Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2019 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
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Inhaltsverzeichnis Grußwort 4 Svenja Schulze Grußwort 5 Rita Schwarzelühr-Sutter und Alexander Bonde Die Preisträger 2019 6 Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner 18 Reinhard Schneider DBU Deutscher Umweltpreis 30 Die Verleihung des 27. Deutschen Umweltpreises in Mannheim 32 Das Vorschlags- und Auswahlverfahren 34 Mannheim – Urbanes Flair und kulturelle Highlights 38 Rückblick – Deutscher Umweltpreis 2018 42 Umweltpreisträger 2018 – ein Jahr danach Die Preisträger 46 Alle Preisträger im Überblick Das Kuratorium 66 der Deutschen Bundesstiftung Umwelt Die Jury 67 zum Deutschen Umweltpreis 2019 Die Vorschlagsberechtigten 68 für den Deutschen Umweltpreis 2019 70 Nachhaltigkeit bei der Preisverleihung 72 Impressum
Programm des Festaktes Begrüßung Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Vorsitzende des Kuratoriums der DBU Festrede Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Musik Die Schlagzeugmafia Preisträger rof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner, Wissenschaftszentrum Weihenstephan P für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der Technischen Universität München, Freising Reinhard Schneider, Werner & Mertz GmbH, Mainz Preisübergabe Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Schlusswort Alexander Bonde, Generalsekretär der DBU Moderation Judith Rakers Empfang im Foyer des Congress Centers Rosengarten Twittern Sie Ihre Kommentare unter #uwp19
Grußwort Schon seit fast 30 Jahren fördert die Deutsche wir selbst in der Hand. Für die Wirtschaft bieten z. B. Bundes stiftung Umwelt Vorhaben zum Schutz der die Energie- und die Verkehrswende sehr große Umwelt und hat dabei ganz besonders die kleinen und Chancen. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hilft mittleren Unternehmen im Fokus. Der Mittelstand ist dabei, dies zu erkennen, und die Chancen zu nutzen. das Rückgrat der Wirtschaft hier in Deutschland, um das uns viele beneiden. Ich bin sicher, der Mittelstand Neue Geschäftsmodelle, die den Klimaschutz unter- ist eine tragende Stütze, wenn sich Deutschland bis stützen, sind weltweit gefragt. Jede Innovation hat 2050 zu einer treibhausgasneutralen Gesellschaft auch das Potenzial, das Leben vieler Menschen auf wandelt. Denn der Mittelstand ist innovativ und der Welt besser zu machen. Viele fragen, warum flexibel. Deutschland im Umwelt- und Klimaschutz, in For- schung und Innovation Vorreiter sein soll. Die Antwort Nie wurde in Deutschland mehr in Forschung und Ent- liegt auf der Hand: Weil es uns allen nützt! Es ist gut wicklung investiert als in den vergangenen Jahren. für ein führendes Industrieland, wenn es die Techno- Besonders erfolgreich ist dabei das Zusammenspiel logien entwickelt, mit dem Umwelt- und Klimaschutz aus privater und öffentlicher Forschung. In wichtigen erfolgreich sein können. Das schützt unsere Lebens- Zukunftsfeldern wie Energie und Umwelt, so stellte grundlagen und sorgt für Wertschöpfung, Arbeits- es die OECD 2017 fest, gehört Deutschland neben plätze und Wohlstand – heute und in Zukunft. Japan und den USA sogar zu den führenden drei Forschungsstandorten weltweit. Und das Weltwirt- Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt fördert inno- schaftsforum kam 2018 zu dem Ergebnis: Kein Land vative, modellhafte Ideen in vielen Bereichen und sie der Welt ist so innovativ wie Deutschland. Darauf kön- zeichnet die besten Leistungen mit dem Deutschen nen wir stolz sein, darauf können wir aufbauen. Umweltpreis aus. Ich möchte den diesjährigen Preis- trägerinnen und Preisträgern für ihr herausragen- Mir ist es wichtig, dass die Veränderungen, die auf des Engagement danken und weiterhin viel Erfolg im Deutschland, seine Wirtschaft und seine Bürgerinnen Interesse unserer Umwelt wünschen. und Bürger zukommen, nicht als Bedrohung gesehen werden. Der Klimawandel zwingt uns zwar dazu, uns zu verändern. Aber wie wir uns verändern, das haben Svenja Schulze, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 5 Grußwort Die Auswirkungen des Klimawandels werden immer Mit zahlreichen Initiativen zum Umweltschutz und sichtbarer, ein weiterer trockener Sommer und zur nachhaltigen Entwicklung betrat Reinhard hitzegeplagte Wälder geben einen unmittelbaren Schneider, Inhaber der Firma Werner & Mertz Eindruck der zunehmend beschleunigten Verände- in Mainz, als »Unternehmens-Pionier« Neuland: rung. Zugleich intensiviert sich die gesellschaftliche konsequentes Wiederverwerten von Altplastik für Auseinandersetzung um die ökologischen Konse- neue Verpackungen, umweltfreundlich bedruckte quenzen unseres Lebensstils, fordern immer mehr Etiketten, regionale Pflanzenöle statt des umstritte- Menschen verbindliche und glaubwürdige Antworten, nen Palmkern- oder Kokosöls aus tropischen Regi- wie sich das Klima schützen und intakte Ökosysteme onen sowie freiwillige Umweltbetriebs prüfungen erhalten lassen. Das Pariser Klimaübereinkommen des Unternehmens nach den Vorgaben der Euro- und die Sustainable Development Goals der UN haben päischen Union (EMAS). Obwohl Schneider mit dem hier den gemeinsamen Handlungsrahmen definiert – Herstellen von Wasch- und Reinigungsmitteln in für konsequente Strukturentscheidungen, kreative einem schwierigen ökologischen Umfeld agiert, Ideen und mutige Innovationen. Mit dem diesjährigen machte er umweltfreundliche Produkte in einem Deutschen Umweltpreis würdigen wir zwei Persön- Massenmarkt mehrheitsfähig. lichkeiten, die in besonderer Weise dafür stehen, zukunftsweisende Lösungen für die ökologischen Wir freuen uns darüber, dass Bundespräsident Herausforderungen der Gegenwart zu liefern. Frank-Walter Steinmeier auch in diesem Jahr den Deutschen Umweltpreis, Europas höchstdotierte Die renommierte Bodenwissenschaftlerin Prof. Dr. Umweltauszeichnung, persönlich überreichen wird. Ingrid Kögel-Knabner von der Technischen Univer sität München (TUM) begründet durch ihre For- Wir heißen Sie in Mannheim herzlich willkommen schungsarbeit ein völlig neues Verständnis für die und freuen uns auf eine bereichernde und impuls- Kapazität von Böden, Kohlenstoff aufzunehmen und gebende Festveranstaltung! zu speichern. Vor allem liefert sie Antworten auf die Frage, auf welchen Böden eine Kohlenstoffspeiche- rung nachhaltig möglich ist, um so dem Klimawandel entgegenzuwirken. Rita Schwarzelühr-Sutter, Alexander Bonde, Parlamentarische Staatssekretärin Generalsekretär der DBU Vorsitzende des Kuratoriums der DBU
6 Die Preisträger 2019 Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der Technischen Universität München, Freising »Böden sind unsere Lebensgrundlage« – die Bodenforscherin Ingrid Kögel-Knabner im Portrait Forschen ist ihre Passion. Sie brennt für die Ausbildung von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und war maßgeblich an der Erforschung beteiligt, wie Böden Kohlenstoffdioxid in abgewandelter Form speichern. Die Professorin Dr. Ingrid Kögel-Knabner vom Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der Technischen Universität München in Freising wird für ihr außerordentliches Engagement zur Entwicklung der Bodenkunde als transdisziplinäre Umweltsystemwissenschaft als auch für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und ihre innovative Forschung ausgezeichnet. Glückliche Umweltpreisträgerin: Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner
Leben im Boden: Röhren von Regenwürmern Als der Anruf der DBU kommt, der sie über die Ver- Kohlenstoffdioxid (CO2) durch Zersetzungsprozesse leihung des Umweltpreises informieren soll, ist sie in den Böden wieder an die Atmosphäre abgege- völlig überrascht. »Ich muss das erst noch alles reali- ben werden kann und dann zum Klimawandel bei- sieren«, sagt Kögel-Knabner. »Aber es ist schön, dass trägt. Nicht zuletzt ist organische Substanz für die nun dem Thema Boden mehr Beachtung geschenkt Bodenfruchtbarkeit von Bedeutung. Böden können wird.« Die Wissenschaftlerin ist sicher vieles und bei einem hohen Gehalt an organischer Substanz vor allem eins: erfolgreich – an fast 300 Publikatio- mehr Nährstoffe speichern, was insbesondere für nen war sie beteiligt –, aber abgehoben ist sie nicht. die Landwirtschaft von Interesse ist. Organische Sub Auf die Frage, ob sie nicht auch an einem Lehrbuch stanz ist die Gesamtheit der abgestorbenen Tier- und mitgewirkt habe, winkt sie ab: »Ich habe doch nur ein Pflanzenreste im und auf dem Boden sowie deren Kapitel geschrieben.« Die sympathische, bodenstän- Umwandlungsprodukte. dige Frau mit den leuchtenden, aufgeweckten Augen beantwortet geduldig jede Frage. Vor allem wenn die »Mich hat die Schönheit von Böden und ihre Vielfalt Forscherin über ihre Studien spricht, wird die Leiden- begeistert« schaft für ihre Arbeit deutlich. Denn dann erzählt sie Die Wissenschaftlerin war schon immer gern drau- besonders ausführlich. Doch immer in einfacher, ver- ßen. Die Schönheit und das »Handfeste«, Greifbare ständlicher Sprache, ganz die Professorin und enga- am Boden haben sie dazu bewogen, sich bereits gierte Wissensvermittlerin. recht früh mit der Bodenkunde zu befassen. Schon in der Schule hat Kögel-Knabner eine Facharbeit über Kögel-Knabner befasst sich unter anderem damit, Rekultivierung in einem Braunkohlerevier geschrie- welche Mechanismen an der Stabilisierung von Koh- ben. Heute ist sie Professorin, Mitglied in zahlreichen lenstoff – in Form von organischer Substanz – im wissenschaftlichen Akademien und hat eine ganze Boden beteiligt sind. Das ist wichtig, weil das Gas Reihe von Auszeichnungen erhalten. Dazu zählen der
8 Die Preisträger 2019 Ingrid Kögel-Knabner mit Mitarbeiterin und Mitarbeitern bei der Boden-Probennahme im Freisinger Waldgebiet Maximiliansorden als höchste Würdigung des Frei- »Geoökologie in Bayreuth war im Nachhinein eine staates Bayern, der für außergewöhnliche Leistun- super Entscheidung; das Künstlerische im Studien- gen in Wissenschaft und Kunst verliehen wird, und gang Landschaftsarchitektur hätte mir wahrschein- das Bundesverdienstkreuz am Bande. Außerdem lich nicht so gelegen«, überlegt die Professorin. »Der gehört Kögel-Knabner seit 2015 zu den weltweit am Studiengang war 1978 noch ganz neu in der Kon- häufigsten zitierten Wissenschaftlerinnen und Wis- zeption und dadurch etwas chaotisch organisiert«, senschaftlern. erinnert sie sich. Anfangs gab es nur 25 Studierende und Kögel-Knabner war schließlich eine der ersten Die Entscheidung für den Studiengang Geoökologie Absolventinnen. Heute ist der Studiengang an vielen war wesentlich für die spätere Karriere deutschen Universitäten etabliert. Aber von vorn. Kögel-Knabner wird im Jahr 1958 geboren und macht Ende der 1970er-Jahre ihr Nach dem Studium beginnt Kögel-Knabner ihre Abitur. Damals ist es nicht selbstverständlich, dass Doktorarbeit am Lehrstuhl für Bodenkunde an der junge Frauen studieren. Wahrscheinlicher ist, dass Universität Bayreuth. Anschließend arbeitet sie dort sie heiraten und Hausfrauen werden. Doch Ingrid als akademische Rätin, bis sie 1992 in Bayreuth habi- Kögel-Knabner möchte studieren und ihre Eltern, die litiert wird. Als Professorin geht sie zunächst an die einen Hof betreiben, bestärken sie. Die gebürtige Bay- Ruhr-Universität Bochum. Seit 1995 ist die Boden reutherin interessiert sich für verschiedene Studien- forscherin an der TU München. gänge wie Landespflege und Landschaftsarchitektur. Auch Forstdienst hätte sich Kögel-Knabner vorstellen »A nation that destroys its soils destroys itself«, können, doch das war schnell vom Tisch, denn dafür Franklin D. Roosevelt hätte sie mindestens eine Körpergröße von 1,65 m Kögel-Knabner arbeitet nun schon Jahrzehnte erreichen müssen. begeistert mit Böden und so stellt sich die Frage:
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 9 Sollten wir uns vielleicht alle mehr für Böden inter- »Grundsätzliche Handlungsempfehlungen kann man essieren? hier nicht aussprechen«, stellt Kögel-Knabner fest. »Maßnahmen sind von der jeweiligen Region bezie- »Böden sind unsere Lebensgrundlage, die Basis für hungsweise Beschaffenheit des Bodens abhängig.« die menschliche Ernährung«, erklärt Kögel-Knabner. Prinzipiell sollten Böden aber nicht lange unbedeckt Sie zitiert den 32. US-amerikanischen Präsidenten bleiben, damit Wind und Wasser die obersten Schich- Franklin D. Roosevelt, der einmal sagte, dass sich ein ten nicht abtragen. Mit ihren Wurzeln bringen Pflan- Land selbst zerstöre, wenn es seine Lebensgrund- zen Kohlenstoff in den Boden ein und schützen den lage, sprich seine Böden, zerstöre. Ohne Böden wür- Boden vor Erosion, indem sie ihn verfestigen und den unsere Ökosysteme überhaupt nicht funktionie- zusammenhalten. ren. In aktuellen Klimamodellen sind Böden noch unter- Die Funktion von Böden machte Kögel-Knabner auch repräsentiert. »Viele Modelle betrachten die Grenz- bei der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) fläche zwischen Boden und Atmosphäre, aber die zum Thema: Das Schwerpunktprogramm »Böden als Prozesse im Boden werden wenig berücksichtigt«, Quelle und Senke von Kohlenstoffdioxid – Mechanis- sagt die Professorin. »Wir arbeiten aber daran, das men und Regulation der Stabilisierung organischer zu ändern.« Mit einer internationalen Arbeitsgruppe Substanz in Böden«, wurde von der Professorin ini- arbeitet sie an Empfehlungen für die Berücksich- tiiert und koordiniert. Die Ergebnisse der Studien zei- tigung von Böden in Klimamodellen. »Die Kohlen- gen, dass vor allem die Interaktion der organischen stoffmodelle für den Boden sind in ihrer Konzeption Substanz mit Mineralen wichtig ist. Kögel-Knabner: bereits rund 30 Jahre alt. Sie funktionieren gut für »Man weiß erst seit Kurzem, dass Eisenoxide und manche Fragestellungen zum Boden, aber man muss Tonminerale eine wichtige Rolle bei der Stabilisie- eigentlich mit einem anderen Ansatz herangehen rung von organischer Substanz spielen. Die Struk- und prozessbasiert beschreiben. Um generelle Vor- turen der Minerale, an denen organische Substanz aussagen zu machen, muss man erstmal Böden und gebunden werden kann, sind nämlich so klein, dass ihre Eigenschaften kennen«, gibt die Forscherin zu die Enzyme von Mikroorganismen die organische bedenken. Deswegen müsse man erst noch genauere Substanz nicht erreichen und somit nicht abbauen Untersuchungen durchführen. können.« Organische Reste können dann tausende von Jahren im Boden überdauern, ohne einen Beitrag Gummistiefel und Hightech zum Klimawandel zu leisten. Kögel-Knabner verwendet für ihre Untersuchungen modernste Technologien, die zu neuen Erkenntnis- Lässt sich Bodenforschung praktisch anwenden? sen in der Bodenkunde beitragen. So etablierte die In gewissem Rahmen sorgt die Natur selbst dafür, Professorin ein sogenanntes Sekundärionenmassen- dass sich Kohlenstoff im Boden verteilt. Das nennt spektrometer (NanoSIMS) an ihrem Fachbereich, das man Bioturbation und meint damit das Umgraben durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) des Bodens und Bauen von Gängen durch Tiere, wie gefördert wurde. Das NanoSIMS arbeitet mit einer etwa Regenwürmer und Maulwürfe. Doch wie lässt räumlichen Auflösung im Nanometerbereich. Solche sich Kohlenstoff gezielt im Boden halten, beispiels- Geräte werden üblicherweise in den Materialwissen- weise durch entsprechende Bearbeitung, und gibt es schaften, in der Geologie oder Mikrobiologie einge- dazu bereits Handlungsempfehlungen? Derzeit wird setzt. Doch Kögel-Knabner erkannte früh das Poten- experimentell untersucht, welche Maßnahmen sinn- zial des NanoSIMS für die eigene Forschung. Zuvor voll sind, wie Böden bearbeitet werden müssen und hatte es weltweit nur einige wenige Untersuchungen wie tief Kohlenstoff in welchen Mengen in den Boden mit dem NanoSIMS zu biogeochemischen Frage- gelangen kann. stellungen in den Bodenwissenschaften gegeben.
10 Die Preisträger 2019 »Man sieht den Boden im Detail nur, wenn man rein- zoomt, und deswegen ist es mir wichtig, Techniken, die das können, auch zu nutzen«, erläutert die Pro- fessorin. Kögel-Knabner und ihr Team ergründen mit dem NanoSIMS die Zusammensetzung von feinsten Teilchen. Am Rechner zusammengesetzt können die verschiedenen Ebenen der NanoSIMS-Messung sogar als 3-D-Architektur ausgegeben werden. »Wir wollen natürlich in der Forschung weiterkommen und deswegen benutzen wir Hightech-Geräte. Das ist schon nochmal etwas anderes, wenn man die Struk- turen sehen kann, als wenn man nach einer Messung nur Zahlenwerte vorliegen hat«, erklärt die Boden- kundlerin. So bekomme man ganz neue Erkenntnisse. Aufgrund der immensen Anschaffungskosten von rund 3,6 Millionen Euro pro NanoSIMS gibt es weltweit nur etwa 40 bis 50 Stück. Zudem wird ein NanoSIMS nur auf Bestellung gefertigt. Das Gerät ist aber nicht nur ziemlich teuer, sondern reagiert auch äußerst empfindlich auf Erschütterungen und Temperatur- schwankungen. So musste Kögel-Knabner zunächst einen geeigneten Raum für ihr NanoSIMS suchen. Den fand sie im Gebäude der Fakultät für Forstwis- senschaften. Dort steht es nun auf einem Betonbo- den, der abgelöst vom restlichen Gebäude ist. »Wäre das Gerät vom Hersteller nicht 2 cm schmaler gebaut worden, hätte es nicht durch die Tür gepasst«, sagt die Professorin verschmitzt. »Sonst hätte man eine Wand einreißen müssen.« Das ist wohl ein Vorteil bei Anfertigungen auf Bestellung. Das NanoSIMS an der TUM wird übrigens nicht nur von der Arbeitsgruppe um Kögel-Knabner genutzt, sogar Kolleginnen und Kollegen aus Übersee fragen Kooperationen an. Denn Kögel-Knabners Arbeits- gruppe verfügt nicht nur über die nötige Expertise zur Messung und Auswertung, sondern weiß auch genau, wie Probennahmen zu planen sind und wie Proben vor der Messung aufbereitet werden. Als interessierte Forscherin untersucht Ingrid Kögel-Knabner das Bodenprofil im Wald.
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 11 Die Professorin mit Doktorandin Vera Baumert am NanoSIMS Die Bodenkundlerin ist aber nicht nur im Labor tätig. Ausgewogenheit ist wichtig Sie schreibt auch Anträge, um Gelder einzuwerben – Kögel-Knabers »liebstes Hobby« ist ganz sicher die vor allem für Doktorandinnen und Doktoranden sowie Wissenschaft. Aber woher nimmt sie die Energie für Studierende, beschäftigt sich mit Verwaltungsange- all das, was sie erreicht und geschaffen hat? legenheiten und koordiniert Forschungsprojekte. Was ihr aber besonders am Herzen liegt, ist die Lehrtä- »Ich bin ein positiv denkender Mensch, der sich von tigkeit. Neben Vorlesungen und Seminaren leitet Kö- Rückschlägen nicht so leicht abschrecken lässt und gel-Knabner Geländeexkursionen. Bei diesen heben ich nehme alles nicht zu ernst. Ich habe eine gewisse die Studierenden häufig mit dem Spaten selbst den »persistence«, sagt sie nach kurzem Überlegen. Be- Boden aus. Aber auch ein Mini-Bagger kommt dabei harrlichkeit also. Und sie begeistere sich immer wie- zum Einsatz. der aufs Neue für Studienergebnisse ihrer Studieren- den und Doktorandinnen bzw. Doktoranden. Es mache ihr Freude zu sehen, wenn junge Wissenschaftlerin- nen und Wissenschaftler erfolgreich seien.
12 Die Preisträger 2019 Die Professorin bei der Auswahl von Bodenaggregaten mit Doktorandinnen und Doktoranden Ganz wichtig sei ihr aber auch die Balance von Arbeit während die ältere Tochter Ethnologie mit Schwer- und Familie. »Ohne Familie wäre ich jemand ande- punkt Westafrika studierte und jetzt in der Entwick- rer«, erzählt die Professorin mit sanfter Stimme. lungszusammenarbeit tätig ist. »Auch Bodenwissenschaftler brauchen eine Erdung und meine Familie erdet mich.« Kögel-Knabners Ob sie sich für junge Wissenschaftlerinnen als Vorbild Ehemann hat selbst einen Lehrstuhl inne: in ange- sehe, Familie und Karriere unter einen Hut zu brin- wandter Mathematik. Die beiden Töchter sind bereits gen? »Ja« sagt die Professorin. »Viele glauben, dass erwachsen und gehen ihre eigenen Wege. Dabei tre- Wissenschaft und Familie nicht funktionieren kann. ten sie aber nicht unbedingt in die Fußstapfen der Das ist bei mir genau umgekehrt gewesen. Für mich Mutter: Die jüngere hat letztes Jahr Abitur gemacht ist die Familie eine Kraftquelle.« Durch die Familie sei und arbeitet nun als Regie-Assistentin am Theater, die Wissenschaft nicht das einzig Wichtige in ihrem
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 13 versuche mich als Gemüsegärtnerin mit mäßigem Erfolg«, berichtet sie lachend. Die mehrfach ausge- zeichnete Wissenschaftlerin beherrscht eine weitere, besondere Kunst: Sie nimmt sich selbst nicht zu ernst. Zur Person Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner Geburtsdatum und -ort: 3. Dezember 1958 in Bayreuth Ausbildung: 1978 Abitur und Aufnahme des Studiums der Geoökologie in Bayreuth 1987 Erlangung der Doktorwürde am Lehrstuhl für Boden- kunde, Universität Bayreuth 1992 Habilitation am Lehrstuhl für Bodenkunde, Universi- tät Bayreuth 1995 C4-Professur an der TUM in Freising Forschung und Lehre: Forschung zur Bildung, Zusammenset- zung und Eigenschaften der organischen Substanz in Böden und deren zentrale Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf, insbesondere Aufdeckung der Bedeutung von Eisenoxiden für die Stabilisierung der organischen Bodensubstanz, transzdis- ziplinäre Ausrichtung der Bodenkunde, Förderung des wissen- schaftlichen Nachwuchses Leben und dadurch hätten Rückschläge in der For- schung nicht zu viel Bedeutung gewonnen. Sie ist vor Bisherige Auszeichnungen: Bayerischer Maximiliansorden allem ihrem Mann dankbar: Er habe sie immer sehr für Wissenschaft und Kunst (2018), Heinz Maier-Leibnitz- unterstützt und sei viel gependelt, betont sie. Medaille der Technischen Universität München (2016), Phi- lippe-Duchaufour-Medaille (2015), Thomson Reuters highly Wenn noch ein bisschen Freizeit übrig ist, besucht cited researcher (seit 2015), European Geosciences Union Kögel-Knabner gern die Theateraufführungen ihrer (2015), Doctor honoris causa, Universität für Bodenkultur, jüngeren Tochter oder geht wandern. »Meine Kin- Wien, Österreich (2015), Emil-Ramann-Medaille der Deutschen der mochten Wandern gar nicht, als sie klein waren. Bodenkundlichen Gesellschaft (2015), Bundesverdienstkreuz Jetzt sind sie aus dem Haus und ich gehe wieder öfter am Bande der Bundesrepublik Deutschland (2013) wandern. Ansonsten lese und koche ich gern und
14 Die Preisträger 2019 Boden – Grundlage unseres Seins Wenn wir von Boden sprechen, meinen wir den obe- komplexer. Bodenkunde, auch Pedologie genannt, ren, von Organismen durchsetzten Teil der Erdkrus- ist eine interdisziplinäre Naturwissenschaft mit che- te, der nach unten durch Gestein begrenzt wird. Aus mischen, biologischen, physikalischen und geologi- Sicht einer Bodenkundlerin oder eines Bodenkund- schen Aspekten. lers sind die Sachverhalte rund um Böden natürlich Böden übernehmen viele wichtige Funktionen: Sie Belastungen zu vermeiden. Dabei ist der Schutz vor sind Grundlage für die Nahrungsmittelproduktion dem Eintrag schädlicher Stoffe ein wichtiger Aspekt. in Form von Ackerböden oder Viehweiden, Lebens- raum für viele Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen. Für standortspezifische Maßnahmen sind die Weiterhin filtern Böden Schadstoffe und speichern Beschreibung von Böden mit all ihren Eigenschaf- Grundwasser. Obwohl sie eine so zentrale Bedeutung ten und die Ausgabe der Informationen in Form von haben, sind Böden häufig gefährdet oder belastet: bei- Bodenkarten wichtig. Die Zusammensetzung von spielsweise durch Bodenerosion, womit das Abtragen Böden kann sehr mannigfaltig sein, weswegen man der obersten Bodenschichten zumeist durch Wasser sogenannte Bodentypen charakterisiert. Ein Bei- oder Wind infolge menschlicher Aktivitäten, wie etwa spiel ist die Parabraunerde, hervorgegangen aus das Pflügen von Äckern, gemeint ist. Die Versaue- feinem, kalkhaltigen Material. Dieser Boden ist sehr rung von Böden stellt ebenfalls ein großes Problem nährstoffreich und besitzt eine gute Wasserspeicher dar, insbesondere für die Landwirtschaft, da der kapazität, wodurch er beliebter Ackerboden ist. Pod- Boden dann besonders nährstoffarm wird. Ursache sole hingegen entwickeln sich aus sandigen, nähr- für saure Böden ist unter anderem die übermäßige stoffarmen Ursprungsmaterialien und sind wenig Anwendung von Düngemitteln, wie synthetischen geeignet für die Landwirtschaft. Bestimmte Pflan- Stickstoffdüngern. Zwar können Böden auch grund- zen, wie Kiefern oder Heidekraut, wachsen dagegen sätzlich niedrige pH-Werte aufweisen, wie beispiels- bevorzugt auf Podsolen. weise Moore. Auf solchen Böden wächst dann aber eine spezialisierte, angepasste Flora. Sollte sich der Vielfältiges Leben im Boden ursprüngliche pH-Wert eines Bodens stark verän- Böden sind Lebensraum vieler Tiere, Bakterien und dern, können das die ansässigen Pflanzen nicht tole- Pilze, aber auch wichtig als Standort für Pflanzen. rieren. Auch Flächenversiegelungen, also das Befes- Besonders häufig findet man Regenwürmer, Faden- tigen von Böden durch Bebauung mit Beton, Asphalt, würmer, Asseln und Insektenlarven in und auf den Pflastersteinen oder Ähnlichem, sind problematisch. Böden. Dazu kommen größere Tiere, die ihre Gänge Denn der Boden verliert durch die Versiegelung seine in den Boden graben, wie etwa Maulwürfe. Das ist natürlichen Funktionen. Eine wesentliche Aufgabe günstig für den Boden, der auf diese Weise gelockert zum Schutz von Böden besteht daher zunächst darin, und umverteilt wird. Viele der im Boden lebenden
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 15 Bodenprofil: Braunerde unter Buchenwald im Freisinger Forst Organismengemeinschaften sind an der Boden- Rolle von Kohlenstoff im Boden bildung selbst beteiligt. Sie bauen Stoffe ab und Auch beim Klimawandel spielt die organische Sub- um. Die Gesamtheit der abgestorbenen Tier- und stanz bzw. der darin enthaltende Kohlenstoff eine Pflanzenreste im und auf dem Boden, welche durch entscheidende Rolle. Böden sind neben Wäldern und die Bodenorganismen umgebaut werden, nennt man Ozeanen wichtige Speicher von Kohlenstoff und haben organische Substanz oder Humus. Die organische eine zentrale Funktion als Kohlenstoffsenke, also als Substanz ist insbesondere für die Bodenfruchtbarkeit Ort, der Kohlenstoff aufnimmt und der Atmosphäre in der Landwirtschaft von Bedeutung, da Böden bei entzieht. Durch die Zersetzungsprozesse im Boden einem hohen Gehalt an organischer Substanz mehr wird wieder Kohlenstoff in Form von Kohlenstoffdi- Nährstoffe speichern. Viele der Gefahren für Böden oxid an die Atmosphäre abgegeben. Erst seit ein paar bedrohen auch die Artenvielfalt. Beispielsweise kann Jahren ist bekannt, dass Eisenoxide und Tonminerale durch intensive Bodenbearbeitung und Düngung mit eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung von organi- Mineral düngern in der Landwirtschaft organische scher Substanz im Boden spielen. Die Strukturen der Substanz verloren gehen, wodurch die Bodenorganis- Minerale, an denen organische Substanz gebunden men ihre Lebensgrundlage verlieren. Dadurch entfal- werden kann, sind so klein, dass Mikroorganismen- len unverzichtbare Ökosystemleistungen. Das heißt, Enzyme die organische Substanz nicht erreichen und es kommt zu einem Dienstleistungsverlust der Natur somit nicht abbauen können. Organische Reste kön- für den Menschen, wie etwa dem Aufrechterhalten nen dann tausende von Jahren im Boden überdauern, der Bodenfruchtbarkeit. ohne einen Beitrag zum Klimawandel zu leisten und machen den Boden zudem fruchtbar.
16 Die Preisträger 2019 Kögel-Knabner und Vera Baumert besprechen Untersuchungsergebnisse der Doktorandin. Einen großen Einfluss auf den Klimawandel könn- beherbergen, und das, obwohl sie global betrachtet ten Permafrostböden haben. Permafrostböden sind nur etwa drei Prozent der Landflächen ausmachen. Böden, die dauerhaft, das heißt mindestens zwei Das riesige Depot von Kohlenstoff ist durch die Jahr- Jahre in Folge, gefroren sind. Oberhalb der Perma- tausende andauernde Ansammlung von im Moor frost-Zone gibt es eine sogenannte Auftauschicht, wachsenden Pflanzen, die dann abgestorben und die im Sommer taut und im Winter wieder gefriert. größtenteils zu Torf wurden, entstanden. Solange Problematisch wird es dann, wenn die Böden kom- Moore nicht trockengelegt werden, kann der im Torf plett auftauen. Der im Permafrostboden eingeschlos- gebundene Kohlenstoff nicht in die Atmosphäre ent- sene Kohlenstoff kann dann entweichen und wird die weichen. Bei der Entwässerung von Mooren jedoch Klimaerwärmung massiv vorantreiben. Weltweit exis- werden nicht nur enorme Mengen von Kohlenstoff tiert eine Fläche von mehr als 20 Millionen Quadrat dioxid freigesetzt, sondern auch Lachgas an die kilometern Permafrostböden. Große Vorkommen fin- Atmosphäre abgegeben. Dieses ist über 300 Mal det man vor allem in Sibirien. klimaschädlicher als Kohlenstoffdioxid. Moore sind ebenfalls ein bedeutsamer Faktor für Bodenschutz ist also ein Beitrag zum Klimaschutz. das Klima, weil auch sie große Mengen Kohlenstoff
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 17 Wurzelhaare (grün) in enger Assoziation mit mikrobiellen Belägen (rot) und Bodenmineralen (blau) unter dem Elektronenmikroskop (SEM) in 1 500-facher Vergrößerung
18 Die Preisträger 2019 Reinhard Schneider Werner & Mertz GmbH Pionier für nachhaltiges Wirtschaften – der Unternehmer Reinhard Schneider im Portrait Er ist der Unternehmer hinter bekannten Markennamen wie »Frosch« oder »Erdal«. Doch Reinhard Schneider (51) macht mehr als nur Umsatz. Er lebt Nachhaltigkeit in allen unternehmerischen Entscheidungen und nimmt dabei sowohl Inhaltsstoffe und Verpackungen seiner Produkte als auch Produktionsabläufe und Firmengebäude in den Blick. Mit seinen umweltverträglichen Wasch- und Reinigungsprodukten behauptet er sich in einem stark umkämpften Massenmarkt. Sein Rezept: Mut zur Veränderung, Risikobereitschaft und Durchhaltevermögen. Reinhard Schneider kommt direkt aus einem Termin. Wer den Unternehmer zu einem Gespräch treffen will, muss auf eine Lücke im vollen Terminkalender zielen, denn der Inhaber und Geschäftsführer der Werner & Mertz GmbH in Mainz ist ein vielbeschäf- tigter Mann: Neben der Leitung seines Unterneh- mens mit weltweit etwa 1 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Umsatz von 399 Millionen Euro treibt er die von ihm gegründete Recyclat- Initiative voran, ist Mitglied verschiedener Wirt schaftsverbände, engagiert sich für Naturschutz- und Klimaschutzprojekte, gehört zu den »Entrepreneurs for Future« und unterstützt soziale Initiativen. Abgehetzt ist Schneider aber keineswegs, sondern ruhig und freundlich, aufmerksam und konzent- Unternehmer mit »Rundum«-Nachhaltigkeitsstrategie: riert. Immer mit dabei: Sein buchstäbliches Marken Der Umweltpreisträger Reinhard Schneider zeichen, ein kleiner grüner Plüschfrosch in der Brust- tasche des Jacketts. Denn der Frosch prägt seit über 100 Jahren das Firmen-Logo – Werner & Mertz ist als Hersteller von Wasch- und Pflegeprodukten vor allem durch seine Marken Erdal, Emsal und Frosch bekannt. Insbesondere die Marke Frosch, die von
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 19 Qualitäts-Check an der modernen Abfüll-Linie für »Frosch«- Produkte im neuen Werner & Mertz-Produktionszentrum (v. r.): Umweltpreisträger Reinhard Schneider, Stephanie Mattivi, Leiterin Zentraleinkauf, Pit Zimmermann, Einrichter in der Produktion, und Dr. Guido Gneist, Werksleiter Mainz Verbraucherinnen und Verbrauchern im Jahr 2019 Eigenschaften. Da heißt es experimentieren, denn zum wiederholten Mal zur vertrauenswürdigsten eines ist Schneider wichtig: »Beim Grundnutzen, den Marke (Most Trusted Brand) gewählt wurde, verweist ein Reinigungsmittel erfüllen soll, darf es keine Ein- auf das, wofür Schneider steht: Ein klares Bekenntnis schränkungen geben – die wenigsten Leute wollen zur Nachhaltigkeit und den Mut, neue Wege zu gehen. doppelt so lang putzen …« Schneider berichtet von einem seiner Produkte, das durch die Stiftung Waren- »Beim Grundnutzen darf es keine Einschränkungen test als bester Reiniger bewertet wurde: »Inzwischen geben« sind wir im Grundnutzen besser als konventionelle, Bereits seit dem Jahr 1986 wird in den Rezepturen erdölbasierte Produkte. Umweltaspekte wurden der Marke Frosch weitestgehend auf Rohstoffe auf dabei gar nicht getestet.« Erdölbasis verzichtet. Seit 2013 setzt Schneider auf waschaktive Substanzen auf Basis von heimischen Für Kundinnen und Kunden kommt es hauptsäch- Pflanzenölen und rief die Initiative »Tenside aus euro- lich auf den Inhalt und die Wirkung eines Produktes päischem Anbau« ins Leben, um das als umweltkri- an – der Reinigungsmittel-Unternehmer Schneider tisch eingestufte Palmkernöl aus tropischen Regio- macht sich auch Gedanken um das »Drumherum«, nen mehr und mehr zu ersetzen. Hier ist Pioniergeist nämlich die Kunststoffverpackungen und -behälter. gefragt. Denn so einfach wie es klingt, ist es nicht, Einen Grund für dieses Engagement findet Schnei- ein Öl durch ein anderes zu ersetzen: Öle aus Raps, der beim Blick aus dem Fenster seines Büros: »Da Flachs, Hanf oder Oliven sind chemisch anders auf- ist die Müllverbrennungsanlage Mainz-Wiesbaden, da gebaut als Palmkernöl und haben daher auch andere kann ich jeden Tag sehen, wie die Kunststoffabfälle,
20 Die Preisträger 2019 Zum Vergleich: Würden die bisher durch die Recyclat-Initiative eingesparten PET- Flaschen zu einer großen Flasche verarbeitet, wäre dieser höher als der Berliner Fernsehturm. die wir brav sortiert haben, verbrannt werden.« Und sive und gründete noch im Jahr 2012 die Recyclat-Ini- er fügt als Erklärung hinzu: »Das Material ist recyc- tiative, eine Kooperation von Partnern aus Industrie, lingfähig, aber wenn es keine Nachfrage gibt, wird es Handel und Nichtregierungsorganisationen. Ihr Ziel: verbrannt.« Alles eine Frage der Nachfrage also und Durch das Bündeln von Know-how sollte es gelin- eines intelligenten Recyclingverfahrens … gen, Alt-Plastik aus dem »Gelben Sack« hochwertig aufzubereiten. Im Fall von Werner & Mertz bedeutete Die Recyclat-Initiative dies: Aus alten Verpackungen sollten wieder neue Als Schneider im Jahr 2011 eine Anzeige der und neuwertige Reiniger-Flaschen werden. Unisensor Sensorsysteme GmbH zu ihrem Laser- spektroskopie-basierten Sortiersystem für Kunst- Während es problemlos möglich ist, Abfälle aus der stoffabfälle – übrigens DBU-gefördert – entdeckte, Kunststoffproduktion – beispielsweise Verschnitt – glaubte er sich am Ziel: »Ich dachte, wenn wir diese wieder in den Produktionsprozess zu geben, stellt es tolle Technologie einsetzen, kommt der Rest von dagegen eine Herausforderung dar, bereits genutz- allein. Mein größter Irrtum, da fing die Arbeit erst tes Plastik, sogenannte Post-Consumer-Kunststoffe, an«, berichtet Schneider mit einem kleinen Lächeln. wieder in den Kreislauf zu bringen. Diese Kunststoffe Doch der Unternehmer ist niemand, der vor einer müssen zunächst sortiert, dann zu kleinen Teil- Aufgabe davonläuft. Vielmehr ging er im Hinblick auf chen, sogenannten Flakes, vermahlen und schließ- das Wiederverwenden von Kunststoffen in die Offen- lich gereinigt werden, bevor neue Produkte daraus
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 21 Vom Pellet zur Flasche: Kleine Kunststoffteilchen aus 100 Prozent Recycling-HDPE aus dem »Gelben Sack« werden wieder zu Behältern für Reinigungsmittel. entstehen können. Erste Erfolge erzielten Schneider 22 800 Tonnen. Ein weiterer Pluspunkt: Plastikfla- und sein Unternehmen mit dem Kunststoff Polyethy- schen, die im Recyclingkreislauf bleiben, gelangen lenterephthalat, kurz PET: Es gelang, Reinigungs- nicht in die Umwelt und verschmutzen keine Böden mittelflaschen herzustellen, die aus 100 Prozent oder Gewässer, indem sie über Zeiträume von Jahr- Recycling-PET bestehen. Inzwischen liegt die Zahl der hundertern hinweg zu Mikroplastik zerfallen. Flaschen aus Recycling-PET, die durch die Recyclat- Initiative in den Einsatz kamen und dadurch Flaschen Open Innovation – mitmachen erwünscht aus Neuware einsparen, bei über 300 Millionen. Wenn es nach Scheider ginge, dürften es gern noch Recycling-Pionier Schneider mag es gern, diese Zahl mehr Recycling-Flaschen werden: »Wir suchen nach anhand eines Vergleichs fassbar zu machen: »Würde Mitstreitern, wir sperren unsere Erkenntnisse nicht man das Material all dieser eingesparten PET-Fla- weg«, betont er. Die Recyclat-Initiative ist bewusst schen zur Produktion einer einzigen großen Flasche als »Open-Innovation«-Prozess angelegt. Jeder nutzen, hätte sie eine Höhe von 475 Metern und eine kann die vorhandenen Verfahren nutzen und wei- Breite von 218 Metern und wäre damit höher als der terentwickeln, um den Anteil an Recyclingprodukten Fernsehturm auf dem Berliner Alexanderplatz.« schnell zu erhöhen. Allerdings ist die Reaktion von Schneiders Mitbewerbern zurzeit noch verhalten. Hinter der großen Zahl steht auch eine deutliche Grund sind die bis zu ca. 20 Prozent höheren Pro- Umweltentlastung: Laut einer aktuellen Studie des duktionskosten für die recycelten Kunststoffe. Auch Öko-Institutes werden pro Recycling-PET-Flasche der Unternehmer Schneider hat neben der ökologi- durch den Ersatz von Primär-PET 65 Gramm Kohlen schen genauso die ökonomische Nachhaltigkeit im stoffdioxid (CO2) eingespart. Hinzu kommen noch Blick. Das PET für seine Recyclingflaschen stammt zu 11 bis 35 Gramm CO2 pro Flasche, die dadurch ver- 80 Prozent aus aussortierten, nicht mehr direkt nutz- mieden werden, dass der Kunststoff nicht in einer baren Mehrweg-PET-Flaschen und zu 20 Prozent aus Müllverbrennungsanlage oder einem Zementwerk dem »Gelben Sack«. »Technisch wären sicher bis zu verbrannt wird. Bei 300 Millionen Flaschen ergibt 50 Prozent PET aus dem »Gelben Sack« möglich, aber sich daraus also eine CO2-Ersparnis von mindestens PET-Flakes aus dem Flaschenrecycling sind kosten
22 Die Preisträger 2019 Auf dem Dach des 2010 erbauten Werner & Mertz-Hauptverwaltungsgebäudes mit Windkraft- und Photovoltaikanlagen und Bodendeckerpflanzen (v. l.): Reinhard Schneider, Pamela Fandel, Leiterin Nachhaltigkeits- und Organisations management, Yannick von Raesfeld, Audit- und Umweltmanagement im Team Fandel, Timothy Glaz, Leiter Corporate Affairs. günstiger«, erläutert er. Als Grund für diese Zurück- » Wir können jetzt schon weit mehr als nur Recycling- haltung nennt Schneider: »Ich möchte keine Produkte PET.« Inzwischen wurden bei Werner & Mertz weltweit mit Biomarktpreisen für eine Nischenklientel anbie- erstmalig Flaschen aus High Densitiy Polyethylen ten.« Sein Ziel ist der Massenmarkt, er spricht von (HDPE)-Recyclat komplett aus dem »Gelben Sack« einer »Demokratisierung der Nachhaltigkeit« ohne entwickelt und hergestellt. »Wir haben auch welt- »Verzichtseffekte«. Seiner Meinung nach ist Verzicht weit die erste Flasche mit Kosmetikzulassung, die nicht zwingend notwendig, um ökologisch zu handeln, zu 100 Prozent aus dem »Gelben Sack« ist«, erzählt sondern die Kreislaufwirtschaft bietet hier Lösungs- Schneider weiter. Und ganz neu: Ein zu 100 Pro- möglichkeiten. zent recyclingfähiger Standbodenbeutel aus dünner Kunststofffolie, die normalerweise aus mehreren So stehen seine Produkte in den Drogeriemärkten verklebten Kunststoffschichten besteht und sich neben denen der Branchenriesen, deren Umsatz daher nicht recyceln lässt. Bei dem neuen Beutel aus in die Milliarden geht. Und der »Mittelständler aus Monomaterial dagegen lassen sich die Schichten ein- Rheinhessen«, wie Schneider sich schon mal selbst fach voneinander trennen und werkstofflich wieder- bezeichnet, zeigt, was auch im Massenmarkt mög- verwerten. lich ist und ein wenig Stolz merkt man ihm an:
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 23 Weltspitze: Das neue Produktionszentrum Seit Mai dieses Jahres laufen die Recycling-Flaschen in einem neuen Produktionszentrum vom Band, das durch Photovoltaikanlagen zur Stromproduktion, Ladestationen für Elektroautos und das Verwenden von Recyclingbeton ebenfalls hohen Nachhaltigkeits- standards entspricht. Damit schuf Schneider in Mainz eine der größten Recyclatflaschenfertigungen der Welt. Auch das Gebäude der im Jahr 2010 eröffneten Hauptverwaltung steht für den Nachhaltigkeitsgedan- ken: Dank Sonnenkollektoren, Windrädern auf dem Dach und Geothermie erzeugt das Gebäude mehr Energie als es verbraucht. Für sein Engagement und seine Produkte wurde der Unternehmer vielfach ausgezeichnet, unter ande- rem mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis, dem Cradle to Cradle Products Innovator Award, dem ECR-Award für herausragende Leistungen einer part- nerschaftlich optimierten Wertschöpfungskette und dem Bundespreis Ecodesign für ein besonders inno- Seit mehr als 100 Jahren im Zeichen des Frosches: Der inzwischen vatives und nachhaltiges Verpackungsdesign sowie denkmalgeschützte Froschturm auf dem Werksgelände von mehrfach mit dem Deutschen Verpackungspreis in Werner & Mertz in Mainz den Kategorien Neues Material und Nachhaltigkeit. Der Antrieb für diesen Einsatz liegt wohl zum einen in Schneiders Persönlichkeit, zum anderen aber auch darin, dass Werner & Mertz ein Familienunternehmen ist, das Schneider bereits in der fünften Generation Schwager Philipp Adam Schneider nutzt die Firmen- führt: »Es geht nicht darum, Geld anzuhäufen – in produkte zum Experimentieren und entwickelt eine einem Familienbetrieb wird Sinn gestiftet und etwas neuartige Schuhcreme auf Wachsbasis, der Beginn an die nächste Generation weitergegeben. Einen Bei- der Marke Erdal. Als Symbol ist ab 1903 ein Frosch auf trag zum Erhalt der Lebensgrundlagen zu liefern, ist den Schuhpasten-Blechdosen abgebildet, zunächst in eine tolle Sache!« Grün und ab 1919 in Rot. Nach dem Ersten Weltkrieg wird die Produktpalette ausgeweitet, zur Schuhcreme Unternehmen mit Tradition kommen Reinigungs- und Pflegeprodukte. Ab den Ein Blick in die Unternehmensgeschichte zeigt: Etwas 1950er-Jahren, zu Zeiten des Wirtschaftswunders, an kommende Generationen weiterzugeben, sich nicht platziert Schneiders Vater bei Werner & Mertz weitere entmutigen zu lassen und das Unternehmen durch- Marken, beispielsweise zur Teppichpflege. Seit 1986 aus mal neu aufzustellen, hat bei Werner & Mertz steht die Dachmarke »Frosch« für umweltfreundliche Familientradition: Im Jahr 1867 lassen die Brüder Produkte zum Schutz von Mensch, Tier und Natur. Friedrich Christoph und Georg Werner ihre Firma ins Handelsregister eintragen. Durch den Einstieg Reinhard Schneider gestaltet die Firmenentwicklung des Saarbrücker Kaufmanns Georg Mertz im Jahr seit 1992 als Aufsichtsratsmitglied mit und übernimmt 1878 entsteht »Werner & Mertz« – ein Mainzer Hand- 2000 den Vorsitz der Geschäftsführung. Schneider werksbetrieb für Kerzen und Wachsstöcke. Mertz‘ stellt das Unternehmen konsequent nachhaltig auf.
24 Die Preisträger 2019 Sieben zur Verwendung in der Holzindustrie zu eigenwillig gewachsene Baumstämme holte Reinhard Schneider als optische Raumtrennung ins Foyer der Hauptverwaltung. Bereits im Jahr 2003 erfolgt die unternehmensweite Auf den Unternehmer wartet der nächste Termin. Einführung von freiwilligen Umweltbetriebsprüfun- Bleibt am Ende des Gespräches noch schnell zu fra- gen nach den strengen Vorgaben der Europäischen gen, warum gerade der Frosch zum Markenzeichen Union (EMAS), die regelmäßig wiederholt werden. Ein von Werner & Mertz wurde? Schneider erzählt: »Man Engagement, das offensichtlich auch die Mitarbei- kann nur vermuten. Um die Jahrhundertwende vom terinnen und Mitarbeiter zu schätzen wissen. »Viele 19. zum 20 Jahrhundert herum wurden oft Märchen- Unternehmen haben Schwierigkeiten, Fachkräfte zu figuren genutzt.« Eines jedenfalls steht fest: Wie kein finden«, berichtet Schneider. »Wir haben da keine anderes Tier steht der Frosch, der als Kaulquappe Probleme. Die durchschnittliche Betriebszugehörig- im Wasser zur Welt kommt und dann an Land geht, keit liegt bei 15 Jahren.« für die Fähigkeit, sich durch Weiterentwicklung neue Räume zu erschließen. Ganz wie das Mainzer Unter- nehmen und sein Chef ...
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 25 Zur Person Reinhard Schneider Geburtsdatum und -ort: 1. Mai 1968 in Mainz Ausbildung und Werdegang: • Studium der Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Absatz und Handel an der Universität St. Gallen • Sechsjährige Marketingtätigkeit, unter anderem als Produkt- manager bei Nestlé/Schweiz • Seit 1992 Aufsichtsratsmitglied bei Werner & Mertz • Im Jahr 2000 Übernahme des Vorsitzes der Geschäfts führung von Werner & Mertz, im Jahr 2001 Leitung der Consumersparte des Unternehmens Heute ist Reinhard Schneider geschäftsführender Gesellschafter und Alleineigentümer von Werner & Mertz. Bisherige Auszeichnungen: Deutscher Verpackungspreis in »Nachhaltigkeit« zusätzlich Verpackungspreis in Gold für Fla- der Kategorie »Nachhaltigkeit« für vollständig recyclingfähi- schen aus 100 Prozent HDPE-Recyclat aus der Quelle »Gelber gen Standbodenbeutel und in der Kategorie »Neues Material« Sack« (2016); B.A.U.M.-Umweltpreis in der Kategorie »Kleine und für Duschgelflaschen mit 100 Prozent HDPE-Recyclat aus der mittelständische Unternehmen (2016); ZEIT Wissen-Preis »Mut Quelle »Gelber Sack« (2019), WorldStar Packaging Award in der zur Nachhaltigkeit« in der Kategorie »Handel« (2016); interna- Kategorie »Household« für Flaschen aus 100 Prozent HDPE- tionaler »Cradle to Cradle Products Innovator Award« für die Recyclat aus der Quelle »Gelber Sack« (2018), Plastics Recyc- Marken »Frosch« und »green care Professional« (2015); Bundes- ling Award Europe in der Kategorie »Recycled Plastic Packaging preis Ecodesign für die Recyclat-Initiative (2014); Sonderpreis Product of the Year« für Flaschen aus 100 Prozent HDPE- des Deutschen Verpackungspreises für die Recyclat-Initiative Recyclat aus der Quelle »Gelber Sack« (2018), PackTheFuture (2014); ECR Award für die Recyclat-Initiative (2014); Grand Prix Award für Klappscharnier-Verschlüsse aus 100 Prozent Poly- ESSEC de la Consommation responsable in der Kategorie öko- propylen-Recyclat (2018), PackTheFuture Award für Flaschen logische Gesamtkonzeption für die französische Werner & Mertz aus 100 Prozent HDPE-Recyclat aus der Quelle »Gelber Sack« Marke Rainett (2013); EMAS-Preis des Österreichischen Umwelt- (2017), Deutscher Verpackungspreis in der Kategorie »Neues ministeriums für Erdal Hallein (2011); LEED-Zertifikat Platinum Material« für Klappscharnier-Verschlüsse aus 100 Prozent Poly- und Umweltpreis des Landes Rheinland-Pfalz für das neue propylen-Recyclat (2017), Deutscher Nachhaltigkeitspreis in der Hauptverwaltungsgebäude (2012, 2010) Deutscher Nachhaltig- Kategorie »Deutschlands nachhaltigste Produkte« im Bereich keitspreis in der Hauptkategorie »Deutschlands nachhaltigste Non-Food (2016), Deutscher Verpackungspreis in der Kategorie Marke« für die Marke »Frosch« (2009)
26 Die Preisträger 2019 Kunststoffprodukte und -verpackungen sind im Alltag allgegenwärtig. Kunststoffe – zu wertvoll für den Abfall Sie sind leicht, formbar und hygienisch, sie trotzen große Zahl von Produktionsprozessen und Produkten Wind und Wetter und können je nach Anwendung genutzt. In den 1950er-Jahren wurden weltweit etwa starr oder flexibel sein, als Dämmstoff sparen sie 1,5 Millionen Tonnen Kunststoff im Jahr produziert. Energie und in schusssicheren Westen sind sie mög- Im Jahr 2016 waren es bereits 348 Millionen Tonnen, licherweise sogar Lebensretter: Kunststoffe gehören Tendenz steigend. Rund 40 Prozent des produzierten aufgrund ihrer mannigfaltigen Materialeigenschaften Kunststoffs machen Einwegprodukte und Verpackun- zu den vielseitigsten Werkstoffen und werden für eine gen aus.
DBU Deutscher Umweltpreis 2019 27 Chemisch gesehen bestehen Kunststoffe hauptsäch- Jahrhunderten ab. Kunststoffeinträge tauchen inzwi- lich aus großen Molekülen, sogenannten Polymeren, schen in allen Umweltkompartimenten auf. In Böden, die aus einzelnen, sich immer wiederholenden Bau- im Eis der Antarktis, in Gebirgsbächen oder in der steinen, den Monomeren, zusammengesetzt sind. Tiefsee – selbst weitab der Zivilisation werden sie in Polymere können über eine Million derartiger Bau- der Umwelt inzwischen nachgewiesen. Acht Millio- steine enthalten. Unterschiedliche Bausteine und nen Tonnen Plastikmüll landen jährlich in den Ozea- unterschiedliche Verknüpfungen der Polymerketten nen. Geht die prognostizierte Entwicklung so weiter, bedingen unterschiedliche Eigenschaften. Durch Bei- schwimmt im Jahr 2050 mehr Plastik als Fisch im mischung von Additiven oder Füllstoffen lassen sich Meer. die Merkmale von Kunststoffen weiter variieren und den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer anpas- Als besonders problematisch gilt Mikroplastik, kleine sen. Partikel im Bereich von wenigen Mikrometern bis fünf Millimetern. Dabei wird unterschieden zwischen Die Kehrseite der Kunststoffnutzung: Viele Kunst- primärem Mikroplastik, das für bestimmte Zwecke, stoffprodukte wie Folien und Verpackungen sind nur beispielsweise für Kosmetika gezielt produziert wird, für einen kurzen Gebrauch bestimmt und werden und sekundärem Mikroplastik, das entsteht, wenn danach weggeworfen. So nimmt nicht nur die Menge größere Kunststoffteile zerrieben werden oder zer- an Kunststoffprodukten, sondern auch die Menge an fallen. Der Haupteintragspfad für Mikroplastik liegt Kunststoffmüll beständig zu. Gelangen Kunststoffe in Deutschland buchstäblich auf der Straße: Rund in die Umwelt, bauen sie sich aufgrund ihrer chemi- 127 000 Tonnen Mikroplastikemissionen pro Jahr schen Beständigkeit nur sehr langsam im Lauf von entstehen durch Reifenabrieb. Besonders hoch sind Kunststoffpartikel finden sich inzwischen in allen Umweltkompartimenten – vom Hochgebirge bis ins Meer.
28 Die Preisträger 2019 Vom Abfall zum wertvollen Rohstoff: Aus genutzten Kunststoffverpackungen könnte Rezyklat werden. die Emissionen in den Innenstädten, wo viel gebremst Neben den Ökosystemen sind Kunststoffe auch für wird. Eine weitere bedeutende Quelle ist die Wäsche das Weltklima relevant. Da die Bausteine für 99 Pro- von Textilien aus synthetischen Fasern. Verschiedene zent aller Kunststoffe aus fossilen Brennstoffen wie Studien beziffern die Menge der dabei abgegebenen Öl, Gas und Kohle hergestellt werden, sind die klima- Kunststoffpartikel mit sechs Millionen Mikrofasern schädlichen Emissionen entlang des Produktlebens- pro Waschgang bis hin zu 250 000 bei der Wäsche von weges enorm. nur einer Fleece-Jacke. Aus Gründen des Klima- und Ressourcenschutzes Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung kann gilt es also, mit dem Werkstoff Kunststoff verantwor- eine abschließende gesundheitliche Risikobewer- tungsvoll umzugehen. Einträge in die Umwelt sind tung der Wirkung von Mikroplastik aktuell noch nicht zu verhindern, um Schadwirkungen zu vermeiden. erfolgen. Konkrete Studien, die schädliche Wirkungen Eine echte Kreislaufwirtschaft und ein hochwertiges von Mikroplastik für den Menschen nachweisen, gibt Recycling bieten sich als Möglichkeiten an, verbun- es bisher nicht. Bei Tieren ist dies anders: Muscheln den mit einem Produktdesign, das ein hochwertiges zeigten als Reaktion auf die Aufnahme bzw. Anrei- Recycling ermöglicht. Denn dafür müssen die Kunst- cherung von Mikroplastik Entzündungsreaktionen, stoffströme in die verschiedenen Kunststoffsorten Fische Verhaltensänderungen. Eine weitere mögliche sortiert werden, was nicht oder nur schwer möglich Schadwirkung: An die Oberfläche derartiger Kunst- ist, wenn verschiedene Kunststoffe untrennbar kom- stoffpartikel können sich viele andere organische biniert werden, wie es bei vielen Kunststofffolien der Stoffe anlagern, darunter auch langlebige, kaum Fall ist. abbaubare Umweltgifte, sodass Mikroplastikparti- kel diese Gifte sammeln und dadurch konzentrieren Erste Ansätze zur Reduktion von Kunststoffen in der könnten. Werden die Mikroplastikpartikel von Tieren Umwelt und für ein Recycling sind bereits beschlos- gefressen, gelangen nicht nur die Plastikteilchen, sen: Die Europäische Kommission hat das Ziel for- sondern auch diese Gifte in die Nahrungskette. muliert, dass ab 2030 alle Plastikverpackungen
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