OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat

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OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat
12. OWL Kulturkonferenz
                   Kultur und Digitalisierung
        Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels
                                         Tagungsprotokoll
                    Dienstag, 12. Februar 2019 | Heinz Nixdorf MuseumsForum
                                        Stand: 19. April 2018
Gefördert durch:                                                Kooperationspartner:
OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat
Vorwort

Vorwort
12. OWL Kulturkonferenz – Kultur und Digitalisierung
Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels

           Sehr geehrte Damen und Herren,

           der Einzug der digitalen Medien hat die Gesellschaft        Darüber hinaus werden Diskussionsräume eröffnet:
           bereits bis heute in nahezu allen Feldern elementar         Welche regionalen Strukturen sind für ein sinnvolles
           geprägt. Der digitale Wandel zieht sich durch alle Le-      Change Management erforderlich? Braucht Kunst heu-
           bensbereiche und betrifft auch die Kultur, ganz gleich      te neue Räume und neue Formen der Zusammenar-
           ob im Bereich Pop oder Klassik, Bibliothek, Architek-       beit auch in digitalen Räumen? Welche Chancen und
           tur, Design, Fotografie, Film, Tanz, Theater, Kunst oder    Möglichkeiten bietet die Digitalisierung für die Weiter-
           Performance. Neue Möglichkeiten der Vermittlung und         entwicklung der Kulturregion OstWestfalenLippe? Dem
           Kunstproduktion, neue Medien und Materialien, aber          umfassenden Querschnittsthema möchten wir uns im
           auch neue Nutzergewohnheiten gehen mit der Digita-          Rahmen dieser Konferenz annähern, indem wir den
           lisierung einher.                                           Fokus auf die Bereiche „neue Impulse für die Kunst-
           Die digitale Transformation bedeutet einen tiefgreifen-     produktion“ und „Digitale Kulturvermittlung“ setzen.
           den gesellschaftlichen Wandel, der in seiner Dimension
           vergleichbar ist mit der industriellen Revolution. Verän-   Die 12. OWL Kulturkonferenz schafft einen Rahmen,
           derungen unserer Seh-, Hör- und Denkgewohnheiten,           innerhalb dessen wir uns mit Ihnen gemeinsam über
           Veränderung der Kommunikation und des Handelns              das Thema „Kultur und Digitalisierung“ verständigen
           gehen damit einher. Kultur(-politik) kann Räume für         und austauschen möchten. Gemeinsam mit unserem
           zukunftsorientierte Diskussionen öffnen, die wir heute      Kooperationspartner, dem Kreis Paderborn, laden wir
           vielleicht dringender denn je benötigen.                    Sie herzlich dazu ein!

           In fünf Themenforen und einer Arbeitsgruppe werden          Landrat Dr. Axel Lehmann,
           Beispiele digitaler Initiativen und innovativer Projek-     Vorsitzender des Fachbeirats Kultur der OWL GmbH
           te vorgestellt, die neue Wege in der Kultur-Produktion      Marianne Thomann-Stahl,
           und -Vermittlung gehen. Diese Anregungen dienen zu-         Regierungspräsidentin Bezirksregierung Detmold
           nächst einer Orientierung und geben Impulse für die         Reinold Stücke,
           eigene kulturelle und künstlerische Praxis.                 Vorsitzender des Regionalrats Regierungsbezirk Detmold

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OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat
Grußworte

            Grußworte

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OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat
Grußwort Landrat Manfred Müller

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                                                                            Chancen lassen sich für die Kulturregion OWL daraus
                                                                            ableiten? Im Förderprogramm „Regionale Kulturpoli-
                                                                            tik NRW“ gibt es seit zwei Jahren das Leitthema „Wir
                                                                            sind digital!“ für die Kulturregion OWL. Damit wollen wir
                                                                            zeigen, dass wir gerne neue künstlerische Formate för-
                                                                            dern, die sich interdisziplinär mit dem digitalen Wandel in
                                                                            der Region auseinandersetzen. Künstlerische Projekte,
                                                                            die den digitalen Wandel thematisieren und/oder sogar
                                                                            eine Kooperation mit einem oder mehreren Unterneh-
                                                                            men des Spitzenclusters it’s owl eingehen, können unter
                                                                            bestimmten Voraussetzungen durch Landesmittel geför-
                                                                            dert werden.

                                                                            Die Region OWL ist Partnerin bei der Digitalisierungs-
                                                                            strategie des Landes NRW, die sich auch auf den Kultur-
                                                                            bereich auswirken wird und muss, denn „Digitalisierung
                                                                            ist vor allem ein Kulturthema!“ (Deutscher Kulturrat,
                                                                            2017). Der digitale Wandel ist nicht nur für Wirtschaft
                                                                            relevant, sondern besonders auch für Kultur-, Kreativ-
                                                                            und Medienwirtschaft sowie für Kultureinrichtungen.
                                                                            Auch die Industrie 4.0 sollte die Kulturwirtschaft mit ein-
                                                                            beziehen, denn der digitale Wandel ist auch ein gesell-
                                                                            schaftlicher Strukturwandel. Die Kulturwirtschaft war
                                                                            schon immer ein wichtiges Experimentierfeld für Neu-
                                                                            erungen und das Erhalten von Kulturtechniken – immer
                                                                            dann, wenn altes Kulturhandwerk und neustes digitales
                                                                            Know-how zusammengebracht werden.

                                                                            Digitalisierung ist längst in unserem Alltag angekommen.
                                                                            Einen Schritt zurückgehen?
                                                                            Ohne Sprachnotiz, Fitness-Apps, elektronische Zeitun-
                                                                            gen oder Satelliten im Weltall… Diesen Schritt zurück
                                                                            möchte niemand gehen! Und niemand möchte stehen-
                                                                            bleiben! Heutzutage geht technisch alles – irgendwie.
                Landrat Manfred Müller                                      Trotzdem sind noch viele Herausforderungen anzupa-
                                                                            cken. Neue Chancen, neue Produkte und ein veränder-
                Landrat des Kreises Paderborn
                                                                            tes Kundenverhalten fördern und fordern ein Umdenken
                (Es gilt das gesprochene Wort)
                                                                            und Umstrukturierungen – auch im Kulturbereich.

                Der Landrat begrüßt die Kulturabteilungsleiterin des        Museen und Archive digitalisieren ihre Objekte seit Jah-
                Ministeriums für Kultur und Wissenschaft Dr. Hil-           ren. Unterschiedliche Kunstsparten nutzen die sozialen
                degard Kaluza, die Regierungsvizepräsidentin Anke           Medien für die Kommunikation mit gerade jungen Men-
                Recklies, den Regionalratsvorsitzenden Reinold Stü-         schen. Viele Arbeitsprozesse laufen digital und auto-
                cke, den Bürgermeister der Stadt Paderborn Michael          matisiert. Inhalte werden geteilt, verbreitet, beworben,
                Dreier, den Geschäftsführer der OstWestfalenLippe           weitergetragen.
                GmbH Herbert Weber, die Leiterin des OWL Kulturbü-          LED-Lightpainting-Workshops setzen Museen in ein
                ros Jana Duda und alle Teilnehmenden der 12. OWL            neues Licht. Schon die Kleinsten gehen mit dem Smart-
                Kulturkonferenz.                                            phone auf digitale Schnitzeljagd. Kunstwerke werden
                                                                            anstatt auf Papier auf dem Tablet gezeichnet.
                Die 12. OWL Kulturkonferenz stellt dieses Jahr die Frage,
                welche Chancen und Möglichkeiten der digitale Wandel        Kunst schafft es, den Menschen die Vorurteile vor neu-
                für die Kultur darstellt und ich möchte diese Frage auf     en technologischen Entwicklungen zu nehmen. Um den
                die Region Ostwestfalen-Lippe fokussieren.                  digitalen Weg mitzugehen, haben sich die regionalen

                                                                                                                                     4
OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat
Grußwort Landrat Manfred Müller

                Bibliotheken schon vor Jahren zusammengeschlos-                Auch wenn Maschinen und Roboter Arbeiten überneh-
                sen, um eine online-Möglichkeit zu schaffen. Unsere            men, bleibt das kritische Hinterfragen, das Denken und
                Fahrbücherei und der Bücherbus gehören als E-Medi-             die Fantasie des Menschen. Jeder digitale Prozess wird
                en-Schnittstelle seit Beginn dazu. Heute heißt das Pro-        von einem analogen begleitet.
                jekt „OWL onleihe“. 37 öffentliche Bibliotheken der Regi-
                on (35 Stadt- und Gemeindebibliotheken aus OWL sowie           Digitalisierung geschieht mit einer Dynamik, die faszi-
                die Gemeindebibliothek Balve aus dem Sauerland) und            niert, aber auch überfordern kann. Sie ist eine Chan-
                unsere Fahrbücherei sind dem verantwortlichen Ar-              ce. Trotzdem brauchen wir gerade im digitalen Zeital-
                beitskreis angeschlossen und auf der gemeinsamen               ter auch authentische Orte, um Geschichte, Kultur oder
                Plattform www.owl.onleihe.de zu finden. Das nenne ich          Heimat real zu erfahren – die uns wieder erden und
                ein hervorragendes Beispiel einer interkommunalen, di-         entschleunigen.
                gitalen Zusammenarbeit in OWL.
                                                                               Nehmen Sie heute gute Beispiele und Impulse aus der
                Der digitale Wandel setzt aber auch die Offenheit für das      Praxis mit - für neue Wege der Kulturvermittlung und
                neue Zeitalter voraus. Aktuell sucht eine Siegerländer         der künstlerischen Produktion. Und nehmen Sie die Ge-
                Stadtverwaltung einen Diplom-Bibliothekar. Aufgaben-           legenheit für fachlichen und kulturpolitischen Austausch
                schwerpunkt: IT-Koordinator, Medien/Informationskom-           wahr. Netzwerken Sie und schließen Sie Kooperationen!
                petenz (Internetrecherche, E-Learningangebote, Fach-
                datenbanken). Kunst mitzugestalten und Teil von ihr zu         Landrat Müller bedankt sich bei den Veranstaltern,
                sein, ist Wunsch des Menschen. Daher muss die Mög-             dem OWL Kulturbüro, der Bezirksregierung Detmold
                lichkeit zur digitalen Interaktion zukünftig auch in Kultur-   und dem Regionalrat.
                einrichtungen gegeben sein.

                                                                                                                                     5
OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat
Grußwort Bürgermeister Michael Dreier

Bürgermeister Michael Dreier
Bürgermeister der Stadt Paderborn
(Es gilt das gesprochene Wort)

Der Bürgermeister begrüßt alle Redner*innen und
Konferenzteilnehmenden sowie den Geschäftsführer
des Heinz Nixdorf MuseumsForums, Herrn Dr. Jochen
Viehoff.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich freue mich sehr, dass das OWL Kulturbüro in Koope-
ration mit dem Landrat des Kreises Paderborn als Auf-
sichtsratsvorsitzendem der OWL GmbH diesen Austra-
gungsort für die OWL Kulturkonferenz ausgewählt hat:
Das Heinz-Nixdorf-Museumsforum in Paderborn.

Schließlich ist die Stadt Paderborn eine vom Land
Nordrhein-Westfalen auserkorene Leitkommune in
Sachen Digitalisierung. Natürlich nicht allein: Im Sep-
tember 2017 hat das Land beschlossen, ganz Ostwest-
falen-Lippe zur digitalen Modellregion zu entwickeln.
Als Leitkommune arbeitet die Stadt Paderborn in enger
Kooperation mit dem Kreis Paderborn, der kreisange-
hörigen Stadt Delbrück, der kreisfreien Stadt Bielefeld
sowie der Bezirksregierung Detmold.

Paderborn hat im Zuge des Wettbewerbs „Digitale           denken Sie im Zusammenhang von Kultur und Technik
Stadt“ wertvolle Vorarbeiten geleistet und dafür erheb-   an den Buchdruck: Auch hier sind kulturelle und tech-
liche Investitionszusagen der Wirtschaft erhalten. In-    nische Entwicklung unlösbar verbunden. Und heute
nerhalb der Stadt Paderborn ist das Heinz-Nixdorf-Mu-     sind es eben die neuen Techniken der Digitalisierung.
seums Forum der richtige Ort. Wir sind stolz, dass es
in Paderborn beheimatet ist – und wir fördern es auch     Sie haben bereits alle Lebensbereiche erreicht und
seitens der Stadt nicht unerheblich.                      verändert, selbstverständlich auch die Künste und die
                                                          Kultur im engeren Sinne. Das betrifft sowohl Vermitt-
Es gibt wohl kaum einen Ort, an dem die heutige All-      lung, Dokumentation und Kommunikation als auch den
gegenwärtigkeit der Digitalisierung und die Geschichte    eigentlichen Bereich der kreativen Arbeit. Bis ins Den-
der Informationstechnik seit Jahrhunderten, ja Jahr-      ken von Künstlern hinein hat sich etwas verändert.
tausenden so offensichtlich ist wie an diesem. Bei ei-    Gut, dass Sie heute gerade an diesem Ort erörtern,
nem Rundgang wird jedem Besucher auch sofort der          • was das bedeutet,
Bezug zum heutigen Thema klar: Immer schon haben          • was das nach sich zieht,
neue technische Entwicklungen direkte Auswirkungen        • wie man damit umgehen kann.
auf die Kultur gehabt. Manchmal war es auch anders
herum, dass die Kultur neue technische Entwicklungen
gefördert und hervorgebracht hat.                         Den Teilnehmenden der Konferenz wünscht Bürger-
                                                          meister Dreier viele gute Ergebnisse, die sie zukünftig
Frühere Generationen haben da gar nicht so genau          nutzen können.
zwischen Kunst, Kultur und Technik unterschieden,
wie wir das heute manchmal tun. Denken Sie an bei-
spielsweise an Leonardo da Vinci: Der war Künstler,
Architekt, Wissenschaftler, Ingenieur und Philosoph –
und für ihn war all dies nichts Verschiedenes. Denken
Sie an perspektivische Darstellungen: Da haben sich
die Kunst und die Technik gegenseitig beeinflusst. Und

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OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat
Begrüßungstalk

                 Begrüßungstalk
                 Anke Recklies, Regierungsvizepräsidentin Reinold Stücke, Regionalratsvorsitzender Julia Ures, Moderatorin

                 Das Gespräch konnte bedauerlicherweise nicht transkribiert werden.

                                                                                                                             7
OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat
Grußwort Dr. Hildegard Kaluza

                                                                           „Wir wollen als ein Sieger aus der Digitalisierung her-
                                                                           vorgehen“, so hieß es hier an diesem Ort vor einem
                                                                           halben Jahr, als sich das 2012 gegründete sogenannte
                                                                           Spitzencluster Intelligente Technische Systeme OWL (it‘s
                                                                           OWL) mit dem Thema Digitalisierung beschäftigte. Es
                                                                           ging dort um Forschung und Entwicklung, um Maschi-
                                                                           nenbau, Elektrotechnik und Automotive und um eine
                                                                           selbstbewusste Region, die Digitalisierung für sich nut-
                                                                           zen will und wird!

                                                                           Und nun hat die OWL Kulturkonferenz das Thema „auf
                                                                           die Hörner“ genommen. Die Distanz zwischen den
                                                                           Themen des Spitzenclusters und der Kultur scheint auf
                                                                           den ersten Blick immens groß, aber wir werden heute
                                                                           sehen – da bin ich sicher – wie ähnlich verschiede-
                                                                           ne Fragestellungen sind und wie viel sich auch schon
                                                                           im Kulturbereich durch die Digitalisierung bzw. mit der
                                                                           Digitalisierung geändert hat. Durch die Digitalisierung
                                                                           stellen sich z. B: Fragen der Mobilität und der Teilhabe
                                                                           ganz neu - als Chance gerade auch für die ländlichen
                                                                           Räume.

                                                                           Ich möchte an dieser Stelle zwei Beispiele nennen, die
                                                                           gerade für die ländlich geprägten Räume besonders in-
                                                                           teressant sind. Wir alle haben schon von der OWL Kul-
                                                                           tur-Plattform gehört. Das Besondere an dieser Platt-
                                                                           form ist, dass sie nicht nur ein Veranstaltungskalender
                                                                           ist, sondern die Plattform möchte viele weitere Dienste
                                                                           anbieten. Sie möchte die Kulturschaffenden unterein-
                                                                           ander vernetzen und durch gesonderte Bereiche z.B.
                                                                           anhand einer Checkliste, das Durchführen von Veran-
                 Dr. Hildegard Kaluza                                      staltungen erleichtern. Spannend finde ich auch die
                 Abteilungsleiterin Kultur im Ministerium für Kultur       Möglichkeit, dort eine Art „Mitfahrzentrale“ einzurichten
                 und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen           oder die Idee, eine Schnittstelle zum ÖPNV herzustel-
                 (Es gilt das gesprochene Wort)                            len, damit die Mobilität vereinfacht wird.

                 Die Kulturabteilungsleiterin begrüßt alle Redner*in-      Ein weiteres Beispiel ist die OWL-Onleihe, ein Verbund
                 nen und Konferenzteilnehmenden, bedankt sich für          von 37 Bibliotheken, die ihre Angebote digital zur Ver-
                 die Einladung zu der Konferenz und entschuldigt die       fügung stellen. Damit ist die OWL-Onleihe der größte
                 Ministerin Isabelle Pfeiffer-Poensgen, die leider ter-    interkommunale Verbund in NRW im Rahmen eines Di-
                 minlich verhindert ist.                                   gitalprojektes. Sicher ein Beispiel, das Schule machen
                                                                           sollte.
                 Sehr geehrte Damen und Herren,
                                                                           Auch im performativen Bereich hat es schon interes-
                 die OWL Kulturkonferenz ist ein Format, das sich be-      sante und wegweisende Projekte in OWL gegeben: Ich
                 währt hat: Heute findet bereits die 12. Ausgabe statt     denke da z.B. an die Produktionen des jungen Feed-
                 – und das vor allem, weil sich viele verschiedene Part-   back-Kollektivs, das sich durchaus kritisch mit dem Phä-
                 ner zusammen tun, um die Konferenz gemeinsam zu           nomen der Digitalisierung auseinander gesetzt hat.
                 entwickeln und zu gestalten. Ich freue mich, dass das     Oder an The Woodpeckers, die elektronischen Spechte,
                 Kulturministerium die Konferenz jedes Jahr mit Mitteln    die im Rahmen des Bildstörungen-Festivals im öffentli-
                 aus dem Landesförderprogramm „Regionale Kulturpo-         chen Raum der Stadt Detmold zu erleben waren.
                 litik“ unterstützt. Wir befürworten diese Art des Aus-    Schon an diesen wenigen Beispielen lässt sich erken-
                 tausches sehr und nehmen selbst auch immer viele          nen, dass OWL zu Recht eine Pilotregion für Digitali-
                 neue Anregungen dabei mit.                                sierung ist.

                                                                                                                                  8
OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat
Grußwort Dr. Hildegard Kaluza

                 Ich freue mich daher sehr, dass die Region OWL das             Mit wichtigen Projekten greifen wir Beides – Potenziale
                 Thema Digitalisierung für die heutige Konferenz ge-            und Herausforderungen - auf:
                 wählt hat. Allen Verantwortlichen danke ich herzlich für
                 die Initiative und Organisation der Veranstaltung. Ihre        Vier möchte ich nennen:
                 Region steht heute im Mittelpunkt. In meinem weiteren
                 Beitrag werde ich mich auf die Aktivitäten der nord-           1. Die Akademie für Digitalität und Theater in Dort-
                 rhein-westfälischen Landesregierung im Themenfeld                 mund, die vom Land gemeinsam mit der Bundes-
                 Digitalisierung konzentrieren, weil Ihnen diese vielleicht        kulturstiftung und der Stadt Dortmund gefördert
                 noch nicht so präsent sind. Im Sommer 2018 hat die                wird. Durch sie wird ein Forschungs- und Produk-
                 Landesregierung unter Federführung des Ministeriums               tionslabor geschaffen, das die Potenziale digitaler
                 für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie           Technologien für die künstlerische Darstellung im
                 einen Entwurf der Digitalstrategie NRW vorgelegt.                 Theater untersucht. Hier werden zukünftig innovati-
                                                                                   ve Veranstaltungstechniken und neue künstlerische
                 Im Rahmen eines Online-Beteiligungsverfahrens und                 Ausdrucksformen entwickelt werden. Ein Schwer-
                 auf einer Konferenz wurde Bürgerinnen und Bürgern                 punkt wird bei der Fortbildung und Qualifizierung
                 die Möglichkeit gegeben, mitzudiskutieren. Die dar-               von Fachkräften liegen. Die vielfältigen Erfahrungen
                 aus resultierenden Änderungen werden derzeit in den               des Schauspiels Dortmund mit der Produktion di-
                 Strategieentwurf eingearbeitet. Im Frühjahr 2019 wird             gitaler Theaterformate bilden dafür eine wichtige
                 der Entwurf dem Landeskabinett zur Entscheidung                   Grundlage.
                 vorgelegt werden. Auch danach soll die Digitalstrate-          2. Auch die Museen sind im Zuge der Digitalisierung
                 gie durch eine kontinuierliche Diskussion mit der Öf-             mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert.
                 fentlichkeit stetig weiterentwickelt werden. Im Entwurf           Dazu zählen die Digitalisierung der Sammlungsbe-
                 der Digitalstrategie werden auch die vielfältigen Aus-            stände und deren digitale Präsentation, die weit-
                 wirkungen der Digitalisierung auf den Kulturbereich               reichende Urheberrechtsfragen aufwirft. Ebenso
                 berücksichtigt.                                                   bedeutsam sind Entscheidungen für technische
                                                                                   Ausstattung und Software-Lösungen oder die Be-
                 Einerseits stecken in dieser Entwicklung große Po-                rücksichtigung digitaler Ausstellungsformate. Von
                 tenziale: und zwar in drei Bereichen:                             Seiten der Kunstsammlung NRW wird daher gegen-
                                                                                   wärtig eine digitale Strategie erarbeitet, die auch auf
                 •   Zugang und Schutz des kulturellen Erbes.                      andere Museen übertragen werden soll.
                                                                                3. Die Landesregierung hat außerdem im Rahmen der
                 •   Vermittlung und Verbreitung von Kulturangeboten:              Stärkungsinitiative Kultur in 2018 erstmalig einen
                     Sie schafft neue Wege und öffnet damit neue Mög-              „Investitionsfonds zur Ertüchtigung der kulturellen
                     lichkeiten kultureller Teilhabe – hier habe ich eben für      Infrastruktur“ aufgelegt. Er war mit 3,25 Mio. € hin-
                     OWL ja schon Bespiele kurz genannt                            terlegt und auf die Förderung von Erstausstattung,
                                                                                   Erneuerungen und Erweiterung der Infrastruktur
                 •   Künstlerische Produktion: Es entstehen durch die              von Kultureinrichtungen ausgelegt – gerade auch
                     Nutzung digitaler Medien neue Formen, die die                 im digitalen Bereich. Aufgrund der hohen Nachfrage
                     Wahrnehmung von Kunst und Kultur verändern und                soll der Fonds 2019 in überarbeiteter Form erneut
                     neue Möglichkeiten der Partizipation schaffen – auch          aufgelegt werden.
                     hier hat OWL schon einiges zu bieten, zwei Bespiele        4. Im Rahmen der Ruhrkonferenz hat die Landesregie-
                     habe ich kurz vorgestellt.                                    rung zudem das Ziel formuliert, Künstlerinnen und
                                                                                   Künstler im Ruhrgebiet auch durch das Bereitstel-
                 Andererseits stellt die Digitalisierung den Kunst- und            len von modernster digitaler Technologie gezielt zu
                 Kulturbetrieb auch vor Herausforderungen: Oft man-                fördern. Dies hat das Landeskabinett am 31. August
                 gelt es Kulturschaffenden und Kultureinrichtungen an              2018 beschlossen.
                 geeigneter Infrastruktur und digitalen Kompetenzen.

                                                                                                                                        9
OWL Kulturkonferenz - Kultur und Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten des digitalen Wandels - NRW KULTURsekretariat
Grußwort Dr. Hildegard Kaluza

                                Neben diesen Vorhaben werden die im ersten Kul-
                                turförderplan aufgeführten Themenfelder weiterhin mit
                                Nachdruck bearbeitet.

                                •   Im Rahmen des Themenfelds „Erhalt und Nutzung
                                    des kulturellen Erbes“ wird die Förderung der Di-
                                    gitalisierung des nordrhein-westfälischen Filmer-
                                    bes deutlich vorangetrieben. Dabei hilft das neue
                                    Bund-Länder-Projekt „Digitalisierung Filmerbe“. Mit
                                    der Staatskanzlei ist das Ministerium für Kultur und
                                    Wissenschaft im Austausch darüber, wie das Pro-
                                    gramm optimal für Nordrhein-Westfalen genutzt
                                    werden kann.

                                •   Eine besondere Herausforderung ist die Digitalisie-
                                    rung des kulturellen Erbes im Bereich der performa-
                                    tiven Künste. Das Pina-Bausch-Archiv in Wuppertal
                                    ist ein herausragendes Beispiel für eine gelungene
                                    Lösung innovativer Archivierungsstrategien. Es wird
                                    als international relevantes Modellvorhaben durch
                                    die Kofinanzierung von Stadt, Land und Bund weiter
                                    ausgebaut.

                                •   Mit einem mehrjährig angelegten Projekt zur Digitali-
                                    sierung historischer regionaler Zeitungen wurde au-
                                    ßerdem eine umfangreiche Maßnahme auf den Weg
                                    gebracht, bei der Einrichtungen des Landes und der
                                    Kommunen aus unterschiedlichen Sparten zusam-
                                    menarbeiten. Historische Regionalzeitungen sind ein
                                    stark gefragter Bestand in den Archiven und Biblio-
                                    theken.

                                •   Auch spielt das Thema „Nutzung der digitalen Mög-
                                    lichkeiten in der Kunst“ weiterhin eine wichtige Rolle.
                                    Die eingangs erwähnte Akademie für Digitalität und
                                    Theater ist hierfür ein gutes Beispiel. Besonders
                                    aktiv im Bereich der digitalen Künste ist auch das
                                    medienwerk.nrw. Hier sind neue Qualifizierungs-,
                                    Förder- und Präsentationsformate vorgesehen. Die
                                    Förderung soll noch weiter ausgebaut werden.

                                Anhand dieser Beispiele wie auch der Aktivitäten in
                                OWL lässt sich erkennen, dass die Digitalisierung im
                                Kulturbereich ein sehr vielfältiges und sich wandeln-
                                des Themenfeld ist. Es werden bereits viele wichtige
                                Projekte umgesetzt. Trotzdem besteht weiterer Hand-
                                lungsbedarf, um die Potenziale der Digitalisierung für
                                den Kulturbereich noch stärker zu nutzen und Antwor-
                                ten auf die Herausforderungen zu finden, vor die die
                                Digitalisierung den Kunst- und Kulturbetrieb stellt.“

                                Dr. Kaluza bedankt sich für die Aufmerksamkeit der
                                Teilnehmer.

                                                                                              10
Keynotes

           Keynotes
           1 | Digitalität in Kunst, Produktion und Vermittlung
           Dr. Christian Esch, NRW KULTURsekretariat (Wuppertal)

           2 | Kulturpolitik in der digitalen Welt
           Dr. Norbert Sievers, Kulturpolitische Gesellschaft e.V.

                                                                     11
Keynote 1 | Digitalität in Kunst, Produktion und Vermittlung

                   Dr. Christian Esch:

                   Digitalität in Kunst, Produktion
                   und Vermittlung

                   1.
                   Von Kunst soll hier die Rede sein, von ihrer Produk-     sich stärker. Dabei gab es in der Kunst, insbesonde-
                   tion und der Vermittlung – insbesondere im digitalen     re im Bereich Performance und Intervention, schon in
                   Kontext.                                                 der analogen Zeit nach 1960 zahlreiche Produktionen,
                                                                            die ganz ähnlich denjenigen waren, die wir jetzt ver-
                   Lassen Sie mich am Anfang ein paar allgemeine Beob-      stärkt im Digitalen erleben.
                   achtungen anbringen.
                   Erst einmal: Künstlerische Produktion ist ein Prozess.   Manches von diesen Formen des Produzierens, also
                   Das klingt banal, aber: Dieser Prozess der Produkti-     des Entwickelns von Kunst und Kunstwerken, hatte zu-
                   on spielt sich seit langem in zumindest manchen Be-      mindest indirekt mit digitalen Entwicklungen der 50er
                   reichen der Kunst anders ab als das noch für viele       und 60er Jahre zu tun. Insbesondere zu nennen ist
                   gerade in traditionelleren Kunstformen Tätige den An-    hier die Spieletheorie, die in der Computertechnik des
                   schein hat. Wie der Prozess zu einem wesentlichen        Militärs im Kalten Krieg eine wichtige Rolle spielte. Das
                   Kennzeichen des Produzierens geworden ist, das hat       responsive „Wenn-Dann“-Modell der virtuellen militä-
                   eine Menge auch mit dem Vormarsch des Digitalen zu       rischen Szenarien mit dem Interaktionsablauf und dem
                   tun.                                                     Ineinandergreifen der unterschiedlichsten Faktoren
                   Dieser Vormarsch ist in den meisten Bereichen deut-      gleicht in mancherlei Hinsicht künstlerischen Ansätzen
                   lich schneller und wirksamer weitergekommen als je-      wie etwa Fluxus mit den interaktiven Happenings oder
                   denfalls in den traditionellen Bereichen von Kunst und   auch dem Miteinander von Komponist und Interpret
                   Kultur. Erst jetzt, langsam aber unsicher, öffnen sie    bei der zufallsgeleiteten, sog. aleatorischer Musik.

                                                                                                                                  12
Keynote 1 | Digitalität in Kunst, Produktion und Vermittlung

                   2.
                   Lassen Sie mich nach diesem Exkurs einmal ein paar           So viele Verbindungen es gibt - die Kunst, sie macht
                   Wesensmerkmale sowohl des zunehmend verbrei-                 dann doch den Unterschied. Ein Unterschied: Am
                   teten analogen skizzieren, als dann auch relevante           Ende des Prozesses der Produktion steht bei ihr zwar
                   Entwicklungen des Produzierens im Digitalen. Dabei           ein – übrigens nicht notwendigerweise endgültiges –
                   spreche ich, wohl gemerkt, vor allem vom Performa-           Produkt, das aber, anders als in der Wirtschaft oder
                   tiven.                                                       im Handwerk, oft keinen definierbaren Wert oder Preis
                                                                                hat. Wieder anders das Produkt von gesellschaftlichen
                   Dass es sich bei Kunst oftmals um Produkte von vielen        und politischen Prozessen, das aus Ideen, entspre-
                   handelt, ist nicht neu. Dafür waren früher Malerwerk-        chenden Auseinandersetzungen und Taten entsteht,
                   stätten Beispiele oder auch Theaterproduktionen der          und eng verbunden ist mit Diskurs oder Konflikt, Wil-
                   Commedia dell´Arte oder eines Molière, um nur wenige         lensbildung, Überzeugung oder Handlung.
                   Beispiele zu nennen. Künstlerische Produktion heute
                   aber ist - und ist es zunehmend - ein Mit -und Gegenei-      Das künstlerische Produkt, also die Kunst, ist dagegen
                   nander unterschiedlicher Personen, Kompetenzen und           meist mehrdeutig. Kunst vermittelt gleichermaßen Vor-
                   Kräfte auf der berühmten Augenhöhe. Es ist ein Spiel         läufigkeit und Gültigkeit, ist gleichzeitig Frage und Ant-
                   der Kräfte, so wie das für die heutige, freiheitliche Kul-   wort, Prozess und Konkretion, kann randständig sein
                   tur und Gesellschaft gilt, gewissermaßen ein Checks          und relevant in einem. In diesem Doppelcharakter, ei-
                   and Balances.                                                ner sozusagen eindeutigen Uneindeutigkeit, liegt oft ihr
                                                                                Wert, der allerdings etwas anderes ist als der Preis und
                   Beides, die Kunstproduktion und die kulturelle bzw.          auch etwas anderes als die gesicherte oder auftrump-
                   gesellschaftliche Produktion, hängen, natürlich und tat-     fende gesellschaftliche oder politische „Position“ - ob-
                   sächlich, zusammen. Dies schon deshalb, weil Kunst           wohl dieser Begriff in der Bildenden Kunst so heimisch
                   immer aus einem nicht nur ästhetischen, sondern auch         geworden ist.
                   gesellschaftlichen oder politischen Anliegen heraus
                   entsteht, so oder so, egal, ob das nun vom Künstler          Künstlerische Ergebnisse beanspruchen mehr zu sein
                   oder der Künstlerin ausdrücklich formuliert und immer        als das, was sie im Gewand des dinglichen Produkts
                   und jederzeit reflektiert wird.                              oder von diskursiven Thesen vorläufig zu sein schei-
                                                                                nen, sind also, zumindest im Falle des Gelingens, Kunst-
                   Besonders in der digitalen Produktion wird das ge-           werke, die auf ästhetische Weise sinnfällig werden über
                   meinsame künstlerische Ziel in einem Prozess des             das hinaus, was konkret erfassbar ist bei analoger Be-
                   vernetzten Arbeitens entwickelt, mit verschiedenen           trachtung oder digitaler Interaktion bzw. Responsivität.
                   Kompetenzen und Perspektiven.                                Kunst ist relevant und randständig, gültig und vorläufig,
                                                                                habe ich gesagt. Durch diese Mehrdeutigkeit, um nicht
                   In einem Symposium im Rahmen unseres seit 10 Jah-            Zwielichtigkeit zu sagen, ist sie eigentlich nicht zu ge-
                   ren wachsenden Next Level Festivals for Games zur            brauchen und auch insofern anders als das Produkt
                   Kunst und Kultur der digitalen Spiele haben wir, das         der materiellen Fertigung und des sozialen Mit- und
                   NRW Kultursekretariat und zahlreiche Partner und Ex-         Gegeneinanders, das sie zwar auch ist, aber eben nicht
                   pertinnen zuletzt über die digitale künstlerische Pro-       nur.
                   duktion gesprochen, und haben das übrigens auch
                   digital und interaktiv inszeniert, abweichend vom üb-        Das zeitgenössische künstlerische Produzieren selbst
                   lichen, überwiegend frontalen Muster von Symposien           entfaltet sich also zunehmend im Mit-, aber auch Ge-
                   und Konferenzen.                                             geneinander von Personen, Kompetenzen und Kräften.
                                                                                Es ist dabei ein Zusammenspiel unterschiedlicher Mo-
                   Klar ist: Die künstlerische Arbeit – nicht jede und nicht    dule z.B. der Bühne, des Lichts, von Bild, Klang, Tech-
                   immer, aber häufig - verändert sich mit der eigenen          nik, Raum und Wort.
                   Zeit, mit ihrer komplexen Heterogenität, der intensiven      Gleichzeitig lässt sich in der Kunst, wie wir sie heute
                   Kommunikation und auch der zunehmenden Ökonomi-              zunehmend antreffen, das Produkt, also das Werk, vom
                   sierung. Die Kunst wandelt sich mit der wachsenden           Produzieren nicht mehr wirklich trennen. Dazu gehört
                   Ausdifferenzierung des, ja: auch analogen Netzwerks,         auch, dass neben die klassische, singuläre Autorschaft
                   zunehmend jedoch auch der digitalen Struktur unserer         DES Künstlers, DER Künstlerin die gemeinschaftliche
                   Kultur und Gesellschaft.                                     Arbeit tritt. Insbesondere gilt das für die Performan-

                                                                                                                                       13
Keynote 1 | Digitalität in Kunst, Produktion und Vermittlung

                   ceKunst, denken Sie an Rimini-Protokoll, Sheshe Pop         Die Partizipation und Verknüpfung ist selbst schon Teil
                   oder, hier in der Nähe, an das Kain Kollektiv. Den Fluxus   der digital beschleunigten und insoweit veränderten
                   der Vergangenheit habe ich bereits genannt.                 Kommunikation, dass sie in besonderem Maße interak-
                                                                               tiv, responsiv und multiperspektivisch angelegt ist, so-
                   Mit der Performance-Künstlerin Brigitta Muntendorf          wohl linear von Mund zu Mund, von Impuls zu Impuls,
                   gesagt, entstehen solche Produktionen in einer „Com-        als auch simultan, ineinander verschränkt und verbun-
                   munity of practice“. Eine solche Community findet sich      den mit der digitalen Verknüpfung analog entfernter
                   auch in wechselnden Konstellationen, in ihrer virtuellen    Orte.
                   „Garage“ ein - so heißt das changierende Ensemble
                   aus Sängerinnen, Schauspielern, Instrumentalistinnen,       Statt getrennter Blackboxes - hier die Performance,
                   Netzwerkaktivisten und Autorinnen.                          dort der Betrachter – werden damit Schnittstellen zu
                                                                               Aktionsfeldern, wird die Kommunikationsplattform zum
                   Der Konzeptkünstler Jochen Gerz, mehr als doppelt           performativen oder zum virtuellen Raum, der seiner-
                   so alt wie Muntendorf, nannte dergleichen schon seit        seits zum Echoraum der Beteiligten wird.
                   Jahrzehnten, mit einem etwas anderen Akzent, „Public
                   Authorship“. Ein Beispiel war sein mit dem NRW Kul-         Besonders an den Games, den Computerspielen, die
                   tursekretariat entwickeltes Kunstprojekt 2-3 Straßen,       großes künstlerisches Potential haben (unser bereits
                   als er 2010 im Ruhrgebiet knapp 100 Kreative aus der        erwähntes NLF macht das Jahr für Jahr erlebbar) – an
                   Welt zusammenbrachte. Sie schrieben, jeder für sich,        den Games z.B., aber auch an veränderten Erzählfor-
                   ihre jeweiligen Eindrücke und Gedanken in einen digi-       men, den Narrativen der performativen, visuellen und
                   talen Speicher hinein, versenkten sie geradezu, da sie      auditiven Künste wird deutlich, dass es einen lange
                   anschließend ihrem Zugriff entzogen waren. Aus der          vorbereiteten Wechsel vom Verständnis einer Kunst
                   Zusammenfügung dieser Einträge ergab sich dann der          gibt, die bis vor wenigen Jahrzehnten in der Regel dem
                   resultierende, individuell-kollektive Text.                 Sende-Empfänger-Modell gehorchte. Sie sendete: Im
                                                                               theatralen Bereich von der Bühne oder, –auf dem Ge-
                   Wie in solchen Beispielen, kommen überhaupt Men-            biet der visuellen Kunst, von den Wänden bzw. Sockeln,
                   schen, Disziplinen und Kompetenzen gleichsam als            und zwar in Richtung der Empfänger der inhaltlichen
                   verschiedenartige Module zusammen in einer digitalen        oder ästhetischen Botschaft.
                   Gesellschaft, deren „Struktur das Netzwerk“ ist, so die
                   Analyse des Sozioligen Dirk Baecker. Entsprechend           Welche Bedeutung und Resultate die responsiven Pro-
                   umfassend ist das verbindende digitale und analoge          zesse haben, das lässt sich am „Publikum“ zeigen, das
                   Netz aus all diesen modularen Aspekten.                     zum Akteur wird.
                   Gerade in der künstlerischen Produktion der letzten
                   Jahre und Jahrzehnte werden die Künste und Diszi-           Künstlerische Produktion im Digitalen ist also Verknüp-
                   plinen, aber auch die Perspektiven und Arbeitsweisen        fung und die regelmäßige, schnittstellenbedingte Ver-
                   zunehmend vernetzt und verknüpft. Module verbinden,         änderung bekannter Kommunikationsmodelle von Sen-
                   überlagern, wandeln sich. Gleichzeitig vernetzen und        der und Empfänger. Der Nutzer des Angebots schafft
                   verknüpfen sich die Akteure und Produzenten.                also dessen Inhalte teilweise selbst. Ob in den Com-
                                                                               puterspielen, ob im Internet oder in der partizipativen
                   3.                                                          Kultur, ob zunehmend auch in der politischen Arbeit
                   Die Verknüpfung prägt die digitalen Prozesse und ihre       oder in der Bildung: Mit einem Begriff aus dem digitalen
                   Produktionen, die in operativen Netzwerken stattfin-        Web gesagt, geht es im Kern um den „User Generated
                   den, in den Communities, einem idealerweise partizi-        Content“.
                   pativen Ineinander von Publikum und Künstlern.
                                                                               Digitale Produktion ist Kommunikation (und manchmal
                   Gerade im digitalen Bereich ist eben die Verknüpfung,       auch beschränkt auf die eigene Blase resp. Komfortzo-
                   wenn nicht alles, so doch jedenfalls Vieles. Die Com-       ne – das soll übrigens auch im analogen Bereich vor-
                   munity verknüpft sich nicht nur untereinander, sondern      kommen). In sich oder zumeist doch auch über sich
                   schon beim Produzieren, und das auch über sich hi-          hinaus, agiert sie responsiv, interaktiv und – in diesem
                   naus. Auf diese Weise wird das zukünftige Publikum          Sinne freilich nur – auch integrativ. Insoweit enthält sie
                   schon in dieser Phase zum Mitwirkenden. Auch des-           schon alle Anteile der Vermittlung, ob über Social Me-
                   halb ist die Vermittlung von vornherein ein integraler      dia oder über die Integration von Koproduzenten.
                   Teil des Ganzen und also überhaupt nicht zu trennen         Das Entscheidende für das Gelingen der Vermittlung
                   von der Entstehung und dem Erlebnis der Kunst.              bleibt aber, ergänzend, der unmittelbare Kontakt, also

                                                                                                                                      14
Keynote 1 | Digitalität in Kunst, Produktion und Vermittlung

                   die unersetzliche analoge und physische Ansprache.            Gerade in der Digitalität geht es nun einmal um die
                   Erst recht im Bereich der digitalen Produktion, ist Ver-      Verknüpfung und die Schnittstellen, die Kommunikation
                   mittlung nicht etwas, das am Ende hinzugefügt wird,           und auch um ein darin angelegtes Vermittlungspoten-
                   um ein Ergebnis an Kind, Mann oder Frau zu bringen.           tial, das es allerdings durch klare Ansprache wirksam
                   Vermittlung ist, wenn sie wirklich gelingen soll, intrinsi-   zu machen gilt -all dies und das bewegliche Miteinan-
                   scher Bestandteil der Produktion selbst, von ihren An-        der der angesprochenen Disziplinen neben der Kunst
                   fängen an. Produktion ist Vermittlung, Vermittlung ist        kennzeichnen die digitale Arbeit und Produktion.
                   Produktion. Oder auch: Vermittlung ist Kunst, Kunst ist
                   Vermittlung.                                                  5.
                                                                                 Entsprechend beweglich müssen auch die Unterstüt-
                   4.                                                            zung und Förderung der digitalen Kunst und Kultur
                   Ich glaube, aus alledem ergibt sich, wo die Möglich-          samt ihrer Vermittlung angelegt sein: Im Zentrum
                   keiten und Chancen des Digitalen, gerade auch im Be-          müsste die Bereitstellung von Technologie und dazu-
                   reich der Kultur und Kunst liegen. Digital ist potentiell     gehörige Qualifizierungsangebote stehen, mit einer
                   überall und verknüpft, auch über große Distanz. Dass          großen thematischen Offenheit für die genannten The-
                   Digitales oft genug auch trennend und konfrontativ            menfelder auch über die Kultur hinaus, von denen ich
                   wirken kann, ist dazu kein Widerspruch, sondern die           einige genannt habe.
                   andere Seite der Medaille.
                                                                                 Das Ganze wäre mit den erforderlichen, umfangreichen
                   Künstlerische Produktion jedenfalls kann kommunikativ         Fördermitteln auszustatten und in einer beweglichen,
                   und community-generierend wirken, auch und gerade             modularen Struktur zu gestalten, als zentral gelenktes,
                   über Distanzen hinweg. Physische Räume spielen in             mobiles Institut mit der Fähigkeit, anzudocken und sich
                   diesem Zusammenhang tatsächlich eine vergleichs-              beweglich mit den Kompetenzen, Ideen und Institutio-
                   weise geringe Rolle. Das ist die große Chance gerade          nen zu verknüpfen.
                   im ländlichen Raum – wenn dann endlich mal die Kabel
                   liegen und die Masten stehen. Dass sie liegen und ste-        Die Netzwerk-Struktur der Kommunen als Partner für
                   hen, ist übrigens auch eine wesentliche Voraussetzung         ein entsprechendes Fördermodell in NRW gibt es be-
                   für das Gelingen der Dritten Orte im ländlichen Raum,         reits mit den NRW Kultursekretariaten oder auch mit
                   die ohne digitale Kommunikation und Interaktion keine         den Regionen, um so sicherzustellen, dass die digitale
                   Perspektive haben werden.                                     Kultur angemessen unterstützt werden kann: nämlich
                                                                                 polyzentrisch wie NRW mit seinen Städten und Regio-
                   Jedenfalls müssen für das zeitgemäße künstlerische            nen, mobil wie ihre Bewohner, verbindend in der Flä-
                   und kulturelle Arbeiten auch zum einen technische             che, so kompetent wie die Partner-Institutionen und
                   und technologische Voraussetzungen geschaffen wer-            Künstlerinnen und vernetzt wie das Digitale.
                   den. Zum anderen braucht es die Qualifizierung der
                   Künstler, der Musikerinnen, der Produzenten und der
                   Akteure insgesamt, technisch, aber nie losgelöst von
                   den Inhalten – da digitale Technologie nie von ihrem
                   Content getrennt werden kann: Technik, Ästhetik und
                   Inhalt gehören hier ähnlich zusammen wie, sagen wir:
                   Sein, Design und Bewusstsein .

                   Die Inhalte ergeben sich aus den vielfältigen Bezügen
                   des Digitalen, das ein Querschnittsbereich par excel-
                   lence ist, beweglich, vernetzt und eben verbunden mit
                   vielen Themen: Gesellschaft, Bildung, Design, Kreativ-
                   wirtschaft, auch Umwelt. Das mag in manchen Ohren
                   nach Gemischtwarenladen klingen. Ich habe ja schon
                   die Verbindungen von künstlerischer, gesellschaftli-
                   cher und wirtschaftlicher Produktion angesprochen.
                   Ich habe auf das Zusammenspiel der verschiedenen
                   Kompetenzen, Kräfte und Disziplinen im Produktions-
                   prozess verwiesen.

                                                                                                                                     15
Keynote 2 | Kulturpolitik in der digitalen Welt

                   Dr. Norbert Sievers                                         Der Fortschrittsoptimismus der Moderne ist erschöpft
                   Kulturpolitische Gesellschaft e.V.
                   (Es gilt das gesprochene Wort)                              Und die Botschaften sind ja auch nicht angenehm
                                                                               und eigentlich will niemand sie wirklich hören. Das ist
                   Als ich gebeten wurde, heute ein kurzes Statement zum       bei der Digitalisierung ähnlich wie beim Klimawandel.
                   Thema „Kulturpolitik in der digitalen Welt“ vorzutragen,    Themen, die erkennbar große Gefahren in sich ber-
                   war ich zunächst zurückhaltend: Ist nicht schon alles       gen, werden aus dem Bewusstsein ausgeblendet und
                   gesagt, was aus kritischer Perspektive zu sagen ist?        dies wird auch noch politisch sekundiert: Digital first,
                   Wissen wir nicht schon zur Genüge, welche Büchse            Bedenken second. Deutschland muss aufholen, wohl-
                   der Pandora mit der Digitalisierung und der Entwick-        möglich Weltspitze werden in Sachen künstliche Intelli-
                   lung der künstlichen Intelligenz geöffnet worden ist,       genz, sonst droht der wirtschaftliche Abschwung. Das
                   ohne zu wissen, wie sie – zumindest demokratisch –          ist alternativlos. Ich frage Sie: Was soll da Kulturpolitik
                   zu kontrollieren ist? Ist die Begeisterung, mit der tech-   ausrichten? Als kritische Instanz, präziser: als Förderin
                   nologische Innovationen auf den gesellschaftliche Plan      der Künste und Kultureinrichtungen, die die kritische
                   zu treten verstehen, nicht längst einer Desillusionierung   Reflexion in der Gesellschaft ermöglichen und humane
                   gewichen? Ist nicht, was früher auf den samtenen Pfo-       Perspektiven erörtern sollen, ist sie gegenüber diesen
                   ten des Freiheits- und Fortschrittsversprechens da-         Megamächten und -argumenten hilflos. Das war viel-
                   herkam und deswegen gerne willkommen geheißen               leicht noch nie wirklich anders. Aber immerhin haben
                   wurde, längst einer Ernüchterung gewichen? Wer mag          wir uns doch die Illusion lange bewahrt und damit ließ
                   noch wirklich fröhlich in die Zukunft schauen, wer sich     es sich doch auch gut leben. Und genau darin besteht
                   vor Augen führen, welche gigantischen Möglichkeiten         die erste These, über die zu diskutieren wäre: Der
                   der Menschenkontrolle und Gesellschaftssteuerung            Fortschrittsoptimismus der Moderne, der sich auch als
                   mittlerweile zur Verfügung stehen, die entweder von         Versprechen auf ein gutes Leben für alle las, ist irritiert
                   einigen Weltkonzernen oder zunehmend undemokrati-           und führt zu einem neuen Unbehagen in der Kultur und
                   schen Staaten genutzt werden? Es ist bemerkenswert,         Kulturpolitik. Kann sie angesichts der neuen Heraus-
                   wie sehr sich die Stimmungen und Einschätzungen zur         forderungen noch demokratische Gesellschaftspolitik
                   Digitalisierung im kulturpolitischen Diskurs in den letz-   sein? Oder ist dieser Anspruch nicht vielmehr ein
                   ten Jahren verändert haben.                                 Selbstbetrug?

                                                                                                                                       16
Keynote 2 | Kulturpolitik in der digitalen Welt

                   Die Konzeption und Legitimation der Kulturpolitik              genannten Öffentlichkeiten kommuniziert wurde, in
                   steht zur Disposition                                          größeren Öffentlichkeiten nachhallen und gesellschaft-
                                                                                  liche Wirkung entfalten. Um es kurz zu machen: Diese
                   Der Umgang mit dem Thema Digitalisierung ist in der            Statik gerät durch die Digitalisierung bzw. durch die
                   Kulturpolitik bisher jedenfalls eher zurückhaltend. Si-        damit verbundene technologische Revolution ins Wan-
                   cher, es gibt die Versuche, das Urheberrecht auf die           ken. Im Zusammenhang mit diesem durch Digitalisie-
                   neue Situation einzustellen, es gibt zahlreiche Ansätze,       rung dynamisierten Strukturwandel der Öffentlichkeit
                   die neuen digitalen Techniken in der Kulturprodukti-           sprach der Kultursoziologe Gerhard Schulze schon vor
                   on und -vermittlung einzusetzen, die Computerspie-             vielen Jahren von Marginalisierung und Auflösung ei-
                   le werden schon länger als Kulturgut anerkannt und             ner die Mitte der Gesellschaft repräsentierenden Kultur
                   mehr Medienkompetenz wird schon seit Jahrzehnten               in einen „Schaumberg“ aus zahllosen kleinen Kultur-
                   gefordert. Aber alles das reicht nicht annähernd aus,          bläschen ohne verbindende Qualität und gesellschaft-
                   um die kulturelle Dimension zu erfassen und die kul-           liche Resonanz.
                   turpolitischen Herausforderungen zu benennen, die mit
                   dieser technologischen Revolution von oben verbunden           Der Allgemeinheitsanspruch der Kulturpolitik erodiert
                   sind. Digitalisierung verändert Seh-, Hör- und Denkge-
                   wohnheiten und sie verändert unsere Arbeit und Kom-            Präziser als Gerhard Schulze hat in jüngerer Zeit
                   munikation, unser Handeln und unser Denken. Digitali-          Andreas Reckwitz den durch den Prozess der Digita-
                   sierung ist damit ein Kulturprozess ersten Ranges, der         lisierung beschleunigten Strukturwandel der Moderne
                   in seiner Bedeutung für das Leben der Menschen gar             im Übergang von der Industrie- zur Spätmoderne ana-
                   nicht überschätzt werden kann, weder in ihren Chan-            lysiert und dabei auch Konsequenzen für die Kulturpo-
                   cen noch in ihren Risiken. Kulturpolitik ist in allen Berei-   litik offengelegt. In seiner Gesellschaft der Singularitäten
                   chen, für die sie Verantwortung trägt, davon betroffen:        (2017, Suhrkamp Insel) sieht er eine besondere „Logik
                   in ihren ordnungspolitischen Grundlagen, in ihren infra-       des Besonderen“ und eine „Kulturalisierung des Sozi-
                   strukturellen Vorsorgeleistungen, in der vielgestaltigen       alen“ am Werk, die das für die bürgerliche Gesellschaft
                   Kulturförderung, bei der Bewahrung und Vermittlung             und ihren Kulturbegriff zentrale Allgemeine in den Hin-
                   des Kulturellen Erbes, in der Kulturellen Bildung, vor al-     tergrund dränge. Im Zentrum der Spätmoderne, die
                   lem aber in ihrem demokratiepolitischen Anspruch. Es           Anfang der 1970er Jahre ihren Ausgangspunkt hatte,
                   scheint, als stünde die gesamte Konzeption und Legiti-         steht für ihn nicht mehr nur die industrielle „Produktion
                   mation der Kulturpolitik zur Disposition. Was bedeutet         von Maschinen, Energieträgern und funktionalen Gü-
                   dies?                                                          tern“, „sondern die expansive und den Alltag durchdrin-
                                                                                  gende Fabrikation von Kulturformaten […], also von Tex-
                   Der Strukturwandel der Öffentlichkeit dynamisiert              ten, Bildern, Videos, Filmen, phatischen Sprechakten
                   sich                                                           und Spielen.“ Durch Digitalisierung wird – so Reckwitz
                                                                                  – die moderne Technologie „in ihrem Herzen erstmals
                   Die Begründung öffentlicher Kulturförderung war und            zur Kulturmaschine“, die ganz neue Voraussetzungen
                   ist in Deutschland eng verbunden mit der Idee der kul-         für die kulturelle Praxis mit sich bringt:
                   turellen Öffentlichkeit als ein Kernelement der reprä-
                   sentativen bürgerlichen Öffentlichkeit. Sie war und ist        1. Die durch die Digitalisierung mögliche Überproduk-
                   – wo es sie noch gibt – verbunden mit grundlegenden               tion der Kulturformate und deren allgegenwärtige
                   Vorstellungen und Wertbegriffen wie Urheberschaft                 Präsenz und Nutzbarkeit,
                   und Eigentum, Original und Kopie, Aura und Authenti-           2. Die Stärkung der Publikumsrolle gegenüber der
                   zität, Individuum und Kollektiv, Autonomie und Kontext,           Produzentenrolle,
                   Werk und Kanon. Diese Begriffe stehen in gewisser              3. Die Auflösung des Kanons und die damit verbunde-
                   Weise für die programmatische Statik der Kulturpolitik,           ne weitere Enthierarchisierung der Kultur,
                   die verbunden war mit einem bestimmten Rollenver-              4. Die Momentanisierung und Aktualisierung der Kultur
                   ständnis der Künstler, des räsonierenden Publikums                und
                   und einer Kunstkritik, deren Rezensionen Qualitäten            5. die erweiterten Möglichkeiten zur Rekombination
                   definierten, die so schließlich einen Kanon begründen             und des Remixes der Kulturformate und die damit
                   konnte, der bis in den Schulunterricht hinein gelehrt             verbundene Verwischung von Original und Kopie.
                   wurde. So konnte, was in den kleinen, repräsentativ

                                                                                                                                           17
Keynote 2 | Kulturpolitik in der digitalen Welt

                   Nach Reckwitz erleben wir gegenwärtig – jenseits von       mentanisierungs- und Aktualisierungsbedürfnis Rech-
                   den Offerten des öffentlichen Kulturbetriebs – eine        nung tragen. Der Wunsch nach mehr Authentizität,
                   gigantische Kulturalisierung der Gesellschaft, die ge-     Erlebnis und Vielfalt steht ganz oben auf der Agenda
                   trieben ist durch das Bedürfnis nach affektgeladener       des Kulturmanagements und es wird jede Möglichkeit
                   Teilhabe und eigenaktiver Kreativität und gesteigert       genutzt, das Singuläre zu inszenieren. Das „Regime
                   und ermöglicht wird durch die Optionen der Digitali-       des Neuen und Besonderen“ gewinnt auch im öffent-
                   sierung und der Unterhaltungs- und Kreativökonomie.        lichen Kulturbereich die Oberhand und verdrängt die
                   Die Spätmoderne ist also keine kulturlose Gesellschaft,    „Logik des Allgemeinen“ (Andreas Reckwitz), also des
                   ganz im Gegenteil. Nur ist die Kultur, um die es hier      Kanons, des Repertoirs, der Standards und der über-
                   geht, eine andere als die der bürgerlichen Moderne, aus    lieferten Narrative, die die traditionelle Kultur bislang
                   der viele der öffentlichen Kultureinrichtungen kommen.     geprägt haben. Öffentlich finanzierte Programme,
                   Für Reckwitz trägt der Prozess der spätmodernen            namentlich der Kulturstiftung des Bundes, sollen Kul-
                   Kulturalisierung sogar „zur Auflösung des Allgemein-       tureinrichtungen dabei helfen, ihre Transformation ins
                   heitsanspruchs der Kultur bei, der in der klassischen      neue digitale Zeitalter zu bewältigen. Die boomenden
                   Moderne existierte“ (ebd.: 242) und der – so ließe sich    Maßnahmen der kulturellen Bildung sorgen für die not-
                   ergänzen – eine wesentliche Legitimationsressource         wendigen Qualifikationen und Singularitätskompenten-
                   der öffentlichen Kulturförderung bis heute ist.            zen, die die kulturelle Partizipation und Aktion und die
                                                                              zur gesellschaftlichen Erwartung gewordene Kreativi-
                   Kulturbetriebe im Transformationsdruck                     tät der neuen Kulturkonsumenten und -prosumenten
                                                                              voraussetzen. Bibliotheken werden zu „Dritten Orten“
                   Die durch die Digitalisierung und Globalisierung ge-       umgestaltet und an die Museen wird die Erwartung
                   schaffene „Kulturmaschine“ in der Spätmoderne bringt       herangetragen, ihre Ausstellungs- und Vermittlungs-
                   also die herkömmliche Kulturpolitik in Gefahr, die noch    konzepte und ihren Begriff vom kulturellen Erbe zu
                   sehr stark durch die Strukturen, Werte und Bewertun-       überprüfen, weil auch dieser aus einer anderen Zeit
                   gen der Industriemoderne geprägt ist. Das wissen wir       stammt. Es ist also ein enormer Druck im Kulturbetrieb.
                   nicht erst seit gestern. Im Grunde ist die Neue Kultur-
                   politik, deren Entstehen wir in Westdeutschland zeitlich
                   ebenfalls Mitte der 1970er Jahre ansetzen können, eine     Kulturumwälzung durch Digitalisierung
                   frühe Reaktion auf den beschriebenen Strukturwan-
                   del. In der klaren Bezugnahme auf postmaterialistische     Hinzu kommen jetzt die digitalen Optionen. Die ra-
                   Werte, der damaligen Institutionen- und Kunstkritik,       sante technologische Entwicklung, insbesondere die
                   der Erweiterung und Enthierarchisierung des Kultur-        Entwicklung von Techniken, die sich der Künstlichen
                   begriffs, der Aufwertung der Kulturvermittlung, den        Intelligenz bedienen, werden immer mehr neue Optio-
                   Versuchen, Kultur und Alltag zu verbinden, und in den      nen generieren und den Transformationsdruck auf die
                   ersten multikulturellen Ambitionen ist eine klare spät-    Kultureinrichtungen verstärken. Welche erfreulichen
                   moderne Ausrichtung zu erkennen. Die Ideen dieser          und beängstigenden Möglichkeiten darin liegen, kann in
                   utopischen oder heroischen Phase der Neuen Kultur-         dem Beitrag von Frank Tentler am Beispiel des Amster-
                   politik sind heute einem Pragmatismus der Verände-         damer Van-Gogh-Museums im Heft 160 der Kulturpo-
                   rung gewichen, der mit dem Begriff der Transformation      litischen Mitteilungen nachgelesen werden. Die Mög-
                   gefasst wird, deren Notwendigkeit durch die Digitalisie-   lichkeit der hochindividualisierten Museumsführung
                   rung noch einmal enorm verstärkt worden ist.               durch Hologramme, die der Singularitätserwartung
                                                                              im Reckwitz’schen Sinne Rechnung tragen, gibt einen
                   Der Kulturbetrieb stellt sich bereits auf diese Entwick-   kleinen Blick frei auf eine nahe Zukunft der kulturel-
                   lung ein und tritt mit entsprechenden Konzepten auf.       len Infrastruktur, die uns heute noch wie Sciencefiction
                   Neue Veranstaltungsformen entstehen, die dem Mo-           vorkommt. Dies zeigt an, wie sehr es jetzt kulturpoli-

                                                                                                                                    18
Keynote 2 | Kulturpolitik in der digitalen Welt

                   tisch darauf ankommt, die „Kultur der Digitalität“ aktiv      Die Zivilgesellschaft ist gefragt
                   zu gestalten. Wer glaubt, was in so manchen kultur-
                   politischen Programmpapieren zu lesen ist, es sei mit         Ich weiß es nicht. Vielleicht brauchen wir angesichts
                   der Digitalisierung von Archivgut oder die digitale Qua-      der epochalen Veränderungen nichts weniger als eine
                   lifizierung von Websites, PR- und Audience-Develop-           neue Aufklärung über die Optionen und Risiken der Zu-
                   ment-Strategien oder auch der Medienpädagogik ge-             kunft und eine Auseinandersetzung über die Frage, wie
                   tan, weiß nicht, was die Stunde geschlagen hat und die        wir eigentlich in Zukunft leben wollen. Notwendig ist ein
                   Zukunft bringen wird. Wir haben es nicht nur mit einer        neues Denken, das das politische Diktum der Alternati-
                   Digitalisierung der Kultur zu tun, sondern mit einer ge-      vlosigkeit und des unbeirrbaren Technikglaubens über-
                   sellschaftlichen Kulturumwälzung durch Digitalisierung        windet und auch verschiedene Alternativen vorstellbar
                   mit ihren Chancen, aber auch ihren großen Risiken.            macht. Der Staat oder die Staaten werden dies alleine
                                                                                 nicht können und befördern. Hier sind die Menschen
                   Die transhumane Gesellschaft ist keine Utopie                 und die Zivilgesellschaft gefordert. Sie müssen die
                                                                                 Macht über ihre Daten erobern und mithilfe von Kunst
                   Denn: Als wäre es nicht genug, die kulturellen Folgen der     und Kultur die Gegengeschichten zum Narrativ eines
                   Digitalisierung im Kulturbereich zu erkennen und darauf       technikbasierten Fortschritts erzählen, ohne dass die
                   angemessen zu reagieren, steht als Realutopie gleich          Stimmung in Technikfeindlichkeit umschlägt. Wenn
                   eine weitere Perspektive vor der Tür, die realistischer ist   wir nicht die Werte unserer Zivilisation bestimmen
                   als uns lieb sein kann: die Möglichkeit einer transhuma-      und festlegen, werden dies in Zukunft Google, Apple,
                   nen Gesellschaft, in der Subjekt und Objekt verschwim-        Facebook und Amazon tun. Kulturpolitik kann an die-
                   men, nicht nur in der Kunst, sondern auch im täglichen        sem Aufklärungsprojekt nur dann aussichtsreich mit-
                   Leben, in dem hybride Konstellationen aus Menschen            wirken, wenn sie sich als Gesellschaftspolitik versteht
                   und Technologien entstehen können, die zu autonomen           und diesen Anspruch nicht nur in Parteiprogrammen
                   Quasi-Subjekten mutieren. Schon jetzt werden wir lang-        und bei Sonntagsreden vor sich herträgt, sondern als
                   sam vorbereitet auf die posthumane Zukunft. Roboter           unhintergehbaren Auftrag auch im politischen Alltag
                   sollen in der Pflege aushelfen, Kinder unterrichten oder      ernst nimmt. Darüber hinaus muss sie die Kultur der
                   durch Museen führen. Autonome Fahr- und Flugzeuge             Digitalität als wichtiges und notwendiges Wirkungsfeld
                   sorgen zukünftig für noch mehr Mobilität und Bequem-          erkennen und sich aktiv mit Technologien, ihren Ide-
                   lichkeit. Drohnen beliefern uns mit Waren und ‚vertei-        en und Auswirkungen auseinandersetzen. Kulturpolitik
                   digen‘ uns in Kriegsgebieten, natürlich alles im Namen        muss reflexive, also sich stets selbst in Frage stellende,
                   der Entlastung, des guten Lebens und der Freiheit. Das        Digitalisierungspolitik werden, auch wenn sie an den
                   „Internet der Dinge“, „Smart-Homes“ und „Smart-Ci-            großen Stellschrauben nicht wird drehen können! Ob
                   ties“ verstricken uns immer mehr in eine total vernetz-       das möglich ist? Wir werden es erleben.
                   te Welt, die Vieles möglich macht, aber Grundlegendes
                   auch unmöglich. Das „Social Credit Programm“ in China,        Dr. Sievers bedankt sich für die Aufmerksamkeit der
                   das selbst Orwells Dystopie in den Schatten zu stellen        Teilnehmer.
                   scheint, erfüllt uns mit Schrecken. Superreiche arbeiten
                   daran (sorry: lassen daran arbeiten), sich unsterblich
                   machen zu können. Ist das die „Schöne neue Kultur-
                   welt“? Wie sähe darin Kulturpolitik aus?

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