir dieses
das stellt man sich viel zu schwierig vor. Letztlich         Problem unter erwachsenen, logisch denkenden
geht es uns darum, den Versicherten eine gewisse             Menschen nicht lösen können. Die Tarifautonomie gilt
Gewähr geben zu können, dass sie sich am rich-               es unbedingt am Leben zu erhalten. Denn plötz-
tigen Ort behandeln lassen.                                  lich schwingt das Pendel zurück, und die Chance zur
                                                             Mitbestimmung und Selbstregulierung ist verspielt.
Eine Gewähr?                                                 So weit darf es nicht kommen.
Ich mache keinen Hehl daraus: Im Endeffekt geht es
um Leistungsgarantien. Natürlich ist es mir klar,
dass es in der Medizin niemals eine Funktionsgarantie
geben wird wie beim Kauf eines Fernsehgeräts.
Und ich glaube auch, dass es Bereiche wie die On-
kologie gibt, in denen die Komplexität der Materie
eine sehr differenzierte Herangehensweise erfordert.
Leistungsgarantien sind eine Art Leuchtturm, an
dem wir uns bei der Erarbeitung der Qualitätskriterien
orientieren.                                                 —
                                                             Georg Portmann ist Vorsitzender der Konzernleitung
Sie fordern also Transparenz und Wettbewerb. In-             der CSS Gruppe.
wiefern kommen Sie den Tarifpartnern entgegen?               Lukas Hadorn ist als Journalist BR und Corporate
Indem wir uns – im Gegensatz zur Santésuisse – dazu          Publisher für verschiedene Schweizer Medienhäuser
bereit erklärt haben, in der TARMED-Revision Fragen          und Unternehmen tätig.

                                                                                                             im dialog 1/2015   9
Dialog - Staat statt Vertrag? Im Fokus: Tarifpartnerschaft in der Sackgasse - CSS Versicherung
Praxis

Versicherer und Spital können ihre Zusammenarbeit nicht auflösen,
unabhängig vom Vertragszustand. Trotz Zielkonflikt beim Preis möchten
beide Parteien Kundinnen und Kunden gewinnen. Der gemeinsame
Kunde steht deshalb im Mittelpunkt der Verhandlungen.
Von Lukas Eichenberger

Suche nach dem
gemeinsamen Nenner

          E             gal ob Privatleben oder Wirtschaftsbereich:
                        Verhandelt wird überall. Gerne lobt man
                        dabei das partnerschaftliche Verhältnis –
                        schielt aber gleichzeitig auf die Maximierung
                        des eigenen Nutzens. Doch wie wird die
            Partnerschaft, im Speziellen die Tarifpartnerschaft, im
            Gesundheitswesen gelebt? Und welches sind deren Be-
                                                                                          Die Privatklinikgruppe
                                                                                               Hirslanden
                                                                                            beschäftigt 7800
            sonderheiten mit Blick auf Versicherungen und Spitäler?                       Mitarbeitende
                Im Unterschied zu andern Wirtschaftsbereichen                                  und betreibt
            können eine Versicherung und ein Spital ihre Zusam-                              16 Kliniken
            menarbeit nicht einfach auflösen. Tritt eine versicherte                      in 11Kantonen.
            Person in ein Spital ein, möchte sie behandelt werden,
            egal ob zwischen Spital und Versicherung eine ver-
            tragliche Einigung über den Preis erzielt wurde. Des-
            sen sind sich beide Seiten während der Verhandlungen          Frage der Steuerungsmöglichkeiten der Versicherun-
            bewusst. Kommt keine Einigung zustande, steigt der            gen. Erfolgreiche Verhandlungen basieren nicht auf dem
            Aufwand in der Kundenbetreuung für beide Seiten.              Austausch von Fundamentalpositionen. Werden jedoch
            Der Kunde spürt dabei unweigerlich administrative und         die Bedürfnisse und Leistungen von beiden Parteien klar
            eventuell sogar finanzielle Folgen.                           dargelegt und fokussieren diese auf die gemeinsamen
                                                                          Interessen, steigen die Chancen für ein zufriedenstellen-
            Die doppelte Kundensicht                                      des Resultat.
            Damit ist eine weitere Eigenheit der Tarifpartnerschaft            Verhandlungen sind keine einmalige Aktion. Als
            im Gesundheitswesen angesprochen: Beide Parteien              Spital streben wir deshalb wenn immer möglich einen
            verhandeln zum Wohle ihres gemeinsamen Kunden – je            Kompromiss mit dem Verhandlungspartner an. Glei-
            nach Sichtweise Versicherter oder Patient. Sowohl die         ches erwarten wir von unseren Verhandlungspartnern.
            Versicherung als auch das Spital müssen sich dazu in          Denn Tarifpartnerschaft darf nicht fremdbestimmt sein.
            die Lage des Kunden versetzen. «Was sind dessen Be-           Gerade in der Grundversicherung stellen wir jedoch
            dürfnisse, und was ist er bereit zu zahlen?», lautet die      bei unseren Verhandlungspartnern eine unterschied-
            entsprechende Frage. Die Beantwortung dieser Frage ist        liche Haltung gegenüber der Rechtsprechung fest: Die
            insbesondere im Gesundheitswesen schwierig. Die im            einen sehen diese als letzte Option, für die anderen
            Vergleich beschränkte Produktevielfalt führt dazu, dass       ist sie ein grundlegendes Element, das vorgängig mit-
            Bedürfnisse und Finanzkraft der Personen im gleichen          helfen soll, möglichst alle offenen Punkte zu klären.
            Produkt sehr heterogen sind. Hinzu kommt, dass bei            Hirslanden legt Wert auf ein stabiles Vertragsverhältnis.
            Krankheit oder Unfall viele Patienten die maximale Leis-      Deshalb haben wir unsere Beziehungen zu den Versi-
            tung beziehen wollen.                                         cherungen vertraglich breit abgestützt. Im Mittelpunkt
                                                                          der Verhandlungen soll stets der gemeinsame Kunde
            Es besteht ein Zielkonflikt                                   stehen. Angesichts der (fehlenden) Option, gar keine
            Wie wird vor diesem Hintergrund die Tarifpartnerschaft        Zusammenarbeit einzugehen, und der gemeinsamen
            im Gesundheitswesen gelebt? Die Versicherung möchte           Interessen folgen wir als Privatklinikgruppe der Ma-
            mit attraktiven Preisen und Leistungen Kunden anziehen.       xime: «Gut verhandelt haben Sie erst dann, wenn Ihr
            Das Spital möchte für seine Leistungen fair abgegolten        Gegenüber in Zukunft wieder mit Ihnen verhandeln
            werden und aus eigener Finanzkraft das Geschäft nach-         möchte».
            haltig im Sinne der Kunden betreiben können. Bezüglich
            Preis für eine Behandlung besteht also einerseits ein Ziel-
            konflikt zwischen Versicherung und Spital, andererseits
            aber auch ein gemeinsames Interesse: Beide Parteien
                                                                          —
                                                                          Lukas Eichenberger ist Ökonom und für Tarife und
            möchten viele Kunden gewinnen. Hier stellt sich die           Verträge der Privatklinikgruppe Hirslanden zuständig.

10   im dialog 1/2015
Die andere Sicht

Verhandeln ist eine Kunst, die viel mit Fairness und Flexibilität
zu tun hat. Als Flohmarkt-Händler stelle ich so sicher, am Ende eines
Verkaufstages nicht auf meinen Sachen sitzen zu bleiben.
Von Herbert Kuster

Faire Preise zahlen sich aus
                                                                    Bilder, Geschirr und Haushaltartikel laufen gut. Schwie-
                                                                    riger wird es bei den Möbeln. Noch vor zehn Jahren
                                                                    konnte ich mit einem Lastwagen voller Möbel vorfah-
                                                                    ren, die Leute haben sie mir regelrecht aus den Hän-
                                                                    den gerissen. Die jüngeren Generationen können mit
                                                                    antiken Möbeln nicht mehr viel anfangen. Das hat ganz
                                                                    bestimmt auch mit der neuen Art des Wohnens zu tun:
                                                                    überall diese riesigen Fensterfronten, da hat es einfach
                                                                    keinen Platz mehr für Möbel. Ich komme durch Woh-
                                                                    nungsräumungen zu meiner Ware. Weil Möbel kaum
                                                                    mehr gefragt sind, muss ich das meiste entsorgen, sonst
                                                                    würde sich mein Geschäft rasch nicht mehr lohnen.
                                                                         Die Zunahme des Online-Handels ging auch an
                                                                    mir nicht spurlos vorüber. Ich erhalte bedeutend we-
                                                                    niger Ware, weil manche
                                                                    ihre Sachen gleich sel-
                                                                    ber online zu versteigern
                                                                                                 Ich bin überzeugt:
                                                                    versuchen. Die Preise, die   So wie man geschäf-
                                                                    dort festgelegt werden,
                                                                    sind zum Teil jenseits von
                                                                                                 tet, kommt es
                                                                    Gut und Böse. Und dann       irgendwann zurück.
                                                                    wundern sich die Leute,
                                                                    wenn sie auf den Sachen sitzen bleiben! Online-Por-
                                                                    tale haben aber keinen Einfluss auf den Besucheran-
                                                                    drang an Flohmärkten – es geht eben nicht nur ums
                                                                    Ersteigern, es geht doch auch um das Soziale und den
                                                                    Austausch.
                                                                         Eines meiner Erfolgsgeheimnisse beim Verkaufen

          W
                                                                    ist sicher die Tatsache, dass ich die Preise nicht unver-
                                                                    änderbar festlege, sondern dass ich sie im Verlauf des
                                                                    Tages anpasse und flexibel auf die Kunden reagiere.
                                ann ist ein Preis fair? Als Flohmarkt-
                                Händler habe ich ein gutes Gespür   Bei jungen Leuten, die offensichtlich Freude haben
                                                                    an einem traditionellen Flohmarkt, gebe ich die Arti-
                                dafür, wie viel die Leute bereit sind,
                                für einen Gegenstand zu zahlen. Ist kel noch günstiger ab. Wenn sich jemand besonders
                                der Preis zu hoch, greift niemand   distanziert gibt, steigt der Preis eher. Es gibt Verkäu-
                                                                    fer, die, wenn sie Geld riechen, einen richtig «melken»
           zu. Ich setze die Preise so tief an, dass sich jede Diskus-
           sion erübrigt. Manchmal kommt es vor, dass jemand        möchten. Mein oberstes Gebot ist Fairness. Ich bin
           einen Gegenstand für acht Franken                                            überzeugt: So wie man geschäftet,
           auf vier Franken herunterhandeln                                             kommt es irgendwann zurück.
           will. Wir einigen uns dann auf sie-            In Kürze
           ben Franken. So hat der Kunde das
                                                          • Laien setzen im
           Gefühl, ein gutes Geschäft gemacht
                                                            Online-Handel die
           zu haben, obwohl doch schon der
           Ursprungspreis sehr attraktiv war.               Preise oft viel zu         —
                                                                                       Herbert Kuster (64) war lange
           Meine Frau sagt mir manchmal,                    hoch an.                   als Berufsschullehrer tätig und baute
           dass ich mehr verlangen sollte, aber                                        nebenbei eine Werkstatt für das
           das ist nicht meine Art. Am Ende ei-           • An traditionellen          Renovieren von Antiquitäten auf. Seit
           nes Verkaufstages will ich schliess-             Flohmärkten geht es        seiner Frühpensionierung mit 58
                                                                                       widmet er sich vollumgänglich dem
           lich möglichst alle Produkte losha-              auch um den sozia-         Flohmarkt-Handel. Kuster ist
           ben – ich lebe von der Menge.                    len Aspekt.                auch Präsident des Vereins Flohmarkt
                Besonders begehrt sind Kleider.                                        Kanzlei in Zürich. Der Flohmarkt
           Was einst Mode war, ist heute wie-             • Kleider sind bei den       findet jeden Samstag zwischen 8 und
           der sehr gefragt. Auch Werkzeuge,                                           16 Uhr beim Helvetiaplatz statt.
                                                      Kunden im Moment
                                                      sehr gefragt.

                                                                                                                    im dialog 1/2015   11
Im Gespräch

Erst etwas mehr als zehn Jahre alt, ist das Tarifsystem TARMED
dringend revisionsbedürftig. Eine Einigung zwischen den
Tarifpartnern dürfte allerdings nicht so leicht zu finden sein, wie
das Gespräch mit FMH-Vizepräsident Ernst Gähler und
Tarifstrukturen-Spezialist Christian Affolter von der CSS zeigt.
Interview Patrick Rohr

«Es geht um Milliarden!
Klar, dass das Zwist gibt.»

—
Ernst Gähler ist Facharzt Allgemeine Medizin
FMH mit eigener Praxis in Herisau (AR). Er ist
Vizepräsident der Schweizer Ärzteverbindung
FMH und in dieser verantwortlich für das
Departement Ambulante Tarife und Verträge.

12   im dialog 1/2015
Im Gespräch

Weil die Tarifpartner sich nicht einigen
konnten, hat der Bundesrat von seiner
subsidiären Kompetenz Gebrauch ge-
macht und per Verordnung entschieden,
wie das neue Tarifsystem aussehen soll.
Zufrieden ist damit ja niemand.
Ernst Gähler (EG): Das stimmt. Aber dass es
eine Revision braucht, ist unbestritten.

Nur hätten die Tarifpartner die Revision
selber gestalten dürfen, wenn sie sich
einig gewesen wären.
EG: Wenn man sich geeinigt hätte, wäre
die Wahrscheinlichkeit, dass der Bundesrat
von der subsidiären Kompetenz macht,
sicher geringer gewesen.
Christian Affolter (CA): Es ist ein Versagen
von uns Verhandlungspartnern, das muss
man zugestehen. Wenn es nicht gelingt,
gemeinsam Lösungen zu finden, dann muss
                                                          —
                                                          Christian Affolter ist Verantwortlicher Public
der Schiedsrichter kommen und ent-                        Affairs Tarifstrukturen beim Krankenversi-
scheiden. Das kann ich akzeptieren. Aber                  cherer CSS. Davor war er Direktionsmitglied
                                                          bei Santésuisse und Leiter der Direktion
ich bin klar der Meinung, dass es hier
                                                          Gesundheitspolitik beim Bundesamt für Ge-
auch um einen Missbrauch geht. Und zwar                   sundheit (BAG).
missbraucht Herr Berset die subsidiäre
Kompetenz für seine Politik. Er versucht
auf diesem Weg, die Staatsmedizin zu
fördern und das Gesundheitswesen zu
verstaatlichen.

Sehen Sie das auch so, Herr Gähler?
EG: Da bin ich mit Herrn Affolter absolut
einverstanden. Bundesrat Berset hat            die Tarifstrukturrevision TARMED
mit der Besserstellung der Hausarztmedi-       durchführen wollen. Dieser Grundsatz
zin einen politischen Entscheid ge-            wurde von der Delegiertenversamm-
fällt. Und er greift nicht nur in die Tarif-   lung wiederholt genehmigt. In dieser Be-
struktur ein, sondern redet auch auf           ziehung sind wir uns absolut einig.
der Preisebene mit, was er gar nicht dürf-
te. Die Preisgestaltung, also die Frage,       Aber inhaltlich nicht.
wie viel ein Taxpunkt kostet, liegt nämlich    EG: Doch!
bei den Kantonen. Indem der Bundes-
rat den Hausärzten 200 Millionen gibt,         Jetzt muss ich doch Herrn Affolter mit
greift er direkt in die Preisgestaltung ein.   einbeziehen. Sehen Sie das auch so,
                                               hatten Sie mit den Ärzten einen einigen
Das wäre alles zu verhindern gewesen,          Verhandlungspartner?
wenn die Tarifpartner sich geeinigt            CA: Mein Verhandlungspartner war die
hätten.                                        FMH. Und ich muss sagen, dass ich
EG: Wir sind nicht unfähig, die Tarifstruk-    den Eindruck hatte, dass der Druck allein
tur zu revidieren. Wir FMH-Ärzte sind          innerhalb der FMH gewaltig gross ist.
zum Beispiel seit 2010 am Erarbeiten einer     Da gibt es verschiedene Interessen, die es
aktualisierten Struktur, seit 2012 auch        dem Verband enorm schwierig machen,
zusammen mit unseren Partnern H+ und           eine einheitliche Meinung zu vertreten. Und
MTK. Und seit kurzem führen wir auch           ich unterstelle der FMH jetzt mal, dass die
intensive Gespräche mit Curafutura, mit        Beweglichkeit des Verbandes eingeschränkt
dem Ziel, uns wenigstens zu viert zu           ist, weil es einfach sehr schwierig ist,
einigen.                                       die verschiedenen Interessen von allen
                                               Mitgliedern unter einen Hut zu bringen.
Aber Hand aufs Herz, Herr Gähler,              EG: Ich möchte schon noch einmal be-
nicht einmal die Ärzte unter sich sind         tonen: Die Tarifrevision ist eine rein
sich einig.                                    technische Revision, politische Gedanken
EG: Jetzt unterstellen Sie uns aber etwas!     und Ideen haben da nichts zu suchen.
                                               Und wir sind intensiv mit 18 Fachteams
Herr Affolter schmunzelt ...                   daran, die verschiedenen Kapitel zu
EG: Moment, für die Ärzteschaft kann ich       revidieren. Bis jetzt funktioniert das sehr
schon selber reden. Also: Wir haben am         gut. Das Problem kommt dann, wenn
20. Oktober 2010 beschlossen, dass wir         die Revision gemacht ist und sich die

                                                                                   im dialog 1/2015    13
Im Gespräch

Frage stellt, was man nun dafür be-           men, verlieren die anderen – sich da             Teilen Sie also den Optimismus von
kommt.                                        zu einigen, ist ein Ding der Unmöglich-          Herrn Gähler?
                                              keit, nicht?                                     CA: Nein, ich teile ihn nicht.
Also geht es um Verteilkämpfe – und da        EG: Nein, dieser Meinung bin ich nicht. Ich
beginnt die Uneinigkeit. Das wurde ja         bin optimistisch.                                Dann müssen wir jetzt aber mal die Rolle
auch deutlich, als der Bundesrat letztes                                                       der Versicherer anschauen. Sie treten
Jahr die Verordnung in Kraft setzte.          Teilen Sie diesen Optimismus, Herr               ja auch nicht gerade geschlossen auf. Aus-
EG: Jein. Was der Bundesrat gemacht           Affolter?                                        gerechnet die CSS hat sich, zusammen
hat, war schlichtweg eine lineare Kürzung     CA: Es ist doch wie bei streitenden              mit drei anderen Kassen, aus der Santé-
bei den Spezialisten.                         Kindern: Wenn man ihnen so viele Süssig-         suisse verabschiedet und Curafutura
                                              keiten auf den Tisch legt, dass alle             gegründet. Ein gespaltener Verhandlungs-
Mit gleichzeitiger Besserstellung der         genug haben, hat man den Frieden. Wenn           partner macht es für die andere Seite
Hausärzte.                                    man das Gut verknappt, gibt es Ge-               auch nicht gerade einfach …
EG: Was der Bundesrat mit seiner              winner und Verlierer.                            CA: Das stimmt, wir sind auch gespalten.
linearen Kürzung gemacht hat, war, die                                                         Und wir von der CSS, da haben Sie recht,
technische Leistung – also die Abgel-         Aber dann bleibt ja das Problem, es gibt         haben die Spaltung sogar vollzogen. Jetzt
tung für die Infrastruktur – bei vielen       ja nicht mehr zum Verteilen.                     haben wir zwei Verbände, und im Rah-
TARMED-Kapiteln um 8,5 Prozent zu sen-        CA: Das ist unbestritten so. Aber ich be-        men der Tarifverhandlungen mit der FMH
ken. Mit einem Grossteil der technischen      haupte jetzt mal: Es ist genug Geld im           haben wir eine ganz andere Position
Leistungen werden aber nichtärztliche         System, es ist einfach nicht richtig verteilt.   als die Santésuisse. Sie hält an der Kosten-
Löhne, also beispielsweise die Löhne der      Wenn ich nur zum Beispiel an meinem              neutralität fest, ist also der Meinung,
Praxisassistentinnen, abgegolten. Die         Wohnort schaue: Da haben in den letzten          dass nichts eine Kostenauswirkung haben
hatte man in der Tarifstruktur seit 15 Jah-   zwei Jahren im Umkreis von zehn Kilo-            darf. Das hat in den letzten Jahren zu
ren nicht angepasst, als Hausarzt habe        metern drei Grosspraxen, beinahe schon           einer massiven Blockade geführt. Cura-
ich also jede Lohnerhöhung in den letzten     Ambulatorien, ihre Türen geöffnet –
Jahren aus der eigenen Tasche bezahlt.        und zwar mit je 10 bis 15 Ärzten, Grund-
Und jetzt kommt der Bundesrat und senkt       versorgern und Spezialisten. Da habe
diese Löhne um 8,5 Prozent und be-            ich schon den Eindruck, dass der ökono-
hauptet dann auch noch, das sei «sachge-      mische Anreiz offensichtlich immer
recht». Das geht doch nicht auf! Das          noch gross genug sein muss, um ein sol-
ist unser Problem!                            ches Risiko einzugehen. Aber natür-              «Es ist genug Geld im
                                              lich kann ein Arzt mit einer Einzelpraxis im     System, es ist einfach
Aber das zeigt ja genau, wie schwierig es     Puschlav unter den gleichen Bedingun-
ist, in diesen Fragen eine Einigkeit          gen nicht gleich wirtschaftlich arbeiten.        nicht richtig verteilt.»
zu finden. Wenn die einen mehr bekom-         Der Verteilkampf wird also bleiben.              Christian Affolter

14   im dialog 1/2015
Im Gespräch

                                                 sicherer, verhindern nämlich genauso            Das freut mich. Sie wären also auch
                                                 eine Lösung!                                    bereit für Verhandlungen, Herr Affolter?
                                                 CA: Natürlich ist es für die Partner, die       CA: Ja.
                                                 bis jetzt mit einem Verband verhandelt
                                                 haben, nicht einfach, jetzt plötzlich           Erlauben Sie mir, zum Abschluss noch
                                                 mit zwei Verbänden konfrontiert zu sein.        eine grundsätzliche Frage zu stellen. Wie
                                                 Andererseits stehen wir auch für ein            war es möglich, dass nur zehn Jahre
                                                 wettbewerbliches System ein, und im             nach Einführung des TARMED der Revisi-
                                                 Wettbewerb muss man in der Lage                 onsbedarf und gleichzeitig die Un-
                                                 sein, mit zwei Partnern zu verhandeln.          einigkeit darüber so gross sein können?
                                                 EG: Ich muss Ihnen den Vorwurf machen,          EG: Das Problem ist, dass die Strukturen
                                                 dass die Curafutura seit einiger Zeit           nicht zehn Jahre, sondern fünfzehn
                                                 unkompliziert die Revision hätte mit-           und mehr Jahre alt sind. In dieser Zeit hat
                                                 gestalten können, aber dass Sie sich            sich vieles verändert: die Versicherungs-
                                                 überhaupt nicht bewegt haben.                   prämien, die Mieten, die Löhne. Das muss
                                                                                                 man alles aktualisieren. Und dann haben
                                                 Warum nicht, Herr Affolter?                     sich auch die medizinischen Leistungen
                                                 CA: Es ist eine Pokerrunde. Da gibt es          verändert, und es kamen neue dazu.
                                                 eine Gruppe, die schon länger zusam-
                                                 menarbeitet, eine «closed user group»           Hat man also bei der Einführung des
                                                 sozusagen, und jetzt kommt da ein               TARMED schlicht nicht vorausgeschaut
                                                 neuer Player dazu, und der soll einfach zu      und ein zu unflexibles Modell kreiert?
                                                 den bestehenden Bedingungen mit-                EG: Nein, eher hat man im Schluss-
                                                 spielen? Nein! Wir wollen zuerst zum            spurt überschnell eine unausgereifte Lö-
                                                 Beispiel wissen, wie die Strukturen             sung präsentiert.
                                                 und Kostenmodelle aussehen. Und wir             CA: Eine hässliche Sache.
                                                 hätten gerne Kostendaten der Ärzte,             EG: Da gibt es schon einiges auszubügeln.
                                                 denn wir denken wettbewerblich. Wir             CA: Und kommt dazu, dass es um ein
                                                 orientieren uns an denen, die die               Milliardenbusiness geht. Da ist so viel Geld
                                                 besten Geschäftsstrukturen haben, die           drin, dass es sich lohnt, auch nur kleinste
                                                 anderen sollen selber sehen, wie sie            Schrauben zu drehen. Und klar, dass
futura möchte konstruktiv und lö-                sich durchschlagen. Wir brauchen also           das dann Zwist gibt.
sungsorientiert an die Verhandlungen             Transparenz über diese Daten.
herantreten ...                                                                                  Und Sie denken, dass Sie sich trotzdem je
                                                 Und die haben Sie bislang nicht?                einigen werden?
… was die Santésuisse nicht macht?               CA: Die haben wir bislang nicht!                CA: Ich bin wie immer optimistisch.
CA: Was die Santésuisse bis heute nicht
macht. Sie beharrt auf der Kostenneu-            Das heisst, Sie spielen den Ball wieder         Wenn nur die Ärzte mitmachen?
tralität, und das ist für die Leistungserbrin-   zurück an die Ärzte. Diesmal verhindern         CA: Nein, alle müssen ihren Teil dazu
ger ein No-go.                                   Sie eine Lösung, weil Sie intransparent         beitragen und sich bewegen.
                                                 sind, Herr Gähler.
Das stelle ich mir für Sie wiederum nicht        EG: Ich möchte betonen, dass wir immer
sehr einfach vor, Herr Gähler – mit              gesagt haben, dass wir die Curafutura
zwei Verbänden statt mit nur einem zu            bei den Verhandlungen als gleichwertigen
verhandeln?                                      Partner dabeihaben möchten. Das Pro-
EG: Das macht uns das Leben natürlich            blem war zunächst, dass die Santésuisse
sehr schwer. Wir vier ursprünglichen Ver-
handlungspartner, also FMH, H+, MTK
                                                 das nicht wollte, weil die Curafutura
                                                 aus ihrer Sicht kein Partner ist. Und be-
                                                                                                 —
                                                                                                 Patrick Rohr arbeitet als Journalist, Fotograf
und Santésuisse, wollten im Zuge der Re-         züglich der Transparenz der Daten:              und Kommunikationsberater. Bis 2007 war
vision eine Nachfolgeorganisation für            Alle diejenigen, die bei dieser Tarifstruktur   er Moderator und Redaktor beim Schweizer
TARMED Suisse gründen, die künftig für           mitarbeiten, haben Einblick in die              Fernsehen (u.a. «Arena», «Quer»).
die Umsetzung der Tarifstruktur verant-          Daten. Da die Curafutura noch gar nicht
wortlich sein soll. Im Sommer 2013 unter-        irgendwo eingetreten ist, können wir
schrieben alle vier Partner eine Absichts-       ihr auch keinen Einblick ermöglichen.
erklärung, dass man bis Ende 2014 diese
Firma gegründet haben möchte. Und                Jetzt ist also die Frage, wer zuerst
dann hat sich Curafutura per 1. Januar           nachgibt?
2014 abgespalten, und seither gibt es            EG: Nein, das hat nichts mit Nachgeben
Spitzengespräche, ein grosses Hin und            zu tun!
Her – und Santésuisse blockiert die
Verhandlungen, weil sie Curafutura als           Doch, wenn die Curafutura bereit wäre
Partner nicht akzeptiert.                        zu verhandeln, dann würden Sie auch die
                                                 Daten liefern.
Dann dürfen Sie den Schwarzen Peter              EG: Ja, dann wären die Daten offen.
also nicht einfach so den Ärzten zu-             CA: Dann haben wir ja heute ein Problem
schieben, Herr Affolter. Sie, die Ver-           gelöst!

                                                                                                                         im dialog 1/2015   15
Persönlich

Wie wirkt sich der Tarifstreit zwischen dem Verband physioswiss und
den Krankenversicherern auf den Alltag eines Physiotherapeuten
aus? Peter Ziegler, der in Altdorf (UR) eine Praxis führt, gibt Auskunft.
Von Manuela Specker

«Auf Kosten der Qualität»

                        P          eter Ziegler erinnert sich, als ob es gestern
                                   gewesen wäre. Im Jahr 2000, zu Beginn
                                   seiner vierjährigen Ausbildung zum Phy-
                                   siotherapeuten, bekam er vom damali-
                                   gen Ausbildungsleiter zu hören, dass ihre
                        Berufsgattung am Ende der Ausbildung rund zehn
                        Prozent mehr verdienen würde. Tatsächlich jedoch
                                                                                   schaft etwas bewegte. Heute streiten sich der Verband
                                                                                   physioswiss und die Krankenkassen CSS, Helsana, KPT
                                                                                   und Sanitas um die Tarife.

                                                                                   Gleiche Behandlung, verschiedene Tarife
                                                                                   Für Peter Ziegler bedeutet die gegenwärtige Situation,
                                                                                   dass er bei Patienten, die er über Krankenversicherer
                        mussten 14 Jahre vergehen, bis sich in der Tarifland-      abrechnet, zwei verschiedene Tarife anwenden muss.

16   im dialog 1/2015
Persönlich

         Solange es nicht rückwirkend zu Anpassungen kommt,           müssen den Krankenversicherern und der Gesellschaft
         generiert das keinen Mehraufwand. Doch für die Prak-         vielmehr zeigen, dass unsere Arbeit mehr wert ist», so
         tizierenden sind die verhärteten Fronten befremdend.         Peter Ziegler.
         «Wie ist es möglich, dass man sich über eine so lange            In der Tat lehnen CSS, Helsana, Sanitas und KPT
         Zeit nicht einigen kann?», fragt sich der Physiotherapeut.   die Forderungen von physioswiss nicht deshalb ab,
              Peter Ziegler hat aber noch keine Sekunde lang          weil sie den Physiotherapeuten partout keine höheren
         bereut, diesen Beruf ergriffen zu haben. Seit bald vier      Tarife vergüten möchten. Vielmehr verlangen sie als
         Jahren ist er selbständig und beschäftigt mittlerweile       Grundvoraussetzung für eine Tarifanpassung eine ak-
         zwei Mitarbeiterinnen in seiner Praxis in Altdorf. Der       tualisierte Tarifstruktur. Denn die Forderungen der Phy-
         Grund seiner Berufswahl liegt in eigenen positiven           siotherapeuten nach Abbildung ihrer Qualifikationen,
         Erfahrungen: Beim Snowboarden brach er sich beide            sachgerechten Kosten und zeitgemässen Geschäfts-
         Ellbogen. «Ohne Physiotherapie wäre der Heilungspro-         modellen machen das unumgänglich.
         zess nicht so reibungslos verlaufen», so der 37-Jährige.
         Nun ist es für ihn eine grosse Genugtuung, anderen           Hohe Verantwortung, viel Autonomie
         Menschen zu helfen. «Ich erfahre sehr viel Wertschät-        Die Freude am Beruf lässt sich Peter Ziegler durch die
         zung von meinen Patienten.»                                  Tarifstreitigkeiten nicht nehmen. «Es ist für mich jedes
                                                                      Mal eine grosse Genugtuung, etwas dazu beizutragen,
         Physiotherapie anstatt Operation                             die Lebensqualität meiner Patienten zu erhöhen.» An-
         Mit einer korrekten Behandlung kann der Physiothe-           sporn sind für ihn auch die hohe Verantwortung und
         rapeut unter Umständen nachfolgende Operationen              Autonomie. «Es gibt so viele
         verhindern, oder er verhilft den Patienten zu mehr           Richtungen, in die man sich als
         Bewegungsfreiheit. Die positiven Auswirkungen dieser         Physiotherapeut vertiefen kann.     «Wir müssen
         Arbeit sind allerdings längst nicht immer im Sinne der       In der Arbeit mit den Patienten
         «evidence-based medicine» objektiv messbar. Darin            entscheide ich dann selber,
                                                                                                          den Krankenver-
         ortet Peter Ziegler einen möglichen Grund, warum die         welche Behandlung am ehes-          sicherern und
         Physiotherapeuten schon so lange nach dem gleichen           ten zum Ziel führt.» Physiothe-
         Tarif verrechnen müssen. Einen anderen Grund sieht           rapeuten müssen ein grosses
                                                                                                          der Gesellschaft
         er darin, dass die Physiotherapie einst ein klassischer      medizinisches Wissen mitbrin-       zeigen, dass
         «Frauenberuf» war und somit nicht als Haupteinnah-           gen und schnell erfassen, wo
         mequelle angeschaut wurde. Der Netto-Stundenlohn             die Hauptquelle des Problems
                                                                                                          unsere Arbeit
         eines Physiotherapeuten liegt heute bei rund 33 Fran-        liegt. Rückenschmerzen bei-         mehr wert ist.»
         ken. «Den Physiotherapeuten fehlt eine starke Lobby»,        spielsweise können viele Ursa-
         ist Peter Ziegler überzeugt.                                 chen haben, manchmal spielen
                                                                      auch psychosoziale Faktoren mit hinein. «Darum soll-
         Unflexibles Vergütungssystem                                 ten Physiotherapeuten auch über eine hohe Sozial-
         Irritierender als die Tatsache, dass sich Verband und        kompetenz verfügen», so Peter Ziegler.
         Krankenversicherer nicht auf einen Tarif einigen kön-            Er hofft, dass der vertragslose Zustand bald der Ver-
         nen, ist für Peter Ziegler die Starrheit des Vergütungs-     gangenheit angehört, sonst müsse man sich längerfris-
         systems. Unter den geltenden Tarifen kann ein Patient        tig Sorgen um die Zukunft des Berufsstandes machen.
         kaum länger als 30 Minuten behandelt werden, wenn            Gerade wegen der Einkommenssituation kommt es
         eine Praxis wirtschaftlich funktionieren soll. Möch-         schon heute immer wieder vor, dass Physiotherapeu-
         te ein Physiotherapeut heute also mehr verdienen,            ten dem Beruf den Rücken kehren.
         müsste er die reguläre halbstündige Behandlungszeit
         verkürzen, um mehr Patienten aufnehmen zu können.
         Das kommt für Peter Ziegler aber nicht in Frage. «Ich
         will ganz einfach das Beste für meine Patienten errei-
         chen und hinter meiner Arbeitsweise stehen können.»
              Das unflexible Vergütungssystem werde auch den
         Qualitätsansprüchen einzelner Physiotherapeuten nicht
         gerecht. «Ein Physiotherapeut, der sich laufend fort-
                                         bildet und dadurch auf
                                         eine breitere Palette an
In Kürze                                 Behandlungsmethoden
                                         zurückgreifen kann, ver-
• Der Verband physioswiss                dient gleich viel wie je-
  und die Krankenver-                    ner, der sein Wissen le-
  sicherer stehen im Clinch              diglich im Rahmen der
  wegen der Tarife.                      minimal erwarteten Aus-
                                         bildungstage erweitert.»
• Notwendig für die leis-                Das gehe langfristig auf
  tungsgerechte Vergütung                Kosten der Qualität. Es
                                         sei deshalb der falsche
                                                                      —
                                                                      Peter Ziegler arbeitet seit zehn Jahren als Physio-
  ist die Entwicklung einer
                                         Weg, in dieser verworre-     therapeut, vier Jahre davon selbständig in seiner
  neuen Struktur.                        nen Situation Stimmung       Praxis Physiotherapie Ziegler in Altdorf (UR). Er hat
                                         gegen die Krankenversi-      ursprünglich Offsetdrucker gelernt und einst
• Physiotherapeut Peter                  cherer zu machen. «Wir       einen Wintersportshop geführt.
 Ziegler sieht die
 Zukunft des Berufsstan-
 des in Gefahr.
                                                                                                                       im dialog 1/2015 17
Santé!

                                                                                                                       Wolf im Schafspelz – Schaf im Wolfspelz. Ein Verwandlungskunststück, 2005/10. Zwei Tier-­Präparate – ein Wolf, 92 × 136 × 32 cm, und ein Schaf, 84 × 136 × 30 cm – als Interpretation von Matthäus 7,15, auf Holzsockeln.
             «Will der Staat unsere
             Gesundheit oder unser Geld?»

                                W                     ir Eltern sind für unsere Kinder da, solange sie unmündig
                                                      sind. Wir entscheiden von der Zahnspange bis zur Impfung.
                                                      Meine Tochter hat sich sogar für mein Tattoo-Verbot
                                                      bedankt, als sie volljährig wurde. Väterchen Staat hat seine
                                                      Rolle hingegen von mündigen Bürgern erhalten. Es ist
                                somit nicht erstaunlich, dass die gut gemeinten Ratschläge des Staates prak-
                                tisch nie von seinen mündigen «Kindern» befolgt werden. Seine Top-down-
                                Empfehlungen zu Ernährung und Gesundheit haben bislang wenig gefruchtet.
                                     Der neueste Schildbürgerstreich, welcher die staatliche Bemutterung
                                illustriert, ist die E-Zigarette. Es gibt genügend wissenschaftliche Daten, die
                                belegen, dass das Dampfen 100 bis 1000 Mal weniger schädlich ist als das
                                Rauchen. Tausende von Schweizer Rauchern haben ihr Laster zugunsten des

                                                                                                                       Realisation: Werner Beckmann, LWL – Museum für Naturkunde, Münster Kunstmuseum Ahlen. Foto: Berenika Oblonczyk
                                Wasserdampfs mit etwas Aroma aufgegeben. Die allermeisten Ex-Raucher
                                möchten hingegen noch Nikotin im Dampf haben, weil sie schliesslich bereits
                       —
           Beda M. Stadler,
                                abhängig sind. Das ist verständlich und auch nicht schlimm, schliesslich
                                verursacht Nikotin keinen Krebs und keine wirklichen Organschäden.
     geboren 1950 in Visp            In allen umliegenden Ländern kann man die nikotinhaltigen Flüssigkeiten
       (VS), ist emeritierter
                                zum Dampfen kaufen, nicht so in der Schweiz. Man darf sie zum Eigengebrauch
         Professor und war
  Direktor des Instituts für    importieren, aber nicht mehr als 150 Milliliter in 60 Tagen und nicht mehr als
           Immunologie an       zu einem Wert von 62 Franken, ansonsten droht Strafe. Der Schildbürgerstreich
   der Universität Bern. Er     kommt übrigens von einem Staat, der selber den Tabakanbau subventioniert.
      ist bekannt für seine          Der Staat will das Rauchen verbieten, weil es
     bissigen Aussagen zu       ungesund ist. Würde ihn die Gesundheit der Raucher
             medizinischen      wirklich interessieren, hätte er längst die E-Zigarette    Würde ihn die Gesund-
  sowie gesundheits- und
              gesellschafts-
                                als weniger schädliche Alternative empfohlen. Tut er       heit der Raucher wirklich
                                es vielleicht nicht, weil er sich mit mehr als der
      politischen Themen.
                                Hälfte des Zigarettenpreises bereichert und damit die      interessieren, hätte
                                 AHV und IV unterstützen kann? Als ob noch nicht           er längst die E-Zigarette
                                genug abgezockt wäre, schuf er den Tabakpräventions-
                                fonds, welcher durch die Abgabe von 2,6 Rappen             empfohlen.
                                pro verkaufte Zigarettenpackung finanziert wird. Die
                                staatliche Tabakprävention verfügt somit über rund 13,5 Millionen Franken.
                                Vielleicht ist die Abnahme der Anzahl Raucher also gar nicht diesem immensen
                                Propaganda-Aufwand zuzuschreiben, sondern mündigen Bürgern, die jetzt
                                lieber dampfen, trotz Behinderung durch den Staat?
                                     Da kein Beamter sich bislang die Mühe gemacht hat, herauszufinden, wie
                                viele der Ex-Raucher dank dem Dampfen vom Laster losgekommen sind, ist
                                dies zumindest ein Beleg dafür, dass Väterchen Staat mehr an unseren Steuern
                                als an unserer Gesundheit interessiert ist.

                                  twitter.com/CSSPolitik

  18     im dialog 1/2015
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