Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick

 
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Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick
die millenniumsent wicklungs-
z i e l e u n d d e r k l i m awa n d e l:
                  bilanz und ausblick

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Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick
Inhalt
    Zusammenfassung                                                                                                             3

    1. Einleitung: Wo stehen wir im politischen Prozess?                                                                        6
      2010 – Zeit für einen Rückblick                                                                                           6
      Die MDG-Agenda                                                                                                            6
      Die Klimaagenda                                                                                                           6

    2. Zusammen denken: MDG und Klima                                                                                           9
      Auswirkungen des Klimawandels auf die MDG                                                                                 9
      Minderung, Anpassung und die MDG                                                                                          9
      Nachhaltiges Wachstum oder kein Wachstum?                                                                                12
      Energiearmut und Klimaschutz                                                                                             13
      Synergien zwischen MDG & Anpassung und Klimaschutz                                                                       14

    3. In Richtung eines gemeinsamen Politikverständnisses                                                                     18
      Eine neue Form der Zusammenarbeit                                                                                        18
      MDG, Emissionsminderung und Anpassung: Integrierte Planungs- und Politikprozesse                                         21
      Zwei Investitionspakete für die Zukunft                                                                                  22
      Konkurrenz um gleiches Geld: Umleitung der ODA?                                                                          23
      Investitionen in die Zukunft: Neue Finanzierungsquellen                                                                  27
      Im Politikprozess: Eine Post-2015-Agenda?                                                                                28

    4. Literatur                                                                                                               30

    Autoren: Sönke Kreft, Sven Harmeling, Christoph Bals,                       Germanwatch – Büro Bonn
    Winfried Zacher, Klemens van de Sand                                        Kaiserstraße 201
                                                                                D-53113 Bonn
    Redaktion: Daniela Baum, Katrin Schilling                                   Tel.: +49 (0) 228 - 60492-0
    Übersetzung: Sönke Kreft                                                    Fax: +49 (0) 228 - 60492-19

    Design:  Dietmar Putscher, Köln                                             Germanwatch – Büro Berlin
    www.dietmar-putscher.de                                                     Schiffbauerdamm 15
    Titelfoto: Atmosfair (Menschen), digitalstock (Dürre)                       D-10117 Berlin
                                                                                Tel.: +49 (0) 30 - 28 88 356-0
    September 2010                                                              Fax: +49 (0) 30 - 28 88 356-1

    Bestellnr.: 10-2-09                                                         E-Mail: info@germanwatch.org
    ISBN: 978-3-939846-66-6                                                     www.germanwatch.org

    Diese Publikation kann im Internet abgerufen werden unter:
    www.germanwatch.org/klima/klimdg10

    Gefördert von                                                Für den Inhalt sind einzig die Autoren verantwortlich.

                                                                 Die Autoren danken den TeilnehmerInnen des Workshops
                                                                 „MDG & Klima – Zu einem gemeinsamen Politikverständnis“
                                                                 für ihre wichtigen Anregungen; besonderer Dank gilt hierbei
                                                                 Imme Scholz, Michael Scholze und Klaus Wardenbach.

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Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick
Zusammenfassung
 1. Das letzte Jahrzehnt kennzeichnete eine pulsieren-
 de Globalisierung, die große Entwicklungsfortschritte
 auslöste. Gleichzeitig zeigten strukturelle Wirtschafts-,
 Ernährungs- und Armutskrisen sowie die Klimakrise vor
 allem in besonders armen Entwicklungsländern und in
­Afrika die Kehrseite des existierenden Wachstumsmo-
dells.
                                                             Klimaresiliente Landwirtschaft als wichtiger Beitrag für Ernährungs-
2. Die Millennium-Entwicklungsziele (Millennium Deve-        sicherung und ländliche Entwicklung. Foto: Gertrud Falk
lopment Goals – MDG) mobilisierten erfolgreich Unter-
stützung und führten zu Errungenschaften im Kampf ge-        7. Nur durch den richtigen politischen und konzeptionel-
gen Hunger, Krankheit und Analphabetentum. Trotzdem          len Rahmen können sich Entwicklungsagenda und Klima­
gibt es eine Umsetzungs- und Finanzierungslücke, um die      agenda gegenseitig stärken. Politische Empfehlungen für
MDG bis zum Jahr 2015 überhaupt erreichen zu können;         diesen Rahmen sind:
politischer Wille ist gefragt, um den Prozess zu beschleu-
nigen. Die Klimaagenda erfuhr einen Paradigmenwechsel        Einen Partnerschaftsansatz ausbauen: Entwicklungs-
beim Klimagipfel 2009 in Kopenhagen. Heute sind Län-         zusammenarbeit funktioniert zumindest konzeptionell
derführerschaften und -koalitionen zu Klimaschutz- und       als Partnerschaft, definiert durch beiderseitige Be-
Anpassungsmaßnahmen ähnlich wichtig wie Verhand-             richtspflicht und Eigenverantwortung der Länder für
lungsfortschritte in den internationalen Verhandlungen.      ihre Entwicklungsprozesse. In der Klimaagenda ist eine
                                                             Partnerschaft auf Augenhöhe noch wichtiger, da we-
3. Die Auswirkungen des Klimawandels gefährden die           der Indus­trie- noch Entwicklungsländer bisher erprobte
Nachhaltigkeit der Erfolge bei den MDG. Gebiete vor-         Konzepte haben, um Emissionsminderung und Anpassung
herrschender Armut decken sich mit denen besonders           zu erreichen.
hoher Vulnerabilität gegenüber dem Klimawandel. Aller-
dings tragen die MDG auch direkt zur Anpassung an den        Von innovativen Institutionen in der MDG- und Klima­
Klimawandel bei, zum einen durch eine geringere Anfäl-       debatte lernen: Beide Agenden haben innovative Insti-
ligkeit gegenüber Auswirkungen des Klimawandels, aber        tutionen hervorgebracht, die einen Partnerschaftsansatz
auch durch erhöhte lokale Anpassungsfähigkeit.               widerspiegeln. Beim „Global Fund to Fight HIV/Aids,
                                                             Tuberculosis and Malaria“ z. B. sind Interessenvertre-
4. Die MDG betrachten ökologische Nachhaltigkeit als         ter betroffener Bevölkerungsgruppen Teil der Entschei-
Unterziel und nicht als Vorbedingung für nachhaltige         dungsstruktur. Der Anpassungsfonds des Kyoto-Pro-
Entwicklung. Außerdem werden die meisten Entwick-            tokolls erlaubt Ländern des Südens erstmals direkten
lungsfortschritte durch ein fossiles Wachstumsmodell         Zugang zu Finanzmitteln, ohne Mittler, und sichert da-
getragen. Deshalb gibt es einen inneren Widerspruch          bei Rechnungsprüfungs- und Treuhänderstandards. Auf
zwischen Entwicklung auf der einen und Klimaschutz auf       Ebene der Nationalstaaten hat Bangladesch einen eige-
der anderen Seite. Um diese Zweiteilung von Entwick-         nen nationalen Klimafonds gegründet, der Klimaschutz
lungs- und Klimaagenda zu überwinden, müssen Maß-            und Anpassung in andere Politikfelder in Bangladesch
nahmen das Emissionswachstum vom Entwicklungsfort-           integriert.
schritt entkoppeln.
                                                             Auf die verletzlichsten Bevölkerungsgruppen fokussie-
5. Energiezugang und -verbrauch ist eine notwendige          ren: Die Architektur für Klima- und Entwicklungsfinanzie-
Vorbedingung der MDG-Erreichung. Die Nutzung klima­          rung sollte sich an den verletzlichsten und marginalisier-
freundlicher Technologien sollte deswegen ein zentraler      ten Bevölkerungsgruppen orientieren. Ein Vorbild ist der
Ansatzpunkt sein, um Emissionswachstum von Entwick-          UN-Anpassungsfonds mit seiner strategischen Ausrich-
lung zu ent­koppeln.                                         tung auf solche Gruppen. Allerdings können viele Arme in
                                                             Staaten mit schlechter Regierungsführung nur schwierig
6. Zwischen den einzelnen MDG sowie Klimaschutz und          durch multilaterale MDG- und Klimafinanzierung erreicht
Anpassung an den Klimawandel gibt es viele Synergien.        werden. Die bilaterale Zusammenarbeit hat Konzepte, um
Projekte und Maßnahmen mit einer doppelten Dividende,        im Kontext fragiler Staatlichkeit zu operieren. Deswegen
etwa eine gegenüber Klimaveränderungen widerstands-          wird bilaterale Unterstützung auch in Zukunft eine wich-
fähige Landwirtschaft, die gleichzeitig die Ernährungs­      tige Rolle für die Arbeit mit besonders marginalisierten
situation verbessert, sollten bevorzugt werden.              Bevölkerungsgruppen spielen. Eine Klimaprüfung aller
                                                             eigenen Maßnahmen ist dafür jedoch eine unerlässliche
                                                             Vorbedingung.

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Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick
Klima und Entwicklung integrieren: Zurzeit werden in             Die MDG nicht gegen die Klimaagenda ausspielen: Die
    vielen Staaten Entwicklungsplanung sowie Klimaschutz             Transformation in Armutsminderung, Anpassung und Kli-
    und Anpassung unabhängig voneinander vorangetrieben.             maschutz braucht öffentliche und private Mittel in der
    Für eine erfolgreiche Umsetzung ist es jedoch wichtig,           Höhe mehrerer Hundert Milliarden USD pro Jahr. Die
    dass z. B. Anpassungsmaßnahmen von den gleichen Ak-              richtigen politischen Rahmenbedingungen müssen ge-
    teuren umgesetzt werden wie Entwicklungsmaßnahmen.               setzt werden, um private Kapitalströme in klimafreund-
    Ebenso muss Anpassung und Klimaschutz in die existie-            liche Entwicklungsmaßnahmen umzuleiten. Dies bein-
    renden Entwicklungs- und Armutsminderungsstrategien              haltet auch hohe Klimaschutz-Ziele der Industrieländer,
    inte­griert werden.                                              damit der Kohlenstoffmarkt zur Transformation über-
                                                                     haupt beitragen kann. Im Gegenzug ermöglicht dies der
    Nationale Ansätze, um Anpassung und Klimaschutz zu               Entwicklungszusammenarbeit, Klimaschutzmaßnahmen
    integrieren: Es gibt verschiedene Ansätze für das Main-          immer auch mit dem Ziel nachhaltiger Entwicklung zu
    streaming von Anpassung und Klimaschutz. Abhängig von            verfolgen. Im Anpassungsbereich sollte ein Konzept der
    der Situation vor Ort können z. B. die Umweltministerien         Zusätzlichkeit in der Bereitstellung der Finanzen ange-
    (normalerweise federführend für Klimapolitik) gestärkt           wendet werden, damit Gelder aus dem Bereich der Ar-
    werden, damit diese ihr Thema bei anderen Ministerien            mutsminderung nicht zur Klimafinanzierung umgeleitet
    besser besetzen können, oder andere Ministerien können           werden.
    direkt durch externe Geldmittel zu einer Integration des
    Klimathemas in ihre Arbeit bewegt werden. Spezielle              Neue innovative Finanzquellen für Entwicklung und Kli-
    Anpassungs- oder Klimawandelstrategien können ebenso             ma einführen: Investitionen in die bevorstehende Trans-
    eine Integration befördern.                                      formation sind angesichts knapper öffentlicher Kassen
                                                                     schwierig. Deswegen ist jetzt politischer Wille gefragt,
    Politischen Willen schaffen: Politisches Kapital für Ent-        um neue, innovative Finanzierungsquellen zu erschließen.
    wicklung, Anpassung und Klimaschutz durch Regierungs-            Viel versprechende Ansätze sind die Versteigerung von
    chefs ist hilfreich, um gemeinsame Planungsprozesse und          Verschmutzungsrechten für die Flug- und Schifffahrts-
    Maßnahmen zu ermöglichen. Länder, die schon heute                industrie oder eine Abgabe auf Finanztransaktionen. Auf
    Anpassung und Klimaschutzpolitik integriert und insti-           nationaler Ebene bieten sich z. B. eine Ticketabgabe auf
    tutionalisiert haben, lassen dies oft durch die Ebene der        Flugreisen und zusätzliche Erlöse aus der Versteigerung
    Regierungschefs koordinieren.                                    von Verschmutzungsrechen an.

    Einen transformativen Diskurs erreichen: Trotz zum Teil          Unmittelbarer Fokus auf erreichbare Bausteine in der
    unterschiedlicher Herausforderungen brauchen sowohl              MDG- und Klimapolitik: In naher Zukunft sollte noch
    die Klimakrise als auch die MDG einen transformativen            nicht auf einen neuen Entwicklungsdiskurs post-2015
    Politikansatz weg vom „weiter so, wie bisher“. Dieses            fokussiert werden, sondern auf Maßnahmen mit schnel-
    Verständnis soll sich auch in nationalen Diskursen über          ler und konkreter Wirkung: Finanzierungszusagen für
    Entwicklung niederschlagen.                                      Entwicklungszusammenarbeit zu erfüllen, neue Finan-
                                                                     zierungsquellen einzuführen und mehr Kohärenz durch
    Maßnahmen im Bereich MDG, Klimaschutz und Anpas-                 einen Umbau der Landwirtschafts-, Fischerei- und Han-
    sung als Investitionen in die Zukunft definieren: Die be-        delspolitik zu fördern, müssen auf der MDG-Agenda ganz
    nötigte Politikantwort kann als zwei Investitionspakete          oben stehen. Die nächste Runde der Klimaverhandlungen
    verstanden werden: Zum einen ein Investitionspaket in            sollte sich um konkrete Maßnahmen für Anpassung, Tech-
    die klimafreundliche Zukunft, bestehend aus politischen          nologietransfer und den Stopp des Regenwaldabbaus
    und finanziellen Investitionen in Erneuerbare Energien,          kümmern.
    Energieeffizienz und Energienetze, zum anderen ein In-
    vestitionspaket für eine klimangepasste Zukunft, beste-          Hin zu einem gemeinsamen Politikverständnis von Klima
    hend aus Maßnahmen, die auch für die MDG relevant sind:          und Entwicklung: Viele Akteure starten schon heute
    Sozio-ökonomische Entwicklung, Zugang zu Nahrung und             Versuche, die Post-2015-Agenda zu besetzen. Nach 2015
    Wasser, Gesundheitsmaßnahmen sowie klimaspezifische              müssen die Themen Entwicklung und Klima zusammen-
    Investitionen etwa in Klimamodelle und -daten oder auch          geführt werden. Dabei geht es jedoch um die richtige
    in Katastrophenvorsorge.                                         Balance zwischen der Breite der Analyse und Themen
                                                                     sowie der konkreten Umsetzbar- aber auch Erklärbarkeit
    Trotz knapper öffentlicher Mittel Zukunftsinvestitio-            hin zu einer Transformation. Der Prozess des Rio+20-
    nen nicht gefährden: Einige Industriestaaten, darunter           Gipfels 2012 eröffnet die Chance, das Rio-Konzept der
    Deutschland, planen ihre Ausgaben für Klimamaßnah­-              Nachhaltigkeit durch konkrete Maßnahmen zu „Grünem
    men und Armutsminderung zu reduzieren, nicht anzu-               Wachstum“ wieder mit Leben zu erfüllen.
    heben. Die Erfüllung vergangener Zusagen als Teil der
    Inves­ti­tionspakete für die Zukunft ist eine Frage des poli­-
    tischen Willens.

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Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick
„Zusammen denken!“
                  Maßnahmen sollten Synergien im
                  Bereich der MDG, Klimaschutz und
                  Anpassung nutzen.

Diversifizierte Landwirtschaft ist eine gute Versicherung gegen Fehlernten
infolge von Wetterextremen und anderen Katastrophen. Foto: RajeshKC

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Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick
1.            Einleitung:
                  Wo stehen wir im politischen Prozess?
    2010 – Zeit für einen Rückblick                                      bietet der Entwicklungsgipfel vom 20. bis 22. September
                                                                         2010 in New York die Chance, die politische und öffent-
    Das Jahr 2010 markiert den Beginn der zweiten Dekade                 liche Unterstützung für eine Beschleunigung des MDG-
    des Jahrtausends. Es eröffnet die Möglichkeit, zurück-               Prozesses zu mobilisieren. Diese Debatte geht auch nach
    zuschauen auf Erfolge und Misserfolge der Menschheit                 dem Gipfel weiter.
    hin zu einer gemeinsamen, würdevollen und nachhalti­-
    gen Zukunft. Diese Rückschau sollte genutzt werden, um
    den Kurs für eine gemeinsame Agenda für Länder und                   Die Klimaagenda
    Menschen zu entwickeln.
                                                                         Der bisherige Höhepunkt der Klimaagenda war der Welt-
    Der Beginn des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends              klimagipfel 2009 in Kopenhagen. Zuvor gab es allerdings
    stellte einen nie gesehenen Aufstieg der Globalisierung              große Paradigmenwechsel. Ursprünglich wurde Klima-
    dar, der mehr Menschen aus der Armut brachte als zuvor,              politik als Synonym für Klimaschutzpolitik verstanden.
    der aber auch die Unterschiede zwischen Arm und Reich                Erst 2007 bei der Klimakonferenz in Bali, standen in
    verstärkte und den Ressourcenverbrauch noch weiter                   den Verhandlungen Diskussionen zur Anpassung an den
    über die Kapazitätsgrenzen der Erde trieb.                           Klimawandel gleichberechtigt neben dem Klimaschutz.
                                                                         Diese Einsicht beruht auf der Tatsache, dass die Auswir-
    Das Ende des letzten Jahrzehnts war gekennzeichnet                   kungen des Klimawandels schon heute viele Länder tref-
    durch einen Zustand der ständigen Krisen: Eine huma-                 fen und nicht mehr vermeidbar sind. Außerdem wurde
    nitäre Krise in den Jahren 2007 und 2008, ausgelöst                  zunehmend klar, dass – anders als bei anderen Umwelt-
    durch steigende Nahrungsmittel- und Energiepreise, eine
    beispiellose Wirtschaftskrise, die Industrie- wie auch
    viele Entwicklungsländer hart getroffen hat und darüber                 Kasten 1:
    schwebend eine Klima- und Umweltkrise, die sich zuneh-                  Die Millenniums-Entwicklungsziele
    mend jedem offenbart.
                                                                            Ziel 1:
                                                                            Bekämpfung von extremer Armut und Hunger
    Die MDG-Agenda
                                                                            Ziel 2:
    Die Millenniums-Entwicklungsziele, als Teil der Millenni-               Primarschulbildung für alle
    ums-Erklärung von Staatschefs aus der ganzen Welt im
    Jahr 2000 angenommen, setzen das Jahr 2015 als Zeit-
                                                                            Ziel 3:
                                                                            Gleichstellung der Geschlechter/Stärkung
    marke, um konkrete Ziele in den Bereichen Armutsminde-
                                                                            der Rolle der Frauen
    rung, Zugang zu Nahrung, Bildung, Gleichberechtigung
    der Geschlechter, Gesundheit sowie ökologischer Nach-                   Ziel 4:
    haltigkeit zu erreichen. Darüber hinaus versprechen sie                 Senkung der Kindersterblichkeit
    eine Neuorientierung der Entwicklungszusammenarbeit.
                                                                            Ziel 5:
    Während es bei manchen Millenniumszielen große Fort-                    Verbesserung der Gesundheitsversorgung
    schritte gab, hinken andere hinterher. Außerdem zeigen                  der Mütter
    sich geografische Unterschiede: Die meisten Erfolge wei-
    sen Asien und Südamerika auf, während Subsahara-Afrika                  Ziel 6:
    weiterhin unterdurchschnittlich abschneidet.1 Die MDG                   Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und
    und der sie begleitende Diskurs sorgten für mehr Auf-                   anderen schweren Krankheiten
    merksamkeit für die Entwicklungszusammenarbeit und
                                                                            Ziel 7:
    führten zu einer maßvollen Aufstockung der Entwick-
                                                                            Ökologische Nachhaltigkeit
    lungsbudgets. Nichtsdestotrotz gibt es noch erhebliche
    Abstimmungsmängel der Politiken der Industriestaaten                    Ziel 8:
    und eine hervorstechende Lücke zwischen versproche-                     Aufbau einer globalen Partnerschaft für Ent-
    nen Geldern für Armutsbekämpfung und den tatsächlich                    wicklung
    erfolgten Zahlungen (siehe Kasten 2). Fünf Jahre vor 2015

    1   Die MDG wurden ursprünglich als globale Ziele formuliert, die größtenteils eine Fortschreibung existierender Trends widerspiegel-
        ten (Vandermorteele, 2009). Dass die Zielgrößen den MDG-Fortschritt in Afrika durch dessen absolut höhere Armut verzerrt darstel-
        len, wurde von verschiedenen Autoren beschrieben, etwa Deaton (2003), Clemens et al. (2006) und Easterly (2009).
6
Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick
Kasten 2: MDG-Bilanz: Schritte statt Sprünge

     Bei manchen MDG gab es Fortschritte, während an-                 verbessert, trotzdem nicht ausreichend für eine er-
     dere hinterher hängen. Der Entwicklungsbericht 2010              folgreiche Zielerfüllung.
     der Vereinten Nationen zeigt, dass trotz der Finanz-
     und Wirtschaftskrise insbesondere die wirtschaft­-               Der Ausblick im Bereich ökologischer Nachhaltigkeit
     liche Entwicklung in Asien dazu beiträgt, den Anteil             ist besonders düster: Zwar zeigt die globale Ent-
     der Menschen unterhalb der Armutsgrenze zu halbie-               waldungsrate Zeichen der Abschwächung, sie bleibt
     ren. Aber es gibt auch Rückschläge: Die Ernährungs-              dennoch beunruhigend hoch. Der Anstieg von Treib­
     situation etwa verschlechterte sich infolge der Ernäh-           hausgasen beschleunigt sich und auch der globale
     rungs- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/2009.                 Biodiversitätsverlust verschlimmert sich zusehends.

     In anderen Bereichen gibt es vielversprechende Fort-             Auch wenn eine Delle für 2010 erwartet wird, steigen
     schritte, trotzdem genügt es nicht, um die Ziele bis             die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit weiter
     2015 zu erreichen. Zum Beispiel erhöhten zwar vie-               moderat an. Allerdings reichen die geschätzten 108
     le Länder die Einschulungsrate, gleichwohl erscheint             Milliarden USD im Jahr 2010 nicht aus, um die Ziele
     Primarschulbildung für alle bis 2015 nicht erreichbar.           des G8-Gipfels in Gleneagles zu erreichen. Die Zu-
                                                                      gewinne in vielen Ländern sind zu langsam, um wie
     Die Gesundheitssituation vieler Menschen hat sich                vereinbart die öffentliche Entwicklungszusammen­
     verbessert, nur die Kinder- und Müttersterblichkeit              arbeit (ODA) bis 2015 auf 0,7 Prozent des BIP aufzu­
     sinkt nicht schnell genug, um die Ziele zu erfüllen.             stocken. Das Jahr 2010 dient als wichtiger Indikator,
     Der Zugang zu wichtigen Medikamenten gegen HIV/                  weil sich viele Länder verpflichtet haben, bis dahin
     Aids, Tuberkulose, Malaria und Masern hat sich stark             0,51 Prozent zu erreichen.

themen – das existierende Entwicklungsmodell nicht mit                 Kopenhagen brachte nicht den Paradigmenwechsel, der
den notwendigen Klimaschutzmaßnahmen vereinbar ist.                    für ein rechtlich bindendes Abkommen gegen den Klima-
Letzten Endes muss sich das gesamte Wachstumsmodell                    wandel notwendig war und, was noch wichtiger ist, das
ändern, wenn die Welt vor einem gefährlichen Eingriff in               Verhalten von Regierungen und Finanzmärkten verändert
das Klimaregime geschützt werden soll (dies entspricht                 hätte. Stattdessen fährt die Klimapolitik nun zweiglei-
einem Temperaturanstieg von unter 2 °C, siehe Kasten 3).               sig, mit fortgesetzten Klimaverhandlungen auf der einen

    Kasten 3: Das Klima-Problem2

    Emissionen in Industrie­                                                                               Klimawandel verstärkt
    staaten müssen stark                   Den globalen                                                    schon heute viele
    gesenkt und bis zum                 Temperaturanstieg                                                  Stressfaktoren, die die
    Jahr 2050 fast vollkom-           auf soweit wie möglich                                               Lebensbedingungen
    men gestoppt (-95 %)               unter  2 °C begrenzen                                               armer Bevölkerungs-
    werden.                                                                                                gruppen beeinflussen.
                                                                                                           Die Herausforderung ist,
    Entwaldungsraten                                                                                       Menschen, insbesondere
                                                                            Anpassung:
    müssen bis zum Jahr 2020                                                                               die Verletzlichsten, mit
    weltweit um mindestens
                                                                          Das Unvermeid­                   den Kapazitäten für eine
    75 % vermindert werden.                                               bare bewältigen                  Anpassung an aktuelle
                                                                                                           und zukünftige Änderun-
    Emissionen in Entwick-                                                                                 gen auszustatten.
    lungsländern müssen                                                                                    Dies beinhaltet finanzi-
    ab 2020 sinken; dazu ist                 Minderung:                                                    elle und technische Un-
    eine hohe Unterstützung                Das Vermeidbare                                                 terstützung durch einen
    durch Industrieländer                     vermeiden                                                    geeigneten institutionel-
    notwendig.                                                                                             len Rahmen sowie durch
                                                                                                           Wissens- und Informa-
                                                                                Menschen mit den           tionstransfer, so dass
                                                                             Fähigkeiten ausstatten,       die Menschen ihr Leben,
                                                                              sich an aktuellen und        Lebensbedingungnen
                                                                             zukünftigen Klimawan-         und gesunde Ökosyste-
                                                                                 del anzupassen            me sichern können.

                                                        (Eigene Zusammenstellung basierend auf Erkenntnissen von Meinshausen, 2009)

2   Meinshausen et al. haben errechnet, dass für eine 80%-Chance, den globalen Klimawandel auf unter 2° zu begrenzen, das weltweite
    CO 2e-Budget bis 2050 1.300 Gt beträgt, wovon ein Drittel bereits in der ersten Dekade des Jahrhunderts emittiert wurde. Die Politik-
    empfehlungen in Kasten 3 basieren auf diesem Budget und Dekarbonisierungsraten von Volkswirtschaften, die technisch machbar sein
    müssen.                                                                                                                                 7
Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick
Seite, aber auch zunehmend Initiativen und Maßnahmen                                               Deshalb ist es so wichtig, die verschiedenen Aktivitä-
    von einzelnen Ländern und Regionen. Der Klimagipfel                                                ten abzustimmen: Erneuerbare Energien zu fördern und
    Ende 2010 in Cancun bietet die Chance, erste Meilenstei-                                           gleichzeitig Armut zu bekämpfen, oder Widerstands-
    ne in diesem Prozess zu setzen.                                                                    fähigkeit gegenüber Klimaveränderungen unterstützen
                                                                                                       und gleichzeitig Nahrungssicherheit zu verbessern. Der
    Die Welt steuert auf einen Zustand globaler Unsicher-                                              zweite Teil dieses Hintergrundpapiers versucht daher die
    heit zu. Ökonomische Unsicherheit trifft auf menschli-                                             möglichen Synergien aufzuzeigen.
    che Verwundbarkeit, Klimapolitik verschränkt sich mit
    Energiepolitik. Aber es gibt Lösungen. Kasten 4 zeigt                                              Durch eine integrative Ausführung lassen sich nicht alle
    die vier Dimensionen der Sicherheit. Die MDG-Debatte                                               Synergien maximieren bzw. Zielkonflikte vermeiden. Der
    fokussiert traditionell auf menschliche Sicherheit sowie                                           dritte Teil dieser Studie widmet sich daher den notwen-
    ökonomische Entwicklung und die Klimadebatte verortet                                              digen politischen und konzeptionellen Rahmenbedingun-
    sich in der Klima- und Energiesicherheit. Zwischen den                                             gen, die gemeinsame Stärken betonen und Konkurrenz-
    einzelnen Bereichen gibt es Synergien, aber auch Kon­                                              verhältnisse abbauen.
    kurrenzen und Zielkonflikte.

      Kasten 4: Vier Dimensionen der Sicherheit

                                                                                Klima­
                                                                                                                                                                        Klima-
                                                                              sicherheit                                                                                agenda
                                                            en
                                                      na ste

                                                       se s

                                                                                                                                       +
                                                     as del

                                                                                                                                  Er
                                                        hm
                                                    aß as

                                                         r,

                                                                                                                                     ne
                                             tc t, W an

                                                                                                                                  -A
                                                                                                       Umbau der Energiesysteme
                                                 sm ep

                                                                                                                                        ue
                                          t e ei aw

                                                                                                                                         us o h
                                               ng ng

                                                                                                                                           rb
                                                                                                                                           be le
                                                  m
                                             su l a

                                                                                                                                             K

                                                                                                                                              ar
                                      dh he Kli

                                                                                                                                               ut vor
                                          as k a

                                                                                                       + Arbeitsplätze durch

                                                                                                                                                 e
                                                                                                                                                  un ko
                                    un sic s
                                        ei rh

                                               .
                                        np lo

                                                                                                                                                   En
                                e s s de

                                                                                                                                                    g m
                                      A +

                                                                                                                                                      er
                                                                                                                                                       he m
                              G ng n

                                                                                                                                                         gi
                                  r u ge

                                                                                                                                                          im en

                                                                                                                                                           en
                               äh un

                                                                                                                                                             is
                             rn k

                                                                                                                                                                ch
                                  ir

                                                                                                                                                                   er
                           fE w
                         au Aus
                           -

                                                    + dezentralisierte
                                                   Energieversorgung
            Mensch­                                                                                                                                                      Energie­
              liche                                                                                                                                                     sicherheit
                                                                                                        - Agrartreibstoffe
           Sicherheit
                                                                     - Auswirkungen des Klimawan-
                                                                       dels, vorzeitiges Abschreiben
                                                                     energieintensiver Infrastruktur

                                                                                                                                                                      n
                      -U

                             +

                                                                                                                                                                   te
                              W
                               St lfah
                        ng

                                                                                                                                                                os
                                oh
                                 eu r t

                                                                                                                                                           tu -
                                                                                                                                                        uk ht
                          le

                                                                                                                                                              ek
                                   er s a
                            ic

                                                                                                                                                      tr ic

                                                                                                                                                              r
                                                                                                                                                            gi
                                     m uf

                                                                                                                                                   as n
                                     he

                                                                                                                                                         er
                                       it g

                                                                                                                                                 fr in
                                         Ei

                                                                                                                                                      En
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                                                                                                                                      -L
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                                                                ng

           MDG-                                                          Wirtschaft­
                                                                            liche
           Agenda                                                        Sicherheit

                                                                                                                                                                          (eigene Darstellung)

8
Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick
Fünf Jahre vor „Ablauf“ der MDG und mit einem als                    des letzten Jahrzehnts, alle mit weltweiten Auswirkun-
gescheitert wahrgenommenen Klimagipfel könnten Ent-                  gen, verdeutlichen, dass die Krisen der Zukunft vielleicht
scheidungsträger wie auch Menschen aus der Praxis das                schon morgen beginnen. Klimasicherheit und ein stabiles
Jahr 2010 nutzen, um ihre Erwartungen auf niedrigere                 Klima ist ein globales Gemeingut, das nur durch eine ge-
und „realistischere“ Ziele herunter zu schrauben, statt              meinsame, globale Antwort zu retten ist. Die vernetzte
die klaffende Finanzierungs- und Umsetzungslücke anzu-               Weltgemeinschaft zeigt aber auch, dass Erfolge in den
gehen. Angesichts der Herausforderungen der Zukunft                  anderen Dimensionen nicht von einem Land alleine er-
darf die Zielmarke nicht gesenkt werden. Die Krisen                  reicht werden können.

2. Zusammen denken: MDG und Klima
Dieser Abschnitt beleuchtet die Beziehung zwischen den               Minderung, Anpassung und die MDG
Millenniums-Entwicklungszielen und der Klimaagenda.
Zunächst werden Auswirkungen und Synergien zwischen                  Die Rahmenkonvention der Vereinten Nationen über Kli-
den Agenden im allgemeinen betrachtet. Anschließend                  maänderungen (UNFCCC) hat das übergeordnete Ziel,
erfolgt eine genaue Darstellung des Beitrags der ein-                eine „gefährliche“ Störung des Klimasystems zu verhin-
zelnen MDG zu Emissionsminderung und Anpassung an                    dern. Die beiden Strategien dazu sind Minderung des
den Klimawandel. Projekte von Nichtregierungsorgani-                 Klimawandels bzw. Klimaschutz (um das Ausmaß der Stö-
sationen, bilateralen und internationalen Organisationen             rung des Klimasystems zu begrenzen) sowie Anpassung
geben Beispiele für das Zusammenwirken.                              an den Klimawandel (damit die Störung nicht „gefährlich“
                                                                     wird).3

Auswirkungen des Klimawandels                                        Klimaschutzmaßnahmen lassen sich einfach vergleichen:4
auf die MDG                                                          Die Einheit des Erfolges ist die Reduktion/Vermeidung
                                                                     von Emissionen in Tonnen CO2-Äquivalenten. Erfolg im
Die gravierendsten Änderungen durch den Klimawan-                    Klimaschutz steht also zunächst in keiner direkten Ver­
del werden sich nicht kurzfristig, d. h. vor 2015, zeigen.           bindung zu Erfolgen bei MDG-Maßnahmen. Natürlich
Mittel- und langfristig stellt sich ein anderes Bild dar.            kann man Synergien betonen und gleichzeitig Klima-
Dennoch darf das Thema nicht als reines Langfristthema               schutzmaßnahmen sowie MDG-Aktivitäten voranbrin-
behandelt werden. Vielmehr müssen MDG-Maßnahmen                      gen.
schon heute den Klimawandel berücksichtigen, um Erfol-
ge nachhaltig zu sichern. Auch der IPCC (Intergovernmen-             Anpassungsmaßnahmen lassen sich dagegen weniger ein-
tal Panel on Climate Change) zeigt auf, dass die Regionen            fach kategorisieren. McGray et al. (2007) analysierten
mit geringem Fortschritt bei den MDG in Zukunft auch                 mehr als 100 Anpassungsprojekte weltweit und kamen
besonders stark vom Klimawandel betroffen sein werden                zu dem Schluss, dass die meisten in den Bereich bishe-
(Yohe et al., 2007). Kasten 5 zeigt Beispiele, wie sich              riger Entwicklungsprojekte fallen, die für das Erreichen
Klimawandel negativ auf die MDG auswirkt.                            der MDG ebenso wichtig sind. Kasten 7 zeigt die Band-
                                                                     breite von Anpassungsaktivitäten von einem Fokus auf
Die oben stehende Analyse geht von einem kontinuier-                 menschliche Verwundbarkeit bis zu einer Ausrichtung
lichen Klimawandel aus. Eine wesentlich höhere Gefahr                auf bestimmte Auswirkungen des Klimawandels. Da mit
geht jedoch von abrupten Änderungen von Ökosyste-                    einem Großteil der Auswirkungen erst in der Zukunft zu
men aus. Viele dieser ‚Kippelemente’ haben direkte Aus-              rechnen ist und die genauen Auswirkungen unklar sind,
wirkungen auf Leben und Lebensgrundlagen – sie sind                  bevorzugen die meisten Entscheidungsträger Projekte
deswegen relevant für die MDG-Debatte. Zu den in der                 mit einem Fokus auf Vulnerabilität.
Wissenschaft diskutierten Kippelementen gehören die
Umwandlung des nördlichen Amazonas-Regenwaldes in                    Während Fortschritte bei den MDG sehr eng verbun-
eine Trockensavanne, das Abschmelzen von Gletschern                  den sind mit dem Abbau von Vulnerabilität gegenüber
und Eiskappen sowie stärkere oder schwächere Monsune                 Auswirkungen des Klimawandels, sind sie dennoch nicht
in Asien und Afrika (vgl. Lenton et al., 2008).                      das selbe: Armutsminderung reduziert nicht automa-
                                                                     tisch die Verwundbarkeit armer Bevölkerungsschichten
                                                                     gegenüber klimatischen Stressfaktoren. Ein Beispiel ist
                                                                     die Förderung von Garnelen-Aquakultur als Mittel zur Ar-

3   Vgl. Artikel 2 der UNFCCC.
4   Von diesem Grundsatz gibt es in der Praxis jedoch auch Ausnahmen, z. B. durch undurchsichtige Anrechnungsregeln, etwa im Wald­
    bereich (LULUCF).
                                                                                                                                     9
Die millenniumsent wicklungsziele und der klimawandel: bilanz und ausblick
Kasten 5: Auswahl von Auswirkungen des Klimawandels auf die MDG

     Millenniums-                  Beispiele für Klimawandelauswirkungen
     Entwicklungsziel

     Bekämpfung von extremer       n Projektionen des Klimawandels legen nahe, dass die Lebensgrundlagen
     Armut und Hunger (Ziel 1)       vieler Armer, z. B. Gesundheit, Zugang zu Wasser, Häuser und Infrastruktur,
                                     bedroht sind.

                                   n Der Klimawandel wird voraussichtlich den Weg und die Höhe wirtschaft­
                                     lichen Wachstums durch Änderungen in natürlichen Systemen und Ressour-
                                     cen, Infrastruktur und Arbeitsproduktivität begrenzen. Eine Verringerung
                                     des Wachstums trifft durch verringerte Einkommensmöglichkeiten direkt
                                     die Armen.

                                   n Vermutlich verändert der Klimawandel auf regionaler Ebene die Nahrungs­
                                     sicherheit. Insbesondere in Afrika wird mit einer verschlechterten Nah-
                                     rungssituation gerechnet. Nachteilige Auswirkungen auf die Nahrungsmit-
                                     telversorgung könnten auch in Südamerika und in Süd- sowie Südostasien
                                     zu Tage treten.

     Gleichstellung der Ge-        n Besonders in Entwicklungsländern arbeiten Frauen überproportional in di-
     schlechter/Stärkung der         rekter Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen, die verletzlich gegenüber
     Rolle der Frauen (Ziel 3)       dem Klimawandel sind, z. B. in der Landwirtschaft.

                                   n Die traditionelle Rolle der Frau als Hauptnutzerin natürlicher Ressourcen,
                                     als primäre Bezugsperson in der Familie und Arbeiterin, die in unbezahlter
                                     Arbeit (Subsistenzwirtschaft) beschäftigt ist, zeigt, dass Frauen am stärks-
                                     ten vom Klimawandel gefährdet sind.

     Gesundheitsbezogene Ziele:    n Klimawandel hat einen direkten Einfluss auf hitzebedingte Sterblichkeit
                                     und Krankheiten als Folge von Hitzewellen (obgleich weniger Kältetote in
     Bekämpfung von schweren         einigen Regionen auftreten könnten).
     Krankheiten (Ziel 6)
                                   n Klimawandel könnte das Vorkommen einiger überträgerbasierter Krank-
     Senkung der Kindersterb-        heiten erhöhen (z. B. Malaria oder Dengue-Fieber) und die Anfälligkeit für
     lichkeit (Ziel 4)               wasser­bürtige (z. B. Cholera oder Ruhr) und nahrungsmittelbedingte oder
                                     andere ansteckende Krankheiten erhöhen.
     Verbesserung der Gesund-
     heitsvorsorge der Mütter      n Kinder und schwangere Frauen sind besonders anfällig für wasser- oder
     (Ziel 5)                        überträgerbasierte Krankheiten. Anämie durch Malaria ist verantwortlich
                                     für ein Viertel der Kindersterblichkeit in Afrika.

                                   n Der Klimawandel wird sich wahrscheinlich in sinkender Menge und Qualität
                                     des Trinkwassers niederschlagen, wodurch ein starker Anstieg von Durch­
                                     fallerkrankungen und -toten droht. Verluste in der landwirtschaftlichen
                                     Produktion durch die verringerte Produktivität der natürlichen Ressourcen
                                     wird insbesondere in Afrika der Mangelernährung Vorschub leisten – ein
                                     wichtiger Krankheitsfaktor bei Kindern.

     Ökologische Nachhaltigkeit    n Der Klimawandel ändert wahrscheinlich die Eigenschaften und Produktivi-
     (Ziel 7)                        tät natürlicher Ressourcen, einige könnten irreversibel geschädigt werden.
                                     Darüber hinaus könnte sich die biologische Diversität verringern und die
                                     bereits existierende Umweltzerstörung verschlimmern.

     Aufbau einer globalen Part-   n Klimawandel ist ein weltweites Problem, das neue Kooperationsformen be-
     nerschaft (Ziel 8)              nötigt, besonders hinsichtlich des gemeinsamen Klimaschutzes und anderer
                                     öffentlicher Güter und in der Unterstützung von Entwicklungsländern in
                                     ihren Anpassungsprozessen.

                                                                                          (verändert nach OECD, 2009)

10
Kasten 6: Glossar des Anpassungs-Jargons

    Anpassung: Initiativen und Maßnahmen, um die Emp-                Kapazität zur Selbstorganisation sowie die Kapazität,
    findlichkeit natürlicher und menschlicher Systeme ge-            sich an Stress und Veränderungen anzupassen, zu be-
    genüber tatsächlichen oder erwarteten Auswirkungen               wahren.
    von Klimaänderungen zu verringern.
                                                                     Sensitivität: Sensitivität ist der Grad, zu dem ein Sys-
    Anpassungsfähigkeit: Die Gesamtheit der Fähigkei-                tem durch Klimavariabilität oder Klimaveränderung
    ten, Ressourcen und Institutionen eines Landes oder              beeinflusst wird, sei es negativ oder positiv.
    einer Region, um wirksame Maßnahmen zur Anpassung
                                                                     Verwundbarkeit/Vulnerabilität: Verwundbarkeit ist
    umzusetzen.
                                                                     das Maß, in dem ein System gegenüber nachteiligen
    Auswirkungen von Klimaänderungen: Je nachdem ob                  Auswirkungen von Klimaänderungen, einschließlich
    Anpassung einbezogen wird, kann zwischen potenziel-              Klimavariabilität und Extremwerte, anfälllig ist und
    len und verbleibenden Auswirkungen unterschieden                 nicht damit umgehen kann. Verwundbarkeit ist abhän-
    werden:                                                          gig von der Art, dem Ausmaß und der Geschwindig-
                                                                     keit der Klimaänderung und -schwankung, denen ein
    Resilienz: Die Fähigkeit eines Gesellschafts- oder
                                                                     System ausgesetzt ist, seiner Sensitivität und seiner
    Ökosystems, Störungen aufzunehmen und gleichzei-
                                                                     Anpassungskapazität.
    tig dieselbe Grundstruktur und Funktionsweisen, die

                                                                                                            (basierend auf IPCC-Glossar)

mutsminderung. Die damit einhergehende Vernichtung                     derung den Faktoren für Vulnerabilität besondere Auf-
von Mangroven führt gleichzeitig zu einer höheren Vulne-               merksamkeit zu schenken und die Verletzlichsten in den
rabilität, besonders der armen Bevölkerung, gegenüber                  Fokus der Bemühungen zu stellen. Ein armutsorientierter
Extremereignissen. Ebenso mindern Anpassungsprojekte                   Ansatz in allen drei Bereichen – MDG, Minderung und
nicht unbedingt die Verwundbarkeit der Armen. Ein Bei-                 Anpassung – kann erhebliche Synergien freisetzen. Alle
spiel sind großräumige Anpassungsmaßnahmen im Was-                     Ziele können hierbei von einem rechtsbasierten Ansatz
serbereich; diese Projekte hatten in der Vergangenheit                 profitieren, der wirtschaftliche, soziale und kulturelle
oft negative Auswirkungen auf betroffene Gruppen.5                     sowie bürgerliche und politische Rechte durchsetzt und
                                                                       Fortschritte für die ärmsten Bevölkerungsgruppen ver-
Um negative Effekte zu vermeiden ist es wichtig, sowohl                spricht (vgl. Kasten 8).
bei den MDG als auch im Rahmen von Anpassung und Min-

    Kasten 7: Bandbreite der Anpassungsmaßnahmen
    MDG-Fortschritte spielen eine wichtige Rolle, um Treiber der Verwundbarkeit zu verändern

         Vulnerabilitätsfokus                                                                               Wirkungsfokus

      Treiber der Vulnera­-             Kapazitäten für Pro­             Klimarisiken managen             Klimawandel angehen
      bi­lität entkräften               blemlösung schaffen
                                                                         Maßnahmen, um                    Maßnahmen, die sich
      Maßnahmen, um Ar­                 Maßnahmen, die                   Klima­informationen              ausschließlich mit
      mut und andere nicht-             trag­fähige Strukturen           in Entscheidungspro-             direkten Auswirkun-
      klimabezogene Stress-             zur Problemlösung                zesse zu integrieren             gen des Klimawandels
      faktoren zu vermin-               aufbauen                                                          beschäftigen
      dern, die Menschen
      verletzlich machen

    Traditionelle Entwicklungsfinanzierung                                       Neue und zusätzliche Klimafinanzierung

                                                                                       (Nach Mc Gray et al., verändert durch Klein, 2008)

5   Ein Beispiel ist das Lesotho Highland Water Project: Ein mehrere Milliarden schweres Wasserprojekt, um Trinkwasser aus den
    Drakensbergen nach Pretoria und Johannesburg umzuleiten, das sich als nachteilig für die lokale Bevölkerung erwies (vgl. Hildyard,
    2005).
                                                                                                                                            11
Kasten 8: Ein rechtsbasierter Ansatz, um die Verletzlichsten in den Fokus zu rücken

        Die meisten Industrie- wie Entwicklungsländer haben        n Vulnerable und ernährungsgefährdete Bevölke-
        sich international bindend dazu verpflichtet, die wirt-       rungsgruppen zu identifizieren
        schaftlichen, kulturellen und sozialen Grundrechte
        ihrer Bürger wie das Recht auf Nahrung und Wasser          n Existierende rechtliche Regelungen an die Bedürf-
        zu respektieren, zu schützen und durchzusetzen.               nisse dieser Gruppen anzupassen

        Die Anwendung des rechtsbasierten Ansatzes auf             n Nachzuweisen, dass ihre Politik ausreichend auf die
        MDG, Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen hat                  Verletzlichsten fokussiert
        nicht nur symbolischen Wert, sondern impliziert kon-
        krete Verfahrensänderungen.
                                                                   n Die Ergebnisse ihrer Politik zu überwachen und
                                                                      Rechenschaft abzulegen
        Ein Beispiel ist die „voluntary guideline on the imple-
                                                                   Eine Stärke des Ansatzes ist, Beteiligungsverfahren
        mentation of the right to adequate food in the context
                                                                   für betroffene Bevölkerungsgruppen aufzusetzen und
        of national food security”, womit die Regierungen sich
                                                                   prozessrechtliche Garantien zu verankern, so dass be-
        verpflichtet haben:
                                                                   troffene Gruppen entsprechend ihrer bürgerlichen
                                                                   und politischen Rechte eine Beschwerdemöglichkeit
                                                                   haben (Harmeling & Bals, 2008).

     Ein weiterer Bereich von Anpassung ist die Klimaresilienz     oder Unmüßig, 2006). In der Klimaagenda tritt dieses
     von Entwicklung. Das bedeutet, dass Investitionen so-         Defizit zu Tage, wenn sich eine Konkurrenz zwischen
     wohl in Klimaschutz als auch Entwicklung die erwarteten       Klimaschutz und Entwicklung ausmachen lässt.
     Klimaauswirkungen beachten. Da viele Klimarisiken der-
     zeit noch unbekannt sind, bedeutet dies, vermehrt mit         Eine wachstumsorientierte Strategie mit fehlender Be-
     Szenarien zu arbeiten. Außerdem sind kontinuierliche          trachtung natürlicher Grenzen ergibt ein zweifaches
     Beobachtungs- und Lernzyklen notwendig, um sich an            Dilemma: Zunächst einmal ist ein Zukunftsmodell, das
     veränderte Bedingungen anzupassen. Technologien soll-         physikalische Grenzen ignoriert, langfristig zum Schei-
     ten nach dem Vorsorgeprinzip ausgewählt und generell          tern verurteilt. Hohe Kosten folgen, wenn sich Länder
     solche Ansätze bevorzugt werden, die ein späteres Um-         auf dem falschen Entwicklungspfad befinden und ge-
     steuern ermöglichen. In der Entwicklungszusammenar-           zwungen sind, ihre Politiken zu ändern. Zweitens gefähr-
     beit ist ein systematisches Untersuchen der Projektziele      det der jetzige Entwicklungspfad, der auf einer linearen
     hinsichtlich der Klimarisiken – das so genannte `Climate      Produktionskette von der unregulierten Ausbeutung von
     Proofing‘ – ein erster Schritt.                               Rohstoffen bis hin zu einer unregulierten Entsorgung
                                                                   in die Geosphäre beruht, schon jetzt viele Umweltleis-
                                                                   tungen. Diese wiederum sind oftmals die Lebensgrund-
     Nachhaltiges Wachstum oder kein                               lage einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen. Das
     Wachstum?                                                     Millennium Ecosystem Assessment hat errechnet, dass
                                                                   zurzeit 60 Prozent der Umweltleistungen über ihre Trag-
     Wirtschaftliches Wachstum galt schon immer als zent-          fähigkeit hinaus belastet werden (Reid et al. 2005). Klima-
     raler Faktor für die MDG im Allgemeinen und für MDG 1         wandel kommt oftmals noch als Belastung hinzu.
     – Verringerung der Armut – im Speziellen. Dies steht im
     Widerspruch zur Millenniums-Erklärung, der die MDG            Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Fortfüh-
     entnommen wurden und die eher den Schlussfolgerungen          ren eines nicht-nachhaltigen Wachstumsmodells unver-
     des Rio-Gipfels von 1992 folgt: Das Wachstumsmodell           hältnismäßig die Ärmsten belastet. Nicht nur weil Ent-
     der Industriestaaten belastet die Ökosysteme bereits          wicklungsfortschritte für sie angesichts globaler Kapa-
     bis an ihre Grenzen und ist nicht übertragbar auf die bis­-   zitätsgrenzen nicht mehr zu halten sind, sondern weil
     lang wirtschaftlich unterentwickelten Länder.                 ihre Abhängigkeit von Naturgütern sie auch besonders
                                                                   anfällig für eine Überbelastung der Ökosysteme macht
     Eine eingeschränkte Betrachtung der MDG ohne den              (Hamilton, 2006).
     Kontext der Millenniums-Erklärung bedeutet, die Dimen-
     sion der ökologischen Nachhaltigkeit in die Peripherie        Um die Bedürfnisse der armen Bevölkerungsschichten zu
     der Ziele abzuschieben, statt sie als Vorbedingung für        erfüllen, ist es notwendig, mehr zu produzieren und kon-
     Erfolg anzusehen (für weitere Kritik vgl. WBGU, 2005          sumieren. Dies wird nur funktionieren, wenn es gelingt

12
Ein Beispiel für solch einen „Sprung“ in der Entwicklung
  Kasten 9: Ein normaler und ein                                                                  ist die Errichtung funkbasierter Telekommunikations-
  „leap-frogging“-Entwicklungspfad                                                                netze statt in Festnetze zu investieren – dies geschieht
                                                                                                  bereits in vielen Entwicklungsländern. Ein für das Klima
                                                                                                  relevantes Beispiel ist ein „Leapfrogging“ von Energiein-
                                                                                                  frastrukur, indem direkt Niedrigemissionstechnologie
  Intensität der Ressourcennutzung

                                                                                                  aufgebaut wird statt fossile Energieträger zu nutzen
                                                    Typischer                                     (Switchasia, undatiert).
                                                 Entwicklungspfad
                                                                                                  Allerdings hat bisher kein entwickeltes Land substan­
                                                                                                  zielle Änderungen in seinen Konsum- und Lebensmustern
                                                                                                  erreicht. Anstiege im Verbrauch haben Einsparungen
                                                                                 Ressourcen-
                                                                                 verbrauch        durch höhere Effizienz oft zunichte gemacht. Das bedeu-
                                                 Leapfrogging                                     tet nicht, dass eine klimafreundliche Entwicklung unmög-
                                                                                                  lich ist. Es zeigt aber, dass weitergreifende Strategien
                                                                                                  notwendig sind, um eine klimafreundliche Entwicklung
                                                                                                  zu ermöglichen. Ohne den empirischen Beweis bleibt
                                                                                                  es ein schwieriges Unterfangen, die wahrgenommene
                                             jetzt                          Zeit                  Konkurrenz zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und
                                                                                                  ökologischer Nachhaltigkeit zu entkräften.
                                                                        (Switchasia, undatiert)

                                                                                                  Energiearmut und Klimaschutz
wirtschaftliches Wachstum vom Wachstum der Ressour-
cennutzung und Emissionen zu entkoppeln. Eine Mög-                                                 Ein verbesserter Zugang zu Energie – Elektrizität, Hei-
lichkeit ist, Investitionen in Entwicklungsländern richtig                                         zung und Mobilität – ist eine wichtige Voraussetzung für
zu platzieren, um ein „leap-frogging“ zu erreichen. Ent-                                          das Erreichen der MDG. Elektrizität etwa ist sehr wich­-
wickelte Länder haben erhebliche Investitionen in ineffi-                                         ­tig für die soziale Infrastruktur, wie z. B. Gesundheit und
ziente Technologien getätigt. Leap-frogging in Entwick-                                           Bildung, sowie für Anpassung an den Klimawandel. Ein
lungsländern bedeutet, schon heute direkt in saubere,                                              Minimum an sicherer Energie ist notwendig, um produk-
effiziente Technologien zu investieren und deshalb nicht                                           tive Tätigkeiten zu ermöglichen, die das Fundament für
im Wachstumspfad der Industrieländer gefangen zu sein                                             Entwicklung sind.
(siehe Kasten 9).

  Kasten 10: Entwicklung des Energieverbrauchs in Abhängigkeit vom Entwicklungs­
  fortschritt

                                                                                                                                  Stufe 3
                                                                                           Stufe 2                       Bedürfnisse moderner
                                               Stufe 1                                                                      Gesellschaften
                                                                                   Produktive Nutzung
                                                                                                                           Moderne Energieformen
                                         Grundbedürfnisse
                                                                                Elektrizität, moderne Treib­             für viel mehr Anwendungen,
                                                                                      stoffe und andere                       erhöhte Nachfrage
                                      Elektrizität für Licht, Gesund-
                                                                                Energieformen zur Verbesse-                 nach Kälte und Wärme
                                      heit, Bildung, Kommunikation
                                                                                rung der Produktivität in der              (für Räume und Wasser),
                                     (50-100 kWh pro Kopf und Jahr)
                                                                                       Landwirtschaft:                       persönliche Mobilität
                                     Moderne Treibstoffe und Tech-
                                                                                Wasserpumpen zur Bewässe-                (Elektrizitätsverbrauch ent-
                                           nologien zum Kochen
                                                                                  rung, Bodenbearbeitung,                    spricht ca. 2000 kWh
                                                und Heizen
                                                                                    Weiterverarbeitung,                        pro Kopf und Jahr)
                                      (50-100 kgoe moderner Treib-
                                                                                     Transport der Ernte
                                         stoffe oder Biomasse für
                                          verbesserte Kochöfen)

                                                                                                                                                (AGECC, 2010)

                                                                                                                                                                 13
Angepasste Anbaumethoden erhöhen den Ertrag und erlauben eine beachtliche Speicherung von Kohlenstoff sowie ein großes Potenzial für
     Erneuerbare Energien. Foto: RajeshKC

                                                                            gieversorgung auch direkte Emissionseinsparungen:
     Die Bedeutung eines sicheren Energiezugangs als bestim-                Beispiele hierfür sind der Ersatz alter Technologien oder
     mender Faktor für den MDG-Fortschritt hat das UN-Mil-                  die Vermeidung von Entwaldung (die größte Emissions-
     lennium-Projekt (2005) dazu bewogen, Energieziele als                  quelle vieler Entwicklungsländer) durch Alternativen
     ein weiteres MDG zu formulieren (siehe United Nations,                 zur Holzkohle sowie die Nutzung klimaschädlicher Treib­
     2005). Für den MDG-Gipfel 2010 ist eine höhere Auf-                    hausgase als Biogas.
     merksamkeit für das Energiethema zu erwarten.6

     Während die Erfüllung der Grundbedürfnisse der Armen
     zu kaum höheren Emissionen führt (siehe Kasten 10)7,                   Synergien zwischen MDG & Anpassung
     würde eine Ausweitung produktiver Tätigkeiten durch-                   und Klimaschutz
     aus einen beachtlichen Emissionszuwachs bedeuten. Die
     Klima-Herausforderung erfordert jedoch, die weltweiten                 Kasten 11 zeigt wichtige Synergien zwischen dem Er-
     Emissionen bis zum Jahr 2050 um 80 Prozent zu reduzie-                 reichen bestimmter MDG-Ziele und -Unterziele sowie
     ren – es gibt keinen Spielraum für Anstiege. Dies unter-               von Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen auf. Fall-
     streicht nochmals die Bedeutung eines schnellen Wech-                  studien aus Afrika und Asien stellen dar, wie sich bei
     sels zu  klimafreundlichen Technologien (AGECC, 2010).                 den konkreten Projekten ein doppelter Nutzen erzielen
                                                                            lässt. Dennoch gibt es auch potenzielle Konflikte. Der
     Hierbei ist die Angebots- (Niedrigemissionstechnolo-                   Abschnitt endet mit einem Ausblick auf die Rolle der
     gien) und Nachfrageseite (Negawatt8, die kostengüns-                   Agrotreibstoffe; oft als Klimaschutzmaßnahme kommu-
     tigste der sauberen Energieressourcen) gleichermaßen                   niziert, haben sie unter bestimmten Umständen negative
     wichtig. Oft ergeben sich durch den Ausbau der Ener-                   Auswirkungen auf die MDG.

     6   Ban Ki-moons Beratergremium zu Energie- und Klimawandel (AGECC) hat einen Bericht veröffentlicht, der zu zwei Schlussfolgerun-
         gen kommt: Erstens sollte ein globales Ziel gesetzt werden, das universellen Energiezugang für menschliche Grundbedürfnisse bis
         2030 sicherstellt. Zweitens soll ein weiteres Ziel formuliert werden, das eine Reduzierung der CO 2-Intensität der Weltwirtschaft um
         40 % vorsieht, was einer Verdoppelung vergangener Intensitätsreduktionen entspräche.
     7   Elektrische Energie für menschliche Grundbedürfnisse wie in Kasten 10 dargestellt würden zu CO 2-Emissionen von 60 kg CO 2e füh-
         ren; wenn Energie für Kochen und Heizen durch LPG (Flüssiggas) gedeckt wird, kommen noch 80-160 kg CO 2 hinzu. Durch Anwendung
         von Solar- oder anderer Erneuerbaren Technologie kann man diese Ausstöße nochmals reduzieren. Zum Vergleich: Die jährlichen CO 2-
         Emissionen pro Kopf in Deutschland sind 9.700 kg.
     8   Negawatt ist ein Ausdruck für Energie, die nicht produziert werden muss aufgrund entsprechender Einsparungen durch erhöhte Ener-
         gieeffizienz.
14
Kasten 11: Mögliche Synergien zwischen der MDG- und der Minderungs- und
  Anpassungsagenda

  MDG-Ziel                               Beispiele für Synergien

  Bekämpfung von extremer                n Gemeinsamer Ansatz, um marginalisierte und vulnerable Bevölkerungsgruppen zur
  Armut und Hunger                         Zielgruppe zu machen. Anwendung eines menschenrechtsbasierten Ansatzes (siehe
  (Ziel 1)                                 Kasten 8).
  • Den Anteil der Menschen halbie-
    ren, die weniger als einen US-       n Schaffung von Arbeitsplätzen durch erneuerbare Energiesysteme.
    Dollar pro Tag zum Leben haben.
  • Den Anteil der Menschen              n Neues Landwirtschaftsmodell, das die Nahrungssicherheit erhöht: Erhöhte Produk-
    halbieren, die Hunger leiden.          tivität der Kleinbauern, verbessertes Bewässerungsmanagement und diversifizierte
  • Beschäftigung in ehrbarer              Anbausysteme. Trotzdem besteht ein Risiko der Fehlanpassung (Produktionszuwächse
    Arbeit für alle erreichen, auch        durch Intensivierung, extern entwickeltes Saatgut usw.), die insbesondere soziale
    für Frauen und Jugendliche.            Aspekte der Anpassung erodiert (eigenständiges Lernen und Entwicklung eigener
                                           Ansätze). Außerdem haben solche Maßnahmen teilweise enorme CO2-Emissionen zur
                                           Folge (Energiebedarf für Düngemittel).

  Primarschulbildung für alle            n Ausreichende Bildung ist eine Voraussetzung für Anpassungsfähigkeit, insbesondere
  (Ziel 2)                                 selbstständiges Lernen.

                                         n Bildungsinstitutionen sind wichtige Triebkräfte für Wandelungsprozesse. Lehrpläne
                                           sollten zu Klimawandel, -schutz und -anpassung sensibilisieren. In der Katastrophen-
                                           vorsorge sind Schulen schon heute ein integraler Bestandteil für Kampagnen, sowohl
                                           für Bewusstseinsbildung als auch konkrete Maßnahmen. Ähnlich fokussieren Klima-
                                           schutz-Kampagnen schon heute auf Schulen, etwa www.greatpowerrace.org.

  Gleichstellung der Geschlechter        n Frauen sind verletzlicher gegenüber Auswirkungen des Klimawandels. Die Beseitigung
  (Ziel 3)                                 von Geschlechterungleichheit ist ein wichtiger Faktor, um die Verwundbarkeit der ge-
                                           samten Gesellschaft zu reduzieren.

                                         n Frauen haben oft eine vermittelnde Funktion in Gesellschaften, deshalb hat eine
                                           Stärkung der Rolle der Frau möglicherweise große Auswirkungen auf Klimaschutz und
                                           Anpassung.

                                         n Lehren für das Klima-Mainstreaming lassen sich aus Erfahrungen des Gender-Main­
                                           streaming gewinnen.

  Die Gesundheitsziele                   n MDG 4: Vermehrte Krankheiten durch den Klimawandel treffen im Wesentlichen
                                           Kinder bis zum 5. Lebensjahr in Entwicklungsländern. Insbesondere Durchfallerkran-
  Senkung der Kindersterblichkeit          kungen sind ein wichtiger Ansatzpunkt für Anpassungen, besonders bei Extremereig-
  (Ziel 4)                                 nissen, und zur Senkung der Kindersterblichkeit. Atemwegserkrankungen, denen viele
                                           Kinder zum Opfer fallen, können durch eine Verbesserung der Innenraumluft durch
  Verbesserung der Gesundheits­            verbesserte Kochstellen vermieden werden – eine Maßnahme mit hohem Treibhausgas-
  versorgung bei Müttern                   Minderungspotenzial. Dies könnte auch niedrige Geburtsgewichte und Säuglingssterb-
  (Ziel 5)                                 lichkeit reduzieren.

  Kampf gegen schwere Krank­heiten       n MDG 5: Ebenso lässt sich die Gesundheit von Müttern verbessern, da Frauen am meis-
  (Ziel 6)                                 ten unter schlechter Innenraumluft leiden. Ein erhöhter Geburtenabstand ist eine sehr
                                           effektive Methode, Kinder- und Müttersterblichkeit zu reduzieren: Zwei Millionen
                                           Kinder und viele Mütter könnten vor dem Tod gerettet werden, wenn die Zeit zwischen
                                           Geburten auf zwei Jahre verlängert wird. Solche Maßnahmen helfen ebenso Bevölke-
                                           rungswachstum und Emissionszuwachs einzudämmen.

                                         n MDG 6: Schwere Krankheiten (z. B. HIV) schränken schon heute die Möglichkeit zur
                                           Selbsthilfe in vielen Ländern ein. Erfolg im Kampf gegen HIV, Malaria und Tuberkulose
                                           ist eine wichtige Vorbedingung für Anpassungskapazität und für die Produktivität, um
                                           Klimaschutzmaßnahmen durchzuführen. Der Klimawandel erhöht die Zahl der Malaria-
                                           fälle in bisher nicht betroffenen Regionen.

  Ökologische Nachhaltigkeit             n Viele Überschneidungen bestehen zwischen Klimaschutz, Anpassung und dem Natur-
  (Ziel 7)                                 und Artenschutz. Die Vernichtung von (tropischen) Wäldern führt zu Artenverlust und
  • Die Grundsätze der nachhaltigen        treibt den Klimawandel an. Die Vermeidung tropischer Entwaldung sichert Biodiver-
    Entwicklung in der Politik und den     sität. Allerdings können Maßnahmen, die sich nur auf den Kohlenstoff konzentrieren,
    Programmen der einzelnen Staaten       in großräumiger Umwandlung von natürlichen Wäldern hin zur Plantagenwirtschaft
    verankern und die Vernichtung von      resultieren.
    Umweltressourcen eindämmen.
  •  Den Trend zum Verlust der Biodi-    n Auswirkungen des Klimawandels werden sich größtenteils in einer  veränderten Was-
    versität umkehren                      serverfügbarkeit niederschlagen. Investitionen in heutige Schwachstellen – Wasser­
  • Halbierung des Anteils der Men-        infrastruktur und -regulierung – sind Vorbedingungen für zukünftige Anpassungs-
    schen ohne dauerhaft gesicherten       maßnahmen in diesem Bereich. Dafür ist schon heute eine strikte Klimaprüfung der
    Zugang zu sauberem Trinkwasser         Maßnahmen notwendig.

(eigene Zusammenstellung nach BMZ, 2006; Ifejika Speranza, 2010;  UNISDR, 2007;  Watts, 2006; Patz et al. , 2006; Wilkinson, 2006;
Smith, 2009; WHO, 2009)

                                                                                                                                     15
Fallstudie 1: Effiziente Brennholzkocher: Energiezugang und Klimaschutz

        Wer: Atmosfair; Lernen, Helfen, Leben; DARE (Developmental Association for
             Renewable Energies)9
        Wo: Nördliches Nigeria

        Im Norden Nigerias führte die Feuerholznachfrage             den Geschäftsmodells erlaubt. Durch die eingesparte
        zu starker Entwaldung und Wüstenbildung. Da regio-           Menge Holz sind die finan­ziellen Amortisationszeiten
        nale Vorkommen erschöpft sind, wird das Holz heute           für die Öfen sehr gering. Einnahmen aus dem Verkauf
        hauptsächlich aus südlichen Provinzen eingeführt. Als        werden für eine Ausweitung des Angebots verwen-
        Folge daraus sind die Kosten erheblich gestiegen, das        det. Das Projekt wird durch zwei Atmosfair-Partner
        Verhältnis der Energie- zu den Nahrungsmittelkos-            implementiert: Die deutsche Organisation Lernen,
        ten liegt bei 10:1 (Europa 1:1). Hoch-effiziente Ko-         Helfen, Leben organisiert den Kauf und den Trans-
        cher mildern dieses Problem ab, da sie um 80 Prozent         port, während die nigerianische Organisation DARE
        sparsamer als herkömmliche Kocher sind. Der Kocher           für den Zusammenbau und Verkauf zuständig ist. 2,7t
        kann sowohl tagsüber als auch nachts benutzt werden          CO 2 werden pro Jahr durch einen Ofen gespart. Dies
        und macht daher keine Änderung des Kochverhal-               entspricht etwa einem Hin- und Rückflug Frankfurt –
        tens notwendig. Die Haushalte sparen Geld, immer             Dakar. Das Projekt generiert Emissionszertifikate in
        wenn sie den Kocher benutzen – ein guter Anreiz für          der Höhe von 30.000 Tonnen. Es entspricht dem CDM
        den täglichen Gebrauch. Das Projekt hat auch eine            Gold Standard, dem höchsten zur Verfügung stehen-
        Technologietransfer-Komponente: Die Bauteile für die         den Zertifizierungsstandard.
        Herde stammen aus Deutschland und werden in Ni-
        geria zusammengebaut. Sobald der Markt in Nigeria            Es gibt mehrere Synergien zu den MDG: Armutsmin-
        aufgebaut ist, soll die gesamte Produktion verlegt           derung – MDG 1 (weniger Zeit muss mit Holzsammeln
        werden. Der Ofen kostet ca. 100 e. Die Finanzierung          verbracht werden, mehr Zeit für andere Arbeiten) wie
        durch Atmosfair ist zwar ausreichend für die gesamten        auch Gesundheit – MDG 4,5,6 (weniger Feinstaub,
        Kosten, trotzdem wird der Ofen für 60 e verkauft –           weniger Innenluftbelastung, weniger Atemwegser-
        ein Preis, der auch für arme Haushalte finanzierbar          krankungen).
        ist und gleichzeitig den Aufbau eines selbsttragen-

        Fallstudie 2: Katastrophenvorsorge und Bildung

        Wer: Brot für die Welt, Diakonie Katastrophenhilfe10
        Wo: Bagerhat, Bangladesch

        Der Distrikt Bagerhat zählt zu den sehr marginali­           in der die Bevölkerung Zuflucht findet. Durch die
        sierten Regionen in Bangladesch mit einem be-                Ausstattung von Schutzgebäuden mit einer Meer-
        sonders hohen Anteil extrem armer Familien. Geo-             wasserentsalzungsanlage können täglich zirka
        grafisch grenzt Bagerhat an die Sunderbans, das              8.000 Liter Trinkwasser erzeugt werden, die zirka
        größte Mangrovengebiet der Erde, und ist mas-                800 Familien versorgen. Damit verbessert sich auch
        siv von Grundwasserversalzung durch den Meer-                die Gesundheitssituation und Durchfallerkrankun-
        esspiegelanstieg sowie tropische Zyklone betroffen,          gen bei Kindern gehen zurück. Zukünftig sollen die
        die durch den Klimawandel an Intensität und Häu-             Schutzgebäude auch für den regulären Schulbetrieb
        figkeit deutlich zunehmen. Diakonie Katastrophen­-           öffnen und damit die ortsnahen Bildungschancen –
        hilfe und Brot für die Welt fördern den Bau von              MDG 2 – der lokalen Bevölkerung verbessern.
        sturm- und hochwassersicheren Schutzgebäuden,

     9 http://www.atmosfair.de/unsere-projekte/projekte00/nigeria-effiziente-brennholzkocher/
     10 http://www.brot-fuer-die-welt.de/weltweit-aktiv/index _ 38 _ DEU _ HTML.php

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