Die Behandlung der Agitation beim psychiatrischen Notfall
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sonderausgabe november 2013 Die Behandlung der Agitation beim psychiatrischen Notfall P.b.b. Verlagspostamt 1120 Wien, Zulassungsnummer: GZ 02Z032080 M Konsensus-Statement – State of the art 2013 Unter der Patronanz: Editorial Board: Mag. Dr. Andreas Baranyi, Univ.-Prof. Dr. Philip Eisenburger, Prim. Priv.-Doz. Dr. Andreas Erfurth, Prim. Dr. Michael Ertl, Univ.-Prof. Dr. Richard Frey, Univ.-Prof. Dr. Armand Hausmann, O. Univ.-Prof. DDr. Hans-Peter Kapfhammer, Dr. Edeltraud Roitner-Vitzthum, Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Dietmar Winkler Lecture Board: Chefarzt Dr. Georg Psota, Prim. Dr. Christa Rados, Österreichische Dir. Univ.-Prof. DDr. Gabriele-Maria Sachs Gesellschaft für Neuropsychophar- makologie und Biolo- Vorsitz: O. Univ.-Prof. Dr. h.c. mult. Dr. Siegfried Kasper gische Psychiatrie
Vorwort Agitation, ob im Gefolge einer psychischen oder einer somatischen Erkrankung, ist häufig ärztlicher Alltag. Dies gilt sowohl für den intra- als auch für den extramuralen Bereich. Die be- sondere Situation, vor die ein agitierter Patient den Behandler stellt, kann eine große Herausfor- derung sein. Es geht nicht nur darum, beim betroffenen Patienten möglichst rasch diesen agi- tierten Zustand zu behandeln, sondern auch die Umfeldfaktoren, in denen dieser Patient be- handelt wird, seinen körperlichen Zustand und mögliche Erkrankungen zu berücksichtigen. O. Univ.-Prof. Dr. h.c. mult. Dr. Im vorliegenden österreichischen Konsensus-Statement, das von Experten, die im klinischen All- Siegfried Kasper tag diese Patienten behandeln, erstellt wurde, werden die wichtigsten Informationen zum Thema Univ.-Klinik für Psychiatrie und Agitation auf dem neuesten Stand der Wissenschaft zusammengefasst und praxisgerecht aufbe- Psychotherapie, Wien reitet. Ursachen und Phasen der Agitation werden ebenso ausführlich behandelt wie die thera- peutische Haltung in der Notfallsituation. Auch der Umstand, warum die Sicherheit für Patient und Behandlerteam im Vordergrund steht, wird betont. Welche therapeutischen Strategien sich im Falle eines agitierten Patienten als sinnvoll erweisen, darauf wird ausführlich eingegangen ebenso wie auf die wichtigsten und neuesten pharmakologischen Interventionsmöglichkeiten. Der fachgerechten und nebenwirkungsarmen Initialbehandlung der Agitation als psychiatrischer Notfallsituation kommt ein wesentlicher Einfluss auf den weiteren Therapieverlauf zu. Wie eine akute Krise so rasch wie möglich entaktualisiert und Zwangsmaßnahmen vermieden werden können, ist in diesem Konsensus-Statement ebenfalls nachzulesen. Eine rasche effektive Be- handlung des Patienten ohne Zwangsmaßnahmen wird als Stärkung des Vertrauensverhältnis- ses zwischen therapeutischem Team und agitiertem Patienten angesehen. Eigene Kapitel widmen sich der Agitation bei psychischer Erkrankung bzw. der Agitation auf- grund einer Intoxikation. Weitere Kapitel widmen sich den Themen „Delir“ bzw. „Agitation bei Demenz“. Dem Thema „Suizidalität“ als psychiatrische Notfallsituation wird ebenfalls besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Österreichische Gesellschaft für Mit dem vorliegenden Konsensus-Statement wollen wir Ihnen eine umfassende Zusammenfas- Neuropsychophar- sung zum Thema Agitation bieten und Sie damit in Ihrer täglichen Arbeit unterstützen. Wir makologie und Biolo- gische Psychiatrie freuen uns über Rückmeldungen, Anregungen und Diskussionen. O. Univ.-Prof. Dr. h.c. mult. Dr. Siegfried Kasper Foto: MedUni Wien Matern Zitierung der Arbeit wie folgt: Kasper S, Baranyi A, Eisenburger P, Erfurth A, Ertl M, Frey R, Hausmann A, Kapfhammer HP, Psota G, Rados C, Roitner-Vitzthum E, Sachs GM, Winkler D (2013) Die Behandlung der Agitation beim psychiatrischen Notfall. Konsensus-Statement – State of the art 2013. CliniCum neuropsy Sonderausgabe November 2013 Liebe Leserin, lieber Leser! Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir auf das Binnen-I und auf die gesonderte weibl iche und männliche Form.
Agitation Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 3 6. Therapeutische Interventionen 9 2. Definition 3 7. Medikamentöse Therapiestrategien 9 7.1. Agitation bei schizophrenen Psychosen und Manien 3. Syndrome mit Agitation 4 7.2. Agitation aufgrund von Intoxikation 7.3. Delir 4. Exkurs: Suizidalität 6 7.4. Agitation bei Demenz 5. Therapeutische Haltung in der 8. Zusammenfassung 14 Notfallsituation 6 5.1. Therapeutische Haltung in Situationen mit fremd- aggressivem Gefährdungsrisiko 5.2. Therapeutische Haltung in Situationen mit suizidalem Gefährdungsrisiko 1. Einleitung Notfallsituationen können sich aus Zuspitzungen von Krisen erge- Agitation im Gefolge einer psychischen Erkrankung gehört zu den ben. Häufig entstehen Notfallsituationen als Krisen im Rahmen von häufigsten medizinischen Notfallsituationen der Psychiatrie. In den schweren psychiatrischen Erkrankungen, wie schizophrenen Psycho- USA spricht man von rund 1,7 Millionen derartigen Notfällen pro sen, Manien oder Demenzen. Dazu ist prinzipiell zu unterscheiden, Jahr. In einer Studie aus Leeds wird festgestellt, dass rund jeder ob „lediglich“ eine Krise oder tatsächlich ein psychiatrischer Notfall vierte Patient eines medizinischen Notfalldienstes eine psychische vorliegt. Als Unterscheidungskriterium zwischen Krise und Notfall Erkrankung aufweist. Eine spanische Untersuchung kommt zum Er- kann das Vorliegen einer unmittelbaren Gefährdung von Leben gebnis, dass Agitation bei 61,9 Prozent aller stationären Aufnah- und Gesundheit herangezogen werden (psychiatrischer Notfall). men von Patienten mit der Diagnose Schizophrenie eine besondere Abbildung 1 zeigt die schematische Darstellung von Krisen- und Rolle spielt. Auch bei Patienten mit der Diagnose Bipolar I und II ist Notfallsituationen sowie deren therapeutische Interventionsmöglich- Agitation ein sehr häufiges Symptom. keiten bei psychiatrischen Auffälligkeiten bzw. Erkrankungen. Eine ausgeprägte Agitation kann zu einer vitalen Gefährdung Als Besonderheit im Rahmen psychiatrischer Notfälle ist das Vor- beitragen. Agitation kann mit aggressivem Verhalten gegenüber handensein von Suizidalität zu sehen (siehe auch Kapitel 4, „Ex- der eigenen Person, aber auch gegenüber anderen Personen ein- kurs: Suizidalität“). Psychiatrische Notfallsituationen, wie das Auf- hergehen. treten einer ausgeprägten Agitation, erfordern ein umgehendes therapeutisches Eingreifen. Wesentlich dabei ist eine ruhige, be- stimmte und offene Grundhaltung dem Patienten gegenüber. Zu Abbildung 1 Schematische Darstellung von Krisen- und den wichtigsten Medikamentengruppen in der Behandlung zählen Notfallsituationen Benzodiazepine sowie Antipsychotika. professionelle Hilfen Obwohl Agitation relativ häufig vorkommt, gibt es nur wenige epi- (Arzt, Pflegepersonal, demiologische Studien zur Prävalenz, zur Relevanz für die klinische Gefährdungsgrad Sozialarbeiter, Psycho- loge) Praxis oder zur finanziellen Dimension, die mit ihr vergesellschaftet Notfall sind. Das vorliegende österreichische Konsensus-Statement stellt ei- nicht professionelle pathologische Hilfen (Familie, Nach- nen Überblick über den Symptomenkomplex Agitation sowie über Krise barn, Pfarrer, Freunde, die angemessene medizinische Behandlung dar. Selbsthilfegruppen) normale Krise 2. Definition Zeit Psychiatrische Notfälle können in solche mit somatischem Schwer- Quelle: Kasper S punkt (z.B. Intoxikation, Hypoglykämie, Delir) und solche ohne we- c linic um neurop s y s ond era usgabe 3
sentliche somatische Beteiligung (z.B. akute schizophrene Psychose) h) Notfälle bei Alkohol-, Drogen- und Medikamentenintoxikation eingeteilt werden (siehe Tabelle 1). i) Demenzielles Syndrom Frühwarnzeichen einer bevorstehenden Eskalation können eine Agitation kann Ursache eines psychiatrischen Notfalls sein. Ein feindselige Grundstimmung, Angespanntheit und aggressiver Ge- psychiatrischer Notfall ist ein Zustand, der häufig durch eine psychi- sichtsausdruck, verstärkte Ruhelosigkeit, drohende Körperhaltung sche Krankheit bedingt ist und der eine unmittelbare Handlungs- und Gestik, erhöhte Lautstärke beim Reden, abrupte Bewegungen notwendigkeit zur Abwendung von Lebensgefahr oder von ande- und verminderte Körperdistanz, verbale Bedrohungen, lang anhal- ren schwerwiegenden Folgen mit sich bringt. Er erfordert eine so- tender Augenkontakt sowie Sachbeschädigungen sein. fortige, an der akuten Symptomatik orientierte, gezielte Therapie. Eine Übersicht der bestehenden Definitionen der Agitation findet Nach Kidd und Stark (1995) wird Agitation in folgende Phasen sich in Tabelle 2. eingeteilt. Phase 0 : keine Aggression Phase I (Auslösephase): Anspannung, die dem Betroffenen nicht 3. Syndrome mit Agitation immer bewusst ist. Äußerlich erscheint der Betroffene eher ruhig. Tabelle 1 gibt Beispiele für die mögliche diagnostische Zuordnung Phase II (erste Übergangsphase): Führt direkt zu aggressivem von Agitation am Ende eines Einschätzungsprozesses (etwa nach ei- Verhalten. Der Betroffene erlebt sich selbst als erregt. In dieser Pha- ner Bildgebung, einem Drogenharn etc.). Im klinischen Alltag ist es se besteht noch die Möglichkeit für eine verbale Intervention. Der dagegen zunächst sinnvoll – im Sinne von Hanns Hippius (Hippius H. Betroffene ist stärker agitiert, manipuliert, provoziert, zeigt fordern- Psychiatrie. Taschenbücher Allgemeinmedizin. Springer 1979) –, die des Verhalten oder zieht sich erst einmal zurück. syndromale Ebene zu erfassen, also das Symptom „Agitation“ ei- Phase III (Krisenphase): Es droht unmittelbar eine Eskalation. Im nem übergeordneten Syndrom zuzuordnen, welches dann unmittel- Rahmen dessen muss konsequent gehandelt werden, mit dem Ziel, bar zu therapeutischen Konsequenzen führt. Syndrome, in deren die Sicherheit des Betroffenen und anderer zu gewährleisten. Ge- Rahmen „Agitation“ eine wesentliche Rolle spielen, sind: gebenenfalls müssen Zwangsmaßnahmen zur Anwendung kom- a) Katatones Syndrom men. Insbesondere entstehen kritische Situationen, wenn Gefahr b) Manisches Syndrom im Verzug und der Betroffene für Argumente nicht mehr zugäng- c) Agitiert depressives Syndrom lich ist. d) Bewusstseinsstörung/Delir Phase IV (destruktive Phase): Kommt es zur destruktiven Phase, e) Suizidalität ist es nicht gelungen, den Betroffenen davon zu überzeugen, sein f) Wahn, Sinnestäuschungen Verhalten anzupassen. Er ist nun nicht mehr bereit, sich einer Inter- g) Angst-/Paniksyndrom vention zu unterziehen. Es droht reale Gefahr für den Betroffenen, Tabelle 1 Tabelle 2 Agitation und ihre diagnostische Zuordnung Definitionen der Agitation Diagnostische Zuordnung Beispiele Definition der Agitation Publikation Affektive Störungen Manie („Mania furiosa“); agitierte Ein geringgradig organisierter und schizophrene Depression; Schizophrenie (u.a. Zustand nicht zielgerichteter Erkrankungen katatone Erregung) motorischer Unruhe, der von Battaglia J. Pharmacological Angststörungen u.a. Panikstörung mentaler Anspannung beglei- management of acute agita- Kränkungs- und Frustrationserleb- tet wird und bei somatischen tion 2005 nisse; aktuell nicht kompensier- oder psychiatrischen Erkran- Reaktive Ursachen bare psychosoziale Belastungen kungen auftritt. („Krisen“), akute Belastungsreak- Eine unspezifische Konstella- tionen („psychogener Schock“) tion unzusammenhängender z.B. Cluster-B-Persönlichkeits- Verhaltensweisen, die bei Persönlichkeitsgebundene Lindenmayer JP. The patho- störungen (Borderline-Persönlich- verschiedenen klinischen Zu- Ursachen physiology of agitation 2000 keitsstörung) standsbildern auftreten kann und die meistens einen fluktu- Funktionspsychosen/hirnorgani- ierenden Verlauf aufweist. sche Psychosyndrome (z.B. epi- leptischer Dämmerzustand, zereb- Motorische Unruhe und Agi- Organische Ursachen raler Gefäßprozess); internistische tation stellen eine diffuse Zu- Erkrankungen (z.B. Hyperthyreose, nahme körperlicher Bewegun- Porphyrie, Hypoglykämie); Demenz gen dar wie Herumzappeln, Alkoholintoxikation; Rauschmittel- schnelle und rythmische Klopf- Kaplan HI, Sadock BJ, eds. intoxikationen (Amphetamin, bewegungen der Beine oder Intoxikationen/ Comprehensive Textbook of Ecstasy, Kokain, LSD) – substanz- Hände, ruckartige „Start-and- Entzugssyndrome Psychiatry 1995 induziertes Delir; Horrortrip; stop“-Bewegungen, die von atypische Rauschverläufe innerer Anspannung begleitet psychomotorische Erregungszu- werden. Agitation ist auch oft Intelligenzminderung stände bei intelligenzgeminderten mit allgemeiner Zunahme des Menschen („Erethismus“) Tempos vergesellschaftet. Quelle: modifiziert und ergänzt nach Rothenhäusler und Täschner 2013 Quelle: Hausmann A nach: Sachs GS 2006 4 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
für andere oder die allgemeine Sicherheit. Der Betroffene zeigt ein- Abbildung 2 deutig destruktives Verhalten und ist zum Einsatz von Gewalt über- Das Agitations-Kontinuum: Die „S-Kurve“ gegangen. Eine Intervention ist nun ausschließlich auf die Wieder- herstellung der Kontrolle und die Gewährleistung von Sicherheit Mild Moderat Schwer ausgerichtet. Phase V (Wiederherstellungsphase/Rückbildung): Nach einem Intensität der Agitation steigt Dysfunktional Eingreifen folgt eine Rückbildungsphase. Mit einem Wiederauf- flammen der Symptomatik muss jedoch gerechnet werden. Phase VI (zweite Übergangsphase): Die Gefahr ist nun so weit gebannt, dass der Betroffene für eine Intervention auf freiwilliger Basis wieder zugänglich ist. Zugrundeliegende Emotionen wie An- spannung, Angst oder Schuld erscheinen in reduzierter Ausprä- gung. Man spricht auch von postkritischer oder integrativer Phase. Phase VII (Auflösungsphase): Es erfolgt eine Nachbesprechung Verzweifelt und Rollenklärung der Parteien. Es werden gemeinsam die Ereignisse und ihre Umstände untersucht. Es wird geklärt, wie in Zukunft mit ähnlichen Situationen umgegangen wird. Die Erfahrungen werden in passende neue (Inter-)Aktionen im Setting umgesetzt. Zeit Ein Kontinuum von Interventionen bei Patienten, die sich von stillem Negativismus bis zur offenen Feindseligkeit entwickeln Die unterschiedlichen Phasen der Agitation können auch in Form können. einer Kurve dargestellt werden, die von „Verzweiflung“ bis hin zu Quelle: Hausmann A nach: Allen et al 2005 „Dysfunktionalität“ reicht (siehe Abbildung 2). Abbildung 3 Norwegische Brøset-Gewalt-Checkliste Zeitpunkt Vormittag Abend Punkte Punkte Verhaltensweise Definition (beobachtet=1 Punkt) (beobachtet=1 Punkt) Erscheint offensichtlich verwirrt und desorientiert; ist sich möglicherweise der Zeit, des Ortes und der Personen nicht bewusst; verkennt Personen, Situationen. „Verwirrt“ Verwirrt ist in einem allgemeinen Sinn gemeint. Hierzu zählt auch psychotische Verwirrtheit, nicht nur Verwirrtheit in Zusam- menhang mit einer Demenz oder Ähnlichem. Ist schnell verärgert oder wütend; zum Beispiel nicht in Reizbar der Lage, die Anwesenheit anderer zu tolerieren. Das Verhalten ist übermäßig laut oder Krach verursachend; Lärmig zum Beispiel schlägt Türen, schreit beim Sprechen etc. Eine deutliche Absicht, eine andere Person zu bedrohen, zum Beispiel eine aggressive Körperhaltung einnehmen, Körperliches Drohen an der Kleidung einer anderen Person reißen, Ballen der Faust, Heben eines Armes oder Fußes. Ein verbaler Ausbruch, der mehr ist als nur eine erhobene Stimme und der die klare Absicht hat, eine andere Person zu verängstigen/einzuschüchtern, zum Beispiel verbale Verbales Drohen Angriffe, Beschimpfungen, verbal neutrale Kommentare, die auf eine knurrende aggressive Art und Weise geäußert werden. Eine aggressive Handlung, die sich gegen einen Gegen- stand und nicht gegen eine Person richtet, zum Beispiel Angriff auf das wahllose Zuschlagen oder Zerschlagen von Fenstern, Gegenstände Treten, Schlagen oder Kopframmen gegen einen Gegen- stand oder Zerschlagen von Möbeln. Summe = Risiko für physischen Angriff in der nächsten Schicht 0 Punkte=geringes Risiko 1–2 Punkte=mäßiges Risiko, es sollten präventive Maßnahmen ergriffen werden Interpretation ≥3 Punkte=hohes Risiko, es sind präventive Maßnahmen und Pläne zum Umgang mit einem allfälligen An- griff erforderlich Quelle: Roitner-Vitzthum E c linic um neurop s y s ond era usgabe 5
Zur Einschätzung des Gefahrenpotenzials bei dieser Patienten- Abbildung 4 gruppe hat sich die Norwegische Brøset-Gewalt-Checkliste be- Therapiealgorithmus für die Behandlung der währt (siehe Abbildung 3 auf Seite 5). Mithilfe dieses Fragebogens Suizidalität kann die Möglichkeit eines aggressiven Durchbruchs abgeschätzt werden. Therapie allgemein Therapie der psychiatrischen Grunderkrankung Nein 4. Exkurs: Suizidalität Suizidalität nimmt im Themenspektrum Agitation eine herausra- Abklärung: akute Gefährdung? gende Stellung ein. Sie ist dabei nicht als eine nosologische Einheit laufende Beurteilung der zu verstehen, sondern als entwicklungsgeschichtlich unterschied- Ja Suizidalität lich ausgeprägtes Erleben, das in verschiedenen Lebensphasen auf- treten kann. durch Suizidversuch intoxikiert, verletzt? Das höchste Suizidrisiko tragen alte und vereinsamte Menschen, Konkrete Suizidge- danken • Risikofaktoren beurteilen vor allem Männer, substanzabhängige Patienten, Personen, die be- • Angehörige einbeziehen Nein reits versucht haben, sich zu suizidieren, sowie psychisch kranke Ja • tragfähige Beziehung herstellen Menschen (vor allem solche mit affektiven und schizophrenen Psy- • Krisenplan besprechen chosen und Persönlichkeitsentwicklungsstörungen). Auch Le- Notfallmaßnahmen • Agitiertheit/Angst: BDZ benskrisen, wie etwa der Verlust des Partners, der Wohnung oder Sedierung/stationär • kurzfristige Kontrolle/ UbG-Kriterien prüfen stationär des Arbeitsplatzes, können suizidale Tendenzen auslösen. Quelle: Konsensus-Statement Suizidalität 2011 Der Psychiater und Suizidforscher Erwin Ringel beschrieb bereits 1953 das „präsuizidale Syndrom“, das drei Merkmale umfasst: 5. Therapeutische Haltung in der Notfall- Einengung: Es bestehen im Leben der suizidalen Person immer situation weniger Wahlmöglichkeiten – letztlich scheint nur noch der Suizid Klinische Zustände mit Agitation, die als psychiatrische Notfälle im- als Möglichkeit zu bleiben. ponieren, gehen einerseits mit dem Risiko zu fremdaggressiven Er- Aggressionsumkehr: Es entwickelt sich eine immer stärker wer- regungen einher, andererseits mit suizidaler Gefährdung. Den psy- dende Aggression, die sich allerdings nicht nach außen, sondern chopathologischen Polen können sehr unterschiedliche psychiatri- immer stärker nach innen richtet. sche, neurologische oder internistische Krankheitsbedingungen zu- Suizidphantasien: Der Betroffene flüchtet immer mehr in eine in- grunde liegen. nere Vorstellungswelt, weil er das Gefühl hat, der äußeren Realität nicht mehr gewachsen zu sein. In seinen Phantasien spielen Suizid- 5.1. Therapeutische Haltung in Situationen mit fremdaggres- gedanken, die immer konkreter werden, je länger sie andauern, ei- sivem Gefährdungsrisiko ne wichtige Rolle. Oberstes Gebot in der Situation mit prinzipiellem Gewaltrisiko ist es, eine ausreichende Sicherheit für den erregten Patienten herzu- Das Konzept des präsuizidalen Syndroms stellt ein Merkmal in der stellen, dabei aber sich selbst, das übrige therapeutische und pfle- Abschätzung der Suizidalität dar. Wird dieses festgestellt, ist mög- gerische Personal und auch andere Personen am Ort genügend zu lichst rasch eine entsprechende Behandlung einzuleiten. schützen. Eine übersichtliche Lage am Ort des akuten Geschehens ist in jedem Fall anzustreben. D.h., andere Patienten oder unbetei- Frauen verüben häufiger Suizidversuche, Männer dagegen suizidie- ligte Personen werden gebeten, den Raum zu verlassen. Ein Arzt – ren sich etwa doppelt so häufig wie Frauen, und ab dem 60. Le- es sollte diese Rolle auf Station vom jeweils erfahrensten Kollegen bensjahr verdrei- bis vervierfacht sich dieses Verhältnis. übernommen werden – übernimmt die Organisation des konkreten Vorgehens und der Kontaktaufnahme mit dem Patienten. In einem Die Therapie der Suizidalität besteht in erster Linie darin, die geringen Abstand hinter ihm, aber für den erregten Patienten gut Grundkrankheit (Schizophrenie, Depression, Substanzabhängigkeit) erkennbar, stehen seine Kollegen aufmerksam zur Unterstützung zu behandeln. Wesentlich sind der Aufbau einer tragfähigen thera- bereit. Der gesprächsführende Arzt wird sich ruhig mit seinem Na- peutischen Beziehung und die Einbeziehung von Angehörigen in men, in seiner Funktion als verantwortlicher Arzt und in seiner spe- die Behandlung (siehe Abbildung 4). ziellen Absicht, die Situation zusammen mit dem Patienten klären Editorial Board Fotos: Archiv (7); Privat (4); OWS, Baumgartner Höhe (1) Mag. Dr. Univ.-Prof. Dr. Prim. Priv.-Doz. Dr. Prim. Dr. Michael Ertl Univ.-Prof. Dr. Univ.-Prof. Dr. Andreas Baranyi Philip Eisenburger Andreas Erfurth SMZ Baumgartner Höhe Richard Frey Armand Hausmann Universitätsklinik für Universitätsklinik für SMZ Baumgartner Höhe OWS, Wien Universitätsklinik für Universitätsklinik für Psychiatrie, Graz Notfallmedizin, Wien OWS, Wien Psychiatrie und Psycho- Psychiatrie, Innsbruck therapie, Wien 6 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
und beruhigen zu wollen, vorstellen. Er wird sich besonnen einen ten, eine Person mit aufgezogener Spritze für eine nach der siche- Überblick verschaffen und versuchen, überhaupt einen interperso- ren Fixierung des Patienten erfolgende i.m. Injektion mit sedieren- nellen Kontakt mit dem erregten Patienten herzustellen. Er ist sich der oder antimanischer/antipsychotischer“ Medikation. Es ist vor- hierbei bewusst, dass wo auch immer Waffen oder gefährliche Ge- teilhaft, wenn der zuvor das Gespräch führende Arzt auch während genstände in der Verfügung des Patienten sind, ein ruhiges und si- dieser kontrollierten Beschränkungsmaßnahme versucht, den ver- cheres Gespräch unmöglich ist. Gelingt es nicht, den Patienten zu balen Kontakt mit dem Patienten zu halten, die Notwendigkeit des überreden, seine Waffen beiseite zu legen, haben die eigene Si- Vorgehens erklärt und weiter beruhigend auf ihn einwirkt. Auch cherheit und der Schutz von Drittpersonen eindeutigen Vorrang. In orale Medikation, eventuell Tropfen bzw. das seit Kurzem einge- diesem Fall ist die Polizei zur Unterstützung zu rufen. Bis zum Ein- führte Inhalationsmedikament können angeboten werden. treffen der Polizei sollte aber in einem sicheren Abstand weiterhin versucht werden, mit dem Patienten einen Gesprächskontakt zu Allen an dieser eindämmenden Maßnahme Beteiligten muss klar halten. sein, dass es sich bei diesem Vorgehen um eine zu legitimierende therapeutische Maßnahme handelt, die eine auch juristisch ein- Eine situative Klärung ist dem Arzt nur möglich, wenn er allgemei- wandfrei nachvollziehbare Notfallsituation ohne die Möglichkeit ne Prinzipien der Deeskalation beachtet. Sein Auftreten ist neutral, von geringen invasiven Interventionen als Voraussetzung hat. Da- interessiert am Befinden des Patienten, bemüht, sein basales Ver- her ist es unabdingbar, den speziellen psychiatrischen Notfall in sei- trauen zu gewinnen. Er unterlässt Konfrontationen, hört geduldig nem Anlass, in der weiteren situativen und patientenbezogenen zu und bemüht sich in Mimik und Gestik um Professionalität und Entwicklung sowie in der konkreten Bewältigung mit großer Sorg- Gelassenheit. Er unterlässt alles, was den Patienten weiter provo- falt zu dokumentieren. Eine nachfolgende Überwachung des Pati- zieren könnte, und ist bemüht, auf Provokationen des Patienten enten im Hinblick auf die Fixierung und die applizierte Medikation möglichst nicht zu reagieren und ruhig zu bleiben. Einem starken ist selbstverständlicher ärztlicher und pflegerischer Standard. Es ist Redebedürfnis eines Patienten sollte er großzügig Raum geben, ge- in therapeutischer Hinsicht von entscheidender Bedeutung, dem duldig zuhören, vorsichtige klärende Zwischenfragen stellen, um Patienten auch nach der erfolgten Beschränkung und der gegen allmählich ein Zwiegespräch zu ermöglichen. Es ist wichtig zu er- seinen Willen verabreichten Medikation diese in aller Regel mit kennen, dass aggressives Verhalten beispielsweise eines paranoiden höchster affektiver Aufruhr und als gewaltsamen Übergriff erlebten Menschen oft die einzig verfügbare Verhaltensweise ist, mit einer Interventionen einfühlsam und verständnisfördernd zu erklären. unkontrollierbaren Angst umzugehen. Hier kann es hilfreich und entlastend sein, dem Patienten zu signalisieren, dass man auch 5.2. Therapeutische Haltung in Situationen mit suizidalem selbst die momentane Situation als bedrohlich erlebt, und dann Gefährdungsrisiko nachzufragen, was den Patienten im Augenblick so in Bedrängnis Patienten, die nach einem Suizidversuch ernsthaft vital bedroht gebracht hat, und eventuell auch, was er für sich hilfreich erleben sind, bedürfen selbstverständlich einer erforderlichen notärztlichen würde, welches Medikament ihm beispielsweise früher gut gehol- Versorgung und weiterer intensivmedizinischer Stabilisierung sowie fen habe. Eine solche Strategie kann aber u.a. bei intoxikierten einer situativen, motivpsychologischen und psychopathologischen oder dissozialen Patienten wenig erfolgreich sein. Äußerungen ei- Klärung. Die diagnostische und therapeutische Herausforderung gener Bedrohungsgefühle durch den Arzt können in diesem Fall bei Patienten mit akuter suizidaler Gefährdung ist unvergleichlich eher das gefährdende Verhalten des Patienten weiter verstärken. schwieriger. Ist eine Gesprächsführung auch über eine definierte Zeitspanne Der Arzt wird sich hier stets um einen ruhigen Gesprächskontakt nicht erfolgreich, nimmt das Erregungsniveau des Patienten eher mit der suizidgefährdeten Person bemühen. Voraussetzung hierfür noch weiter zu, dann ist bei einem kalkulierbaren Fremdaggressi- sind seine Geduld und seine empathische Anteilnahme, seine er- onsrisiko (d.h. bei unbewaffneten Patienten und bei abschätzbarer mutigende Aufforderung an den Patienten, über seine verzweifelte physischer Stärke der erregten Person) ein konzertiertes Vorgehen Situation zu sprechen und Gründe für sein Verhalten zu schildern. zur Eindämmung der Situation angezeigt. Dieses Vorgehen in sta- Diese offene und besonnene Grundhaltung wird umso vordringli- tionären Einrichtungen kann nur erfolgreich sein, wenn therapeuti- cher sein, wenn Suizidhandlungen, z.B. ein Sprung von einem sches und pflegerisches Team in der Durchführung solcher Aktio- Fenster oder die Selbsttötung durch eine Waffe in einer sich weiter nen geschult sind, d.h. jede teilnehmende Person die jeweils zuge- verschärfenden Agitation, unmittelbar drohen. Oberstes Ziel in ei- dachte Rolle und Aufgabe im gemeinsamen Vorgehen kennt und ner solchen Situation wird sein, den Patienten in einem annehmen- beherrscht (je eine kräftige männliche Person für die vier Extremitä- den Gesprächskontakt zu halten, ihn schließlich aus der aktuellen ten sowie den Kopfschutz des Patienten, eine Person mit Fixiergur- Gefahrenzone herauszubewegen, dabei aber die eigene Sicherheit Lecture Board O. Univ.-Prof. DDr. Dr. Edeltraud Roitner- Assoc.-Prof. Priv.-Doz. Chefarzt Dr. Georg Prim. Dr. Christa Rados Dir. Univ.-Prof. DDr. Hans-Peter Kapfhammer Vitzthum Dr. Dietmar Winkler Psota Landeskrankenhaus Gabriele-Maria Sachs Universitätsklinik für Universitätsklinik für Universitätsklinik für Psychosoziale Dienste Villach Landesnervenklinik Psychiatrie, Graz Psychiatrie und Psycho- Psychiatrie und Psycho- in Wien PSD, Wien Wagner-Jauregg, Linz therapie II, Salzburg therapie, Wien c linic um neurop s y s ond era usgabe 7
gewährleisten zu können. Dies setzt beim Arzt voraus, dass er die zodiazepinen, in ihrer Affektlage gelockert wirken können und nur Spannung der tödlichen Bedrohung des Patienten möglicherweise über ein eingeschränktes Realitätsurteil verfügen. über eine längere Zeit aushalten muss, ohne durch Ungeduld, Ver- ärgerung oder unbedachtes Vorgehen gerade den letzten Anstoß Motivanalyse, psychopathologischer Status, Suizidmethode, Um- hierfür zu geben. stände der Suizidplanung und aktuelle Einstellung des Patienten zu seinem Suizidversuch bestimmen das weitere therapeutische Vor- Die einzige, therapeutisch aber nur ungewiss wirksame Handhabe gehen. Ist es möglich, mit dem Patienten in einen offenen und klä- in dieser Situation wird sein offenes Gesprächsangebot sein. Dessen renden Gesprächskontakt zu treten, zeigt dieser eine Betroffenheit Erfolg wird weitgehend davon abhängig sein, inwieweit es ihm ge- über sein Handeln, ist er froh, überlebt zu haben, sucht er nach Hil- lingt, eine vertrauensvolle Beziehung zum Patienten aufzubauen, fe, so kann der Arzt die Möglichkeiten einer psychotherapeutischen dessen zuweilen heftige Affektäußerungen anzunehmen, ohne zu und/oder psychiatrischen Krisenintervention anbieten. Stationären vorschnellen therapeutischen Ratschlägen zu neigen oder die per- Angeboten ist angesichts einer im konkreten Fall nicht eindeutig zu sönliche Notlage des Patienten verharmlosend zu relativieren. Es klärenden Situation ein Vorrang vor ambulanten Alternativen ein- wird sein menschliches und ärztliches Geschick sein, das mitent- zuräumen. Ärztlich verantwortbar ist aber auch ein Vorgehen, scheidet, ob sich der Patient von ihm in eine sicherere Situation be- wenn der Patient eine stationäre Einweisung ablehnt, sich aber be- wegen lässt. Erst dann ist eine grundlegende Voraussetzung dafür reit erklärt, sich einer ambulanten psychiatrischen oder psychothe- geschaffen, die Motive und Gründe der Suizidalität weiter zu klären. rapeutischen Behandlung zu unterziehen. In diesem Fall ist aber si- cherzustellen, dass der Patient nach dem notärztlichen Kontakt Neben der Motivanalyse der Suizidalität und der psychopathologi- nicht allein bleibt, dass Familienangehörige oder Bekannte für eine schen Befunderhebung geht in das ärztliche Urteil vor allem die Be- zwischenzeitliche Betreuung gewonnen werden können und auch wertung der Gefährlichkeit des gewählten suizidalen Vorgehens ein. konkrete therapeutische Maßnahmen für die nächsten Tage, wie Es macht einen Unterschied aus, ob sich ein Patient tiefe Schnitt- z.B. Terminvereinbarungen für die ambulante Vorstellung bei einem wunden am Handgelenk zufügte, versuchte, sich durch Erhängen Psychiater oder Kriseninterventionsdienst, getroffen werden. oder Erschießen zu töten, oder ob er einige, aber in Hinblick auf ein letales Risiko eher ungefährliche Medikamente eingenommen hat. Liegt eine eigenständige psychiatrische Erkrankung der manifesten Und im letzteren Fall wird entscheidend sein, ob er subjektiv der Suizidalität zugrunde, weisen Suizidmethode und Umstände der Sui- Auffassung war, mit dieser Dosierung aus dem Leben scheiden zu zidhandlung auf eine aktuelle Suizidalität hin, sind gravierende Risi- können. Ferner muss berücksichtigt werden, ob eine suizidale Hand- kofaktoren zu eruieren, ist der Patient weiterhin suizidgefährdet, lung so geplant war, dass normalerweise ein Rettungsversuch aus- dann ist eine stationär-psychiatrische Einweisung unumgänglich. Die- geschlossen schien und nur einem glücklichen Umstand zu verdan- se ist insbesondere auch dann geboten, wenn es einem Patienten ken war, dass ihn eine Drittperson im aktuellen Zustand angetroffen unmöglich ist, seine Motive für die Suizidhandlung mitzuteilen, er ei- hat. Die gewählte Suizidmethode und die Umstände der Suizidpla- nen ärztlichen Kontakt ablehnt oder zu offenkundigen Bagatellisie- nung gilt es besonders dann zu bedenken, wenn der Patient aus ei- rungen neigt. Dem Patienten ist dann in einem ruhigen, aber be- ner nachvollziehbaren Beschämung heraus die eigentlichen Beweg- stimmten Ton zu erklären, dass eine ärztliche Verpflichtung bestehe, gründe abwehrend bagatellisiert. Zu berücksichtigen ist ferner, dass ihn eventuell auch gegen seinen Willen mit Unterstützung der Polizei Patienten unter Einwirkung psychotroper Substanzen, z.B. von Ben- in das nächstliegende psychiatrische Krankenhaus einzuweisen. Abbildung 5 Management des agitierten Patienten Der agitierte Patient gleichzeitig Verhaltens- und Umgebungsmodifikation: Medikamentöse Intervention: • Reduzierung der weiteren Stimulation • Rasche Beurteilung des medizinischen Zustands • „Talking down“: offenes und freundliches Sprechen, (Feststellung der auslösenden Ursachen) Angebote wie Essen und Getränke Patient bleibt agitiert und eine Gefahr für sich Entzugserscheinungen von Alkohol oder oder andere Sedativa? Nein Ja Nein Ja Isolierung oder • Erste Wahl: Atypische Antipsychotika oral/i.m./Inhalation Lorazepam Fixierung • Zweite Wahl: Haloperidol ± Lorazepam oral/i.m. oral/i.m. Bei anhaltendem aggressivem Verhalten Atypische Antipsychotika ± Stimmungsstabilisierer ± Betablocker Quelle: nach: Citrome L 2007 8 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
6. Therapeutische Interventionen Um den agitierten Patienten möglichst rasch zu beruhigen, eine ver- Der Initialbehandlung der Agitation als psychiatrischer Notfallsituati- trauensfördernde Atmosphäre zu schaffen und die Kooperationsfä- on kommt ein wesentlicher Einfluss auf den weiteren Therapiever- higkeit des Betroffenen möglichst zu erhalten, ist eine orale oder in- lauf zu. Es ist – neben der bereits beschriebenen Haltung des Thera- halative Medikamentengabe einer i.m. Gabe vorzuziehen. Allerdings peuten – wichtig, die akute Krise so rasch wie möglich zu stabilisie- bestehen hier Einschränkungen. Zum einen kann die mangelnde ren und Zwangsmaßnahmen möglichst zu vermeiden, um das Ver- Mitarbeit des Patienten eine orale Gabe verunmöglichen. Zum ande- trauensverhältnis zwischen therapeutischem Team und agitiertem ren beträgt die Dauer bis zum Wirkeintritt nach oraler Verabreichung Patient zu stärken. Zwei Drittel aller Fälle von Verletzungen des Per- mindestens 20 bis 30 Minuten. Wenn irgend möglich sollte vor dem sonals im Rahmen einer Intervention bei Agitation treten während Einsatz medikamentöser Therapiestrategien ein EKG (einschließlich Fixierungsmaßnahmen auf. Bei den gesetzten Maßnahmen sollte Erfassung der QTc-Zeit) geschrieben werden. Dies wird allerdings immer jene, die am wenigsten restriktiv ist, eingesetzt werden. wohl nur bei mild bis mittelgradig agitierten Patienten möglich sein. Gleichzeitig sollte bereits während der Akutphase eine respektvolle Bei unklarer Genese der Agitation werden zudem eine Blutanalyse therapeutische Beziehung initiiert werden. Falls eine medikamentöse und ein Monitoring des Patienten angeraten. Grundsätzlich sind die Therapie notwendig ist, sollte versucht werden, den Patienten mög- unmittelbare bzw. raschestmögliche Erhebung folgender Befunde im lichst von deren Notwendigkeit zu überzeugen. Abbildung 5 zeigt Rahmen der Abklärung des Patienten vor bzw. auch im Sinne einer einen Algorithmus zur Behandlung der Agitation. Kontrolle nach Anbehandlung des Patienten von besonderer Bedeu- Das Ziel der Therapie sollte die rasche Reduktion von agitiertem tung: Schilddrüsenwerte, Glucose, Elektrolyte, Drogenharn, Alkohol Verhalten sein, um damit aggressive Durchbrüche zu verhindern. im Blut und Messung der QTc-Zeit im EKG. Der Patient soll eine – trotz der an sich beängstigenden Situation – möglichst positive Therapieerfahrung erleben. Bei der medikamen- In der Notfallsituation sollte möglichst rasch abgeklärt werden, ob tösen Intervention sollte eine Beruhigung, aber keine nur ungenü- eine somatische Komponente für die Agitation besteht, wie etwa: gende Sedierung angestrebt werden. • Hypoglykämie • Schmerzen Wenn eine stationäre Aufnahme unumgänglich ist, sollten – nach • Dyspnoe/Hypoxie einer Stabilisierung des Patienten – von vornherein Ängste und Vor- • Elektrolytentgleisung urteile gegenüber psychiatrischen Institutionen relativiert werden. • Exsikkose Wenn eine Zwangseinweisung (Selbst- und/oder Fremdgefährdung) • Intoxikation, Entzug, unerwünschte Arzneimittelwirkungen notwendig ist, soll diese mit den Angehörigen auf dem Weg in das • Epilepsie Krankenhaus besprochen werden. Indikationen zur stationären Be- • Enzephalopathie, Hirndruck, Meningitis handlung des agitierten Patienten sind unter anderem: • Stress bei fehlender Ausdrucksmöglichkeit (Hörgerät fehlt, höher- • Unklare Diagnose (z.B. bei Bewusstseinstrübung, Rauschzustän- gradige Demenz, Fixierung) den, Verwirrtheitszuständen) • Therapie verlangt ständige ärztliche Überwachung (Intoxikation, 7.1. Agitation bei schizophrenen Psychosen und Manien Delir) Beim Patienten, der im Rahmen einer schizophrenen Psychose oder • Selbstgefährdung aufgrund mangelnder Beaufsichtigungsmög- einer Manie agitiert ist, hat sich in der Akutbehandlung ein Medika- lichkeit (Suizidalität, Verwirrtheitszustand) ment mit einem Dopamin-D2-Antagonismus als sinnvoll erwiesen. • Fremdgefährdung (z.B. Gefahr eines erweiterten Suizids, Dro- Von den antipsychotisch wirksamen Substanzen der zweiten Gene- hung oder aktuelle Fremdaggression) ration zeigt sich Aripiprazol i.m. in einer Dosis von 9,75mg als wirk- • Psychosoziale Gesichtspunkte (z.B. kein familiäres Selbsthilfepo- sam. Gegebenenfalls kann die Injektion nach zwei Stunden wieder- tenzial, unzumutbare Belastung für die Familie, ärztliche Betreu- holt werden. Maximal können innerhalb von 24 Stunden drei Gaben ung nicht gewährleistet) appliziert werden. Allerdings kann es in seltenen Fällen unter Aripi- prazol zu extrapyramidalen Symptomen (EPS) wie Akathisie, Hypo- tonie, Tachykardie und einer erhöhten Anfallsbereitschaft kommen. 7. Medikamentöse Therapiestrategien Zu den häufigeren Nebenwirkungen zählen Kopfschmerzen, Übel- Da beim psychiatrischen Notfall dem agitierten Patienten sehr häu- keit, Dyspepsie, Obstipation, Schlaflosigkeit, Benommenheit, Schläf- fig die Ursachen für die Agitation unklar sind und kein Wissen um rigkeit und Tremor. Auch extrapyramidale Symptome (EPS) werden vorbestehende Erkrankungen und Medikamente besteht, ist eine beobachtet. Aripiprazol ist nicht zugelassen für agitierte Demenzpa- verhältnismäßige Therapie zur Eindämmung der Agitation anzu- tienten. Vorsicht ist geboten bei Hyperglykämie, Epilepsie, Hypoto- wenden. Wenn klar ist, dass der Patient aufgrund einer psychischen nie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie z.B. Herzinsuffizienz. Erkrankung (z.B. Schizophrenie, bipolare Störung) agitiert ist, wer- den zunehmend Antipsychotika der zweiten Generation (atypische Eine rasche Abklärung bezüglich des Risikos von QT-Verlängerungen, Antipsychotika) zur Akutbehandlung eingesetzt. Für eine intravenö- anderen unerwünschten Arzneimittelwirkungen sowie über das se Gabe von Haloperidol zur Therapie der akuten Agitation gibt es Interaktionspotenzial geben mehrere Portale im Internet (z.B. www. keine Empfehlung des Herstellers: Von einem Einsatz ist abzuraten! mediq.ch). Ein Überblick über Strategien in der parenteralen psychia- trischen Akutbehandlung findet sich in Tabelle 3 auf Seite 10. Die vorhandenen Darreichungsformen für diese Medikamente rei- chen von oralen über sublinguale und intramuskuläre bis inhalative Eine mögliche Beeinflussung der QTc-Zeit durch eine Medikation Applikationen: wird von mediQ (www.mediq.ch) als QT-Stärke bezeichnet und • oral (Tabletten/Schmelztabletten/Tropfen) kann wie folgt kurz erklärt werden. QT-Stärke 1 bedeutet für das • i.m. Applikation (z.B. Aripiprazol, Haloperidol, Lorazepam) jeweilige vorgestellte Medikament ein niedriges Risiko für die Ver- • i.v. Applikation (z.B. Lorazepam) längerung der QT-Zeit, während Stärke 2 und 3 ein mittleres bzw. • Inhalation (Loxapin) (bei milder bis mittelgradiger Agitation) hohes Risiko dafür ausdrücken. Regelmäßige EKGs zur Überprü- c linic um neurop s y s ond era usgabe 9
Tabelle 3 Strategien in der parenteralen psychiatrischen Akutbehandlung Substanz- Risiko der QTc- klasse Substanz Dosierung Verlängerung1 Risiken und UAW Bewertung i.m. 3x 9,75mg/Tag Akathisie, Hypotonie, (2. Dosis nach 2 Stun- Kombination mit oralen Aripiprazol 1 Tachykardie, erhöhte den, max. 3 Injektio- Benzodiazepinen wird vertragen Anfallsbereitschaft nen in 24 Stunden) In Österreich besteht eine Zulassung für die intramuskuläre Applikation. Eine Empfehlung des Herstellers für Haloperi- Hohes Risiko von 5mg-Ampullen 3 eine i.v. Gabe besteht nicht; vom dol EPMS i.v. Einsatz ist abzuraten. In anderen Staaten darf Haloperidol i.v. bereits nicht mehr appliziert werden2 Senkt Krampfschwelle, 25mg-Ampullen, mittelstarker Hem- Einsatz nur in Ausnahmefällen Laevome- maximale Tagesdosis 2 mer CYP3A, 2D6, und bei Versagen geeigneter promazin 4–6-Ampullen Halbwertszeit 15–30 Alternativen Stunden Antipsy- Anfangsdosis 10mg chotika i.m. (2. Dosis 5–10mg Keine Kombination von Olanzapin Bradykardie, Hypo- Olanzapin nach 2 Stunden, 1 parenteral mit Benzodiazepinen tonie max. 20mg in parenteral 24 Stunden) 40mg (zur i.m. oder Orthostase, Keine Verordnung bei kardialen Stö- Prothi- langsamen i.v. Verab- mit Benzodiazepinen, 2 rungen, Bradykardie, Hypokaliämie, pendyl reichung: 3–4x 2–4 Opioiden: Gefahr der Lungenfunktionsstörungen Ampullen/Tag) Atemdepression Keine Kombination von Ziprasidon 10mg, max. i.m. mit anderen zentral wirksamen Ziprasidon 2 Akathisie, Schwindel Tagesdosis 40mg Arzneimitteln, insbesondere mit Benzodiazepinen i.v. 50–100 i.m., wegen Halbwertszeit 32 Stun- Zuclo- der langen Halbwerts- den, senkt Krampf- Wegen der langen Halbwertszeit penthixol- zeit Wiederholung 2 schwelle, anticho- schlechte Steuerung acetat am selben Tag nicht linerg, EPS-Risiko empfehlenswert Aktive Metaboliten, deswegen im Clorazepat 50mg-Ampullen 0 Vergleich zu Lorazepam nicht emp- fehlenswert www.azcert. Aktive Metaboliten, deswegen im Diazepam 10mg-Ampullen org/ – keine Vergleich zu Lorazepam nicht emp- Hinweise fehlenswert Metabolismus: Lorazepam wird 2–4mg als Anfangs- fast vollständig glucuronidiert, die Benzodia- dosis, Cave: Atem- Metabolite sind pharmakologisch zepine www.azcert. depression. Bei inaktiv. Nach i.m. Gabe kann bereits Lorazepam 2mg i.v. org/ – keine älteren Patienten nach wenigen Minuten die Konzent- Hinweise Dosisreduktion ration des Glukuronids, das mit einer um 50% Halbwertszeit von etwa 3,8 Stunden gebildet wird, gemessen werden. Narkotikum: besondere Überwa- Midazolam 0,025–0,3mg/kg/Tag Keine Angaben Atemdepression chung notwendig. Für die psychiatri- sche Routine nicht empfehlenswert Bei akuter Manie von Männern bzw. 3–4x 400–500mg/ bei Frauen, bei denen gesichert keine Andere Valproat Keine Angaben Tag i.v. Schwangerschaft vorliegt, ist Valproat eine praktikable Off-label-Therapie3 1QTc-Stärke gemäß www.mediq.ch (steigendes Risiko mit steigender Zahl); 2 zum Verbot in Italien: http://www.sifoweb.it/pdf/notizie/GU_23giu10_alope- ridolo.pdf; 3 Grunze H; Erfurth A; Amann B; Giupponi G; Kammerer C; Walden J. Intravenous Valproate Loading in Acutely Manic and Depressed Bipolar I Patients. Journal of Clinical Psychopharmacology 1999; 19:303–309 Quelle: Erfurth A. nach www.mediq.ch sowie Benkert O. Pocket Guide. Psychopharmaka von A bis Z. 2. Auflage, 2013, Springer 10 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
Eine Übersicht über die „Numbers needed to treat“ bei Anwen- Abbildung 6 dung von i.m. Antipsychotika bietet Abbildung 6. i.m. Antipsychotika bei Agitation 6 Eine neue Therapiemöglichkeit, die seit Kurzem auch in Österreich 5 zur Behandlung der Agitation bei Schizophrenie und der bipolaren ZIP 10–20mg Störung zugelassen ist, stellt die inhalative Form von Loxapin dar. 4 Loxapin wird seit fast 50 Jahren in der Psychiatrie eingesetzt. Das OLZ 10mg NNT 3 ARI 9,75mg Einmalgerät zur Inhalation wurde vom amerikanischen Pharmaun- HAL 6,6–7,5mg ternehmen Alexza entwickelt, 2010 patentiert und enthält eine 2 LOR 2mg chemisch aufzuheizende Platte, auf die Loxapin als reiner Wirkstoff 1 (ohne Füllstoffe) aufgebracht ist. An einem Ende des Geräts ist eine Lasche angebracht. Diese muss vom behandelnden Arzt gezogen 0 Medikation und das Inhalationsgerät dem Patienten an die Lippen gesetzt werden. Wenn der Patient einatmet, wird ein chemischer Prozess in Agitation bei Patienten mit bipolarer und schizophrener Erkrankung Response=40 Prozent Reduktion auf PEC resp BARS (Ziprasidon) Gang gebracht, der die Heizplatte stark erwärmt und hierdurch die zwei Stunden nach Injektion Substanz als reines Wirkstoffaerosol freisetzt und abgibt. Der Legende: NNT=Number Needed to Treat; ZIP=Ziprasidon; OLZ= Patient atmet den Wirkstoff tief in die Lunge ein. Mithilfe dieses Olanzapin; ARI=Aripiprazol; HAL=Haloperidol; LOR=Lorazepam Inhalationsgerät kann – ohne invasive Therapie – eine rasche Quelle: Hausmann A nach Citrome et al. 2007 Beruhigung des agitierten Patienten erreicht werden. fung der QT- und QTc-Zeit werden bei der Anwendung von Anti- Von den Benzodiazepinen zur Beruhigung des agitierten Patienten psychotika empfohlen. Geschlechtsunspezifisch gilt 440msec als soll an erster Stelle Lorazepam zur Anwendung kommen, da diese oberster Grenzwert der korrigierten QT-Zeit (QTc-Zeit). Substanz keine aktiven Metaboliten aufweist. Lorazepam wird fast vollständig glucuronidiert. Nach parenteraler Gabe kann bereits nach Ziprasidon, ein Antipsychotikum der zweiten Generation, weist eine wenigen Minuten die Konzentration des Glucuronids, das mit einer QT-Stärke von 2 auf und wird in der Akutbehandlung klinisch als Halbwertszeit von etwa 3,8 Stunden gebildet wird, gemessen wer- weniger wirksam als Aripiprazol erlebt. Das atypische Antipsychoti- den. Die Anfangsdosis beträgt 2 bis 4mg. Der Patient soll wie auch kum Olanzapin weist eine QT-Stärke von 1 auf, sollte laut mediq.ch bei der Gabe von Antipsychotika mit geeigneten Mitteln (Pulsoxyme- allerdings parenteral nicht mit Benzodiazepinen kombiniert werden. ter, EKG-Monitor, RR-Messung) monitiert werden. Bei älteren Patien- Nicht mehr empfohlen werden folgende Substanzen: ten sollte die Dosis halbiert werden. Laut Fachinformation sind „2 bis • Zuclopenthixolacetat: Die Halbwertszeit beträgt 32 Stunden, das 4mg Lorazepam (0,05mg/kg) i.v. oder i.m. als Anfangsdosis, wobei Präparat senkt die Krampfschwelle, wirkt anticholinerg, weist ei- der i.v. Verabreichung der Vorzug gegeben werden soll“, empfohlen. ne QT-Stärke von 2 und das Risiko für EPS auf. „Falls notwendig kann die gleiche Dosis nach zwei Stunden noch- • Levomepromazin: senkt ebenfalls die Krampfschwelle. Die QT- mals verabreicht werden.“ „Nach Abklingen der akuten Symptoma- Stärke beträgt 2, die Halbwertszeit beträgt 15 bis 30 Stunden. tik soll die Behandlung mit Lorazepam-Tabletten fortgesetzt werden. • Prothipendyl i.m. oder langsam i.v.: sollte nicht bei kardialen Im Einzelfall, speziell im stationären Bereich, kann die Tagesdosis un- Störungen angewendet werden. QT-Stärke 2. Bei gleichzeitiger ter Berücksichtigung aller Vorsichtshinweise auf maximal 7,5mg er- Verabreichung mit Benzodiazepinen besteht die Gefahr der höht werden.“ Zusammenfassend sei dringend empfohlen, die hier Atemdepression. angegebenen Dosierungen im klinischen Alltag zu berücksichtigen: Tabelle 4 Intoxikation durch verschiedene Substanzen und deren Auswirkungen Substanzname Mögliche Auswirkungen Benzodiazepine Bewusstseinsminderung, Koma, Atemträgheit, Atemstillstand Opiate/Opioide Koma, Atemträgheit, Atemstillstand, Hirnödem, Miosis Kokain Hyperthermie, Hyperhidrosis, Mydriasis, Tachykardie, zerebrale Krampfanfälle, Euphorie, Enthemmung, Aggressivität, paranoide Vorstellungen und Halluzinationen, Atemstillstand und Koma Stimulantien Hyperthermie, Hyperhidrosis, Mydriasis, Tachykardie, Tachypnoe, Euphorie, Erregung, para- noide Vorstellungen und Halluzinationen, Angst, Suizidimpulse, Herzrhythmusstörungen, hypertone Krisen, Krampfanfälle, Koma Halluzinogene Hyperthermie, Mydriasis, Tachykardie, Übelkeit, Reflexsteigerungen, Intensivierung und Verzerrung der Wahrnehmung, Erregung, Angst, Horrortrip, Halluzinationen, Aggressivität, Hyperglykämie, Atemdepression, zerebrale Krampfanfälle Flüchtige Lösungsmittel Bewusstseinstrübungen, rauschartige Zustände Alkohol Bewusstseins- und Orientierungsstörungen, illusionäre Verkennungen, Verlust des Zusammen- hanges von Denken und Handeln, Gangunsicherheit, verwaschene Sprache, Aggressivität Anticholinergika (trizyklische Neuroleptika, Delir, Agitation, epileptische Anfälle, Koma, Mydrasis, gerötetes Gesicht, Tachykardie, Clozapin, Olanzapin, Antiparkinson-Mittel) QT-Zeit-Verlängerung, Herzrhythmusstörungen, Tachypnoe, Darmträgheit Quelle: Baranyi A c linic um neurop s y s ond era usgabe 11
Eine höhere Dosierung ist vom pharmakologischen Wirkmechanis- zen wie Chlorprothixen, Prothipendyl und Haloperidol können als mus her nicht zu rechtfertigen und klinisch nicht empfehlenswert. Mittel zweiter Wahl unter Berücksichtigung ihres Nebenwirkungs- profils Verwendung finden. Bei der Therapie mit Benzodiazepinen Diazepam und Chlorazepat neigen aufgrund ihrer langen Halb- sind Substanzen mit mittellanger Halbwertszeit ohne aktive Meta- wertszeit und dem Vorhandensein von aktiven Metaboliten bei re- boliten wie Lorazepam und Oxazepam zu bevorzugen. Bei der duzierter Exkretion zur Kumulation. Als Zusatzoption kann bei aku- Verwendung von Benzodiazepinen sollte auf Toleranzphänomene ter Manie Valproat zum Einsatz kommen (nicht bei Schwangeren), im Rahmen einer Abhängigkeit gedacht werden. Weiters muss das rasch aufdosiert werden kann. Diese Substanz kann auch zu- eine bereits bestehende Benzodiazepinintoxikation in der Akut- sätzlich zu Aripiprazol und Lorazepam verabreicht werden. situation berücksichtigt werden, nicht zuletzt um kumultative Effekte (z.B. Atemdepression) zu vermeiden. Eine Überwachung Die vorgestellten Therapieoptionen gelten für den nicht vorbehan- und Monitorisierung des intoxikierten Patienten ist gegebenen- delten, aufgrund einer Schizophrenie oder bipolaren Störung agi- falls erforderlich. tierten Patienten. Bei vorbehandelten Patienten müssen die Dosie- rungen der Strategien eventuell angepasst werden. 7.3. Delir Das Delir ist eine akut auftretende, organisch verursachte psychi- 7.2. Agitation aufgrund von Intoxikation sche Störung (syn. „akute organische Psychose“), die bei Therapie Das ICD-10 beschreibt Intoxikation als „vorübergehendes Zustands- potenziell reversibel ist. Delirien stellen immer eine Notfallsituation bild nach Aufnahme von Alkohol und/oder anderen psychotropen dar, die ein rasches therapeutisches Eingreifen erforderlich macht. Substanzen mit Störungen des Bewusstseins, kognitiver Funktio- Dabei stellt eine verstärkte Überwachung des Patienten (speziell Vi- nen, der Wahrnehmung, des Affekts, des Verhaltens oder anderer talfunktionen, Flüssigkeitsaufnahme und -ausscheidung) die Basis psychophysiologischer Funktionen und Reaktionen (siehe Tabelle 4 der Behandlung dar, um eine lebensbedrohliche Situation zu ver- auf Seite 11). meiden. Das Delir entwickelt sich rasch und bietet in der Regel ei- nen beeindruckend fluktuierenden (undulierenden) Verlauf. Dies Die Vergiftungssymptome müssen dabei nicht immer in der typi- ist ein wichtiges differenzialdiagnostisches Merkmal gegenüber ver- schen Substanzwirkung bestehen, so können etwa auch dämpfen- worrenen, schizophrenen oder manischen Episoden. Gekennzeich- de Substanzen selten Agitiertheit und Überaktivität auslösen. Und net ist das oftmals als „akuter Verwirrtheitszustand“ bezeichnete Stimulanzien können wiederum auch zu sozialem Rückzug und in- Delir durch ein Mischbild folgender Symptome (nach ICD-10): trovertiertem Verhalten führen. • Bewusstseinsstörung als Kernsymptom, zumindest mit einge- schränkter Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu richten, zu halten, In der Behandlung der Agitation des intoxikierten Patienten stehen zu verlagern – neben einer suffizienten Pharmakotherapie – folgende Maßnah- • Reduzierte Kognition (Gedächtnis-, Auffassungsstörung, zeitliche men zur Verfügung: Desorientiertheit etc.) • Allgemeines Gespräch, Anwesenheit: für den Betroffenen bereit- • Wahrnehmungsstörungen (insbesondere optische Halluzinatio- stehen nen, Wahneinfälle) • Beziehungsangebot • Psychomotorische Störungen (entweder Hyperaktivität bzw. Agi- • Aktiv zuhören tation oder Hypoaktivität oder wechselhaft) • Angstminderung • Affektive Störungen (z.B. Angst, Reizbarkeit, Apathie, Ratlosigkeit) • Förderung von Selbstsicherheit • Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus • Fördern der eigenen Verantwortlichkeit • Förderung der Selbsterkenntnis Diese Kriterien, die das psychische Erscheinungsbild des Delirs klar • Ablenkung festlegen, sind – unabhängig von der Ursache – bemerkenswert • Krisenintervention einheitlich. Zur Klärung der organischen Ursache müssen Zusatzbe- • Verhaltensmodifikation funde erhoben werden. Damit ergibt sich eine wesentliche Schnitt- • Verhaltensregulierung stelle zwischen der Psychiatrie und der somatischen Medizin. Ein • Gemeinsame Ziele definieren Delir ist keineswegs immer durch Agitation gekennzeichnet. Vor al- • Grenzen aufzeigen lem bei älteren Menschen besteht die Gefahr, dass es im Rahmen • Stimmungsregulation der Demenz bei Dekompensation (z.B. durch Flüssigkeitsdefizit • Deeskalierendes Gespräch oder Reizdeprivation) zu „stillen“ (hypoaktiven) Delirien kommt, die • Räumliche Beschränkung akut Desorientiertheit und Hilfsbedürfnis mit sich bringen. Wenn nötig: Die Ursachen eines Delirs können sehr unterschiedlich sein, die • Aufsicht/Sitzwache häufigste Ursache ist jedoch die akut dekompensierte Demenz. Mit • Kameraüberwachung zunehmendem Alter steigt das Risiko. Alkohol- und Substanz-asso- • Fixierung ziiertes sowie postoperatives Delir treten auch relativ häufig auf (siehe Tabelle 5). Mittel der ersten Wahl in der Pharmakotherapie bei intoxikierten agitierten Patienten sind atypische Antipsychotika und Benzodia- Folgende diagnostische Hilfsbefunde sollen in multidisziplinärer Zu- zepine. Je nach Zustand des Patienten und abhängig von der sammenarbeit erwogen und interpretiert werden: Substanz besteht die Möglichkeit unterschiedlicher Darreichungs- • Blutdruck formen (oral, sublingual, i.m., i.v.). Atypische Antipsychotika, die • Temperatur bei akuter Agitation verabreicht werden können, sind Aripiprazol, • Labor: Glukose, Elektrolyte, Kreatinin, Leberenzyme, C-reaktives Olanzapin, Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon. Ältere Substan- Protein, Blutbild, Hormone 12 c li n i c u m n e u ro p s y s o n d e ra u s g a b e
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