Die Ethik hinter kulturellem Erbe - unipub
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Gerhild Mogel, BA Die Ethik hinter kulturellem Erbe Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts der Studienrichtung Global Studies an der Karl-Franzens-Universität Graz Betreuer: Univ.-Prof. Mag. Dr. theol. Leopold Neuhold Institut: Institut für Ethik und Gesellschaftslehre Graz, Mai 2020
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 1.1. Hypothese 6 1.2. Forschungsfragen 7 1.3. Methode 9 1.3.1. Das qualitative Interview 9 1.3.2. Die Diskursanalyse 11 2. Ethik in Bezug auf kulturelles Erbe 12 2.1. Was ist Ethik? 12 2.2. Ethische Aspekte hinter kulturellem Erbe 15 2.2.1. Was ist Kulturerbe? 18 2.2.1.1. Was ist Kultur? 18 2.2.1.2. Was ist kulturelles Erbe? 22 2.3. Die Bedeutung des kulturellen Erbes 25 3. Die UNESCO 28 3.1. Allgemeines über die UNESCO 28 3.2. Die Organe der UNESCO 31 3.2.1. Die Generalkonferenz 31 3.2.2. Der Exekutivrat 32 3.2.3. Das Sekretariat 33 3.3. Die Österreichische UNESCO-Kommission 34 3.3.1. Allgemeines über die ÖUK 34 3.3.2. Arbeitsweise der ÖUK 35 3.3.3. Die Fachbereiche für Kultur 36 3.3.3.1.Fachbereich Vielfalt kultureller Ausdrucksformen 36 3.3.3.2.Fachbereich Immaterielles Kulturerbe 37 3.3.3.3.Fachbereich Welterbe und Kulturgüterschutz 38 3.4. Ethische Richtlinien der UNESCO 39 3.4.1. Die Ethikprogramme der UNESCO 40 3.4.1.1. UNESCO-Bioethik Programm 41 3.4.1.2. Globale Ethikwarte 42 3.4.1.3. Das Ethik Bildungsprogramm 42 2
3.4.1.4. Weltkommission für Ethik in Wissenschaft und Technologie 42 4. Die ethischen Aspekte hinter den UNESCO-Konventionen 43 4.1. Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten 43 4.1.1. Die Ethik hinter der Konvention 45 4.2. Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt 46 4.2.1. Die Ethik hinter dem Übereinkommen 48 4.3. Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes 50 4.3.1. Die Ethik hinter dem Übereinkommen 52 4.4. Die Konventionen im Vergleich 53 5. Die Listen des UNESCO Kulturerbes 55 5.1. Die Listen des immateriellen Kulturerbes 55 5.1.1. Die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit 56 5.1.1.1. Das Aufnahmeverfahren 56 5.1.1.2. Das Nominierungsdokument – ethische Aspekte 58 5.1.2. Verzeichnis guter Praxisbeispiele 60 5.1.3. Liste des dringend erhaltungsbedürftigen immateriellen Kulturerbes 61 5.2. Die Welterbeliste 61 5.2.1. Das Aufnahmeverfahren 63 5.3. Ausgewählte Elemente 64 5.3.1. Die Kulturlandschaft Hallstatt-Dachstein/Salzkammergut 64 5.3.1.1. Die Kulturlandschaft Hallsatt-Dachstein/Salzkammergut als Welterbestätte 65 5.3.1.2. Die ethischen Aspekte hinter der Welterbestätte 66 5.3.2. Die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal 68 5.3.2.1. Die Kulturlandschaft Dresdner Elbtal als Welterbestätte 68 5.3.2.2. Die ethischen Aspekte hinter der Welterbestätte 69 5.3.3. Die Falknerei 70 5.3.3.1. Die Falknerei auf der Repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit 71 5.3.3.2. Die ethischen Aspekte hinter dem Kulturerbe 71 5.3.4. Der Karneval von Aalst 72 3
5.3.4.1. Der Aalster Karneval auf der Repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit 72 5.3.4.2. Die ethischen Aspekte hinter dem Kulturerbe 73 6. Conclusio 75 7. Literaturverzeichnis 80 7.1. Quellen 80 7.2. Internetverzeichnis 80 7.3. Literatur 83 7.4. Abkürzungsverzeichnis 86 8. Anhang 87 8.1. Interview mit der Österreichischen UNESCO-Kommission 87 8.2. Interview mit der Volkskultur Steiermark GmbH 93 8.3. Ethik und immaterielles Kulturerbe 98 4
1. Einleitung Diese Masterarbeit behandelt die Ethik hinter kulturellem Erbe. Während meines dreimonatigen Volontariats bei der Österreichischen UNESCO-Kommission im Winter 2018 erhielt ich die Chance, mich intensiv mit allen Formen des Kulturerbes zu beschäftigen. Ich selbst durfte Antragsformulare zur Aufnahme in die nationale sowie die internationale Liste des immateriellen Kulturerbes durchsehen und erlangte somit einen Blick in die Vielfalt des Begriffs Kulturerbe. Nachdem mir die Frage nach ethischem Handeln als immer wichtiger erscheint, versuche ich nun diese beiden Faktoren zusammenzubringen und gehe der Ethik nach, die sich in Verbindung mit kulturellem Erbe ergeben kann. Zwar gibt es einige Werke über Ethik und Kulturerbe, wie beispielsweise Otfried Höffes Ethik. Eine Einführung, Arno Anzenbachers Einführung in die Ethik, die einen tieferen Einblick in die Ethik ermöglichten, oder auch Markus Tauscheks Kulturerbe. Eine Einführung, eine tatsächliche Forschung über die Ethik des Kulturerbes gibt es allerdings noch nicht. Die UNESCO selbst hat aber in diesem Bereich schon viel getan und wird wohl auch in den nächsten Jahren noch weiter Akzente setzen. Auf Basis einer Literaturrecherche, einer Diskursanalyse und qualitativen Interviews versuchte ich also Ethik und Kulturerbe unter einen Hut zu bekommen. Begonnen habe ich, zum besseren Verständnis, mit einer Erklärung, was Ethik und Kulturerbe sind. In diesem Kapitel habe ich erste Bemühungen unternommen, den Zusammenhang der beiden Begriffe zu eruieren. Unablässig mit Kulturerbe verbunden ist die UNESCO und auf nationaler Ebene die Österreichische UNESCO-Kommission. Also finden auch sie Platz in dieser Arbeit. Im nächsten Kapitel folgt demgemäß eine Beschreibung der UNESCO, ihrer Organe, der Arbeitsweise und der Fachbereiche für Kultur. Nicht zu vergessen sind in diesem Sinne auch die Ethikprogramme der UNESCO, die seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts immer mehr ausgeweitet wurden. Weiters beschäftige ich mich auch mit den, für das Kulturerbe relevanten, Konventionen der UNESCO. Diese sind die Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten aus dem Jahr 1954, das Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt aus dem Jahr 1972 und das Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes aus 5
dem Jahr 2003. Begonnen wird mit einer kurzen Beschreibung der jeweiligen Konvention, gefolgt von einer Durchsicht des Rechtstextes und einer Recherche bezüglich ihre ethischen Aspekte. Um dieses Kapitel zu schließen, unternehme ich noch einen Vergleich der drei Konventionen in dem Sinne, ob sich mit den Jahren Veränderungen in der Wortwahl usw. zeigen. Im letzten Kapitel gehe ich noch einmal genauer auf die Listen des Kulturerbes ein. Diese werden beschrieben und zusätzlich auf ihre ethischen Betrachtungsweisen überprüft. Um zu zeigen, wie ein aufgenommenes Element ethisch überprüft werden kann, folgt eine Auswahl von vier Elementen, welche in diesem Kapitel näher beleuchtet werden. Zwei von ihnen befinden sich auf der Welterbeliste, die anderen zwei auf der Repräsentativen Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit. Jeweils eines der beiden wurde bereits wieder von der Liste gestrichen. Hierbei haben mich vor allem die Beweggründe der Aufnahme und der Streichung interessiert und die Frage, ob diese möglicherweise ethischen Ursprung haben. Ich schließe mit meiner Conclusio, in der ich zum Abschluss versuche meine Forschungsergebnisse zusammenzufassen um meine Hypothese zu verifizieren. Durch die Befragung von MitarbeiterInnen der Österreichischen UNESCO-Kommission und der Geschäftsführerin der Volkskultur Steiermark GmbH erhielt ich einen zusätzlichen Blick darauf, weshalb der Begriff des kulturellen Erbes so relevant und notwendig ist. Eine Vielzahl an Gemeinschaften und Gruppen sind in diesen Prozess integriert, durch die Institutionen und Organisationen werden diese sichtbar. 1.1. Hypothese Die Haager Konvention, die erste von vielen, welche den Schutz des Kulturerbes zum Thema hat, wurde am 14. Mai 1954 geschlossen. Mit diesem Dokument wurde ein Meilenstein gelegt, welcher den achtlosen Umgang mit kulturellem Erbe und wichtigen historischen Artefakten erstmals zu beenden versuchte. Es sollte ein Regelwerk geschaffen werden, welches verhindert, dass Teile der Vergangenheit (in Form von materiellen, aber auch immateriellen Elementen) und der Geschichte der Nationen ausgelöscht werden. Diese Konvention regte die Staaten dazu an, über ihr Kulturerbe nachzudenken, zu eruieren, um welche Objekte es sich hierbei handle, welchen Wert diese für die Gesellschaft darstellen und 6
in welchem Zusammenhang sie mit der Entwicklung des jeweiligen Landes stehen. Es wurde begonnen, über die eigene Identität nachzudenken, über Einzelheiten der eigenen Vergangenheit, um diese mit Hilfe dieser Objekte aufzuarbeiten und aus ihr zu lernen.1 Die Wirkung dieser Konvention zeigt sich in der Ratifikation der Vertragsstaaten, welche bis dato 128 Mitglieder zählt.2 Dies lässt darauf schließen, dass ein Bewusstsein bzw. der Schutz der Kulturgüter und des Kulturerbes bereits in den Köpfen der Menschen verankert sind. Aber nicht nur ein Bewusstsein entwickelte sich, auch viele andere Aspekte fanden mit der Zeit Eingang, wenn es um die Beschäftigung mit Kulturerbe geht. Diese Beobachtung, und auch die Beobachtungen, welche ich während meines dreimonatigen Praktikums bei der Österreichischen UNESCO-Kommission gesammelt habe, veranlassten mich, nachstehende Hypothese aufzustellen. Die ethischen Aspekte bei der Befassung mit kulturellem Erbe wurden in den letzten Jahrzehnten immer mehr in den Vordergrund gerückt. Immer mehr Richtlinien zur korrekten Anwendung und zu einem korrekten Umgang mit Kulturerbe und den in Zusammenhang stehenden Menschen werden aufgestellt. Diese Aspekte stehen auch in Verbindung mit dem Bewusstsein der Menschen und begünstigen bzw. bestärken dieses. Das Wissen um die eigene Kultur wird immer wichtiger. Der Respekt und der Umgang vor und mit dieser steigen. Nicht nur die Erstellung von nationalen und internationalen Listen oder die Festschreibung der Konventionen selbst tragen zu einem stärkeren Bewusstsein für das Kulturerbe bei, sondern auch eine Veränderung in den Köpfen der Menschen. Dies führt zu einem achtvolleren Umgang mit Zeugen unserer Vergangenheit. Nicht nur der Umgang mit Artefakten, auch der Umgang zwischen den Menschen hat sich verändert. 1.2. Forschungsfragen Die ethischen Aspekte bzw. deren höhere Bedeutung in der Gegenwart versuche ich nun mit mehreren Fragen zu beleuchten. Einerseits stelle ich Fragen in Bezug auf das Kulturerbe 1 Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, 14. Mai 1954, Präambel, BGBl 1964/58. 2 Österreichische UNESCO-Kommission, Kulturgüterschutz. Die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten. In: https://www.unesco.at/kultur/kulturgueterschutz/die-haager-konvention-1 ( am 08.05.2020) 7
selbst. Welche ethischen Aspekte beinhaltet der Begriff Kulturerbe? Sollte der Umgang mit einem Kulturerbe Regeln unterliegen, die möglicherweise ethischen Ursprung haben? Auf der anderen Seite stelle ich Fragen an die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Inwieweit handelt die UNESCO/die Österreichische UNESCO-Kommission ethisch, welche Programme bietet diese zu korrektem, ethischen Handeln an, an welche Regeln und Richtlinien müssen sich die Organisationen halten? Welche ethischen Aspekte stehen hinter den nationalen und internationalen Listen für kulturelles Erbe, von wem werden die Richtlinien und Kriterien zur Aufnahme auf eine solche Liste geschaffen und geprüft? Inwieweit handeln AntragstellerInnen ethisch bzw. müssen sie ethische Regeln einhalten? Welche Aspekte können zu einer Streichung eines Elements von einer solchen Liste führen, sind ethische Bedenken ein Grund? Hat sich im Zusammenhang mit kulturellem Erbe das Bewusstsein der Menschen verändert, wie kann ein solches Bewusstsein gemessen werden? Welche Rolle spielt die Gesellschaft bei der Befassung mit Kulturerbe, lassen sich auch hier ethische Aspekte herausfiltern? Ziel der Arbeit ist es, die ethischen Aspekte hinter kulturellem Erbe aufzuzeigen, eine mögliche Veränderung bei der Befassung mit kulturellem Erbe auf dem Hintergrund gewandelter Werte darzulegen und auch auf Schwierigkeiten hinzuweisen, welche sich im Bereich des Kulturerbes ergeben können. Außerdem versuche ich zu skizzieren, dass sich die Gemeinschaften, Gruppen und Einzelpersonen, die sich in diesem Bereich engagieren, immer mehr Regeln unterwerfen müssen und auch die ethischen Ansprüche an die Elemente – also die Traditionen, Bräuche, Rituale, Handwerkstechniken usw., die in eine der oben genannten Listen aufgenommen werden können – selbst gestiegen sind. Zusätzlich vermute ich eine Steigerung des Bewusstseins für kulturelles Erbe, was jedoch schwer zu ermitteln ist. Ein Versuch ist es, durch Fragen innerhalb meiner Interviews mit den ExpertInnen herauszufiltern, ob das Bewusstsein gestiegen ist (aus der Sicht der Befragten). 8
1.3. Methoden Meine Forschung wird sich auf drei zusammenhängende Methoden stützen. Zum einen versuche ich, durch eine systematische Literaturrecherche von Fachliteratur und deren Analyse, einen ersten Überblick über das Thema zu geben. Besonders zur Begriffserklärung, Definition und zur Erstellung eines Abrisses der benötigten Hintergrundinformationen erweist sich diese Methode als zielführend. Außerdem werde ich ein leitfadenorientiertes Interview mit drei ExpertInnen führen, die für verschiedene Bereiche, im Zusammenhang mit Kulturerbe, sprechen. Diese werden im Anhang beigefügt und fließen in die Arbeit mit ein. Zum anderen wird im letzten Schritt eine Diskursanalyse durchgeführt. Mit der Kombination der behandelnden Konventionen/Übereinkommen und der Interviews versuche ich meine Hypothese zu bekräftigen und zu stützen. 1.3.1. Das qualitative Interview Das ethnographische Interview, welches ich als Methode gewählt habe, ist grundsätzlich „eine besondere Form der menschlichen Kommunikation“3. Es soll ein Gesprächscharakter hergestellt werden, bei dem jedoch kein gleichberechtigter Dialog stattfindet. Eine Person soll von der anderen Person möglichst viel erfahren. Während des Interviews wird darauf geachtet, dass eine vertraute Atmosphäre hergestellt wird. Diese ist jedoch nicht von Dauer, denn die Beziehung zwischen den InterviewpartnerInnen und auch die Intensität hält nur während des Interviews an. Ein weiteres Merkmal des qualitativen Interviews ist die häufig auftretende ungleiche Machtaufteilung. Diese kann dadurch entstehen, dass der Forscher/die Forscherin aus einer unterschiedlichen politischen oder wirtschaftlichen Gesellschaft stammt als der/die zu Interviewende oder auch, wenn sich der/die Interviewte in einer hierarchischen Position befindet, die der des Forschers/der Forscherin übergeordnet ist.4 Es wird von einem offenen Interview gesprochen. Es bietet also die Chance auf Informationen, nach denen nicht gefragt wurde und die hinter dem eigenen Horizont liegen. 3 Brigitta Schmidt-Lauber, Das qualitative Interview oder: Die Kunst des Reden-Lassens. In: Silke Göttsch, Albrecht Lehmann (Hgg.), Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. Berlin 2007, S. 174. 4 Judith Schlehe, Formen qualitativer ethnographischer Interviews. In: Bettina Beer (Hg.), Methoden ethnologischer Feldforschung. Berlin 22008, S. 120. 9
Somit sollen sich Themen und Fragen innerhalb des Gesprächs entwickeln und auch weiterentwickeln.5 Was bedeutet es aber nun, ein offenes Interview zu führen? Der/die Interviewende muss sich darauf einlassen, innerhalb des Interviews nicht immer nur zu führen, sondern auch die Angebote des Gegenübers, dessen Dynamik und dessen Interaktion aufgreifen zu können. Auch der Forscher/die Forscherin muss etwas über sich preisgeben, um eine Offenheit und Vertrautheit herzustellen. Diese Gegenseitigkeit ist jedoch, wie oben schon erwähnt, nicht ausgewogen, wichtig ist es daher gleich zu Beginn klarzustellen, welche Verhältnisse und Absichten im Hintergrund stehen. Hier lässt sich ein ethischer Aspekt des qualitativen Interviews erkennen. Es ist bekannt, dass es die Interviewten schätzen, wenn man ihnen eine gewisse Kompetenz, wissenschaftliche Bedeutsamkeit zuspricht, ihnen gegenüber Interesse ausdrückt und sie ernst nimmt. Es handelt sich also um einen zwischenmenschlichen Respekt, der in einer solchen Interviewsituation an den Tag gelegt werden soll. Daher sollte man gleich zu Beginn des Interviews sagen, wer man ist, welches Ziel die Forschung hat, wie das Interview ablaufen wird, was man sich vom Interviewpartner/von der Interviewpartnerin bzw. vom Interview erwartet und wie die Daten aus diesem erhoben werden.6 Die Form des Leitfadeninterviews, welchem ich mich bediene, zählt zu den halbstrukturierten Interviews. Vorab wird ein Leitfaden erstellt, der dem/der Interviewendem/n während des Gesprächs behilflich sein soll. Einerseits soll es einem Stocken der interviewenden Person vorbeugen, andererseits kann es den/der Interviewten von der eigenen Kompetenz innerhalb des Themenbereichs überzeugen. Der Leitfaden soll sämtliche Perspektiven des Themas bzw. des Gesprächs abstecken, welche im Interview angesprochen werden müssen, sowie konkrete Fragen enthalten. Wichtig ist jedoch, dass der Leitfaden keinesfalls stur abgearbeitet werden sollte. Der/die Interviewer/Interviewerin sollte gegebenenfalls auf die interviewte Person eingehen und auch andere Aspekte aufnehmen können. Je nach Situation sollten also die Fragen ausgeweitet werden können. Auch eine vertiefende Nachfrage kann getätigt werden.7 5 Schlehe, Interviews, 22008, S. 120-121. 6 Ebd., S. 122. 7 Ebd., S. 126-127. 10
Von Vorteil ist jedoch die stärkere Strukturierung, die ein leitfadenorientiertes Interview mit sich bringt, was eine Vergleichbarkeit mit anderen Interviews betrifft.8 Vertiefend ist noch anzumerken, dass es sich bei meinen Interviews jeweils um sogenannte ExpertInneninterviews handelt. Hierfür werden Interviews mit Personen durchgeführt, die als besonders geeignet in einem bestimmten Bereich gelten, um beispielsweise bestimmte Handhabungen oder Arbeitsabläufe zu erklären.9 Nach Möglichkeit sollte von jedem Interview eine Aufnahme gemacht werden (mit Aufnahmegerät, Handy und dergleichen), um eine bessere Reflexion über das Gespräch zu ermöglichen. Außerdem stellt eine solche Aufnahme die Grundlage der Transkription dar. Natürlich muss zuvor das Einverständnis der interviewten Person eingeholt und erklärt werden, wofür man diese Aufnahme braucht. Neben der digitalen Form des Interviews sollte unbedingt ein Gedächtnisprotokoll angefertigt werden. In diesem wird zusätzlich die Interviewsituation beschrieben, und es dient dazu, das Gesagte zu notieren, bevor die Aufnahme startet oder sie beendet wurde. 10 Eine tatsächliche, einheitliche Strukturierung und Terminologie in Bezug auf das qualitative Interview in dieser Form gibt es jedoch nicht. Die Art der Fragestellung entscheidet über die Art der Methode.11 1.3.2. Die Diskursanalyse Bei der Inhalts- sowie bei der Diskursanalyse handelt es sich um eine Erkenntnispraxis, die ein Verhältnis zur Wirklichkeit, in der geforscht wird, begründen will.12 Eine Diskursanalyse, so wie ich sie durchführe, zielt darauf ab, auf Grundlage von ausgewähltem Material „empirisch gesättigte Erkenntnisse“13 zu gewinnen. Die Diskursanalyse an sich ist keine 8 Schmidt-Lauber, Die Kunst des Reden-Lassens, 2007, S. 177. 9 Schlehe, Interviews, 22008, S. 128. 10 Ebd., S. 135. 11 Schmidt-Lauber, Die Kunst des Reden-Lassens, 2007, S. 174. 12 Juliette Wedl, Eva Herschinger, Ludwig Gasteiger, Diskursforschung oder Inhaltsanalyse? Ähnlichkeiten, Differenzen und In-/Kompatibilitäten. In: Johannes Angemüller, Martin Nonhoff (Hgg.), Diskursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch. Bielefeld 2014, S. 539. 13 Johannes Angermüller, Diskursforschung als Theorie und Analyse. Umrisse eines interdisziplinären und internationalen Feldes. In: Johannes Angemüller, Martin Nonhoff (Hgg.), Diskursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch. Bielefeld 2014, S. 24. 11
Methode, sondern greift auf ein Feld von Methoden zurück. Sie kann sich qualitativer sowie quantitativer Ansätze bedienen und diese kombinieren. Eine quantitative Forschung anhand großer Textsammlungen ,um Hypothesen zu generieren, kann also mit qualitativen Methoden (wie z.B. dem leitfadenorientierten Interview) überprüft und präzisiert werden.14 Neben der Diskursanalyse bediene ich mich zusätzlich der Kulturanalyse, die ich als Teil der Diskursanalyse sehe bzw. als weiterführende und spezifische Form dieser. Die Kulturanalyse an sich geht von einem Denken in Relationen aus, das heißt, dass man die Bedeutung kultureller Phänomene nur dann entschlüsseln kann, wenn man sie eingebunden in ein Beziehungsgeflecht betrachtet. Man könne das Eigene erst dann erkennen, wenn man sich das Andere vor Augen hält. In der Kulturanalyse und folglich auch in der Diskursanalyse wird also nach dem Wie gefragt und nicht nach dem Was.15 Im Brennpunkt der Kulturanalyse stehen kulturelle Gegebenheiten, innerhalb derer soziale, biographische und kulturelle Bestandteile auf eine „zeitspezifische Weise zusammen treffen“16. Diese Bestandteile sollen sichtbar gemacht werden.17 Es ist durchaus möglich, auf ein und dasselbe Thema zu blicken, das analysiert werden soll. Handelt es sich jedoch um ein Thema, das in der Gegenwart sowie in der Vergangenheit untersucht wurde/wird, werden sich verschiedene Arten von Diskursen und Analysen ergeben. Daher ist die zeitliche Komponente so wichtig.18 2. Ethik in Bezug auf kulturelles Erbe 2.1. Was ist die Ethik? Gegenstand der Ethik ist das moralische Handeln und Urteilen, etwas, was also jeden und jede betrifft. Konflikte sollen nicht mit Hilfe von Gewalt ausgetragen werden, sondern zwischen den konkurrierenden Verständnissen mit Vernunft. Das eigentliche Ziel der Ethik ist es, gut begründete moralische Entscheidungen als das einsichtig zu machen, was jeder selbst zu erbringen hat und sich von niemandem abnehmen lassen darf.19 14 Angermüller, Diskursforschung, 2014, S. 24-25. 15 Rolf Lindner, Vom Wesen der Kulturanalyse. Gottfried Korff u.a. (Hgg.), Zeitschrift für Volkskunde. 99. Jahrgang. Münster/New York/ München/Berlin 2003, S. 177-178. 16 Ebd., S. 184. 17 Ebd. 18 Michel Foucault, Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main 1981, S. 56. 19 Otfried Höffe, Ethik. Eine Einführung. München 2013, S. 7-8. 12
Die Ethik ist eine Disziplin der Philosophie und versteht sich als „Wissenschaft vom moralischen Handeln”20. Sie beschäftigt sich mit den Themen Moralität und menschlichen Handlungen und versucht diese insofern nach der Frage hin zu untersuchen, inwieweit eine Handlung als moralisch gelten kann. Sie untersucht also die Qualität der Moralität und wann jene Handlung als eine moralische und sittlich gute angesehen werden kann. Ethik ist keinesfalls ein rein akademisches Fach, jeder Mensch hat sich in seinem Leben schon mit moralischen Fragen auseinandergesetzt, z.B.: Darf sich ein Politiker/eine Politikerin in bestimmten Fällen über Recht hinwegsetzen? Wichtig ist zu begreifen, dass es ohne moralische Fragen, Konflikte, Überzeugungen etc. keine Ethik gibt. 21 Nun, was bedeutet moralisch? Hierzu helfen uns die sogenannten moralischen Wörter, um eine solche Moral ausdrücken zu können, beispielsweise gut - böse, selbstlos - egoistisch oder gerecht - ungerecht. Innerhalb der Kommunikation der Menschen handelt es sich hierbei um ein „Vorverständnis des Moralischen”,22 welches wir auch bei den Mitmenschen voraussetzen.23 Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Qualität der Handlung an der Motivation des Willens des Handelnden gemessen wird. Eine Handlung wird also als moralisch gut oder böse angesehen, wenn der Wille, dem sie entspringt, aus der Pflicht heraus (gut) und andererseits aus der pflichtwidrigen Neigung (böse) motiviert ist. „Die moralische Qualität der Handlung besteht also letztlich in der Qualität der Gesinnung des Handlungswillens.”24 Ich handle also moralisch gut, wenn ich bewusst und beabsichtigt aus Pflicht heraus handle, Böse, wenn ich bewusst und beabsichtigt pflichtwidrig handle.25 Auch der Begriff bzw. das Wort Ethik erklärt bereits viel zum Forschungsfach. Schon sehr früh befassten sich Gelehrte mit dem Wesen und dem Begriff der Ethik. So unterschied Aristoteles beispielsweise bereits zwischen den Disziplinen der theoretischen Philosophie (Logik, Physik, Mathematik, Metaphysik) und der praktischen Philosophie. In diese gliederte 20 Annemarie Pieper, Einführung in die Ethik. Tübingen ²2007, S.17. 21 Ebd., S. 17 22 Arno Anzenbacher, Einführung in die Ethik. Düsseldorf 11992, S.11. 23 Ebd., S.11. 24 Ebd., S. 72. 25 Ebd., S.72. 13
er die Ethik, die Ökonomie und die Politik ein. Die praktische Philosophie beschäftigte sich größtenteils mit menschlichen Handlungen und ihren Ergebnissen.26 Laut Aristoteles ist der Mensch ein auf Gemeinschaft angelegtes Lebewesen, das eines institutionellen Rahmens bedarf. Dieser Rahmen beruht auf Traditionen und wird vermittelt, damit der Mensch sich selbst verwirklichen kann. Er meint außerdem, Ethik untersuche das höchste Gut des Menschen, nämlich das Glück, nach dem er strebt. Dieses Glück erkennt Aristoteles in der Tugend, welche aus der Mitte von Mangel und Übermaß besteht.27 Ursprünglich leitet sich der Name der Disziplin, welcher seit Aristoteles genutzt wird, vom griechischen Wort ethos ab und ist in zwei Varianten in Gebrauch. Einerseits wird es mit Gewohnheit, Sitte und Brauch übersetzt/verwendet. Ein Mensch handelt ethisch, insofern er die Normen des allgemein anerkannten Moralkodex befolgt. Wenn man jedoch den überlieferten Handlungsregeln und Wertmaßstäben nicht fraglos folgt, sondern es sich zur Gewohnheit macht, aus Einsicht und Überlegung das erforderlich Gute zu tun, handelt man ebenfalls ethisch. Andererseits wird es, in Anbetracht des Begriffs „ethisch handeln”, im Sinne von Charakter verwendet, welcher sich in der Grundhaltung der Tugend verfestigt. 28 Das lateinische Wort mos, von welchem sich das deutsche Wort Moral herleitet, wurde ursprünglich mit Wille übersetzt bzw. wurde ihm diese Bedeutung zugesprochen. Es meint in diesem Sinne vorrangig den den Menschen auferlegten Willen, also Vorschriften und Gesetze. Später wurden die herkömmlichen Sitten und Gebräuche (mores) damit in Verbindung gebracht. Innerhalb dieser Bedeutungsentwicklung meint mos also „auch den persönlichen Lebenswandel, die Gesinnung, den Charakter und die Gesittung des einzelnen.”29 Einerseits muss unterschieden werden zwischen den Wörtern Moral (als gesellschaftliches Phänomen) und Moralität (als individuelles). Die deutsche Sprache schafft es mit den beiden Wörtern Sitte und Sittlichkeit, die Bedeutungen besser zu unterscheiden. 26 Pieper, Ethik, 22007, S. 24. 27 Peter Welsen, Ethik. Freiburg/München 1999, S. 19. 28 Pieper, Ethik, 22007, S. 24-25. 29 Anzenbacher, Ethik, 11992, S. 16. 14
Die beiden Begriffe der Ethik und der Moral sind jedoch nicht gleichzusetzen. Die Moral und die Moralität bilden nämlich den Gegenstand der Ethik. Darunter ist also die theoretische Beschäftigung bzw. die Reflexion über die Normen des menschlichen Handelns zu verstehen („Theorie der Moral bzw. Moralität”).30 Aufgrund der verschiedenen Bedeutungen des Wortes Ethik und ethisch und Moral und moralisch ist man übereingekommen, dass Ethik vordergründig nur für die philosophische Wissenschaft, welche das moralische Handeln des Menschen untersucht und erforscht, verwendet wird.31 Der Ethiker/ die Ethikerin hat als Gegenstand seiner/ihrer Wissenschaft die Ethik. Während er/sie Ethik betreibt, bedeutet das nun aber auch nicht, dass er/sie unmoralisch handelt, sondern aus einer gewissen Distanz über das Moralische reflektiert und aus einer theoretischen Perspektive kritisiert.32 Unterschieden werden kann zwischen der deskriptiven und der normativen Ethik sowie der Metaethik. Die deskriptive Ethik versucht lediglich Normen zu beschreiben und zu erklären, ohne normative Aussagen darüber zu treffen. Die Untersuchung der Genese und Funktion dieser Normen reicht ihr. Im Gegensatz dazu versucht die normative Ethik normative Aussagen zu treffen und auch zu begründen. Diese versucht zusätzlich zu erforschen, welche moralischen Handlungen angemessen sind bzw. auch welche Handlungsziele der Moral entsprechen. In ihrem Vordergrund steht der Versuch zu beschreiben, wie zu handeln sei, nicht die Analyse, nach welchen Regeln die Menschen leben. Unter Metaethik wiederum versteht man die Reflexion über diese moralischen Normen. Ihre Gegenstände sind Argumente, Methoden und Sprache.33 2.2. Ethische Aspekte von kulturellem Erbe Nach einem kurzen Versuch zu beschreiben bzw. zu begreifen, was Ethik ist und was sie tut bzw. untersucht, möchte ich nun weitergehen zu den ethischen Aspekten, die sich hinter Kulturerbe verbergen. 30 Welsen, Ethik, 1999, S. 10-11. 31 Pieper, Ethik, 22007, S. 27. 32 Ebd., S. 29. 33 Welsen, Ethik, 1999, S. 11-12. 15
Beschäftigt man sich mit kulturellem Erbe, so wird sehr schnell klar, dass es immer in Verbindungen mit Einzelpersonen, Gruppen, Gemeinschaften oder Institutionen auftaucht (materiell und immateriell). Es betrifft bestimmte Handlungen, Tätigkeiten, Ereignisse oder Bauwerke, welche von Menschenhand erbaut oder geschaffen wurden, welche im Hauptfokus des Kulturerbes stehen. Bereits das Wort Tradition, das in direktem Zusammenhang mit Kulturerbe gesehen werden kann, beschreibt „etwas, was in Hinblick auf Verhaltensweisen, Ideen, Kultur o. Ä. in der Geschichte von Generation zu Generation [innerhalb einer bestimmten Gruppe] entwickelt und weitergegeben wurde [und weiterhin Bestand hat].”34 Es ist also davon auszugehen, dass auch Kulturerbe auf seine ethischen Aspekte hin untersucht werden kann, da es bestimmte Handlungen betrifft. Es muss bei einem Kulturerbe darauf geachtet werden, dass die ausgeführten Handlungen im moralischen Rahmen passieren. So muss beispielsweise bei der Befassung mit einem Element des immateriellen Kulturerbes darauf geachtet werden, dass diese ausgeführten Handlungen niemanden ausschließen, die TeilnehmerInnen respektvoll behandelt werden, aber auch, dass die Art und Weise, wie dieses weitergegeben wird, moralischen Ansprüchen folgt. Auch die UNESCO selbst beschäftigt sich mit ethischen Fragen und Aspekten des Kulturerbes. Einen Großteil der ethischen Fragen, mit welchen sich lebendige Kultur auseinandersetzt, betrifft Situationen, in welchen Außenstehende während ihrer Forschung bzw. Datenerhebung mit Gemeinschaften in Berührung kommen und sich mit problematischen Aspekten konfrontiert sehen (z.B. Respektlosigkeit). Ethische Belange jedoch betreffen nicht nur Außenstehende, sondern alle, die zum Erhalt eines immateriellen, aber auch materiellen, Kulturerbes beitragen. Neben der 2003er Konvention zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes sollen zwölf ethische Prinzipien als zusätzliches Instrument dienen, welches bei der Durchsetzung des Gesetzgebungsrahmens auf regionaler und sektoraler Ebene helfen soll. Es wurden zwölf Prinzipien herausgearbeitet in denen es vordergründig um einen respektvollen Umgang zwischen den betroffenen Menschen (AntragstellerInnen, Gemeinschaft usw.) geht, um das Hervorheben der Wichtigkeit, die sich hinter dem immateriellen Kulturerbe verbirgt und um eine problemlose Beschäftigung mit diesem Kulturerbe zu gewährleisten. (siehe Anhang 8.3.) 34 Duden, Art. Tradition. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Tradition (am 08.05.2020) 16
Diese zwölf Prinzipien wurden 2015 von den Vertragsstaaten anerkannt und waren von ExpertInnen entwickelt worden, basierend auf den grundlegenden Prinzipien und Werten der Konvention, also der vorrangigen Rolle der Gemeinschaften, Achtung gegenüber dem immateriellen Kulturerbe und den Gemeinschaften, Respekt, transparenter Zusammenarbeit und der Beteiligung von Gemeinschaften, Gruppen und Einzelpersonen.35 Die zwölf ethischen Prinzipien behandeln den Umgang mit kulturellem Erbe (in diesem Fall mit immateriellem Kulturerbe) und den Umgang mit den Personen, die mit diesem in Verbindung stehen. So befassen sich die ersten zwei Prinzipien mit den Gemeinschaften, Gruppen oder ggf. Einzelpersonen, welche die vorrangige Rolle bei der Erhaltung ihres eigenen immateriellen Kulturerbes einnehmen sollen und das Recht der Gemeinschaften, Gruppen oder ggf. Einzelpersonen, dieses Erbe auch erhalten zu dürfen. Dies soll von Außenstehenden respektiert und anerkannt werden. Gegenseitiger Respekt und eine transparente Zusammenarbeit zwischen den Staaten und den Gemeinschaften, Gruppen oder ggf. Einzelpersonen sollen garantiert und Wertschätzung an den Tag gelegt werden. Als weiteres Prinzip ist der Zugang für das Ausleben des immateriellen Kulturerbes genannt. Dieser soll auch in bewaffneten Konfliktsituationen gegeben sein. Zusätzlich sollen Gemeinschaften, Gruppen oder ggf. Einzelpersonen den Wert ihres immateriellen Kulturerbes selbst bestimmen können. Dieser soll sich nicht an externen Werturteilen orientieren. TrägerInnen des Kulturerbes sollen vom Schutz des Erbes in geistiger und materieller Weise profitieren. Der living heritage Anspruch müsse beachtet werden und auch die Auswirkungen und Maßnahmen sollen gut durchdacht sein, um mögliche negative Konsequenzen zu vermeiden. In diesem Sinne sollen die Gemeinschaften, Gruppen oder ggf. Einzelpersonen eine relevante Rolle bei Bestimmungen der Bedrohungsfaktoren ihres immateriellen Kulturerbes spielen. Abschließend sollen kulturelle Vielfalt und Identität, die mit einem immateriellen Kulturerbe einhergehen, respektiert werden und besonderes Augenmerk auf die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Einbeziehung der Jugend gelegt und die Achtung ethnischer Identitäten 35 Mag. Gabriele Detschmann, Interview, 23.01.2020. 17
berücksichtigt werden. Der Erhalt des immateriellen Kulturerbes soll im Interesse der Menschheit stehen und in internationaler Zusammenarbeit getätigt werden. Trotz allem sollen jedoch die TrägerInnen niemals von ihrem eigenen Kulturerbe entfremdet werden.36 Anzumerken ist daher, dass ethische Aspekte auch, oder vor allem, bei der Befassung mit Kulturerbe wichtig bzw. unumgänglich sind. Da es jederzeit um den Umgang zwischen den Menschen mit bestimmten Elementen von Kulturerbe geht und es einen regen Austausch innerhalb der Gesellschaft, der Politik und der Länder gibt, können ethische Aspekte vor allem dahingehend geltend gemacht werden, dass ein gegenseitiger Respekt, die Normen, die bei der Befassung mit Kulturerbe eingehalten werden sollen, das Gute hinter jeder Handlung und das Aufrechterhalten der Ordnung die wichtigsten Faktoren darstellen. 2.2.1. Was ist Kulturerbe? „... der Mensch ist ein Wesen, in dessen Natur es liegt, Kultur auszubilden.”37 2.2.1.1. Was ist Kultur? Laut Duden wird Kultur folgendermaßen definiert: „Kultur ist die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung; die Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen, charakteristischen geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen.”38 Im Sinne dieser Definition von Kultur lassen sich eindeutige Merkmale von Kultur feststellen. Durch die Bezeichnung Höherentwicklung wird darauf hingewiesen, dass der Mensch dazu in der Lage ist, Kultur zu schaffen, die ihn in der Entwicklung seines Menschseins weiter bringt. Wird von einer anthropologischen Perspektive auf den Menschen geblickt, so lässt sich feststellen, dass dieser eine Reihe von Merkmalen aufweist. Eines der wichtigsten und sichtbarsten ist das Zusammenleben des Menschen mit anderen Lebewesen 36 Österreichische UNESCO-Kommission, Ethik und Immaterielles Kulturerbe. In: https://www.unesco.at/fileadmin/Redaktion/Kultur/IKE/Publikationen/Ethik_und_Immaterielles_Kulturerbe_fin al.pdf (am 08.05.2020) 37 Welsen, Ethik, 1999, S. 9. 38 Duden, Art. Kultur, In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Kultur (am 08.05.2020) 18
seiner Art. Im Gegensatz zu Tieren, die sich ebenfalls in Gruppen zusammenschließen, welche Instinkten folgen, die das Zusammenleben ermöglicht, folgt der Mensch bestimmten Regeln, welche weniger selbst gegeben sind, sondern durch die Kultur zustande gekommen sind und aus dieser heraus bestehen. Die Kunst, Kultur entstehen zu lassen, hängt vor allem damit zusammen, dass der Mensch fähig ist, die Sprache für sich zu nutzen, um auszudrücken, in welcher Lage er sich im derzeitigen Moment befindet. Zusätzlich ermächtigt sie ihn, die Welt, in der er sich befindet, zu deuten. Unter diesen sprachlichen Gestalten, mit welche diese Ermächtigungen arbeiten, wird der Begriff der Weltanschauung zusammengefasst. Nun hat diese Weltanschauung verschiedene Funktionen wie z.B. Informationsvermittlung, Verhaltenssteuerung, Handlungsnormierung oder aber auch gefühlsmäßige Auseinandersetzungen mit der Realität. Begriffe der Handlungsnormierung und Verhaltenssteuerung, welche Aspekte menschlicher Selbst- und Weltdeutungen sind, werden zum Zentrum dessen, was als Ethik bezeichnet wird. Diese Selbst- und Weltdeutungen heben den Menschen somit vom Tier ab.39 Zusätzlich lässt sich bereits in groben Zügen erkennen, um welche Art von Kultur es sich handelt. Die Rede ist von geistigen, künstlerischen und gestaltenden Leistungen. Natürlich ist diese Bezeichnung sehr weit gegriffen und lässt verschiedene Interpretationen zu. Wichtig erscheint mir auch der Begriff Gemeinschaft. Meiner Meinung nach ist dies einer der bedeutendsten innerhalb dieser Definition. Er zeigt, dass Kultur nur dort entstehen kann, wo mehrere Menschen miteinander in Interaktion leben. Kultur ist also etwas Gemeinschaftliches, aber auch etwas, was Gemeinschaft bildet. Der Begriff Gesamtheit lässt darauf schließen, dass es Kultur in diesem Sinne, nicht in der Einzahl gibt. Es handelt sich nicht lediglich um ein Artefakt, eine Tradition oder ein Kunstwerk, welches als Kultur bezeichnet wird oder die Kultur eines Menschen ausmacht. Erst die Gesamtheit solcher Elemente (geistige, künstlerische und gestaltende) bildet Kultur. Auch in der Fortführung der Definition („die Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen, 39 Welsen, Ethik, 1999, S. 9-10. 19
charakteristischen geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen”40) lassen sich Charakteristika von Kultur erkennen. Sie wird nämlich von einem bestimmten Gebiet und einer bestimmten Epoche geprägt, in der sie entsteht und in welcher Leistungen erbracht werden/wurden. Es kann also davon ausgegangen werden, dass einerseits die Ausbildung von Kultur und wie diese in Erscheinung tritt, geografisch unterschiedlich ist und andererseits auch von Ereignissen bestimmter Epochen geprägt wird. Dies bringt mich nun auf einen anderen Gedanken, nämlich denjenigen, dass nach dieser Definition durchaus davon auszugehen ist, dass sich Kultur auch mit der Zeit weiterentwickeln kann. Entstanden verschiedene Leistungen geistiger, charakteristischer und künstlerischer Art zwar in einer bestimmten Epoche, welche die Gemeinschaft bzw. die Gesellschaft in dieser Zeit prägte, so muss davon ausgegangen werden, dass dieser Prozess der Kulturentwicklung gewiss abgeschlossen ist, in einer ähnlichen Form jedoch wieder durchlebt werden kann. Dadurch ist Kultur etwas Lebendiges, etwas, was sich weiterentwickelt und auch weitergegeben wird (beispielsweise von Generation zu Generation). Das war nun der Versuch, den Begriff Kultur kurz zu beschreiben. Kulturerbe besteht jedoch noch aus einem zweiten Begriff, dem des Erbes. Die Definition von Erbe lautet: „Vermögen, das jemand bei seinem Tod hinterlässt und das in den Besitz einer gesetzlich dazu berechtigten Person oder Institution übergeht; etwas auf die Gegenwart Überkommenes; nicht materielles [geistiges, kulturelles] Vermächtnis.”41 Der Begriff Erbe kann sowohl im materiellen als auch im immateriellen Sinne verwendet werden. Als Vermögen an sich können nun mehrere Dinge interpretiert werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um Geld, Dokumente, Gegenstände oder Ähnliches handelt, welches einen (großen oder kleinen) Wert für den Besitzer/die Besitzerin aufweist. Dieses Vermögen möchte dieser/diese dann weitergeben (an eine Person oder eine Institution, welche rechtlich einen Anspruch darauf hat). Handelt es sich um materielle Dinge und wird der Begriff Erbe verwendet, so kann das Erbe erst nach dem Tod eines Menschen den Weg an den nächsten Begünstigten antreten (bei einer Weitergabe des Erbes zu Lebzeiten spricht man von Schenkung42). Dies unterscheidet, meiner Meinung nach, 40 Duden, Art. Kultur. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Kultur (am 08.05.2020) 41 Duden, Art. Erbe. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Erbe_Nachlass_Ueberlieferung (am 08.05.2020) 42 Wirtschaftskammer Steiermark, Erb- und Pflichtteilsrecht – anwendbar auf Todesfälle ab 1.1.2017. Erbrechts- Änderungsgesetz 2015. In: https://www.wko.at/service/wirtschaftsrecht-gewerberecht/Erb-und-Pflichtteilsrecht- NEU.html, (am 08.05.2020) 20
maßgeblich die beiden Begriffe Erbe und Vermächtnis. Nachdem Erbe erst nach dem Tod weiter gegeben wird, kann ein Vermächtnis jedoch bereits während Lebzeiten von einen auf den anderen Menschen übergehen. Wird nun versucht, die beiden Begriffe Kultur und Erbe miteinander zu verbinden, so ergibt sich für mich das ein oder andere Problem. Erbe ist etwas, was einem/einer zusteht, was jemandem rechtmäßig gehört. Ob man es schon in seiner frühen Kindheit oder in einem hohen Alter bekommen hat, ist in diesem Zusammenhang nebensächlich. Mit dem Eintritt des Todes und einem letzten Willen wird dieses Erbe nun an einen weiteren rechtmäßigen Besitzer weitergegeben. Dieser muss rechtlich Anspruch darauf haben. Spricht man also von Kulturerbe, muss davon ausgegangen werden, dass dieses jemandem gehört bzw. es jemand besitzt. Kultur jedoch ist nichts, was jemand für sich beanspruchen kann bzw. besitzen kann. Es sollte zumindest nicht so sein. Kultur eignet man sich an, lernt von ihr, erschafft sie usw., wenn man so will, ist Kultur etwas, was in jemandes Kopf geschieht, etwas wonach man handelt. Aus diesem Handeln heraus entstehen materielle Objekte, die von dieser Kultur zeugen und daraus entstanden sind. Den Begriff Erbe, im rechtlichen Sinn, sollte man in diesem Zusammenhang also mit Vorsicht genießen. Passender wäre der Terminus Vermächtnis. Zwar wird auch hier von einem Vermögensgegenstand gesprochen, welcher durch einen letzten Willen weitergegeben wird,43 jedoch kann es im übertragenen Sinne auch als Vermächtnis von Erlebtem, Ereignissen, Gedächtnis, Orientierung usw. gesehen werden. Ein kulturelles Vermächtnis also beschreibt Leistungen künstlerischer, geistiger und gestaltender Art, welche Ausdruck einer Gemeinschaft sind, aus einer gewissen Epoche und in einem bestimmten Gebiet entstanden sind und an eine nachfolgende Gemeinschaft/Generation weitergegeben werden. Ein solcher Versuch einer Begriffserklärung lässt jedoch weitere Fragen aufkommen, welche nur sehr schwer beantwortet werden können. Es handelt sich um Begriffe, bei denen es schwer wird, diese fassbar zu machen. Etwas Theoretisches und nicht Materielles kann ist häufig schwer zu definieren und noch schwerer zu begreifen. Um dem entgegenzuwirken, nehme ich an, wurde beschlossen den Begriff des Erbes zu verwenden. Natürlich ist dies nur meine konstruierte Begriffserklärung des Begriffs Kulturerbe. Nachdem sich jedoch, offensichtlich, mehrere Personen mit diesem Thema auseinandersetzen bzw. 43 Duden, Art. Vermächtnis. In: https://www.duden.de/rechtschreibung/Vermaechtnis (am 08.05.2020) 21
gesetzt haben, und Kulturerbe immer wichtiger innerhalb der Länder wurde, wurde eine Definition erstellt – zuletzt von der UNESCO – um zu erklären, was kulturelles Erbe beschreibt. 2.2.1.2. Was ist kulturelles Erbe? In der heutigen – und auch der vergangenen – Zeit ist Kulturerbe überall sichtbar. Im Allgemeinen wird unter Kulturerbe „das Wissen über dieses Erbe“44 verstanden. Denn erst mit dem Wissen über etwas kann dieses auch sichtbar gemacht, es erkannt und wahrgenommen und auch wertgeschätzt werden.45 Laut UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation) werden als Kulturerbe Denkmäler, Ensembles oder Stätten bezeichnet „die aus geschichtlichen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Gründen von außergewöhnlichem universellem Wert sind.”46 Es handelt sich hier beispielsweise um architektonische Werke, Inschriften, Überreste vergangener historischer Zeit, welche für die Menschheit wichtige Monumente der Geschichte und ihrer Identität darstellen. Nicht nur materielle, von Menschenhand gemachte Objekte sind hier mit einzubeziehen, sondern auch naturgegebene Landschaften. Naturstätten oder auch geologische und physiographische Erscheinungsformen werden als sogenanntes Naturerbe bezeichnet. Bereits im Jahr 1954 erachtete es die UNESCO als wichtig, Objekte mit einem solchen Wert, vor allem in Krisenzeiten, zu schützen, und sie schuf die Konvention zum Schutz für Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (Haager Konvention). Mit ihr beginnt die Erstellung vieler weiterer Konventionen und Übereinkommen, die sich mit Kulturerbe beschäftigen. Häufig geht mit der Bezeichnung Kulturerbe auch Authentizität und Identität einher. Vor allem bei materiellem Erbe kann dies gut erkannt werden. Der Umgang mit dem Kulturerbe spiegelt sich vor allem im Umgang mit der eigenen Geschichte wider. Ist diese aufgearbeitet und erforscht, wird ein guter Umgang leichter sein, als wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Es wird hiermit eine Wertschätzung und ein kulturelles Verständnis gezeigt. 44 Markus Tauschek, Kulturerbe. Eine Einführung. Berlin 2013, S. 14. 45 Ebd., S. 14-15. 46 Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, 16. Nov. 1972, Art. 1, BGBl. 1993/ 29. 22
Kulturerbe kann diesbezüglich auch für verschiedene Zwecke genutzt werden, ob politisch, religiös, individuell, oder aber auch touristisch.47 Im Gegensatz zu materiellem Erbe wurde das immaterielle Erbe lange Zeit nicht beachtet, es wurde zusehends vergessen. Im Jahr 2003 entschied sich die UNESCO, auch diese Art von kulturellem Erbe innerhalb einer Übereinkunft zu schützen, da auch Handwerkstechniken, Traditionen, Bräuche oder Wissen zum kulturellen Erbe einer Nation zählen. Grund für ein Sichtbarmachen alter Traditionen und Bräuche soll hier eine Aufforderung zum Nicht- Vergessen sein, eine Rückführung zum Ursprung und ein Kennenlernen der eigenen Kultur. Es soll zusätzlich auch identitätsstiftend wirken.48 Was macht aber nun ein Gut zum Kulturerbe? Die UNESCO hat bereits versucht, unter bestimmten Einflüssen der Länder eine Definition für ein Kulturerbe zu schaffen, was natürlich sehr schwierig ist, weil jedes Land eigene Vorstellungen kulturellen Erbes hat. Auf jeden Fall aber müsse es „außergewöhnlich, repräsentativ oder eben ganz besonders sein, es müsse ein geradezu paradigmatisches Zeugnis ablegen für spezifische historische Epochen oder einzigartige naturräumliche Gegebenheiten.“49 Der Wert des kulturellen Erbes muss erkannt werden. Kulturwissenschaftliche Disziplinen gehen häufig von einer Konstruktion kulturellen Erbes aus, weshalb sie auch nach dem historischen Kontext fragen und danach, wie dieses Erbe darin entstanden ist.50 Doch bereits früher beschäftigte man sich mit Elementen, welche Ausdruck unserer Geschichte sind, und versuchte diese zu schützen. Dies geht auf die schweren Zerstörungen zurück, welche die Französische Revolution mit sich brachte, hierbei wurden auch Denkmäler und kulturelle Artefakte zerstört. Erstmals kam die Überlegung auf, nationales Erbe festzumachen. Dies passierte im Jahr 1790 und wurde von Édouard Pommier initiiert.51 Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts lag die Pflege der Denkmäler - vorwiegend Kunstwerke - in öffentlicher Hand, erst ab 1975 wurde diese Aufgabe an die UNESCO als ausführendes Organ weitergegeben (Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, 1972). Der Begriff Kulturerbe tauchte erstmals offiziell 1985 auf, als dieser vom Europarat 47 Tauschek, Kulturerbe, 2013, S. 18-20 48 Ebd., S. 22-23. 49 Ebd., S. 27 50 Ebd. 51 Österreichische Akademie der Wissenschaften, 5. Internationaler Kongress des Forschungsprogramms „Orte des Gedächtnisses“. Kulturerbe. Repräsentation, Fabrikation, Vermarktung. In: https://www.oeaw.ac.at/fileadmin/mediapool/archiv/ikonf/ik_2003.pdf (am 08.05.2020) 23
im Kongress von Granada übernommen/verwendet wurde. Bezeichnet wurde damit eine Form der Verbindung von Vergangenheit und Zukunft, wie die Vergangenheit in der Gegenwart als auch die gesellschaftliche Wirkung von kollektivem Gedächtnis und Erinnern gewertet wird. Diese zwei Begriffe des Erinnerns und des Gedächtnisses werden nun auch zu Schlagwörtern des 20. Jahrhunderts, welche sowohl für wissenschaftliche Diskurse Verwendung finden als auch in politischen und öffentlichen Auseinandersetzungen an Wichtigkeit gewinnen. Auch die Globalisierung spielt bei der Befassung mit kulturellem Erbe eine wichtige Rolle. Durch die weltweite Vernetzung ist es uns möglich, zu allen Zeiten an jedem Ereignis an verschiedenen Orten der Erde teilzunehmen. Häufig werden diese Ereignisse genutzt, um neue und moderne Dinge zu erfahren, die historischen Artefakte bleiben hier häufig auf der Strecke. Aufgrund dieser Vielzahl an fremden und neuen Einflüssen wird nun des Öfteren versucht, den Weg zurück zu den Wurzeln wieder zu finden bzw. sich aus dem Großen und Ganzen etwas Spezifisches herauszuholen. Es wird hierbei versucht eine kulturelle Identität zu erzeugen bzw. zu stärken, indem Artefakte als Kulturerbe deklariert werden und diese häufig sogar universellen Stellenwert zugeschrieben bekommen. Sie nehmen sodann die Ebene eines Weltkulturerbes ein. Mit dem Begriff Kulturerbe werden mehrere Termini in Verbindung gebracht. Unveränderbarkeit, Dauerhaftigkeit, Kontingenz, aber auch Tradition und Wissen sind einige davon. Diese benötigen Schutz. Schwierig jedoch ist die Diskussion darüber, wie etwas zu Kulturerbe wird. Diesen Status erhält ein Element nämlich erst, nachdem es schon etliche Jahre in Gebrauch war und sich als nützlich und kulturell bedeutsam erwiesen hat. Nun kann jedoch kein Individuum für sich alleine beschließen, dass ein Element, welches es für bedeutsam erachtet, sogleich als Kulturerbe deklariert wird. Dies bedarf einer Prüfung und vor allem auch einer Vergemeinschaftung. Innerhalb der Vergabe des Kulturerbetitels gab es in den letzten Jahrzehnten zusätzlich eine starke Veränderung. Dies zeigt auch, dass Menschen nun anders mit diesem umgehen, und weist auch darauf hin, dass sich das Befassen mit der Vergangenheit verändert hat.52 52 Moritz Csáky, Monika Sommer, Kulturerbe als soziokulturelle Praxis. Innsbruck/Wien/Bozen 2005, S. 7-9. 24
Kulturerbe ist also etwas ganz Besonderes für die Menschen. Es ist mit der Zeit entstanden, hat sich weiterentwickelt und ist teilweise auch wieder verschwunden. Es handelt sich um Prozesse, die zugelassen werden müssen. Immerhin war jedes Kulturerbe zu einer bestimmten Zeit etwas Neues.53 2.3. Die Bedeutung des kulturellen Erbes Welche Bedeutung hat nun aber kulturelles Erbe für uns Menschen? Wie wichtig ist es für uns, und wie hoch könnte ein Bewusstsein für jenes Erbe sein? Kulturerbe kann aus mehreren Blickwinkeln gesehen werden. Für den einen/die eine wird es zu einer Bürde, zu einer Einschränkung der Freiheit, für den anderen/die andere jedoch wird es zu einem dynamischen Prozess, der sich stets (weiter)entwickelt. Es ist jedem/jeder, selbst überlassen ob das Erbe angenommen wird oder nicht. Auch im Kollektiv kann es angenommen werden oder nicht. Viele Bräuche und Traditionen spielen im Lebens- und Jahreszyklus der jeweiligen Länder eine große Rolle und zählen zu den wesentlichen Bestandteilen des kulturellen Erbes. Meist sind diese Elemente nicht nur identitätsstiftender Natur und daher von großer Wichtigkeit für die dort angesiedelten Menschen, ihre Wirkung lässt sich zusätzlich bis weit über die Grenzen des Landes erkennen.54 Ein Erbe kann also unterschiedlich aufgefasst werden. Es kann als Festlegung gelten, etwas, was von den Vorfahren übergeben wurde und was man in seinen Tätigkeiten beachten muss, was einen auf eine Art und Weise abhängig und unfrei macht. Es kann aber auch als Grundlegung gesehen werden, etwas, worauf man aufbauen kann, was sich entwickeln kann. Um sich dieses Wissen, welches das kulturelle Erbe mit sich bringt, anzueignen und es weiterzuentwickeln, darf man sich jedoch nicht auf dem Erbe ausruhen. Nur durch eigene Initiative und bewusste Aneignung kann man etwas der Zeit entsprechend ausbauen. Das Erbe soll eine Verbindung zu vergangenen Generationen herstellen. Ein Erbe, in diesem Sinne auch ein kulturelles, kann von einem Menschen, wie oben bereits erwähnt, angenommen oder auch nicht angenommen werden. In bestimmten Fällen kann es auch einfach ungenützt bleiben, eine Auseinandersetzung mit diesem Erbe bleibt also aus. Möchte man eine Beziehung zum Erbe aufbauen, so muss man es bewusst machen, es bewusst 53 Dr. Monika Primas, Interview, 12.02.2020. 54 Monika Primas, erben-leben-erleben. Über zwei besondere Faschingsbräuche in der Steiermark. In: Steirisches Volksbildungswerk, Steierische Berichte 1/2020. Graz 2020, S. 10-11. 25
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