Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen - ANALYSE Chancen und Risiken selbstfahrender Fahrzeuge für nachhaltige Mobilität - Agora ...
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Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen Chancen und Risiken selbstfahrender Fahrzeuge für nachhaltige Mobilität ANALYSE
Impressum Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen Chancen und Risiken selbstfahrender Fahrzeuge für nachhaltige Mobilität ANALYSE ERSTELLT IM AUFTRAG VON Agora Verkehrswende Anna-Louisa-Karsch-Str. 2 | 10178 Berlin T +49 (0)30 700 14 35-000 F +49 (0)30 700 14 35-129 www.agora-verkehrswende.de info@agora-verkehrswende.de PROJEKTLEITUNG Marena Pützschler Projektmanagerin Neue Mobilität–Agora Verkehrswende marena.puetzschler@agora-verkehrswende.de Alexander Jung Projektleiter Neue Mobilität–Agora Verkehrswende (bis Februar 2020) DURCHFÜHRUNG Auftragnehmer. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) Institut für Verkehrsforschung Unter diesem QR-Code steht diese Rudower Chaussee 7 | 12489 Berlin Publikation als PDF zum Download www.dlr.de/vf zur Verfügung. Autoren: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR): Viktoriya Kolarova, Kerstin Stark, Lars Hedemann, Prof. Dr. Barbara Lenz Agora Verkehrswende: Alexander Jung, Marena Pützschler Lektorat: Anne Vonderstein Bitte zitieren als: Satz: Marica Gehlfuß, Agora Verkehrswende Agora Verkehrswende (2020): Die Automatisierung des Titelbild: iStock/metamorworks Automobils und ihre Folgen. Chancen und Risiken selbst- fahrender Fahrzeuge für nachhaltige Mobilität. Veröffentlichung: August 2020 43-2020-DE www.agora-verkehrswende.de
Vorwort „Wagen, hol schon mal den Harry!“, so müsste einer der Bereits im Rahmen unserer ersten Publikation, den bekanntesten Sätze der deutschen Fernsehgeschichte 12 Thesen zur Verkehrswende, haben wir uns deshalb wahrscheinlich umformuliert werden, wenn in ein paar dem Megatrend Automatisierung und dessen möglichen Jahren eine neue Folge der Krimiserie Derrick produziert Folgen zugewandt. Obwohl weiterhin nicht feststeht, würde.1 Denn das Automobil kann zunehmend Dinge wann genau wir mit den ersten hochautomatisierten übernehmen, die bisher der Mensch erledigen musste. Serienfahrzeugen rechnen können, ist doch eines inzwi- Zwar galt es schon bei seiner Erfindung als Fahrzeug, das schen gewiss: Das automatisierte Fahren wird kommen sich – wie der Name sagt – „selbst bewegt“, weil es nicht und es wird einen erheblichen Einfluss auf die Verkehrs- mehr wie eine Kutsche oder ein Karren gezogen werden wende haben. Umso wichtiger, sich frühzeitig mit den musste. Doch durch die Digitalisierung eröffnen sich positiven wie den negativen Effekten der möglichen tech- neue Möglichkeiten. Das Auto wird weiter automati- nologischen Entwicklungspfade auseinanderzusetzen. siert, so dass es bald wahrscheinlich sogar auf Zuruf den Assistenten des Oberinspektors abholen könnte. Während der Nutzen der Automatisierung für den öffentlichen und den Wirtschaftsverkehr weitestgehend Was bedeutet die Digitalisierung für den Verkehrssektor unstrittig ist, ist die Automatisierung des motorisierten und die Verkehrswende? Schon heute hat sie Einfluss Individualverkehrs neben den Chancen auch mit größeren darauf, welche Verkehrsträger genutzt und kombiniert, Risiken für die nachhaltige Mobilität verbunden und steht welche Routen gewählt und welche Mobilitätsdienst- daher im Fokus dieser Publikation. Die hier vorgelegte leistungen in Anspruch genommen werden. Dabei Analyse soll den politischen und öffentlichen Diskurs stehen wir erst am Anfang des digitalen Wandels. Dass fördern, indem sie den Forschungsstand aufbereitet und Fortschritte in Automatisierung und Vernetzung noch die Frage in den Mittelpunkt stellt, ob mit dem digitalen wesentlich tiefergreifende Veränderungsprozesse in Wandel ein Nutzen für die Verkehrswende generiert Mobilitätsverhalten und Verkehrssystem in Gang setzen werden kann oder ob sich die Probleme des motorisierten werden, zeichnet sich bereits deutlich ab. Individualverkehrs durch Automatisierung weiter zuspit- zen. Damit lenkt sie den Blick auf die Notwendigkeit, die Im Vordergrund der politischen Debatte über die fort- Anwendung der Technologie im Sinne der Verkehrswende schreitende Automatisierung hin zum fahrerlosen Pkw zu steuern – denn auch in einer Welt mit selbstfahrenden standen bislang vor allem ethische, sicherheitsbezo- Autos wird die Verkehrswende nicht zum Selbstläufer. gene und rechtliche Fragestellungen: Inwiefern trägt der Mensch noch die Verantwortung, wenn er in einem Christian Hochfeld automatisierten Fahrzeug fährt? Darf eine Maschine für das Team von Agora Verkehrswende entscheiden, welches Manöver in einer Notsituation den Berlin, 5. August 2020 geringsten Schaden anrichtet? Wer haftet, wenn es zu einem Unfall kommt? Der Einfluss der Fahrzeugautoma- tisierung auf die Verkehrswende und damit auf Klima und Umwelt ist dagegen ein untergeordnetes Thema geblieben. Dabei ist gerade die Frage nach dem Mehrwert für die Verkehrswende zentral. 1 Dass der Satz „Harry, hol schon mal den Wagen!“ in der Serie gar nicht vorkommt und auch ähnlich lautende Formulierungen nur vereinzelt zu finden sind, ist eine andere Geschichte der Verselbstständigung. 3
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | Vorwort 4
Leitlinien Auf Basis der vorliegenden Analyse empfehlen Agora Verkehrswende und das Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sechs Leitlinien für die Entwicklung des automatisierten Fahrens: Die Politik gestaltet und steuert die Entwicklung, damit das automatisierte Fahren einen Beitrag zur Verkehrswende leisten kann. Gelingt es, die Fahrzeugautomatisierung für neue Mobilitätsangebote und eine bessere Verkehrsabwicklung zu nutzen, kann sie zu einem unterstützenden Faktor der Verkehrs- wende werden. Ohne politische Steuerung wie zum Beispiel durch Preisinstrumente besteht das Risiko, eine neue Ära der Massenmotorisierung einzuleiten. Deshalb ist es wichtig, nicht nur die technische Entwicklung zu fördern, sondern auch die politischen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Entwicklung zu setzen. Automatisierte Fahrzeuge werden gemeinschaftlich genutzt und in den öffentlichen Verkehr integriert, um einen Anstieg von Fahrleistung sowie von Energie- und Flächen verbrauch zu vermeiden. Automatisiertes Fahren kann zu einem erheblichen Anstieg der Fahrleistung sowie des Energie- und Flächenverbrauchs führen. Denn Autofahren wird komfortabler und auch für Menschen möglich, die bisher nicht dazu in der Lage waren. Die Reisezeit kann zum Arbei- ten oder zum Entspannen genutzt werden. Leere Fahrzeuge könnten herumfahren, statt auf einem kostenpflichtigen Parkplatz zu stehen. Um Mehrverkehre zu vermeiden, gilt es, den Betrieb möglichst effizient zu gestalten, die Fahrzeuge gemeinschaftlich zu nutzen und in den öffentlichen Verkehr zu integrieren. Verkehrssicherheit wird auch bei Mischverkehr aus automatisierten und nicht automati- sierten Fahrzeugen gewährleistet. Langfristig könnte das automatisierte Fahren den Verkehr spürbar sicherer machen. Ver- schiedene Fahrstufen unterhalb der Vollautomatisierung, die eine zeitweise Übernahme durch den Menschen erfordern, sowie automatisierte und nicht automatisierte Misch verkehre aus motorisiertem Individualverkehr, ÖPNV, Wirtschaftsverkehr und aktiver Mobi- lität könnten dagegen zunächst zu neuen Gefahrenquellen führen. Bei der Gestaltung der Übergangsphase hin zu Vollautomatisierung sollte die Frage der Verkehrssicherheit deshalb besonders berücksichtigt werden. Der Aufbau der öffentlichen Infrastruktur für automatisiertes Fahren folgt dem Leitbild der nachhaltigen Raumordnung und Stadtentwicklung. Eine Trennung zwischen dem automatisierten und nicht automatisierten Verkehr durch physische Infrastruktur (zum Beispiel Absperrungen zwischen Straßen und Radwegen sowie Bürgersteigen), die sich vorrangig an den Belangen des motorisierten Verkehrs orientiert, passt nicht zu einer nachhaltigen Verkehrssystemgestaltung und Verkehrspolitik. Automatisierte Fahrzeuge, die in Sharing-Systemen überwiegend auf den Straßen unter- wegs sind, benötigen weniger Parkraum. Dieses Potenzial sollte gezielt genutzt werden. 5
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | Leitlinien Klare Regeln und Standards ermöglichen einen reibungslosen und sicheren Austausch der Daten. Die Potenziale des automatisierten Fahrens für die Verkehrswende können nur erschlos- sen werden, wenn der Austausch von Daten unter den relevanten Akteuren reibungslos funktioniert. Dadurch entstehen aber auch Risiken für den Datenschutz und die Daten- souveränität (Zugang, Nutzung, Missbrauchsgefahr). Daher müssen Konzepte, technische Standards und rechtliche Regelungen entwickelt werden, die sowohl die Datennutzung ermöglichen als auch den Datenschutz und das Rechts auf Privatheit gewährleisten. Eine breite gesellschaftliche Diskussion begleitet die Entwicklung des automatisierten Fahrens – auch mit Fokus auf die Verkehrswende. In der bisherigen Diskussion über das automatisierte Fahren stehen vor allem ethische, sicherheitsbezogene und rechtliche Fragestellungen im Mittelpunkt. Zukünftig sollte der Einfluss der Fahrzeugautomatisierung auf die Verkehrswende und damit auf Klima und Umwelt stärker thematisiert werden. Die breite Diskussion dieser Fragen ist eine wichtige Voraussetzung für den Klimaschutz im Verkehr. 6
Inhalt Vorwort3 Leitlinien5 Einleitung9 1 | Markt und Einführung automatisierter Fahrzeuge im Personenverkehr 11 1.1 Wie automatisierte Verkehrssysteme zum Einsatz kommen, ist nicht allein eine Frage der technischen Entwicklung 11 1.2 Neben der individuellen Nutzung bestehen erhebliche Potenziale im Bereich ÖPNV und Sharing 11 1.3 Die Fahrzeugautomatisierung muss als Struktur- und Prozesswandel der traditionellen Automobilindustrie verstanden werden 11 2 | Nutzer und individuelle Mobilität im Zeitalter der Automatisierung 13 2.1 Der Autoverkehr wird komfortabler 13 2.2 Das automatisierte Fahren ermöglicht individuelle Mobilität für alle 13 2.3 Die Fahrzeugautomatisierung kann eine Reduktion des Motorisierungsgrades unterstützen 13 2.4 Subjektives Empfinden kann zur Akzeptanzbarriere werden 14 3 | Auswirkungen der Fahrzeugautomatisierung auf das Verkehrssystem 15 3.1 Die Fahrzeugautomatisierung kann zu einer höheren Verkehrssicherheit führen, aber auch zu neuen Gefahrenquellen im Mischverkehr aus manuell geführten und automatisierten Fahrzeugen15 3.2 Effizienz- und Kapazitätsgewinne im Verkehr ergeben sich erst bei einer hohen Durchdringungsrate 15 3.3 Das automatisierte Fahren kann trotz effizienterer Fahrweise zu einer Steigerung des Energieverbrauchs führen 16 3.4 Das automatisierte Fahren kann zu einem Anstieg des motorisierten Individualverkehrs führen 16 4 | Raumstrukturelle Auswirkungen der Fahrzeugautomatisierung 19 4.1 Das automatisierte Fahren kann mehr Raum für nachhaltigen Verkehr schaffen 19 4.2 Das automatisierte Fahren wird nicht nur die Alltagsmobilität, sondern auch langfristige Wohnstandortentscheidungen beeinflussen 19 4.3 Die Separierung der Infrastruktur für automatisierte Fahrzeuge steht im Widerspruch zu nachhaltiger Stadtentwicklung 19 5 | Anforderungen an Vernetzung, Daten und Algorithmen 21 5.1 Die zusätzliche Vernetzung der Fahrzeuge bringt Vorteile für das Gesamtsystem. Ihre Umsetzung bedarf geeigneter Konzepte und rechtlicher Regelungen für den Datenschutz 21 5.2 Algorithmische selbstlernende Systeme stellen eine Herausforderung für Haftung und Prüfung dar 21 7
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | Inhalt 6 | Mit automatisiertem Fahren zu nachhaltiger Mobilität 23 6.1 Ohne politische Rahmensetzung droht die Fahrzeugautomatisierung in eine neue Ära der Massenmotorisierung zu führen 23 6.2 Auch in einem automatisierten Verkehrssystem gilt: Verkehr vermeiden und zugunsten nachhaltiger Verkehrsträger verlagern 23 6.3 Neue Mobilitätsangebote als Plattform für eine nachhaltige Integration automatisierter Fahrzeuge in den Personenverkehr etablieren 24 6.4 Verbessern des motorisierten Verkehrs mithilfe von Technologien 24 6.5 Das automatisierte Fahren als eines von vielen Elementen der Verkehrswende verstehen 25 7 | Anhang 27 7.1 Automatisiertes und vernetztes Fahren 27 7.2 Rechtliche Rahmenbedingungen des automatisierten Fahrens 28 7.3 Mögliche Einführungsszenarien des automatisierten Fahrens 28 7.4 Anwendungsmöglichkeiten/-fälle automatisierter Fahrzeuge 29 7.5 Die Entwicklung des automatisierten Fahrens im internationalen Vergleich 31 8 | Literaturverzeichnis 33 8
Einleitung Die zunehmende Automatisierung und Vernetzung birgt Potenziale für einen Gewinn an Sicherheit, Komfort, Flexibilität und Effizienz im Personenverkehr und ermöglicht seine kostengünstigere Gestaltung. Wie jede andere technische Erneuerung birgt die Fahrzeugauto- matisierung neben diesen Chancen aber auch Risiken und Herausforderungen, etwa durch nicht intendierten Gebrauch. Um das volle Potenzial der Fahrzeugauto matisierung für die Gestaltung eines nachhaltigen Verkehrssystems zu entfalten und Risiken bei der Imple- mentierung im bestehenden System zu begegnen, kommt es daher darauf an, bereits im Vorhinein potenzielle Auswirkungen zu analysieren und einen fundierten Aus- handlungsprozess über Gestaltungs- und Steuerungs- möglichkeiten der technologischen Optionen anzustoßen. Der vorliegende Bericht möchte dazu die Grundlage liefern. Er fasst die wesentlichen Erkenntnisse der einschlägigen Fachliteratur in Thesenform zusammen und bietet damit einen systematischen Überblick über die verkehrlichen Potenziale, Herausforderungen und Risiken des automatisierten und vernetzten Fahrens (AVF). Er diskutiert die möglichen Wirkungen der Fahr- zeugautomatisierung im Hinblick auf Mobilitätsmarkt, Nutzer, Verkehrssystem, Raumstruktur und Gesellschaft und zeigt mögliche Handlungsoptionen für die Gestal- tung eines nachhaltigen Verkehrssystems auf. Aus dem Überblick über mögliche Entwicklungsrichtungen der Fahrzeugautomatisierung ergibt sich – obwohl sie ebenso wie ihre verkehrlichen Auswirkungen zurzeit noch mit einer ganzen Reihe von Unsicherheiten verbunden ist – dennoch ein deutliches Ergebnis: Der Prozess bedarf der politischen Steuerung. Denn die zentrale Fragestellung muss lauten, wie die Automatisierung des Personen verkehrs zum Gelingen der Verkehrswende und zur Erreichung der Klimaziele im Verkehr beitragen kann. 9
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | Einleitung 10
1 | Markt und Einführung automatisierter Fahrzeuge im Personenverkehr Die Fahrzeugautomatisierung betrifft nicht allein Ver- (ÖV).3 Die Automatisierung von individuell genutzten änderungen in der Technik. Sie wirkt sich aller Voraus automatisierten Fahrzeugen besteht in der schrittweisen sicht nach mittel- und langfristig auch auf Faktoren Weiterentwicklung von Assistenzsystemen, mit denen wie die individuelle Mobilität, das Verkehrssystem, die Privat-Pkw bereits heute ausgestattet sind. Im Unter- Raumstruktur sowie auf die Gesellschaft als Ganzes aus. schied dazu sind etwa Carsharing oder Taxi-ähnliche Bei aller Unabsehbarkeit der konkreten Auswirkungen Angebote neue Formen von On-Demand-Mobilitäts im Einzelnen zeichnet sich aber bereits heute ab: Die angeboten, die erst durch höchste Automatisierungs- Konsequenzen der Fahrzeugautomatisierung werden stufen ermöglicht werden und digitale Möglichkeiten im Wesentlichen davon abhängen, in welcher Art von nutzen, um Fahrzeugflotten flexibel zu disponieren Geschäftsmodell und auf welcher Automatisierungs- und Fahrtwünsche in Echtzeit ohne Fahrplan zu erfül- stufe die Fahrzeuge zum Einsatz kommen. len. S olche Angebote haben das Potenzial, Tür-zu- Tür-Mobilität ohne Besitz eines Privatfahrzeugs zu ermöglichen. Darüber hinaus können sie eine sinnvolle 1.1 Wie automatisierte Verkehrs Ergänzung zum regulären öffentlichen Personenver- systeme zum Einsatz kommen, kehr darstellen oder zu seiner Attraktivitätssteigerung beitragen, indem sie beispielsweise in das ÖV-System ist nicht allein eine Frage der integriert oder auf der ersten und letzten Meile einge- technischen Entwicklung setzt werden. Automatisiertes Fahren kann verschiedene Formen annehmen mit je unterschiedlichen Auswirkungen auf 1.3 Die Fahrzeugautomatisierung die Verkehrsentwicklung.2 Das reicht von der Evolution muss als Struktur- und Prozess des assistierten Autofahrens bis hin zur Transformation wandel der traditionellen Auto des städtischen Straßenverkehrs. Entscheidend dafür, wann und in welcher Form hoch- oder vollautomati- mobilindustrie verstanden werden sierte Fahrzeuge regulär im Straßenverkehr eingeführt sein werden, sind nicht nur technische Fragestellungen Im Bereich des automatisierten Fahrens zählt Deutsch- (Herausforderungen im Mischverkehr, Sensorik, Ent- land zu den weltweit führenden Ländern, muss sich scheidungsalgorithmen, Infrastruktur etc.). Ebenso wich- jedoch zunehmend gegen starke Wettbewerber aus dem tig ist der politische Wille, die Entwicklung und Einfüh- restlichen europäischen, asiatischen und US-amerika- rung automatisierter Fahrzeuge steuernd zu begleiten. nischen Raum behaupten.4 Digitalkonzerne, Software entwickler, aber auch Halbleiter- und Sensorikhersteller zählen zu den neuen Marktteilnehmern, die immer 1.2 Neben der individuellen Nutzung stärker in die automobile Wertschöpfung hineindrängen bestehen erhebliche Potenziale und den Fachkräftebedarf am Arbeitsmarkt spürbar verändern.5 im Bereich ÖPNV und Sharing Automatisiertes Fahren kann sowohl auf verschiedenen Als zentrale Voraussetzung dafür, dass der deutsche Automatisierungsstufen zur Anwendung kommen als Markt seine Führungsposition in der Automobilbranche auch in unterschiedlichen Arten von Geschäftsmodellen. beibehalten und sich als Leitanbieter im Bereich des Neben der privaten Nutzung von automatisierten Fahr- automatisierten und vernetzten Fahrens durchsetzen zeugen sind dabei vor allem kollaborative Mobilitätsange- kann, gelten vor allem die Bereiche Infrastruktur, Recht, bote zu nennen, bei denen Fahrzeuge unter verschiedenen Innovationen, Vernetzung sowie IT-Sicherheit und Nutzern geteilt werden (Carsharing- oder Taxi-ähnliche Angebote), sowie der automatisierte öffentliche Verkehr 3 Weiterführende Informationen im Anhang (Kapitel 7.4). 2 Weiterführende Informationen im Anhang 4 Weiterführende Informationen im Anhang (Kapitel 7.5). (Kapitel 7.3 und 7.4). 5 Grunwald (2015); McKinsey & Company (2019). 11
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | 1 | Markt und Einführung automatisierter Fahrzeuge im Personenverkehr Datenschutz.6 In allen genannten Feldern sollten in den nächsten Jahren die Voraussetzungen für Erprobung und Umsetzung des automatisierten und vernetzten Fahrens geschaffen werden. Dabei gilt auch die frühzeitige Einbe- ziehung relevanter Fragen der gesellschaftlichen Akzep- tanz der Technologieentwicklung als entscheidend.7 6 BMVI (2015); VDA (2015). 7 Fraedrich; Lenz (2014). 12
2|N utzer und individuelle Mobilität im Zeitalter der Automatisierung Das automatisierte Fahren bietet Vorteile für die Verbes- schränkungen11, aufgrund ihres Wohnstandortes oder serung und Veränderung der Mobilität unterschiedlicher ihres sozioökonomischen Status in ihrer Mobilität einge- Nutzergruppen. Auch für die Verkehrswende ergeben schränkt sind und mit wachsender Fahrzeugautomati- sich mögliche positive Implikationen. Für die Akzeptanz sierung die Möglichkeit erhalten, individuell, flexibel und automatisierter Verkehrssysteme wird nicht zuletzt aus- komfortabel mobil zu sein. Gesamtgesellschaftlich öffnet schlaggebend sein, ob bei der Einführung die Bedürfnisse sich damit die Chance, künftigen demografischen Her- der Nutzer, ihre je individuellen Anforderungen und ausforderungen zu begegnen. Andererseits bergen die potenziellen Bedenken hinsichtlich der Technik berück- potenziell hohen Kosten für Technik und Infrastruktur sichtigt werden. das Risiko, dass nicht alle Nutzergruppen gleichermaßen von der neuen Technologie profitieren. Solchen Benach- teiligungen lässt sich nur entgegenwirken, wenn bei der 2.1 Der Autoverkehr wird Einführung neuer digitaler und automatisierter Mobili- komfortabler tätsangeboten auch Sozialverträglichkeit, Verbraucher- schutz und Inklusion berücksichtigt werden. Die stetig steigende Zahl an Assistenzsystemen (z. B. Autobahn- und Staupilot, Einparksysteme, Spurhalte- und Bremsassistent) macht das Autofahren nicht nur 2.3 Die Fahrzeugautomatisierung sicherer, sondern auch komfortabler, weil Fahrerinnen kann eine Reduktion und Fahrer zunehmend von der Fahr- und Aufsichts des Motorisierungsgrades aufgabe entlastet werden und während der Fahrt ande- ren Tätigkeiten nachgehen können.8 Zu den Komfort unterstützen gewinnen gehört neben einer produktiveren Nutzung der Unterwegszeit auch, dass die Parkplatzsuche mit Die Verfügbarkeit neuer automatisierter Mobilitätsange- zunehmender Automatisierung überflüssig wird und bote, die auf eine geteilte Nutzung von Fahrzeugen setzen das subjektive Wohlbefinden9 im motorisierten Indivi- (Carsharing- oder Taxi-ähnliche Angebote, Ridepooling) dualverkehr (MIV) sich verbessert (weniger Stress und und sich gegenüber konventionellen geteilten Mobili- Aggressivität im Straßenverkehr). Während die Sicher- tätsangeboten (Carsharing mit konventionellen Fahr- heitsgewinne unbestreitbar positiv zu bewerten sind, zeugen) und Taxis durch einen vereinfachten Zugang geht mit den Komfortgewinnen auch das Risiko soge- und niedrigere Nutzerkosten auszeichnen, kann zu einer nannter Rebound-Effekte einher – etwa eine steigende relevanten Verkehrsmittelalternative werden und damit Fahrleistung durch Verlagerung von Rad- und Fußver- zu einer Reduktion des privaten Pkw-Besitzes führen. kehr und durch das Erschließen neuer Nutzergruppen. Modellrechnungen zeigen, dass Fahrzeuge in Flotten automatisierter geteilter Mobilitätsanbieter das tägliche Fahrtenaufkommen von bis zu elf privaten Fahrzeugen 2.2 Das automatisierte Fahren übernehmen können – ohne Einschränkungen in der ermöglicht individuelle Mobilität.12 Allerdings ist die tatsächliche Bereitschaft von Haushalten, auf den eigenen Pkw zu verzichten oder Mobilität für alle seine Nutzung einzuschränken, nicht allein von der Ver- Höhere Automatisierungsstufen und neue fahrerlose fügbarkeit automatisierter Mobilitätsangebote abhängig, Angebote eröffnen auch solchen Nutzergruppen Zugang sondern von weiteren Faktoren wie täglichen Mobilitäts- zu motorisierter individueller Mobilität, die bislang kein mustern, Pendelwegen, der Zugehörigkeit zu bestimmten motorisiertes Straßenfahrzeug fahren konnten, durften Alterskohorten („Generation Y“) oder gesellschaftlichen oder wollten.10 Dazu gehören etwa Nutzergruppen, die Trends (insbesondere Trend zum Nutzen statt Besitzen aufgrund gesundheitlicheroder altersbedingter Ein- eines Fahrzeugs).13 Die Automatisierung allein wird 8 Trommer et al. (2016b); Anderson et al. (2014). 11 Harper et al. (2016). 9 Singleton (2019); Kolarova et al. (2019). 12 Bischoff; Maciejewski (2016). 10 Trommer et al. (2016b); Zmud et al. (2017). 13 Menon et al. (2019). 13
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | 2 | Nutzer und individuelle Mobilität im Zeitalter der Automatisierung emnach wohl nicht zu einer signifikanten Reduzierung d des Pkw-Bestandes führen. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die Auto- matisierung gegenläufige Wirkungsrichtungen entfalten kann: Weil sie Autos für neue Nutzergruppen verfügbar und die Autonutzung insgesamt attraktiver macht, kann sie sogar zu einer Steigerung des privaten Pkw-Besitzes beitragen. Andererseits kann sie bei mehrfach motori- sierten Haushalten – jedenfalls bei günstigen Rahmen- bedingungen der Haushaltsstruktur (Familien mit einem höheren Einkommen, Wohnort im suburbanen Raum) und günstigen räumlichen Aktivitätenmustern (viele kurze Fahrten) – eine Reduktion der Anzahl der Pkw erwirken, weil automatisiertes Fahren ohne Fahrerüber- wachung Leerfahrten ermöglicht.14 2.4 Subjektives Empfinden kann zur Akzeptanzbarriere werden Den zu erwartenden Vorteilen, die mit automatisiertem Fahren und neuen flexiblen Angebote verbunden sind, stehen Akzeptanzbarrieren im Wege, etwa mangelndes Vertrauen in die Technik oder Umstellungsschwierigkei- ten vom manuellen zum automatisierten Fahren. Häufig geäußerte Bedenken beziehen sich auf die (vollständige) Kontrollabgabe des Fahrers, den Verlust des Fahrvergnü- gens und befürchtete Langeweile.15 Aber auch gegenläufige Vorbehalte werden vorgetragen, etwa dass die Möglichkeit der alternativen Zeitnutzung im Fahrzeug einem zuneh- menden Effizienzdruck weiter Vorschub leisten könnte.16 In Bezug auf die Nutzung automatisierter Fahrzeuge für neue Mobilitätsangebote, insbesondere kollabora- tive Angebote mit geteilten Fahrten (Ridepooling), wird zudem auf potenzielle Einschränkungen der Privatsphäre und des Komforts sowie auf Sicherheitsbedenken (z. B. Vertrauenswürdigkeit der Mitfahrenden oder Hacker angriffe) verwiesen.17 Auch datenschutzrechtliche Bedenken stellen eine wichtige Akzeptanzbarriere dar.18 14 Zhang et al. (2018). 15 Trommer et al. (2016a); Yap et al. (2016); Becker; Axhausen (2017); Howard; Dai (2014). 16 Fraedrich; Lenz (2015). 17 Bansal et al. (2016); Stegmüller et al. (2019). 18 Lemmer (Hg.) (2019). 14
3|A uswirkungen der Fahrzeugautomati sierung auf das Verkehrssystem Zu den erwarteten positiven Auswirkungen der Auto- Nutzer als auch andere Verkehrsteilnehmer.20 Es soll ins- matisierung auf das Verkehrssystem gehören Verbes- besondere bei mittleren Automatisierungsstufen und im serungen in Sicherheit, Effizienz und Kapazität sowie Mischverkehr in der Stadt ausgeschlossen werden, dass das Entstehen komfortablerer, kostengünstiger und durch die Einführung automatisierter Fahrzeuge neue flexiblerer Mobilitätsoptionen. Demgegenüber werden Gefahrenquellen entstehen. potenzielle Rebound-Effekte diskutiert, die vor allem die gestiegene Attraktivität des Individualverkehrs, neue Aufgrund der nur schrittweise erfolgenden Technologie- Nutzergruppen, Leerfahrten und eine entsprechende entwicklung und Marktdurchdringung wird es zu einer Zunahme der Verkehrsleistung betreffen. Daraus ergibt herausfordernden Übergangszeit mit einem Mischver- sich, dass auch negative externe Effekte des Verkehrs kehr aus manuell geführten und automatisierten Fahr- (Stau, Luftschadstoffe, CO2-Emissionen etc.) durchaus zeugen sowie aus verschiedenen Modellen und Stufen anwachsen könnten. der Automatisierung kommen. Daraus sowie aus einem noch ungeübten und möglicherweise falschen Umgang mit der Technik können sich neue Gefahrenquellen und 3.1 Die Fahrzeugautomatisierung Beeinträchtigungen der Sicherheit im Verkehr ergeben.21 kann zu einer höheren Verkehrs sicherheit führen, aber auch zu 3.2 Effizienz- und Kapazitätsgewinne neuen Gefahrenquellen im Misch im Verkehr ergeben sich erst bei verkehr aus manuell geführten einer hohen Durchdringungsrate und automatisierten Fahrzeugen Die Automatisierung bietet Chancen für eine Verbesse- Die verbesserte Sicherheit im Straßenverkehr durch rung der Effizienz im Verkehrsablauf und für eine höhere Regelkonformität von automatisierten Fahrzeugen Kapazität der Verkehrsinfrastruktur,22 die sich aus einer gehört zu den wohl wichtigsten Vorteilen der Fahr- abgestimmten Fahrweise der Fahrzeuge und kleineren zeugautomatisierung und Vernetzung – immerhin 88 Sicherheitsabständen zwischen den Fahrzeugen ergibt. Prozent aller Unfälle sind derzeit auf menschliches Das Ausmaß der Kapazitätssteigerung variiert je nach Versagen zurückzuführen.19 Allerdings wird sich der Durchdringungsrate mit Automatisierungstechnologien Beitrag von Automatisierung zur Verbesserung der und nach Höhe der jeweiligen Streckengeschwindigkeit. Verkehrssicherheit und der Verkehrslage nicht „wie von Je höher die Streckengeschwindigkeit, desto größer der alleine“ ergeben – entscheidend wird vielmehr sein, wie mögliche Kapazitätszuwachs.23 Im städtischen Umfeld bedienerfreundlich die Technik ist und wie einfach sich sind Kapazitätszuwächse auch im Kreuzungsbereich die Mensch-Maschine-Interaktion gestalten lässt. Denn durch kooperatives Anfahren (ein durch die Kommuni- für die verschiedenen Automatisierungsstufen unterhalb kation zwischen den Fahrzeugen abgestimmtes Anfah- der Vollautomatisierung ist jeweils ein verändertes Fahr- ren) und kürzere Wartezeiten möglich.24 Abschätzungen verhalten bzw. eine Anpassung der Fahreignungseigen- der Potenziale der Kapazitätszuwächse reichen bei einer schaften erforderlich, insbesondere beim Umgang mit der vollständigen Durchdringung der Flotte mit autonomen Technik, im Verständnis von Fähigkeiten und Grenzen Fahrzeugen bis zu einem Wert von 80 Prozent auf Auto- der Systeme sowie bei der Aufgabenverteilung zwischen bahnen und 40 Prozent in Kreuzungsbereichen.25 Technik und Nutzer. Als besondere Herausforderung gelten Übernahmesituationen bei einem Fahrzeug mit der Autonomiestufe 3, bei denen der Fahrer die manuelle 20 VDA (2019); Campbell et al. (2018); NHTSA (2017). Kontrolle wieder übernimmt. Auf nationaler und inter- 21 Sivak; Schoettle (2015); Lutin (2015). nationaler Ebene wird daher an Standards und Leitlinien 22 Hartmann et al. (2017); Lutin (2015); Fagnant; Kockelman für die Gestaltung der Kommunikation zwischen Technik (2015). und Mensch gearbeitet – dies sowohl in Hinblick auf die 23 USTUTT (2018). 24 Le Vine et al. (2015). 19 Destatis (2018). 25 Friedrich (2015). 15
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | 3 | Auswirkungen der Fahrzeugautomatisierung auf das Verkehrssystem Auf der Basis niedrigerer Durchdringungsraten prog- die für die Automatisierung der Fahraufgaben benötigte nostizieren andere Studien einen Kapazitätsrückgang Umgebungserfassung und Datenverarbeitung durch den von lediglich bis zu 10 Prozent. In diese niedrigere Onboard-Computer hohe Rechenleistung erfordern und Berechnung geht insbesondere die Annahme ein, dass zu einem Anstieg des Energieverbrauchs führen werden. die Notwendigkeit eines regelkonformen Verhaltens Potenziell reduzieren lässt sich der Bedarf an Rechen- von automatisierten Fahrzeugen im Mischverkehr im leistung und Technik im Fahrzeug, wenn die (Sensor-) Vergleich zum Ausgangszustand zu teilweise größeren Daten von einem vernetzten Fahrzeug an ein Backend- Zeitlücken beim Einscheren in den Verkehr führen wird. System gesendet, dort verarbeitet, mit weiteren Infor- Nach diesem Szenario ergeben sich positive Auswir- mationen angereichert und in aufbereiteter Form an das kungen auf Kapazitätszuwächse erst bei zusätzlichen Fahrzeug zurückgeschickt werden. Auch dann ist aber Vernetzung der Fahrzeuge untereinander.26 Eine erhöhte davon auszugehen, dass für den Automatisierungspro- Infrastrukturkapazität führt zu einer abgestimmten zess zusätzliche Energie bereitgestellt werden muss (z. B. Fahrweise der Fahrzeuge und dementsprechend zu einer für Serverkapazitäten). Verminderung der Fahrzeiten im vormals überlasteten Bereich sowie zu einer Effizienzsteigerung im Sinne Ersten Studien zufolge wird der zusätzliche Energie einer Energiereduktion, da sich die Zahl der Brems- und bedarf durch die Automatisierungstechnik im Fahrzeug Beschleunigungsvorgänge vermindert.27 bei 4 bis 15 Prozent liegen.31 Andere Experten halten diese Zahlen für zu niedrig und gehen mit Hinweis auf weitere zu berücksichtigende Parameter (Datenverar- 3.3 Das automatisierte Fahren beitung im Fahrzeug oder auf einem externen Server, kann trotz effizienterer Fahr Energieeffizienz der Technikkomponenten, Fahrzeug antriebsart) davon aus, dass sich eine realistische weise zu einer Steigerung des Abschätzung der Effizienz von automatisierten Fahr- Energieverbrauchs führen zeugen nur ergibt, wenn der gesamte Energieaufwand – sowohl im Fahrzeug als auch außerhalb des Fahrzeuges – Bei gleichmäßiger und abgestimmter Fahrweise – weni- betrachtet wird. ger starkem Beschleunigen und Abbremsen – ermög lichen automatisierte Fahrzeuge eine energieeffizien- tere Fortbewegung als manuell gesteuerte Fahrzeuge.28 3.4 Das automatisierte Fahren Schätzungen zufolge beträgt die mögliche Energieerspar- kann zu einem Anstieg des nis 10 bis 20 Prozent.27 Demgegenüber ist aufgrund von motorisierten Individualverkehrs erhöhten Geschwindigkeiten im Verkehr sowie durch den Betrieb und das Gewicht der zusätzlich benötigten führen Technik im Fahrzeug von einer Steigerung des Energie- bedarfs auszugehen.29 Der Energiebedarf wird von der Verschiedenen Studien zufolge könnte die Fahrzeugauto Automatisierungsstufe der Fahrzeuge, ihren jeweiligen matisierung zu einem höheren Verkehrsmittelwahl Vernetzungsfunktionen und der zusätzlichen Fahrzeug anteil des motorisierten Individualverkehrs führen, etwa ausstattung abhängen. Weil Leistung und Effizienz der aufgrund der steigenden Attraktivität für neue Nutzer Technik (z. B. Computerchips, Sensoren) sich schnell gruppen und der veränderten Zeit- und Komfortbewer- weiterentwickeln,30 sind Prognosen in diesem Bereich tung des Pkw-Verkehrs.31 Ausgegangen wird darüber mit Unsicherheit behaftet. Doch auch bei fortschritt hinaus von sinkenden Nutzerkosten für automatisierte licher Technik der Zukunft ist nicht auszuschließen, dass Sharing- und Pooling-Angebote, die sich zulasten der aktiven Verkehrsmodi (Fahrradfahren und Zufußgehen) 26 Hartmann et al. (2017). sowie des konventionellen öffentlichen Verkehrs (ÖV) 27 Lee; Kockelman (2019). auswirken könnten. Bei einer Durchdringung der Pkw- 28 Lee; Kockelman (2019); Wadud et al. (2016); EIA (2018). Flotte mit automatisierten Fahrzeugen von etwa 40 Pro- 29 Gawron et al. (2018). 30 Dunietz (2018). 31 Childress et al. (2014); Fraedrich et al. (2017). 16
Agora Verkehrswende | 3 | Auswirkungen der Fahrzeugautomatisierung auf das Verkehrssystem zent beläuft sich die Gesamtverminderung nach Modell- rechnungen bei Fuß- und Radwegen auf etwa 10 Prozent, im städtischen Raum sogar auf etwa 15 Prozent.32 Signifi- kante Effekte ergeben sich aber nicht allein aufgrund von Nachfrageverschiebungen. Hinzu kommen die durch die Einführung automatisierter Fahrzeuge erzeugten Leer- fahrten – sowohl bei kollaborativen Mobilitätskonzepten als auch bei der Nutzung von Privat-Pkw.33 Auch wenn Schätzungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch mit einer beträchtlichen Ungewissheit behaftet sind, wird aufgrund steigender Fahrleistung (neue Nutzergruppen, Leerfahrten und längere Wegstrecken) von einem bis zu 50 bis 60 Prozent höherer Energiebedarf gegenüber dem heutigen Stand ausgegangen.34 Der öffentliche Verkehr hat gegenüber dem motorisierten Individualverkehr erhebliche Kapazitäts-, Kosten- und Umweltvorteile. Um Überlastungen der Straßeninfra strukturen entgegenzuwirken, müssen öffentliche Ver- kehrsmittel auch in Zukunft – und insbesondere in den Städten – weiterhin eine entscheidende Stütze des Ver- kehrssystems bleiben.35 Die Integration spezifischer neuer automatisierter Mobilitätsangebote (z. B. automatisierter bedarfsgerechter Kleinbusse bzw. Rufbusse oder ande- rer automatisierter Carsharing-/Ridepooling-Angebote) kann die Attraktivität des öffentlichen Verkehrs und des Umweltbundes insgesamt erheblich verbessern. Allerdings werden auch diese neuen Angebotskonzepte zulasten von aktiven Verkehrsmodi (Zufußgehen, Radfahren) und konventionellem ÖV gehen. Mit neuen Formen des indi- viduellen motorisierten Verkehrs (z. B. automatisiertes Carsharing) lässt sich daher nur bei ausreichend hohem Besetzungsgrad bzw. durch geteilte/gemeinschaftliche Nutzung (Ridepooling) eine Reduktion der straßengebun denen Verkehrsleistung erreichen bzw. ein deutlicher Anstieg vermeiden.32 32 Fraedrich et al. (2017). 33 Bischoff; Maciejewski (2016); Zhang et al. (2018). 34 Wadud et al. (2016); Lee; Kockelman (2019). 35 Basu et al. (2018) 17
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | 3 | Auswirkungen der Fahrzeugautomatisierung auf das Verkehrssystem 18
4|R aumstrukturelle Auswirkungen der Fahrzeugautomatisierung 4.1 Das automatisierte Fahren kann in Form von neuen Mobilitätsdienstleistungen (z. B. mit mehr Raum für nachhaltigen automatisierten bedarfsgerechten Kleinbussen bzw. Rufbussen). Die Integration in den ÖPNV gilt daher als Verkehr schaffen ein übergeordnetes verkehrspolitisches Ziel der Fahr- Welche Auswirkungen haben automatisierte Fahr- zeugautomatisierung. zeuge und automatisierte Sharing-Systeme auf den Parkflächenbedarf? Dieser Frage wird in einer Reihe von Studien nachgegangen, die höchst unterschiedliche Sze- 4.2 Das automatisierte Fahren wird narien entwerfen.36 Als eine der am häufigsten vermute- nicht nur die A lltagsmobilität, ten Auswirkung gilt die Reduktion des Parkflächenbedarfs sondern auch langfristige durch flächeneffiziente Bündelung von Parkflächen in innerstädtischen Parkhäusern.37 Es spricht allerdings Wohnstandortentscheidungen auch vieles dafür, dass Parkflächen nicht innerstädtisch, beeinflussen sondern am Stadtrand oder im Umland neu entstehen, weil beim Einsatz automatisierter Fahrzeuge der Parkplatz Das automatisierte Fahren ermöglicht es, die Unterwegs- nicht mehr möglichst nah am Zielort seiner Nutzer sein zeit im Fahrzeug für andere Tätigkeiten als Fahraufgaben muss. Das Fahrzeug kann nach Zielankunft eigenständig zu nutzen. Mit der Verfügbarkeit autonomer Fahrzeuge weiterfahren, außerhalb parken und den Passagier auf könnte daher die Bereitschaft wachsen, häufigere und Zuruf wieder abholen.40 Die Parknachfrage könnte sich so längere Wege in Kauf zu nehmen, etwa zwischen Wohn- in dünn besiedelte und preiswerte Randgebiete verlagern, ort und Arbeitsplatz. Einige Studien weisen auf den vor allem dann, wenn in zentralen Lagen Parkgebühren Zusammenhang zwischen Fahrzeugautomatisierung und anfallen.38 Damit würden autonome Fahrzeuge zwar zum einer wachsenden Attraktivität von Wohngebieten am Freiwerden städtischer Flächen beitragen, zugleich aber Stadtrand sowie der Entwicklung von dispersen Sied- aufgrund zunehmender Leerfahrten zu einer Erhöhung lungsstrukturen mit geringer Nutzungsdichte und hoher des Verkehrsaufkommens. Flächeninanspruchnahme hin.40 Sollten mit dem auto- matisierten Fahren keine höheren Kosten als mit dem Das veranschlagte Aufkommen von Leerfahrten bemisst heutigen Privatauto verbunden sein, könnte sich daraus sich dabei unter anderem danach, wie raumgreifend die eine fortschreitende Zersiedelung und eine neue Sub Parkraumbewirtschaftung und wie hoch die Parkgebüh- urbanisierungswelle ergeben. Das automatisierte Fahren ren wären. Diese Faktoren sind maßgeblich dafür, ob es hätte dann aus raumstruktureller Sicht einen ähnlichen sich lohnt, das Fahrzeuge nicht zu parken, sondern es bis Effekt wie die Massenverbreitung des Automobils in der zum nächsten Einsatz leer umherfahren zu lassen.39 Mit Vergangenheit. den Leerfahrten sind zwar Flächengewinne durch frei werdende Parkflächen verbunden sowie eine mögliche Umnutzung von Infrastrukturen für aktive Verkehrsmodi 4.3 Die Separierung der Infrastruktur und für eine bessere Aufenthaltsqualität im öffentlichen für automatisierte Fahrzeuge Raum. Aber Leerfahrten führen auch zu einem Anstieg steht im Widerspruch zu des Verkehrsaufkommens, der Fahrleistung und des Energieverbrauchs automatisierter Fahrzeuge. Diesem nachhaltiger Stadtentwicklung Risiko lässt sich nur entgegenwirken, wenn es nicht beim klassischen Individualverkehr bleibt und die Integration Ein weiteres in der Forschung häufig diskutiertes Thema automatisierter Fahrzeuge in den ÖPNV gelingt, etwa ist die Separierung von automatisiertem und nicht automatisiertem Verkehr durch physische Infrastruk- 36 Soteropoulos et al. (2019). tur. Bereits heute bestehen separierte Verkehrswege mit 37 Kummerle et al. (2009); Mitchell et al. (2010); Li; Shao exklusiven Nutzungsrechten, etwa Autobahnen oder (2015). Straßen, die Schnellfahrzeugen vorbehalten und nicht für 38 Chapin et al. (2016). 39 Correia, G. H.d. A.; van Arem, B. (2016). 40 Apel (2019); Heinrichs (2015); Lutin (2015). 19
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | 4 | Raumstrukturelle Auswirkungen der Fahrzeugautomatisierung Fuß- oder Radverkehr zugelassen sind. Aus Sicht künf- tiger Anbieter und Entwickler automatisierter Angebote stellt sich der Mischverkehr aus automatisierten und nicht automatisierten Verkehrsmitteln auf gemeinsamen Verkehrswegen als eine der größten Herausforderungen für die technischen Systeme (Bilderkennung und -ver arbeitung) dar. Er ist aufgrund des Sicherheits-/Unfall risikos zudem eine Barriere für eine zeitnahe Geneh- migung von automatisierten Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen. Aus Sicht von Befürwortern einer nachhaltigen Verkehrs politik widerspricht eine separierte Infrastruktur für automatisierte Fahrzeuge allerdings den Grundsätzen einer integrierten Stadt- und Verkehrsplanung, für die nicht allein die Belange des motorisierten Verkehrs rele- vant sind, sondern die sich auch an Radfahrern und Fuß- gängern sowie an der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum orientiert. Sie befürchten eine „autogerechte Stadt 2.0“. Entwicklung und Einsatz von automatisierten Ange- boten sollten daher immer im Hinblick auf ein integriertes Verkehrssystems stattfinden.41 41 Kolarova et al. (2020); DST (Hg.) (2018). 20
5|A nforderungen an Vernetzung, Daten und Algorithmen Die Automatisierung und Vernetzung von Fahrzeugen finden und setzt die Informiertheit der Gesellschaft über beruht auf datengetriebenen technischen Lösungen. die Ziele der Technologie und ihre möglichen Folgen Sie bieten Potenziale für eine effizientere Organisation voraus.43 des Verkehrs. Zugleich wachsen aber mit der verar- beiteten Datenmenge auch die Herausforderungen im Bereich der Sicherheit und des Schutzes personenbezo- 5.2 Algorithmische selbstlernende gener Daten. Systeme stellen eine Herausforderung für Haftung 5.1 Die zusätzliche Vernetzung der und Prüfung dar Fahrzeuge bringt Vorteile für das Selbstlernende Systeme mit algorithmischer Entschei- Gesamtsystem. Ihre Umsetzung dungsfindung machen eine Anpassung bisher gültiger bedarf geeigneter Konzepte und Rechtsbegriffe nötig, insbesondere in Hinblick auf Haf- rechtlicher Regelungen für den tungsfragen und den Umgang mit auf mehrere Instanzen Datenschutz verteilten Verantwortlichkeiten. Derzeit werden bereits alternative Haftungskonzepte zur Herstellerhaftung Die Potenziale der Automatisierungstechnologie lassen entwickelt und diskutiert. sich nur dann in Gänze heben, wenn Automatisierung und Vernetzung der Fahrzeuge über Datenaustausch Da sich diese Systeme schnell verändern und mit neuen zusammengedacht werden. Ein vernetztes automati- Fahrsituationen weiterentwickeln, stellen sie darüber siertes Fahrzeug ist ein mit Kommunikationstechnologie hinaus auch die Prüfinstanzen vor neue und hohe Anfor- ausgestattetes Auto, das den Fahrzeugführer von der derungen. Die Sicherheitsprüfung kann in Zukunft nicht Verantwortung des Beschleunigens, Navigierens etc. ent- mehr einmalig am „ganzen“ Fahrzeug erfolgen, sondern hat bindet und einen direkten Datenaustausch zwischen der sich kontinuierlich auf die einzelnen Systemkomponenten Außenwelt und dem Fahrzeug erlaubt. Durch Datenaus- zu erstrecken. Um Risiken für die Sicherheit im Straßen- tausch („Vernetzung“) wird es möglich, die Anforderun- verkehr zu verringern, müssen algorithmische Systeme in gen verschiedener Fahrzeuge auf einer übergeordneten möglichst vielfältigen realen Umweltsituationen trainiert Ebene auszubalancieren, für das System zu optimieren werden, um aus Zwischenfällen zu lernen. Als Heraus- und die vorhandene Straßenkapazität effizienter zu nut- forderung gilt dabei insbesondere die Abwägung von zen. Dies beruht im Wesentlichen auf der Verbesserung wirtschaftlichen Interessen und Sicherheitsinteressen. des Verkehrsflusses durch Vermeidung von Stop-and-go und durch geringere Abstände zum Folgefahrzeug.42 Weitere Potenziale der Vernetzung sind nahtlose Reise ketten über verschiedene Verkehrsmittel hinweg und eine an der tatsächlichen Nachfrage bemessene Kapazi- tätsplanung im öffentlichen Verkehr. Sammlung und Austausch von Daten bergen allerdings Risiken hinsichtlich Datenschutz und Datensouveräni- tät (Zugang, Nutzung, Missbrauchsgefahr). Daher sind geeignete Konzepte und rechtliche Regelungen für die Belange des Datenschutzes und des Rechts auf Privat heit unerlässlich. Die Entwicklung dieser Konzepte sollte unter Einbeziehung der öffentlichen Debatte statt- 42 Talebpour et al. (2016). 43 Lemmer (Hg.) (2019); Kolarova et al. (2020). 21
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | 5 | Anforderungen an Vernetzung, Daten und Algorithmen 22
6|M it automatisiertem Fahren zu nachhaltiger Mobilität Der Überblick über den Forschungsstand zeigt: Die 6.2 Auch in einem automatisierten Fahrzeugautomatisierung im Personenverkehr führt Verkehrssystem gilt: Verkehr keineswegs auch „automatisch“ zu positiven Effekten für vermeiden und zugunsten nach die Verkehrswende. Vielmehr ergeben sich Handlungs- bedarfe für Entwicklungspfade in Richtung nachhaltiges haltiger Verkehrsträger verlagern Mobilitätssystem. Diese Handlungsbedarfe werden im Folgenden aufgezeigt und diskutiert. Soll die Fahrzeugautomatisierung nicht zu einem Anstieg der Verkehrsleistung führen bzw. sogar zu einer Verrin- gerung der Verkehrsleistung beitragen, ist eine deutliche 6.1 Ohne politische Rahmensetzung Stärkung kollaborativer Mobilitätsangebote und des droht die Fahrzeugautomati öffentlichen Verkehrs (ÖV) unerlässlich. Eine Attrakti- vitätssteigerung des ÖV lässt sich etwa erreichen, indem sierung in eine neue Ära der bedarfsgerechte automatisierte Angebote gezielt auf der Massenmotorisierung zu führen ersten und letzten Meile bzw. als Zubringer zur nächsten Haltestelle/Station eingesetzt werden. Insbesondere im Der kursorische Überblick über die Ergebnisse der städtischen und suburbanen Raum kann die Integra- verkehrswissenschaftlichen Wirkungsforschung legt tion kollaborativ genutzter neuer Mobilitätsangebote für nahe, dass das automatisierte Fahren ohne flankierende gemeinschaftliche/geteilte Fahrten (Ridepooling) zu einer Maßnahmen die Attraktivität des motorisierten Indi- Reduzierung der Gesamtfahrzeugkilometer führen; mit vidualverkehrs sowie die Fahrleistung noch steigern, individueller Nutzung wird dies nicht gelingen. Im länd den Besetzungsgrad hingegen senken dürfte. Anlass lichen Raum steht weniger die Integration als vielmehr die zu dieser Annahme bieten vor allem Faktoren wie die Attraktivitäts- und Effizienzsteigerung durch bedarfs Vereinfachung der Fahrzeugnutzung, die technische gerechte Bedienformen (z. B. automatisierte bedarfs Ermöglichung von und mögliche wirtschaftliche Anreize gerechte Kleinbusse bzw. Rufbusse) im Vordergrund. für Leerfahrten, längere Pendelwege aufgrund geänder- ter Wohnstandortpräferenzen sowie der Zugang neuer Allerdings kann die Einführung bedarfsgerechter auto Nutzergruppen zum MIV. Das Risiko eines wachsenden matisierter ÖV-Angebote auch Verlagerungswirkun- Verkehrsaufkommens auf der Straße ergibt sich darü- gen zulasten umweltverträglicher Verkehrsmittel bzw. ber hinaus aus der Tatsache, dass neue automatisierte Verkehrsarten des Stadtverkehrs (Umweltverbund) Mobilitätsdienstleistungen in direkte Konkurrenz zum erzeugen. Auf kürzeren Strecken kann der vereinfachte konventionellen ÖV treten und diesen an Attraktivität Zugang etwa verstärkt zu einer Verlagerung der aktiven überbieten könnten. Dass der Anstieg der Fahrleistung Verkehrsmodi Radfahren und Zufußgehen führen. Daher und der steigende Energieverbrauch durch Effizienzstei- sollten automatisierte Mobilitätsangebote nicht als Kon- gerungen etwa in Form einer gleichmäßigeren Fahrweise kurrenz zum klassischen ÖV treten, sondern als Ergän- kompensiert oder gar überkompensiert werden könnte, zung hinzutreten, insbesondere in Räumen und zu Zeiten ist hingegen nicht zu erwarten. Ob das automatisierte mit weniger effizientem Betrieb der konventionellen Fahren Verkehrsprobleme lösen oder neue schaffen wird, ÖV-Angebote. Dies können etwa Zubringerverkehre im darüber wird also nicht allein die technologische Ent- urbanen und suburbanen Raum sowie Nachtverkehre wicklung entscheiden. Ausschlaggebend dafür werden außerhalb der Innenstädte sein. Eine „Kannibalisie- ebenso die planerischen, politischen und gesellschaft rung“ des konventionellen ÖV ist insbesondere auf den lichen Rahmenvorgaben sein. Hauptachsen zu vermeiden. Negativen Verlagerungs- effekten zulasten der aktiven Verkehrsmodi lässt sich vorbeugen, indem diese beim Infrastrukturausbau eines automatisierten Verkehrssystems priorisiert werden. Um die Verlagerung zugunsten nachhaltiger Verkehrs träger zu unterstützen und potenzielle Rebound-Effekte zu vermeiden, sind neben der Angebotsaufwertung 23
Die Automatisierung des Automobils und ihre Folgen | 6 | Mit automatisiertem Fahren zu nachhaltiger Mobilität durch automatisierte Mobilitätsangebote auch regulato- Nutzung neuer kollaborativer Angebote in Kombination rische Eingriffe in den motorisierten Individualverkehr mit dem konventionellen ÖV. Daher sind die Anforde- im Sinne einer Gleichbehandlung aller Verkehrsträger rungen, aber auch die Bedenken potenzieller Nutzerin- erforderlich. Dabei ist insbesondere eine gerechte Ver- nen und Nutzer bereits bei der Entwicklung und in der teilung von Verkehrsflächen und eine grundlegende Umsetzung der neuen Mobilitätsdienstleistungen zu Verschiebung des verkehrspolitischen Fokus weg vom berücksichtigen. Erreichen lässt sich die bedarfsgerechte privat genutzten Pkw von entscheidender Bedeutung: Gestaltung etwa durch Testprojekte unter Einbeziehung Nur wenn neue automatisierte Mobilitätsdienstleis- von Städten, Kommunen sowie bereits vorhandenen und tungen im Einklang mit öffentlichen und nicht moto- neuen Mobilitätsdienstleistern, damit sowohl Stake risierten Verkehrsträgern eingesetzt werden, lässt holder (etwa Stadt- und Verkehrsverwaltung, Fahrzeug- sich auch gewährleisten, dass sie positive Klima- und hersteller, regionale ÖV-Betreiber) als auch zukünftige Umweltwirkungen entfalten. Nicht zuletzt können auch Nutzer erste Erfahrungen mit solchen Angeboten fiskalpolitische Maßnahmen (etwa zur Beschränkung sammeln können. Im Sinne einer vertikalen Integration von Leerfahrten) zu einer klima- und umweltverträgliche sollte der Bund dabei die Kommunen durch die Förde- Integration automatisierter Fahrzeuge in den Personen- rung von Testprojekten – in Form finanzieller Mittel verkehr beitragen. oder erleichterter Antragsbedingungen – unterstützen. Auch der kommunale Handlungsspielraum für regulato- rische Eingriffe in den motorisierten Individualverkehr 6.3 Neue Mobilitätsangebote als lässt sich nutzen und erweitern, um den Einfluss von Plattform für eine nachhaltige Maßnahmen zur Verkehrsverlagerung bei gleichzeitiger Aufwertung alternativer Mobilitätsoptionen zu erproben. Integration automatisierter Im Zuge einer horizontalen Integration sind der Erfah- Fahrzeuge in den Personen rungsaustauch über Testprojekte sowie die Koordination verkehr etablieren der Antragsaktivitäten zwischen den Kommunen zu intensivieren. So können Synergien und Effizienz- Damit neue Mobilitätsangebote auf die Zielstellungen gewinne genutzt und Rückschlüsse auf Politiken bei einer nachhaltigen Mobilität hinwirken, sind ent- unterschiedlichen strukturellen Rahmenbedingungen sprechende Regulierungen des Marktzugangs und der gezogen werden. Marktgestaltung in Einklang mit der Regulierung des ÖV erforderlich. So ist etwa bei der aktuell laufenden Anpas- sung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) das 6.4 Verbessern des Grundprinzip der Daseinsvorsorge des ÖV aufrechtzu motorisierten Verkehrs mithilfe erhalten, damit einerseits die grundsätzliche Möglichkeit von Technologien der Integration neuer Angebotsformen berücksichtigt wird, andererseits die regulatorischen Grundlagen für Die Nachfrage nach motorisiertem Verkehr, die nicht ein Gesamtsystem gelegt werden, das nachhaltige Mobi- vermieden und nicht verlagert werden kann, gilt es mit lität fördert und die Mobilität jedes und jeder Einzelnen sichereren, effizienteren und umweltfreundlicheren sicherstellt. Mögliche Umsetzungen bei der Einführung Mitteln zu bedienen. Das automatisierte und vernetzte bedarfsgerechter automatisierter ÖV-Angebote sind Fahren (AVF) bietet hier in Verbindung mit weiteren etwa die Vergabe von Konzessionen in Form von Ange- technologischen Entwicklungen eine Reihe von Mög- botsbündeln, um zu vermeiden, dass das Angebot dieser lichkeiten. Dienstleistungen sich nur auf die lukrativen urbanen Gebiete mit starker Konkurrenz zum konventionellen ÖV Dies betrifft zum einen die Ermöglichung und Verein- beschränkt. fachung nahtloser Wegeketten mit zuverlässigen und optimierten Anschlüssen (Intermodalität) durch digitale Für den Beitrag neuer Mobilitätsangebote zur nachhal- Vernetzung von Fahrzeugen untereinander sowie durch tigen Mobilität wird auch ihre Akzeptanz eine entschei- den Datenaustausch zwischen verschiedenen Verkehrs- dende Rolle spielen, insbesondere im Hinblick auf die mittelangeboten und -anbietern. Gerade im öffentlichen 24
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