Die Nationale Präventionskonferenz Präventionsforum Berlin, 23. September 2020

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Die Nationale Präventionskonferenz Präventionsforum Berlin, 23. September 2020
Die Nationale Präventionskonferenz
                          Präventionsforum
                     Berlin, 23. September 2020

                                                                FACHVORTRAG

                                   Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege:
    Wo liegen die größten Herausforderungen und wie können diese gemeistert werden?

                                                      Univ.-Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey
                                                   Charité – Universitätsmedizin Berlin
                                                Charité- Universitätsmedizin Berlin
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Die Nationale Präventionskonferenz Präventionsforum Berlin, 23. September 2020
Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege -

noch immer eine „Quadratur des Greises“!

Denn:
Die größte Errungenschaft von Gesundheitsförderung und
Prävention: das Erreichen des hohen Alters, die Tatsache, dass…

Diejenigen, die schon alt geworden sind, leben immer länger:
Eine 65-jährige Frau lebt durchschnittlich weitere 21 Jahre, ein
      gleichaltriger Mann hat 18 Jahre zu erwarten

Wird gleichzeitig zur größten Herausforderung für die Pflege:
Die größten Herausforderungen: Expansion Pflegebedarf

Daten der gesetzlichen Pflegeversicherung zeigen für Deutschland,
dass zwar die absolute Anzahl der Jahre ohne Pflegebedarf stetig
ansteigt, jedoch im geringeren Maß als die Lebenserwartung –
Expansion im Anteil der Jahre mit Pflegebedarf!

Quellen: Studien des Instituts für medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft: Anonymisierte Abrechnungsdaten von 1,8 Millionen AOK Nordost Versicherte seit 2006 à Einschluss von
70+-Jährigen
Die größten Herausforderungen: Zahl Pflegebedürftiger steigt

                                             5 355 000
                                             1 427 000

                                4 103 000
                                 951 000
                                             2 422 000
                    3 414 000
                    544 000
                                1 494 000
                    1 337 000

       2 016 000
        299 000
        715 000                  793 000
                    717 000                   739 000

       479 000
                    817 000      865 000      767 000
       522 000

        1999         2017        2030*        2050*
Die größten Herausforderungen: Demenzerkrankungen
 korrelieren mit hohem Pflegegrad
 Prävalenzrate von Demenzerkrankungen in Deutschland nach Alter und Geschlecht im Jahr 2016

                                                                        Mä nner   Fra uen   Insgesamt

                 50,0%

                                                                                                                             44,17%
                 45,0%
                                                                                                                                      40,95%
                 40,0%

                 35,0%

                                                                                                             28,35%      29,18%
                 30,0%
Prävalenzrate*

                                                                                                                  26,11%
                 25,0%
                                                                                                        20,85%
                 20,0%
                                                                                       16,39%15,6%
                                                                                  14,35%
                 15,0%
                                                                                                                                                    10,95%9,99%
                 10,0%
                                                               6,89%7,63%7,31%                                                                 7,16%
                 5,0%                       3,23%3,74% 3,5%
                         1,79%1,43% 1,6%
                 0,0%
                          65 bis 69 Jahre    70 bis 74 Jahre    75 bis 79 Jahre       80 bis 84 Jahre     85 bis 89 Jahre   90 und älter          65 und älter
                                                                                       Altersgruppe

 Quelle(n): Deutsches Zentrum für Altersfragen; Alzheimer Europe; ID 246021
Die größten Herausforderungen: 13 Millionen Babyboomer

• 2025 – Babyboomer im Mittel zwischen 60 und 70 Jahre alt.

• Starke Nachfrage an Pflege zwischen 2035 und 2050

• 2035 – Babyboomer zwischen 70 und 80 Jahre alt. Ab diesem Zeitraum werden voraussichtlich große
  Herausforderungen für Gesundheits- und Sozialversorgungssysteme entstehen.

• 2045 – Babyboomer zwischen 80 und 90 Jahre. Mittlere Sterblichkeit erreicht. Definitiv große
  Herausforderungen fuer Gesundheits- und Sozialsysteme

• 2055 – Überlebende Babyboomer zwischen 90 und
         100 Jahre.

• ~ 2065 – Tod der letzten Überlebenden der Babyboomer
   Generation

Plus: veränderte Lebensformen: Alleinleben und veränderte Lebenslagen: Migration
Die größten Herausforderungen: Fachkräftemangel

Erwerbsbevölkerung in Deutschland nimmt ab!
Bis 2035 Mangel an Pflege-und Gesundheitsberufen: 270.000 (BIBB 2019)

                                       Entwicklung der Bevölkerung im Erwerbsalter (20 bis 65 Jahre)
                                                        in den Jahren 2008–2060
                                55
                                                                                                                                              Obergrenze

                                50                                                                                                            Untergrenze

                                45
           Millionen Personen

                                40

                                35

                                30

                                25

                                20
                                     2008           2020                   2030                   2040                  2050                   2060

        Quelle: Statistisches Bundesamt (2009), Bevölkerung Deutschlands bis 2060 – 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Begleitheft zur Pressekonferenz.

 8
Fachkräftemangel
   Die größten Herausforderungen: Arbeitssituation in der Pflege

angespannten Personalsituation in der Pflege und Arbeitsbelastungen…

• Überdurchschnittlich hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten

• Überdurchschnittlich hohe psychische und physische Belastungen

• Schwere der körperlichen Arbeit

• Zeitdruck und Arbeitsverdichtung

• häufige atypische Arbeitszeitlagen,

• noch immer beklagte niedrige Einkommen (Gratifikationskrise)

…machen die Pflegenden selbst zu einer sehr wichtigen Zielgruppe von (betrieblicher)
Gesundheitsförderung und Prävention (vgl. Diskussionsforum)

Quelle: Pflege-Report 2019
Die größten Herausforderungen: Ca. 5 Mio. pflegende Angehörige

      Von wem erwarten Sie Unterstützung im Alter?
70   64,7 63,5
60
                                      48
50

40                          36,7

30
                                                        21,6 23,1
                                                                              18,5
20
                                                                                                        8,5
10                                                                                    5,2                     3
 0
      Familie              Pflegedienst               Sozialstation      Nachbarn/Freunde            keine/andere

                                                 2004        2013

          Abbildung: Unterstützung im Alter – Erwartungen und Adressaten (Vergleich Monitor 2004 und 2013)

                  Quelle: Kuhlmey et al. 2013: Gesundheitsmonitor
Die größten Herausforderungen: Belastungen pflegender Angehöriger …

§ Im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung haben pflegende Angehörige auffallend mehr oder
  stärkere körperliche Beschwerden

§      Länderübergreifend zeigt sich ein negativer Zusammenhang zwischen Pflegebelastungen und
       Lebensqualität bei älteren pflegenden Angehörigen von Demenzerkrankten

§ Reduzierte subjektive Schlafqualität und in der Folge erhöhte Tagesmüdigkeit bei pflegenden Angehörigen
  von Menschen mit Demenz im Vergleich zu nichtpflegenden Personen

§      Sowohl für Frauen (2,4%) als auch für Männer (3%) konnten mit Daten des SOEP (2001-2007)
       Lohneinbußen durch familiäre Pflegetätigkeiten identifiziert werden

§      Allgemeine Erschöpfung äußert sich in psychosomatischen Beschwerden

…machen die pflegenden Angehörigen zu einer sehr wichtigen Zielgruppe von Gesundheitsförderung und Prävention

Quellen: BMFSFJ 1996, Wetzstein M, Rommel A, Lange C (2015) Pflegende Angehörige – Deutschlands größter Pflegedienst, Hrsg. Robert Koch – Institut, Berlin, Alltag et al., 2019, Ehrlich et al., 2020, Sittler et al., 2020,
Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen 1993
… und in Zeiten der Corona-Pandemie?
           Ergebnisse einer Befragung von 1000 pflegende Angehörigen im April/Mai 2020

• 41% der Befragten, die einen Angehörigen mit einer Demenz versorgen, berichten von einer
  Verschlechterung der Pflegesituation

• Bei knapp 40% sind Dienstleistungen und nahe Hilfestrukturen (Tagespflege, amb. Pflegedienst, Hausarzt,
  Fußpflege, Nachbarn, andere Familienmitglieder) weggefallen

• Emotionale Situation: Verzweiflungsgefühle, Gefühle von Hilflosigkeit

• Sorge das Corona-Virus vom Arbeitsplatz zum Pflegebedürftigen

Quelle: Eggert, S (ZQP), Teubner, Ch (ZQP), Budnick, A (Charité),Gellert, P (Charité), Kuhlmey, A (Charité); 2020
1. Zwischenfazit

Herausforderungen für Gesundheitsförderung
und Prävention in der Pflege
(Wechselwirkungen):

Zunehmende gesundheitliche Vulnerabilität
und steigende Verletzlichkeit im Altersgang

Mehr Pflegebedürftige und höhere Komplexität
der pflegerischen Versorgung

Hohe Arbeits-(Belastung) der Pflegekräfte und
der pflegenden Angehörigen
Zwischenfrage: Was ist das Ziel von Gesundheitsförderung
             und Prävention in der Pflege?

    1.   Erhalt der Gesundheit im Lebensverlauf - kann nicht die völlige Abwesenheit von
         Einschränkungen und Krankheitsprozessen bedeuten

    2.   Erhalt der Gesundheit der Helfenden: Pflegende und pflegende Angehörige

    Damit sind auch wesentliche Ansatzpunkte von Gesundheitsförderung und
    Prävention in der Pflege beschrieben: Vorhandene physische, psychische und soziale
    Ressourcen in einer besonders vulnerablen Zielgruppe sind aus Sicht der Pflege zu
    identifizieren und mit Blick auf den Erhalt von Selbstständigkeit und
    Selbstbestimmung, Wohlbefinden und Lebensqualität zu stärken; weiteren
    Ressourcenverlust gilt es zu verhindern.
                                                                                           14
Lösungen: Pflegebedarf vermeiden, hinauszögern, mildern

Soziale Aktivitäten könnten im höheren
Lebensalter ein Baustein sein, um Demenz
vorzubeugen (Whitehall-II- Studie): Befunde
zeigen, dass eine Person, die im Alter von 60
Jahren fast täglich Freunde sah, 12% weniger
wahrscheinlich an Demenz erkrankte als jemand,
der nur alle paar Monate einen Freund sah.

Quelle: Sommerlad, A. et al.: Plos Medicine(2019; doi: 101371/journal.pmed.1002862
Lösungen: Pflegesystem auf Erhalt von Ressourcen ausrichten

Ist: Die aktuelle gesetzlich geförderte Altenpflege ist
nahezu exklusiv auf die Versorgung von Defiziten bei
pflegebedürftigen Menschen ausgerichtet.

Quelle: Kümpers, Susanne/ Wolter, Birgit (2015): Soziale Teilhabe pflegebedürftiger älterer Menschen in innovativen stationären
Wohnformen. In: Pflege Report 2015: Pflege zwischen Heim und Häuslichkeit
Lösungen: Versorgung konsequent präventiv ausrichten
Ist:

• Versorgungsdefizit von psychotherapeutischer Behandlung von über 70-jährigen
• Die Schmerzmedikation bei in der Häuslichkeit versorgten Pflegebedürftigen (mit und ohne kognitive
    Einschränkungen) ist bei über 80% nicht angemessen

• Die Schmerzmedikation bei auskunftsfähigen Pflegeheimbewohnern ist bei über 60% nicht
    angemessen (PMASD score
2. Zwischenfazit

Gesundheitsförderung, Prävention und
Rehabilitation – Ressourcenstärkung -
müssen zu starken Komponenten des
pflegerischen Versorgungssystems werden -
auch bei bereits eingeschränkter Gesundheit.
Denkanstoß: neue Entwicklungen – geänderte Möglichkeiten
Die Versorgung pflegebedürftiger Menschen trifft auf geänderte Bedingungen, Krankheits- und Gesundheitsprozesse
schreiben sich nicht einfach fort, Betroffene haben andere Orientierungen und Eigenschaften. Es verändern sich die
Bedürfnisse der Pflegenden und die Lebensentwürfe pflegender Angehöriger.
Lösungen: Digitalisierung
Digitalisierung könnte die Chance für Gesundheitsförderung und Prävention in der Pflege sein

Cave: Laut Forsa-Umfrage würden 83% der Deutschen auf technische Hilfsmittel zurückgreifen,
wenn sie dadurch im Hilfefall länger zu Hause wohnen bleiben.

Wo liegt der Mehrwert der Digitalisierung für eine bessere Gesundheit?

• Förderung pflegerischer Selbstbestimmung durch einfach handhabbare
  Monitoring Anwendungen

• Verbleib in der eigenen Wohnung fördern: technische Assistenzsysteme, Einsatz von
  Sensorik und digitaler Programmierung zur Ausschaltung von Gefahrenquellen (Herd)

• Kommunikation in den Sozialraum und regional verstreuten Familienmitgliedern:
  WhatsApp-gruppen als Möglichkeit ältere Menschen in den digitalen Sozialraum zu integrieren

• Apps zur vereinfachten Nutzung des öffentlichen Raums (öffentliche Toiletten finden,
  Übersetzungsansagen zur Überwindung von Sprachbarrieren für ältere Migrantinnen und Migranten)
Fazit

Gesundheitsförderung und Prävention in der
Pflege heißt die Maximierung von Gewinnen und
die Minimierung von Gesundheitsverlusten.
Gesundheitsförderung und Prävention
ermöglichen ist aber mehr als die Erfüllung eines
pflegerischen Versorgungsauftrages - es ist die
lebensweltliche Herausforderung der alt
werdenden Gesellschaften
Vielen Dank für Ihr Interesse
     und die Aufmerksamkeit

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