Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2019 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt

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Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2019 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Deutscher
                               Umweltpreis

DBU Deutscher Umweltpreis – Die Preisträger 2019

                 2019
  Die Preisträger
Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2019 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Inhaltsverzeichnis

		 Grußwort
4		   Svenja Schulze

		 Grußwort
5		   Rita Schwarzelühr-Sutter und Alexander Bonde

		 Die Preisträger 2019
 6    Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner
18    Reinhard Schneider

		 DBU Deutscher Umweltpreis
30    Die Verleihung des 27. Deutschen Umweltpreises in Mannheim
32    Das Vorschlags- und Auswahlverfahren
34    Mannheim – Urbanes Flair und kulturelle Highlights
38    Rückblick – Deutscher Umweltpreis 2018
42    Umweltpreisträger 2018 – ein Jahr danach

		 Die Preisträger
46    Alle Preisträger im Überblick

		 Das Kuratorium
66    der Deutschen Bundesstiftung Umwelt

		 Die Jury
67    zum Deutschen Umweltpreis 2019

		 Die Vorschlagsberechtigten
68    für den Deutschen Umweltpreis 2019

70    Nachhaltigkeit bei der Preisverleihung
72    Impressum
Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2019 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Programm des Festaktes

Begrüßung       Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin
                im Bundesumweltministerium, Vorsitzende des Kuratoriums der DBU

Festrede        Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Musik           Die Schlagzeugmafia

Preisträger      rof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner, Wissenschaftszentrum Weihenstephan
                P
                für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der Technischen Universität
                München, Freising

                Reinhard Schneider, Werner & Mertz GmbH, Mainz

Preisübergabe   Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Schlusswort     Alexander Bonde, Generalsekretär der DBU

Moderation      Judith Rakers

Empfang         im Foyer des Congress Centers Rosengarten

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Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2019 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Grußwort
Schon seit fast 30 Jahren fördert die Deutsche            wir selbst in der Hand. Für die Wirtschaft bieten z. B.
Bundes­ stiftung Umwelt Vorhaben zum Schutz der           die Energie- und die Verkehrswende sehr große
Umwelt und hat dabei ganz besonders die kleinen und       Chancen. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hilft
mittleren Unternehmen im Fokus. Der Mittelstand ist       dabei, dies zu erkennen, und die Chancen zu nutzen.
das Rückgrat der Wirtschaft hier in Deutschland, um
das uns viele beneiden. Ich bin sicher, der Mittelstand   Neue Geschäftsmodelle, die den Klimaschutz unter-
ist eine tragende Stütze, wenn sich Deutschland bis       stützen, sind weltweit gefragt. Jede Innovation hat
2050 zu einer treibhausgasneutralen Gesellschaft          auch das Potenzial, das Leben vieler Menschen auf
wandelt. Denn der Mittelstand ist innovativ und           der Welt besser zu machen. Viele fragen, warum
flexibel.                                                 Deutschland im Umwelt- und Klimaschutz, in For-
                                                          schung und Innovation Vorreiter sein soll. Die Antwort
Nie wurde in Deutschland mehr in Forschung und Ent-       liegt auf der Hand: Weil es uns allen nützt! Es ist gut
wicklung investiert als in den vergangenen Jahren.        für ein führendes Industrieland, wenn es die Techno-
Besonders erfolgreich ist dabei das Zusammenspiel         logien entwickelt, mit dem Umwelt- und Klimaschutz
aus privater und öffentlicher Forschung. In wichtigen     erfolgreich sein können. Das schützt unsere Lebens-
Zukunftsfeldern wie Energie und Umwelt, so stellte        grundlagen und sorgt für Wertschöpfung, Arbeits-
es die OECD 2017 fest, gehört Deutschland neben           plätze und Wohlstand – heute und in Zukunft.
Japan und den USA sogar zu den führenden drei
Forschungsstandorten weltweit. Und das Weltwirt-          Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt fördert inno-
schaftsforum kam 2018 zu dem Ergebnis: Kein Land          vative, modellhafte Ideen in vielen Bereichen und sie
der Welt ist so innovativ wie Deutschland. Darauf kön-    zeichnet die besten Leistungen mit dem Deutschen
nen wir stolz sein, darauf können wir aufbauen.           Umweltpreis aus. Ich möchte den diesjährigen Preis-
                                                          trägerinnen und Preisträgern für ihr herausragen-
Mir ist es wichtig, dass die Veränderungen, die auf       des Engagement danken und weiterhin viel Erfolg im
Deutschland, seine Wirtschaft und seine Bürgerinnen       Interesse unserer Umwelt wünschen.
und Bürger zukommen, nicht als Bedrohung gesehen
werden. Der Klimawandel zwingt uns zwar dazu, uns
zu verändern. Aber wie wir uns verändern, das haben

                                                          Svenja Schulze,
                                                          Bundesministerin für Umwelt,
                                                          Naturschutz und nukleare Sicherheit
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DBU Deutscher Umweltpreis 2019   5

Grußwort
Die Auswirkungen des Klimawandels werden immer           Mit zahlreichen Initiativen zum Umweltschutz und
sichtbarer, ein weiterer trockener Sommer und            zur nachhaltigen Entwicklung betrat Reinhard
hitzegeplagte Wälder geben einen unmittelbaren           Schneider, Inhaber der Firma Werner & Mertz
Eindruck der zunehmend beschleunigten Verände-           in Mainz, als »Unternehmens-Pionier« Neuland:
rung. Zugleich intensiviert sich die gesellschaftliche   konsequentes Wiederverwerten von Altplastik für
Ausein­andersetzung um die ökologischen Konse-           neue Verpackungen, umweltfreundlich bedruckte
quenzen unseres Lebensstils, fordern immer mehr          Etiketten, regionale Pflanzenöle statt des umstritte-
Menschen verbindliche und glaubwürdige Antworten,        nen Palmkern- oder Kokosöls aus tropischen Regi-
wie sich das Klima schützen und intakte Ökosysteme       onen sowie freiwillige Umweltbetriebs­     prüfungen
erhalten lassen. Das Pariser Klimaübereinkommen          des Unternehmens nach den Vorgaben der Euro-
und die Sustainable Development Goals der UN haben       päischen Union (EMAS). Obwohl Schneider mit dem
hier den gemeinsamen Handlungsrahmen definiert –         Herstellen von Wasch- und Reinigungsmitteln in
für konsequente Strukturentscheidungen, kreative         einem schwierigen ökologischen Umfeld agiert,
Ideen und mutige Innovationen. Mit dem diesjährigen      machte er umweltfreundliche Produkte in einem
Deutschen Umweltpreis würdigen wir zwei Persön-          Massenmarkt mehrheitsfähig.
lichkeiten, die in besonderer Weise dafür stehen,
zukunftsweisende Lösungen für die ökologischen           Wir freuen uns darüber, dass Bundespräsident
Herausforderungen der Gegenwart zu liefern.              Frank-Walter Steinmeier auch in diesem Jahr den
                                                         Deutschen Umweltpreis, Europas höchstdotierte
Die renommierte Bodenwissenschaftlerin Prof. Dr.         Umweltauszeichnung, persönlich überreichen wird.
Ingrid Kögel-Knabner von der Technischen Univer­
sität München (TUM) begründet durch ihre For-            Wir heißen Sie in Mannheim herzlich willkommen
schungsarbeit ein völlig neues Verständnis für die       und freuen uns auf eine bereichernde und impuls-
Kapazität von Böden, Kohlenstoff aufzunehmen und         gebende Festveranstaltung!
zu speichern. Vor allem liefert sie Antworten auf die
Frage, auf welchen Böden eine Kohlenstoffspeiche-
rung nachhaltig möglich ist, um so dem Klimawandel
entgegenzuwirken.

Rita Schwarzelühr-Sutter,                                Alexander Bonde,
Parlamentarische Staatssekretärin                        Generalsekretär der DBU
Vorsitzende des Kuratoriums der DBU
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6     Die Preisträger 2019

                                                                                                         Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner
                                                             Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt
                                                                                           der Technischen Universität München, Freising

                                            »Böden sind unsere Lebensgrundlage« –
                               die Bodenforscherin Ingrid Kögel-Knabner im Portrait
                   Forschen ist ihre Passion. Sie brennt für die Ausbildung von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und
                   war maßgeblich an der Erforschung beteiligt, wie Böden Kohlenstoffdioxid in abgewandelter Form speichern. Die
                   Professorin Dr. Ingrid Kögel-Knabner vom Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und
                   Umwelt der Technischen Universität München in Freising wird für ihr außerordentliches Engagement zur Entwicklung
                   der Bodenkunde als transdisziplinäre Umweltsystemwissenschaft als auch für die Förderung des wissenschaftlichen
                   Nachwuchses und ihre innovative Forschung ausgezeichnet.

    Glückliche Umweltpreisträgerin: Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner
Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2019 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
Leben im Boden: Röhren von Regenwürmern

Als der Anruf der DBU kommt, der sie über die Ver-        Kohlenstoffdioxid (CO2) durch Zersetzungsprozesse
leihung des Umweltpreises informieren soll, ist sie       in den Böden wieder an die Atmosphäre abgege-
völlig überrascht. »Ich muss das erst noch alles reali-   ben werden kann und dann zum Klimawandel bei-
sieren«, sagt Kögel-Knabner. »Aber es ist schön, dass     trägt. Nicht zuletzt ist organische Substanz für die
nun dem Thema Boden mehr Beachtung geschenkt              Bodenfruchtbarkeit von Bedeutung. Böden können
wird.« Die Wissenschaftlerin ist sicher vieles und        bei einem hohen Gehalt an organischer Substanz
vor allem eins: erfolgreich – an fast 300 Publikatio-     mehr Nährstoffe speichern, was insbesondere für
nen war sie beteiligt –, aber abgehoben ist sie nicht.    die Landwirtschaft von Interesse ist. Organische Sub­
Auf die Frage, ob sie nicht auch an einem Lehrbuch        stanz ist die Gesamtheit der abgestorbenen Tier- und
mitgewirkt habe, winkt sie ab: »Ich habe doch nur ein     Pflanzenreste im und auf dem Boden sowie deren
Kapitel geschrieben.« Die sympathische, bodenstän-        Umwandlungsprodukte.
dige Frau mit den leuchtenden, aufgeweckten Augen
beantwortet geduldig jede Frage. Vor allem wenn die       »Mich hat die Schönheit von Böden und ihre Vielfalt
Forscherin über ihre Studien spricht, wird die Leiden-    begeistert«
schaft für ihre Arbeit deutlich. Denn dann erzählt sie    Die Wissenschaftlerin war schon immer gern drau-
besonders ausführlich. Doch immer in einfacher, ver-      ßen. Die Schönheit und das »Handfeste«, Greifbare
ständlicher Sprache, ganz die Professorin und enga-       am Boden haben sie dazu bewogen, sich bereits
gierte Wissensvermittlerin.                               recht früh mit der Bodenkunde zu befassen. Schon in
                                                          der Schule hat Kögel-Knabner eine Facharbeit über
Kögel-Knabner befasst sich unter anderem damit,           Rekultivierung in einem Braunkohlerevier geschrie-
welche Mechanismen an der Stabilisierung von Koh-         ben. Heute ist sie Professorin, Mitglied in zahlreichen
lenstoff – in Form von organischer Substanz – im          wissenschaftlichen Akademien und hat eine ganze
Boden beteiligt sind. Das ist wichtig, weil das Gas       Reihe von Auszeichnungen erhalten. Dazu zählen der
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8    Die Preisträger 2019

Ingrid Kögel-Knabner mit Mitarbeiterin und Mitarbeitern bei der Boden-Probennahme im
Freisinger Waldgebiet

                       Maximiliansorden als höchste Würdigung des Frei-                »Geoökologie in Bayreuth war im Nachhinein eine
                       staates Bayern, der für außergewöhnliche Leistun-               super Entscheidung; das Künstlerische im Studien-
                       gen in Wissenschaft und Kunst verliehen wird, und               gang Landschaftsarchitektur hätte mir wahrschein-
                       das Bundesverdienstkreuz am Bande. Außerdem                     lich nicht so gelegen«, überlegt die Professorin. »Der
                       gehört Kögel-Knabner seit 2015 zu den weltweit am               Studiengang war 1978 noch ganz neu in der Kon-
                       häufigsten zitierten Wissenschaftlerinnen und Wis-              zeption und dadurch etwas chaotisch organisiert«,
                       senschaftlern.                                                  erinnert sie sich. Anfangs gab es nur 25 Studierende
                                                                                       und Kögel-Knabner war schließlich eine der ersten
                       Die Entscheidung für den Studiengang Geoökologie                Absolventinnen. Heute ist der Studiengang an vielen
                       war wesentlich für die spätere Karriere                         deutschen Universitäten etabliert.
                       Aber von vorn. Kögel-Knabner wird im Jahr 1958
                       geboren und macht Ende der 1970er-Jahre ihr                     Nach dem Studium beginnt Kögel-Knabner ihre
                       Abitur. Damals ist es nicht selbstverständlich, dass            Doktor­arbeit am Lehrstuhl für Bodenkunde an der
                       junge Frauen studieren. Wahrscheinlicher ist, dass              Universität Bayreuth. Anschließend arbeitet sie dort
                       sie heiraten und Hausfrauen werden. Doch Ingrid                 als akademische Rätin, bis sie 1992 in Bayreuth habi-
                       Kögel-Knabner möchte studieren und ihre Eltern, die             litiert wird. Als Professorin geht sie zunächst an die
                       einen Hof betreiben, bestärken sie. Die gebürtige Bay-          Ruhr-Universität Bochum. Seit 1995 ist die Boden­
                       reutherin interessiert sich für verschiedene Studien-           forscherin an der TU München.
                       gänge wie Landespflege und Landschaftsarchitektur.
                       Auch Forstdienst hätte sich Kögel-Knabner vorstellen            »A nation that destroys its soils destroys itself«,
                       können, doch das war schnell vom Tisch, denn dafür              Franklin D. Roosevelt
                       hätte sie mindestens eine Körpergröße von 1,65 m                Kögel-Knabner arbeitet nun schon Jahrzehnte
                       erreichen müssen.                                               begeistert mit Böden und so stellt sich die Frage:
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DBU Deutscher Umweltpreis 2019   9

Sollten wir uns vielleicht alle mehr für Böden inter-     »Grundsätzliche Handlungsempfehlungen kann man
essieren?                                                 hier nicht aussprechen«, stellt Kögel-Knabner fest.
                                                          »Maßnahmen sind von der jeweiligen Region bezie-
»Böden sind unsere Lebensgrundlage, die Basis für         hungsweise Beschaffenheit des Bodens abhängig.«
die menschliche Ernährung«, erklärt Kögel-Knabner.        Prinzipiell sollten Böden aber nicht lange unbedeckt
Sie zitiert den 32. US-amerikanischen Präsidenten         bleiben, damit Wind und Wasser die obersten Schich-
Franklin D. Roosevelt, der einmal sagte, dass sich ein    ten nicht abtragen. Mit ihren Wurzeln bringen Pflan-
Land selbst zerstöre, wenn es seine Lebensgrund-          zen Kohlenstoff in den Boden ein und schützen den
lage, sprich seine Böden, zerstöre. Ohne Böden wür-       Boden vor Erosion, indem sie ihn verfestigen und
den unsere Ökosysteme überhaupt nicht funktionie-         zusammenhalten.
ren.
                                                          In aktuellen Klimamodellen sind Böden noch unter-
Die Funktion von Böden machte Kögel-Knabner auch          repräsentiert. »Viele Modelle betrachten die Grenz-
bei der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG)            fläche zwischen Boden und Atmosphäre, aber die
zum Thema: Das Schwerpunktprogramm »Böden als             Prozesse im Boden werden wenig berücksichtigt«,
Quelle und Senke von Kohlenstoffdioxid – Mechanis-        sagt die Professorin. »Wir arbeiten aber daran, das
men und Regulation der Stabilisierung organischer         zu ändern.« Mit einer internationalen Arbeitsgruppe
Substanz in Böden«, wurde von der Professorin ini-        arbeitet sie an Empfehlungen für die Berücksich-
tiiert und koordiniert. Die Ergebnisse der Studien zei-   tigung von Böden in Klimamodellen. »Die Kohlen-
gen, dass vor allem die Interaktion der organischen       stoffmodelle für den Boden sind in ihrer Konzeption
Substanz mit Mineralen wichtig ist. Kögel-Knabner:        bereits rund 30 Jahre alt. Sie funktionieren gut für
»Man weiß erst seit Kurzem, dass Eisenoxide und           manche Fragestellungen zum Boden, aber man muss
Tonminerale eine wichtige Rolle bei der Stabilisie-       eigentlich mit einem anderen Ansatz herangehen
rung von organischer Substanz spielen. Die Struk-         und prozessbasiert beschreiben. Um generelle Vor-
turen der Minerale, an denen organische Substanz          aussagen zu machen, muss man erstmal Böden und
gebunden werden kann, sind nämlich so klein, dass         ihre Eigenschaften kennen«, gibt die Forscherin zu
die Enzyme von Mikroorganismen die organische             bedenken. Deswegen müsse man erst noch genauere
Substanz nicht erreichen und somit nicht abbauen          Untersuchungen durchführen.
können.« Organische Reste können dann tausende
von Jahren im Boden überdauern, ohne einen Beitrag        Gummistiefel und Hightech
zum Klimawandel zu leisten.                               Kögel-Knabner verwendet für ihre Untersuchungen
                                                          modernste Technologien, die zu neuen Erkenntnis-
Lässt sich Bodenforschung praktisch anwenden?             sen in der Bodenkunde beitragen. So etablierte die
In gewissem Rahmen sorgt die Natur selbst dafür,          Professorin ein sogenanntes Sekundärionenmassen-
dass sich Kohlenstoff im Boden verteilt. Das nennt        spektrometer (NanoSIMS) an ihrem Fachbereich, das
man Bioturbation und meint damit das Umgraben             durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
des Bodens und Bauen von Gängen durch Tiere, wie          gefördert wurde. Das NanoSIMS arbeitet mit einer
etwa Regenwürmer und Maulwürfe. Doch wie lässt            räumlichen Auflösung im Nanometerbereich. Solche
sich Kohlenstoff gezielt im Boden halten, beispiels-      Geräte werden üblicherweise in den Materialwissen-
weise durch entsprechende Bearbeitung, und gibt es        schaften, in der Geologie oder Mikrobiologie einge-
dazu bereits Handlungsempfehlungen? Derzeit wird          setzt. Doch Kögel-Knabner erkannte früh das Poten-
experimentell untersucht, welche Maßnahmen sinn-          zial des NanoSIMS für die eigene Forschung. Zuvor
voll sind, wie Böden bearbeitet werden müssen und         hatte es weltweit nur einige wenige Untersuchungen
wie tief Kohlenstoff in welchen Mengen in den Boden       mit dem NanoSIMS zu biogeochemischen Frage-
gelangen kann.                                            stellungen in den Bodenwissenschaften gegeben.
Die Preisträger - Deutscher Umweltpreis - DBU Deutscher Umweltpreis - Die Preisträger 2019 - Deutsche Bundesstiftung Umwelt
10    Die Preisträger 2019

                                                               »Man sieht den Boden im Detail nur, wenn man rein-
                                                               zoomt, und deswegen ist es mir wichtig, Techniken,
                                                               die das können, auch zu nutzen«, erläutert die Pro-
                                                               fessorin. Kögel-Knabner und ihr Team ergründen mit
                                                               dem NanoSIMS die Zusammensetzung von feinsten
                                                               Teilchen. Am Rechner zusammengesetzt können
                                                               die verschiedenen Ebenen der NanoSIMS-Messung
                                                               sogar als 3-D-Architektur ausgegeben werden. »Wir
                                                               wollen natürlich in der Forschung weiterkommen
                                                               und deswegen benutzen wir Hightech-Geräte. Das ist
                                                               schon nochmal etwas anderes, wenn man die Struk-
                                                               turen sehen kann, als wenn man nach einer Messung
                                                               nur Zahlenwerte vorliegen hat«, erklärt die Boden-
                                                               kundlerin. So bekomme man ganz neue Erkenntnisse.

                                                               Aufgrund der immensen Anschaffungskosten von
                                                               rund 3,6 Millionen Euro pro NanoSIMS gibt es weltweit
                                                               nur etwa 40 bis 50 Stück. Zudem wird ein NanoSIMS
                                                               nur auf Bestellung gefertigt. Das Gerät ist aber nicht
                                                               nur ziemlich teuer, sondern reagiert auch äußerst
                                                               empfindlich auf Erschütterungen und Temperatur-
                                                               schwankungen. So musste Kögel-Knabner zunächst
                                                               einen geeigneten Raum für ihr NanoSIMS suchen.
                                                               Den fand sie im Gebäude der Fakultät für Forstwis-
                                                               senschaften. Dort steht es nun auf einem Betonbo-
                                                               den, der abgelöst vom restlichen Gebäude ist. »Wäre
                                                               das Gerät vom Hersteller nicht 2 cm schmaler gebaut
                                                               worden, hätte es nicht durch die Tür gepasst«, sagt
                                                               die Professorin verschmitzt. »Sonst hätte man eine
                                                               Wand einreißen müssen.« Das ist wohl ein Vorteil bei
                                                               Anfertigungen auf Bestellung.

                                                               Das NanoSIMS an der TUM wird übrigens nicht nur
                                                               von der Arbeitsgruppe um Kögel-Knabner genutzt,
                                                               sogar Kolleginnen und Kollegen aus Übersee fragen
                                                               Kooperationen an. Denn Kögel-Knabners Arbeits-
                                                               gruppe verfügt nicht nur über die nötige Expertise zur
                                                               Messung und Auswertung, sondern weiß auch genau,
                                                               wie Probennahmen zu planen sind und wie Proben
                                                               vor der Messung aufbereitet werden.

Als interessierte Forscherin untersucht Ingrid Kögel-Knabner
das Bodenprofil im Wald.
DBU Deutscher Umweltpreis 2019   11

Die Professorin mit Doktorandin Vera Baumert am NanoSIMS

Die Bodenkundlerin ist aber nicht nur im Labor tätig.      Ausgewogenheit ist wichtig
Sie schreibt auch Anträge, um Gelder einzuwerben –         Kögel-Knabers »liebstes Hobby« ist ganz sicher die
vor allem für Doktorandinnen und Doktoranden sowie         Wissenschaft. Aber woher nimmt sie die Energie für
Studierende, beschäftigt sich mit Verwaltungsange-         all das, was sie erreicht und geschaffen hat?
legenheiten und koordiniert Forschungsprojekte. Was
ihr aber besonders am Herzen liegt, ist die Lehrtä-        »Ich bin ein positiv denkender Mensch, der sich von
tigkeit. Neben Vorlesungen und Seminaren leitet Kö-        Rückschlägen nicht so leicht abschrecken lässt und
gel-Knabner Geländeexkursionen. Bei diesen heben           ich nehme alles nicht zu ernst. Ich habe eine gewisse
die Studierenden häufig mit dem Spaten selbst den          »persistence«, sagt sie nach kurzem Überlegen. Be-
Boden aus. Aber auch ein Mini-Bagger kommt dabei           harrlichkeit also. Und sie begeistere sich immer wie-
zum Einsatz.                                               der aufs Neue für Studienergebnisse ihrer Studieren-
                                                           den und Doktorandinnen bzw. Doktoranden. Es mache
                                                           ihr Freude zu sehen, wenn junge Wissenschaftlerin-
                                                           nen und Wissenschaftler erfolgreich seien.
12    Die Preisträger 2019

Die Professorin bei der Auswahl von Bodenaggregaten
mit Doktorandinnen und Doktoranden

                       Ganz wichtig sei ihr aber auch die Balance von Arbeit   während die ältere Tochter Ethnologie mit Schwer-
                       und Familie. »Ohne Familie wäre ich jemand ande-        punkt Westafrika studierte und jetzt in der Entwick-
                       rer«, erzählt die Professorin mit sanfter Stimme.       lungszusammenarbeit tätig ist.
                       »Auch Bodenwissenschaftler brauchen eine Erdung
                       und meine Familie erdet mich.« Kögel-Knabners           Ob sie sich für junge Wissenschaftlerinnen als Vorbild
                       Ehemann hat selbst einen Lehrstuhl inne: in ange-       sehe, Familie und Karriere unter einen Hut zu brin-
                       wandter Mathematik. Die beiden Töchter sind bereits     gen? »Ja« sagt die Professorin. »Viele glauben, dass
                       erwachsen und gehen ihre eigenen Wege. Dabei tre-       Wissenschaft und Familie nicht funktionieren kann.
                       ten sie aber nicht unbedingt in die Fußstapfen der      Das ist bei mir genau umgekehrt gewesen. Für mich
                       Mutter: Die jüngere hat letztes Jahr Abitur gemacht     ist die Familie eine Kraftquelle.« Durch die Familie sei
                       und arbeitet nun als Regie-Assistentin am Theater,      die Wissenschaft nicht das einzig Wichtige in ihrem
DBU Deutscher Umweltpreis 2019   13

                                                        versuche mich als Gemüsegärtnerin mit mäßigem
                                                        Erfolg«, berichtet sie lachend. Die mehrfach ausge-
                                                        zeichnete Wissenschaftlerin beherrscht eine weitere,
                                                        besondere Kunst: Sie nimmt sich selbst nicht zu ernst.

                                                            Zur Person

                                                            Prof. Dr. Ingrid Kögel-Knabner

                                                            Geburtsdatum und -ort: 3. Dezember 1958 in Bayreuth

                                                            Ausbildung:
                                                            1978     Abitur und Aufnahme des Studiums der Geo­ökologie
                                                                     in Bayreuth
                                                            1987     Erlangung der Doktorwürde am Lehrstuhl für Boden-
                                                                     kunde, Universität Bayreuth
                                                            1992     Habilitation am Lehrstuhl für Bodenkunde, Universi-
                                                                     tät Bayreuth
                                                            1995     C4-Professur an der TUM in Freising

                                                            Forschung und Lehre: Forschung zur Bildung, Zusammenset-
                                                            zung und Eigenschaften der organischen Substanz in Böden
                                                            und deren zentrale Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf,
                                                            insbesondere Aufdeckung der Bedeutung von Eisenoxiden für
                                                            die Stabilisierung der organischen Bodensubstanz, transzdis-
                                                            ziplinäre Ausrichtung der Bodenkunde, Förderung des wissen-
                                                            schaftlichen Nachwuchses
Leben und dadurch hätten Rückschläge in der For-
schung nicht zu viel Bedeutung gewonnen. Sie ist vor        Bisherige Auszeichnungen: Bayerischer Maximiliansorden
allem ihrem Mann dankbar: Er habe sie immer sehr            für Wissenschaft und Kunst (2018), Heinz Maier-Leibnitz-
unterstützt und sei viel gependelt, betont sie.             Medaille der Technischen Universität München (2016), Phi-
                                                            lippe-Duchaufour-Medaille (2015), Thomson Reuters highly
Wenn noch ein bisschen Freizeit übrig ist, besucht          cited researcher (seit 2015), European Geosciences Union
Kögel-Knabner gern die Theateraufführungen ihrer            (2015), Doctor honoris causa, Universität für Bodenkultur,
jüngeren Tochter oder geht wandern. »Meine Kin-             Wien, Österreich (2015), Emil-Ramann-Medaille der Deutschen
der mochten Wandern gar nicht, als sie klein waren.         Bodenkundlichen Gesellschaft (2015), Bundesverdienstkreuz
Jetzt sind sie aus dem Haus und ich gehe wieder öfter       am Bande der Bundes­republik Deutschland (2013)
wandern. Ansonsten lese und koche ich gern und
14   Die Preisträger 2019

                                                                   Boden – Grundlage unseres Seins

                      Wenn wir von Boden sprechen, meinen wir den obe-         komplexer. Bodenkunde, auch Pedologie genannt,
                      ren, von Organismen durchsetzten Teil der Erdkrus-       ist eine interdisziplinäre Naturwissenschaft mit che-
                      te, der nach unten durch Gestein begrenzt wird. Aus      mischen, biologischen, physikalischen und geologi-
                      Sicht einer Bodenkundlerin oder eines Bodenkund-         schen Aspekten.
                      lers sind die Sachverhalte rund um Böden natürlich

                      Böden übernehmen viele wichtige Funktionen: Sie          Belastungen zu vermeiden. Dabei ist der Schutz vor
                      sind Grundlage für die Nahrungsmittelproduktion          dem Eintrag schädlicher Stoffe ein wichtiger Aspekt.
                      in Form von Ackerböden oder Viehweiden, Lebens-
                      raum für viele Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen.      Für standortspezifische Maßnahmen sind die
                      Weiterhin filtern Böden Schadstoffe und speichern        Beschreibung von Böden mit all ihren Eigenschaf-
                      Grund­wasser. Obwohl sie eine so zentrale Bedeutung      ten und die Ausgabe der Informationen in Form von
                      haben, sind Böden häufig gefährdet oder belastet: bei-   Bodenkarten wichtig. Die Zusammensetzung von
                      spielsweise durch Bodenerosion, womit das Abtragen       Böden kann sehr mannigfaltig sein, weswegen man
                      der obersten Bodenschichten zumeist durch Wasser         sogenannte Bodentypen charakterisiert. Ein Bei-
                      oder Wind infolge menschlicher Aktivitäten, wie etwa     spiel ist die Parabraunerde, hervorgegangen aus
                      das Pflügen von Äckern, gemeint ist. Die Versaue-        feinem, kalkhaltigen Material. Dieser Boden ist sehr
                      rung von Böden stellt ebenfalls ein großes Problem       nährstoff­reich und besitzt eine gute Wasserspeicher­
                      dar, insbesondere für die Landwirtschaft, da der         kapazität, wodurch er beliebter Ackerboden ist. Pod-
                      Boden dann besonders nährstoffarm wird. Ursache          sole hingegen entwickeln sich aus sandigen, nähr-
                      für saure Böden ist unter anderem die übermäßige         stoffarmen Ursprungsmaterialien und sind wenig
                      Anwendung von Düngemitteln, wie synthetischen            geeignet für die Landwirtschaft. Bestimmte Pflan-
                      Stickstoff­düngern. Zwar können Böden auch grund-        zen, wie Kiefern oder Heidekraut, wachsen dagegen
                      sätzlich niedrige pH-Werte aufweisen, wie beispiels-     bevorzugt auf Podsolen.
                      weise Moore. Auf solchen Böden wächst dann aber
                      eine spezialisierte, angepasste Flora. Sollte sich der   Vielfältiges Leben im Boden
                      ursprüngliche pH-Wert eines Bodens stark verän-          Böden sind Lebensraum vieler Tiere, Bakterien und
                      dern, können das die ansässigen Pflanzen nicht tole-     Pilze, aber auch wichtig als Standort für Pflanzen.
                      rieren. Auch Flächenversiegelungen, also das Befes-      Besonders häufig findet man Regenwürmer, Faden-
                      tigen von Böden durch Bebauung mit Beton, Asphalt,       würmer, Asseln und Insektenlarven in und auf den
                      Pflastersteinen oder Ähnlichem, sind problematisch.      Böden. Dazu kommen größere Tiere, die ihre Gänge
                      Denn der Boden verliert durch die Versiegelung seine     in den Boden graben, wie etwa Maulwürfe. Das ist
                      natürlichen Funktionen. Eine wesentliche Aufgabe         günstig für den Boden, der auf diese Weise gelockert
                      zum Schutz von Böden besteht daher zunächst darin,       und umverteilt wird. Viele der im Boden lebenden
DBU Deutscher Umweltpreis 2019   15

Bodenprofil: Braunerde unter Buchenwald im Freisinger Forst

Organismengemeinschaften sind an der Boden-                   Rolle von Kohlenstoff im Boden
bildung selbst beteiligt. Sie bauen Stoffe ab und             Auch beim Klimawandel spielt die organische Sub-
um. Die Gesamtheit der abgestorbenen Tier- und                stanz bzw. der darin enthaltende Kohlenstoff eine
Pflanzen­reste im und auf dem Boden, welche durch             entscheidende Rolle. Böden sind neben Wäldern und
die Bodenorganismen umgebaut werden, nennt man                Ozeanen wichtige Speicher von Kohlenstoff und haben
organische Substanz oder Humus. Die organische                eine zentrale Funktion als Kohlenstoffsenke, also als
Substanz ist insbesondere für die Bodenfruchtbarkeit          Ort, der Kohlenstoff aufnimmt und der Atmosphäre
in der Landwirtschaft von Bedeutung, da Böden bei             entzieht. Durch die Zersetzungsprozesse im Boden
einem hohen Gehalt an organischer Substanz mehr               wird wieder Kohlenstoff in Form von Kohlenstoffdi-
Nährstoffe speichern. Viele der Gefahren für Böden            oxid an die Atmosphäre abgegeben. Erst seit ein paar
bedrohen auch die Artenvielfalt. Beispielsweise kann          Jahren ist bekannt, dass Eisenoxide und Tonminerale
durch intensive Bodenbearbeitung und Düngung mit              eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung von organi-
Mineral­
       düngern in der Landwirtschaft organische               scher Substanz im Boden spielen. Die Strukturen der
Substanz verloren gehen, wodurch die Bodenorganis-            Minerale, an denen organische Substanz gebunden
men ihre Lebensgrundlage verlieren. Dadurch entfal-           werden kann, sind so klein, dass Mikroorganismen-
len unverzichtbare Ökosystemleistungen. Das heißt,            Enzyme die organische Substanz nicht erreichen und
es kommt zu einem Dienstleistungsverlust der Natur            somit nicht abbauen können. Organische Reste kön-
für den Menschen, wie etwa dem Aufrecht­erhalten              nen dann tausende von Jahren im Boden überdauern,
der Bodenfruchtbarkeit.                                       ohne einen Beitrag zum Klimawandel zu leisten und
                                                              machen den Boden zudem fruchtbar.
16   Die Preisträger 2019

Kögel-Knabner und Vera Baumert besprechen
Untersuchungsergebnisse der Doktorandin.

                      Einen großen Einfluss auf den Klimawandel könn-        beherbergen, und das, obwohl sie global betrachtet
                      ten Permafrostböden haben. Permafrostböden sind        nur etwa drei Prozent der Landflächen ausmachen.
                      Böden, die dauerhaft, das heißt mindestens zwei        Das riesige Depot von Kohlenstoff ist durch die Jahr-
                      Jahre in Folge, gefroren sind. Oberhalb der Perma-     tausende andauernde Ansammlung von im Moor
                      frost-Zone gibt es eine sogenannte Auftauschicht,      wachsenden Pflanzen, die dann abgestorben und
                      die im Sommer taut und im Winter wieder gefriert.      größtenteils zu Torf wurden, entstanden. Solange
                      Problematisch wird es dann, wenn die Böden kom-        Moore nicht trockengelegt werden, kann der im Torf
                      plett auftauen. Der im Permafrostboden eingeschlos-    gebundene Kohlenstoff nicht in die Atmosphäre ent-
                      sene Kohlenstoff kann dann entweichen und wird die     weichen. Bei der Entwässerung von Mooren jedoch
                      Klima­erwärmung massiv vorantreiben. Weltweit exis-    werden nicht nur enorme Mengen von Kohlenstoff­
                      tiert eine Fläche von mehr als 20 Millionen Quadrat­   dioxid freigesetzt, sondern auch Lachgas an die
                      kilometern Permafrostböden. Große Vorkommen fin-       Atmosphäre abgegeben. Dieses ist über 300 Mal
                      det man vor allem in Sibirien.                         klima­schädlicher als Kohlenstoffdioxid.

                      Moore sind ebenfalls ein bedeutsamer Faktor für        Bodenschutz ist also ein Beitrag zum Klimaschutz.
                      das Klima, weil auch sie große Mengen Kohlenstoff
DBU Deutscher Umweltpreis 2019   17

Wurzelhaare (grün) in enger Assoziation mit mikrobiellen Belägen (rot) und Bodenmineralen (blau)
unter dem Elektronenmikroskop (SEM) in 1 500-facher Vergrößerung
18   Die Preisträger 2019

                                                                                                             Reinhard Schneider
                                                                                                            Werner & Mertz GmbH

                                               Pionier für nachhaltiges Wirtschaften –
                                      der Unternehmer Reinhard Schneider im Portrait
                      Er ist der Unternehmer hinter bekannten Markennamen wie »Frosch« oder »Erdal«. Doch Reinhard Schneider
                      (51) macht mehr als nur Umsatz. Er lebt Nachhaltigkeit in allen unternehmerischen Entscheidungen und nimmt
                      dabei sowohl Inhaltsstoffe und Verpackungen seiner Produkte als auch Produktionsabläufe und Firmengebäude
                      in den Blick. Mit seinen umweltverträglichen Wasch- und Reinigungsprodukten behauptet er sich in einem stark
                      umkämpften Massenmarkt. Sein Rezept: Mut zur Veränderung, Risikobereitschaft und Durchhaltevermögen.

                                                                             Reinhard Schneider kommt direkt aus einem Termin.
                                                                             Wer den Unternehmer zu einem Gespräch treffen
                                                                             will, muss auf eine Lücke im vollen Terminkalender
                                                                             zielen, denn der Inhaber und Geschäftsführer der
                                                                             Werner & Mertz GmbH in Mainz ist ein vielbeschäf-
                                                                             tigter Mann: Neben der Leitung seines Unterneh-
                                                                             mens mit weltweit etwa 1 000 Mitarbeiterinnen und
                                                                             Mit­arbeitern und einem Umsatz von 399 Millionen
                                                                             Euro treibt er die von ihm gegründete Recyclat-
                                                                             Initiative voran, ist Mitglied verschiedener Wirt­
                                                                             schafts­verbände, engagiert sich für Naturschutz- und
                                                                             Klima­schutzprojekte, gehört zu den »Entrepreneurs
                                                                             for Future« und unterstützt soziale Initiativen.

                                                                             Abgehetzt ist Schneider aber keineswegs, sondern
                                                                             ruhig und freundlich, aufmerksam und konzent-
Unternehmer mit »Rundum«-Nachhaltigkeitsstrategie:                           riert. Immer mit dabei: Sein buchstäbliches Marken­
Der Umweltpreisträger Reinhard Schneider
                                                                             zeichen, ein kleiner grüner Plüschfrosch in der Brust-
                                                                             tasche des Jacketts. Denn der Frosch prägt seit über
                                                                             100 Jahren das Firmen-Logo – Werner & Mertz ist
                                                                             als Hersteller von Wasch- und Pflegeprodukten vor
                                                                             allem durch seine Marken Erdal, Emsal und Frosch
                                                                             bekannt. Insbesondere die Marke Frosch, die von
DBU Deutscher Umweltpreis 2019   19

Qualitäts-Check an der modernen Abfüll-Linie für »Frosch«-
Produkte im neuen Werner & Mertz-Produktionszentrum (v. r.):
Umweltpreisträger Reinhard Schneider, Stephanie Mattivi,
Leiterin Zentraleinkauf, Pit Zimmermann, Einrichter in der
Produktion, und Dr. Guido Gneist, Werksleiter Mainz

Verbraucherinnen und Verbrauchern im Jahr 2019                 Eigenschaften. Da heißt es experimentieren, denn
zum wiederholten Mal zur vertrauenswürdigsten                  eines ist Schneider wichtig: »Beim Grundnutzen, den
Marke (Most Trusted Brand) gewählt wurde, verweist             ein Reinigungsmittel erfüllen soll, darf es keine Ein-
auf das, wofür Schneider steht: Ein klares Bekenntnis          schränkungen geben – die wenigsten Leute wollen
zur Nachhaltigkeit und den Mut, neue Wege zu gehen.            doppelt so lang putzen …« Schneider berichtet von
                                                               einem seiner Produkte, das durch die Stiftung Waren-
»Beim Grundnutzen darf es keine Einschränkungen                test als bester Reiniger bewertet wurde: »Inzwischen
geben«                                                         sind wir im Grundnutzen besser als konventionelle,
Bereits seit dem Jahr 1986 wird in den Rezepturen              erdölbasierte Produkte. Umweltaspekte wurden
der Marke Frosch weitestgehend auf Rohstoffe auf               dabei gar nicht getestet.«
Erdölbasis verzichtet. Seit 2013 setzt Schneider auf
waschaktive Substanzen auf Basis von heimischen                Für Kundinnen und Kunden kommt es hauptsäch-
Pflanzenölen und rief die Initiative »Tenside aus euro-        lich auf den Inhalt und die Wirkung eines Produktes
päischem Anbau« ins Leben, um das als umweltkri-               an – der Reinigungsmittel-Unternehmer Schneider
tisch eingestufte Palmkernöl aus tropischen Regio-             macht sich auch Gedanken um das »Drumherum«,
nen mehr und mehr zu ersetzen. Hier ist Pioniergeist           nämlich die Kunststoffverpackungen und -behälter.
gefragt. Denn so einfach wie es klingt, ist es nicht,          Einen Grund für dieses Engagement findet Schnei-
ein Öl durch ein anderes zu ersetzen: Öle aus Raps,            der beim Blick aus dem Fenster seines Büros: »Da
Flachs, Hanf oder Oliven sind chemisch anders auf-             ist die Müllverbrennungsanlage Mainz-Wiesbaden, da
gebaut als Palmkernöl und haben daher auch andere              kann ich jeden Tag sehen, wie die Kunststoffabfälle,
20    Die Preisträger 2019

Zum Vergleich: Würden die bisher durch die Recyclat-Initiative eingesparten PET-
Flaschen zu einer großen Flasche verarbeitet, wäre dieser höher als der Berliner
Fernsehturm.

                        die wir brav sortiert haben, verbrannt werden.« Und        sive und gründete noch im Jahr 2012 die Recyclat-Ini-
                        er fügt als Erklärung hinzu: »Das Material ist recyc-      tiative, eine Kooperation von Partnern aus Industrie,
                        lingfähig, aber wenn es keine Nachfrage gibt, wird es      Handel und Nichtregierungsorganisationen. Ihr Ziel:
                        verbrannt.« Alles eine Frage der Nachfrage also und        Durch das Bündeln von Know-how sollte es gelin-
                        eines intelligenten Recyclingverfahrens …                  gen, Alt-Plastik aus dem »Gelben Sack« hochwertig
                                                                                   aufzubereiten. Im Fall von Werner & Mertz bedeutete
                        Die Recyclat-Initiative                                    dies: Aus alten Verpackungen sollten wieder neue
                        Als Schneider im Jahr 2011 eine Anzeige der                und neuwertige Reiniger-Flaschen werden.
                        Unisensor Sensorsysteme GmbH zu ihrem Laser-
                        spektroskopie-basierten Sortiersystem für Kunst-           Während es problemlos möglich ist, Abfälle aus der
                        stoffabfälle – übrigens DBU-gefördert – entdeckte,         Kunststoffproduktion – beispielsweise Verschnitt –
                        glaubte er sich am Ziel: »Ich dachte, wenn wir diese       wieder in den Produktionsprozess zu geben, stellt es
                        tolle Technologie einsetzen, kommt der Rest von            dagegen eine Herausforderung dar, bereits genutz-
                        allein. Mein größter Irrtum, da fing die Arbeit erst       tes Plastik, sogenannte Post-Consumer-Kunststoffe,
                        an«, berichtet Schneider mit einem kleinen Lächeln.        wieder in den Kreislauf zu bringen. Diese Kunststoffe
                        Doch der Unternehmer ist niemand, der vor einer            müssen zunächst sortiert, dann zu kleinen Teil-
                        Aufgabe davonläuft. Vielmehr ging er im Hinblick auf       chen, sogenannten Flakes, vermahlen und schließ-
                        das Wieder­verwenden von Kunststoffen in die Offen-        lich gereinigt werden, bevor neue Produkte daraus
DBU Deutscher Umweltpreis 2019   21

  Vom Pellet zur Flasche: Kleine Kunststoffteilchen aus
  100 Prozent Recycling-HDPE aus dem »Gelben Sack«
  werden wieder zu Behältern für Reinigungsmittel.

entstehen können. Erste Erfolge erzielten Schneider       22 800 Tonnen. Ein weiterer Pluspunkt: Plastikfla-
und sein Unternehmen mit dem Kunststoff Polyethy-         schen, die im Recyclingkreislauf bleiben, gelangen
lenterephthalat, kurz PET: Es gelang, Reinigungs-         nicht in die Umwelt und verschmutzen keine Böden
mittelflaschen herzustellen, die aus 100 Prozent          oder Gewässer, indem sie über Zeiträume von Jahr-
Recycling-PET bestehen. Inzwischen liegt die Zahl der     hundertern hinweg zu Mikroplastik zerfallen.
Flaschen aus Recycling-PET, die durch die Recyclat-
Initiative in den Einsatz kamen und dadurch Flaschen      Open Innovation – mitmachen erwünscht
aus Neuware einsparen, bei über 300 Millionen.            Wenn es nach Scheider ginge, dürften es gern noch
Recycling-Pionier Schneider mag es gern, diese Zahl       mehr Recycling-Flaschen werden: »Wir suchen nach
anhand eines Vergleichs fassbar zu machen: »Würde         Mitstreitern, wir sperren unsere Erkenntnisse nicht
man das Material all dieser eingesparten PET-Fla-         weg«, betont er. Die Recyclat-Initiative ist bewusst
schen zur Produktion einer einzigen großen Flasche        als »Open-Innovation«-Prozess angelegt. Jeder
nutzen, hätte sie eine Höhe von 475 Metern und eine       kann die vorhandenen Verfahren nutzen und wei-
Breite von 218 Metern und wäre damit höher als der        terentwickeln, um den Anteil an Recyclingprodukten
Fernsehturm auf dem Berliner Alexanderplatz.«             schnell zu erhöhen. Allerdings ist die Reaktion von
                                                          Schneiders Mitbewerbern zurzeit noch verhalten.
Hinter der großen Zahl steht auch eine deutliche          Grund sind die bis zu ca. 20 Prozent höheren Pro-
Umweltentlastung: Laut einer aktuellen Studie des         duktionskosten für die recycelten Kunststoffe. Auch
Öko-Institutes werden pro Recycling-PET-Flasche           der Unternehmer Schneider hat neben der ökologi-
durch den Ersatz von Primär-PET 65 Gramm Kohlen­          schen genauso die ökonomische Nachhaltigkeit im
stoffdioxid (CO2) eingespart. Hinzu kommen noch           Blick. Das PET für seine Recyclingflaschen stammt zu
11 bis 35 Gramm CO2 pro Flasche, die dadurch ver-         80 Prozent aus aussortierten, nicht mehr direkt nutz-
mieden werden, dass der Kunststoff nicht in einer         baren Mehrweg-PET-Flaschen und zu 20 Prozent aus
Müllverbrennungsanlage oder einem Zementwerk              dem »Gelben Sack«. »Technisch wären sicher bis zu
verbrannt wird. Bei 300 Millionen Flaschen ergibt         50 Prozent PET aus dem »Gelben Sack« möglich, aber
sich daraus also eine CO2-Ersparnis von mindestens        PET-Flakes aus dem Flaschenrecycling sind kosten­
22    Die Preisträger 2019

Auf dem Dach des 2010 erbauten Werner & Mertz-Hauptverwaltungsgebäudes
mit Windkraft- und Photovoltaikanlagen und Bodendeckerpflanzen (v. l.):
Reinhard Schneider, Pamela Fandel, Leiterin Nachhaltigkeits- und Organisations­
management, Yannick von Raesfeld, Audit- und Umweltmanagement im Team Fandel,
Timothy Glaz, Leiter Corporate Affairs.

                       günstiger«, erläutert er. Als Grund für diese Zurück-      » Wir können jetzt schon weit mehr als nur Recycling-
                       haltung nennt Schneider: »Ich möchte keine Produkte        PET.« Inzwischen wurden bei Werner & Mertz weltweit
                       mit Biomarktpreisen für eine Nischenklientel anbie-        erstmalig Flaschen aus High Densitiy Polyethylen
                       ten.« Sein Ziel ist der Massenmarkt, er spricht von        (HDPE)-Recyclat komplett aus dem »Gelben Sack«
                       einer »Demokratisierung der Nachhaltigkeit« ohne           entwickelt und hergestellt. »Wir haben auch welt-
                       »Verzichtseffekte«. Seiner Meinung nach ist Verzicht       weit die erste Flasche mit Kosmetikzulassung, die
                       nicht zwingend notwendig, um ökologisch zu handeln,        zu 100 Prozent aus dem »Gelben Sack« ist«, erzählt
                       sondern die Kreislaufwirtschaft bietet hier Lösungs-       Schneider weiter. Und ganz neu: Ein zu 100 Pro-
                       möglichkeiten.                                             zent recyclingfähiger Standbodenbeutel aus dünner
                                                                                  Kunststofffolie, die normalerweise aus mehreren
                       So stehen seine Produkte in den Drogeriemärkten            verklebten Kunststoffschichten besteht und sich
                       neben denen der Branchenriesen, deren Umsatz               daher nicht recyceln lässt. Bei dem neuen Beutel aus
                       in die Milliarden geht. Und der »Mittelständler aus        Monomaterial dagegen lassen sich die Schichten ein-
                       Rheinhessen«, wie Schneider sich schon mal selbst          fach voneinander trennen und werkstofflich wieder-
                       bezeichnet, zeigt, was auch im Massenmarkt mög-            verwerten.
                       lich ist und ein wenig Stolz merkt man ihm an:
DBU Deutscher Umweltpreis 2019   23

Weltspitze: Das neue Produktionszentrum
Seit Mai dieses Jahres laufen die Recycling-Flaschen
in einem neuen Produktionszentrum vom Band, das
durch Photovoltaikanlagen zur Stromproduktion,
Lade­stationen für Elektroautos und das Verwenden
von Recyclingbeton ebenfalls hohen Nachhaltigkeits-
standards entspricht. Damit schuf Schneider in Mainz
eine der größten Recyclatflaschenfertigungen der
Welt. Auch das Gebäude der im Jahr 2010 eröffneten
Hauptverwaltung steht für den Nachhaltigkeitsgedan-
ken: Dank Sonnenkollektoren, Windrädern auf dem
Dach und Geothermie erzeugt das Gebäude mehr
Energie als es verbraucht.

Für sein Engagement und seine Produkte wurde der
Unternehmer vielfach ausgezeichnet, unter ande-
rem mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis, dem
Cradle to Cradle Products Innovator Award, dem
ECR-Award für herausragende Leistungen einer part-
nerschaftlich optimierten Wertschöpfungskette und
dem Bundes­preis Ecodesign für ein besonders inno-
                                                       Seit mehr als 100 Jahren im Zeichen des Frosches: Der inzwischen
vatives und nachhaltiges Verpackungsdesign sowie       denkmalgeschützte Froschturm auf dem Werksgelände von
mehrfach mit dem Deutschen Verpackungspreis in         Werner & Mertz in Mainz
den Kategorien Neues Material und Nachhaltigkeit.
Der Antrieb für diesen Einsatz liegt wohl zum einen
in Schneiders Persönlichkeit, zum anderen aber auch
darin, dass Werner & Mertz ein Familienunternehmen
ist, das Schneider bereits in der fünften Generation   Schwager Philipp Adam Schneider nutzt die Firmen-
führt: »Es geht nicht darum, Geld anzuhäufen – in      produkte zum Experimentieren und entwickelt eine
einem Familienbetrieb wird Sinn gestiftet und etwas    neuartige Schuhcreme auf Wachsbasis, der Beginn
an die nächste Generation weitergegeben. Einen Bei-    der Marke Erdal. Als Symbol ist ab 1903 ein Frosch auf
trag zum Erhalt der Lebensgrundlagen zu liefern, ist   den Schuhpasten-Blechdosen abgebildet, zunächst in
eine tolle Sache!«                                     Grün und ab 1919 in Rot. Nach dem Ersten Weltkrieg
                                                       wird die Produktpalette ausgeweitet, zur Schuhcreme
Unternehmen mit Tradition                              kommen Reinigungs- und Pflegeprodukte. Ab den
Ein Blick in die Unternehmensgeschichte zeigt: Etwas   1950er-Jahren, zu Zeiten des Wirtschaftswunders,
an kommende Generationen weiterzugeben, sich nicht     platziert Schneiders Vater bei Werner & Mertz weitere
entmutigen zu lassen und das Unternehmen durch-        Marken, beispielsweise zur Teppichpflege. Seit 1986
aus mal neu aufzustellen, hat bei Werner & Mertz       steht die Dachmarke »Frosch« für umweltfreundliche
Familientradition: Im Jahr 1867 lassen die Brüder      Produkte zum Schutz von Mensch, Tier und Natur.
Friedrich Christoph und Georg Werner ihre Firma
ins Handelsregister eintragen. Durch den Einstieg      Reinhard Schneider gestaltet die Firmenentwicklung
des Saarbrücker Kaufmanns Georg Mertz im Jahr          seit 1992 als Aufsichtsratsmitglied mit und übernimmt
1878 entsteht »Werner & Mertz« – ein Mainzer Hand-     2000 den Vorsitz der Geschäftsführung. Schneider
werksbetrieb für Kerzen und Wachsstöcke. Mertz‘        stellt das Unternehmen konsequent nachhaltig auf.
24    Die Preisträger 2019

Sieben zur Verwendung in der Holzindustrie zu eigenwillig gewachsene Baumstämme
holte Reinhard Schneider als optische Raumtrennung ins Foyer der Hauptverwaltung.

                       Bereits im Jahr 2003 erfolgt die unternehmensweite           Auf den Unternehmer wartet der nächste Termin.
                       Einführung von freiwilligen Umweltbetriebsprüfun-            Bleibt am Ende des Gespräches noch schnell zu fra-
                       gen nach den strengen Vorgaben der Europäischen              gen, warum gerade der Frosch zum Markenzeichen
                       Union (EMAS), die regelmäßig wiederholt werden. Ein          von Werner & Mertz wurde? Schneider erzählt: »Man
                       Engagement, das offensichtlich auch die Mitarbei-            kann nur vermuten. Um die Jahrhundertwende vom
                       terinnen und Mitarbeiter zu schätzen wissen. »Viele          19. zum 20 Jahrhundert herum wurden oft Märchen-
                       Unternehmen haben Schwierigkeiten, Fachkräfte zu             figuren genutzt.« Eines jedenfalls steht fest: Wie kein
                       finden«, berichtet Schneider. »Wir haben da keine            anderes Tier steht der Frosch, der als Kaulquappe
                       Probleme. Die durchschnittliche Betriebszugehörig-           im Wasser zur Welt kommt und dann an Land geht,
                       keit liegt bei 15 Jahren.«                                   für die Fähigkeit, sich durch Weiterentwicklung neue
                                                                                    Räume zu erschließen. Ganz wie das Mainzer Unter-
                                                                                    nehmen und sein Chef ...
DBU Deutscher Umweltpreis 2019   25

Zur Person

Reinhard Schneider

Geburtsdatum und -ort: 1. Mai 1968 in Mainz

Ausbildung und Werdegang:
• Studium der Betriebswirtschaft mit dem Schwerpunkt Absatz
  und Handel an der Universität St. Gallen
• Sechsjährige Marketingtätigkeit, unter anderem als Produkt-
  manager bei Nestlé/Schweiz
• Seit 1992 Aufsichtsratsmitglied bei Werner & Mertz
• Im Jahr 2000 Übernahme des Vorsitzes der Geschäfts­
  führung von Werner & Mertz, im Jahr 2001 Leitung der
  Consumersparte des Unternehmens

Heute ist Reinhard Schneider geschäftsführender Gesell­schafter
und Alleineigentümer von Werner & Mertz.

Bisherige Auszeichnungen: Deutscher Verpackungspreis in           »Nachhaltigkeit« zusätzlich Verpackungspreis in Gold für Fla-
der Kategorie »Nachhaltigkeit« für vollständig recyclingfähi-     schen aus 100 Prozent HDPE-Recyclat aus der Quelle »Gelber
gen Standbodenbeutel und in der Kategorie »Neues Material«        Sack« (2016); B.A.U.M.-Umweltpreis in der Kategorie »Kleine und
für Duschgelflaschen mit 100 Prozent HDPE-Recyclat aus der        mittelständische Unternehmen (2016); ZEIT Wissen-Preis »Mut
Quelle »Gelber Sack« (2019), WorldStar Packaging Award in der     zur Nachhaltigkeit« in der Kategorie »Handel« (2016); interna-
Kategorie »Household« für Flaschen aus 100 Prozent HDPE-          tionaler »Cradle to Cradle Products Innovator Award« für die
Recyclat aus der Quelle »Gelber Sack« (2018), Plastics Recyc-     Marken »Frosch« und »green care Professional« (2015); Bundes-
ling Award Europe in der Kategorie »Recycled Plastic Packaging    preis Ecodesign für die Recyclat-Initiative (2014); Sonderpreis
Product of the Year« für Flaschen aus 100 Prozent HDPE-           des Deutschen Verpackungspreises für die Recyclat-Initiative
Recyclat aus der Quelle »Gelber Sack« (2018), PackTheFuture       (2014); ECR Award für die Recyclat-Initiative (2014); Grand Prix
Award für Klappscharnier-Verschlüsse aus 100 Prozent Poly-        ESSEC de la Consommation responsable in der Kategorie öko-
propylen-Recyclat (2018), PackTheFuture Award für Flaschen        logische Gesamtkonzeption für die französische Werner & Mertz
aus 100 Prozent HDPE-Recyclat aus der Quelle »Gelber Sack«        Marke Rainett (2013); EMAS-Preis des Österreichischen Umwelt-
(2017), Deutscher Verpackungspreis in der Kategorie »Neues        ministeriums für Erdal Hallein (2011); LEED-Zertifikat Platinum
Material« für Klapp­scharnier-Verschlüsse aus 100 Prozent Poly-   und Umweltpreis des Landes Rheinland-Pfalz für das neue
propylen-Recyclat (2017), Deutscher Nachhaltigkeitspreis in der   Hauptverwaltungsgebäude (2012, 2010) Deutscher Nachhaltig-
Kategorie »Deutschlands nachhaltigste Produkte« im Bereich        keitspreis in der Hauptkategorie »Deutschlands nachhaltigste
Non-Food (2016), Deutscher Verpackungspreis in der Kategorie      Marke« für die Marke »Frosch« (2009)
26    Die Preisträger 2019

Kunststoffprodukte und -verpackungen sind im Alltag allgegenwärtig.

                                                                 Kunststoffe – zu wertvoll für den Abfall
                       Sie sind leicht, formbar und hygienisch, sie trotzen    große Zahl von Produktionsprozessen und Produkten
                       Wind und Wetter und können je nach Anwendung            genutzt. In den 1950er-Jahren wurden weltweit etwa
                       starr oder flexibel sein, als Dämmstoff sparen sie      1,5 Millionen Tonnen Kunststoff im Jahr produziert.
                       Energie und in schusssicheren Westen sind sie mög-      Im Jahr 2016 waren es bereits 348 Millionen Tonnen,
                       licherweise sogar Lebensretter: Kunststoffe gehören     Tendenz steigend. Rund 40 Prozent des produzierten
                       aufgrund ihrer mannigfaltigen Materialeigenschaften     Kunststoffs machen Einwegprodukte und Verpackun-
                       zu den vielseitigsten Werkstoffen und werden für eine   gen aus.
DBU Deutscher Umweltpreis 2019   27

Chemisch gesehen bestehen Kunststoffe hauptsäch-         Jahrhunderten ab. Kunststoffeinträge tauchen inzwi-
lich aus großen Molekülen, sogenannten Polymeren,        schen in allen Umweltkompartimenten auf. In Böden,
die aus einzelnen, sich immer wiederholenden Bau-        im Eis der Antarktis, in Gebirgsbächen oder in der
steinen, den Monomeren, zusammengesetzt sind.            Tiefsee – selbst weitab der Zivilisation werden sie in
Polymere können über eine Million derartiger Bau-        der Umwelt inzwischen nachgewiesen. Acht Millio-
steine enthalten. Unterschiedliche Bausteine und         nen Tonnen Plastikmüll landen jährlich in den Ozea-
unterschiedliche Verknüpfungen der Polymerketten         nen. Geht die prognostizierte Entwicklung so weiter,
bedingen unterschiedliche Eigenschaften. Durch Bei-      schwimmt im Jahr 2050 mehr Plastik als Fisch im
mischung von Additiven oder Füllstoffen lassen sich      Meer.
die Merkmale von Kunststoffen weiter variieren und
den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer anpas-       Als besonders problematisch gilt Mikroplastik, kleine
sen.                                                     Partikel im Bereich von wenigen Mikrometern bis
                                                         fünf Millimetern. Dabei wird unterschieden zwischen
Die Kehrseite der Kunststoffnutzung: Viele Kunst-        primärem Mikroplastik, das für bestimmte Zwecke,
stoffprodukte wie Folien und Verpackungen sind nur       beispielsweise für Kosmetika gezielt produziert wird,
für einen kurzen Gebrauch bestimmt und werden            und sekundärem Mikroplastik, das entsteht, wenn
danach weggeworfen. So nimmt nicht nur die Menge         größere Kunststoffteile zerrieben werden oder zer-
an Kunststoffprodukten, sondern auch die Menge an        fallen. Der Haupteintragspfad für Mikroplastik liegt
Kunststoffmüll beständig zu. Gelangen Kunststoffe        in Deutschland buchstäblich auf der Straße: Rund
in die Umwelt, bauen sie sich aufgrund ihrer chemi-      127 000 Tonnen Mikroplastikemissionen pro Jahr
schen Beständigkeit nur sehr langsam im Lauf von         entstehen durch Reifenabrieb. Besonders hoch sind

  Kunststoffpartikel finden sich inzwischen in allen
  Umweltkompartimenten – vom Hochgebirge bis ins Meer.
28    Die Preisträger 2019

Vom Abfall zum wertvollen Rohstoff: Aus genutzten Kunststoffverpackungen könnte
Rezyklat werden.

                       die Emissionen in den Innenstädten, wo viel gebremst       Neben den Ökosystemen sind Kunststoffe auch für
                       wird. Eine weitere bedeutende Quelle ist die Wäsche        das Weltklima relevant. Da die Bausteine für 99 Pro-
                       von Textilien aus synthetischen Fasern. Verschiedene       zent aller Kunststoffe aus fossilen Brennstoffen wie
                       Studien beziffern die Menge der dabei abgegebenen          Öl, Gas und Kohle hergestellt werden, sind die klima-
                       Kunststoffpartikel mit sechs Millionen Mikrofasern         schädlichen Emissionen entlang des Produktlebens-
                       pro Waschgang bis hin zu 250 000 bei der Wäsche von        weges enorm.
                       nur einer Fleece-Jacke.
                                                                                  Aus Gründen des Klima- und Ressourcenschutzes
                       Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung kann           gilt es also, mit dem Werkstoff Kunststoff verantwor-
                       eine abschließende gesundheitliche Risikobewer-            tungsvoll umzugehen. Einträge in die Umwelt sind
                       tung der Wirkung von Mikroplastik aktuell noch nicht       zu verhindern, um Schadwirkungen zu vermeiden.
                       erfolgen. Konkrete Studien, die schädliche Wirkungen       Eine echte Kreislaufwirtschaft und ein hochwertiges
                       von Mikroplastik für den Menschen nachweisen, gibt         Recycling bieten sich als Möglichkeiten an, verbun-
                       es bisher nicht. Bei Tieren ist dies anders: Muscheln      den mit einem Produktdesign, das ein hochwertiges
                       zeigten als Reaktion auf die Aufnahme bzw. Anrei-          Recycling ermöglicht. Denn dafür müssen die Kunst-
                       cherung von Mikroplastik Entzündungsreaktionen,            stoffströme in die verschiedenen Kunststoffsorten
                       Fische Verhaltensänderungen. Eine weitere mögliche         sortiert werden, was nicht oder nur schwer möglich
                       Schadwirkung: An die Oberfläche derartiger Kunst-          ist, wenn verschiedene Kunststoffe untrennbar kom-
                       stoffpartikel können sich viele andere organische          biniert werden, wie es bei vielen Kunststofffolien der
                       Stoffe anlagern, darunter auch langlebige, kaum            Fall ist.
                       abbaubare Umweltgifte, sodass Mikroplastikparti-
                       kel diese Gifte sammeln und dadurch konzentrieren          Erste Ansätze zur Reduktion von Kunststoffen in der
                       könnten. Werden die Mikroplastikpartikel von Tieren        Umwelt und für ein Recycling sind bereits beschlos-
                       gefressen, gelangen nicht nur die Plastikteilchen,         sen: Die Europäische Kommission hat das Ziel for-
                       sondern auch diese Gifte in die Nahrungskette.             muliert, dass ab 2030 alle Plastikverpackungen
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