Die mensch-maschine das smartphOne erObert unser Leben. betrachtungen zum gerät der gegenwart - null41
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Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender NO 5 Mai 2014 CHF 8.– www.null41.ch Monatszeitschrift für Luzern und die Zentralschweiz mit Kulturkalender NO 5 Mai 2014 CHF 8.– www.null41.ch Tablet & Co. lokal digital die mensch-maschine Das Smartphone erobert unser Leben. Zentralschweizer Kulturprojekte auf Betrachtungen zum Gerät der gegenwart. 100 %
ANZEIGEN CHRIS TILDA JAMIE JOHN ED EVANS SWINTON BELL HURT HARRIS A G 17 /0 N KL M EE 16 ER UL RU R IN T PA EN /0 4— Z 14 K FO AK 8/ B AL E T Ein Film von Bong Joon ho (ThE hoST) W LIN “Wuchtiger thriller uND surreale satire zugleich – aufregeND, TW AR EE L … reichhaltig, immer M WieDer überra- OM DE KL OO scheND.” W BL N tagessPiegel A Y ascot-elite.ch WWW.ZPK.ORG Ab 1. MAi iM en 4. Leibch über denen hies sen 1. Tor sc nen h 2. losren Kopf zie en Knie fall 3. auf die jahresausstellung_2014_gestalterischer_vorkurs Museum für Kommunikation sentimatt_1/dammstrasse_luzern Helvetiastrasse 16 21–24_mai_2014_mi–fr_0900–2000_sa_0900–1700 3005 Bern www.mfk.ch www.hslu.ch/vorkurs
Editorial 99 % Bzz bzz bzz Wer kennt es nicht: Man ist auf ins Bett und lassen uns dem Weg zur Arbeit, möchte von ihm wecken, messen kurz die E-Mails checken, greift beim Joggen unseren Puls, in die Tasche, die Finger bereits kommunizieren auf allen in Erwartung des gewohnten Kanälen. Und so ist das flachen Dings – doch da ist nichts. Die Bewegungen Smartphone weit mehr als ein Gerät – es ist ein Kul- werden hastiger, schwarz und böse steigt der Gedanke turobjekt schlechthin. in einem auf: Ich habe mein Handy zu Hause liegen In diesem Heft widmen wir uns unserem neuen besten lassen!?! – Dann die Erleichterung: Es ist in der Ja- Freund (und manchmal auch Feind) mit verschiede- ckentasche. Glückshormone rauschen durch die Syn- nen Essays und Interviews. Wir kreisen dabei um die apsen. Frage, wie das Smartphone unseren Zugang zur Welt Nicht alle empfinden diese Situation gleich drama- verändert und geben Beispiele, wie Zentralschweizer tisch, aber für viele ist die Vorstellung, einen oder Kulturschaffende mit dem Smartphone und Tablet mehrere Tage ohne Handy zu verbringen, ein Graus. arbeiten. Und dieser hat auch einen Namen: Nomophobie. Un- ter der Angst vor Handylosigkeit (No-Mobile-Phone- Gänzlich analog funktioniert Niko Stoifberg und Pa- Phobia), litten laut Wikipedia 2012 bereits 66 Prozent trick Kälins neue Cartoon-Kolumne auf der letzten der Briten. Seite. Sie zeigt nichts weniger als «Das Leben, wie es Kein Wunder eigentlich. Schliesslich orientieren wir ist». uns mit dem Smartphone, wir spielen damit, wir Martina Kammermann fotografieren und filmen uns, wir nehmen es nachts kammermann@kulturmagazin.ch 3
Inhalt 8 nah dran Wie das Smartphone unseren Körper erobert. 10 aufgelöste grenzen Die Trennung von digitalem und physischem Raum ist aufgehoben, sagt die Direktorin des Hauses für elektronische Künste Basel. 12 quasseln 2.0 Wie wir mit Bildern sprechen. 15 auf dem tablet serviert Kunstwandern mit dem Smartphone. Made in Lucerne. 16 das Revival der werkstatt Der Trend geht zurück zum analogen Arbeiten, sagt die Direktorin der HSLU – Design & Kunst. 18 bang! bang! Warum wir gamesüchtig sind. Und warum das gar nicht schlimm ist. 26 immer für dich da Der Sedel-Shuttle wird fünf Jahre alt. KOLUMNEN 6 Gabor Feketes Hingeschaut 7 Lechts und Rinks: Die Jugend und die Politik 27 Gefundenes Fressen: Wanderfutter ich knipse, also bin ich 41 77 11 Fragen an: Dominic Chenaux Kämpf / Steinemann Wie Fotos zu unserer neuen Sprache werden. 78 79 Käptn Steffis Rätsel Das Leben, wie es ist Und vieles mehr zum Thema Smartphones. SERVICE Ab Seite 8 28 29 Bau. Die Leere des Projekts LuzernSüd Kunst. Ein Besuch bei der neuen Galerie Vitrine 32 Musik. Starke Frauenstimmen in Ettiswil 34 Wort. Warum wir von Pedro Lenz nicht genug kriegen 36 Bühne. Grosseinsatz «Verona 3000» 39 Kino. Revolution in der Postapokalypse 74 Notizen / Ausschreibungen / Forum / Impressum 76 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Schweiz 20 musik machen KULTURKALENDER 42 Kinderkulturkalender mit dem Tablet? 43 Veranstaltungen 67 Ausstellungen Daniel Sommer weiss, wie's geht. PROGRAMME DER KULTURHÄUSER 44 Stattkino 46 Kleintheater 23 ein fonds spaltet 48 50 Stadtmühle Willisau Südpol / Zwischenbühne die gemüter 52 54 HSLU Musik Luzerner Theater / LSO Der Kanton Luzern will die Kultur auf der 56 ACT / Romerohaus Zeichnung: M. Meyer 58 Kulturlandschaft Landschaft stärker fördern – nun liegt der 60 66 Chäslager Stans Kunstmuseum Luzern 68 Kunsthalle / Museum Bellpark Ball bei den Gemeinden. 70 Historisches Museum / Natur-Museum 4
schön gesagt Welche künstlerische Freiheit nehmen Sie sich? «Rauchen wie Serge Gainsbourg.» dominic Chenaux, betriebsleiter neubad (seite 41) guten tag Aufgelistet Guten Tag, Fachstelle Guten Tag, SBB Die liebsten Smartphone-Games Kinderschutz Luzern Seit Kurzem kann man an rund einem Dutzend der Redaktion: Während unserer Recherchen durch Tiefen und Schweizer Bahnhöfe gratis für eine Stunde auf Untiefen des Smartphone-Universums sind wir deinem WLAN-Netz surfen. «Leider weiss nur Radiant auch auf dein «Hauapp» gestossen. Ein Präven- kaum ein Pendler von diesem Service», schrieb tions-Game für Kids, das du 2012 eigens lanciert der «Blick am Abend» Anfang April. Das hat sich Smash Hit hast, damit diese spielend Selbstbestimmung ler- schlagartig geändert, seit du mit der Blick-Gruppe nen und sich vor Missbrauch schützen können. Es zusammenspannst: Steuert man dein WLAN an, Candy Crush Saga funktioniert so: Nachdem man ausgewählt hat, erscheinen seit Mitte April als Erstes Inhalte von «Blick» und «Blick am Abend». Nationale Medi- Flappy Wings ob man als «Girl» oder «Junge» spielt, muss man zu nervtötender Musik Grosis und Sex-Grüsel mit en monieren, dass du den Auftrag nicht öffentlich Wer wird Millionär? Kaffee oder Kuchenstücken (!) ablenken, um et- ausgeschrieben hast. Du sagst, Ringier habe das was, das aussieht wie ein deformierter Seestern, beste Angebot eingereicht. Nun, publizistische QuizDuell einzusammeln. Ab und an erscheinen Sätze wie Kriterien haben bei der Wahl des Mediums für «Vertrou dine Gfühl». Ähm … nun ja, nichts ge- diese prominente Plattform offenbar keine Rolle Samstig Jass gen deine Idee – aber ob man so wirklich lernt, gespielt. Oder waren im Angebot Schlagzeilen wie sich selbstbewusst durch die Strassen zu bewegen? «SBB zum Gernhaben» oder «Good News: SBB- Move the box Wenn wir das nächste Mal Kinder sehen, die al- Minibar ganz gross» gleich mit drin? Wie auch ten Leuten Kaffee verteilen, wissen wir jedenfalls, immer – wir werden bestimmt rechtzeitig von worum es geht. Ein Tipp an die Fachstelle Integra- Ringier erfahren, wann dein WLAN-Angebot an tion: Wie wärs mit einem Game für Asylsuchende, Zentralschweizer Bahnhöfen ankommt. in der diese rote Pässe einsammeln müssen? Viellesend, 041 – Das Kulturmagazin Verspielt, 041 – Das Kulturmagazin ANZEIGE Gesuchseingaben für das Migros-Kulturprozent Unterstützungsgesuche für Projekte aus der Zentralschweiz an das Migros- Kulturprozent müssen via Webformular unter www.migros-kulturprozent.ch/luzern eingereicht werden. 5
Hingeschaut Bikini-Body Es war im letzten Oktober. Ich musste mich verschönern, also Woche besuchte ich Anja also in Horw, wo sie mit ihrer Freundin ging ich zu meinem Frisör Gabriel, der auch ein guter Freund ist. Livia Masina trainierte – und war baff. Eigentlich fand ich Kraft- Er grinste mir schon von Weitem entgegen. Heute müsse ich mich training bis zu diesem Zeitpunkt nicht etwas Schönes, aber ich mit Anja zurechtfinden, meinte er, und guckte mich dabei recht wurde eines Besseren belehrt. merkwürdig an. Anja sah sehr apart aus mit ihrer schwarzen Mähne und sehr Wie ich nun erfuhr, ist Anja momentan in Las Vegas unter- sportlich. Während sie meine Haare mit einer scharfen Schere ge- wegs, sammelt Erfahrungen als Personal Trainer und bei Shoo- fährlich schnell zurechtzupfte, erkundigte ich mich also vorsich- tings für Hochglanz-Magazine. Ich bin stolz, war ich ganz am An- tig, ob sie vielleicht ein bisschen Sport mache. (Ich wusste nicht, fang einer grossen Karriere dabei, und hoffe auf weitere Fototref- dass Anja schon ziemlich bekannt war, nicht nur in der Krafttrai- fen mit ihr. ningszene, sondern auch als zukünftiges Topmodel.) Sie antwor- tete, wenn ich Lust hätte, könne ich zuschauen beim Bikini-Body- Bild und Text Gabor Fekete Contest-Training! Ja, ja bitte, ich bin doch Fotograf … Nächste 6
lechts und rinks Politik und Paradox Vier Thesen zum Abstimmungsverhalten der jungen Schweizerinnen und Schweizer Nur 17 Prozent der Schweizer von 18 bis 29 3. Die Ausbildung. Seit der Bologna-Re- Jahren haben am 9. Februar über die Mas- form sind junge Menschen viel stärker in seneinwanderungsinitiative der SVP abge- ihre Aus- und Weiterbildung eingespannt stimmt. Das war das wichtigste Ergebnis der als früher. Das studentische Milieu, traditi- Vox-Analyse zu diesem wichtigen Urnen- onell eine Brutstätte des jugendpolitischen gang, der seither nicht nur das Verhältnis Aktivismus, denkt und handelt heute prag- dieses Landes zu Europa infrage gestellt hat, matisch und kurzfristig, anders sind die sondern auch den Anschluss von Schweizer Studien nicht zu schaffen. So gesehen war Studierenden an die europäischen Erasmus- die Reform ein Geniestreich der Konserva- Programme. Und auch wenn es mittlerwei- tiven – Selbstdisziplin und Selbstkontrolle le berechtigte Zweifel gibt, dass die Stimm- haben Law and Order ersetzt. beteiligung der Jungen tatsächlich so tief war: Sie ändern nichts an der Tatsache, dass 4. Der Optimismus. Politologen nennen seit vielen Jahren ein immer kleinerer An- es das «Optimismus-Pessimismus-Paradox»; teil der unter 30-Jährigen über die eidge- nämlich das Phänomen, dass gerade junge nössischen Initiativen und Referenden ab- Menschen für ihre persönliche Zukunft viel stimmt. Und das gibt darum zu denken, optimistischer sind als für die Zukunft der weil sich doch gerade die jungen Menschen ganzen Gesellschaft. Diese Kluft hat sich in an Entscheiden über die Zukunft ihres Lan- den letzten Jahren vergrössert, und eine ös- des beteiligen sollten. terreichische Studie hat 2011 ergeben, dass 69 Prozent der 14- bis 29-Jährigen «eher zu- Rasch waren die Erklärungsversuche versichtlich» sind, was ihre eigene Perspek- zur Hand. Die Schulen unterrichten zu we- tive betrifft. Nur 22 Prozent sind für die Ge- nig Staatskunde, hiess es. (Als ob das jemals sellschaft genauso optimistisch. Nur logisch, ein wichtiges Schulfach gewesen wäre.) Die dass das Engagement in die eigene Perspek- Jungen stimmen halt lieber elektronisch ab 1. Die Demografie. Der Anteil junger tive fliesst und nicht in eine Gemeinschaft, als mit einem grauen Couvert. (Als ob es Menschen an der Bevölkerung sinkt – und von der man sowieso denkt, dass sie gerade früher als besonders sexy gegolten hätte, damit auch ihr politischer Einfluss. In der den Bach runter geht. am Sonntagmorgen ins Urnenlokal zu tau- mickrigen Stimmbeteiligung antizipiert meln.) Und natürlich waren bald auch die diese Generation ihre Machtlosigkeit. Und Diese vier Punkte lassen, kombiniert, verständnisvollen Stimmen zu hören, die drückt ihr statistisch beglaubigtes Gefühl das Stimmverhalten der jungen Schweize- der Jugend tantig den Kopf tätschelten: Lie- aus, von langweiligen Altkonservativen und rinnen und Schweizer in einem anderen, ber interessiere sie sich «für wilde Rock- privilegierten Altlinken regiert zu werden. unskandalösen Licht sehen. Irritierend ist bands als für dröge Abstimmungsvorlagen», also nicht die Stimmabstinenz der Jungen. sinnierte die «Sonntags Zeitung»: «Und ge- 2. Die Zukunft. Seit zwei Generationen Sondern, dass sich in der jungen Generation nau dafür ist die Jugend da: Um sich auszu- lebt die Jugend mit der Gewissheit, dass es bestimmte Phänomene besonders deutlich leben, Erfahrungen zu sammeln und zu ex- ihr wirtschaftlich schlechter gehen wird als abzeichnen, wie sie für die ganze Gesell- perimentieren.» (Als seien junge Menschen ihren Altvorderen, die das Privileg hatten, schaft gültig sind. Oder wie sagte der Chef unfähig, sich zwischen Sex, Drogen und in der Wachstumseuphorie gross und reich zu seiner 45-jährigen Praktikantin: Du bist Rock'n'Roll auch mal kurz um ihre Zukunft zu werden. Jobs und Einkommen sind unsi- richtig jung geblieben. zu kümmern.) cher geworden, die Perspektiven kurzfristig. Und weil jede und jeder weiss, dass die Poli- Nein, nein. Die Stimmabstinenz der jun- tik dagegen weder etwas tun kann noch gen Schweizer hat klare, rationale Gründe. will, ist die Politikabstinenz darauf eine Dazu vier Thesen: durchaus vernünftige Antwort. Christoph Fellmann, Illustration: Mart Meyer 7
96 % Die Maschine in uns Das Smartphone verschmilzt Mensch und Maschine – und schreibt in uns die Moderne weiter. Von Dominik Landwehr Würden uns heute ausserirdische Ethnologen besuchen und zu genschaft als universale Maschine, die in unseren Träumen alles Hause Bericht erstatten, so würden sie ganz sicher von diesem kann, und beispielsweise auch das Tor zum Wissen ist. Und daran merkwürdigen Gerät berichten, das uns unablässig begleitet und nimmt nun auch das Smartphone teil. Zum andern ist das Smart- für uns eine fast magische Bedeutung erhalten hat.* Zu erklären, phone ein Objekt intimster Nähe. Es gibt nur wenige Objekte, die was dieses Ding ist, erscheint fast überflüssig. Wir versuchen es wir so nahe an unseren Körper heranlassen. Es teilt diesen Platz trotzdem: Das Smartphone ist – wie der Name besagt – ein kluges, mit der Armbanduhr und unserem Schmuck und nachts viel- gerissenes Telefon, ein Computer im Taschenformat. Angesichts leicht mit einem Teddybär. Wie nahe uns das Smartphone steht der Fülle seiner Funktionen ist das Telefonieren längst zur Ne- und künftig stehen könnte, ist gut zu sehen im Film «Her» von bensache geworden. Wer sich mit dem kleinen Bildschirm an- Spike Jonze, der aktuell in den Kinos läuft: Schlaftrunken greift freundet, kann damit schreiben, rechnen, Möbel bestellen, Bü- die Hauptfigur Theodore mitten in der Nacht nach seinem Smart- cher lesen, Musik hören und auch komponieren und aufführen; phone, um mit Samantha zu sprechen, in die er sich verliebt hat – ein Modellhelikopter lässt sich damit genauso gut steuern wie die sie ist aber keine reale Person, sondern die Stimme aus seinem Heizung im Ferienhaus. (Ein paar Zahlen: Die Schweiz gehört zu Computer. den Ländern mit der grössten Smartphone-Dichte. Laut einer Studie des Vergleichsdiensts Comparis von 2013 besitzen 69 Pro- Das Smartphone weiss vieles über uns. Es hat Tentakel und zent der Schweizer ein Smartphone, 56 Prozent davon entfallen Fühler: Mikrofone, Kameras, GPS, Lage, Licht-, Berührungs-, auf das iPhone von Apple.) Beschleunigungs, Magnet- und Temperaturfühler, Feuchtigkeits- Das Smartphone ist aber mehr als ein Zweckobjekt. Es ist kul- fühler und Barometer sind in vielen Geräten vorhanden. Eine turell «aufgeladen», hat Bedeutungen, die weit über seine nack- wachsende Vielzahl von weiteren Sensoren lässt sich problemlos ten Funktionen hinausgehen. Zum einen ist das Smartphone anschliessen: Messgeräte für Blutzucker, Puls und Blutdruck; sie durch sein Dasein als Computer auch ein kulturelles und mytho- ermöglichen vollkommen neue Nutzungen. Quantified Self heisst logisches Objekt. Viele Funktionen wurden dem Computer im etwa ein neuer Trend: Dabei werden Körperfunktionen gemes- Lauf seiner kurzen Geschichte zugeschrieben und sind in unse- sen, analysiert und ausgetauscht. Was dabei entsteht, ist nichts rem kulturellen Gedächtnis eingebrannt: Allen voran seine Ei- anderes als ein Raster- oder Röntgenbild des modernen Men- 8
95 % schen in einem System, das die intimsten Details seines Lebens dert mit den Errungenschaften der Moderne zusammengebracht. kennt oder in Windeseile abrufen kann. Bereits haben die Senso- Was dahinter steht, ist die Überforderung des Einzelnen mit die- ren des Smartphones Körpergrenzen durchbrochen und übertra- ser Fülle von Reizen, mit der wachsenden Geschwindigkeit um- gen auch Daten aus dem Innern des Körpers. «Ovularing» etwa zugehen – es sind dieselben Ursachen, die schon vor 100 Jahren ist ein Biosensor zur Bestimmung der fruchtbaren Tage der Frau, beschrieben wurden. der wie ein Tampon im Innern des Körpers getragen wird: «Ob Eine weitere und politisch weit brisantere Schattenseite der Smartphone, Tablet oder PC, die Zyklusinformationen stehen den grenzenlosen Kommunikation zeigt sich dem Smartphone-Nut- Frauen bei höchster Datensicherheit überall zur Verfügung», zer in Form von massgeschneiderter Werbung auf dem Bild- heisst es dazu auf der Website dieses Projekts, das auch von der schirm: Warum will mir mein Buchhändler Bücher über Zeitge- EU gefördert wurde. Die Anwendungen im Bereich Gesundheit schichte verkaufen, nachdem ich einen Titel zum Ersten Welt- und Körper, die wir heute sehen, sind wohl erst der Anfang einer krieg bestellt habe? Dienstleister wie Facebook, Twitter, Google ganzen Welle. Der Bereich der Home Diagnostics und Telemedi- oder Amazon verfügen über eine Datenfülle wie nie zuvor und zin etwa gehört seit Jahren zu den am stärksten wachsenden Be- sie nutzen diese jeden Tag, ohne dass wir es merken. Die NSA- reichen der Gesundheitsindustrie. Der Tag, an dem wir unsere Geschichte ist nur die Spitze dieses Eisbergs. Körperfunktionen ununterbrochen überwachen, dokumentieren und analysieren lassen, dürfte nicht mehr allzu weit sein. Kultu- Was tun angesichts dieser Entwicklungen, die zu überblicken rell gesehen passiert hier nichts anderes als die Verschmelzung immer schwieriger wird? – Den Aus-Knopf drücken? Warten, bis zwischen Mensch und Maschine. der Akku leer ist? Auf eine einsame Insel fahren – mit einem Flug, den man zuvor per Smartphone gebucht hat – oder ins Die Sensoren der Kunst Kloster gehen, mindestens mal für ein paar Tage? Begriffe wie In der Geschichte der Moderne ist dieses Thema nichts Neues, Auszeit, Wellness und Abschalten bedienen genau diese Vorstel- sondern ein zentrales Element. Es wurde in Literatur, Kunst und lung. Realistisch ist all dies aber nicht. Kaum ist der Akku gela- Film immer wieder dargestellt, so etwa im berühmten Film den, der Urlaub auf der Insel vorbei und der Meditationskurs ab- «Modern Times» von Charles Chaplin. Die Verschmelzung von solviert, dreht sich das Hamsterrad wieder von Neuem. Wir müs- Mensch und Maschine ist auch ein Thema des australischen Per- sen mit dem Wandel leben, auch wenn er uns manchmal zu formance-Künstlers Stelarc, der immer wieder in der Schweiz schnell ist. Der Kulturwissenschafter Wolfgang Coy hat das auf Gast war. In den 90er-Jahren etwa hat er mit «Stomach Sculptu- den Punkt gebracht: «Dass etwas geschieht, ist unbestritten. Was re» eine Skulptur geschaffen, die mit einem Endoskop zunächst geschieht, wird allerdings sehr verschieden interpretiert ... So wie in seinen Magen befördert werden musste. Dort hat es dann Sig- es aussieht, müssen wir uns also auf lange Zeit in einer Folge von nale gesendet, die ihrerseits aber auch nur per Endoskop und Beta-Versionen der Informationsgesellschaft einrichten. Wir kön- Videoübertragung zu sehen waren. Ebenfalls in den 90er-Jahren nen und wollen nicht zurück, und wir wissen doch nicht wirk- hat er sein «Exoskeleton» geschaffen, ein sechsbeiniger Roboter lich, wo es hingeht. Und wir wissen nicht einmal sicher, ob das mit dem Künstler in der Mitte. Und der Künstler hatte sich nicht Ganze die Mühe wert ist.» geirrt: Ähnliche Erfindungen wurden Jahre später von Militär- technologen präsentiert. * Die Frage, was denn die Ausserirdischen über uns denken, ob sie unsere Und so ist das Smartphone weit mehr als ein technisches Ding Bücher lesen und unsere Filme anschauen, ist eine Frage, welche die Lite- oder ein Gadget. Es wird zu einem Leitobjekt der Gegenwartskul- ratur seit der Entdeckung des Teleskops im 16. Jahrhundert umtreibt. tur. Und steht kulturgeschichtlich neben bahnbrechenden Erfin- Und sie ist auch das Thema eines Nationalfonds-Forschungsprojektes, das dungen wie dem Telefon, der Eisenbahn und der industriellen der Zürcher Uniprofessor Philipp Theisohn leitet. Das Interview des Au- Massenproduktion. Sie haben den wirklichen und den sozialen tors mit Philipp Theisohn: Raum verändert und das Leben beschleunigt. Im Zentrum der Entwicklungen der Moderne stand immer das Individuum, das zum Dreh- und Angelpunkt der Geschichte wurde. So gesehen ist auch das Smartphone eine Fortschreibung dieser Geschichte. www.digitalbrainstorming.ch/de/multimedia/audio/ 2013_philipp_theisohn Die Flut der Reize Das beschleunigte Leben bringt bekanntlich auch Sinnesleere, Depression und Burn-outs mit sich. Daran ist nicht das Smart- phone schuld – auch wenn seine Antennen uns für diese Krank- Dominik Landwehr (*1958) ist Kultur- und Medienwissenschenschaftler und leitet den Bereich Pop und Neue Medien in der Direktion Kultur und Soziales beim Migros- heiten tendenziell wohl empfänglicher machen. Die Symptome Genossenschafts-Bund. Er befasst sich mit gesellschaftlichen und kulturellen Pers- sind alles andere als neu: Nervosität und Neurasthenie (Nerven- pektiven der Digitalisierung und ist publizistisch in verschiedenen Bereichen tätig: Er bloggt unter www.sternenjaeger.ch und www.digitalbrainstorming.ch. Zuletzt erschien schwäche) sind Begriffe, die untrennbar mit der Moderne zusam- von ihm das Buch «Political Interventions» in der neuen Buchreihe des Migros-Kultur- menhängen. Wichtige Denker haben sie schon im 19. Jahrhun- prozents «Edition Digital Culture». 9
93 % Das Smartphone hat die Trennung zwischen realer und virtueller Welt aufgehoben, sagt Sabine Himmelsbach, Direktorin des Hauses für elektronische Künste in Basel. Dadurch gehen wir auch anders durch die Welt. Von Pierre Hagmann Flanieren war einmal Sabine Himmelsbach, mit der Allgegenwart des Smartpho- nes kommt die virtuelle Welt der realen Welt immer näher. Wo liegen die Grenzen dieser Annäherung? Die Trennung zwischen realem und virtuellem Raum ist bereits aufgehoben. Das Digitale überlagert das Physische. Leidet darunter das Überlagerte, also das reale Leben? Ich verstehe die Überlagerung eher als ständige Ergänzung. Möglich gemacht durch das Konvergenzgerät Smartphone, das dominieren- de Gerät unserer Zeit, wichtiger als der stationäre Rechner. Einige Leute scheinen aber schon zu leiden: Es gibt ja bereits einen Fach- ausdruck für die Angst vor der Handylosigkeit, die Nomophobie. In den USA werden Retreats veranstaltet, wo Leute ihr Smartphone abzugeben haben – die Abbruch-Quote liegt bei etwa 80 Prozent, viele geben nach zwei Tagen auf. In einem Text zu Ihrer Ausstellung «Sensing Place» 2012 Sabine Himmelsbach, Direktorin des Hauses schreiben Sie, dass durch Smartphones unsere Wahrneh- für elektronische Künste in Basel mung neu gestaltet wird. Wie meinen Sie das? Ein Ort sieht nicht anders aus, aber es kommen neue Faktoren dazu. Ich bewege mich über Google Maps fort und trage damit auch das virtuelle Bild des städtischen Raums mit. Das hat zur Folge, dass An der Oslostrasse im Dreispitzareal liegt das Haus für elektronische ich mich ganz anders orientiere, weil ich nun von dieser zweidi- Künste Basel. Sieben Minuten für 500 Meter von der Tramhaltestel- mensionalen Karte ausgehe und mich auch im Physischen danach le bis zum Interviewtermin, sagt Google Maps. Der Blick geht rauf strukturiere. Dann checke ich auf Fourth Square, wo sich meine und wieder runter, oben viele Baustellen, unten der Retina-Display, Freunde gerade aufhalten. Der Informationsraum wird immer und schliesslich ist die rote Stecknadel in sechs Minuten erreicht. gleich mitgedacht, das ist zentral. Ich erlebe die Stadt heute also Das Haus für elektronische Künste Basel gibt es seit drei Jahren, im weniger über das Flanieren als über gezielte Informationen vom November zügelt es in einen Neubau gleich nebenan. Das Haus will Smartphone. sich als nationales Kompetenzzentrum für Medienkunst und die Reflexion neuer Technologien etablieren. Es geht um grosse Fragen: Haben wir das Flanieren verlernt? Wie verändert sich unsere Welt durch die Technologie, wie verän- Nicht unbedingt, aber man tut es nicht mehr automatisch, weil wir dern wir uns? Sabine Himmelsbach aus Deutschland ist Direktorin effizienzgesteuert sind, dem Zufall weniger Raum geben. Heute des Hauses. Die 48-Jährige beschäftigt sich unter anderem mit der muss man sich diese Zeit bewusst nehmen. Der amerikanische medialen Durchdringung des urbanen Raums. Künstler Mark Shepard hat eine App entwickelt, die dem Zufall 10
92 % Das steckt in unserem Smartphone Über 60 verschiedene Rohstoffe aus der ganzen Welt braucht es für ein einziges Handy. Damit sind seltene Erden und exotische Metalle unsere ständigen Begleiter. Ein Überblick. Texte Janine Kopp; Zeichnungen Mart Meyer wieder eine Chance gibt. GPS-Dienste wollen die Leute normaler- weise auf einfachstem Weg von A nach B bringen. Mit Shepards Serendipitor-App wird man nach dem Zufallsprinzip und über Um- wege losgeschickt, hat unterwegs Aufgaben zu lösen, zum Beispiel ein Foto von einer Brücke zu machen oder Leute anzusprechen. So wird man wieder zum Flaneur. Seine App ist ein ironischer Kommentar. Der Look: Handy-Gehäuse Die äussere Hülle eines Smartphones besteht grösstenteils aus Kunststoff, Glas, Keramik und Aluminium. Letzteres Und das macht sie zu Kunst? ist eines der häufigsten Metalle in der Erdkruste. Das Leicht- metall sorgt für das geringe Gewicht des Handys, macht es Kunst denkt quer und hinterfragt: Was bedeutet das eigentlich, was robust und verleiht ihm einen edlen Look. wir da tun? Was sind die Chancen, die Ambivalenzen, was die Ge- fahren von mobilen Technologien? Durch ironische Kommentare kann Kunst diese Ambivalenzen ins Bewusstsein rücken. Ein ande- res Beispiel dafür ist eine Augmented-Reality-App eines bulgari- schen Künstlers. Hintergrund: Kunst im öffentlichen Raum wird oft kontrovers diskutiert. Aktuellstes Beispiel ist der Zürcher Hafenkran – manche finden ihn toll, andere ganz schrecklich. Über die App kann man ein Monument in einen urbanen Raum verpflanzen. Als müssten wir also gar nicht mehr physisch bauen; wer will, für den ist es, auf dem Handy-Display, da, und für den anderen eben nicht. Viele andere künstlerische Projekte sind Reflexionen darauf, dass wir immer getrackt, also örtlich aufgespürt werden können. Die Mehrheit der Menschen scheint die Überwachung nicht wirklich zu beunruhigen. Die Menschen profitieren von den Tracking-Technologien auf ihren Mobilgeräten, dadurch wurde die Überwachung schrittweise sym- pathisch gemacht. Datenströme können im gesellschaftlich konst- ruktiven Sinn benutzt werden. Stichwort Smart-City, wo die techni- sche Infrastruktur einer Stadt auf das Verhalten ihrer Bürger re- agiert. Um den Verkehr besser zu lenken, zum Beispiel. Der Mensch nutzt also die Erleichterungen und nimmt die Kehrseite – die Kon- trolle – offenbar in Kauf. Wenn ich aber mitkriege, dass Angela Merkels Handy abgehört wird, ist das beängstigend. Die Kunst wird da immer ihren Finger draufhalten. 11
89 % Die neue Echtzeit-Sprache Die neuen smarten Möglichkeiten der Fotografie lassen uns durch Bilder sprechen. Und da wir das sehr schnell tun, verplappern wir uns dabei gerne mal. Von Susanne Gmür In Grossbritannien schiesst ein Smartphone-Nutzer gemäss einer hand gefertigte Porträt. Charles Baudelaire regte sich schon 1859 Umfrage im Schnitt ein bis zwei Bilder pro Tag. Hochgerechnet mächtig auf über die neue Industrie: «Von diesem Moment an auf die weltweit 1,43 Milliarden Smartphone-Nutzer ergäbe das war es das einzige Bestreben dieser unsauberen Gesellschaft, wie 2,15 Milliarden Bilder täglich. Wollte man eine einzige solche Ta- ein einziger Narziss ihr triviales Bild auf der Metallplatte zu be- gesproduktion sichten und würde pro Bild eine Sekunde aufwen- trachten.» Wieder andere wenden jedoch ein, dass es bei den Sel- den, dauerte das ein Menschenleben lang, nämlich 68 Jahre. So fies vor allem um soziale Anerkennung gehe. Die hat Narziss viel ist seit der Erfindung von Daguerre um 1840 zweifellos noch bekanntlich nicht nötig, er ist sich ja selbst genug. Selfies werden nie fotografiert worden. Wobei man sich über die Menge an foto- meist für den eigenen Freundeskreis gemacht, die «Selbstablich- grafischen Bildern schon früh unterhalten hat: Im Jahr 1905 – 17 ter» fallen also nicht auf ihr eigenes Spiegelbild herein, sondern Jahre, nachdem Kodak die erste in grösserem Stil industriell ge- wollen sich von anderen gespiegelt kriegen. Und ein solcher Aus- fertigte Rollfilmkamera auf den Markt gebracht hatte, und lange tausch zwischen dem Ich und dem Anderen begründet gerade bevor sich in den 1960er-Jahren die weitgehend automatisierte Sozialität. Kleinbildkamera rasant verbreitete – vermerkte der Philosoph George Santayana: «Fotografien füllen unsere Räume, Läden und Du bist die Kamera, und die Kamera ist du Zeitschriften.» Er bewertete das durchaus positiv: «Sie […] geben Die Selfies werden es wie annähernd alle Smartphone-Fotos eine lebendige Vorstellung von dem, was überall in der Welt an kaum je in ein Fotoalbum schaffen – das ist praktisch tot. Sie lan- interessanten Szenen abläuft. Und die Reisenden führen nun ein den dafür mit einiger Wahrscheinlichkeit auf einem Kanal der doppeltes Sensorium mit sich, ein doppeltes Gedächtnis, das eine Social Media, zum Beispiel auf Facebook, wo sie im News-Feed in ihren Köpfen, das andere in einem kleinen Kasten, der über mehr oder weniger Likes finden, bevor sie in der Timeline runter- ihrer Schulter hängt.» rutschen, in die Zone des nicht Aktuellen, des längst schon durch Aber erst seit 2005, als erstmals Digitalkameras in Mobilte- neue Bilder Ersetzten. Sie werden im unendlichen Speicher lefone eingebaut wurden, hat man einen abermals kleineren höchstens mal wieder für neue «Freunde», mögliche Arbeitgeber «Kasten» ständig und nicht mehr nur auf Reisen griffbereit: beim oder Geheimdienste interessant. Lobte Santayana 1905 die Foto- Essen, bei der Arbeit, beim Joggen, auf dem Spielplatz, beim grafie noch als kollektives Gedächtnis mit unbegrenztem Spei- Shoppen, am Konzert, in der Bar, im Schlafzimmer. Fast alles cherraum, sieht man heute gerade in der massenhaften Verbrei- gibt Anlass zu einem Bild, am häufigsten wird jedoch das eigene tung und Speicherung privater Daten die grösste Problematik. Gesicht fotografiert. 30 Prozent der Smartphone-Fotos von 18- bis Die Fotografie, um Santayanas Optimismus nochmals etwas 24-jährigen Briten sind Selbstporträts, sogenannte Selfies. Man- zu drosseln, ergänzt auch nicht unbedingt die Erinnerungskapa- che sprechen begeistert von einem neuen Bildgenre, andere von zität unseres unvollkommenen Gehirns, sondern ersetzt sie mit- unerträglich gesteigertem Narzissmus – eine Kritik, die allerdings unter vollständig. Es braucht Zeit, sich einen bleibenden Eindruck so alt ist wie die Fototechnik und mit ihr das nicht von Künstler- von der Architektur einer Stadt zu verschaffen oder sich ein Ge- 12
87 % Der Energiespeicher: Handy-Akku Lithium, Grafit und Silizium sorgen für die elektrische Span- nung und Energiespeicherung im Lithium-Ionen-Akku. Kobalt macht den Akku zudem hitzebeständig. Dieses wird aus uranhal- tigem Kobalterz gewonnen, das aufgrund seiner Radioaktivität problematisch ist. Im Kongo oder in Sambia hinterlässt der Abbau verseuchte Böden und verschmutztes Trinkwasser. sicht einzuprägen. Und es ist anstrengend, solche Erfahrung ohne Hilfe von Bildern weiterzuerzählen. Oft ist es deshalb nur noch das Bild im Smartphone, das diese Erfahrung überhaupt gespei- chert hat. Wenngleich Minolta schon 1967 mit dem Slogan «Dann sind Sie die Kamera, und die Kamera ist Sie» warb – heute steckt darin mehr Wahrheit als damals, zur Zeit des 35-mm- Films. Schau, ich grilliere Das schnelle Bild kommt dem beschleunigten Leben entgegen, es ist Ausdruck davon und sein ideales Instrument. Hatte sogar Twitter 2006 noch ganz dem Text gehuldigt, baute das Unterneh- men 2011 die Bildfunktion ein und inzwischen versteht man vie- le Tweets gar nicht mehr, ohne das Bild anzuschauen. Vorteil des Bildes: Es speichert und zeigt Informationen synchron und wirkt unmittelbarer als ein Text, der uns die Dinge der Reihe nach er- zählt. Das ist zugleich aber auch der grösste Nachteil des Bildes. Zumindest solange Bildkompetenz in der Bildung nicht die glei- Der Stromfluss: Kondensatoren che Aufmerksamkeit erhält wie Sprachkompetenz, ist zu fragen, Kondensatoren speichern elektrische La- wie viel die Kommunikation durch Bilder zu einem komplexen dung. Dazu wird das dunkle Halbmetall Tantal pulverisiert. Bereits in kleinsten und differenzierten Weltverständnis tatsächlich beitragen kann. Mengen kann so auf engem Raum sehr viel Dass es in diesem Bereich ausserhalb der Kunst keine nennens- Energie fliessen. Tantal wird aus dem sel- tenen Coltan gewonnen – ein Stoff, der in werten Entwicklungen gibt, erfährt nicht zuletzt, wer die Tages- rund 25 Jahren aufgebraucht sein wird. schau ohne Ton ansieht. Man begreift dann nämlich wenig bis Rebellen im Ostkongo führen deshalb Krieg um die Minen und finanzieren durch gar nichts. den Abbau ihre Waffen. Die Folgen: Wenn nun die Bilder praktisch ohne Zeitverzögerung via Zwangs- sowie Kinderarbeit, zerstörte Dörfer und Vergewaltigungen. Zudem wer- Social Media verbreitet werden, ist auch Roland Barthes Diktum fen Hilfswerke Konzernen wie Glencore von 1980 zu relativieren. Er konnte noch festhalten, ein Foto vor, auf Kosten der dortigen Bevölkerung sage: «Es ist so gewesen.» Nun sagt es immer öfters: «Es ist so.» Rohstoffe zu gewinnen. Nicht: ich stand, sondern ich stehe auf der Piazza in Santa Mar gherita und esse Eis, ich bin am Grillieren, ich feiere mit Freun- 13
80 % den. Fotos werden nicht mehr in erster Linie gemacht, damit Wer will behaupten, dass Obama nachdachte, bevor er von sich, man sich später erinnern kann an die schönen alten Zeiten, son- dem britischen Premierminister und der dänischen Premiermi- dern vielmehr, um unmittelbar mitzuteilen, was man gerade tut, nisterin während der Trauerfeier zum Tod Nelson Mandelas la- wo man gerade ist. Wir sprechen in Bildern, und das in Echtzeit. chend ein Gruppen-Selfie machte? Weiterer Nachteil des Bildes: Es lässt kaum Raum für Missverständnisse und deren Korrektur. Hemmungslos schnell Es zeigt, was es zeigt. Dabei ist die Technik dermassen schnell, simpel und «intuitiv» Die Fotografie wächst mit dem Smartphone gewissermassen zu bedienen, dass zwischen der Absicht, ein Foto zu schiessen, über sich hinaus. Seit jeher ist sie zwar das Medium des Mo- es tatsächlich zu tun und das Bild sogleich zu veröffentlichen nur ments, des Augenblicks, des Flüchtigen, das es zu verewigen im- ein paar Klicks und Sekunden notwendig sind – zu wenige, um stande ist. War es aber lange nur das resultierende Bild, das dies es sich vielleicht anders zu überlegen und sich nicht mit einem zum Ausdruck brachte, ist nun das Fotografieren selbst augen- «Drelfie» (Drunken Selfie) oder «Belfie» (Bild seines Hinterteils) blicklich geworden. Es mag die schöpferischen Möglichkeiten be- zu blamieren. Rasch schiebt sich das Smartphone zwischen die reichern, wenn man in Echtzeit nicht nur durch Worte, sondern Sinne und die Welt, rasch ist die Kamera zum Schiessen bereit, auch durch Bilder sprechen kann. So impulsiv jedoch die Bilder rasch ist das Bild in die Kommunikation eingebunden. Man eig- geschossen werden, so rasch werden sie betrachtet und wieder net sich an, so einfach, so schnell, so spontan, so hemmungslos vergessen. Zeit für Bilder hat man eigentlich keine mehr – auch wie die Technik zu sein, dem Impuls zu folgen, jetzt und hier. weil man immer mehr damit beschäftigt ist, welche zu machen. ANZEIGEN 2.- 4. M I 2014 T NZT ÜBER LL ! Foto: federal studio Baden | Belfort | Bern | Carouge | Fribourg | Genève | La Chaux-de-Fonds | Lausanne | Luzern | Lugano | Meyrin Kommunikation und Grafik: trivialmass.com Neuchâtel | Poschiavo | Saignelégier | St. Gallen | Tavannes | Vernier | Vevey | Yverdon-les-Bains | Zug | Zürich Aufnahmeort: La Ferme Bieri 13063-FDD14-Affiches_F4_DE.indd 1 12.02.14 12:19 14
78 % Kunst um Sarnen per GPS aufspüren Mit dem Smartphone in der Hand auf Wanderschaft gehen und dabei künstlerische Entdeckungen machen – die «Wandersammlungen» zweier Künstlerinnen machen dies rund um Sarnen möglich. Von Mario Stübi Wer derzeit eine Wanderung in Obwalden plant, sollte sein Smartphone oder Tablet besser frisch aufgeladen mitnehmen, denn dort kann man auf Wanderwegen nicht nur Natur genies sen, sondern auf digitalen Pfaden auch Kunst entdecken. Dies dank Ilona Mosimann (25) und Vera Leisibach (27). Die beiden Luzernerinnen haben vergangenen Sommer ihren Master in Kunst an der Hochschule Luzern abgeschlossen und hierfür rund um Sarnen eine Sammlung an Objekten dokumentiert und künstlerisch verarbeitet. Dort drüben am Wegrand, hier an der Hauswand, am Zaun, Steinernes, Organisches – rund 90 Objekte haben die beiden Künstlerinnen in und um Sarnen gezeichnet, mit Worten be- schrieben, mit der Mikroskopkamera gefilmt oder durch ein Ka- leidoskop fotografiert und anschliessend mittels GPS-Daten loka- lisiert. Diese Koordinaten dienen nun den Wandernden als Pos- Vera Leisibach und Ilona Mosimann auf Sammeltour. Bild: zvg ten, die sie ansteuern können. Eine Art Schnitzeljagd, aber ohne feste Route, sondern nach (Wander-)Lust der Entdecker mit dem Touchscreen in der Hand. und Objekt fällt durchschnittlich 10 MB mobiler Datenverkehr Entdecken, mit aufmerksamem Auge durch die Landschaft an. Sollte innerhalb des Wandergrüppchens niemand über einen gehen, war auch das Vorgehen der Studentinnen. «Sobald wir et- Unlimited-Vertrag verfügen, kann es von Vorteil sein, bei der Er- was Spannendes sahen, hielten wir an. Kleine, oft winzige Ge- kundung der Kunstfundstücke die Smartphones abzuwechseln. genstände bestimmten zufällig, wo wir Pause machten und einen Fundort genauer untersuchten», erinnert sich Ilona Mosimann. Infos: www.wandersammlungen.ch Die Idee, die künstlerische Verarbeitung auf einer digitalen Ebene Video einer geführten Wanderung durch Sarnen: weiterzuführen, kam dem Duo aber erst während der Umset- zung. Mosimann: «Wir haben uns überlegt, wie wir diese Ein- drücke den Menschen vermitteln könnten. In Bildern ist dies schliesslich nur bedingt fassbar. Hinzu kam irgendwann die Ab- http://vimeo.com/69239045 sicht, dass wir die Leute vor Ort haben wollten, draussen in der Natur.» Und so entschieden sich die beiden, eine online verfüg- bare Aufbereitung für mobile Endgeräte bereitzustellen. Schliess- lich besitzt inzwischen ein Grossteil der Bevölkerung ein Smart- phone oder ein GPS-fähiges Tablet. Selbst «wandersammeln» Auf der Wandersammlungen-Website werden das Projekt und Am SA 3. Mai bietet Ilona Mosimann eine Wanderung zum Tribschen- die technischen Voraussetzungen verständlich erklärt, es über- horn-Pavillon an. Die Teilnehmenden können unterwegs der Künstlerin kommt einen die Neugier, selber von Punkt zu Punkt zu spazie- beim Suchen und Filmen von Kleinstobjekten helfen und an den Fundorten ren und herauszufinden, ob man das entsprechende Objekt loka- ihre eigenen Beobachtungen durch schreiben, zeichnen und fotografie- lisieren kann bzw. was sich dort befindet. Neben bequemem ren festhalten. Am Ziel wartet schliesslich eine Ausstellung von Moritz Hossli und Tatjana Erpen (www.tribschenhorn.ch). Treffpunkt für inte Schuhwerk und energiereichem Proviant im Rucksack kommt ressierte Wanderinnen und Wanderer ist um 15.30 Uhr bei der Bushal- hier ein weiterer Bestandteil zur Wanderausrüstung hinzu: ein testelle Horw, Stutz (Bus Nr. 21). voller Akku und genug Datenvolumen im Natelabo – pro Station 15
73 % «Jetzt zählt das Analoge» Kunst und Design nehmen im digitalen Zeitalter neue Funktionen ein, sagt Gabriela Christen, Direktorin der Hochschule Luzern – Design & Kunst. Ein Gespräch über das Revival des Analogen, Kunststudierende von heute und den Anbruch des postdigitalen Zeitalters. Von Martina Kammermann Die letztjährige Werkschau der «Kunsti» stand im Zeichen des «Postdigitalen». Aber die Digitalisierung ist doch noch in vollem Gange! Gabriela Christen: Ja, wir leben in einer stark digitalisierten Welt, die uns lange sehr faszinierte. Aber das Interesse geht zurück. Wir sind an einem Punkt, an dem wir unsere Geräte, unsere Interfaces zum Digitalen kennen. Sie verändern sich nur noch wenig, das iPhone 5 zum Beispiel unterschied sich kaum von seinem Vorgän- ger. Die Schnittstellen zwischen Analogem und Digitalem sind da – jetzt gilt es, die beiden Bereiche zu verbinden. Mit einem 3-D-Drucker ist das eigentlich gar nicht so schwer. Das stimmt. Mit durchschnittlichen Kenntnissen kann jeder ein Spielzeug designen und ausdrucken, aber es ist dann einfach braun oder schwarz, und meistens hässlich. Die Herausforderung der 3-D- Techniken ist, nun Qualität reinzubringen, und dazu braucht es ein Wissen um das analoge Herstellen, das Haptische. Deshalb spreche ich vom postdigitalen Zeitalter. Da nehmen Kunst und Design heute «Da ist eine neue Sehnsucht nach dem Material»: ganz neue Funktionen ein. Gabriela Christen, Direktorin der HSLU – D&K. Bild: Gianni Paravicini Welche? Es geht darum, das Material, das Taktile wieder sichtbar zu machen und das Wissen darüber zu sichern. Wir als Kunsthochschule neh- An Ihrer Schule studieren die ersten Digital Natives. Haben men diese Aufgabe wahr, indem wir Holz- und Metallwerkstätten diese mehr Mühe, mit Material umzugehen? bewirtschaften und Materialarchive aufbauen. Auch die Rolle des Nein, im Gegenteil. Das Interesse an Materialien und ihrem Wider- Museums verändert sich: Es ist ein Ort, wo man hingehen muss und stand ist sehr gross – gerade bei den Digital Natives. Sie wollen wis- Dinge bewusst ansieht. So schaffen Kunst und Design einen Zugang sen, wie man das – auch traditionell – gemacht hat und streben so zu Sinnlichkeit. eine ganzheitliche Gestaltung an. Braucht es heute nicht eher Studiengänge für digitale Das heisst, sie wollen wieder zurück ins Früher? Medien? Nein, das führt überhaupt nicht in die Nostalgie. Es geht um die In den 90ern hat man an der Zürcher Hochschule der Künste eine Erfahrung: Das analoge Arbeiten gibt dreckige Hände, es braucht Studienrichtung «Neue Medien» aufgebaut – heute löst sich dieser Zeit, man muss sich organisieren, man muss auch mal warten, bis aber bereits wieder auf. Die digitalen Medien gehören zu jedem un- etwas trocken ist. Oder die Maschinen: Du darfst eine Maschine serer Studiengänge dazu, sie sind Voraussetzung. In Luzern hat man nicht benutzen, wenn du die Einführung nicht gemacht hast. Mit diesen Zwischenschritt sozusagen verschlafen und die Tradition der dem iPhone darf jeder alles machen. Werkstätten hochgehalten. Eine Zeit lang sah das altmodisch aus, aber jetzt ist es das, was alle wollen. Basel und Bern versuchen jetzt Im Alltag sind wir aber sehr an unsere Smartphones gebun- auch solche Arbeitsplätze aufzubauen. Im Übrigen spürt man diese den, im Bus glotzen alle nur in ihre Bildschirme. Sehnsucht nach dem Analogen momentan ja überall: Alle machen Ja, viele Leute verbringen extrem viel Zeit im Digitalen. Da frage Urban Gardening oder stricken. ich mich schon, wie man eigentlich noch zu einer dichten körper- 16
69 % lich-materiellen Existenz kommt. Ich staune, wie die Jungen sich orientieren können. Es ist ja fraglich, wie gut sie das wirklich können. Depressio- nen und Burn-outs häufen sich bei jungen Leuten bekannt- lich. Spüren Sie das seitens Ihrer Studierenden? Eigentlich nicht. Aber das liegt vielleicht eben genau an unserem Angebot. Ein Teil des Unterrichts findet direkt in den Werkstätten statt und wir arbeiten sehr dialogisch. Die Studierenden lernen, Der Bildschirm: Display und Touchscreen mit Leuten in einem Raum zusammenzuarbeiten und zu kommu- Smartphone-Displays leuchten aufgrund von Metallen von seltenen Erden. Gadolinium und Terbium etwa sorgen für den grünen, Europium für den nizieren. roten Leuchtstoff. Dank dem silberweissen Schwermetall Indium können wir mit dem Finger über den Touchscreen streichen und navigieren. Die EU Das klingt ein wenig, als wären die Werkstätten Therapie- hat das Metall wegen seiner Knappheit auf die Liste der «kritischen Stoffe» gesetzt. Die fast ausschliesslich in China (v. a. in der Mongolei) abgebauten plätze gegen das moderne Leben. seltenen Erden machen die Bauteile für Handys kleiner und effizienter. Sie Ja, vielleicht schon (lacht). Man lernt dort jedenfalls Dinge, die im können aber nur mit aufwendigen chemischen Verfahren aus den Mineralien herausgelöst werden. Ihre Nachfrage steigt ständig, sodass seltene Erden digitalen Arbeiten ganz anders funktionieren. Es ist nicht alles so- als das «Öl der Zukunft» gelten. fort da, es ist nicht so «instant». Und es gibt auch eine Kultur des Scheiterns in diesem Analogen. Man kann einen Arbeitsschritt nicht einfach löschen oder escapen. Ihre Studierenden bewegen sich täglich im Bilderrausch. Ist es für sie heute schwieriger, eine eigene künstlerische Sprache zu finden? Ich denke nicht, dass der Bilderrausch das Problem ist. Eine grössere Herausforderung ist die Welt, in der alles ökonomisiert ist. Hier ist man als Künstlerin oder Designer mit einer veränderten Realität konfrontiert. Es ist schwieriger geworden, den Wert eines individu- ell gestalteten Objekts zu vermitteln. Dort geraten auch die Ausbil- dungen stark unter Druck. Wir müssen lernen zu zeigen, warum es Leute braucht, die sich mit dem Einzelnen auseinandersetzen. Handwerker gibt es ja heute kaum mehr. Nehmen nun die Künstler ihren Platz ein und sind sowas wie die neuen Hand- werker? Nein, das würde ich so nicht sagen. Designerinnen und Künstler sind Spezialisten für das nachhaltige Leben, in allen Belangen. Das wird jetzt, in der Dienstleistungsgesellschaft, einfach akuter. Magazinreihe der HSLU – D&K Der Kreislauf: Leiterplatte oder Platine Verschiedene Texte zum Spannungsfeld zwischen Virtuellem und Hand- Die unzähligen elektronischen Bauteile im Handy sind auf einer Leiterplatte montiert, die meist mit Kupfer überzogen ist. Die werk finden sich im Magazin «No. 3» der Hochschule Luzern – Design & grössten Kupferminen liegen in Chile. Der durch den Abbau Kunst. In der Magazinreihe setzen sich jeweils verschiedene Autoren aus entstehende Feinstaub führt zu gesundheitlichen Risiken der Kunst und Wissenschaft mit Themen auseinander, die für die Hochschule Minenarbeiter. Über ein Dutzend weitere Metalle befinden sich auf der Leiterplatte, darunter auch Silber und Platin. besonders prägend und wichtig sind. Diesen Monat erscheint das Magazin «No. 4», das Einblick in die 100-jährige Tradition und die aktuelle Bedeu- tung des Luzerner Textildesigns gibt. Zusätzlich zur Publikation findet in der Kunsthalle die Ausstellung «Made by …» zur Textildesignausbildung statt. Gezeigt werden Arbeiten, Projekte und Entwürfe von Studenten und Absol- ventinnen sowie aktuelle Forschungsarbeiten. Auch findet ein Designsemi- nar zum Thema statt. (mak) Ausstellung: Made by …, FR 2. bis SA 31. Mai, Kunsthalle Luzern. Ausstellungs- und Buchvernissage: DO 1. Mai, 19.30 Uhr, Bourbaki Luzern Designseminar: MI 7. Mai, 14–19.30 Uhr, Bourbaki Luzern. Der Eintritt ist frei. Infos und Anmeldung unter www.hslu.ch/designseminar 17
63 % Alles halb so wild Beziehungskiller! Süchtigmacher! Und eh alles nur Geldmacherei! Wenn es um Smartphone-Games geht, droht schnell mal die Moralkeule. Dabei geht es nur um eines: das menschliche Grundbedürfnis der Selbstbelohnung. Von Heinrich Weingartner Man kennt sie aus VBL-Bussen oder entdeckt sie im überfüllten Aber das ständige Gamen – ist das nicht gefährlich und asozi- Bahnhof. Gesenkter Kopf, leerer Blick, verkrampfte Haltung. al? Marc Bodmer winkt ab. «Das ist primär tote Zeit, die mit Nein, die Rede ist nicht von lokalen Obdachlosen. Sondern von Spass gefüllt wird. Smartphone-Spiele sind so konzipiert, dass sie Smartphone-Game-Junkies. Ob «Flappy Bird», «Quizduell», Häppchen bieten und ideal für den schnellen Unterbruch unter- «Candy Crush Saga» oder «Clash of Clans», das Menschenmodell wegs sind. Mit Sucht hat das nichts zu tun.» Es passt vielmehr zu bleibt dasselbe: Man kann nicht mehr mit ihnen kommunizieren unserem Gesellschaftsmodell. Und das an sich ist noch nichts und ihre Bewegungen beschränken sich auf irrsinniges Hin- und Negatives. Herwischen der Finger. Das gibt doch zu denken. Gibt es ein Rezept für solche unwiderstehlichen Gratis-Spiele? Gratis und doch nicht gratis Nehmen wir «Candy Crush Saga» des schwedischen Spieleent- So weit, so süss. Beinahe 100 Millionen Menschen spielen welt- wicklers King Digital Entertainment: Man lässt in knallbunter weit jeden Tag «Candy Crush Saga». Was 2013 dafür sorgte, dass Umgebung virtuelles Naschwerk zerplatzen, indem man gleich- es zum umsatzstärksten Spiel auf iPhone, iPad und Konsorten farbige Süssigkeiten aneinanderreiht. Das an Tetris erinnernde wurde. Der Börsengang folgte kürzlich. Es ist bei Smartphone- Spielprinzip ist so simpel wie genial – oder sagen wir mal, genial Spielen immer in etwa dasselbe: Kleines Start-up-Unternehmen abgestimmt auf unsere Bedürfnisse. «Plopp, Plopp, Doppelplopp, (meist skandinavisch) erfindet einfaches, bis zu einem gewissen Dreifachplopp». Eine überwarme Morgan-Freeman-Stimme ruft: Grad süchtig machendes Spiel, hat einen Riesenerfolg und geht an «Sweeeeet!» – noch ein paar Plopps mehr – «Sugar Crush!». Yes, die Börse. Bis der Umsatzanstieg abnimmt. Einen Monat später wieder geschafft. Gleich nochmal. folgt dann das nächste Spiel eines anderen Herstellers. Laut dem Videogame-Experten Marc Bodmer eine völlig nor- Doch wo kommt das ganze Geld her, wenn doch die meisten male Reaktion: «Der Spieler oder die Spielerin bewegt den Finger, Spiele gratis sind? Entweder durch gezielt platzierte Werbung, die vollführt einen Input und erhält sofort etwas zurück.» Kleine man – wiederum für Geld – ausschalten kann, oder mittels In- Erfolgserlebnisse in Form von richtigen Antworten oder zerplat- App-Käufen. Bei «Candy Crush Saga» beispielsweise kann ich zenden Süssigkeiten. Feedback nennt man das. Und da diese Do- mir die Wartezeit bis zum nächsten Spiel wegkaufen. Für ein paar pamin-Schübe im beruflichen Alltag halt nicht immer gegeben Rappen. Freemium nennt man dieses Geschäftsmodell. Oder sind, holt man sie sich im Zug oder zu Hause bei einer Runde von Free-to-Play (F2P), in der Spielindustrie. Wer darauf kommt, stellt diesem oder jenem Game. Ein gewisser Eskapismus gehört da na- auf seinem Gerät einfach die Uhr vor (Ja, das funktioniert!). türlich schon dazu. Aber vielleicht sind dann nicht die Spiele das Nicht so 1,5 Prozent der Spieler. Die sind nämlich für knapp Problem. die Hälfte der In-App-Umsätze verantwortlich, wie eine Untersu- 18
60 % chung des In-App-Vermarkters Swrve ergeben hat. Grosse Fische, die auch mal 50 oder 100 Dollar pro Tag ausgeben. Und was ist mit dem Rest? Wie schützen wir uns vor der Suchtmaschinerie? «Nach einer ungesunden Anzahl an Dopamin-Kicks sehnen sich nur diejenigen, die auch sonst eher unglücklich sind mit ihrem Leben», sagte Suchtmediziner Kurosh Yazdi im Juni 2013 im In- terview mit der Süddeutschen Zeitung. Auch die etwas zu einfa- che Idee der bösen Industrie, die uns alle süchtig machen und dann das Geld aus der Tasche ziehen will, verwirft er: «Firmen wollen uns nicht süchtig machen, sie wollen möglichst viel ver- Der Sound: Lautsprecher, Mikro und Vibra kaufen, sie sind ja nicht die Caritas. Dabei ist es ihnen aber egal, Ruft uns jemand an, lösen Magnete aus Neodym den Vibrationsa- ob wir süchtig werden. Wo es um viel Geld geht, entsteht Skru- larm aus. Dieses Schwermetall ist auch Bestandteil des Mikrofons. Für die Mikrofonmembranen wird zudem Nickel verwendet. pellosigkeit.» Grösster Nickel-Lieferant ist Russland. Doch der Abbau ist wegen der hohen Emissionen umstritten. Sichtbar werden diese im Win- ter: Der Schnee ist nicht mehr weiss, sondern verfärbt sich gelb. klar will ich Juwelen! Und das ist auch der Punkt, an dem es gefährlich wird. Diese Skrupellosigkeit macht nämlich vor Kindern und Jugendlichen nicht halt. In «Clash of Clans», gerade der Oberhype unter Jun- gen und Junggebliebenen, sammelt man Ressourcen, baut sich damit seine Festung und greift andere Burgen an, um an neue Ressourcen zu gelangen. Und redet am nächsten Tag darüber, was man gerade gebaut oder zerstört hat. Für Marc Bodmer ist das erstmal nicht weiter problematisch: «Es ist wichtig für eine junge Generation, dass sie etwas Verbindendes hat, worüber sie sich unterhalten kann, und ‹Clash of Clans› ist dafür perfekt ge- macht.» Nur bezüglich des Finanzierungsmodells, das sich mit den F2P-Games durchgesetzt hat, ist Bodmer sehr skeptisch: «Eigent- lich sollte es Pay-2-Win heissen. Wenn mich ein Pop-up fragt, ob ich für bares Geld noch einen Sack Juwelen kaufen will, um mir noch bessere Ressourcen zu ermöglichen, statt eine Woche zu warten, dann sagt jedes Kind: Ja, klar will ich! Ihre Entschei- dungsfähigkeit ist noch nicht so ausgeprägt». Aber seien wir ehr- lich: Man drückt seinen Sprösslingen auch nicht ohne vorherige Das Hirn: SIM-Karte Instruktionen und gesperrten In-App-Kaufmöglichkeiten so ei- Gold leitet gut und ist sehr korrosionsbeständig, d. h. es nen kleinen Alleskönner in die Hand. lässt sich nicht leicht zerstören. Deshalb wird Blattgold für SIM-Karten eingesetzt. Rund 0,03 Gramm Gold befinden Bodmer hingegen setzt sich viel mehr dafür ein, auch den sich in jedem Handy. Dieses stammt aus südafrikanischen künstlerischen Wert solcher Spiele nicht aus den Augen zu verlie- Goldminen, die immer wieder durch illegale Schürfungen und verschüttete Minenarbeiter für Schlagzeilen sorgen. ren. Und gibt gleich noch einen Tipp auf den Weg: «Monument Valley, das müssen Sie sich unbedingt anschauen, die Welten sind da unglaublich grandios gemacht und In-App-Käufe gibt es auch keine.» Sehr gerne. P.S.: Gleich wie «Candy Crush Saga» funktioniert die App «Placescore». Man spielt dabei aber um reale Orte und Lokale sei- ner Umgebung, z. B. den Südpol oder das Kleintheater: Quellen: Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt), EvB (Erklärung von www.placescoreapp.com Bern, NGO), Fairphone (ein Handy aus Rohstoffen, die nicht aus Konfliktregionen stammen). 19
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