Einsatzgebiet Klassenzimmer - die Bundeswehr in der Schule - Debatte

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Einsatzgebiet Klassenzimmer - die Bundeswehr in der Schule - Debatte
Schule
                                                   Debatte

         Einsatzgebiet Klassenzimmer –
         die Bundeswehr in der Schule

         Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
Impressum
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
Hauptvorstand
Reifenberger Str. 21
60489 Frankfurt
069/78973-0
Fax: 069/78973-202
E-Mail: info@gew.de
www.gew.de

Verantwortlich: Marianne Demmer, Ulf Rödde (V.i.S.d.P.)
Text: Jürgen Amendt
Redaktion: Martina Schmerr, Sarah Holze
Fotos: Michael Schulze von Glaser
Gestaltung: Illustration & Design, Karsten Sporleder
Druck: Druckerei Leutheußer

ISBN: 978-3-939470-71-1

Die Broschüre erhalten Sie im GEW-Shop (Artikelnr.: 1436).
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Oktober 2011
Einsatzgebiet Klassenzimmer –
die Bundeswehr in der Schule

     Vorwort                                                                         5
 Bundeswehr in der Schule
1.                                                                                    7
 1.1   Einsatzgebiet Klassenzimmer                                                   7
 1.2   Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und Kultusministerien         11
 1.3   Arbeitslos und aus dem Osten: Last Exit Bundeswehr                           13
 1.4   „Kindersoldaten“ beim „Bund“                                                 15
			          Die UN-Kinderrechtskonvention                                          16
			          Klein-Mitrovica, Kreis Zwickau: Schießübungen für Schüler              17
 1.5   „Troops on the ground“ und „humanitäre Hilfe“ – Werbung à la Bundeswehr      18

2.
 Lernziel: Sicherheitspolitik à la Bundeswehr                                       20
 2.1    Schüler regieren die Welt                                                   20
			            POL&IS: Weltpolitik auf dem Spielbrett und am Konferenztisch         21
 2.2    Jugendoffiziere: Ausbildung, Aufgaben, Einsatzgebiet                        24
			            Beutelsbacher Konsens                                                26
			            Bundeswehr und Berufsberatung                                        28
 2.3    Bundeswehr-PR in Unterrichtsmaterialien                                     29
 2.4    Bundeswehr und Lehrerausbildung                                             31

 Positionen, Aktivitäten und Handlungsmöglichkeiten 
3.                                                                                   34
 3.1. 	„Einfluss zurückdrängen – Politische Bildung ist Aufgabe von Lehrkräften“:
        Die GEW-Position                                                            34
 3.2    Schulen als „bundeswehrfreie Zonen“                                         35
			           Bundeswehr in der Schule? Tipp für Eltern – Unterrichtsbefreiung      38
 3.3    Friedensbildung in der Schule                                               39

     Links und Hinweise                                                             41

                                                                                          3
4
Vorwort

                                                                                                     Vorwort
Der Werbeetat der Bundeswehr ist von 1998 bis 2010 von 9 auf 27 Millionen Euro gestiegen. Die
Imagepflege scheint bitter notwendig zu sein. Der Wandel von einer reinen Verteidigungsarmee
hin zu einer Interventionsarmee im Auslandseinsatz findet keinen großen Anklang in der Bevöl-
kerung. Auch das Anwerben junger Menschen für den neuen Freiwilligen Wehrdienst bleibt bisher
ohne den erhofften Erfolg. Die Bundeswehr braucht jedoch gut ausgebildete Freiwillige. Aber
ausgerechnet die Abiturienten haben bereits in der Vergangenheit in großer Zahl den Wehrdienst
verweigert. Damit geraten die Schulen verstärkt ins „Visier“ als Orte, an dem Werbung für eine
„Karriere in der Bundeswehr“ sowie für die Akzeptanz von Auslandseinsätzen gemacht wird.

In den letzten Jahren haben acht von sechzehn Landesregierungen eine Kooperationsvereinba-
rung mit der Bundeswehr abgeschlossen und rund 400 haupt- und ehrenamtlichen Jugendoffizie-
ren als offiziellen „Partnern“ für die politische Bildung den roten Teppich vor Schulen und Hoch-
schulen ausgerollt. Sofern die Jugendoffiziere Unterricht übernehmen, besteht sogar grundsätzlich
Anwesenheitspflicht. Offiziell dürfen die jungen Offiziere zwar keine Nachwuchswerbung betrei-
ben, aber ihr Einsatz wirkt – gerade auch auf Minderjährige.

Dies ruft in den letzten Jahren immer mehr Eltern und Kinderschutzorganisationen auf den Plan.
Der Widerstand wächst. In vielen Bundesländern wurden Netzwerke gegründet, die sich gegen die
neue Militarisierung vieler Lebensbereiche – vor allem der Schulen – wehren. Der Hauptvorstand
der GEW hat sich bereits im März 2010 gegen die Einflussnahme der Bundeswehr auf Unterricht
und Lehrerausbildung ausgesprochen und mit Nachdruck betont, dass die politische Bildung –
auch in Fragen der Sicherheitspolitik – in die Hand der dafür ausgebildeten Lehrkräfte gehört.

Die vorliegende Broschüre gibt einen Überblick über die Werbestrategien der Bundeswehr sowie
die derzeitigen Kooperationsvereinbarungen in den Bundesländern. Sie informiert über die Akti-
vitäten der Bundeswehr in der Lehrerausbildung und gibt außerdem Einblicke in deren Unter-
richtsmaterial sowie in das Bundeswehr-Planspiel POL&IS. Zugleich problematisiert sie die Ein-
flussnahme auf Minderjährige im Lichte der UN-Kinderrechtskonvention und zeigt mögliche
Aktivitäten und Handlungsperspektiven auf.

Die GEW stellt außerdem Informationen im Internet zur Verfügung und unterstützt friedenspä­
dagogische Aktivitäten. Auch mehrere GEW-Landesverbände sind aktiv geworden und drängen
zum Beispiel dort, wo Sozialdemokraten oder Bündnis 90/Die Grünen an Regierungen beteiligt
sind, mit einigem Erfolg darauf, Friedensinitiativen den gleichberechtigten Zugang zu Schulen zu
sichern.

Diese Forderung ist freilich nicht unumstritten. Das Ungleichgewicht zwischen Bundeswehr und
Friedensbewegung ist – in personeller und finanzieller Hinsicht etwa – mit den derzeitigen Mitteln
kaum auszugleichen. Es geht jedoch um weitaus mehr als um schlichte „Waffengleichheit“. Es geht
darum, dass das Neutralitätsgebot der Schule nicht verletzt wird, dass junge Menschen ausgewo-
gen informiert und nicht manipuliert werden. Ob das gelingt, wenn Jugendoffiziere unterschlagen,

                                                                                                          5
wie viele junge Soldaten traumatisiert aus ihrem Einsatz zurück kehren und dass der Soldatenberuf
    mitunter sogar tödlich ist: daran haben wir größte Zweifel.

    Schulen sollen Lernräume und -gelegenheiten schaffen, damit junge Menschen demokratisches
    Handeln einüben, sich ein eigenes Urteil bilden und grundlegende Werte – wie Respekt, Gewalt-
    freiheit, Toleranz, Frieden und Nachhaltigkeit – erfahren und verteidigen. Dafür sind Lehrkräfte
    ausgebildet und daran arbeiten viele Schulen im Rahmen ihrer Schulentwicklung. Für diese Bil-
    dungsziele laden Lehrkräfte andere Menschen in den Unterricht ein. Dass uniformierte Jungoffi-
    ziere Unterricht halten und dafür durch das Kultusministerium einen Freibrief erhalten, und Lehr-
    kräfte oder Ehrenamtliche aus der Friedensbewegung für den nötigen Ausgleich sorgen müssen,
    war mit dem Konzept „Öffnung von Schule“ allerdings nicht gemeint.

    Außerdem kann es nicht nur die Aufgabe der Zivilgesellschaft sein, gewaltfreie Sicherheitskonzep-
    te zu entwickeln und zu finanzieren. Die fehlende Nachhaltigkeit militärischer Interventionspoli-
    tik, ihre hohen zivilen und militärischen Opfer sowie ihr äußerst schlechtes Kosten-Nutzen-Ver-
    hältnis sollten Anlass genug auch für die Parlamente sein, praktikable Konzepte ziviler Sicherheits-
    politik in großem Stil zu entwickeln und die Arbeit von Friedensinitiativen großzügig finanziell
    zu unterstützen. Der Ausstieg aus der militärischen und der Umstieg zu einer zukunftsfähigen,
    nachhaltigen Sicherheitspolitik steht als gesellschaftliches Projekt auf der politischen Agenda.

    Marianne Demmer                                   Martina Schmerr
    Stellvertretende Vorsitzende der GEW              Referentin Vorstandsbereich Schule

6
1. Bundeswehr in der Schule

                                                                                                                            1. Bundeswehr in der Schule
1.1 Einsatzgebiet Klassenzimmer                                          Magazin „Fußball erleben“ des kommerziellen
„Im Sport und in der Arbeit gilt: Teamwork                               Sportevent-Veranstalters.2
führt zum Erfolg!“ So wird die deutsche Fuß-
ballnationalspielerin Fatmire Bajramaj in einer                          Mit Ende der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 hat
Werbeanzeige auf der Internetseite der „Schul-                           die Bundeswehr Werbung in eigener Sache nö-
Liga“ zitiert1. Die „Liga“ organisiert Fußball-                          tiger denn je. Die „Truppe“ braucht Freiwillige.
Wettbewerbe für Schülerinnen und Schüler, die                            Für die kommenden Jahre wird mit einem jähr-
besten Schulmannschaften trafen sich Anfang                              lichen Bedarf an „frischen“ 16.000 Soldatinnen
Mai 2011 in Wolfsburg zum Endrundenturnier.                              und Soldaten einfacher Dienstgrade gerechnet;
                                                                         12.000 sollen als Freiwillige mit einer Dienst-
Eine deutsche Fußballnationalspielerin und ein                           zeit zwischen einem und zwei Jahren, 4000 als
Sport-Event – was wie selbstverständlich und                             Zeitsoldaten (Dienstzeit: bis zu acht Jahre) ge-
harmlos klingt, hat einen gar nicht so selbstver-                        wonnen werden.3
ständlichen und durchaus problematischen
Hintergrund: Bajramaj ist Sportsoldatin der                              Doch die Begeisterung für den Job an der Waffe
Bundeswehr und die Werbeanzeige wurde von                                hält sich in Grenzen. So hatten sich im März
ihrem Arbeitgeber geschaltet – einem Sponsor                             für den im April 2011 beginnenden Freiwilli-
der „Schul-Liga“, der in diesem Jahr sogar als                           gendienst nur knapp 300 Bewerberinnen und
„Premiumpartner“ des Fußballturniers auftrat.                            Bewerber gefunden – lediglich zehn Prozent
„Als Soldatin auf Zeit profitiert die Hauptge-                           des Bedarfs4. Im Frühjahr schrieb das Verteidi-
freite, wie etwa 700 andere Leistungssportler                            gungsministerium fast eine halbe Million
von der Spitzensportförderung der Streitkräf-                            Haushalte an, doch der Rücklauf war beschei-
te“, heißt es in einem Porträt über Bajramaj im                          den: nur 1800 der Angeschriebenen zeigten In-

1	www.schul-liga.de
2  „Fatmire Bajramaj: Soldatin und Nationalspielerin“, Fußball erleben, Ausgabe 1/2010
3  „Befehl bleibt Befehl“, FAZ, 4. März 2011
4  „Bundeswehr findet kaum Freiwillige“, Financial Times Deutschland, 1. März 2011

                                                                                                                                                 7
teresse. Und das trotz eines gestiegenen
         Wehrsolds: 777,30 Euro verdient ein Freiwilli-
         ger monatlich im ersten Vierteljahr – steuerfrei.
         Wer sich länger verpflichtet, bekommt
         1146,30 Euro im Monat. Dazu kommen weite-
         re Zuschüsse, kostenfreie Verpflegung etc.

         Anfang Juli gab Bundesverteidigungsminister
         Thomas de Maizière zwar Entwarnung. Die Re-
         krutierungszahlen hätten sich nach Beginn des
         Freiwilligendiensts besser entwickelt als erwar-
         tet, erklärte er.5 Der Staats- und Sozialwissen-
         schaftler Jochen Bohn glaubt allerdings nicht
         an einen nachhaltigen Trend. Auf Dauer werde
         die Bundeswehr nur schwer gegen die Konkur-
         renz auf dem Arbeitsmarkt bestehen können.
         Der Dienst in der Bundeswehr sei zu wenig at-
         traktiv und der Bund zahle nicht genug, um                                 der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“
         dauerhaft geeignete Bewerber zu bekommen,                                  (HAZ) bereits Mitte Juli 2011 bei der 1. Panzer-
                                                                                    division in Hannover rund 14 Prozent der neu-
                                                                                    en Freiwilligen entschlossen, von der sechsmo-
      14 Prozent der neuen Freiwilligen                                             natigen Probezeit Gebrauch zu machen und die
                                                                                    Armee zu verlassen. Beim Wachbataillon in
       entschlossen sich, von der sechs­
                                                                                    Berlin hatten 17 von 158 neuen Soldaten keine
     monatigen Probezeit Gebrauch zu                                                Lust mehr auf den militärischen Drill und das
    machen und die Armee zu verlassen.                                              Leben in der Kaserne. Viele der Ausgeschiede-
                                                                                    nen gaben laut HAZ an, dass sie doch noch den
                                                                                    Studienplatz außerhalb der Bundeswehr erhiel-
         schrieb der Oberstleutnant der Reserve im                                  ten, für den sie sich beworben hatten, andere
         Campus-Magazin der Bundeswehr-Universität.                                 bekamen eine Zusage für eine Ausbildung in
         Vor allem beim Offiziers-Nachwuchs sieht                                   einem zivilen Beruf.7
         Bohn erhebliche Rekrutierungsprobleme.6
                                                                                    2012 könnten die Nachwuchssorgen weiter
         Die ersten Wochen nach der Umwandlung der                                  wachsen, denn dann werden die Soldaten nach
         Bundeswehr von einer Wehrpflicht- zu einer                                 und nach ausscheiden, die noch unter der
         Freiwilligen-Armee scheint diese Prognose zu                               Wehrpflicht begonnen haben und sich wäh-
         bestätigen. So hatten sich laut einem Bericht                              renddessen entschieden, ihren Dienst zu ver-

         5	Bundeswehr startet mit 13.000 Freiwilligen in eine neue Ära“, Financial Times Deutschland, 30. Juni 2011
         6  „Nach dem Studium an den Hindukusch“, Süddeutsche Zeitung, 1. Juli 2011
         7  „Bundeswehr muss um jeden Rekruten kämpfen“, Hannoversche Allgemeine, 20. Juli 2011
         8  „Rekruten aus dem Klassenzimmer“, Tagesspiegel, 8. Juni 2011

8
Gegenüber 1998 sind 2010 die
                                                                                   verfügbaren Haushaltsmittel für die
längern. Verteidigungsminister Thomas de Mai-
                                                                                   Nachwuchswerbung der Bundeswehr von
zière kündigte daher an, dass die Bundeswehr
verstärkt auch außerhalb der Kreiswehrersatz-                                      neun Millionen Euro auf 27 Millionen
ämter und der Kasernen neue Rekruten werben                                        Euro aufgestockt worden.
werde. „Die Mitarbeiter müssen raus in die
Schulen, raus in die Sportvereine und dort wer-

                                                                                                                              1. Bundeswehr in der Schule
ben“, so de Maizière.8                                                     Bundeswehr von neun Millionen Euro auf
                                                                           27 Millionen Euro aufgestockt worden.11
Das erfordert von seinem uniformierten Perso-
nal einen Strategiewechsel: Sie dürfen nicht                               Im Schulbereich treten Offiziere dabei vor al-
mehr den „Bürger in Uniform“ im Blick haben,                               lem in den höheren Klassen an den Gymnasien
sondern müssen den Dienst an der Waffe als                                 auf. Mit 60.936 stellten die Schüler der Sekun-
mehr oder weniger „normalen Beruf“ anprei-                                 darstufe II die größte Gruppe unter den 175.463
sen. Dass die Bundeswehr die Schulen als Ein-                              Schülerinnen und Schülern, die 2008 von den
satzgebiet betrachtet, ist dabei nicht neu. Wäh-                           94 hauptamtlichen und 300 nebenamtlichen Ju-
rend allerdings die Zahl der Besuche von Schul-                            gendoffizieren der Bundeswehr aufgesucht wur-
klassen in den Kasernen der Bundeswehr (soge-                              den bzw. die an Veranstaltungen der Bundes-
nannte Truppenbesuche) zwischen 1999 und                                   wehr teilnahmen.12 Der Jahresbericht der Ju-
2008 um 75 Prozent auf knapp 17.000 Teilneh-                               gendoffiziere weist für 2008 insgesamt 382 Se-
merinnen und Teilnehmer sank und damit der                                 minare an Gymnasien mit 15.546 Teilnehmern
direkte Werbecharakter für den Armeedienst                                 aus – die Gymnasiasten der Sekundarstufe II
abnahm, suchten die Jugendoffiziere in den                                 stellen damit annähernd 60 Prozent aller Se-
letzten Jahren verstärkt den direkten Kontakt zu                           minarteilnehmer; nur 1295 Teilnehmerinnen
den Schulen vor Ort – die Zahl der Schülerin-                              und Teilnehmer zählt die Jahresstatistik bei den
nen und Schüler, die Vorträgen der Jugendoffi-                             Hauptschulen, 2350 bei den Realschulen. Die
ziere im Klassenzimmer lauschten, nahm zwi-                                beiden Schulformen liegen dagegen bei den
schen 1999 und 2008 um rund ein Viertel auf                                Truppenbesuchen deutlich vor den Gymnasien.
knapp 129.000 zu. Im Jahr 2010 traten Jugend-                              In den Folgejahren hat sich die Statistik nicht
offiziere vor rund 135.000 Schülern im Unter-                              wesentlich verändert. Ähnlich sieht die Vertei-
richt auf (ohne Teilnahme an Podiumsdiskussio-                             lung nach Schultypen bei den Wehrdienstbera-
nen und Seminaren).9 Zudem hielten Wehr-                                   tern aus. 2009 warben die Rekrutierungsfachleu-
dienstberater, die über die Laufbahnmöglichkei-                            te vor 12.648 Schülerinnen und Schülern für
ten der Bundeswehr informieren, Vorträge vor                               den Dienst an der Waffe: 47 Prozent davon wa-
rund 196.000 Schülerinnen und Schülern.10 Die                              ren Haupt- und Realschüler, danach folgten mit
Bundesregierung lässt sich das einiges kosten:                             31 Prozent Schülerinnen und Schüler der be-
Gegenüber 1998 sind 2010 die verfügbaren                                   rufsbildenden Schulen, Gymnasiasten lagen mit
Haushaltsmittel für die Nachwuchswerbung der                               knapp 22 Prozent an letzter Stelle.13

9	Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008, Anlage 2a, veröffentlicht im Juni 2009
10	Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestags­abgeordneten Ulla Jelpke, 20.Januar 2011
11	die zeitung (Magazin von „terre des hommes“ in Kooperation mit der GEW), 2/2011, Seite 2
12 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008, Anlage 2a
13 „IMI-Fact-Sheet: Bundeswehr und Schulen“, Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI), Juni 2010, Seite 2

                                                                                                                                                   9
Allgemein formuliert: Die Bundeswehr um-                                      dokumentiert der Bericht der Jugendoffiziere
     wirbt vor allem Haupt- und Realschüler sowie                                  für das Jahr 2008. In vielen Bundesländern sei
     Berufsschüler als potenzielle Soldaten – und                                  der Umfang des Faches Politik/Sozialkunde in
     dieser Befund hat auch nach Aussetzung der                                    den Schulen reduziert worden, heißt es da. Die
     Wehrpflicht Mitte dieses Jahres weiter Gültig-                                Fachlehrer hätten daher zunehmend Probleme
     keit. „Für Schulabgänger der Haupt-, Real- und                                damit, „alle Themenbereiche der vorgegebenen
     Mittelschulen ist die Bundeswehr thematisch                                   Curricula behandeln zu können“. Das sei für
     immer wieder als Arbeitgeber von großem Inte-                                 die Jugendoffiziere „Risiko und Chance zu-
     resse. Laut der erreichten Lehrkräfte und Multi-                              gleich“. Einerseits fehle in manchen Schulen die
     plikatoren besteht hier ein sehr großer Bedarf                                Zeit, Offiziere in den Unterricht einzuladen, an-
     an Erstinformationen zu beruflichen Perspekti-                                dererseits „sind die Fachlehrer froh, Referenten
     ven und Möglichkeiten in den Streitkräften“,                                  für Sicherheitspolitik einladen zu können, um
     heißt es im aktuellen Jahresbericht der Jugend-                               den Jugendlichen diesen Themenkomplex (…)
     offiziere.14 Mit den höheren Klassen der Gym-                                 näherzubringen“, stellt der Bericht fest.16
     nasien werden dagegen sicherheitspolitische
     und ökonomische Fragen diskutiert. „Im Allge-                                 Diese Einschätzung bestätigt auch Klaus-Hein-
     meinen werden die Jugendoffiziere in den                                      rich Ehlers vom Bundesverteidigungsministeri-
     Gymnasien zum Lehrplanthema ‚Internatio­                                      um. Haupt- und Realschüler interessierten sich
     nale Beziehungen/Konflikte/Friedenssicherung‘                                 eher für Ausbildungsfragen, an den Gymnasien
     eingeladen“, heißt es in einer Antwort der                                    dominierten politische Aspekte beim Thema
     schleswig-holsteinischen Landesregierung auf                                  „Bundeswehr“. Im Laufe der Jahre habe sich
     eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Kieler                               zudem der Charakter der Debatten an den
     Landtag.15 Hier steht die Imagepflege im Vor-                                 Schulen geändert. In der Zeit des Kalten Kriegs
     dergrund. Die Bundeswehr soll als selbstver-                                  habe z.B. der Wehrdienst in den Fragen der
     ständlicher Teil deutscher Außenpolitik im ge-                                Schüler kaum zur Disposition gestanden, sagt
     sellschaftlichen Bewusstsein verankert werden.                                Ehlers, der im Ministerium für den Einsatz der

                                   „Die Wehrpflicht ist bei den Jugendlichen weiterhin
                              stark umstritten. Sie hat insbesondere bei Gymnasiasten
                                             weniger Rückhalt und kaum Akzeptanz.“

     Der Bundeswehr kommt entgegen, dass vielen                                    Jugendoffiziere verantwortlich ist. Das habe
     Schulen aufgrund Personalmangels und schlech-                                 sich in den zurückliegenden Jahren geändert.
     ter sachlicher Ausstattung die Erfüllung des                                  „Die Wehrpflicht ist bei den Jugendlichen wei-
     Lehrplans bei diesen Themen zunehmend                                         terhin stark umstritten. Sie hat insbesondere
     schwerer fällt – und sie nutzt diese Chance. Das                              bei Gymnasiasten weniger Rückhalt und kaum

     14	Jahresbericht der Jugendoffiziere 2010, Seite 4, veröffentlicht im Juni 2011
     15 Landtag Schleswig-Holstein, 22. Februar 2010, Drucksache 17/243
     16 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008, Seite 5

10
1. Bundeswehr in der Schule
Akzeptanz“, heißt es im Jahresbericht der Ju-                         Hessen und Mecklenburg-Vorpommern ähnli-
gendoffiziere 2008.17                                                 che Vereinbarungen mit der Bundeswehr. Aber
                                                                      auch ohne schriftlichen Vertrag weiß die Bun-
                                                                      deswehr bei ihrem Einsatz im Innern die Poli-
1.2 Kooperationsvereinbarungen                                        tik auf ihrer Seite. Der niedersächsische Minis-
zwischen Bundeswehr und Kultus­                                       terpräsident David McAllister (CDU) etwa be-
ministerien                                                           tont, wie wichtig es sei, die Bundeswehr bei ih-
Wer könnte da schon dagegen sein? „Schüle-                            rem Werben um Nachwuchs auch in den
rinnen und Schüler sollen so befähigt und mo-                         Schulen zu unterstützen – auch ohne gesonder-
tiviert werden, die Möglichkeiten der Friedens-                       te Vereinbarung: Eine Kooperation zwischen
sicherung zu erörtern.“ Mit dem „so“ ist aller-                       staatlichen Einrichtungen, Schulen und Streit-
dings nicht der Unterricht im Fach Sozialkun-                         kräften ist (…) selbstverständlich“, erklärte das
de gemeint, das kleine Wörtchen bezieht sich                          Kultusministerium in Hannover auf eine An-
auf den Besuch der Jugendoffiziere in der                             frage der grünen Landtagsfraktion.19
Schule. Festgehalten ist diese Regelung in einer
sogenannten Kooperationsvereinbarung zwi-
schen dem Wehrbereichskommando IV – Süd-                                      Baden-Württemberg war eines
deutschland – der Bundeswehr und dem Kul-                                     der ersten Bundesländer, das das
tusministerium Baden-Württemberg aus dem
Jahr 2009. Darin wird unter anderem die Ein-
                                                                              Vordringen der Bundeswehr in die
bindung von Jugendoffizieren in den Unter-                                    Klassenzimmer durch einen
richt, aber auch „in die Aus- und Fortbildung                                 entsprechenden Vertrag regelte.
von Referendarinnen und Referendaren sowie
Lehrkräften“ geregelt. Das Ministerium ver-
pflichtet sich zudem, „die Umsetzung der                              An Kooperationsvereinbarungen soll auch
Kooperationsvereinbarung durch regelmäßige                            nicht gerüttelt werden – trotz vielfachen Pro-
Gespräche der Jugendoffiziere mit zuständigen                         tests von Schülern, der GEW und der Friedens-
Vertreterinnen und Vertretern der Regierungs-                         bewegung. Auf Druck der Friedensbewegung
präsidien“ zu evaluieren.18                                           sollen allerdings in Nordrhein-Westfalen und
                                                                      im Saarland Friedensinitiativen einen gleichbe-
Baden-Württemberg war eines der ersten Bun-                           rechtigten Zugang zum Schulunterricht erhal-
desländer, das das Vordringen der Bundeswehr                          ten.20 Bereits beschlossen wurde ein Abkom-
in die Klassenzimmer durch einen entsprechen-                         men zwischen dem Kultusministerium in
den Vertrag regelte. Den Anfang machte 2008                           Rheinland-Pfalz und dem „Netzwerk Friedens-
Nordrhein-Westfalen, im Jahr darauf folgten                           bildung Rheinland-Pfalz“, dem zum Zeitpunkt
neben Baden-Württemberg das Saarland, 2010                            der Vertragsunterzeichnung im August 2011
schlossen Sachsen, Rheinland-Pfalz, Bayern,                           insgesamt 15 Gruppierungen der Friedensbe-

17 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008, Seite 11
18	Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg und dem Wehrbereichskom-
    mando IV – Süddeutschland – der Bundeswehr vom 4. Dezember 2009
19 Niedersächsischer Landtag, 18. Mai 2010, Drucksache 16/2472
20 „Friedenstaube darf ins Klassenzimmer“, Neues Deutschland, 1. April 2011

                                                                                                                                                                11
„Auf absehbare Zeit ist die
     wegung angehörten. Gegenstand der Überein-                                     Friedensbewegung kaum in der
     kunft ist unter anderem die Erziehung zu Ge-                                   Lage, den Jugendoffizieren
     waltlosigkeit. In der Präambel wird diesbezüg-
     lich auf entsprechende Aussagen in der UN-
                                                                                    etwas entgegenzusetzen“
     Kinderrechtskonvention sowie des Schulgeset-
     zes in Rheinland-Pfalz verwiesen. Letzteres                             tert. Das von der FDP geführte Kultusministe-
     verpflichtet die Schulen dazu, Kinder und Ju-                           rium habe „den Abschluss einer Kooperations-
     gendliche „zum gewaltfreien Zusammenleben“                              vereinbarung à la Rheinland-Pfalz leider abge-
     zu erziehen.21 Im Vertragstext wird dem „Netz-                          lehnt“, bedauert der Vorsitzende der „Stiftung
     werk Friedensbildung“ die „Einbeziehung in                              Friedensbewegung“, Peter Becker. Allerdings sei
     den schulischen Alltag (z.B. durch Gestaltung                           in der mit der Bundeswehr getroffenen Verein-
     von Unterrichtsangeboten, Informations- und                             barung festgehalten, dass auch andere Organi-
     Diskussionsveranstaltungen) und in die Aus-                             sationen – etwa Vertreter der Friedensbewegung
     und Weiterbildung von Referendarinnen und                               – Zugang zu den Schulen haben sollen.
     Referendaren sowie Lehrerinnen und Lehrern
     (z.B. durch Materialien und Fortbildungsveran-                          Innerhalb der Friedensbewegung ist eine ver-
     staltungen)“ zugesichert. Daneben wird die rot-                         traglich fixierte Zusammenarbeit mit den Kul-
     grüne Regierung in Mainz die Kooperation                                tusministerien in Sachen Friedensbildung je-
     auch finanziell beispielsweise durch die Über-                          doch umstritten. Einige Gruppen lehnen solche
                                                                             Vereinbarungen kategorisch ab. Im Vorfeld der
                                                                             Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz im Früh-
                                                                             jahr 2011 sprachen sich zum Beispiel die Ar-
                                                                             beitsgemeinschaft Frieden Trier e.V. und der
                                                                             Landesverband der DFG-VK (Deutsche Frie-
                                                                             densgesellschaft – Vereinigten Kriegsdienstgeg-
                                                                             nerInnen) kategorisch gegen solche Verträge
                                                                             aus. Hauptkritik: Damit würden die Vereinba-
                                                                             rungen mit der Bundeswehr nachträglich legiti-
                                                                             miert und die antimilitaristische Kritik domes-
                                                                             tiziert; Vereinbarungen zwischen der Friedens-
                                                                             bewegung und der Bundeswehr hätten zudem
                                                                             nur „Alibi-Charakter“, da die Bundeswehr im
                                                                             Vergleich zu den Friedensgruppen über die
                                                                             deutlich größeren personellen und finanziellen
     nahme der Reisekosten fördern.22 Im Nachbar-                            Ressourcen verfüge. „Von Ausgewogenheit oder
     land Hessen ist dagegen ein Abkommen mit                                Diskussionen auf Augenhöhe kann überhaupt
     der schwarz-gelben Landesregierung geschei-                             keine Rede sein“, kritisierte Ende August Mar-

     21	Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz und dem
         Netzwerk Friedensbildung Rheinland-Pfalz vom 15. August 2011, Seite 3
     22	ebda., Seite 4

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1. Bundeswehr in der Schule
kus Pflüger von der AG Frieden Trier die Über-                            aus der Schule‘ zu opfern. Eine Kooperations-
einkunft zwischen dem Mainzer Bildungsmi-                                 vereinbarung bewirke für die Friedensbewe-
nisterium und Friedensgruppen in einem Inter-                             gung eine „systematische Verstärkung ihrer Le-
view mit der Tageszeitung „junge Welt“. Die                               gitimationsbasis.24
Jugendoffiziere seien „rhetorisch und didak-
tisch für ihre Einsätze von der Armee geschult“,
die meisten Friedensaktivisten würden dagegen                             1.3 Arbeitslos und aus dem Osten:
ehrenamtlich arbeiten. „Auf absehbare Zeit ist                            Last Exit Bundeswehr
die Friedensbewegung kaum in der Lage, den                                Folgender Witz hat nicht nur eine Pointe, er
Jugendoffizieren etwas entgegenzusetzen“,                                 beschreibt auch eine tragische Wirklichkeit:
fürchtet Pflüger. Für die Friedensarbeit an Schu-                         Am Ende des neunten Schuljahres sagt die
len bedürfe es keiner „offiziellen Bestätigung                            Lehrerin zu ihren Schülern: „Herzlichen Glück-
des Ministeriums“. Der beste Zugang sei immer                             wunsch, ihr werdet alle versetzt, Kevin und Jus-
noch der „persönliche Kontakt zu Schülern, El-                            tin zur Bundeswehr, der Rest in die zehnte
tern und Lehrern“.23                                                      Klasse“.

       „Der Bundeswehr kommt kein Monopol in Friedensfragen zu und
       Militärvertreter können keine Deutungshoheit in Sachen Friedens-
       und Sicherheitspolitik beanspruchen.“

Dem halten die vorwiegend kirchlich organi-                               Schaut man sich die Mannschaftsdienstgrade
sierten Befürworter entgegen, dass man das                                bei der Bundeswehr an, fällt in der Tat auf, dass
Feld nicht der Bundeswehr überlassen dürfe.                               die jungen Männer aus dem Osten mit schlech-
Durch Kooperationsverträge zwischen Organi-                               ten bis allenfalls mittelprächtigen Schulab-
sationen der Friedensarbeit und dem Bildungs-                             schlüssen, dominieren. Offiziell mag die Bun-
ministerium werde die Rolle der Bundeswehr                                deswehr jedoch nicht von einem Ost-West-Ge-
nicht stabilisiert, sondern relativiert. Es werde                         fälle sprechen. Im Jahresbericht der Jugendoffi-
„offiziell verdeutlicht, dass der Bundeswehr                              ziere für das Jahr 2009 heißt es lediglich, die
kein Monopol in Friedensfragen zukommt und                                Armee sei als Arbeitgeber „für Schulabgänger
dass Militärvertreter keine Deutungshoheit in                             der Haupt-, Real- und Mittelschulen weiterhin
Sachen Friedens- und Sicherheitspolitik bean-                             besonders attraktiv“.25 Doch vor allem für jene
spruchen können. Es wäre eine „vertane Chan-                              Zeitsoldaten, die an den Auslandseinsätzen der
ce, das offiziell akzeptierte Anliegen, ‚Friedens-                        Bundeswehr beteiligt sind, gilt: Bei den unteren
dienste rein in die Schule‘ der vorrangigen Be-                           Dienstgraden stellen junge Männer aus dem
schränkung auf den Ansatz ‚Bundeswehr raus                                Osten der Republik einen Anteil von 62,5 Pro-

23 „Friedensgruppen sind die Falle getappt“, junge Welt, 22. August 2011
24	Friedhelm Schneider, Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der Evangelischen Kirche der Pfalz, in „Kooperationsvereinbarung Bildungsministerium-
    Friedensdienste – Irrweg oder Chance?“, 8. Oktober 2010
25 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2009, Seite 4, veröffentlicht im Mai 2010

                                                                                                                                                                       13
zent, rechnet man die höheren Dienstgrade mit                            Für den Arbeitgeber Bundeswehr wird es den-
             ein, sind junge Ostdeutsche an den Auslands-                             noch immer schwieriger, selbst im Osten genü-
             truppen mit 49,2 Prozent vertreten – bei einem                           gend qualifizierte Bewerber für den Job als Zeit-
             Bevölkerungsanteil der Ostdeutschen in der                               soldat zu finden. Grund dafür sind die auf-
             Bundesrepublik von lediglich 20 Prozent.26                               grund der demografischen Entwicklung sinken-
                                                                                      den Schulabgängerzahlen. Bereits 2008 klagte
                                                                                      die Bundeswehrführung über Personalmangel
         Der Osten Deutschlands ist für die                                           vor allem in den technischen Berufen und kün-
              Bundeswehr zum bevorzugten                                              digte an, die Bemühungen um die Nachwuchs-
                                                                                      rekrutierung zu verstärken.28
     Rekrutierungsgebiet geworden. [...] Die
     Verpflichtung beim „Bund“ ist für viele                                          Die Aussetzung der Wehrpflicht Mitte des Jah-
                 eine Art letzter Strohhalm.                                          res hat dieses Problem noch einmal verschärft.
                                                                                      Früher rekrutierte die Bundeswehr rund 40 Pro-
                                                                                      zent ihrer Zeitsoldaten aus Wehrpflichtigen, die
             Der Osten Deutschlands ist für die Bundeswehr                            sich während ihrer Grundwehrdienstzeit ent-
             zum bevorzugten Rekrutierungsgebiet gewor-                               schlossen, den Soldatenjob zum Beruf auf Zeit
             den. Will man den Grund dafür finden, muss                               zu machen. Mit dem Ende der Wehrpflicht ent-
             man einen Blick in die Arbeitslosenstatistik                             fällt für die Bundeswehrführung dieses sichere
             werfen. Im Juni 2011 waren in den fünf ost-                              Soldatenpotenzial. Man müsse jetzt bei der
             deutschen Bundesländern 10,2 Prozent aller                               Nachwuchsrekrutierung mit der Wirtschaft
             20 bis 25-Jährigen offiziell arbeitslos gemeldet.                        konkurrieren, klagten die Werber der Bundes-
             Zum Vergleich: Im Westen betrug die Arbeits-                             wehr schon im Juni dieses Jahres, kurz vor Weg-
             losigkeit im Juni 2011 in der gleichen Alters-                           fall der Wehrpflicht.29
             gruppe lediglich 5,4 Prozent, in den wirtschaft-
             lich starken Bundesländern wie Bayern gar nur                            Die Führung der Bundeswehr hat mittlerweile
             2,9 Prozent.27 Die Verpflichtung beim „Bund“                             das Problem erkannt und reagiert: Generalleut-
             ist für viele daher eine Art letzter Strohhalm.                          nant Wolfgang Born, im Bundesverteidigungs-
             Und der Arbeitgeber Bundeswehr bietet eini-                              ministerium für die Reform des Personalwesens
             ges: eine Berufsausbildung, den LKW-Führer-                              zuständig, kündigte Mitte August 2011 den
             schein und zumindest für einige Jahre einen si-                          Aufbau eines zentralen Personalamtes an, das
             cheren Job. Dafür sind die jungen Männer be-                             für die Anwerbung von Berufssoldaten sowie
             reit, weite Wege in Kauf zu nehmen, denn die                             von Zivilangestellten zuständig sein soll.30 Die
             meisten Standorte der Bundeswehr liegen im                               Bundeswehr müsse „auf den demografischen
             Westen und Süden der Republik.                                           Wandel und massiven Fachkräftemangel“ re-
                                                                                      agieren, teilte Born in einem Interview mit der

             26	„Aus Not zur Bundeswehr“, Süddeutsche Zeitung, 21. Juli 2009, Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordne-
                 ten Peter Hettlich vom 13. Juli 2009
             27 http://statistik.arbeitsagentur.de
             28 „Operation Zukunft“, Berliner Zeitung, 14. November 2008
             29 „Sie sind jung und brauchen das Geld“, Die Zeit, 1. Juni 2011
             30 „Binnenarbeitsmarkt Armee“, www.heise.de/tp/artikel/35/35343/1.html

14
1. Bundeswehr in der Schule
Bundeswehr-Website im Internet mit. Gefor-                               sem sogenannten Fakultativprotokoll eine Aus-
dert sei „eine optimale Ausschöpfung des Po-                             nahmeregelung, die staatlichen Streitkräften
tentials an jungen Frauen und Männern.“31                                die Rekrutierung von über 16-jährigen Freiwilli-
                                                                         gen erlaubt. Diese Regelung wurde auf Initiati-
                                                                         ve der USA, Großbritanniens, Deutschlands
1.4 „Kindersoldaten“ beim „Bund“
Zwischen 2001 und 2010 warb die Bundeswehr
4.804 männliche Minderjährige als Freiwillige,                                   Neben Deutschland werben weltweit
die zu Beginn ihres Grundwehrdienstes erst                                       lediglich 25 Länder unter 18-Jährige
17 Jahre alt waren. Zusätzlich begannen im
Zeitraum von 2009 bis 2011 insgesamt
                                                                                 für den Armeedienst. Bei Auftritten
1305 weibliche und männliche unter 18-Jährige                                    in Schulen oder Ausbildungsmessen
freiwillig ihren Dienst als Soldatinnen und Sol-                                 werden oftmals schon 14-Jährige
daten auf Zeit (SaZ); allein in den Jahren 2009
und 2010 hat die Bundeswehr 517 bzw.
                                                                                 angesprochen.
452 Minderjährige als SaZ eingestellt, in den
ersten fünf Monaten des Jahres 2011 lag die
Zahl bei 336. Dies geht aus einer Antwort der                            und einer Reihe anderer Länder auf Druck ihrer
Bundesregierung vom 27. Juni 2011 auf eine                               Militärs und gegen den Widerstand der jeweili-
Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion von                                gen nationalen Kinder- und Menschenrechts-
Bündnis 90/Die Grünen hervor.32                                          gruppen durchgesetzt. Neben Deutschland wer-
                                                                         ben weltweit lediglich 25 Länder unter 18-Jähri-
Die Fragesteller werten dies als Verstoß gegen                           ge für den Armeedienst. Bei Auftritten in Schu-
das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskon-                              len oder Ausbildungsmessen werden oftmals
vention von 2002. Darin haben sich die unter-                            schon 14-Jährige angesprochen. Trotz anhalten-
zeichnenden Mitgliedsstaaten der Vereinten                               der Kritik von Kinderrechtsorganisationen wie
Nation verpflichtet, auf die zwangsweise Einbe-                          „terre des hommes“ ist die Bundesregierung
rufung von unter 18-Jährigen zum Militär-                                bislang nicht bereit, an dieser Praxis etwas zu
dienst zu verzichten. Allerdings gibt es in die-                         ändern.33

31	www.bmvg.de/portal/a/bmvg
32 Deutscher Bundestag, Drucksache 17/6311
33 „Kinder im Visier – Gefährliche Werbung“, die zeitung (Magazin von „terre des hommes“ in Kooperation mit der GEW), 2/2011, Seite 2

                                                                                                                                                             15
Die UN-Kinderrechtskonvention
     Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes,
     kurz UN-Kinderrechtskonvention (englisch: Conven-
     tion on the Rights of the Child, CRC), wurde am
     20. November 1989 von der UN-Generalversamm-                                       wort der Bundesregierung auf die parlamentari-
     lung angenommen und trat am 2. September 1990,                                     sche Anfrage der Grünen. Gegenüber den Ver-
     dreißig Tage nach der 20. Ratifizierung durch ein Mit-                             einten Nationen sei erklärt worden, dass
     gliedsland, in Kraft. Beim Weltkindergipfel vom                                    Deutschland „für den Beginn des freiwilligen
     29. bis 30. September 1990 in New York verpflichte-                                Dienstes als Soldatin oder Soldat in ihren Streit-
     ten sich die Regierungsvertreter aus der ganzen Welt                               kräften ein Mindestalter von 17 Jahren als ver-
     zur Anerkennung der Konvention. Der Kinderrechts-                                  bindlich“ ansehe.“ Es sei zudem sichergestellt,
     konvention sind mehr Staaten beigetreten als allen                                 dass die Jugendlichen „außerhalb der militäri-
     anderen UN-Konventionen, nämlich alle mit Aus-                                     schen Ausbildung keine Funktionen ausüben,
     nahme der USA und Somalia.34                                                       in denen sie zum Einsatz der Waffe gezwungen
                                                                                        sein könnten“. So würden die Minderjährigen
     Artikel 38 Absatz 3 der UN-Kinderrechtskonvention                                  nicht an Auslandseinsätzen teilnehmen.
     legt fest, dass Minderjährige nicht zu den nationalen
     Streitkräften einzogen werden dürfen. In der Überein-                              Nach dem Ende der Wehrpflicht sehen das zu-
     kunft von 1989 war diese Grenze auf Jugendliche be-                                mindest die Rekrutenwerber vor Ort nicht ganz
     zogen, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet                                 so eng. „Solange es die Wehrpflicht gab, haben
     haben. Im Zusatzprotokoll über Kinder in bewaffne-                                 wir unsere Aktionen als Information für junge
     ten Konflikten, das am 25. Mai 2000 beschlossen wur-                               Menschen über den Dienst verstanden, den sie
     de und 2002 in Kraft trat, wurde die Altersgrenze für                              für die Gesellschaft zu leisten hatten. Jetzt se-
     die Rekrutierung von Freiwilligen auf 18 Jahre ange-                               hen wir uns als Arbeitgeber wie jeder andere
     hoben. Allerdings gibt es ein Schlupfloch. Artikel 3                               auch”, rechtfertigte der für Personalwerbung
     Absatz 3 erlaubt Ausnahmen, wenn gewährleistet ist,                                verantwortliche Offizier beim Personalamt der
     dass die Einberufung freiwillig erfolgt, der Betroffene                            Bundeswehr in Köln die Auftritte in Schulen
     über den Militärdienst „umfassend aufgeklärt wird“                                 und bei Ausbildungsmessen. Zielgruppe seien
     und die Eltern bzw. der gesetzliche Vormund der Ein-                               die 17- bis 25-Jährigen.36
     berufung zustimmen.35
                                                                                        Es sei „eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass die
                                                                                        Bundesrepublik Deutschland auch in ihrer ei-
               Die Bundeswehr selbst sieht in der Rekrutie-                             genen Armee konsequent ist und die Rechte
               rung von Minderjährigen keinen Verstoß gegen                             Minderjähriger in jeder Hinsicht achtet und
               das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskon-                              schützt“, kritisiert dagegen die bündnisgrüne
               vention. „Die Bundesrepublik Deutschland                                 Bundestagsfraktion. Hierzu gehöre, „dass die
               stellt sicher, dass bei der Einziehung von Frei-                         Rekrutierung von Minderjährigen für die Bun-
               willigen unter 18 Jahren zu ihren nationalen                             deswehr ausgeschlossen sein sollte“. Die Bun-
               Streitkräften diese tatsächlich freiwillig erfolgt                       deswehr sei keine Organisation wie jede ande-
               und sie mit der in Kenntnis der Sachlage abge-                           re, schreibt die grüne Bundestagsabgeordnete
               gebenen Zustimmung der Eltern oder des Vor-                              Katja Dörner in einer Pressemitteilung. Auch
               munds der Person erfolgt“, heißt es in der Ant-                          unter verschärften Wettbewerbsbedingungen

               34	Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kinderrechtskonvention
               35 www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar54263.pdf
               36 „‚Terre des Hommes‘ kritisiert Bundeswehr-Werbung“, Bild, 12. April 2011

16
1. Bundeswehr in der Schule
könne sie nicht die gleichen Marketingstrategi-                          für die Problematik von Werbung der Bundes-
en anwenden wie ein ziviles Unternehmen.                                 wehr, die sich an Minderjährige wendet“, stellt
„Der Bundesregierung fehlt es an Sensibilität                            die Parlamentarierin fest.37

  Klein-Mitrovica, Kreis Zwickau: Schießübungen für Schüler
  Bad Reichenhall, Ende Mai 2011: Beim Tag der Of-                             Solche Vorfälle möchte die Bundeswehrführung ger-
  fenen Tür an der Bundeswehrkaserne bietet die Ge-                            ne vermeiden. Ein Bundeswehrsprecher gibt zu:
  birgsjägerbrigade 23 für Kinder und Jugendliche ein                          „Den Namen der Ortschaft so zu wählen, ist sicher-
  „tolles Programm“. Ein langer Tisch voller Waffen                            lich geschmacklos.“38 Auch dem Chef-Nachwuchs-
  lädt dazu ein, die bereitliegenden Pistolen und Ma-                          werber der Bundeswehr, Klaus-Heinrich Ehlers, sind
  schinengewehre einmal in die Hand zu nehmen.                                 solche Skandale peinlich. Übungen mit Schülern an
  Und es gibt eine ganz besondere Attraktion: Über                             Waffen seien den Jugendoffizieren ausdrücklich un-
  das Zielfernrohr können die Kleinen auf eine nach-                           tersagt, betont Ehlers. „Die Schüler dürfen Waffen
  gebaute Stadt im Miniaturformat schießen. Auf                                nicht einmal in die Hand nehmen“, sagt der Oberst-
  dem Mini-Ortsschild haben die aus dem sächsi-                                leutnant. Dass dennoch „in einzelnen Fällen“ gegen
  schen Kreis Zwickau stammenden Soldaten ge-                                  diese Vorschrift verstoßen wurde, „sei bedauerlich
  schrieben: Klein-Mitrovica, Kreis Zwickau. Der                               und nicht zu entschuldigen“.
  Ortsname erinnert an die Gemeinde Mitrovica im
  Kosovo. Dort verübten zur Zeit des Nationalsozia-                            In den vergangenen Jahren gab es immer wieder sol-
  lismus deutsche Soldaten Gräueltaten. Weil ein Be-                           che „Einzelfälle“. Dies geht aus einer Auflistung der
  sucher der Veranstaltung das Ganze filmt und her-                            militärkritischen Initiative „Rabatz“ hervor. So hat-
  nach ins Internet stellt, wird der Fall bekannt.                             ten laut „Rabatz“ bereits am 11. Juli 2009        >

37	http://katja-doerner.de/2011/07/12
38 „Bundeswehr-Kaserne lässt Kinder Krieg spielen“, Welt, 5. Juni 2011

                                                                                                                                                            17
bei einem Tag der Offenen Tür in der Brannenbur-                             Wenige Monate später ereignete sich ein ähnlicher
     ger Kaserne nahe Rosenheim Kinder Zugang zu rea-                             Vorfall am Bundeswehrstandort Todendorf, eben-
     listisch anmutenden Waffen.39                                                falls Schleswig-Holstein. An der dortigen Heeres-
                                                                                  flugabwehrschule wollten sich 50 Schülerinnen und
     Bundesweit in die Schlagzeilen geriet im Herbst                              Schüler des Berufsbildungszentrums Plön über
     2009 ein Fall im schleswig-holsteinischen Eutin. Bei                         „marktgängige Berufe bei der Bundeswehr“ wie Me-
     einem Rundgang mit einer Schülergruppe durch die                             chaniker oder Bürokaufleute informieren. Doch auf
     Rettberg-Kaserne wurde den Jugendlichen auch der                             dem Programm stand wider Erwarten auch eine
     Schießsimulator gezeigt. Ein Oberstabsfeldwebel                              Übungseinheit am Schießsimulator. Zusätzlich
     soll nach Angaben der Schüler regelrecht ins Schwär-                         durften die Schülerinnen und Schüler auch mit
     men geraten sein. „Er prahlte, dass das Schießkino                           Handfeuerwaffen Zielübungen machen; entgegen
     tausendmal besser sei als jedes Spiel auf der Konsole                        den Vorschriften der Bundeswehr waren auch Min-
     zu Hause“, zitierten die „Lübecker Nachrichten“ ei-                          derjährige unter den Teilnehmern.41
     nen der Jugendlichen.40

                1.5 „Troops on the ground“ und                                              Musik unterlegte Videoclip verspricht Abenteu-
                „humanitäre Hilfe“ – Werbung à la                                           er, Spannung und Kameradschaft. Zu sehen be-
                Bundeswehr                                                                  kommt man den Film nicht im Fernsehen,
                Bundeswehr im Krieg? Nein, die „Truppe“ ist                                 wohl aber haben ihn angehende Wehrdienst-
                „im Kriseneinsatz“, leistet „humanitäre Hilfe“,                             leistende in den Kreiswehrersatzämtern beim
                und das weltweit. Die „Truppe“, das sind „best-                             Warten auf die Musterung gezeigt bekommen.
                ausgebildete Spezialisten“, aber „ohne Solda-                               Die Botschaft ist überdeutlich: Der Dienst beim
                ten vor Ort, ohne Troops on the ground“ ist                                 Heer ist Berufung – und kann ein Beruf sein!
                kein militärischer Einsatz denkbar. Und dieser
                besteht zum Beispiel darin, Waffenschmuggler                                Nachwuchswerbung wird bei der Bundeswehr
                dingfest zu machen. Die „Troops on the                                      auch außerhalb von Kasernen und Kreiswehrer-
                ground“ sollen den „überraschenden Zugriff “                                satzämtern groß geschrieben. Wie groß konnte
                absichern. Die Frauen und Männer des Heeres                                 man Mitte des Jahres in vielen Berliner Bussen,
                nutzen dabei „modernste Technik“, sie sind                                  Straßenbahnen, S- und U-Bahnen sehen. Froh-
                „die Spezialisten für Landoperationen und stel-                             gemute junge Männer und Frauen in Unifor-
                len sich den Herausforderungen der Gegen-                                   men warben für eine Karriere beim Militär.
                wart.“ Die bösen Buben werden in ihrem Un-                                  Dort könne man „Zukunft gestalten“. „Welche
                terschlupf überrascht, festgenommen und abge-                               Zukunft ist hier gemeint?“, fragten daraufhin
                führt. Ein erfolgreicher Einsatz. Schluss.42                                das Berliner Bündnis „Schule ohne Militär“
                                                                                            und die Aktion „Freiheit statt Angst“ in einem
                Klar doch – das Militär, so teilt uns der Werbe-                            Offenen Brief an die Berliner Verkehrsbetriebe
                film mit, hat mit Krieg nichts zu tun. Tote gibt                            (BVG) und die S-Bahn Berlin GmbH. „Handelt
                es nicht, es fließt kein Blut, der mit poppiger                             es sich um die statistisch gesehen verkürzte Zu-

                39	http://rabatz-buendnis.info/2011/06/kinder-an-waffen-kein-einzelfall-bei-der-gebirgstruppe
                40 „Kinder im Schießkino“, Lübecker Nachrichten, 19. Oktober 2009
                41 „Kameraden im Klassenzimmer“, Süddeutsche Zeitung, 26. März 2010
                42 Werbefilm der Bundeswehr (Heer), Quelle: www.youtube.com/watch?v=GRVo_m0yu3A

18
Geworben wird an allen Fronten, und
                                                                                 das Bundesverteidigungs­ministerium
                                                                                 lässt sich die Propaganda-Aktionen
kunft des Bewerbers, der bei der Bundeswehr
                                                                                 einiges kosten.
die Möglichkeit erhält früher zu sterben oder
verstümmelt zu werden? Oder ist es die Zu-

                                                                                                                                              1. Bundeswehr in der Schule
kunft der Bewohner ferner Länder, die wir, wie                           Geworben wird an allen Fronten, und das Bun-
in Kunduz43, durch Bombardierungen verkür-                               desverteidigungsministerium lässt sich die Pro-
zen?“44 Der Forderung nach einem Stopp der                               paganda-Aktionen einiges kosten. Anfang des
Werbeaktion für die Bundeswehr kamen die                                 Jahres beauftragte das Ministerium die Werbe-
beiden Berliner Nahverkehrsbetriebe nicht                                agentur „ZenithMedia“ mit der Konzeption ei-
nach. Ähnliche Werbeaktionen gab es im Früh-                             ner groß angelegten Kampagne in den Medien,
jahr 2011 im Bereich des Öffentlichen Nahver-                            die bis Ende 2011 dauern soll. Mit Zeitungsan-
kehrs in Braunschweig, Leipzig, Chemnitz,                                zeigen, TV- und Kinospots wird für eine Mann-
Dresden, Halle an der Saale, Erfurt und Jena.                            schaftslaufbahn beim Heer, der Marine und der
Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung                            Luftwaffe geworben. Der Etat dafür wurde da-
auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabge-                              für eigens im Vergleich zu 2009 um annähernd
ordneten Ulla Jelpke (Linkspartei) hervor.45                             50 Prozent von 3,9 auf 5,7 Millionen Euro auf-
                                                                         gestockt.46

                                                                         Auffallend gut bedacht wurden dabei die Zei-
                                                                         tungen des Axel-Springer Konzerns, allen vor-
                                                                         an die „Bild“-Zeitung; mit rund 600.000 Euro
                                                                         erhalten „Bild“, „Bild am Sonntag“ und „Bild-
                                                                         Online“ den größten Einzelposten. In einer Er-
                                                                         klärung rechtfertigte sich das Bundesverteidi-
                                                                         gungsministerium damit, man folge den Emp-
                                                                         fehlungen der Agentur „ZenithMedia“, die
                                                                         „diese Werbeträger unter anderem aufgrund der
                                                                         Reichweite und der Zielgruppenanalyse vorge-
                                                                         schlagen hat“.47

43	Nahe der afghanischen Stadt Kunduz starben am 4. September 2009 bei einem von der Bundeswehr angeforderten Angriff zweier us-amerikani-
    scher Flugzeuge nach NATO-Angaben 142 Menschen, der Großteil davon waren Zivilisten, darunter viele Kinder.
44 www.aktion-freiheitstattangst.org/presse/pressemitteilungen
45 Deutscher Bundestag, 20. April 2011, Drucksache 17/5637
46 ebda.
47 „‚taz‘-David streitet gegen ‚Bild‘-Goliath“, Die Zeit, 4. März 2011

                                                                                                                                                                   19
2.	Lernziel: Sicherheitspolitik à la
         Bundeswehr

     2.1 Schüler regieren die Welt                                               denn die 16- bis 18-Jährigen spielen nur.
     Der „Staatsminister“ von Europa kündigt an,                                 POL&IS (Politik & Internationale Sicherheit)
     Programme für soziale Gleichheit zu finanzie-                               heißt die interaktive Simulation, an der die Ju-
     ren, einen gleichen Lebensstandard für alle Bür-                            gendlichen eine ganze Woche lang in einem
     ger anzustreben. Die Sprachunterschiede sollen                              Tagungszentrum am Seddiner See, 15 Kilome-
     aufgehoben, die Sprache der Europäer europä-                                ter südlich von Potsdam, teilnehmen. POL&IS
     isch sein, das Piratenunwesen vor der somali-                               wird von den Jugendoffizieren der Bundeswehr
     schen Küste will Europa durch ein Verbot der                                organisiert und ist in den vergangenen Jahren
     Großfischerei in der Region bekämpfen, damit                                zu einer Erfolgsgeschichte für das Bundesvertei-
     die somalischen Fischer nicht mehr als Kaperer                              digungsministerium geworden. 2008 gab es
     ihr Brot rauben müssen. Arabien verspricht Öl                               mehr als 360 solcher Planspiele, an denen rund
     für alle bereitzustellen, China will mehr Klima-                            17.500 Schüler mit ihren Lehrern sowie Studen-
     schutz und mehr Marktwirtschaft, Nordameri-                                 ten und Referendare teilnahmen.48 2009 waren
     ka wird künftig in den Umweltschutz investie-                               es schließlich 365 POL&IS-Seminare.49 2010
     ren und seinen ABC-Waffenbestand reduzie-                                   stieg das Interesse der Schulen und Universitä-
     ren. Afrika will seine Bürger schon in naher                                ten an den sicherheitspolitischen Seminaren
     Zukunft im Wohlstand leben lassen und sichert                               noch einmal deutlich an. Auf 492 solcher Ver-
     die Pressefreiheit zu. Indien will vor allem fried-                         anstaltungen spielten über 24.000 Lehrkräfte,
     liche Beziehungen zu den Nachbarn, Südameri-                                Schülerinnen und Schüler dieses Spiel. Da die
     ka verschreibt sich dem Umweltschutz und                                    Kapazitätsgrenzen erreicht worden seien, habe
     setzt sich gegen Drogenanbau ein. Japan wird                                man jedoch die Nachfrage nicht decken kön-
     alle AKW abschalten und auf Windkraft als                                   nen, heißt es im aktuellen Jahresbericht der Ju-
     Stromquelle setzen. Eine Pflicht für Reiche, auf                            gendoffiziere.50
     ihren Häusern Solardächer zu installieren, soll
     die asiatische Insel zum Öko-Paradies machen.                               Die Jugendoffiziere schreiben zwei Mal im Jahr
     Die Vertreterin der Nichtregierungs-Organisati-                             an die Schulen in ihrem Zuständigkeitsgebiet
     onen (NGO) bittet um Spenden, damit man                                     und schlagen das Strategie-Spiel für den Unter-
     sich noch mehr für Kinder- und Frauenrechte                                 richt vor. Ob dieses Angebot angenommen
     engagieren könne. Die Weltpresse jubelt: „Russ-                             wird, liegt in der Verantwortung der Schulen.
     land hat mit der Abrüstung begonnen und Pres-                               Darauf weist die Bundeswehr ausdrücklich hin.
     sefreiheit gibt es jetzt weltweit“.                                         „Die Initiative muss von den Schulen kom-
                                                                                 men“, betont Oberstleutnant Hans-Christian
     Würden die 30 Schülerinnen und Schüler der                                  Köhnke vom Bundeswehrstandort Berlin. In
     Berliner Clay-Oberschule die Welt regieren,                                 ihrer Selbstdarstellung betonen die Jugendoffi-
     gäbe es globale Abrüstung, keinen Hunger                                    ziere gleichfalls, dass sie den Unterricht ledig-
     mehr, eine saubere Umwelt, überall Demokra-                                 lich ergänzen und begleiten. „Die Verantwor-
     tie, den Weltfrieden und die Bundeswehr wäre                                tung für den Unterricht und die Lernziele trägt
     überflüssig. Aber das ist nicht die Wirklichkeit,                           der Lehrer.“51 Auch die Entscheidung über die
     48	Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008, Seite 4
     49 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2009, Seite 4. Damit, so heißt es in dem Bericht, „sind die Kapazitäten der POL&IS-Seminare voll ausgeschöpft“.
     50	Jahresbericht der Jugendoffiziere 2010, Seite 4
     51 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2009, Anlage 1

20
2. Lernziel: Sicherheitspolitik à la Bundeswehr
POL&IS: Weltpolitik auf dem Spielbrett und am Konferenztisch
POL&IS wurde ursprünglich von dem Politikwis-                                     ABC-Waffen; auf der anderen Seite können sie
senschaftler Wolfgang Leidhold von der Universi-                                  Entwicklungshilfe leisten und ihre Diplomaten
tät Erlangen entwickelt, um Weltpolitik zu veran-                                 Konflikte friedlich lösen lassen.
schaulichen. 1989 kaufte die Bundeswehr das Spiel
und baute es nach und nach zu einer sicherheitspo-                                Die Jugendoffiziere geben das „Ausgangssetting“
litischen Simulation für Schulen aus.                                             vor. Die Spieler erhalten Informationen über ihre
                                                                                  Regionen (Wirtschaftslage, politisches System) so-
Gespielt wird in mehreren POL&IS-Runden, wo-                                      wie die wichtigsten internationalen Verträge (z.B.
bei jede „Runde“ etwa einem Jahr entspricht. Jede                                 Kyoto-Protokoll, Atomwaffensperrvertrag). Die
Region wird durch ein eigenes Spielbrett darge-                                   Schüler bearbeiten dieses „Ausgangssetting“ selbst-
stellt; die Spieler verfügen über Müllgüter, Roh-                                 ständig. Sie müssen aber quasi die Realität (interna-
stoffgüter, Energiegüter, Agrargüter, Industriegüter                              tionale Verträge, politische Konstellationen) als Vo-
und den POL&IS-Dollar für den Handel. Militäri-                                   raussetzung übernehmen. Der Jugendoffizier sei
sche Einheiten gibt es an diesen Spielbrettern nicht.                             zwar der Spielleiter, steuere den Spielablauf aber
Am zentralen Spieltisch aber, an dem sich die Regi-                               nicht direkt, sondern indirekt, indem er den Schü-
onen zur jährlichen UN-Konferenz treffen, sind                                    lerinnen und Schülern Rückmeldung darüber gebe,
die militärischen Optionen präsent: Die einzelnen                                 welche Konsequenzen die von ihnen getroffenen
Regionen können Luft-, Land- und Seestreitkräfte                                  Entscheidungen haben können, betont die Bun-
einsetzen, verfügen über einen Polizeiapparat und                                 deswehr.                                          >

Teilnahme der Schüler bzw. eine eventuelle                                   diesem Strategiespiel zugenommen. „Die nach-
Freistellung obliege der Schule. Grundsätzlich                               lassende Ordnungskraft von den Staaten führt
gelte, so Köhnke: POL&IS ist eine schulische                                 zur Zunahme von Kriegen und Konflikten –
Unterrichtseinheit, es besteht also die Pflicht                              weltweit dauerhaft instabile Regionen drohen.
zur Teilnahme.52                                                             Die Reaktion auf diese Bedrohung bedarf eines
                                                                             neuen Mixes von robusten Fähigkeiten“, infor-
Seit seiner Einführung vor mehr als 20 Jahren                                mieren die Jugendoffiziere der Bundeswehr auf
haben die sicherheitspolitischen Optionen in                                 ihrer Internetseite.53

52	Das ist allerdings umstritten. Die Kinderrechtsorganisation „terre des hommes“ etwa verneint eine Teilnahmepflicht und empfiehlt Eltern, die ihre
    Kinder nicht von einem Bundeswehroffizier unterrichtet wissen wollen, einen Befreiungsantrag zu stellen; Näheres siehe unter Punkt 4.1.
53 www.polis.jugendoffiziere.eu

                                                                                                                                                                                             21
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