Die Brücke schlagen zwischen Wissen-schaft und Praxis
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DIE BRÜCKE SCHLAGEN ZWISCHEN WISSENSCHAFT UND PRAXIS Die Brücke schlagen zwischen Wissen- schaft und Praxis Wie das Fachreferat der Kantonspolizei Basel-Stadt die Ressource «Forschung» für die Polizeiarbeit erschliesst Yara Gut Leiterin Fachreferat, Kantonspolizei Basel-Stadt Zusammenfassung Die Polizeiarbeit ist in vielerlei Hinsicht komplexer Wissenschaftler/-innen weltweit ähnliche Fragen, geworden: Sie bewegt sich heute mehr denn je im wenn sie die Polizei und ihre Aufgaben untersuchen: Spannungsfeld zwischen dem laufenden gesellschaft- Wie können Polizistinnen und Polizisten besser vor lichen wie technologischen Wandel und der steten Angriffen geschützt werden? Welche Konzepte gibt Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit. Längst es, um Kriminalität im öffentlichen Raum einzudäm- überschreiten die täglichen strategischen und ope- men? Und wo muss der Hebel zwischen Repression rativen Herausforderungen das Zuständigkeitsgebiet und Prävention angesetzt werden? Bei der Kantons- Einzelner. Regelmässig ist die Polizeileitung deswe- polizei Basel-Stadt schlägt das 2018 etablierte Fach- gen auf ganzheitliche und innovative Lösungsansätze referat hier die Brücke und denkt wissenschaftliche und Konzepte angewiesen. Gleichzeitig stellen sich Erkenntnisse in praxistaugliche Konzepte um. Das 21. Jahrhundert hat die Rahmenbedingungen der ausführend und mit interdisziplinärem Fachwissen polizeilichen Aufgabenerfüllung grundlegend ver- beratend zur Verfügung, erarbeitet strategische, ändert: Entwicklungen wie die Digitalisierung, der konzeptionelle und wissenschaftliche Entschei- demografische Wandel oder die 24-Stunden-Gesell- dungsgrundlagen, tätigt abteilungs-, behörden- und schaft stellen die Polizei nicht nur im Einsatz, sondern kantonsübergreifende Abklärungen und leistet allge- auch als Arbeitgeberin und Organisation vor grosse mein komplexe Führungsunterstützung – all dies mit Herausforderungen. Dadurch wird die strategische dem expliziten Gesamtauftrag, in den strategischen Führung der Kantonspolizei Basel-Stadt zur deutlich Entscheidungsprozess der Polizeileitung mehr Wis- komplexeren Aufgabe.1 Täglich ist die Polizeilei- senschaft und Wissenschaftlichkeit einzubringen.3 tung mit schwierigen Fragen konfrontiert – sei dies, Angesiedelt in der Hauptabteilung «Kommando» weil politische Vorstösse Stellungnahmen zu gesell- entwickelte sich das Fachreferat schnell zu einem wich- schaftlichen Debatten verlangen2 oder bedenkliche tigen Ansprechpartner für die Polizeileitung: Innert Entwicklungen wie die steigende Gewalt gegen Poli- kurzer Zeit stieg der Bedarf an seinen Dienstleistungen zistinnen und Polizisten griffige Strategien erfordern. derart, dass heute neben der Leitung zwei Fachrefe- Die Handhabung dieser und weiterer Sachkomplexe rentinnen mit dem Themenschwerpunkt «Gewaltbe- reicht regelmässig über die Zuständigkeiten einzelner Organisationseinheiten hinaus und bedarf ganzheitli- 1 Für einen umfangreichen Überblick zu den aktuellen Herausfor- cher Konzepte und innovativer Lösungen. derungen der Polizei vgl.: Berthel, Ralph: Think Tank Polizei (Teil I), Statement für ein innovatives Polizeiinstrument. In: Die Polizei, Heft 5, 2015, S. 126–127. Fundierte Entscheide dank interdisziplinärer Per- 2 Wie unlängst im Zusammenhang mit der Aufhebung des allge- meinen Bettelverbots, vgl. dazu etwa: https://www.srf.ch/news/re- spektive gional/basel-baselland/hesch-mer-e-stutz-polizei-registriert-mehr- Bei der Kantonspolizei Basel-Stadt nahm deswe- bettler-auf-basels-strassen (letzter Zugriff 13. Oktober 2020). 3 Für den Ausbau der Wissenschaftlichkeit im operativen Tagesge- gen im Juli 2018 das Fachreferat seinen Betrieb auf. schäft sorgen indes die Kolleginnen und Kollegen von der «Opera- Es steht der Polizeileitung in Querschnittsthemen tiven Lage». format magazine no 10 77
DIE BRÜCKE SCHLAGEN ZWISCHEN WISSENSCHAFT UND PRAXIS kämpfung» sowie eine Fachreferentin mit dem Fokus ermöglichen, schöpfen sie noch nicht das gesam- auf Menschenhandel tätig sind. Zusätzlich wird jeweils te Potential der Polizeiforschung als Ressource für ein auf ein Jahr befristetes wissenschaftliches Praktikum die Polizeiarbeit aus. Und dieses ist erheblich, zu- für Hochschulabsolventinnen und -absolventen ange- mal sich mehrere wissenschaftliche Disziplinen in- boten. Die Zusammensetzung des Teams widerspiegelt tensiv dem Forschungsobjekt «Polizei» und ihrem denn auch – zumindest zu einem Teil – die Fülle an Aufgabengebiet widmen. So befassen sich etwa die Disziplinen, die sich für die Polizei als Forschungsob- Kriminologie und die Kriminalistik mit Kriminali- jekt interessieren: Die Mitarbeitenden verfügen über tätsphänomenen und deren Bekämpfung und liefern Fachwissen aus den Sozial- regelmässig Erkenntnisse, die einen direkten Einfluss [Es] entsteht ein multiperspek- und Politikwissenschaften, der auf die Polizeiarbeit haben können.4 tivischer und interdisziplinärer Ethnologie, der Geschichte, Darüber hinaus beschäftigt sich etwa die Polizei- Bericht, auf dessen Basis die der Philosophie und der Reli- wissenschaft mit Wesen und Wirkung der Polizei. In Polizeileitung [...] eine fundierte gionswissenschaft. Um auch den 1960er- und 1970er-Jahren vor allem in Europa Entscheidung treffen kann. die polizeiliche Perspektive noch im Sinne einer wissenschaftlichen Polizeikritik und das operative Know-how verstanden, widmet sich die vergleichsweise junge abzudecken, besteht eine enge Zusammenarbeit mit Disziplin5 heute der systematischen Erforschung po- der Lageanalyse. Zusätzlich begleiten die Fachreferen- lizeibezogener Phänomene und Fragestellungen.6 tinnen regelmässig operative Einsätze. Dabei fördert sie Erkenntnisse zu Tage, die für Poli- Aufträge nimmt das Fachreferat in erster Linie von zeiorganisationen für ihre strategische und operative der Polizeileitung entgegen: In Grundlagenberichten Ausrichtung von grosser Bedeutung sind. tragen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sämt- Dass die Forschung für die Polizei eine wichtige liche Informationen zusammen, die für die Fällung Ressource ist – und vice versa – spiegelt sich auch strategischer Entscheide benötigt werden. Sollte die in der zunehmenden Zusammenarbeit zwischen Kantonspolizei Basel-Stadt etwa erwägen, Bodycams Polizeien und universitären Bildungseinrichtungen einzuführen, so wäre es Aufgabe des Fachreferats, die wider. In der Schweiz zeugen etwa diverse Koope- möglichen Auswirkungen eines solchen Entscheids rationen und Forschungsprojekte vom wachsenden, aufzuzeigen. Dies umfasst einerseits die Analyse der gegenseitigen Interesse.7 Noch dürfte der Schulter- Standpunkte aller wichtigen Stakeholder: Begrüssen schluss aber nicht hinreichend etabliert oder gar in- die Polizistinnen und Polizisten eine Einführung? Wie steht der Verband zu Bodycams? Welche politischen 4 Eines der wahrscheinlich berühmtesten Beispiele ist die Broken- Windows-Theorie von Wilson und Kelling, die das Fundament Positionen gibt es zum Thema? Und welche Beson- der Nulltoleranzstrategie der New Yorker Polizei bildete. Vgl. dazu derheiten müssen bei einer allfälligen Umsetzung etwa: Kelling, George/Bratton, William: Declining Crime Rates: Insiders' Views of the New York City Story. In: Journal Of Crimi- beachtet werden? Gerade in der föderalen Schweiz nal Law & Criminology, 88 (4), 1998, S. 1217–1232. hilft es ausserdem, die Lösungen und Erfahrungswerte 5 Zur (vornehmlich deutschen) Geschichte der Polizeiwissenschaft vgl. Kersten, Joachim: «Polizeiwissenschaft». Eine programmati- anderer kantonaler und städtischer Polizeikorps abzu- sche Standortbestimmung. In: SIAK-Journal – Zeitschrift für Poli- fragen und ihre Anwendbarkeit im baselstädtischen zeiwissenschaft und polizeiliche Praxis, 1, 2012, S. 6–8. 6 Neidhardt, Klaus: Polizeiwissenschaft. In: Lange, Hans-Jürgen Kontext zu prüfen. Neben diesem Blick in die Praxis (Hrsg.): Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, VS Verlag für Sozial- prüft das Fachreferat ausserdem den Stand der For- wissenschaften, 2006, S. 243. schung und ergänzt die Entscheidungsgrundlage um 7 Verschiedene Polizeikorps, allen voran die Stadtpolizei Zürich, pflegen den regelmässigen Austausch mit universitären Bildungs- relevante wissenschaftliche Erkenntnisse. So entsteht institutionen. Bemerkenswert ist an dieser Stelle etwa die vom In- ein multiperspektivischer und interdisziplinärer Be- stitut für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hoch- schule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) durchgeführte richt, auf dessen Basis die Polizeileitung im Wissen Evaluation des Pilotprojekts zum Einsatz von Bodycams bei der Stadtpolizei Zürich und der Transportpolizei. Vgl. dazu: Manzoni, um alle Fakten und möglichen Auswirkungen eine Patrik/Baier, Dirk: Evaluation des Pilotprojekts zum Einsatz von fundierte Entscheidung treffen kann. «Bodycams» bei der Stadtpolizei Zürich und der Transportpolizei, Institut für Delinquenz und Kriminalprävention, ZHAW, März 2018. Das Schweizerische Polizei-Institut (SPI) fördert überdies Polizei und Polizeiarbeit als begehrte Forschungs- die angewandte Polizeiforschung hinsichtlich der Polizei, indem es die Arbeiten, die im Rahmen der höheren Fachprüfung verfasst objekte werden, koordiniert sowie Personen, die akademisch zur Polizei forschen, unterstützt und regelmässig an Forschungsprojekten Während diese Aufträge jeweils eine vertiefte Aus- teilnimmt. Siehe dazu: https://www.institut-police.ch/de/wissen/ einandersetzung mit spezifischen Themengebieten angewandte-forschung (letzter Zugriff 9. Oktober 2020). 78 format magazine no 10
DIE BRÜCKE SCHLAGEN ZWISCHEN WISSENSCHAFT UND PRAXIS stitutionalisiert sein. Dafür gibt es nachvollziehbare So verfolgen verschiedene Dienststellen aktuelle Gründe: Das Monitoring neuster wissenschaftlicher Forschungsergebnisse ihrer jeweiligen Disziplin10 Erkenntnisse, die vertiefte Recherche zu und die und diverse Mitarbeitende erarbeiten im Rahmen Analyse von aktuellen (Kriminalitäts-)Phänomenen von Weiterbildungen oder berufsbegleitenden Studi- und Handlungsfeldern, das Erarbeiten von Konzep- en wissenschaftliche Arbeiten. Mit dem neuen Aus- ten zur Umsetzung in die Praxis – all dies nimmt tauschformat werden die wissenschaftlich arbeiten- viel Zeit in Anspruch. Zeit, die weder die strategi- den Dienststellen vernetzt und internes Fachwissen schen Entscheidungsträgerinnen und -träger noch ausgetauscht. So sollen interdisziplinäre, bereichs- die operativen Einsatzkräfte entbehren können und übergreifende Projekte initiiert und gleichzeitig Vor- sollen. schläge für den WIP aus allen teilnehmenden Or- ganisationseinheiten eingebracht werden. Nachdem Mehr Wissenschaft im Alltag dank innovativen zu Beginn des Jahres eine Bedarfsanalyse durchge- Instrumenten führt wurde, fand die erste dieser Austauschsitzun- Mit dem Projekt «Sophia» schliesst das Fachreferat gen im November 2020 statt. diese Lücke und bringt die Ressource «Forschung» aktiv in die Polizeipraxis ein, indem der Polizeilei- Forschungsprojekte für die Polizei tung zu polizeirelevanten Themen regelmässig wis- Trotz der Fülle an wissenschaftlicher Forschung senschaftliche Erkenntnisse zur Verfügung gestellt können längst nicht alle Fragen aus der Basler Po- werden. Dabei kommen zwei neu geschaffene Ins- lizeipraxis mit der bestehenden Literatur beantwor- trumente zur Anwendung: der sogenannte «wissen- tet werden. Nach dem Vorbild schaftliche Input für die Polizeileitung» (WIP) sowie ähnlicher Stellen in Deutsch- Langfristig soll das Projekt dazu die organisationsübergreifende und systematische land11 führt das Fachreferat des- beitragen, das Gewaltvorkommen Vernetzung des vorhandenen, internen Fachwissens. wegen auch eigene Untersu- in Basel-Stadt nicht nur besser zu Im Rahmen des WIP wird die Polizeileitung vier- chungen durch, wie aktuell für verstehen, sondern auch wirksamer mal jährlich über interessante Studien bzw. For- die Themen Gewalt und Men- bekämpfen zu können. schungsergebnisse zu polizeirelevanten Themen schenhandel. Diese beiden De- informiert. Dabei orientiert sich das Fachreferat an liktsbereiche bilden gemeinsam mit Einbruchdieb- dem, was beispielsweise Ralph Berthel, ehemaliger stahl seit 2017 die regierungsrätlichen Schwerpunkte Abteilungsleiter im Landeskriminalamt Sachsen und bei der Kriminalitätsbekämpfung in Basel-Stadt. Im Dozent an der Ruhr-Universität Bochum, 2015 als Rahmen eigener Forschungsprojekte begleiten die Kernaufgabe des innovativen Instruments «Think Fachreferentinnen die Schwerpunktsetzung wissen- Tank Polizei» skizzierte: Die Mitarbeiterinnen und schaftlich und analysieren ausgewählte Teilaspekte.12 Mitarbeiter analysieren laufend gesellschaftliche, Im Bereich der Gewaltbekämpfung ist dabei ins- politische und wissenschaftliche Entwicklungen8, besondere die kantonale Gewaltsituation von Inter- prüfen ihre Relevanz für die polizeiliche Aufgaben- esse. Seit mehreren Jahren rangiert die Stadt Basel auf erfüllung und präsentieren diese anschliessend kurz dem ersten Platz der Liste der gewalttätigsten Städ- und prägnant der Polizeileitung.9 Durch die Ausar- beitung konkreter Vorschläge bzw. Empfehlungen 8 Derzeit beobachtet werden etwa aktuelle Entwicklungen wie die werden strategische Grundsatzentscheidungen auf gewalttätigen Ausschreitungen in Frankfurt und Stuttgart oder diese Weise nicht nur vorbereitet, sondern aktiv an- auch die Schwierigkeiten, die sich bei der polizeilichen Durchset- zung der Corona-Massnahmen für die Polizistinnen und Polizisten geregt. ergeben. Um den Austausch und die Vernetzung nicht 9 Berthel, Ralph: Think Tank Polizei (Teil II), Statement für ein in- novatives Polizeiinstrument. In: Die Polizei, Heft 6, 2015, S. 165. nur vertikal, sondern auch horizontal zu stärken, 10 Als Beispiele seien etwa die Abteilungen «Recht», «Verkehrssicher- führt das Fachreferat ausserdem zweimal jähr- heit» oder der Psychologische Dienst genannt. lich eine Sitzung mit sämtlichen wissenschaftlich 11 Für einen Überblick der verschiedenen polizeilichen Forschungs- stellen (Stand 2012) in Deutschland vgl. Lorei, Clemens/Gross, arbeitenden Organisationseinheiten der Kantons- Hermann (Hrsg.): Polizei & Wissenschaft. Themenheft Polizei & polizei Basel-Stadt durch. Denn bereits jetzt ist in Forschung, Ausgabe 3, 2012. 12 Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt: Kriminalitätsbekämp- der Kantonspolizei Basel-Stadt eine beachtliche fung einschliesslich Strafverfolgung Festlegung der Schwerpunkte Menge an wissenschaftlicher Expertise vorhanden: 2019–2021, Regierungsratsbeschluss vom 30. April 2019, S. 2–10. format magazine no 10 79
DIE BRÜCKE SCHLAGEN ZWISCHEN WISSENSCHAFT UND PRAXIS te der Schweiz.13 Die Fachreferentinnen gehen der bei der Identifikation und der Bearbeitung von Men- Frage nach, warum das so ist und führen u.a. eine Si- schenhandelsfällen und unterzieht diese anschlie- tuations-, eine Ursachen- sowie eine Massnahmen- ssend einer qualitativen Inhaltsanalyse. So können analyse durch. Das Ziel ist dabei, das baselstädtische Herausforderungen im Ist-Zustand identifiziert und Gewaltvorkommen aus verschiedenen Perspekti- die nötigen Optimierungen vorgenommen werden. ven zu beleuchten und auf Basis der so erlangten In einem nächsten Schritt gilt es, die intern und ex- Erkenntnisse Massnahmen zur zielgerichteten Ge- tern vorhandenen Daten zu Menschenhandel (poli- waltbekämpfung umzusetzen. Neben der vertieften zeiliche Kriminalstatistik, Polizeirapporte, Statistiken Analyse des Hellfelds anhand verschiedener Statis- von NGOs) zusammenzutragen und so aufzuberei- tiken14 sowie relevanter Polizeirapporte, führen die ten, dass künftig Massnahmen evidenzbasiert ge- Fachreferentinnen Interviews plant werden können. Die Etablierung dieser angewand- mit Experten/-innen, prüfen Neben den oben aufgezeigten Hauptaufgaben ten Forschung von der Polizei verschiedene Möglichkeiten führt das Fachreferat kleinere Auftragsrecherchen für die Polizei ist denn auch das für aussagekräftige Städte- durch, koordiniert und redigiert die Beantwortung langfristige Ziel. vergleiche, begleiten (rein von politischen Vorstössen16 und berät intern Per- beobachtend) Polizeieinsätze sonen bei der Entwicklung von Fragestellungen für an sogenannten Hotspots und tragen Informationen wissenschaftliche Arbeiten. Als Kontaktstelle für Uni- zum subjektiven Kriminalitätsempfinden zusammen. versitäten und Fachhochschulen nimmt es überdies Dabei arbeiten sie eng mit den Spezialisten/-innen externe Forschungsanfragen entgegen. Neu führt das der Lage, den Statistischen Ämtern des Kantons und Fachreferat ausserdem Evaluationen von Pilotprojek- des Bundes sowie weiteren internen und externen ten bzw. polizeilichen Massnahmen durch. Fachstellen zusammen. Auf Basis dieser Teilanalysen erarbeiten die Fach- Ausblick referentinnen in einem nächsten Schritt ein Gesamt- Die Polizeiarbeit wird auch in 10 Jahren noch kom- bild bzw. -modell der baselstädtischen Gewaltkrimi- plex sein – oder gar komplexer werden. Deswegen nalität und leiten daraus erste Anknüpfungspunkte plant das Fachreferat bereits jetzt diverse Projekte, um für die gezielte Bekämpfung und Massnahmenpla- der Polizeileitung auch künftig mit ganzheitlichen Lö- nung ab. Langfristig soll das Projekt dazu beitragen, sungsansätzen bei der Bewältigung von alten und neu- das Gewaltvorkommen in Basel-Stadt nicht nur bes- en Herausforderungen zur Seite stehen zu können. So ser zu verstehen, sondern auch wirksamer bekämp- soll etwa eine Datenbank mit (polizei-)wissenschaftli- fen zu können. cher Literatur aufgebaut werden, die für alle Mitarbei- Auch im Bereich «Menschenhandel» führt das tenden der Kantonspolizei Basel-Stadt zugänglich ist. Fachreferat derzeit ein Projekt durch. Der Men- Je nach Forschungslücken, die in den Bereichen «Ge- schenhandel ist ein klassisches Hol-Delikt, d. h. die waltbekämpfung» und «Menschenhandel» erkannt Strafverfolgungsbehörden müssen aktiv ermitteln, werden, sind ausserdem weitere – gegebenenfalls damit Fälle zutage gefördert werden. Hinzu kommt, auch grössere – Forschungsvorhaben denkbar. Nicht dass die Aussagebereitschaft der mutmasslichen zuletzt gilt es, die Zusammenarbeit mit universitären Opfer aus verschiedenen Gründen gering ist und Bildungseinrichtungen weiter zu intensivieren. sich die Ermittlungen aufgrund fehlender objektiver Beweise äusserst komplex und aufwendig gestalten. 13 Bundesamt für Statistik: Polizeiliche Kriminalstatistik, Jahresbe- Im Zuge der Schwerpunktsetzung 2017 wurde die richt 2019 der polizeiliche registrierten Straftaten, Neuchâtel 2020, S. 19, aufrufbar unter: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/ Verfolgung von Menschenhandel intensiviert. Dabei statistiken/kriminalitaet-strafrecht/polizei.assetdetail.11147486. html (letzter Zugriff 12. Oktober 2019). wurde deutlich, dass die Vernetzung und Zusam- 14 Relevant sind etwa neben der polizeilichen Kriminalstatistik auch menarbeit zwischen den verschiedenen operativ die Opferhilfestatistik und die Unfallstatistik der SUVA, die auch tätigen Einheiten15 ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei Daten zu Gewalt enthält. 15 Darunter fallen u. a. die Kantons- und die Kriminalpolizei, die der Bekämpfung von Menschenhandel ist. Deswe- Staatsanwaltschaft, das Amt für Wirtschaft und Arbeit, das Migra- gen erfasst eine Fachreferentin anhand von leitfa- tionsamt sowie diverse NGOs. 16 Sofern diese die eigenen Themen betreffen oder von gesamtbetrieb- dengestützten Expertinnen- und Experteninterviews licher Bedeutung sind und nicht in das Aufgabengebiet einer ande- systematisch sämtliche Schnittstellen und Prozesse ren Dienststelle fallen. 80 format magazine no 10
DIE BRÜCKE SCHLAGEN ZWISCHEN WISSENSCHAFT UND PRAXIS Denn wie die bisherige Arbeit des Fachreferats Bundesamt für Statistik: Polizeiliche Kriminalstatistik, Jahresbe- richt 2019 der polizeiliche registrierten Straftaten, Neuchâtel 2020, zeigt, ist der Nutzen intern betriebener Forschung aufrufbar unter: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/ enorm: Dank wissenschaftlicher Methoden und kriminalitaet-strafrecht/polizei.assetdetail.11147486.html (letzter Zugriff 12. Oktober 2019). Ansätze werden Problemfelder mit ergebnisoffener Jarchow, Esther: Forschung als anerkannte Ressource der Polizei. In: Praxisperspektive so untersucht, dass daraus weitere Frevel, Bernhard/Gross, Germann (Hrsg.): Empirische Polizeifor- schung XIX: Bologna und die Folgen für die Polizeiausbildung. Band strategische und operative Schlüsse gezogen werden 20, Frankfurt 2016. können. Die Etablierung dieser angewandten For- Kelling, George/Bratton, William: Declining Crime Rates: Insiders' Views of the New York City Story. In: Journal Of Criminal Law & schung von der Polizei für die Polizei ist denn auch Criminology, 88 (4), 1998, S. 1217–1232. das langfristige Ziel, das es mittels der Brücke zwi- Kersten, Joachim: «Polizeiwissenschaft». Eine programmatische schen Wissenschaft und Praxis zu erreichen gilt.17 Standortbestimmung. In: SIAK-Journal – Zeitschrift für Polizeiwis- senschaft und polizeiliche Praxis, 1, 2012, S. 4–18. Lorei, Clemens/Gross, Hermann (Hrsg.): Polizei & Wissenschaft. Verwendete Literatur Themenheft Polizei & Forschung, Ausgabe 3, 2012. Berthel, Ralph: Think Tank Polizei (Teil I), Statement für ein innova- Manzoni, Patrik/Baier, Dirk: Evaluation des Pilotprojekts zum Einsatz tives Polizeiinstrument. In: Die Polizei, Heft 5, 2015, S. 125–130. von «Bodycams» bei der Stadtpolizei Zürich und der Transportpolizei, Berthel, Ralph: Think Tank Polizei (Teil II), Statement für ein in- Institut für Delinquenz und Kriminalprävention, ZHAW, März 2018. novatives Polizeiinstrument. In: Die Polizei, Heft 6, 2015, S. 159–165. Neidhardt, Klaus: Polizeiwissenschaft. In: Lange, Hans-Jürgen (Hrsg.): Wörterbuch zur Inneren Sicherheit, VS Verlag für Sozialwis- 17 Jarchow, Esther: Forschung als anerkannte Ressource der Polizei. senschaften, 2006, S. 243–247. In: Frevel, Bernhard/Gross, Hermann (Hrsg.): Empirische Polizei- Regierungsrat des Kantons Basel Stadt: Kriminalitätsbekämp- forschung XIX: Bologna und die Folgen für die Polizeiausbildung. fung einschliesslich Strafverfolgung Festlegung der Schwerpunkte Band 20, Frankfurt 2016. 2019–2021, Regierungsratsbeschluss vom 30. April 2019, S. 2–10. Résumé Jeter des ponts entre science et pratique holistiques et des méthodes innovantes. À côté de Le travail de la police est devenu à bon nombre cela, les scientifiques du monde entier se posent le d’égards bien plus complexe. Aujourd’hui plus que même genre de questions dans leurs études sur la jamais, la mission des forces de l’ordre consiste à ré- police et ses missions. Comment mieux protéger les pondre à des exigences contradictoires, entre chan- policières et policiers face aux agressions ? Quels gements sociétaux, technologiques et garantie per- sont les axes permettant d’endiguer la criminalité manente de sécurité publique. Il y a longtemps que dans l’espace public ? Et où placer le curseur entre les défis stratégiques et opérationnels au quotidien répression et prévention ? Le travail d’un comité outrepassent le domaine de compétence de chaque d’expert·e·s institué en 2018 auprès de la Police can- individu. Les organes dirigeants des polices sont tonale de Bâle-Ville a permis de bâtir ces ponts entre ainsi régulièrement amenés à adopter des approches constats scientifiques et réalités pratiques. Riassunto Costruire un ponte tra scienza e pratica novativi. Allo stesso tempo, anche il mondo scienti- Il lavoro di polizia è diventato più complesso sotto fico si pone domande simili sulla polizia e sui relativi molti punti di vista: oggi più che mai, ci si muove compiti: come proteggere meglio gli agenti di polizia in equilibrio tra il costante cambiamento sociale e da possibili attacchi? Quali concetti si possono appli- tecnologico, da una parte, e la necessità di garantire care per limitare la criminalità negli spazi pubblici? E continuamente la sicurezza pubblica, dall’altra. Le qual è l’equilibrio giusto tra repressione e prevenzio- sfide strategiche e operative giornaliere oltrepassano ne? La Polizia cantonale di Basilea-Città ha fondato ormai la sfera di competenza dei singoli individui. nel 2018 un gruppo di esperti che, convertendo sco- Gli organi dirigenti delle polizie fanno quindi rego- perte scientifiche in concetti applicabili nella pratica, larmente ricorso a soluzioni e concetti globali e in- sta costruendo un ponte tra questi due ambiti. format magazine no 10 81
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