DIE ADELSFAMILIE SCHWARZENBERG - Eine Frau, Anna Neumann von Wasserleonburg, legte den Grundstein für den Aufstieg einer Dynastie und erntete ...
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400 JAHRE SCHW ARZEN BERG IN MURAU. DIE ADELSFAMILIE SCHWARZENBERG Eine Frau, Anna Neumann von Wasserleonburg, legte den Grundstein für den Aufstieg einer Dynastie und erntete dafür die männliche Erbfolge.
DIE ADELSFAMILIE SCHWARZENBERG Eine Frau, Anna Neumann von Wasserleonburg, legte den Grundstein für den Aufstieg einer Dynastie und erntete dafür die männliche Erbfolge.
2 3 INHALT 43-47 DAS GRAB DER GRÄFIN < Freche Störung einer Toten? 1859 ließ ein Forscher den Sarg der Anna Neumann öffnen. 48-53 DIE STIMME DES KAISERS 4-7 VORWÖRTER Diplomat Georg Ludwig heiratete eine Greisin. Thomas Kalcher und Ernst Wachernig zu Intentionen, Ihr Geld verhalf ihm zur Spitzenkarriere. > Murau in das strahlende Licht des Interesses zu stellen. 54-57 / 64-65 BRÜDER AN DER MACHT Ministerpräsident, Grundherr, Kirchenfürst: die Schwarzenberger Felix, Johann Adolf II. und Friedrich. 58-63 POSTER: DIE DYNASTIE AUF EINEN BLICK 66-67 WOHER DIE HÖFE KOMMEN Grundentlastung und Kredit im 19. Jahrhundert – und das wahre Problem der Bauern: Schulden! 8-21 MURAU - EINE ZEITREISE 68-71 HEILLOS VERSCHULDET ... Von Eisen und Bier, Frieden und Krieg, Für Finanzfreunde: Grundentlastung und Schuldenlast – Rebellion und Freiheit: eine turbulente ein Beispiel aus der Region Murau. Ortsgeschichte. 22-27 MACHT UND MINNE 72-77 EIN FÜRST IM FORSTHAUS Über 300 Jahre lang herrschten die Adolph Schwarzenberg – vom Märchenprinzen an der Liechtenstein über Murau. Ihr Unter- Moldau zum „Prince of Katsch an der Mur“. gang begann mit „Verrat“ am Kaiser. > 78-81 / 88-91 KAREL, DER LANDEDELMANN 28-33 DIE NEUMANNIN Murau steht wie kein anderer Ort für den österreichischen < Unheimliche Frauenkraft, aber ver- Privatmann Karel Schwarzenberg. > mutlich keine Hexerei: Die Herrin von Murau, Anna Neumann. 82-87 POSTER: DIE SCHWARZENBERG-PLAYER 94-105 GLAUBENSKAMPF UM MURAU Von kriegerischen Bauern, kirchlichen 34-39 POSTER: ANNA NEUMANN Ermittlern und Geheimprotestanten. 40-42 DIE BANKERIN IHRER ZEIT 106-107 LITERATURVERZEICHNIS Anna Neumann war Steiermarks größte Kreditgeberin. 107 BILDQUELLEN Ihr System verrät viel über die damalige Wirtschaft. 110 NÄCHSTE AUSSTELLUNG 111 AUTOREN 112 IMPRESSUM
4 5 THOMAS KALCHER Bürgermeister Also geht Murau verstärkt Richtung Kultur. Die Murauer Kulturvereinigung, die Operet- AUF IN RICHTUNG HORIZONT! te und das Murau International Music Festival weisen diesen Weg bereits seit langem, selbstverständlich auch unsere Stadtmusikkapelle und der Musikverein Laßnitz, die „400 JAHRE SCHWARZENBERG“ IST EIN MURAUER WEGWEISER. Bürgergarde oder die Liedertafel Murau. Und dazu setzen wir nun Ausstellungen, die KULTUR UND WIRTSCHAFT VEREINEN SICH. zusätzlich Gäste in unsere Stadt bringen werden. ALLE ZWEI JAHRE EINE AUSSTELLUNG E rlauben Sie mir einen Blick in die jüngere Vergangenheit unserer Stadt Murau und un- seres Bezirkes. Etwa in das Jahr 1995 und die Folgejahre bis 2002. Es war dies die Zeit der Landesausstellung „Holzzeit“ und der Holz-Symposien danach. Erfolgreiche Jahre – alleine Was heuer mit „400 Jahre Schwarzenberg in Murau“ beginnt, wird in den Jahren 2019, 2021 und 2023 mit den Themen Bier, Kultur sowie Handel- und Handwerk fortgeführt. 1995 haben unsere Region in der Ausstellungszeit von Mai bis Oktober mehr als 200.000 Ein Themenkanon, der, vielfältig in Szene gesetzt, das Interesse an unserer schönen Gäste besucht, Holz erwies sich als Publikumsmagnet. Dann 2012 – die Regionale XII. Stadt wecken wird. Übrigens nicht nur für unsere Gäste, wohl auch für uns selbst. Auch bei diesem Kulturfestival, dem Nachfolger der klassischen Landesausstellungen, stand Murau im Fokus, jedoch bei weitem nicht so intensiv. Wenige 10.000 haben uns be- Ja, das haben wir vor – und diesen Weg werden wir beschreiten. Mich freut dabei beson- sucht zu „Treibholz – Landschaft in Bewegung“. Der Mitteleinsatz dafür war enorm. ders das Gemeinsame, das schon nach wenigen Monaten der Vorbereitung in unserer Stadt zu spüren ist. Klarerweise gibt es auch jene, die noch zu überzeugen sein werden Doch wollen wir nicht nach der Besucherzahl und momentanem Erfolg werten. Allerdings von diesem Vorhaben. Deswegen schauen wir uns ab 17. Juni den ersten Kulturrundgang ist heute klar, dass die Nachnutzung damals nicht konsequent genug verfolgt wurde. Der in unserer Altstadt an, lassen diesen wirken und blicken dann Richtung 2019. Grund dafür lag wohl auch in der Struktur des Bezirkes. Viele Gemeinden, viele Entschei- dungsträger, noch mehr Interessen … DIE FINANZEN MÜSSEN PASSEN WIR SCHAUEN IN DIE ZUKUNFT Eine solide finanzielle Basis ist Bestandteil eines guten Projektes. Aufbauend auf freund- schaftlichen Beziehungen war es möglich, neben der finanziellen Eigenleistung der Stadt Damit genug zur Vergangenheit, der Grund dafür ist einfach: Die Lösungen liegen in der Murau, auch Unterstützer zu gewinnen. Diese Partner sind die Steiermärkische Bank und Gegenwart und in der Zukunft. Aus diesem Grund hat der Murauer Gemeinderat das Heft Sparkasse, die Brauerei Murau sowie der Landeshauptmann von Steiermark, Hermann in die Hand genommen, um die Stadt aktiv weiter zu entwickeln – mit dem Thema Kultur. Schützenhöfer. Ich bin allen sehr verbunden und auch hoffnungsvoll, dass sich die Zu- sammenarbeit in den kommenden Jahren intensivieren wird. Unsere Stadt ist eine wirtschaftlich erfolgreiche. Zahlreiche Unternehmer zeigen in Murau ihr Geschick, viele Mitarbeiter tragen ihr Bestes zu allen Erfolgen bei. Die Verwal- 400 JAHRE SCHWARZENBERG IN MURAU tung der Stadt selbst wird effizient geführt – durchaus nach kaufmännischen Kriterien. Damit haben wir eine solide finanzielle Basis, Murau Schritt für Schritt zu entwickeln. 1617 heiratet die betagte und wohlbestallte Stadtherrin Anna Neumann den jungen Ge- org Ludwig Graf zu Schwarzenberg und begründet eine Dynastie, die Murau bis heute WIR SETZEN AUF KULTUR verbunden ist. So danke ich der Familie Schwarzenberg für die angenehme Zusammenar- beit im Zuge der Vorbereitung unserer Ausstellung. Nun zur Kultur: Sie ist ein Schlüssel zu Erfolg und Wohlbefinden. Überall dort, wo es feinsinnig zugeht, fühlen sich die Menschen wohler und fühlen sich angezogen. Darauf Erstmals seit 400 Jahren wird Schwarzenberg in der Stadt Murau groß präsentiert. Mit bauen auch wir in Murau! Inspirierende Kultur, tolle Unternehmen, bürgerfreundliche einem Konzept, dass die Geschichte der Schwarzenberg mit jener der Stadt verwebt, auf- Stadtverwaltung, ein natürliches Umland und eine insgesamt entspannte Stimmung. bereitet von Ernst Wachernig (Intendanz) und Mag. Ulrike Vonbank-Schedler (Kuration). Kultur ist ein „Inhalt“, der zusehends in den Hintergrund geschoben worden ist. Im Zuge Gemäß dem Wappenspruch des jubilierenden Fürstenhauses Schwarzenberg „Nil nisi von Finanz- und Wirtschaftskrisen wurde auf vieles geachtet, nicht jedoch auf die Ab- rectum“ soll auch für Murau gelten: Nur geradeaus, aufregenden Jahren entgegen! sicherung und Ausweitung der Budgets für Bildung und Kultur. Ein Fehler der politisch Verantwortlichen, wie ich meine, der auf Dauer nicht guttut. Nicht der Seele, nicht dem Lernen Sie Murau kennen und lieben! ¡ Hirn. Nicht der Wirtschaft, nicht unserem Zusammenleben.
6 7 ERNST WACHERNIG Intendant Murau beginnt seine Emotionen rauszuhauen. DIE SEELE BRAUCHT DAS KULTUR ENTFACHT WIRTSCHAFT KULTUR IST MORAL. UND WÜRDE DIE MORAL UNTERGEHEN, DANN GEHT ALLES SAUSEN. Kann Kultur das leisten? Kann sie Wirtschaft entfachen? Die Antwort darauf lautet: Ja. Denn (sehr oft) dort, wo man mit Kultur von sich reden macht – mit Musik, Theater und weiteren feinsinnigen Spielarten – floriert auch das Ökonomische. Denn Wirtschaft wird L asst uns nachdenken, lasst uns etwas festlegen. Und dann hauen wir unsere Emotio- nen raus. Dann stellen wir uns in ein Licht, das uns behagt. In ein Licht, das auch vielen anderen gefallen sollte. umso glaubwürdiger, wenn es gediegen zugeht. Vor diesem Hintergrund ist ein Kul- tur-Investment auch Wirtschaftsförderung. Dies impliziert freilich nicht, dass die pure Förderung der Wirtschaft, die direkte Geldinjektion in Wirtschaftsstandorte und Unter- nehmen, durch Kultursponsoring ersetzt werden könnte. Murau hat also nachgedacht. Dazu: herzliche Gratulation! ZUM EINSTIEG ALSO SCHWARZENBERG Ein Bürgermeister, ein Stadtrat, ein Gemeinderat, die Bürgerinnen und Bürger – sie ha- ben sich als Team immer aufs Neue zu finden, haben gemeinsam Trainingsmethoden zu Und oben auf dem Bergerl, da steht a … Schloss (mit Kapelle). Die Murauerinnen und entwickeln, die gute Resultate bringen. Resultate, die Zufriedenheit nach sich ziehen. Murauer werden, gemeinsam mit ihren Gästen, einen erfrischend neuen Blick für die Resultate, aus denen sich ein „Ruhepolster“ weben lässt, auf dem der Geist sich erholt, Entwicklung der „Perle an der Mur“ entwickeln. Die Stränge des Werdens einer Stadt um die Zukunft zu denken. Manchmal träumerisch, manchmal real, doch immer zu einem und ihrer Parallelstruktur, des Adelshauses, werden mithilfe einer Ausstellung zu einem Ziel führend. Gefüge, mit wesentlichen und scheinbar weniger wesentlichen, kleinen und großen Szenen. In der Altstadt, entlang der Mur und im Schloss Murau. Die Zufriedenheit ist ein inspirierender Motor. Die Selbstzufriedenheit wäre ein solcher nicht. 2019 – EIN JAHR, IN DEM MURAU IHR BIER SEIN WIRD MURAU, DIE „PERLE AN DER MUR“ Sollten wir uns in zwei Jahren wieder in Murau treffen, dann wird Ihnen Bier kredenzt. Murauer Bier sowieso, aber auch „Bier“ als Festival, bestehend aus Musik, Theater und „Perle an der Mur“, so schlicht kann kitschig klingen … Die süffige Stadt des Murauer weiteren feinsinnigen Spielarten … Ich spüre schon, darauf freuen wir uns gemeinsam. Bieres, die erfolgreiche Enklave der Alternativenergie, die (selbst-) vergessene Holzstadt, die Ansiedlung des Handels und des Gewerbes, das lebendige Zentrum von Künstlern und UND NUN: HERZLICHEN DANK! Kunsthandwerkern, das steirische Städtchen mit einer Altstadt aus dem Mittelalter und mit großartiger Architektur der Gegenwart. Wenn die Stadt Murau zwei Einheimischen die Gestaltungsverantwortung für biennale Ausstellungen und Kulturspaziergänge überträgt, dann darf ich mich dafür bedanken. Murau hat nachgedacht. Hat dabei versucht, aus Vergangenem das Nächste zu denken. Ich danke Mag. Ulrike Vonbank, die eine grandiose historische Aufarbeitung hingelegt Ohne Geschichte keine Zukunft. hat, die als Kuratorin sehr umsichtig agiert und die unkonventionelle Zugänge mit Freude zugelassen hat. Um mit Ulrike zu sprechen: Es ist fein gewesen. Und, Ulrike – Murau hat die Kultur für sich entdeckt. Freilich, seit Jahrhunderten leben Murauer „kulti- nicht nur mitunter ; ) viert“, nunmehr hinterlegt mit einem ästhetischen Programm. Die Themen, alphabetisch gereiht, heißen: Bier, Handel und Handwerk, Kunst und Kultur, Schwarzenberg. PS. Der Dank gilt auch den Handwerkern des Bauhofes Murau, die eine Ausstel- lung nicht nur aufbauen, sondern diese auch mitdenken. Die Installationen nicht In Biennalen nähert man sich Themen mit feinem Sinn und bereitet diese auf. Der Start nur montieren, sondern – etwa die blauen Schiff-Holz-Bloche in der Mur – auch heißt Schwarzenberg, die Umsetzung ist ein Kulturspaziergang. Die Begründung dafür ausschneiden. Peter Gruber, schön, dass Sie für einige Wochen aus der Pension zu- ist eine einfache – die Adelsfamilie ist seit 400 Jahren in Murau ansässig. rückgekehrt sind! ¡
8 9 Ulrike Vonbank-Schedler MURAU - EINE ZEITREISE VON EISEN UND BIER, FRIEDEN UND KRIEG, REBELLION UND FREIHEIT: EINE TURBULENTE ORTSGESCHICHTE. D as Feudalsystem, das im Wesentlichen bis zur Einführung der konstitutionellen Mo- narchie 1848 herrschte, war streng hierarchisch aufgebaut. Der oberste Landesherr überließ seinen militärischen Gefolgsleuten die Nutzung von Teilen seines Landes samt den darauf lebenden Bewohnern, die persönlich unfrei waren und herrschaftliches Land bestellten. Die Belehnten waren dem Höhergestellten dafür Kriegsdienst und Abgaben schuldig. Die Kette dieser Abhängigkeiten reichte bis zum König, der in der mittelalterli- chen Vorstellung Vasall Gottes war. Mit der Errichtung von Burgen und der Gründung von Märkten entstanden bis zu Beginn Bild links: Ältes- des 14. Jahrhunderts neue Zentralorte mit wirtschaftlichen und sozialen Sonderrechten, te Landkarte der die den Grundherren Prestige, den Bürgern Freiheiten und beiden Einnahmen brachten. Steiermark (Gegend um Murau ist weiß DIE LIECHTENSTEIN eingekreist). Wolf- gang Lazius, 1545 Ulrich von Liechtenstein (um 1200 –1275) gründete Murau als Handwerker- und Händler- siedlung im Bereich des heutigen Raffaltplatzes, mit einer Burg südöstlich vom heutigen Schloss. Die Lage an einer von Mur und Ranten durchschnittenen Talenge war strategisch ideal – sowohl zur Verteidigung als auch zur Kontrolle des Handels (Mauteinnahmen). Schon wenige Jahre nach der Gründung Muraus wurde die Burg von den Truppen des Böhmen-Königs Ottokar II. zerstört. Otto II. von Liechtenstein, der Sohn Ulrichs, ließ sie „von keiner besonderen Größe und auf altgothische Art“ wieder aufbauen. Während seiner Herrschaft erfolgte die Erweiterung der Stadt um den heutigen Schillerplatz. Hier wurde die Bevölkerung der älteren Kaufmannsiedlung St. Egidi angesiedelt. Auch der Bau eines wesentlichen Teils der Stadtbefestigung sowie der Baubeginn der Stadtpfarrkirche fallen in seine Herrschaftszeit. Ulrich von Liechten- stein (um 1200-1275). Buchmalerei Detail, 1298 verlieh Otto II. den Murauer Bürgern jene Rechte, die die Judenburger bereits hatten. 1305–1340, Heidelberger Zentrale Bereiche des Privilegs betrafen die Förderung des städtischen Handels sowie Liederschrift den Schutz und die Reglementierung des Handwerks (Vorläufer von Zunftord- (Codex Manesse) nungen) unter Berücksichtigung einiger sozialer Aspekte. Eine Vorschrift be- sagte, dass mehrmals im Jahr die Maße für Wein und Bier überprüft werden mussten, was darauf hindeutet, dass Bier schon damals verkauft und nicht nur für den Eigenbedarf hergestellt wurde. Das Privileg regelte Verwal- tungsstrukturen, Zivilrecht und Gerichtskompetenzen des Marktrichters ebenso wie Abgaben und Verpflichtungen der Bewohner an die Herrschaft. Es gewährte den Murauern Bürgerrechte und Freiheiten, die sie wesentlich von den Bauern der Umgebung unterschieden. Die meisten Murauer Bürger betrieben, zumindest zur Deckung des Ei- genbedarfs, auch Landwirtschaft. Dazu nützten sie sowohl Gärten in- nerhalb der Stadtmauern als auch Äcker vor der Stadt. Schon bei der Gründung des Marktes Murau waren den Bürgern Weiderechte und Holzservitute zugestanden worden, deren Umfang im Verhältnis zum Besitz stand.
10 11 Während der Herrschaft von Ulrichs Enkel, Otto III. (1311 – 1340), wurde die Stadt um den Neumarkt (St.-Leon- hard-Platz) auf der rechten Murseite erweitert, er und die Burg Grünfels wurden in die Befestigungsanlage einbezogen. So war auch der Zugang zur Straße durchs Laßnitztal und über den Priewaldsattel nach Kärnten bzw. St. Lambrecht gesichert. Murau hatte damit die Ausdehnung erreicht, die es im Wesentlichen bis ins 19. Jahrhun- dert beibehalten sollte. Otto III. stiftete laut Quellen die „Elisabethkirche und das Haus an der Langegasse“, in dem nicht nur Kran- ke, sondern auch gebrechliche und arbeitsunfähige Menschen aufge- nommen werden sollten – das Spital. Stadtansicht mit Auf Basis des Vertrags der steirischen noch bestehenden Städte gegen die Konkurrenz von Produzenten bzw. Händlern auf dem Land und von aus- Stadttoren um 1830. Lithografie, J. F. Kaiser, wärtigen Kaufleuten wurden in den 1430er-Jahren Zunftbestimmungen, die schon im Ansichten der Privileg von 1298 anklangen, ausgebaut. Sie förderten und schützten städtisches Hand- Steiermark werk und Gewerbe, zugleich unterwarfen sie diese strengen Regeln. Votivbild Äußerungen verschmolzen religiöse Vorstellungen mit Forderungen zur Abschaffung so- Brand in Murau. Ölbild, Mathäus Missernten und andere Katastrophen wie 1478 der Einfall von Heuschrecken, „so dick als zialer und wirtschaftlicher Missstände. Die Anhänger des protestantischen Bundes setz- Pichler, 1774, ob es schneite“, vernichteten die gesamte Vegetation, brachten Hungersnöte und stürz- ten sich, vom Westen kommend, bis in den Lungau durch. 1525 schloss die Stadt Murau Sparkasse Murau ten die Bauern in Schulden. Vor allem Bauern mit kleineren Höfen und wenig produktiven sich ihnen an und musste nach der Niederschlagung des Aufstandes durch die Truppen Flächen verarmten, gaben ihre Höfe auf und versuchten vermehrt, in Städte zu ziehen. des katholischen Landesherrn und späteren Kaisers Ferdinand II. Brandschatzungssteuer zahlen. In dieser Zeit, die darüber hinaus von Überfällen und kriegerischen Auseinandersetzun- gen mit Ungarn und Türken geprägt war, herrschte Niklas von Liechtenstein (1443–1487 Die Pest hatte zur Zeit des Aufstandes in Murau gewütet. Dazu kam, dass die alten und 1495–1499) über Murau. Er schloss während des Krieges der Habsburger gegen die Handelswege über die Alpen zu den Küstenstädten der Adria an Bedeutung verloren Ungarn einen Neutralitätsvertrag mit dem Ungarnkönig Matthias Corvinus ab, dem hatten, nachdem Ende des 15. Jahrhunderts der Seeweg nach Indien entdeckt worden Feind seines ehemaligen Vormunds Kaiser Friedrich III. Das führte letztlich zu seiner Ver- war. Der Fernhandel, von dem Murau seit langem profitiert hatte, lief seither über west- haftung und dem Verlust des Lehens Murau. europäische Hafenstädte. Noch bis ins 18. Jahrhundert war auf dem Torbogen von der Anna-Neumann-Straße zur Kirchengasse in lateinischer Sprache zu lesen, dass hier seit Kaiser Friedrich setzte seinen Hauptmann Balthasar von Thannhausen als Verwalter undenklichen Zeiten für Waren, die über den Berg vulgo Priewald und mit Pferden über ein und gab den Murauern etliche Privilegien, um sich ihrer Loyalität zu versichern. Sie die Höhe des Hofwaldes nach Italien gebracht wurden, kaiserliche Maut gezahlt worden durften zum Beispiel, mit Bezug auf das alte Eisenniederlassungsrecht, ein eigenes Haus sei. Das aber hörte im Jahr 1531 auf. als Niederlagsstätte kaufen und einrichten (Raffaltplatz Nr. 15, heute Brauereigebäu- de). Außerdem bewilligte der Kaiser einen zusätzlichen Markt, um der Stadt nach einem FRÜHE NEUZEIT Großbrand rascher zu neuen Einnahmen zu verhelfen. Die wirtschaftliche Situation der Stadt Murau war in der Frühen Neuzeit alles andere als Erst von Friedrichs Sohn Maximilian I. erhielt der inzwischen hoch verschuldete Niklas rosig. Um den Rückgang des Handels mit den Adriatischen Hafenstädten auszugleichen, das Lehen Murau zurück. Von den finanziellen Folgen dieser Untreue sollte sich Liechten- verlegten sich die Murauer stärker auf Handwerk und Gewerbe. Die Lodenerzeugung und stein-Murau nie mehr erholen. -verarbeitung sowie die Eisenverarbeitung in Hammerwerken wurden sehr wichtig, der Salzhandel blieb. Kriegshandlungen und plündernde Söldner bedrohten die Bevölkerung, die schon zur Abwehr der Türken mit einer neuen Steuer und höheren Forderungen der Grundherren Einen Teil ihrer Lebensgrundlage erwirtschafteten sich die Bürger durch Ackerbau und belastet war. Das führte schon im 15. Jahrhundert zu Unruhen. Mit der Reformation, Viehzucht beziehungsweise Milchwirtschaft. Dinge des täglichen Bedarfs, die sie nicht Luthers Idee „Von der Freiheit eines Christenmenschen" und seinen autoritätskritischen selbst produzieren konnten, lieferten ansässige Handwerker und Händler.
12 13 Die Vermögenserhebung (Gültschätzung) von 1542 Die Bevölkerung Muraus war vom Dreißigjährigen Krieg zwar nicht durch direkte zeigt, dass die Finanzverhältnisse der Murauer ex- Kriegshandlungen betroffen, hatte aber mit einer katastrophalen Geldentwertung, trem unterschiedlich waren: Drei Bürger besaßen hohen Kriegssteuern und ständigen Einquartierungsbefehlen zu kämpfen. Bis um 1600 über 1500 Pfund Pfennig, 34 Bürger zwischen 683 mussten auch die Murauer Bürger im Kriegsfall gewappnete Dienstleute und berittene Stadttor und 100, 68 zwischen 99 und 10 sowie drei Bürger Begleitpersonen, Fußknechte und Heerwagen stellen. Ab 1600 trat an die Stelle des all- südöstlich. unter 10. Außer den Bürgern wohnten 20 Knechte, gemeinen Landaufgebotes das Söldnerheer, das durch entsprechende Steuern finanziert Zeichnung Carl Haas Gesellen und Tagwerker in der Stadt, die kein Haus werden musste. besaßen und noch weniger Geld. Um den Wert dieser Vermögen zu veranschaulichen, seien zwei Beträge Der Dreißigjährige Krieg brachte das Ende des Eisenhandels in genannt, die bei der ca. 50 Jahre später stattfin- Murau. Der Stadtrichter Wallner schrieb 1770 dazu, dass „nur die denden Beerdigung der Anna Neumann anfielen: ledige Eisenniederlage geblieben“ sei. Auch der Weinhandel schlit- Ein Mittag- oder Abendessen für einen Diener der terte aufgrund der Armut der Bevölkerung und der zunehmenden Trauergäste kostete umgerechnet 36 Pfennig, ein Konkurrenz durch das Bier in die Krise. „Herrenfrühmal“ 144 Pfennig. Für ein Pfund Pfennig hätte ein Diener also rund sechs Mal essen, ein Herr Johann Adolf I., Reichsfürst zu Schwarzenberg, ließ 1657 in der eineinhalbmal frühstücken können. Gegend um Turrach nach Kupfererzen suchen. Gefunden wurden große Brauneisenvorkommen, für die er 1660 von Kaiser Leopold I. Im Mittelalter war es üblich, Almosen zu geben eine Konzession für Abbau und Verhüttung bekam. Zu dieser Zeit - nicht zuletzt um fürs eigene Seelenheil vorzu- gab es in Murau elf Hammerwerke an der Ranten und am Laßnitz- Murau von Westen sorgen. In der Frühen Neuzeit nahm die Armut bach, die zum Teil von Murauer Bürgern, zum Teil von Schwar- mit Neutor. aufgrund von Missernten, Hungersnöten, Seuchen, Kriegen sowie kaum vorhandener Al- zenberg betrieben wurden. Mit der Eisen- und Stahlverarbeitung Lithographie, V. Gunther, um 1840 ters- und Krankenversorgung zu. Die Einstellung den Armen gegenüber änderte sich. Mit hatten es einige Hammerherren-Familien seit dem 15. Jahrhundert Bettelverboten und Armenhäusern versuchte die Obrigkeit, sie aus der Öffentlichkeit zu Reichtum und politischem Einfluss in der Stadt gebracht. Auf- zu verbannen, ohne die Armut strukturell zu bekämpfen. Murau beschloss schon 1479, grund landesfürstlicher Anordnungen, alle Hämmer mit Eisen aus dass nur noch in der Kirche gebettelt werden dürfe. Nicht selten gehörten verwahrloste Leoben bzw. Vordernberg zu betreiben (die Einnahmen gingen an Waisenkinder, geistig Behinderte und Invalide zu den Insassen der Armenhäuser. Laut den Landesfürsten), kam es immer wieder zu Eisenknappheit und Stiftungsbrief hatte das Murauer Spital auch sozial-karitative Aufgaben - Arme wurden zu Stillständen der Murauer Hammerwerke. Um den Untertanen unterstützt, Findelkinder aufgenommen und „elende, ainfaltige Kinder“ auf Lebenszeit und der Stadt Murau zu neuem wirtschaftlichem Aufschwung zu versorgt. In Murau versorgten zum Teil auch Bruderschaften (Zünfte) ihre kranken, ver- verhelfen, wurde der Betrieb im inzwischen geschlossenen Eisen- armten, alten Mitglieder. werk in Turrach wieder aufgenommen. Als Anna, geb. Neumann von Wasserleonburg, verwitwet nach Hans Jakob Freiherr von AUFSTAND, PEST UND HUNGERSNOT Thannhausen, 1565 nach Murau kam, um Christoph von Liechtenstein zu heiraten, war die Herrschaft Murau hoch verschuldet. Anna, die das Einmaleins des Wirtschaftslebens Die Rebellion gegen die Willkür der Tabak-Monopolverwaltung, in von ihrer Mutter gelernt hatte, deren Alleinerbin sie war, kaufte 1574 die Herrschaft deren Verlauf 44 Bauern in Murau inhaftiert wurden, erreichte 1714 Murau samt Stadt und Hoheiten von den Liechtensteinbrüdern und war damit Herrin ihren Höhepunkt. 400 Soldaten wurden in Murau, St. Peter und von Murau. Sie brachte die von den Liechtenstein stammenden Weide- und Holzrech- Ranten einquartiert, um die Ruhe wiederherzustellen. Bürger und te der Murauer Bürger, die immer wieder zu Streitigkeiten geführt hatten, in eine neue Bauern mussten die Kompanie im Winter 1714/15 unterbringen und Form und teilte sie auf die damals 101 Bürgerhäuser auf. Durch die Möglichkeit, ihre Spar- verpflegen, was aufgrund der vorangegangenen Missernten und pfennige kapitalverzinst einzulegen, beteiligte sie ihre Untertanen am wirtschaftlichen der herrschenden Hungersnot eine schwere Belastung war. Erfolg. Sie veranlasste auch die Erweiterung des Spitals und die Ausstattung der Murauer Stadttor- Kirchen. 1715 brach die Pest in Murau so massiv aus, dass die Stadt abgesperrt wurde und man Rindermarkt [Friesacher Tor] und die Soldaten für die Pestwache einsetzte. Die im Lazarett und den Quarantäne-Hütten Armensündersäule. DER DREISSIGJÄHRIGE KRIEG außerhalb der Stadt untergebrachten Pestkranken konnten bald nicht mehr mit Lebens- Zeichnung Johann mitteln versorgt werden, da die Bauern aus Angst vor Ansteckung kein Getreide mehr in Gradt, 1868 Georg Ludwig Graf zu Schwarzenberg, der letzte Ehemann Anna Neumanns, war wäh- die Stadt lieferten. Die 187 Pesttoten des Pfarrgebiets Murau wurden auf dem Lazarett- rend des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) die meiste Zeit auf diplomatischen Reisen. friedhof bei Grünfels, im Stadtgraben vor dem Friesachertor, am Tieranger und nördlich Trotzdem ließ er ab 1628 das Schloss Murau in seiner heutigen Form bauen und stiftete des Gießübltores begraben. Auf die Murauer Wirtschaft wirkten sich die Seuche und die 1643 Kapuzinerkloster und -Kirche. Mit ihm erlosch 1646 die bayerische Linie der Schwar- Absperrung der Stadt katastrophal aus. 1717 wurde zum Dank für das Ende der Pest die zenberg. Sein Universalerbe wurde Johann Adolf I. aus der in Böhmen ansässigen nieder- Mariensäule vom Bildhauer Balthasar Brandstätter auf dem heutigen Schillerplatz er- ländischen Linie. Der Schwarzenberg-Besitz in Bayern und Böhmen war damals durch richtet. den Dreißigjährigen Krieg stark verwüstet, die steirischen Güter aber gehörten zu den ausgedehntesten und bestbewirtschafteten in der Steiermark.
14 15 MERKANTILISMUS Richtung Scheifling. Die Bevölkerung musste nicht nur höhere Kriegssteuern zahlen, sondern auch Lebensmittel, Heu und Hafer an die Franzosen abliefern. Die Bauern hatten Schon 1598 waren auf Befehl von Ferdinand II. protestantische Geistliche und Lehrer des danach fast keine Pferde und Ochsen mehr, was die Bestellung und Aberntung der Felder Landes verwiesen worden. Ab 1599 wurden protestantische Bürger aufgefordert, ihren sehr erschwerte. Glauben abzulegen oder binnen sechs Wochen das Land zu verlassen, 1628 erhielt der Bader-Bahnhofs- Adel dasselbe Ultimatum. Die Ausweisungen von Protestanten verursachten nicht nur Am 25. Dezember 1800 besetzten Franzosen die Stadt Murau, Anfang 1801 kam es zu brücke v. Süden, menschliche Tragödien, sie verringerten auch die Einwohnerzahl und schwächten damit Plünderungen und Ausschreitungen im oberen Murtal. Am 21. 1. 1801 schickte das Kreis- 1890 die Wirtschaftskraft der Region. amt Judenburg (dem Murau unterstellt war) eine Liste, wie viel jeder Bürger als Kostenersatz für die Verpflegung der feindlichen Truppen Um den Verlust weiterer „menschlicher Ressourcen“ ans feindliche Preußen zu verhin- abzuliefern habe. Auch 1804, im dritten Koalitionskrieg, waren fran- dern, schwenkte das Kaiserhaus unter Karl VI. (1685–1740) und Maria Theresia (1717–1780) zösische Truppen in der Steiermark. Nach dem Frieden von Preßburg zur Zwangsumsiedelung der Protestanten nach Siebenbürgen um, ein abgelegenes Ge- verließen die Franzosen Anfang 1806 das Land, drei Jahre später be- biet der Monarchie, das auch Bastion gegen die Türken war. setzten sie Murau zum letzten Mal. Doch nicht nur die Franzosen, auch die eigenen Truppen verlangten von der Bevölkerung Verpflegung und Diese Maßnahme entsprach einer merkantilistischen Geld. Die Koalitionskriege führten 1811 zum Staatsbankrott der Habs- Grundhaltung. Zur Deckung der hohen Kosten für das Heer, burger-Monarchie und zum Niedergang der Wirtschaft. die wachsende Verwaltung und die teure Hofhaltung wur- den im Merkantilismus wirtschaftssteuernde Maßnahmen DAS ENDE DES FEUDALSYSTEMS zur Steigerung der Produktion, zur Förderung des Exports bei gleichzeitigem Schutz des Binnenmarktes durch hohe Ab Februar und März 1848 breitete sich in großen Teilen Europas eine Einfuhrzölle u. ä. ergriffen. Dazu zählte auch die Einrich- Revolution aus, deren politische Ziele u. a. gewählte Volksvertretun- tung von Zucht- und Arbeitshäusern, in denen die unterste gen, verantwortliche Ministerien anstelle absolutistischer Regierun- soziale Schicht, nicht selten Opfer wirtschaftlicher und gen und Pressefreiheit waren. Soziale Ziele waren die Beseitigung politischer Katastrophen, der Produktion zugeführt wurde feudaler Strukturen (Untertänigkeit, Grundherrschaft) und die recht- – wenn nötig, unter Zwang. liche Gleichstellung aller Staatsbürger. Die Revolution wurde letztlich militärisch niedergeschlagen, Metternich floh nach England und Kaiser In diesem Sinne erließ Maria Theresia auch 1748 eine Eisen- Ferdinand I. dankte ab. Am 21. November 1848 wurde unter Minister- ordnung u. a. zur Beseitigung der „grossen Unordnung und präsident Felix Fürst zu Schwarzenberg eine neue Reichsregierung sozialer Missstände“. Die Steiermark wurde in vier Ham- gebildet. Der damals 18-jährige Franz Joseph I. wurde zum Kaiser der merviertel eingeteilt, Murau gehörte zum Viertel Murbo- nunmehr konstitutionellen Monarchie gekrönt. den mit 32 Hämmern und 48 Feuern. Geregelt wurden die Förderung von Manufakturen und Export sowie die Konfis- Trotz Niederschlagung der Revolution blieb eine Reihe von Errungen- zierung ausländischer Eisenwaren. schaften bestehen. Eine davon war die Verstaatlichung von Gerichts- Murau von barkeit und Verwaltung. In Murau wurden 1849/1850 ein Bezirksamt Osten, 1889 Für die Steiermark wurde die Eisengewinnung und -verarbeitung als förderungswürdiger (Bezirkshauptmannschaft), ein Bezirksgericht und ein staatliches Wirtschaftszweig festgelegt. Um die Produktion anzukurbeln, wurden die einschrän- Steueramt eingerichtet. Nach mehrmaligen Änderungen wurden Justiz kenden Zunftregelungen aufgeweicht bzw. durch „Fabriksprivilegien“ umgangen. Fürst und Verwaltung 1868 endgültig getrennt. Der politische Bezirk Murau Josef Adolf Schwarzenberg erhielt 1781 die Konzession zur Errichtung einer „Fabrik“ für umfasste drei Gerichtsbezirke und 46 Gemeinden. „Englische Feilen und andere Eisen Geschmeide Waren“ in Murau. Die bedeutendste Neuerung aber war die Grundfreiheit und Grun- Bahnhofsbrücke Im Geist des Merkantilismus wurden in Murau die Fährfahrts- und Niederlagsmaut dentlastung der Bauern – sie wurden freie Eigentümer der von ihnen bewirtschafteten (Steinerne Brücke) und ehemalige Post und die Handelsprivilegien für die Eisenniederlage aufgehoben. 1787 war die Stadt so Liegenschaften. Die finanzielle Entschädigung der ehemaligen Grundherrschaft wurde verarmt, dass sie die Herrschaft um Übernahme des Stadt- und Landgerichtes inklusive zwischen Bauern, Staat und Grundherren gedrittelt. Die Bauern mussten ihr Drittel in- Adelsgerichtsbarkeit und Grundbuchamtsführung bitten musste. Wenig später wurde nerhalb von 40 Jahren zahlen. Schon vor der Grundentlastung litten sie zum Teil unter das Spital samt den dazugehörenden Gründen versteigert, da die Stadt den Erhalt nicht hohen Schulden, die vor allem durch die Auszahlung von Erbteilen, den Erwerb neuer mehr finanzieren konnte. Spital samt Elisabethkirche gingen an die Schwarzenberg, die Gründe und durch Vorschusszahlungen an die Grundherrschaft entstanden waren. es zur Versorgung ihrer Angestellten nutzten. Zusammen mit den Zahlungen für die Grundentlastung war das für kleinere oder hoch verschuldete Höfe mitunter existenzbedrohend. Landlose Bevölkerung zog vermehrt in KOALITIONSKRIEGE Ballungsräume, wo sie hoffte, mit Fabriksarbeit ihr Auslangen zu finden. Die Umsetzung dieser Maßnahmen in Murau oblag Johann Adolf II., dem Bruder von Ministerpräsident Anfang April 1797 zogen französische Truppen plündernd ins obere Murtal; die Koaliti- Felix, Fürst zu Schwarzenberg, der die Voraussetzungen dafür mitgestaltet hatte. onskriege (1797–1809) zwischen der Habsburgermonarchie und den Franzosen unter Napoleon hatten begonnen. 150.000 französische Soldaten marschierten von Judenburg
16 17 Die gewonnen Freiheiten unterstützten eine gründerzeitliche Aufbruchstimmung. In wurde 1870 mit der Regulierung der Mur für die Flößerei begonnen. Erste Probefahrten Murau gab es diverse infrastrukturelle Verbesserungen und städtebauliche Verände- vom Gestüthof bis Unzmarkt gab es ein Jahr später. 1880 startete der reguläre Flößbe- rungen, neue Unternehmen und Vereine entstanden. Ganz im Sinne der Sommerfrische trieb von Ramingstein bis Unzmarkt, der nach dem Bau des Elektrizitätswerks 1908 wie- wurde zudem der Grundstein für den Tourismus gelegt. der eingestellt wurde. Eine k. k. Poststation wurde am Schillerplatz eingerichtet. Am Rindermarkt (St.-Leon- ERSTER WELTKRIEG UND JUNGE REPUBLIK hard-Platz) wurde das ehemalige Dienerhaus zu einer Krankenanstalt umgebaut, in der auch Stadtarme untergebracht wurden. Die Kanzleien von Gericht und Steueramt über- In ganz Europa zogen Freiwillige und Wehrpflichtige, zum Teil mit wehenden Fahnen, in siedelten vom Schloss an den Raffaltplatz. Die Schule am Schillerplatz, das Schwimmbad, den Ersten Weltkrieg (1914–18). Die Stimmung sollte bald umschlagen – Gemetzel auf den der Stadtpark und die steinerne Murbrücke (Bahnbrücke) wurden gebaut, die Murauer Schlachtfeldern, Einsätze gegen die Zivilbevölkerung, zähe Stellungskriege, Giftgasein- Sparkasse wurde gegründet. 1894 ging die Murtalbahn, 1908 das Elektrizitätswerk in sätze … Promenade, nach 1927 Betrieb. Das Grazer-, das Salzburger-, das Bader-, das Fleischbrücken- und das Neutor Bahnhof, vor 1918 wurden abgerissen. Die Gründung des Männergesangsvereins, der freiwilligen Feuer- Murau blieb von direkten Kriegshandlungen verschont, doch wehr, des Turnvereins, der Musikkapelle und des Verschö- die Versorgungslage war katastrophal. Gründe dafür waren nerungsvereins (später Fremdenverkehrsverein) fallen in Missernten, fehlende männliche Arbeitskräfte sowie darnie- diese Zeit. derliegende Produktions- und Handelsstrukturen. Truppen- einquartierungen machten der Stadt zu schaffen, 1917 kam es Den Großteil der Erträge aus der „Ablöse für die Aufga- aufgrund der schlechten Verpflegung zur Meuterei. be der vormaligen Untertanen“ investierte Johann Adolf II. in den monumentalen Umbau von Schloss Frauenberg Schon 1915 mangelte es so sehr an Rohstoffen, dass das Kriegs- in Böhmen. Das Ziel, das er beim Antritt der Herrschaft ministerium das Sammeln von Brennnesselstängeln zur Fa- 1833 formuliert hatte – Industrie zu errichten, um die sergewinnung anordnete. Ein Jahr später musste Metall für Ertragsgrundlage den neuen Umständen anzupassen –, die Kriegsmaterialsammlung abgegeben werden, die meisten verfolgte er großteils in Böhmen. Im Bezirk Murau ließ er Kirchenglocken und die großen Orgelpfeifen wurden dabei das Eisenwerk in Turrach modernisieren, Unterkünfte für zerstört. Ab 1915 waren Flüchtlinge und Kriegsgefangene in Mitarbeiter und eine Schule errichten. Murau untergebracht, sie wurden in der Landwirtschaft und im Straßenbau eingesetzt. 200 bis 300 Kriegsgefangene bauten bis Dampfmaschine und Eisenbahn ließen die Eisennachfra- 1917 die Straße nach Stallbaum (Stolzalpe). ge so stark wachsen, dass der Bedarf von den heimischen Produzenten nicht mehr gedeckt werden konnte. Der Nach dem ruhmlosen Ende des Krieges – zehn Millionen tote, Ausbau des Schienennetzes ermöglichte den Eisenimport zwanzig Millionen verwundete Soldaten, sieben Millionen zi- aus Regionen, wo Hochöfen mit Koks befeuert und von vile Opfer – wurde die Erste Republik gebildet, unter denkbar großen Gesellschaften betrieben wurden (Böhmen, Mäh- ungünstigen Vorzeichen: Neben immensen wirtschaftlichen ren, Ungarn und England). Schwierigkeiten, hoher Arbeitslosigkeit und katastrophaler Versorgungslage gab es eine Hyperinflation, die zur Währungs- Um konkurrenzfähig zu bleiben, genehmigte Johann Adolf reform führte. 1925 wurde der Schilling eingeführt. II. 1863 die Einführung der Bessemer-Methode, die weni- ger Brennstoff benötigte und besseres Roheisen lieferte. Im Murau der Zwischenkriegszeit gab es einige Projekte zur Zwei Jahre später waren drei Konverter und 280 Beschäf- Verbesserung von Beschäftigungssituation und Infrastruktur: tigte im Einsatz. Erweiterung des Elektrizitätswerks, Ausbau der Wasserversor- gung, Ausbau von drei Bürgerschulklassen und Einrichtung eines Im Bilanzbericht von 1869 hieß es, dass die Turrach eine Kindergartens, Rückkauf und Renovierung des alten Rathauses der wertvollsten fürstlichen Besitzungen in der Steier- in der Anna-Neumann-Straße, Umbau der Renati-Häuser am mark sei, die letzten zehn Jahre hätten aber gezeigt, dass Schillerplatz für die Murauer Sparkasse. Der Bau der Kinderheil- alle fürstlichen Eisen- und Hammerwerke mit Ausnahme stätte und des Kurhauses auf der Stolzalpe in mehreren Etappen Flößerei – Floßbau von Vordernberg nur Verluste gebracht hätten. Ab den von 1920 bis 1929 brachte, wie der Bau der Molkerei neben dem in Ramingstein, 1870er-Jahren verschlechterten sich die Absätze. 1899 wurde die Eisenhütte verpachtet Friesachertor, nachhaltige Arbeitsplätze. Murau von um 1900 Süden, 1880 und zehn Jahre später endgültig geschlossen. Den Hammerwerken erging es nicht bes- ser, sie unterlagen der Konkurrenz der Walzwerke. Zwischen 1805 und 1870 wurden die Murpromenade, Tennisplätze, Skiabfahrten, Rodelbahnen und eine Sprungschanze be- meisten Murauer Hammerwerke geschlossen. lebte den Tourismus. Auch das Schwimmbad samt Badegastwirtschaft und Sonnenbad wurde erneuert. Und trotzdem stieg die Zahl der Arbeitslosen in der Steiermark im selben Mit dem massiven Rückgang des Holzverbrauchs durch die Schließung der eisenerzeu- Maß wie der Zuspruch für die NSDAP. 1932 konnten die Nationalsozialisten in der Steier- genden und -bearbeitenden Betriebe wurde der Holzhandel Thema. Um den mühsamen mark ihre Wählerstimmen im Vergleich zu 1928 versechsfachen. und kostspieligen Überlandtransport auf schlecht ausgebauten Straßen zu umgehen,
18 19 Die Weltwirtschaftskrise und die Entstehung politischer Papier, alles, alles, alles sammeln wir“. Das war wörtlich gemeint – von den erst 1929 ein- Massenbewegungen, welche die bürgerliche Demokratie geweihten Kirchenglocken bis zu ausgebürstetem Menschenhaar wurde alles als wert- für die schlechte Lage verantwortlich machten, führten voller Rohstoff verwertet. Arbeit im Hammerwerk dazu, dass sich in den meisten jungen Nationen der Zwi- schenkriegszeit autoritäre Regime durchsetzten. 1933 in- 1944 trat die „Österreichische Freiheitsbewegung“ stallierte Engelbert Dollfuß in Österreich den autoritären in Murau in Erscheinung. Ihr gehörten neben Öster- Ständestaat. Folge des Februaraufstands 1934 gegen die reichern, Zwangsarbeitern und englischen und ame- Ständestaatregierung war das Verbot der Sozialdemokra- rikanischen Kriegsgefangenen auch Häftlinge an, die tischen Partei. Folge des Juliputschs 1934 war das Verbot aus Schloss Lind, einem Außenlager des KZ Maut- der NSDAP. hausen, befreit worden waren. Die Murauer Gruppe stand unter der Leitung des Sozialdemokraten Karl NATIONALSOZIALISMUS Vallant. Der spätere Landtagspräsident Karl Brun- ner war nach seiner Freilassung aus dem Zuchthaus Bei der „Volksabstimmung“ über den bereits vollzogenen Karlau in Graz im April 1945 ebenfalls Mitglied. Einen „Anschluss ans Deutsche Reich“ im April 1938 stimmten Tag nach der Kapitulation des NS-Regimes am 8. Mai 99,87 Prozent der Steirer für den „Anschluss“, 40.000 Per- 1945 marschierte die Rote Armee in Graz ein und be- Murau Brand, sonen waren vom Stimmrecht ausgeschlossen. In Murau setzte einen Großteil der Steiermark. Karl Brunner, 1913 gab es zwei, in Stallbaum (Stolzalpe) eine Neinstimme. Im Mai wurden die „Nürnberger englischen Kriegsgefangenen und einer ukrainischen Rassengesetze“ in Österreich wirksam, mit denen die Diskriminierung und Verfolgung Zwangsarbeiterin verdankt das obere Murtal bis Ju- von Millionen Menschen legitimiert werden sollten – so auch die der jüdischen Murauer denburg, dass es von den Briten befreit wurde. Familien Reitmann und Humburger. Das größte Infrastrukturprojekt der NS-Zeit in Murau, Die Murauer Gendarmeriechronik berichtet, dass noch im Herbst 1938 „mit dem Ausbau der Ausbau der Straße Scheifling/Murau, wurden und der streckenweisen Verlegung der Landstraße Scheifling/Murau begonnen“ wurde, zum überwiegenden Teil von internierten Sinti und bei der „die noch arbeitslosen Personen im Rajon Arbeit u. Brot“ fanden. Im September Roma sowie von Kriegsgefangenen umgesetzt. Die des Jahres wurde für die Steiermark die Vollbeschäftigung bekannt gegeben. Das „Ar- Ortsumfahrung Murau und die Verlegung der Straße beitslager für Anhaltehäftlinge“ (Lager Triebendorf) wurde am 1. Juli 1939 mit 250 Inter- im Ortsteil Triebendorf wurden in der Nachkriegs- nierten „bezogen“, die für die Grazer Baufirma Beyer & Co Zwangsarbeit im Straßenbau zeit fertiggestellt. In Murau entstanden außerdem leisteten. 1941/42 unter der Leitung der Deutschen Arbeits- front zehn zweigeschossige Häuser (Typ Südtiroler Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939, der daraus resultierenden Siedlung) mit 36 Wohnungen in der Roseggerstraße Mobilmachung sowie der Inhaftierung und Vertreibung aller von den Nazis unerwünsch- und vier zweigeschossige Häuser mit 16 Wohnungen ten Personen kam es nicht nur in Murau, sondern im ganzen „Deutschen Reich“ zu ei- in der Gustav-Baltzer-Straße. nem Mangel an Arbeitskräften. Die landwirtschaftliche und die industrielle Produktion lebensnotwendiger und kriegswichtiger Güter war gefährdet. Auch die Murauer Brauerei In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde die Le- wäre damals wegen Arbeitskräftemangels fast eingestellt worden. Die Ausweitung des bensmittelversorgung noch schlechter, die ersten „Reichsarbeitsdienstes“ auf Mädchen, die Einbindung von Frauen in den Arbeitsmarkt, Jahre waren nur mit Hilfslieferungen aus dem Aus- mit fortschreitendem Krieg immer mehr Kriegsgefangene sowie ins „Deutsche Reich“ land zu überstehen. In der Steiermark gab es 1946 verschleppte zivile Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten sollten den Arbeitskräf- noch ca. 76.000 Displaced Persons und Vertriebene. temangel ausgleichen. In der Murauer Gendarmeriechronik hieß es 1943: „Die Zahl der In Murau waren es vor allem „deutsche Umsiedler“, ausländischen Arbeiter erreichte in diesem Jahre bereits 2.700 Personen (männlich und die zum Teil im Lager Triebendorf untergebracht wa- weiblich).“ ren. Murau, Am 17. August 1940 wurde der gesamte im „Deutschen Reich“ gelegene Schwarzen- Um die katastrophale Versorgungslage des Bezirks mit Frischwaren zu verbessern, wurde Grübl-Hammer berg-Besitz beschlagnahmt. Am 4. Dezember 1940 übertrug Hitler diesen dem Gauleiter Peter Brandstätter die Genehmigung für den Großhandel erteilt. Während der NS-Zeit von Oberdonau, August Eigruber, persönlich zur Verwaltung und Nutzung zugunsten hatte man ihm die Zulassung als Obst- und Gemüsegroßhändler wegen „politischer Un- des Reichsgaues Oberdonau. Die Schwarzenberg-Besitzungen in der Steiermark und in zuverlässigkeit“ – er war Sozialist – verweigert. Franken übergab Eigruber im Frühjahr 1941 den dortigen Gauleitern. Der Ertrag der in Oberdonau sowie im Protektorat gelegenen Ländereien war die mit Abstand größte ein- INDUSTRIALISIERUNG UND GLOBALISIERUNG zelne Einnahme im Haushalt der Gauselbstverwaltung Oberdonau. Die Technisierung der Landwirtschaft prägte die Nachkriegszeit. Mit der Entwicklung Mit fortschreitendem Krieg wurde die Versorgungslage immer prekärer. Lebensmittel- von der Handarbeit zur Vollmechanisierung stieg das Verhältnis von Arbeitskraft zu Er- karten gehörten längst zum Alltag, es fehlte an allem. Ein Slogan des Winterhilfswerks, trag sprunghaft an. Um 1900 erzeugte ein Beschäftigter den Nahrungsbedarf von zwei das Haus- und Straßensammlungen durchführte, war „Lumpen, Knochen, Eisen und Menschen, um 1950 den von fünf, bis 1970 stieg die Relation auf etwa 1:16 und 1998 auf
20 21 etwa 1:70. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der im Agrarbereich Beschäftigten auf ein Der seit dem 19. Jahrhundert ausgebaute Tourismussektor ist ein weiterer volkswirt- Sechstel, die Hektarerträge verfünffachten sich, die Milchleistung der Kühe stieg um das schaftlicher Faktor, der wesentlich auf den landschaftlichen Qualitäten der Region Dreifache. aufbaut. 2011 waren im Sektor Beherbergung und Gastronomie in Murau 156 Personen beschäftigt. Der wachsende Bedarf an Arbeitskräften in der seit den 1950er-Jahren forcierten Indus- trie konnte nur durch die frei werdenden Arbeitskräfte aus dem Agrarbereich gedeckt Die wirtschaftlichen Schwerpunkte der Bezirkshauptstadt Murau sind Dienstleistung, werden. Eine starke Abwanderung der ländlichen Bevölkerung setzte ein – hauptsächlich Handel und Verwaltung. Nicht außer Acht gelassen werden darf trotzdem das produzie- in das Grazer Becken, die obersteirischen Industriegebiete, nach Wien und Westöster- rende Gewerbe, das volkswirtschaftlich eine etwas größere Rolle als der Handel spielt. reich. Als Arbeiter hatten die Menschen ein regelmäßiges Einkommen, angemessene Sozialversicherung, geregelte Arbeitszeit und Urlaubsanspruch. Entwicklungsziele Muraus sind es, die Nahversorgung zu erhalten bzw. zu reaktivieren sowie die Wertschöpfungskreisläufe zu intensivieren. Trotz schwindender Bevölkerung (von 3.217 im Jahr 1947 auf 2.768 im Jahr 1951) war Wohn- raum im Murau der 1950er-Jahre knapp – die Ansprüche waren gestiegen. Wohnhäuser Eines noch: Wir haben Glück, dass wir in dieser Zeit in dieser Region leben: Hier ist seit an der Roseggerkreuzung und in der Johann-von-Lederwasch-Gasse wurden errichtet, über 70 Jahren Friede - das Fundament, auf dem sich Europa und damit Murau entwickeln Plan der doch das deckte nicht den Bedarf. Immer mehr Einfamilienhäuser wurden außerhalb der konnte. ¡ Stadt Murau. Murau, Firstfeier Zeichnung, Gregor Hauptschule, 1954 alten Stadtgrenzen gebaut. Lederwasch, 1785 Industrialisierung und Globalisierung gingen auch an Murau nicht spurlos vorbei. Klein- und Mittelbetriebe, die in den 1950er- bis 70er-Jahren boomten, konnten der Konkurrenz von Industrieprodukten nicht standhalten. So sperrte die Firma Murtex 1992 ihre Pforten und übersiedelte mit der gesamten Betriebsausstattung nach Ungarn. Der Vorgän- gerbetrieb, der bei wechselnden Besitzverhältnissen 1975 mit 110 Arbeitnehmern seinen Beschäftigungshöchststand verzeichnen konnte, war 1953 als Murauer Wollstube ge- gründet worden. Betriebe, die den Strukturwandel mit neuen, zukunftswei- senden Strategien für sich genutzt haben, sind die Brauerei Murau (100 Mitarbeiter) und die Murauer Stadtwerke (70). Das Landeskrankenhaus (LKH) Stolzalpe mit seinen über 500 Mitarbeitern ist trotz Ausgliederung einiger Bereiche ein wichtiger Arbeitgeber für die Region. Darüber hinaus gewährleisten das LKH, die ansässigen Ärzte und das Ge- sundheitszentrum (2007 eröffnet) die Basisversorgung der Bevölkerung. Das Elternhaus, das 1978 im Kapuzinergarten in Betrieb genommen wurde, und die Lebenshilfe decken den Betreuungs- und Pflegesektor ab. Die Entwicklung Muraus zur Schulstadt wurde 1952 mit der Gründung einer gemeinnützigen Gewerbe-Genossenschaft für die Berufsschule eingeleitet. Der dringend nötige Neu- bau der Hauptschule erfolgte 1954. Dem folgten BORG und HBLA, die Hauptschule II, das neue Gebäude für den Kinder- garten, die Gesundheits- und Krankenpflegeschule auf der Stolzalpe und die neue Berufsschule. Bildung ist für Murau längst auch ein Wirtschaftsfaktor. Berufsschule, 1950er Jahre Nicht zu vergessen ist der Verwaltungsbereich – trotz Strukturveränderungen sind Murau BH und Bezirksgericht erhalten geblieben. Das bedeutet einerseits Vorteile für die Bevölkerung, andererseits Arbeitsplätze in Murau.
22 23 Anne-Catherine Simon MACHT UND MINNE ÜBER 300 JAHRE LANG HERRSCHTEN DIE LIECHTENSTEIN ÜBER MURAU. IHR UNTERGANG BEGANN MIT „VERRAT“ AM KAISER. V om Wunsch, das Badewasser der Geliebten zu schlürfen, sangen die Comedian Harmonists 1920. Ein steirischer Künstler hat die Gruppe wohl auf diesen kuriosen Liebesbeweis gebracht. Der Minnesänger Ulrich von Liechtenstein soll „bis zum letzten Schluck“ das Waschwasser seiner Angebeteten getrunken haben. Er zog angeblich auch als Frau Venus verkleidet von Venedig bis Böhmen und erstritt in Frauenkleidern Turnier- siege, ließ sich in Graz seiner Liebesherrin zuliebe die Oberlippe beschneiden und sogar einen Finger abhacken, den er ihr hübsch eingewickelt schickte. Zumindest erzählt er das alles über sich, in einem der ersten deutschen Ich-Romane. Wie viele Orte können sich mit einem so ausgefallenen Landesherrn schmücken? Der Bild links: Ulrich um 1200 in Judenburg geborene Minnesänger war der Gründer von Murau und auch der von Liechtenstein Erbauer der ersten Burg Murau. Man sollte diesem Dichter freilich nicht allzu viel von (um 1200-1275). dem glauben, was er in seinem Buch „Frauendienst“ über sich schreibt. Denn was die Buchmalerei, 1305– Minnesänger des Mittelalters als eigene Erlebnisse zum Besten gaben, war größtenteils 1340, Heidelber- ger Liederschrift erfunden. Walther von der Vogelweide sang damals am Wiener Hof schon von höchst (Codex Manesse) handfester Liebe, sein Schüler Ulrich von Liechtenstein war da altmodischer; er trieb die „hohe Minne“, den lebenslangen Liebesdienst eines Ritters an einer unerreichbaren ho- hen Dame, zu überbordenden letzten Blüten. Nein, Ulrich war nicht der „Narr im hohen Dienst“, zu dem spätere Zeiten ihn gemacht haben. Er war ein fabelhafter Dichter und zugleich einer der wichtigsten Adeligen und politischen Akteure im damaligen Herzogtum Steiermark – das seit 1192 unter den Ba- benbergern eine Art Nebenland des Herzogtums Österreichs mit besonderen Vorrechten war. HOHE MINNE, HOHE POLITIK Die steirischen Liechtenstein – die mit der österreichischen Adelsfamilie Liechtenstein gar nichts zu tun haben, außer dass sie später gelegentlich untereinander heirateten – entstammten dem Adelsgeschlecht der Traisen-Feistritz. Dieses hatte im heute nieder- österreichischen Traisental und bei Knittelfeld Güter, ihm ist auch das Chorherrenstift Seckau in der Steiermark zu verdanken (in dem Ulrich von Liechtenstein heute begraben liegt). Ein Vorfahr Ulrichs verlegte den Familiensitz in das obere Murtal und baute dort im 12. Jahrhundert bei Judenburg die Burg Liechtenstein. Von ihr hat die Familie ihren Namen. Die Liechtenstein waren Ministerialen, so nannte man die Elite unter den Dienstleuten der damaligen Herrscher. Diese Schicht, zu der auch Nicht-Adelige gehörten, stieg seit dem 13. Jahrhundert gesellschaftlich auf, wurde reicher und angesehener. Auch viele nichtadelige Ritter und Bedienstete bauten sich in dieser Zeit eigene Burgen und stiegen in den niederen Adel auf. Wichtige Ministerialengeschlechter in der Steiermark waren damals etwa die Wildon, Pettau, Stubenberg – und eben auch die Liechtenstein.
24 25 Ulrichs Vater war Kämmerer, also Finanzverwalter, des Landesfürsten. Ulrich selbst Fast hundert erhaltene Urkunden erzählen davon, was Ulrich von Liechtenstein in sei- lernte, was ein angehender Ritter damals zu lernen hatte, Lesen und Schreiben gehörten ner politischen Laufbahn so alles unterschrieben und getan hat – etwa als Zeuge, Bür- nicht dazu. Seine Verse hat er zeitlebens diktiert. Als Kind war er Page einer Adeligen, die ge, Schiedsrichter oder Vermittler des Landesherrn. Er bescherte Judenburg seine erste ihm später als Objekt dichterischer Anbetung diente. Der Babenberger Herzog Leopold Wasserleitung und ließ die Frauenburg bei Unzmarkt bauen – Unzmarkt gab es damals VI., dessen Wiener Hof damals ein Zentrum des Minnesangs war, schlug ihn 1223 zum freilich noch nicht, es wurde ebenfalls von einem Liechtenstein, aber vermutlich erst um Ritter. 1300 gegründet. Ulrich half auch, den Anschluss der Steiermark an das Habsburgerreich vorzubereiten, starb aber vier Jahre, bevor es dazu kam, im Jahr 1278. DER „KOLLABORATEUR“ FLIEHT NACH TIROL Die Kämpfe zwischen Ottokar und dem römisch-deutschen König Rudolf I., die Franz Grillparzer viel später zum Drama „König Ottokars Glück und Ende“ inspirierten, erleb- te der alte Ulrich von Liechtenstein noch mit. Sein Sohn und Erbe Otto II., der nächste Herr von Murau, war sogar mittendrin: als einer der Adeligen, die 1276 im Stift Rein dem Habsburger Rudolf die Treue im Krieg gegen Ottokar schworen, und zwei Jahre später in der Schlacht bei Dürnkrut, wo Ottokar endgültig besiegt wurde. Rudolf ernannte Otto kurz darauf zum Landrichter, also zum höchsten Richter. Später wurde Otto oberster Käm- merer der Steiermark; diesen erblichen Titel behielten die Liechtenstein über Generationen. Ulrich hatte am liebsten in der Frauenburg bei Unz- markt gewohnt, sein Sohn bevorzugte das während Ulrichs Haft zerstörte Schloss Murau, das er wieder aufbauen ließ. Ein Meilenstein der Murauer Stadtge- schichte fällt ebenfalls in diese Zeit: Otto gab dem Markt die Rechte, die Judenburg bereits hatte. Er ließ in Murau den ersten Lehrer einsetzen und die St. Matthäuskirche als Murauer Pfarrkirche weihen. Dort wurde er 1311 auch begraben, wie die meisten seiner Nachkommen. Frauenburg bei Unter den Liechtenstein erreichte Murau bald eine Unzmarkt im Vier- Vor allem als Gefolgsmann von Leopolds Sohn und Nachfolger Friedrich II., dem „Streit- Ausdehnung, die bis ins 19. Jahrhundert fast unver- tel Judenburg, in der Ulrich v. Liechtenstein baren“, machte Ulrich von Liechtenstein Karriere. Dieser letzte Babenbergerherzog galt ändert bleiben sollte. Doch mit der Familie ging es vornehmlich wohnte. als schwierig und unberechenbar, er war ständig im Zwist mit benachbarten Landesfürs- finanziell bergab, 1392 musste sie die Herrschaft Kupferstich, Georg ten und zeitweise sogar mit dem Kaiser. Dieser setzte ihn 1236 als Herzog von Österreich Murau wegen hoher Schulden sogar verpfänden. Im Matthäus Vischer, vor 1681 und Steiermark ab und ächtete ihn. Ulrich von Liechtenstein soll sich in dieser Zeit bei 15. Jahrhundert stellten die Liechtenstein aber noch den steirischen Adeligen für Friedrich eingesetzt haben. Als dieser zurückkehrte, machte einmal einen bemerkenswerten Landesherrn: Niklas Gefäß eines er Ulrich zum Truchsess. Damit war Ulrich für die Hofhaltung zuständig und übte nun, von Liechtenstein. Sein Vormund, Landesherr und freundschaftlicher Gönner war Her- Degens, 1450-1480. Zeichnung Carl Haas wie sein Vater als Kämmerer, ein Spitzenamt aus. Wenige Jahre später freilich, 1246, starb zog Friedrich V., der später Kaiser Friedrich III. wurde. Niklas war ihm eng verbunden und Friedrich II. in der Schlacht an der Leitha, die Babenberger starben mit ihm aus und das begleitete ihn auch zur Königs- und zur Kaiserkrönung. Land fiel zunächst kurz an die Ungarn, dann an Böhmen. Der Familienhaushalt schien sich unter ihm zu erholen, Niklas kaufte viele durch alte Durch diese politischen Turbulenzen manövrierte sich der nicht nur literarisch kreative Schulden verlorene Besitzungen wieder zurück, und neue dazu. Doch wie so oft in der Ulrich von Liechtenstein offenbar geschickt und karrierebewusst. Mit dem böhmischen Murauer Geschichte machte der Krieg alle Mühen zunichte. Als die Ungarn unter Mat- Ottokar II. Přemysl, der 1261 Herzog von Steiermark wurde, hatte er von früher noch gute thias Corvinus in der Obersteiermark einfielen und Niklas keine kaiserliche Hilfe erhielt, Beziehungen. Unter ihm gelangte er auch wieder zu einem hohen Amt, dem des Mar- machte er den Ungarn Zugeständnisse (wofür er vom Kaiser Friedrich III. geächtet wur- schalls; später wurde er Landrichter der Steiermark, also Vertreter des Landesherrn. Aber de). Diese übernahmen schließlich von 1480 bis zum Tod von Matthias Corvinus 1490 die die Beziehung zum Böhmenkönig war eine Berg- und Talfahrt. Als Ottokar sich – gegen Herrschaft in Murau. den ihm feindlichen gesinnten Adel – der steirischen Burgen bemächtigte, wurde Ulrich 1268 sogar festgenommen und war ein halbes Jahr in Böhmen inhaftiert. Das von ihm erbaute Schloss Murau wurde zerstört.
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