Die Ethik hinter kulturellem Erbe - unipub

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Die Ethik hinter kulturellem Erbe - unipub
Gerhild Mogel, BA

          Die Ethik hinter kulturellem Erbe

                             Masterarbeit

  zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts der
Studienrichtung Global Studies an der Karl-Franzens-Universität Graz

Betreuer: Univ.-Prof. Mag. Dr. theol. Leopold Neuhold
Institut: Institut für Ethik und Gesellschaftslehre

                                                      Graz, Mai 2020
Die Ethik hinter kulturellem Erbe - unipub
Inhaltsverzeichnis

   1. Einleitung                                                        5
      1.1. Hypothese                                                    6
      1.2. Forschungsfragen                                             7
      1.3. Methode                                                      9
          1.3.1. Das qualitative Interview                              9
          1.3.2. Die Diskursanalyse                                     11
   2. Ethik in Bezug auf kulturelles Erbe                               12
      2.1. Was ist Ethik?                                               12
      2.2. Ethische Aspekte hinter kulturellem Erbe                     15
          2.2.1. Was ist Kulturerbe?                                    18
             2.2.1.1. Was ist Kultur?                                   18
             2.2.1.2. Was ist kulturelles Erbe?                         22
      2.3. Die Bedeutung des kulturellen Erbes                          25
   3. Die UNESCO                                                        28
      3.1. Allgemeines über die UNESCO                                  28
      3.2. Die Organe der UNESCO                                        31
          3.2.1. Die Generalkonferenz                                   31
          3.2.2. Der Exekutivrat                                        32
          3.2.3. Das Sekretariat                                        33
      3.3. Die Österreichische UNESCO-Kommission                        34
          3.3.1. Allgemeines über die ÖUK                               34
          3.3.2. Arbeitsweise der ÖUK                                   35
          3.3.3. Die Fachbereiche für Kultur                            36
             3.3.3.1.Fachbereich Vielfalt kultureller Ausdrucksformen   36
             3.3.3.2.Fachbereich Immaterielles Kulturerbe               37
             3.3.3.3.Fachbereich Welterbe und Kulturgüterschutz         38
      3.4. Ethische Richtlinien der UNESCO                              39
          3.4.1. Die Ethikprogramme der UNESCO                          40
                     3.4.1.1. UNESCO-Bioethik Programm                  41
                     3.4.1.2. Globale Ethikwarte                        42
                     3.4.1.3. Das Ethik Bildungsprogramm                42

                                                                             2
3.4.1.4. Weltkommission für Ethik in Wissenschaft und
                               Technologie                                          42
4. Die ethischen Aspekte hinter den UNESCO-Konventionen                             43
      4.1. Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten           43
             4.1.1. Die Ethik hinter der Konvention                                 45
      4.2. Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt             46
             4.2.1. Die Ethik hinter dem Übereinkommen                              48
      4.3. Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes                50
             4.3.1. Die Ethik hinter dem Übereinkommen                              52
      4.4. Die Konventionen im Vergleich                                            53
5. Die Listen des UNESCO Kulturerbes                                                55
      5.1. Die Listen des immateriellen Kulturerbes                                 55
             5.1.1. Die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der
             Menschheit                                                             56
                    5.1.1.1. Das Aufnahmeverfahren                                  56
                    5.1.1.2. Das Nominierungsdokument – ethische Aspekte            58
             5.1.2. Verzeichnis guter Praxisbeispiele                               60
             5.1.3. Liste des dringend erhaltungsbedürftigen immateriellen
             Kulturerbes                                                            61
      5.2. Die Welterbeliste                                                        61
             5.2.1. Das Aufnahmeverfahren                                           63
      5.3. Ausgewählte Elemente                                                     64
             5.3.1. Die Kulturlandschaft Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut          64
                    5.3.1.1. Die Kulturlandschaft Hallsatt-Dachstein/Salzkammergut als
                               Welterbestätte                                       65
                    5.3.1.2. Die ethischen Aspekte hinter der Welterbestätte        66
             5.3.2. Die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal                            68
                    5.3.2.1. Die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal als Welterbestätte 68
                    5.3.2.2. Die ethischen Aspekte hinter der Welterbestätte        69
             5.3.3. Die Falknerei                                                   70
                    5.3.3.1. Die Falknerei auf der Repräsentativen Liste des immateriellen
                    Kulturerbes der Menschheit                                      71
                    5.3.3.2. Die ethischen Aspekte hinter dem Kulturerbe            71
             5.3.4. Der Karneval von Aalst                                          72

                                                                                          3
5.3.4.1. Der Aalster Karneval auf der Repräsentativen Liste des
                        immateriellen Kulturerbes der Menschheit                  72
                        5.3.4.2. Die ethischen Aspekte hinter dem Kulturerbe      73
6. Conclusio                                                                      75
7. Literaturverzeichnis                                                           80
       7.1. Quellen                                                               80
       7.2. Internetverzeichnis                                                   80
       7.3. Literatur                                                             83
       7.4. Abkürzungsverzeichnis                                                 86
8. Anhang                                                                         87
       8.1. Interview mit der Österreichischen UNESCO-Kommission                  87
       8.2. Interview mit der Volkskultur Steiermark GmbH                         93
       8.3. Ethik und immaterielles Kulturerbe                                    98

                                                                                       4
1. Einleitung

Diese Masterarbeit behandelt die Ethik hinter kulturellem Erbe. Während meines
dreimonatigen Volontariats bei der Österreichischen UNESCO-Kommission im Winter 2018
erhielt ich die Chance, mich intensiv mit allen Formen des Kulturerbes zu beschäftigen. Ich
selbst durfte Antragsformulare zur Aufnahme in die nationale sowie die internationale Liste
des immateriellen Kulturerbes durchsehen und erlangte somit einen Blick in die Vielfalt des
Begriffs Kulturerbe. Nachdem mir die Frage nach ethischem Handeln als immer wichtiger
erscheint, versuche ich nun diese beiden Faktoren zusammenzubringen und gehe der Ethik
nach, die sich in Verbindung mit kulturellem Erbe ergeben kann.

Zwar gibt es einige Werke über Ethik und Kulturerbe, wie beispielsweise Otfried Höffes
Ethik. Eine Einführung, Arno Anzenbachers Einführung in die Ethik, die einen tieferen
Einblick in die Ethik ermöglichten, oder auch Markus Tauscheks Kulturerbe. Eine
Einführung, eine tatsächliche Forschung über die Ethik des Kulturerbes gibt es allerdings
noch nicht. Die UNESCO selbst hat aber in diesem Bereich schon viel getan und wird wohl
auch in den nächsten Jahren noch weiter Akzente setzen.

Auf Basis einer Literaturrecherche, einer Diskursanalyse und qualitativen Interviews
versuchte ich also Ethik und Kulturerbe unter einen Hut zu bekommen. Begonnen habe ich,
zum besseren Verständnis, mit einer Erklärung, was Ethik und Kulturerbe sind. In diesem
Kapitel habe ich erste Bemühungen unternommen, den Zusammenhang der beiden Begriffe
zu eruieren.

Unablässig mit Kulturerbe verbunden ist die UNESCO und auf nationaler Ebene die
Österreichische UNESCO-Kommission. Also finden auch sie Platz in dieser Arbeit. Im
nächsten Kapitel folgt demgemäß eine Beschreibung der UNESCO, ihrer Organe, der
Arbeitsweise und der Fachbereiche für Kultur. Nicht zu vergessen sind in diesem Sinne auch
die Ethikprogramme der UNESCO, die seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts immer
mehr ausgeweitet wurden.

Weiters beschäftige ich mich auch mit den, für das Kulturerbe relevanten, Konventionen der
UNESCO. Diese sind die Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten
aus dem Jahr 1954, das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt aus
dem Jahr 1972 und das Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes aus

                                                                                         5
dem Jahr 2003. Begonnen wird mit einer kurzen Beschreibung der jeweiligen Konvention,
gefolgt von einer Durchsicht des Rechtstextes und einer Recherche bezüglich ihre ethischen
Aspekte. Um dieses Kapitel zu schließen, unternehme ich noch einen Vergleich der drei
Konventionen in dem Sinne, ob sich mit den Jahren Veränderungen in der Wortwahl usw.
zeigen.

Im letzten Kapitel gehe ich noch einmal genauer auf die Listen des Kulturerbes ein. Diese
werden beschrieben und zusätzlich auf ihre ethischen Betrachtungsweisen überprüft. Um zu
zeigen, wie ein aufgenommenes Element ethisch überprüft werden kann, folgt eine Auswahl
von vier Elementen, welche in diesem Kapitel näher beleuchtet werden. Zwei von ihnen
befinden sich auf der Welterbeliste, die anderen zwei auf der Repräsentativen Liste des
immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Jeweils eines der beiden wurde bereits wieder von
der Liste gestrichen. Hierbei haben mich vor allem die Beweggründe der Aufnahme und der
Streichung interessiert und die Frage, ob diese möglicherweise ethischen Ursprung haben.

Ich schließe mit meiner Conclusio, in der ich zum Abschluss versuche meine
Forschungsergebnisse zusammenzufassen um meine Hypothese zu verifizieren.

Durch die Befragung von MitarbeiterInnen der Österreichischen UNESCO-Kommission und
der Geschäftsführerin der Volkskultur Steiermark GmbH erhielt ich einen zusätzlichen Blick
darauf, weshalb der Begriff des kulturellen Erbes so relevant und notwendig ist. Eine
Vielzahl an Gemeinschaften und Gruppen sind in diesen Prozess integriert, durch die
Institutionen und Organisationen werden diese sichtbar.

   1.1.    Hypothese

Die Haager Konvention, die erste von vielen, welche den Schutz des Kulturerbes zum Thema
hat, wurde am 14. Mai 1954 geschlossen. Mit diesem Dokument wurde ein Meilenstein
gelegt, welcher den achtlosen Umgang mit kulturellem Erbe und wichtigen historischen
Artefakten erstmals zu beenden versuchte. Es sollte ein Regelwerk geschaffen werden,
welches verhindert, dass Teile der Vergangenheit (in Form von materiellen, aber auch
immateriellen Elementen) und der Geschichte der Nationen ausgelöscht werden. Diese
Konvention regte die Staaten dazu an, über ihr Kulturerbe nachzudenken, zu eruieren, um
welche Objekte es sich hierbei handle, welchen Wert diese für die Gesellschaft darstellen und

                                                                                           6
in welchem Zusammenhang sie mit der Entwicklung des jeweiligen Landes stehen. Es wurde
begonnen, über die eigene Identität nachzudenken, über Einzelheiten der eigenen
Vergangenheit, um diese mit Hilfe dieser Objekte aufzuarbeiten und aus ihr zu lernen.1

Die Wirkung dieser Konvention zeigt sich in der Ratifikation der Vertragsstaaten, welche bis
dato 128 Mitglieder zählt.2 Dies lässt darauf schließen, dass ein Bewusstsein bzw. der Schutz
der Kulturgüter und des Kulturerbes bereits in den Köpfen der Menschen verankert sind.
Aber nicht nur ein Bewusstsein entwickelte sich, auch viele andere Aspekte fanden mit der
Zeit Eingang, wenn es um die Beschäftigung mit Kulturerbe geht. Diese Beobachtung, und
auch die Beobachtungen, welche ich während meines dreimonatigen Praktikums bei der
Österreichischen UNESCO-Kommission gesammelt habe, veranlassten mich, nachstehende
Hypothese aufzustellen.

Die ethischen Aspekte bei der Befassung mit kulturellem Erbe wurden in den letzten
Jahrzehnten immer mehr in den Vordergrund gerückt. Immer mehr Richtlinien zur korrekten
Anwendung und zu einem korrekten Umgang mit Kulturerbe und den in Zusammenhang
stehenden Menschen werden aufgestellt. Diese Aspekte stehen auch in Verbindung mit dem
Bewusstsein der Menschen und begünstigen bzw. bestärken dieses.

Das Wissen um die eigene Kultur wird immer wichtiger. Der Respekt und der Umgang vor
und mit dieser steigen. Nicht nur die Erstellung von nationalen und internationalen Listen
oder die Festschreibung der Konventionen selbst tragen zu einem stärkeren Bewusstsein für
das Kulturerbe bei, sondern auch eine Veränderung in den Köpfen der Menschen. Dies führt
zu einem achtvolleren Umgang mit Zeugen unserer Vergangenheit. Nicht nur der Umgang
mit Artefakten, auch der Umgang zwischen den Menschen hat sich verändert.

    1.2.    Forschungsfragen

Die ethischen Aspekte bzw. deren höhere Bedeutung in der Gegenwart versuche ich nun mit
mehreren Fragen zu beleuchten. Einerseits stelle ich Fragen in Bezug auf das Kulturerbe

1
 Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, 14. Mai 1954, Präambel, BGBl 1964/58.
2
 Österreichische UNESCO-Kommission, Kulturgüterschutz. Die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut
bei bewaffneten Konflikten. In: https://www.unesco.at/kultur/kulturgueterschutz/die-haager-konvention-1 ( am
08.05.2020)

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selbst. Welche ethischen Aspekte beinhaltet der Begriff Kulturerbe? Sollte der Umgang mit
einem Kulturerbe Regeln unterliegen, die möglicherweise ethischen Ursprung haben?

Auf der anderen Seite stelle ich Fragen an die Organisation der Vereinten Nationen für
Bildung, Wissenschaft und Kultur. Inwieweit handelt die UNESCO/die Österreichische
UNESCO-Kommission ethisch, welche Programme bietet diese zu korrektem, ethischen
Handeln an, an welche Regeln und Richtlinien müssen sich die Organisationen halten?
Welche ethischen Aspekte stehen hinter den nationalen und internationalen Listen für
kulturelles Erbe, von wem werden die Richtlinien und Kriterien zur Aufnahme auf eine
solche Liste geschaffen und geprüft? Inwieweit handeln AntragstellerInnen ethisch bzw.
müssen sie ethische Regeln einhalten? Welche Aspekte können zu einer Streichung eines
Elements von einer solchen Liste führen, sind ethische Bedenken ein Grund?

Hat sich im Zusammenhang mit kulturellem Erbe das Bewusstsein der Menschen verändert,
wie kann ein solches Bewusstsein gemessen werden? Welche Rolle spielt die Gesellschaft bei
der Befassung mit Kulturerbe, lassen sich auch hier ethische Aspekte herausfiltern?

Ziel der Arbeit ist es, die ethischen Aspekte hinter kulturellem Erbe aufzuzeigen, eine
mögliche Veränderung bei der Befassung mit kulturellem Erbe auf dem Hintergrund
gewandelter Werte darzulegen und auch auf Schwierigkeiten hinzuweisen, welche sich im
Bereich des Kulturerbes ergeben können.

Außerdem versuche ich zu skizzieren, dass sich die Gemeinschaften, Gruppen und
Einzelpersonen, die sich in diesem Bereich engagieren, immer mehr Regeln unterwerfen
müssen und auch die ethischen Ansprüche an die Elemente – also die Traditionen, Bräuche,
Rituale, Handwerkstechniken usw., die in eine der oben genannten Listen aufgenommen
werden können – selbst gestiegen sind.

Zusätzlich vermute ich eine Steigerung des Bewusstseins für kulturelles Erbe, was jedoch
schwer zu ermitteln ist. Ein Versuch ist es, durch Fragen innerhalb meiner Interviews mit den
ExpertInnen herauszufiltern, ob das Bewusstsein gestiegen ist (aus der Sicht der Befragten).

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1.3.     Methoden

Meine Forschung wird sich auf drei zusammenhängende Methoden stützen. Zum einen
versuche ich, durch eine systematische Literaturrecherche von Fachliteratur und deren
Analyse, einen ersten Überblick über das Thema zu geben. Besonders zur Begriffserklärung,
Definition und zur Erstellung eines Abrisses der benötigten Hintergrundinformationen
erweist sich diese Methode als zielführend. Außerdem werde ich ein leitfadenorientiertes
Interview mit drei ExpertInnen führen, die für verschiedene Bereiche, im Zusammenhang mit
Kulturerbe, sprechen. Diese werden im Anhang beigefügt und fließen in die Arbeit mit ein.
Zum anderen wird im letzten Schritt eine Diskursanalyse durchgeführt. Mit der Kombination
der behandelnden Konventionen/Übereinkommen und der Interviews versuche ich meine
Hypothese zu bekräftigen und zu stützen.

    1.3.1. Das qualitative Interview

Das ethnographische Interview, welches ich als Methode gewählt habe, ist grundsätzlich
„eine besondere Form der menschlichen Kommunikation“3. Es soll ein Gesprächscharakter
hergestellt werden, bei dem jedoch kein gleichberechtigter Dialog stattfindet. Eine Person
soll von der anderen Person möglichst viel erfahren. Während des Interviews wird darauf
geachtet, dass eine vertraute Atmosphäre hergestellt wird. Diese ist jedoch nicht von Dauer,
denn die Beziehung zwischen den InterviewpartnerInnen und auch die Intensität hält nur
während des Interviews an. Ein weiteres Merkmal des qualitativen Interviews ist die häufig
auftretende ungleiche Machtaufteilung. Diese kann dadurch entstehen, dass der Forscher/die
Forscherin aus einer unterschiedlichen politischen oder wirtschaftlichen Gesellschaft stammt
als der/die zu Interviewende oder auch, wenn sich der/die Interviewte in einer hierarchischen
Position befindet, die der des Forschers/der Forscherin übergeordnet ist.4

Es wird von einem offenen Interview gesprochen. Es bietet also die Chance auf
Informationen, nach denen nicht gefragt wurde und die hinter dem eigenen Horizont liegen.

3
  Brigitta Schmidt-Lauber, Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Silke Göttsch,
Albrecht Lehmann (Hgg.), Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen
Ethnologie. Berlin 2007, S. 174.
4
  Judith Schlehe, Formen qualitativer ethnographischer Interviews. In: Bettina Beer (Hg.), Methoden
ethnologischer Feldforschung. Berlin 22008, S. 120.

                                                                                                             9
Somit sollen sich Themen und Fragen innerhalb des Gesprächs entwickeln und auch
weiterentwickeln.5

Was bedeutet es aber nun, ein offenes Interview zu führen? Der/die Interviewende muss sich
darauf einlassen, innerhalb des Interviews nicht immer nur zu führen, sondern auch die
Angebote des Gegenübers, dessen Dynamik und dessen Interaktion aufgreifen zu können.
Auch der Forscher/die Forscherin muss etwas über sich preisgeben, um eine Offenheit und
Vertrautheit herzustellen. Diese Gegenseitigkeit ist jedoch, wie oben schon erwähnt, nicht
ausgewogen, wichtig ist es daher gleich zu Beginn klarzustellen, welche Verhältnisse und
Absichten im Hintergrund stehen.

Hier lässt sich ein ethischer Aspekt des qualitativen Interviews erkennen. Es ist bekannt, dass
es die Interviewten schätzen, wenn man ihnen eine gewisse Kompetenz, wissenschaftliche
Bedeutsamkeit zuspricht, ihnen gegenüber Interesse ausdrückt und sie ernst nimmt. Es
handelt sich also um einen zwischenmenschlichen Respekt, der in einer solchen
Interviewsituation an den Tag gelegt werden soll. Daher sollte man gleich zu Beginn des
Interviews sagen, wer man ist, welches Ziel die Forschung hat, wie das Interview ablaufen
wird, was man sich vom Interviewpartner/von der Interviewpartnerin bzw. vom Interview
erwartet und wie die Daten aus diesem erhoben werden.6

Die Form des Leitfadeninterviews, welchem ich mich bediene, zählt zu den halbstrukturierten
Interviews. Vorab wird ein Leitfaden erstellt, der dem/der Interviewendem/n während des
Gesprächs behilflich sein soll. Einerseits soll es einem Stocken der interviewenden Person
vorbeugen, andererseits kann es den/der Interviewten von der eigenen Kompetenz innerhalb
des Themenbereichs überzeugen. Der Leitfaden soll sämtliche Perspektiven des Themas bzw.
des Gesprächs abstecken, welche im Interview angesprochen werden müssen, sowie konkrete
Fragen enthalten. Wichtig ist jedoch, dass der Leitfaden keinesfalls stur abgearbeitet werden
sollte. Der/die Interviewer/Interviewerin sollte gegebenenfalls auf die interviewte Person
eingehen und auch andere Aspekte aufnehmen können. Je nach Situation sollten also die
Fragen ausgeweitet werden können. Auch eine vertiefende Nachfrage kann getätigt werden.7

5
  Schlehe, Interviews, 22008, S. 120-121.
6
  Ebd., S. 122.
7
  Ebd., S. 126-127.

                                                                                            10
Von Vorteil ist jedoch die stärkere Strukturierung, die ein leitfadenorientiertes Interview mit
sich bringt, was eine Vergleichbarkeit mit anderen Interviews betrifft.8

Vertiefend ist noch anzumerken, dass es sich bei meinen Interviews jeweils um sogenannte
ExpertInneninterviews handelt. Hierfür werden Interviews mit Personen durchgeführt, die als
besonders geeignet in einem bestimmten Bereich gelten, um beispielsweise bestimmte
Handhabungen oder Arbeitsabläufe zu erklären.9

Nach Möglichkeit sollte von jedem Interview eine Aufnahme gemacht werden (mit
Aufnahmegerät, Handy und dergleichen), um eine bessere Reflexion über das Gespräch zu
ermöglichen. Außerdem stellt eine solche Aufnahme die Grundlage der Transkription dar.
Natürlich muss zuvor das Einverständnis der interviewten Person eingeholt und erklärt
werden, wofür man diese Aufnahme braucht. Neben der digitalen Form des Interviews sollte
unbedingt ein Gedächtnisprotokoll angefertigt werden. In diesem wird zusätzlich die
Interviewsituation beschrieben, und es dient dazu, das Gesagte zu notieren, bevor die
Aufnahme startet oder sie beendet wurde. 10

Eine tatsächliche, einheitliche Strukturierung und Terminologie in Bezug auf das qualitative
Interview in dieser Form gibt es jedoch nicht. Die Art der Fragestellung entscheidet über die
Art der Methode.11

    1.3.2. Die Diskursanalyse

Bei der Inhalts- sowie bei der Diskursanalyse handelt es sich um eine Erkenntnispraxis, die
ein Verhältnis zur Wirklichkeit, in der geforscht wird, begründen will.12 Eine Diskursanalyse,
so wie ich sie durchführe, zielt darauf ab, auf Grundlage von ausgewähltem Material
„empirisch gesättigte Erkenntnisse“13 zu gewinnen. Die Diskursanalyse an sich ist keine

8
  Schmidt-Lauber, Die Kunst des Reden-Lassens, 2007, S. 177.
9
  Schlehe, Interviews, 22008, S. 128.
10
   Ebd., S. 135.
11
   Schmidt-Lauber, Die Kunst des Reden-Lassens, 2007, S. 174.
12
   Juliette Wedl, Eva Herschinger, Ludwig Gasteiger, Diskursforschung oder Inhaltsanalyse? Ähnlichkeiten,
Differenzen und In-/Kompatibilitäten. In: Johannes Angemüller, Martin Nonhoff (Hgg.), Diskursforschung. Ein
interdisziplinäres Handbuch. Bielefeld 2014, S. 539.
13
   Johannes Angermüller, Diskursforschung als Theorie und Analyse. Umrisse eines interdisziplinären und
internationalen Feldes. In: Johannes Angemüller, Martin Nonhoff (Hgg.), Diskursforschung. Ein
interdisziplinäres Handbuch. Bielefeld 2014, S. 24.

                                                                                                         11
Methode, sondern greift auf ein Feld von Methoden zurück. Sie kann sich qualitativer sowie
quantitativer Ansätze bedienen und diese kombinieren. Eine quantitative Forschung anhand
großer Textsammlungen ,um Hypothesen zu generieren, kann also mit qualitativen Methoden
(wie z.B. dem leitfadenorientierten Interview) überprüft und präzisiert werden.14

Neben der Diskursanalyse bediene ich mich zusätzlich der Kulturanalyse, die ich als Teil der
Diskursanalyse sehe bzw. als weiterführende und spezifische Form dieser. Die Kulturanalyse
an sich geht von einem Denken in Relationen aus, das heißt, dass man die Bedeutung
kultureller Phänomene nur dann entschlüsseln kann, wenn man sie eingebunden in ein
Beziehungsgeflecht betrachtet. Man könne das Eigene erst dann erkennen, wenn man sich das
Andere vor Augen hält. In der Kulturanalyse und folglich auch in der Diskursanalyse wird
also nach dem Wie gefragt und nicht nach dem Was.15 Im Brennpunkt der Kulturanalyse
stehen kulturelle Gegebenheiten, innerhalb derer soziale, biographische und kulturelle
Bestandteile auf eine „zeitspezifische Weise zusammen treffen“16. Diese Bestandteile sollen
sichtbar gemacht werden.17 Es ist durchaus möglich, auf ein und dasselbe Thema zu blicken,
das analysiert werden soll. Handelt es sich jedoch um ein Thema, das in der Gegenwart sowie
in der Vergangenheit untersucht wurde/wird, werden sich verschiedene Arten von Diskursen
und Analysen ergeben. Daher ist die zeitliche Komponente so wichtig.18

     2. Ethik in Bezug auf kulturelles Erbe

     2.1.    Was ist die Ethik?

Gegenstand der Ethik ist das moralische Handeln und Urteilen, etwas, was also jeden und
jede betrifft. Konflikte sollen nicht mit Hilfe von Gewalt ausgetragen werden, sondern
zwischen den konkurrierenden Verständnissen mit Vernunft. Das eigentliche Ziel der Ethik
ist es, gut begründete moralische Entscheidungen als das einsichtig zu machen, was jeder
selbst zu erbringen hat und sich von niemandem abnehmen lassen darf.19

14
   Angermüller, Diskursforschung, 2014, S. 24-25.
15
   Rolf Lindner, Vom Wesen der Kulturanalyse. Gottfried Korff u.a. (Hgg.), Zeitschrift für Volkskunde. 99.
Jahrgang. Münster/New York/ München/Berlin 2003, S. 177-178.
16
   Ebd., S. 184.
17
   Ebd.
18
   Michel Foucault, Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main 1981, S. 56.
19
   Otfried Höffe, Ethik. Eine Einführung. München 2013, S. 7-8.

                                                                                                             12
Die Ethik ist eine Disziplin der Philosophie und versteht sich als „Wissenschaft vom
moralischen Handeln”20. Sie beschäftigt sich mit den Themen Moralität und menschlichen
Handlungen und versucht diese insofern nach der Frage hin zu untersuchen, inwieweit eine
Handlung als moralisch gelten kann. Sie untersucht also die Qualität der Moralität und wann
jene Handlung als eine moralische und sittlich gute angesehen werden kann. Ethik ist
keinesfalls ein rein akademisches Fach, jeder Mensch hat sich in seinem Leben schon mit
moralischen Fragen auseinandergesetzt, z.B.: Darf sich ein Politiker/eine Politikerin in
bestimmten Fällen über Recht hinwegsetzen? Wichtig ist zu begreifen, dass es ohne
moralische Fragen, Konflikte, Überzeugungen etc. keine Ethik gibt. 21

Nun, was bedeutet moralisch? Hierzu helfen uns die sogenannten moralischen Wörter, um
eine solche Moral ausdrücken zu können, beispielsweise gut - böse, selbstlos - egoistisch
oder gerecht - ungerecht. Innerhalb der Kommunikation der Menschen handelt es sich hierbei
um ein „Vorverständnis des Moralischen”,22 welches wir auch bei den Mitmenschen
voraussetzen.23

Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Qualität der Handlung an der Motivation des
Willens des Handelnden gemessen wird. Eine Handlung wird also als moralisch gut oder
böse angesehen, wenn der Wille, dem sie entspringt, aus der Pflicht heraus (gut) und
andererseits aus der pflichtwidrigen Neigung (böse) motiviert ist. „Die moralische Qualität
der Handlung besteht also letztlich in der Qualität der Gesinnung des Handlungswillens.”24
Ich handle also moralisch gut, wenn ich bewusst und beabsichtigt aus Pflicht heraus handle,
Böse, wenn ich bewusst und beabsichtigt pflichtwidrig handle.25

Auch der Begriff bzw. das Wort Ethik erklärt bereits viel zum Forschungsfach. Schon sehr
früh befassten sich Gelehrte mit dem Wesen und dem Begriff der Ethik. So unterschied
Aristoteles beispielsweise bereits zwischen den Disziplinen der theoretischen Philosophie
(Logik, Physik, Mathematik, Metaphysik) und der praktischen Philosophie. In diese gliederte

20
   Annemarie Pieper, Einführung in die Ethik. Tübingen ²2007, S.17.
21
   Ebd., S. 17
22
   Arno Anzenbacher, Einführung in die Ethik. Düsseldorf 11992, S.11.
23
   Ebd., S.11.
24
   Ebd., S. 72.
25
   Ebd., S.72.

                                                                                        13
er die Ethik, die Ökonomie und die Politik ein. Die praktische Philosophie beschäftigte sich
größtenteils mit menschlichen Handlungen und ihren Ergebnissen.26

Laut Aristoteles ist der Mensch ein auf Gemeinschaft angelegtes Lebewesen, das eines
institutionellen Rahmens bedarf. Dieser Rahmen beruht auf Traditionen und wird vermittelt,
damit der Mensch sich selbst verwirklichen kann. Er meint außerdem, Ethik untersuche das
höchste Gut des Menschen, nämlich das Glück, nach dem er strebt. Dieses Glück erkennt
Aristoteles in der Tugend, welche aus der Mitte von Mangel und Übermaß besteht.27

Ursprünglich leitet sich der Name der Disziplin, welcher seit Aristoteles genutzt wird, vom
griechischen Wort ethos ab und ist in zwei Varianten in Gebrauch. Einerseits wird es mit
Gewohnheit, Sitte und Brauch übersetzt/verwendet. Ein Mensch handelt ethisch, insofern er
die Normen des allgemein anerkannten Moralkodex befolgt. Wenn man jedoch den
überlieferten Handlungsregeln und Wertmaßstäben nicht fraglos folgt, sondern es sich zur
Gewohnheit macht, aus Einsicht und Überlegung das erforderlich Gute zu tun, handelt man
ebenfalls ethisch. Andererseits wird es, in Anbetracht des Begriffs „ethisch handeln”, im
Sinne von Charakter verwendet, welcher sich in der Grundhaltung der Tugend verfestigt. 28

Das lateinische Wort mos, von welchem sich das deutsche Wort Moral herleitet, wurde
ursprünglich mit Wille übersetzt bzw. wurde ihm diese Bedeutung zugesprochen. Es meint in
diesem Sinne vorrangig den den Menschen auferlegten Willen, also Vorschriften und
Gesetze. Später wurden die herkömmlichen Sitten und Gebräuche (mores) damit in
Verbindung gebracht. Innerhalb dieser Bedeutungsentwicklung meint mos also „auch den
persönlichen Lebenswandel, die Gesinnung, den Charakter und die Gesittung des
einzelnen.”29

Einerseits muss unterschieden werden zwischen den Wörtern Moral (als gesellschaftliches
Phänomen) und Moralität (als individuelles). Die deutsche Sprache schafft es mit den beiden
Wörtern Sitte und Sittlichkeit, die Bedeutungen besser zu unterscheiden.

26
   Pieper, Ethik, 22007, S. 24.
27
   Peter Welsen, Ethik. Freiburg/München 1999, S. 19.
28
   Pieper, Ethik, 22007, S. 24-25.
29
   Anzenbacher, Ethik, 11992, S. 16.

                                                                                            14
Die beiden Begriffe der Ethik und der Moral sind jedoch nicht gleichzusetzen. Die Moral und
die Moralität bilden nämlich den Gegenstand der Ethik. Darunter ist also die theoretische
Beschäftigung bzw. die Reflexion über die Normen des menschlichen Handelns zu verstehen
(„Theorie der Moral bzw. Moralität”).30

Aufgrund der verschiedenen Bedeutungen des Wortes Ethik und ethisch und Moral und
moralisch ist man übereingekommen, dass Ethik vordergründig nur für die philosophische
Wissenschaft, welche das moralische Handeln des Menschen untersucht und erforscht,
verwendet wird.31 Der Ethiker/ die Ethikerin hat als Gegenstand seiner/ihrer Wissenschaft die
Ethik. Während er/sie Ethik betreibt, bedeutet das nun aber auch nicht, dass er/sie
unmoralisch handelt, sondern aus einer gewissen Distanz über das Moralische reflektiert und
aus einer theoretischen Perspektive kritisiert.32

Unterschieden werden kann zwischen der deskriptiven und der normativen Ethik sowie der
Metaethik. Die deskriptive Ethik versucht lediglich Normen zu beschreiben und zu erklären,
ohne normative Aussagen darüber zu treffen. Die Untersuchung der Genese und Funktion
dieser Normen reicht ihr. Im Gegensatz dazu versucht die normative Ethik normative
Aussagen zu treffen und auch zu begründen. Diese versucht zusätzlich zu erforschen, welche
moralischen Handlungen angemessen sind bzw. auch welche Handlungsziele der Moral
entsprechen. In ihrem Vordergrund steht der Versuch zu beschreiben, wie zu handeln sei,
nicht die Analyse, nach welchen Regeln die Menschen leben. Unter Metaethik wiederum
versteht man die Reflexion über diese moralischen Normen. Ihre Gegenstände sind
Argumente, Methoden und Sprache.33

     2.2.    Ethische Aspekte von kulturellem Erbe

Nach einem kurzen Versuch zu beschreiben bzw. zu begreifen, was Ethik ist und was sie tut
bzw. untersucht, möchte ich nun weitergehen zu den ethischen Aspekten, die sich hinter
Kulturerbe verbergen.

30
   Welsen, Ethik, 1999, S. 10-11.
31
   Pieper, Ethik, 22007, S. 27.
32
   Ebd., S. 29.
33
   Welsen, Ethik, 1999, S. 11-12.

                                                                                          15
Beschäftigt man sich mit kulturellem Erbe, so wird sehr schnell klar, dass es immer in
Verbindungen mit Einzelpersonen, Gruppen, Gemeinschaften oder Institutionen auftaucht
(materiell und immateriell). Es betrifft bestimmte Handlungen, Tätigkeiten, Ereignisse oder
Bauwerke, welche von Menschenhand erbaut oder geschaffen wurden, welche im Hauptfokus
des Kulturerbes stehen. Bereits das Wort Tradition, das in direktem Zusammenhang mit
Kulturerbe gesehen werden kann, beschreibt „etwas, was in Hinblick auf Verhaltensweisen,
Ideen, Kultur o. Ä. in der Geschichte von Generation zu Generation [innerhalb einer
bestimmten Gruppe] entwickelt und weitergegeben wurde [und weiterhin Bestand hat].”34 Es
ist also davon auszugehen, dass auch Kulturerbe auf seine ethischen Aspekte hin untersucht
werden kann, da es bestimmte Handlungen betrifft.

Es muss bei einem Kulturerbe darauf geachtet werden, dass die ausgeführten Handlungen im
moralischen Rahmen passieren. So muss beispielsweise bei der Befassung mit einem Element
des immateriellen Kulturerbes darauf geachtet werden, dass diese ausgeführten Handlungen
niemanden ausschließen, die TeilnehmerInnen respektvoll behandelt werden, aber auch, dass
die Art und Weise, wie dieses weitergegeben wird, moralischen Ansprüchen folgt.

Auch die UNESCO selbst beschäftigt sich mit ethischen Fragen und Aspekten des
Kulturerbes. Einen Großteil der ethischen Fragen, mit welchen sich lebendige Kultur
auseinandersetzt, betrifft Situationen, in welchen Außenstehende während ihrer Forschung
bzw. Datenerhebung mit Gemeinschaften in Berührung kommen und sich mit
problematischen Aspekten konfrontiert sehen (z.B. Respektlosigkeit). Ethische Belange
jedoch betreffen nicht nur Außenstehende, sondern alle, die zum Erhalt eines immateriellen,
aber auch materiellen, Kulturerbes beitragen. Neben der 2003er Konvention zur Erhaltung
des immateriellen Kulturerbes sollen zwölf ethische Prinzipien als zusätzliches Instrument
dienen, welches bei der Durchsetzung des Gesetzgebungsrahmens auf regionaler und
sektoraler Ebene helfen soll. Es wurden zwölf Prinzipien herausgearbeitet in denen es
vordergründig um einen respektvollen Umgang zwischen den betroffenen Menschen
(AntragstellerInnen, Gemeinschaft usw.) geht, um das Hervorheben der Wichtigkeit, die sich
hinter dem immateriellen Kulturerbe verbirgt und um eine problemlose Beschäftigung mit
diesem Kulturerbe zu gewährleisten. (siehe Anhang 8.3.)

34
     Duden, Art. Tradition. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Tradition (am 08.05.2020)

                                                                                                 16
Diese zwölf Prinzipien wurden 2015 von den Vertragsstaaten anerkannt und waren von
ExpertInnen entwickelt worden, basierend auf den grundlegenden Prinzipien und Werten der
Konvention, also der vorrangigen Rolle der Gemeinschaften, Achtung gegenüber dem
immateriellen Kulturerbe und den Gemeinschaften, Respekt, transparenter Zusammenarbeit
und der Beteiligung von Gemeinschaften, Gruppen und Einzelpersonen.35

Die zwölf ethischen Prinzipien behandeln den Umgang mit kulturellem Erbe (in diesem Fall
mit immateriellem Kulturerbe) und den Umgang mit den Personen, die mit diesem in
Verbindung stehen. So befassen sich die ersten zwei Prinzipien mit den Gemeinschaften,
Gruppen oder ggf. Einzelpersonen, welche die vorrangige Rolle bei der Erhaltung ihres
eigenen immateriellen Kulturerbes einnehmen sollen und das Recht der Gemeinschaften,
Gruppen oder ggf. Einzelpersonen, dieses Erbe auch erhalten zu dürfen. Dies soll von
Außenstehenden respektiert und anerkannt werden. Gegenseitiger Respekt und eine
transparente Zusammenarbeit zwischen den Staaten und den Gemeinschaften, Gruppen oder
ggf. Einzelpersonen sollen garantiert und Wertschätzung an den Tag gelegt werden.

Als weiteres Prinzip ist der Zugang für das Ausleben des immateriellen Kulturerbes genannt.
Dieser soll auch in bewaffneten Konfliktsituationen gegeben sein. Zusätzlich sollen
Gemeinschaften, Gruppen oder ggf. Einzelpersonen den Wert ihres immateriellen
Kulturerbes selbst bestimmen können. Dieser soll sich nicht an externen Werturteilen
orientieren.

TrägerInnen des Kulturerbes sollen vom Schutz des Erbes in geistiger und materieller Weise
profitieren. Der living heritage Anspruch müsse beachtet werden und auch die Auswirkungen
und Maßnahmen sollen gut durchdacht sein, um mögliche negative Konsequenzen zu
vermeiden. In diesem Sinne sollen die Gemeinschaften, Gruppen oder ggf. Einzelpersonen
eine relevante Rolle bei Bestimmungen der Bedrohungsfaktoren ihres immateriellen
Kulturerbes spielen.

Abschließend sollen kulturelle Vielfalt und Identität, die mit einem immateriellen Kulturerbe
einhergehen, respektiert werden und besonderes Augenmerk auf die Gleichberechtigung der
Geschlechter, die Einbeziehung der Jugend gelegt und die Achtung ethnischer Identitäten

35
     Mag. Gabriele Detschmann, Interview, 23.01.2020.

                                                                                          17
berücksichtigt werden. Der Erhalt des immateriellen Kulturerbes soll im Interesse der
Menschheit stehen und in internationaler Zusammenarbeit getätigt werden. Trotz allem sollen
jedoch die TrägerInnen niemals von ihrem eigenen Kulturerbe entfremdet werden.36

Anzumerken ist daher, dass ethische Aspekte auch, oder vor allem, bei der Befassung mit
Kulturerbe wichtig bzw. unumgänglich sind. Da es jederzeit um den Umgang zwischen den
Menschen mit bestimmten Elementen von Kulturerbe geht und es einen regen Austausch
innerhalb der Gesellschaft, der Politik und der Länder gibt, können ethische Aspekte vor
allem dahingehend geltend gemacht werden, dass ein gegenseitiger Respekt, die Normen, die
bei der Befassung mit Kulturerbe eingehalten werden sollen, das Gute hinter jeder Handlung
und das Aufrechterhalten der Ordnung die wichtigsten Faktoren darstellen.

     2.2.1. Was ist Kulturerbe?

„... der Mensch ist ein Wesen, in dessen Natur es liegt, Kultur auszubilden.”37

     2.2.1.1.   Was ist Kultur?

Laut Duden wird Kultur folgendermaßen definiert: „Kultur ist die Gesamtheit der geistigen,
künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher
Höherentwicklung; die Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem
bestimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen, charakteristischen
geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen.”38

Im Sinne dieser Definition von Kultur lassen sich eindeutige Merkmale von Kultur
feststellen. Durch die Bezeichnung Höherentwicklung wird darauf hingewiesen, dass der
Mensch dazu in der Lage ist, Kultur zu schaffen, die ihn in der Entwicklung seines
Menschseins weiter bringt. Wird von einer anthropologischen Perspektive auf den Menschen
geblickt, so lässt sich feststellen, dass dieser eine Reihe von Merkmalen aufweist. Eines der
wichtigsten und sichtbarsten ist das Zusammenleben des Menschen mit anderen Lebewesen

36
   Österreichische UNESCO-Kommission, Ethik und Immaterielles Kulturerbe. In:
https://www.unesco.at/fileadmin/Redaktion/Kultur/IKE/Publikationen/Ethik_und_Immaterielles_Kulturerbe_fin
al.pdf (am 08.05.2020)
37
   Welsen, Ethik, 1999, S. 9.
38
   Duden, Art. Kultur, In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Kultur (am 08.05.2020)

                                                                                                      18
seiner Art. Im Gegensatz zu Tieren, die sich ebenfalls in Gruppen zusammenschließen,
welche Instinkten folgen, die das Zusammenleben ermöglicht, folgt der Mensch bestimmten
Regeln, welche weniger selbst gegeben sind, sondern durch die Kultur zustande gekommen
sind und aus dieser heraus bestehen.

Die Kunst, Kultur entstehen zu lassen, hängt vor allem damit zusammen, dass der Mensch
fähig ist, die Sprache für sich zu nutzen, um auszudrücken, in welcher Lage er sich im
derzeitigen Moment befindet. Zusätzlich ermächtigt sie ihn, die Welt, in der er sich befindet,
zu deuten. Unter diesen sprachlichen Gestalten, mit welche diese Ermächtigungen arbeiten,
wird der Begriff der Weltanschauung zusammengefasst. Nun hat diese Weltanschauung
verschiedene         Funktionen      wie     z.B.   Informationsvermittlung,    Verhaltenssteuerung,
Handlungsnormierung oder aber auch gefühlsmäßige Auseinandersetzungen mit der Realität.
Begriffe der Handlungsnormierung und Verhaltenssteuerung, welche Aspekte menschlicher
Selbst- und Weltdeutungen sind, werden zum Zentrum dessen, was als Ethik bezeichnet wird.
Diese Selbst- und Weltdeutungen heben den Menschen somit vom Tier ab.39

Zusätzlich lässt sich bereits in groben Zügen erkennen, um welche Art von Kultur es sich
handelt. Die Rede ist von geistigen, künstlerischen und gestaltenden Leistungen. Natürlich ist
diese Bezeichnung sehr weit gegriffen und lässt verschiedene Interpretationen zu.

Wichtig erscheint mir auch der Begriff Gemeinschaft. Meiner Meinung nach ist dies einer der
bedeutendsten innerhalb dieser Definition. Er zeigt, dass Kultur nur dort entstehen kann, wo
mehrere        Menschen        miteinander    in    Interaktion   leben.   Kultur   ist   also   etwas
Gemeinschaftliches, aber auch etwas, was Gemeinschaft bildet. Der Begriff Gesamtheit lässt
darauf schließen, dass es Kultur in diesem Sinne, nicht in der Einzahl gibt. Es handelt sich
nicht lediglich um ein Artefakt, eine Tradition oder ein Kunstwerk, welches als Kultur
bezeichnet wird oder die Kultur eines Menschen ausmacht. Erst die Gesamtheit solcher
Elemente (geistige, künstlerische und gestaltende) bildet Kultur.

Auch in der Fortführung der Definition („die Gesamtheit der von einer bestimmten
Gemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen,

39
     Welsen, Ethik, 1999, S. 9-10.

                                                                                                    19
charakteristischen geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen”40) lassen sich
Charakteristika von Kultur erkennen. Sie wird nämlich von einem bestimmten Gebiet und
einer bestimmten Epoche geprägt, in der sie entsteht und in welcher Leistungen erbracht
werden/wurden. Es kann also davon ausgegangen werden, dass einerseits die Ausbildung von
Kultur und wie diese in Erscheinung tritt, geografisch unterschiedlich ist und andererseits
auch von Ereignissen bestimmter Epochen geprägt wird. Dies bringt mich nun auf einen
anderen Gedanken, nämlich denjenigen, dass nach dieser Definition durchaus davon
auszugehen ist, dass sich Kultur auch mit der Zeit weiterentwickeln kann. Entstanden
verschiedene Leistungen geistiger, charakteristischer und künstlerischer Art zwar in einer
bestimmten Epoche, welche die Gemeinschaft bzw. die Gesellschaft in dieser Zeit prägte, so
muss davon ausgegangen werden, dass dieser Prozess der Kulturentwicklung gewiss
abgeschlossen ist, in einer ähnlichen Form jedoch wieder durchlebt werden kann. Dadurch ist
Kultur etwas Lebendiges, etwas, was sich weiterentwickelt und auch weitergegeben wird
(beispielsweise von Generation zu Generation).

Das war nun der Versuch, den Begriff Kultur kurz zu beschreiben. Kulturerbe besteht jedoch
noch aus einem zweiten Begriff, dem des Erbes. Die Definition von Erbe lautet: „Vermögen,
das jemand bei seinem Tod hinterlässt und das in den Besitz einer gesetzlich dazu
berechtigten Person oder Institution übergeht; etwas auf die Gegenwart Überkommenes; nicht
materielles [geistiges, kulturelles] Vermächtnis.”41

Der Begriff Erbe kann sowohl im materiellen als auch im immateriellen Sinne verwendet
werden. Als Vermögen an sich können nun mehrere Dinge interpretiert werden. Es kann
davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um Geld, Dokumente, Gegenstände oder
Ähnliches handelt, welches einen (großen oder kleinen) Wert für den Besitzer/die Besitzerin
aufweist. Dieses Vermögen möchte dieser/diese dann weitergeben (an eine Person oder eine
Institution, welche rechtlich einen Anspruch darauf hat). Handelt es sich um materielle Dinge
und wird der Begriff Erbe verwendet, so kann das Erbe erst nach dem Tod eines Menschen
den Weg an den nächsten Begünstigten antreten (bei einer Weitergabe des Erbes zu
Lebzeiten spricht man von Schenkung42). Dies unterscheidet, meiner Meinung nach,

40
   Duden, Art. Kultur. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Kultur (am 08.05.2020)
41
   Duden, Art. Erbe. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Erbe_Nachlass_Ueberlieferung (am 08.05.2020)
42
   Wirtschaftskammer Steiermark, Erb- und Pflichtteilsrecht – anwendbar auf Todesfälle ab 1.1.2017. Erbrechts-
Änderungsgesetz 2015. In: https://www.wko.at/service/wirtschaftsrecht-gewerberecht/Erb-und-Pflichtteilsrecht-
NEU.html, (am 08.05.2020)

                                                                                                           20
maßgeblich die beiden Begriffe Erbe und Vermächtnis. Nachdem Erbe erst nach dem Tod
weiter gegeben wird, kann ein Vermächtnis jedoch bereits während Lebzeiten von einen auf
den anderen Menschen übergehen.

Wird nun versucht, die beiden Begriffe Kultur und Erbe miteinander zu verbinden, so ergibt
sich für mich das ein oder andere Problem. Erbe ist etwas, was einem/einer zusteht, was
jemandem rechtmäßig gehört. Ob man es schon in seiner frühen Kindheit oder in einem
hohen Alter bekommen hat, ist in diesem Zusammenhang nebensächlich. Mit dem Eintritt des
Todes und einem letzten Willen wird dieses Erbe nun an einen weiteren rechtmäßigen
Besitzer weitergegeben. Dieser muss rechtlich Anspruch darauf haben. Spricht man also von
Kulturerbe, muss davon ausgegangen werden, dass dieses jemandem gehört bzw. es jemand
besitzt. Kultur jedoch ist nichts, was jemand für sich beanspruchen kann bzw. besitzen kann.
Es sollte zumindest nicht so sein. Kultur eignet man sich an, lernt von ihr, erschafft sie usw.,
wenn man so will, ist Kultur etwas, was in jemandes Kopf geschieht, etwas wonach man
handelt. Aus diesem Handeln heraus entstehen materielle Objekte, die von dieser Kultur
zeugen und daraus entstanden sind. Den Begriff Erbe, im rechtlichen Sinn, sollte man in
diesem Zusammenhang also mit Vorsicht genießen. Passender wäre der Terminus
Vermächtnis. Zwar wird auch hier von einem Vermögensgegenstand gesprochen, welcher
durch einen letzten Willen weitergegeben wird,43 jedoch kann es im übertragenen Sinne auch
als Vermächtnis von Erlebtem, Ereignissen, Gedächtnis, Orientierung usw. gesehen werden.
Ein kulturelles Vermächtnis also beschreibt Leistungen künstlerischer, geistiger und
gestaltender Art, welche Ausdruck einer Gemeinschaft sind, aus einer gewissen Epoche und
in      einem      bestimmten      Gebiet     entstanden      sind    und     an     eine    nachfolgende
Gemeinschaft/Generation            weitergegeben        werden.      Ein     solcher     Versuch      einer
Begriffserklärung lässt jedoch weitere Fragen aufkommen, welche nur sehr schwer
beantwortet werden können. Es handelt sich um Begriffe, bei denen es schwer wird, diese
fassbar zu machen. Etwas Theoretisches und nicht Materielles kann ist häufig schwer zu
definieren und noch schwerer zu begreifen. Um dem entgegenzuwirken, nehme ich an, wurde
beschlossen den Begriff des Erbes zu verwenden.

Natürlich ist dies nur meine konstruierte Begriffserklärung des Begriffs Kulturerbe. Nachdem
sich jedoch, offensichtlich, mehrere Personen mit diesem Thema auseinandersetzen bzw.

43
     Duden, Art. Vermächtnis. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Vermaechtnis (am 08.05.2020)

                                                                                                        21
gesetzt haben, und Kulturerbe immer wichtiger innerhalb der Länder wurde, wurde eine
Definition erstellt – zuletzt von der UNESCO – um zu erklären, was kulturelles Erbe
beschreibt.

     2.2.1.2.   Was ist kulturelles Erbe?

In der heutigen – und auch der vergangenen – Zeit ist Kulturerbe überall sichtbar. Im
Allgemeinen wird unter Kulturerbe „das Wissen über dieses Erbe“44 verstanden. Denn erst
mit dem Wissen über etwas kann dieses auch sichtbar gemacht, es erkannt und
wahrgenommen und auch wertgeschätzt werden.45

Laut UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation) werden
als Kulturerbe Denkmäler, Ensembles oder Stätten bezeichnet „die aus geschichtlichen,
künstlerischen oder wissenschaftlichen Gründen von außergewöhnlichem universellem Wert
sind.”46 Es handelt sich hier beispielsweise um architektonische Werke, Inschriften,
Überreste vergangener historischer Zeit, welche für die Menschheit wichtige Monumente der
Geschichte und ihrer Identität darstellen. Nicht nur materielle, von Menschenhand gemachte
Objekte sind hier mit einzubeziehen, sondern auch naturgegebene Landschaften. Naturstätten
oder auch geologische und physiographische Erscheinungsformen werden als sogenanntes
Naturerbe bezeichnet. Bereits im Jahr 1954 erachtete es die UNESCO als wichtig, Objekte
mit einem solchen Wert, vor allem in Krisenzeiten, zu schützen, und sie schuf die Konvention
zum Schutz für Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (Haager Konvention). Mit ihr beginnt
die Erstellung vieler weiterer Konventionen und Übereinkommen, die sich mit Kulturerbe
beschäftigen.

Häufig geht mit der Bezeichnung Kulturerbe auch Authentizität und Identität einher. Vor
allem bei materiellem Erbe kann dies gut erkannt werden. Der Umgang mit dem Kulturerbe
spiegelt sich vor allem im Umgang mit der eigenen Geschichte wider. Ist diese aufgearbeitet
und erforscht, wird ein guter Umgang leichter sein, als wenn diese Voraussetzungen nicht
erfüllt sind. Es wird hiermit eine Wertschätzung und ein kulturelles Verständnis gezeigt.

44
   Markus Tauschek, Kulturerbe. Eine Einführung. Berlin 2013, S. 14.
45
   Ebd., S. 14-15.
46
   Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, 16. Nov. 1972, Art. 1, BGBl. 1993/ 29.

                                                                                                          22
Kulturerbe kann diesbezüglich auch für verschiedene Zwecke genutzt werden, ob politisch,
religiös, individuell, oder aber auch touristisch.47

Im Gegensatz zu materiellem Erbe wurde das immaterielle Erbe lange Zeit nicht beachtet, es
wurde zusehends vergessen. Im Jahr 2003 entschied sich die UNESCO, auch diese Art von
kulturellem Erbe innerhalb einer Übereinkunft zu schützen, da auch Handwerkstechniken,
Traditionen, Bräuche oder Wissen zum kulturellen Erbe einer Nation zählen. Grund für ein
Sichtbarmachen alter Traditionen und Bräuche soll hier eine Aufforderung zum Nicht-
Vergessen sein, eine Rückführung zum Ursprung und ein Kennenlernen der eigenen Kultur.
Es soll zusätzlich auch identitätsstiftend wirken.48

Was macht aber nun ein Gut zum Kulturerbe? Die UNESCO hat bereits versucht, unter
bestimmten Einflüssen der Länder eine Definition für ein Kulturerbe zu schaffen, was
natürlich sehr schwierig ist, weil jedes Land eigene Vorstellungen kulturellen Erbes hat. Auf
jeden Fall aber müsse es „außergewöhnlich, repräsentativ oder eben ganz besonders sein, es
müsse ein geradezu paradigmatisches Zeugnis ablegen für spezifische historische Epochen
oder einzigartige naturräumliche Gegebenheiten.“49 Der Wert des kulturellen Erbes muss
erkannt werden. Kulturwissenschaftliche Disziplinen gehen häufig von einer Konstruktion
kulturellen Erbes aus, weshalb sie auch nach dem historischen Kontext fragen und danach,
wie dieses Erbe darin entstanden ist.50

Doch bereits früher beschäftigte man sich mit Elementen, welche Ausdruck unserer
Geschichte sind, und versuchte diese zu schützen. Dies geht auf die schweren Zerstörungen
zurück, welche die Französische Revolution mit sich brachte, hierbei wurden auch
Denkmäler und kulturelle Artefakte zerstört. Erstmals kam die Überlegung auf, nationales
Erbe festzumachen. Dies passierte im Jahr 1790 und wurde von Édouard Pommier initiiert.51
Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts lag die Pflege der Denkmäler - vorwiegend Kunstwerke
- in öffentlicher Hand, erst ab 1975 wurde diese Aufgabe an die UNESCO als ausführendes
Organ weitergegeben (Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt,
1972). Der Begriff Kulturerbe tauchte erstmals offiziell 1985 auf, als dieser vom Europarat

47
   Tauschek, Kulturerbe, 2013, S. 18-20
48
   Ebd., S. 22-23.
49
   Ebd., S. 27
50
   Ebd.
51
   Österreichische Akademie der Wissenschaften, 5. Internationaler Kongress des Forschungsprogramms „Orte
des Gedächtnisses“. Kulturerbe. Repräsentation, Fabrikation, Vermarktung. In:
https://www.oeaw.ac.at/fileadmin/mediapool/archiv/ikonf/ik_2003.pdf (am 08.05.2020)

                                                                                                        23
im Kongress von Granada übernommen/verwendet wurde. Bezeichnet wurde damit eine
Form der Verbindung von Vergangenheit und Zukunft, wie die Vergangenheit in der
Gegenwart als auch die gesellschaftliche Wirkung von kollektivem Gedächtnis und Erinnern
gewertet wird. Diese zwei Begriffe des Erinnerns und des Gedächtnisses werden nun auch zu
Schlagwörtern des 20. Jahrhunderts, welche sowohl für wissenschaftliche Diskurse
Verwendung finden als auch in politischen und öffentlichen Auseinandersetzungen an
Wichtigkeit gewinnen.

Auch die Globalisierung spielt bei der Befassung mit kulturellem Erbe eine wichtige Rolle.
Durch die weltweite Vernetzung ist es uns möglich, zu allen Zeiten an jedem Ereignis an
verschiedenen Orten der Erde teilzunehmen. Häufig werden diese Ereignisse genutzt, um
neue und moderne Dinge zu erfahren, die historischen Artefakte bleiben hier häufig auf der
Strecke. Aufgrund dieser Vielzahl an fremden und neuen Einflüssen wird nun des Öfteren
versucht, den Weg zurück zu den Wurzeln wieder zu finden bzw. sich aus dem Großen und
Ganzen etwas Spezifisches herauszuholen. Es wird hierbei versucht eine kulturelle Identität
zu erzeugen bzw. zu stärken, indem Artefakte als Kulturerbe deklariert werden und diese
häufig sogar universellen Stellenwert zugeschrieben bekommen. Sie nehmen sodann die
Ebene eines Weltkulturerbes ein.

Mit dem Begriff Kulturerbe werden mehrere Termini in Verbindung gebracht.
Unveränderbarkeit, Dauerhaftigkeit, Kontingenz, aber auch Tradition und Wissen sind einige
davon. Diese benötigen Schutz. Schwierig jedoch ist die Diskussion darüber, wie etwas zu
Kulturerbe wird. Diesen Status erhält ein Element nämlich erst, nachdem es schon etliche
Jahre in Gebrauch war und sich als nützlich und kulturell bedeutsam erwiesen hat. Nun kann
jedoch kein Individuum für sich alleine beschließen, dass ein Element, welches es für
bedeutsam erachtet, sogleich als Kulturerbe deklariert wird. Dies bedarf einer Prüfung und
vor allem auch einer Vergemeinschaftung. Innerhalb der Vergabe des Kulturerbetitels gab es
in den letzten Jahrzehnten zusätzlich eine starke Veränderung. Dies zeigt auch, dass
Menschen nun anders mit diesem umgehen, und weist auch darauf hin, dass sich das
Befassen mit der Vergangenheit verändert hat.52

52
     Moritz Csáky, Monika Sommer, Kulturerbe als soziokulturelle Praxis. Innsbruck/Wien/Bozen 2005, S. 7-9.

                                                                                                              24
Kulturerbe ist also etwas ganz Besonderes für die Menschen. Es ist mit der Zeit entstanden,
hat sich weiterentwickelt und ist teilweise auch wieder verschwunden. Es handelt sich um
Prozesse, die zugelassen werden müssen. Immerhin war jedes Kulturerbe zu einer
bestimmten Zeit etwas Neues.53

     2.3.   Die Bedeutung des kulturellen Erbes

Welche Bedeutung hat nun aber kulturelles Erbe für uns Menschen? Wie wichtig ist es für
uns, und wie hoch könnte ein Bewusstsein für jenes Erbe sein? Kulturerbe kann aus mehreren
Blickwinkeln gesehen werden. Für den einen/die eine wird es zu einer Bürde, zu einer
Einschränkung der Freiheit, für den anderen/die andere jedoch wird es zu einem dynamischen
Prozess, der sich stets (weiter)entwickelt. Es ist jedem/jeder, selbst überlassen ob das Erbe
angenommen wird oder nicht. Auch im Kollektiv kann es angenommen werden oder nicht.
Viele Bräuche und Traditionen spielen im Lebens- und Jahreszyklus der jeweiligen Länder
eine große Rolle und zählen zu den wesentlichen Bestandteilen des kulturellen Erbes. Meist
sind diese Elemente nicht nur identitätsstiftender Natur und daher von großer Wichtigkeit für
die dort angesiedelten Menschen, ihre Wirkung lässt sich zusätzlich bis weit über die
Grenzen des Landes erkennen.54

Ein Erbe kann also unterschiedlich aufgefasst werden. Es kann als Festlegung gelten, etwas,
was von den Vorfahren übergeben wurde und was man in seinen Tätigkeiten beachten muss,
was einen auf eine Art und Weise abhängig und unfrei macht. Es kann aber auch als
Grundlegung gesehen werden, etwas, worauf man aufbauen kann, was sich entwickeln kann.
Um sich dieses Wissen, welches das kulturelle Erbe mit sich bringt, anzueignen und es
weiterzuentwickeln, darf man sich jedoch nicht auf dem Erbe ausruhen. Nur durch eigene
Initiative und bewusste Aneignung kann man etwas der Zeit entsprechend ausbauen. Das
Erbe soll eine Verbindung zu vergangenen Generationen herstellen. Ein Erbe, in diesem
Sinne auch ein kulturelles, kann von einem Menschen, wie oben bereits erwähnt,
angenommen oder auch nicht angenommen werden. In bestimmten Fällen kann es auch
einfach ungenützt bleiben, eine Auseinandersetzung mit diesem Erbe bleibt also aus. Möchte
man eine Beziehung zum Erbe aufbauen, so muss man es bewusst machen, es bewusst

53
  Dr. Monika Primas, Interview, 12.02.2020.
54
  Monika Primas, erben-leben-erleben. Über zwei besondere Faschingsbräuche in der Steiermark. In:
Steirisches Volksbildungswerk, Steierische Berichte 1/2020. Graz 2020, S. 10-11.

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