Einsatzgebiet Klassenzimmer - die Bundeswehr in der Schule - Debatte
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Schule Debatte Einsatzgebiet Klassenzimmer – die Bundeswehr in der Schule Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
Impressum Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hauptvorstand Reifenberger Str. 21 60489 Frankfurt 069/78973-0 Fax: 069/78973-202 E-Mail: info@gew.de www.gew.de Verantwortlich: Marianne Demmer, Ulf Rödde (V.i.S.d.P.) Text: Jürgen Amendt Redaktion: Martina Schmerr, Sarah Holze Fotos: Michael Schulze von Glaser Gestaltung: Illustration & Design, Karsten Sporleder Druck: Druckerei Leutheußer ISBN: 978-3-939470-71-1 Die Broschüre erhalten Sie im GEW-Shop (Artikelnr.: 1436). www.gew-shop.de, E-Mail: gew-shop@callagift.de, Fax: 06103-30332-20 Mindestbestellmenge: 10 Exemplare; Einzelpreis 1,00 Euro Preise zzgl. Verpackungs- und Versandkosten Einzelexemplare können Sie anfordern unter: broschueren@gew.de, Fax: 069/78973-70161. Einzelpreis 1,00 Euro zzgl. Porto. Oktober 2011
Einsatzgebiet Klassenzimmer – die Bundeswehr in der Schule Vorwort 5 Bundeswehr in der Schule 1. 7 1.1 Einsatzgebiet Klassenzimmer 7 1.2 Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und Kultusministerien 11 1.3 Arbeitslos und aus dem Osten: Last Exit Bundeswehr 13 1.4 „Kindersoldaten“ beim „Bund“ 15 Die UN-Kinderrechtskonvention 16 Klein-Mitrovica, Kreis Zwickau: Schießübungen für Schüler 17 1.5 „Troops on the ground“ und „humanitäre Hilfe“ – Werbung à la Bundeswehr 18 2. Lernziel: Sicherheitspolitik à la Bundeswehr 20 2.1 Schüler regieren die Welt 20 POL&IS: Weltpolitik auf dem Spielbrett und am Konferenztisch 21 2.2 Jugendoffiziere: Ausbildung, Aufgaben, Einsatzgebiet 24 Beutelsbacher Konsens 26 Bundeswehr und Berufsberatung 28 2.3 Bundeswehr-PR in Unterrichtsmaterialien 29 2.4 Bundeswehr und Lehrerausbildung 31 Positionen, Aktivitäten und Handlungsmöglichkeiten 3. 34 3.1. „Einfluss zurückdrängen – Politische Bildung ist Aufgabe von Lehrkräften“: Die GEW-Position 34 3.2 Schulen als „bundeswehrfreie Zonen“ 35 Bundeswehr in der Schule? Tipp für Eltern – Unterrichtsbefreiung 38 3.3 Friedensbildung in der Schule 39 Links und Hinweise 41 3
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Vorwort Vorwort Der Werbeetat der Bundeswehr ist von 1998 bis 2010 von 9 auf 27 Millionen Euro gestiegen. Die Imagepflege scheint bitter notwendig zu sein. Der Wandel von einer reinen Verteidigungsarmee hin zu einer Interventionsarmee im Auslandseinsatz findet keinen großen Anklang in der Bevöl- kerung. Auch das Anwerben junger Menschen für den neuen Freiwilligen Wehrdienst bleibt bisher ohne den erhofften Erfolg. Die Bundeswehr braucht jedoch gut ausgebildete Freiwillige. Aber ausgerechnet die Abiturienten haben bereits in der Vergangenheit in großer Zahl den Wehrdienst verweigert. Damit geraten die Schulen verstärkt ins „Visier“ als Orte, an dem Werbung für eine „Karriere in der Bundeswehr“ sowie für die Akzeptanz von Auslandseinsätzen gemacht wird. In den letzten Jahren haben acht von sechzehn Landesregierungen eine Kooperationsvereinba- rung mit der Bundeswehr abgeschlossen und rund 400 haupt- und ehrenamtlichen Jugendoffizie- ren als offiziellen „Partnern“ für die politische Bildung den roten Teppich vor Schulen und Hoch- schulen ausgerollt. Sofern die Jugendoffiziere Unterricht übernehmen, besteht sogar grundsätzlich Anwesenheitspflicht. Offiziell dürfen die jungen Offiziere zwar keine Nachwuchswerbung betrei- ben, aber ihr Einsatz wirkt – gerade auch auf Minderjährige. Dies ruft in den letzten Jahren immer mehr Eltern und Kinderschutzorganisationen auf den Plan. Der Widerstand wächst. In vielen Bundesländern wurden Netzwerke gegründet, die sich gegen die neue Militarisierung vieler Lebensbereiche – vor allem der Schulen – wehren. Der Hauptvorstand der GEW hat sich bereits im März 2010 gegen die Einflussnahme der Bundeswehr auf Unterricht und Lehrerausbildung ausgesprochen und mit Nachdruck betont, dass die politische Bildung – auch in Fragen der Sicherheitspolitik – in die Hand der dafür ausgebildeten Lehrkräfte gehört. Die vorliegende Broschüre gibt einen Überblick über die Werbestrategien der Bundeswehr sowie die derzeitigen Kooperationsvereinbarungen in den Bundesländern. Sie informiert über die Akti- vitäten der Bundeswehr in der Lehrerausbildung und gibt außerdem Einblicke in deren Unter- richtsmaterial sowie in das Bundeswehr-Planspiel POL&IS. Zugleich problematisiert sie die Ein- flussnahme auf Minderjährige im Lichte der UN-Kinderrechtskonvention und zeigt mögliche Aktivitäten und Handlungsperspektiven auf. Die GEW stellt außerdem Informationen im Internet zur Verfügung und unterstützt friedenspä dagogische Aktivitäten. Auch mehrere GEW-Landesverbände sind aktiv geworden und drängen zum Beispiel dort, wo Sozialdemokraten oder Bündnis 90/Die Grünen an Regierungen beteiligt sind, mit einigem Erfolg darauf, Friedensinitiativen den gleichberechtigten Zugang zu Schulen zu sichern. Diese Forderung ist freilich nicht unumstritten. Das Ungleichgewicht zwischen Bundeswehr und Friedensbewegung ist – in personeller und finanzieller Hinsicht etwa – mit den derzeitigen Mitteln kaum auszugleichen. Es geht jedoch um weitaus mehr als um schlichte „Waffengleichheit“. Es geht darum, dass das Neutralitätsgebot der Schule nicht verletzt wird, dass junge Menschen ausgewo- gen informiert und nicht manipuliert werden. Ob das gelingt, wenn Jugendoffiziere unterschlagen, 5
wie viele junge Soldaten traumatisiert aus ihrem Einsatz zurück kehren und dass der Soldatenberuf mitunter sogar tödlich ist: daran haben wir größte Zweifel. Schulen sollen Lernräume und -gelegenheiten schaffen, damit junge Menschen demokratisches Handeln einüben, sich ein eigenes Urteil bilden und grundlegende Werte – wie Respekt, Gewalt- freiheit, Toleranz, Frieden und Nachhaltigkeit – erfahren und verteidigen. Dafür sind Lehrkräfte ausgebildet und daran arbeiten viele Schulen im Rahmen ihrer Schulentwicklung. Für diese Bil- dungsziele laden Lehrkräfte andere Menschen in den Unterricht ein. Dass uniformierte Jungoffi- ziere Unterricht halten und dafür durch das Kultusministerium einen Freibrief erhalten, und Lehr- kräfte oder Ehrenamtliche aus der Friedensbewegung für den nötigen Ausgleich sorgen müssen, war mit dem Konzept „Öffnung von Schule“ allerdings nicht gemeint. Außerdem kann es nicht nur die Aufgabe der Zivilgesellschaft sein, gewaltfreie Sicherheitskonzep- te zu entwickeln und zu finanzieren. Die fehlende Nachhaltigkeit militärischer Interventionspoli- tik, ihre hohen zivilen und militärischen Opfer sowie ihr äußerst schlechtes Kosten-Nutzen-Ver- hältnis sollten Anlass genug auch für die Parlamente sein, praktikable Konzepte ziviler Sicherheits- politik in großem Stil zu entwickeln und die Arbeit von Friedensinitiativen großzügig finanziell zu unterstützen. Der Ausstieg aus der militärischen und der Umstieg zu einer zukunftsfähigen, nachhaltigen Sicherheitspolitik steht als gesellschaftliches Projekt auf der politischen Agenda. Marianne Demmer Martina Schmerr Stellvertretende Vorsitzende der GEW Referentin Vorstandsbereich Schule 6
1. Bundeswehr in der Schule 1. Bundeswehr in der Schule 1.1 Einsatzgebiet Klassenzimmer Magazin „Fußball erleben“ des kommerziellen „Im Sport und in der Arbeit gilt: Teamwork Sportevent-Veranstalters.2 führt zum Erfolg!“ So wird die deutsche Fuß- ballnationalspielerin Fatmire Bajramaj in einer Mit Ende der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 hat Werbeanzeige auf der Internetseite der „Schul- die Bundeswehr Werbung in eigener Sache nö- Liga“ zitiert1. Die „Liga“ organisiert Fußball- tiger denn je. Die „Truppe“ braucht Freiwillige. Wettbewerbe für Schülerinnen und Schüler, die Für die kommenden Jahre wird mit einem jähr- besten Schulmannschaften trafen sich Anfang lichen Bedarf an „frischen“ 16.000 Soldatinnen Mai 2011 in Wolfsburg zum Endrundenturnier. und Soldaten einfacher Dienstgrade gerechnet; 12.000 sollen als Freiwillige mit einer Dienst- Eine deutsche Fußballnationalspielerin und ein zeit zwischen einem und zwei Jahren, 4000 als Sport-Event – was wie selbstverständlich und Zeitsoldaten (Dienstzeit: bis zu acht Jahre) ge- harmlos klingt, hat einen gar nicht so selbstver- wonnen werden.3 ständlichen und durchaus problematischen Hintergrund: Bajramaj ist Sportsoldatin der Doch die Begeisterung für den Job an der Waffe Bundeswehr und die Werbeanzeige wurde von hält sich in Grenzen. So hatten sich im März ihrem Arbeitgeber geschaltet – einem Sponsor für den im April 2011 beginnenden Freiwilli- der „Schul-Liga“, der in diesem Jahr sogar als gendienst nur knapp 300 Bewerberinnen und „Premiumpartner“ des Fußballturniers auftrat. Bewerber gefunden – lediglich zehn Prozent „Als Soldatin auf Zeit profitiert die Hauptge- des Bedarfs4. Im Frühjahr schrieb das Verteidi- freite, wie etwa 700 andere Leistungssportler gungsministerium fast eine halbe Million von der Spitzensportförderung der Streitkräf- Haushalte an, doch der Rücklauf war beschei- te“, heißt es in einem Porträt über Bajramaj im den: nur 1800 der Angeschriebenen zeigten In- 1 www.schul-liga.de 2 „Fatmire Bajramaj: Soldatin und Nationalspielerin“, Fußball erleben, Ausgabe 1/2010 3 „Befehl bleibt Befehl“, FAZ, 4. März 2011 4 „Bundeswehr findet kaum Freiwillige“, Financial Times Deutschland, 1. März 2011 7
teresse. Und das trotz eines gestiegenen Wehrsolds: 777,30 Euro verdient ein Freiwilli- ger monatlich im ersten Vierteljahr – steuerfrei. Wer sich länger verpflichtet, bekommt 1146,30 Euro im Monat. Dazu kommen weite- re Zuschüsse, kostenfreie Verpflegung etc. Anfang Juli gab Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière zwar Entwarnung. Die Re- krutierungszahlen hätten sich nach Beginn des Freiwilligendiensts besser entwickelt als erwar- tet, erklärte er.5 Der Staats- und Sozialwissen- schaftler Jochen Bohn glaubt allerdings nicht an einen nachhaltigen Trend. Auf Dauer werde die Bundeswehr nur schwer gegen die Konkur- renz auf dem Arbeitsmarkt bestehen können. Der Dienst in der Bundeswehr sei zu wenig at- traktiv und der Bund zahle nicht genug, um der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ dauerhaft geeignete Bewerber zu bekommen, (HAZ) bereits Mitte Juli 2011 bei der 1. Panzer- division in Hannover rund 14 Prozent der neu- en Freiwilligen entschlossen, von der sechsmo- 14 Prozent der neuen Freiwilligen natigen Probezeit Gebrauch zu machen und die Armee zu verlassen. Beim Wachbataillon in entschlossen sich, von der sechs Berlin hatten 17 von 158 neuen Soldaten keine monatigen Probezeit Gebrauch zu Lust mehr auf den militärischen Drill und das machen und die Armee zu verlassen. Leben in der Kaserne. Viele der Ausgeschiede- nen gaben laut HAZ an, dass sie doch noch den Studienplatz außerhalb der Bundeswehr erhiel- schrieb der Oberstleutnant der Reserve im ten, für den sie sich beworben hatten, andere Campus-Magazin der Bundeswehr-Universität. bekamen eine Zusage für eine Ausbildung in Vor allem beim Offiziers-Nachwuchs sieht einem zivilen Beruf.7 Bohn erhebliche Rekrutierungsprobleme.6 2012 könnten die Nachwuchssorgen weiter Die ersten Wochen nach der Umwandlung der wachsen, denn dann werden die Soldaten nach Bundeswehr von einer Wehrpflicht- zu einer und nach ausscheiden, die noch unter der Freiwilligen-Armee scheint diese Prognose zu Wehrpflicht begonnen haben und sich wäh- bestätigen. So hatten sich laut einem Bericht renddessen entschieden, ihren Dienst zu ver- 5 Bundeswehr startet mit 13.000 Freiwilligen in eine neue Ära“, Financial Times Deutschland, 30. Juni 2011 6 „Nach dem Studium an den Hindukusch“, Süddeutsche Zeitung, 1. Juli 2011 7 „Bundeswehr muss um jeden Rekruten kämpfen“, Hannoversche Allgemeine, 20. Juli 2011 8 „Rekruten aus dem Klassenzimmer“, Tagesspiegel, 8. Juni 2011 8
Gegenüber 1998 sind 2010 die verfügbaren Haushaltsmittel für die längern. Verteidigungsminister Thomas de Mai- Nachwuchswerbung der Bundeswehr von zière kündigte daher an, dass die Bundeswehr verstärkt auch außerhalb der Kreiswehrersatz- neun Millionen Euro auf 27 Millionen ämter und der Kasernen neue Rekruten werben Euro aufgestockt worden. werde. „Die Mitarbeiter müssen raus in die Schulen, raus in die Sportvereine und dort wer- 1. Bundeswehr in der Schule ben“, so de Maizière.8 Bundeswehr von neun Millionen Euro auf 27 Millionen Euro aufgestockt worden.11 Das erfordert von seinem uniformierten Perso- nal einen Strategiewechsel: Sie dürfen nicht Im Schulbereich treten Offiziere dabei vor al- mehr den „Bürger in Uniform“ im Blick haben, lem in den höheren Klassen an den Gymnasien sondern müssen den Dienst an der Waffe als auf. Mit 60.936 stellten die Schüler der Sekun- mehr oder weniger „normalen Beruf“ anprei- darstufe II die größte Gruppe unter den 175.463 sen. Dass die Bundeswehr die Schulen als Ein- Schülerinnen und Schülern, die 2008 von den satzgebiet betrachtet, ist dabei nicht neu. Wäh- 94 hauptamtlichen und 300 nebenamtlichen Ju- rend allerdings die Zahl der Besuche von Schul- gendoffizieren der Bundeswehr aufgesucht wur- klassen in den Kasernen der Bundeswehr (soge- den bzw. die an Veranstaltungen der Bundes- nannte Truppenbesuche) zwischen 1999 und wehr teilnahmen.12 Der Jahresbericht der Ju- 2008 um 75 Prozent auf knapp 17.000 Teilneh- gendoffiziere weist für 2008 insgesamt 382 Se- merinnen und Teilnehmer sank und damit der minare an Gymnasien mit 15.546 Teilnehmern direkte Werbecharakter für den Armeedienst aus – die Gymnasiasten der Sekundarstufe II abnahm, suchten die Jugendoffiziere in den stellen damit annähernd 60 Prozent aller Se- letzten Jahren verstärkt den direkten Kontakt zu minarteilnehmer; nur 1295 Teilnehmerinnen den Schulen vor Ort – die Zahl der Schülerin- und Teilnehmer zählt die Jahresstatistik bei den nen und Schüler, die Vorträgen der Jugendoffi- Hauptschulen, 2350 bei den Realschulen. Die ziere im Klassenzimmer lauschten, nahm zwi- beiden Schulformen liegen dagegen bei den schen 1999 und 2008 um rund ein Viertel auf Truppenbesuchen deutlich vor den Gymnasien. knapp 129.000 zu. Im Jahr 2010 traten Jugend- In den Folgejahren hat sich die Statistik nicht offiziere vor rund 135.000 Schülern im Unter- wesentlich verändert. Ähnlich sieht die Vertei- richt auf (ohne Teilnahme an Podiumsdiskussio- lung nach Schultypen bei den Wehrdienstbera- nen und Seminaren).9 Zudem hielten Wehr- tern aus. 2009 warben die Rekrutierungsfachleu- dienstberater, die über die Laufbahnmöglichkei- te vor 12.648 Schülerinnen und Schülern für ten der Bundeswehr informieren, Vorträge vor den Dienst an der Waffe: 47 Prozent davon wa- rund 196.000 Schülerinnen und Schülern.10 Die ren Haupt- und Realschüler, danach folgten mit Bundesregierung lässt sich das einiges kosten: 31 Prozent Schülerinnen und Schüler der be- Gegenüber 1998 sind 2010 die verfügbaren rufsbildenden Schulen, Gymnasiasten lagen mit Haushaltsmittel für die Nachwuchswerbung der knapp 22 Prozent an letzter Stelle.13 9 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008, Anlage 2a, veröffentlicht im Juni 2009 10 Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, 20.Januar 2011 11 die zeitung (Magazin von „terre des hommes“ in Kooperation mit der GEW), 2/2011, Seite 2 12 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008, Anlage 2a 13 „IMI-Fact-Sheet: Bundeswehr und Schulen“, Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI), Juni 2010, Seite 2 9
Allgemein formuliert: Die Bundeswehr um- dokumentiert der Bericht der Jugendoffiziere wirbt vor allem Haupt- und Realschüler sowie für das Jahr 2008. In vielen Bundesländern sei Berufsschüler als potenzielle Soldaten – und der Umfang des Faches Politik/Sozialkunde in dieser Befund hat auch nach Aussetzung der den Schulen reduziert worden, heißt es da. Die Wehrpflicht Mitte dieses Jahres weiter Gültig- Fachlehrer hätten daher zunehmend Probleme keit. „Für Schulabgänger der Haupt-, Real- und damit, „alle Themenbereiche der vorgegebenen Mittelschulen ist die Bundeswehr thematisch Curricula behandeln zu können“. Das sei für immer wieder als Arbeitgeber von großem Inte- die Jugendoffiziere „Risiko und Chance zu- resse. Laut der erreichten Lehrkräfte und Multi- gleich“. Einerseits fehle in manchen Schulen die plikatoren besteht hier ein sehr großer Bedarf Zeit, Offiziere in den Unterricht einzuladen, an- an Erstinformationen zu beruflichen Perspekti- dererseits „sind die Fachlehrer froh, Referenten ven und Möglichkeiten in den Streitkräften“, für Sicherheitspolitik einladen zu können, um heißt es im aktuellen Jahresbericht der Jugend- den Jugendlichen diesen Themenkomplex (…) offiziere.14 Mit den höheren Klassen der Gym- näherzubringen“, stellt der Bericht fest.16 nasien werden dagegen sicherheitspolitische und ökonomische Fragen diskutiert. „Im Allge- Diese Einschätzung bestätigt auch Klaus-Hein- meinen werden die Jugendoffiziere in den rich Ehlers vom Bundesverteidigungsministeri- Gymnasien zum Lehrplanthema ‚Internatio um. Haupt- und Realschüler interessierten sich nale Beziehungen/Konflikte/Friedenssicherung‘ eher für Ausbildungsfragen, an den Gymnasien eingeladen“, heißt es in einer Antwort der dominierten politische Aspekte beim Thema schleswig-holsteinischen Landesregierung auf „Bundeswehr“. Im Laufe der Jahre habe sich eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Kieler zudem der Charakter der Debatten an den Landtag.15 Hier steht die Imagepflege im Vor- Schulen geändert. In der Zeit des Kalten Kriegs dergrund. Die Bundeswehr soll als selbstver- habe z.B. der Wehrdienst in den Fragen der ständlicher Teil deutscher Außenpolitik im ge- Schüler kaum zur Disposition gestanden, sagt sellschaftlichen Bewusstsein verankert werden. Ehlers, der im Ministerium für den Einsatz der „Die Wehrpflicht ist bei den Jugendlichen weiterhin stark umstritten. Sie hat insbesondere bei Gymnasiasten weniger Rückhalt und kaum Akzeptanz.“ Der Bundeswehr kommt entgegen, dass vielen Jugendoffiziere verantwortlich ist. Das habe Schulen aufgrund Personalmangels und schlech- sich in den zurückliegenden Jahren geändert. ter sachlicher Ausstattung die Erfüllung des „Die Wehrpflicht ist bei den Jugendlichen wei- Lehrplans bei diesen Themen zunehmend terhin stark umstritten. Sie hat insbesondere schwerer fällt – und sie nutzt diese Chance. Das bei Gymnasiasten weniger Rückhalt und kaum 14 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2010, Seite 4, veröffentlicht im Juni 2011 15 Landtag Schleswig-Holstein, 22. Februar 2010, Drucksache 17/243 16 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008, Seite 5 10
1. Bundeswehr in der Schule Akzeptanz“, heißt es im Jahresbericht der Ju- Hessen und Mecklenburg-Vorpommern ähnli- gendoffiziere 2008.17 che Vereinbarungen mit der Bundeswehr. Aber auch ohne schriftlichen Vertrag weiß die Bun- deswehr bei ihrem Einsatz im Innern die Poli- 1.2 Kooperationsvereinbarungen tik auf ihrer Seite. Der niedersächsische Minis- zwischen Bundeswehr und Kultus terpräsident David McAllister (CDU) etwa be- ministerien tont, wie wichtig es sei, die Bundeswehr bei ih- Wer könnte da schon dagegen sein? „Schüle- rem Werben um Nachwuchs auch in den rinnen und Schüler sollen so befähigt und mo- Schulen zu unterstützen – auch ohne gesonder- tiviert werden, die Möglichkeiten der Friedens- te Vereinbarung: Eine Kooperation zwischen sicherung zu erörtern.“ Mit dem „so“ ist aller- staatlichen Einrichtungen, Schulen und Streit- dings nicht der Unterricht im Fach Sozialkun- kräften ist (…) selbstverständlich“, erklärte das de gemeint, das kleine Wörtchen bezieht sich Kultusministerium in Hannover auf eine An- auf den Besuch der Jugendoffiziere in der frage der grünen Landtagsfraktion.19 Schule. Festgehalten ist diese Regelung in einer sogenannten Kooperationsvereinbarung zwi- schen dem Wehrbereichskommando IV – Süd- Baden-Württemberg war eines deutschland – der Bundeswehr und dem Kul- der ersten Bundesländer, das das tusministerium Baden-Württemberg aus dem Jahr 2009. Darin wird unter anderem die Ein- Vordringen der Bundeswehr in die bindung von Jugendoffizieren in den Unter- Klassenzimmer durch einen richt, aber auch „in die Aus- und Fortbildung entsprechenden Vertrag regelte. von Referendarinnen und Referendaren sowie Lehrkräften“ geregelt. Das Ministerium ver- pflichtet sich zudem, „die Umsetzung der An Kooperationsvereinbarungen soll auch Kooperationsvereinbarung durch regelmäßige nicht gerüttelt werden – trotz vielfachen Pro- Gespräche der Jugendoffiziere mit zuständigen tests von Schülern, der GEW und der Friedens- Vertreterinnen und Vertretern der Regierungs- bewegung. Auf Druck der Friedensbewegung präsidien“ zu evaluieren.18 sollen allerdings in Nordrhein-Westfalen und im Saarland Friedensinitiativen einen gleichbe- Baden-Württemberg war eines der ersten Bun- rechtigten Zugang zum Schulunterricht erhal- desländer, das das Vordringen der Bundeswehr ten.20 Bereits beschlossen wurde ein Abkom- in die Klassenzimmer durch einen entsprechen- men zwischen dem Kultusministerium in den Vertrag regelte. Den Anfang machte 2008 Rheinland-Pfalz und dem „Netzwerk Friedens- Nordrhein-Westfalen, im Jahr darauf folgten bildung Rheinland-Pfalz“, dem zum Zeitpunkt neben Baden-Württemberg das Saarland, 2010 der Vertragsunterzeichnung im August 2011 schlossen Sachsen, Rheinland-Pfalz, Bayern, insgesamt 15 Gruppierungen der Friedensbe- 17 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008, Seite 11 18 Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg und dem Wehrbereichskom- mando IV – Süddeutschland – der Bundeswehr vom 4. Dezember 2009 19 Niedersächsischer Landtag, 18. Mai 2010, Drucksache 16/2472 20 „Friedenstaube darf ins Klassenzimmer“, Neues Deutschland, 1. April 2011 11
„Auf absehbare Zeit ist die wegung angehörten. Gegenstand der Überein- Friedensbewegung kaum in der kunft ist unter anderem die Erziehung zu Ge- Lage, den Jugendoffizieren waltlosigkeit. In der Präambel wird diesbezüg- lich auf entsprechende Aussagen in der UN- etwas entgegenzusetzen“ Kinderrechtskonvention sowie des Schulgeset- zes in Rheinland-Pfalz verwiesen. Letzteres tert. Das von der FDP geführte Kultusministe- verpflichtet die Schulen dazu, Kinder und Ju- rium habe „den Abschluss einer Kooperations- gendliche „zum gewaltfreien Zusammenleben“ vereinbarung à la Rheinland-Pfalz leider abge- zu erziehen.21 Im Vertragstext wird dem „Netz- lehnt“, bedauert der Vorsitzende der „Stiftung werk Friedensbildung“ die „Einbeziehung in Friedensbewegung“, Peter Becker. Allerdings sei den schulischen Alltag (z.B. durch Gestaltung in der mit der Bundeswehr getroffenen Verein- von Unterrichtsangeboten, Informations- und barung festgehalten, dass auch andere Organi- Diskussionsveranstaltungen) und in die Aus- sationen – etwa Vertreter der Friedensbewegung und Weiterbildung von Referendarinnen und – Zugang zu den Schulen haben sollen. Referendaren sowie Lehrerinnen und Lehrern (z.B. durch Materialien und Fortbildungsveran- Innerhalb der Friedensbewegung ist eine ver- staltungen)“ zugesichert. Daneben wird die rot- traglich fixierte Zusammenarbeit mit den Kul- grüne Regierung in Mainz die Kooperation tusministerien in Sachen Friedensbildung je- auch finanziell beispielsweise durch die Über- doch umstritten. Einige Gruppen lehnen solche Vereinbarungen kategorisch ab. Im Vorfeld der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz im Früh- jahr 2011 sprachen sich zum Beispiel die Ar- beitsgemeinschaft Frieden Trier e.V. und der Landesverband der DFG-VK (Deutsche Frie- densgesellschaft – Vereinigten Kriegsdienstgeg- nerInnen) kategorisch gegen solche Verträge aus. Hauptkritik: Damit würden die Vereinba- rungen mit der Bundeswehr nachträglich legiti- miert und die antimilitaristische Kritik domes- tiziert; Vereinbarungen zwischen der Friedens- bewegung und der Bundeswehr hätten zudem nur „Alibi-Charakter“, da die Bundeswehr im Vergleich zu den Friedensgruppen über die deutlich größeren personellen und finanziellen nahme der Reisekosten fördern.22 Im Nachbar- Ressourcen verfüge. „Von Ausgewogenheit oder land Hessen ist dagegen ein Abkommen mit Diskussionen auf Augenhöhe kann überhaupt der schwarz-gelben Landesregierung geschei- keine Rede sein“, kritisierte Ende August Mar- 21 Kooperationsvereinbarung zwischen dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz und dem Netzwerk Friedensbildung Rheinland-Pfalz vom 15. August 2011, Seite 3 22 ebda., Seite 4 12
1. Bundeswehr in der Schule kus Pflüger von der AG Frieden Trier die Über- aus der Schule‘ zu opfern. Eine Kooperations- einkunft zwischen dem Mainzer Bildungsmi- vereinbarung bewirke für die Friedensbewe- nisterium und Friedensgruppen in einem Inter- gung eine „systematische Verstärkung ihrer Le- view mit der Tageszeitung „junge Welt“. Die gitimationsbasis.24 Jugendoffiziere seien „rhetorisch und didak- tisch für ihre Einsätze von der Armee geschult“, die meisten Friedensaktivisten würden dagegen 1.3 Arbeitslos und aus dem Osten: ehrenamtlich arbeiten. „Auf absehbare Zeit ist Last Exit Bundeswehr die Friedensbewegung kaum in der Lage, den Folgender Witz hat nicht nur eine Pointe, er Jugendoffizieren etwas entgegenzusetzen“, beschreibt auch eine tragische Wirklichkeit: fürchtet Pflüger. Für die Friedensarbeit an Schu- Am Ende des neunten Schuljahres sagt die len bedürfe es keiner „offiziellen Bestätigung Lehrerin zu ihren Schülern: „Herzlichen Glück- des Ministeriums“. Der beste Zugang sei immer wunsch, ihr werdet alle versetzt, Kevin und Jus- noch der „persönliche Kontakt zu Schülern, El- tin zur Bundeswehr, der Rest in die zehnte tern und Lehrern“.23 Klasse“. „Der Bundeswehr kommt kein Monopol in Friedensfragen zu und Militärvertreter können keine Deutungshoheit in Sachen Friedens- und Sicherheitspolitik beanspruchen.“ Dem halten die vorwiegend kirchlich organi- Schaut man sich die Mannschaftsdienstgrade sierten Befürworter entgegen, dass man das bei der Bundeswehr an, fällt in der Tat auf, dass Feld nicht der Bundeswehr überlassen dürfe. die jungen Männer aus dem Osten mit schlech- Durch Kooperationsverträge zwischen Organi- ten bis allenfalls mittelprächtigen Schulab- sationen der Friedensarbeit und dem Bildungs- schlüssen, dominieren. Offiziell mag die Bun- ministerium werde die Rolle der Bundeswehr deswehr jedoch nicht von einem Ost-West-Ge- nicht stabilisiert, sondern relativiert. Es werde fälle sprechen. Im Jahresbericht der Jugendoffi- „offiziell verdeutlicht, dass der Bundeswehr ziere für das Jahr 2009 heißt es lediglich, die kein Monopol in Friedensfragen zukommt und Armee sei als Arbeitgeber „für Schulabgänger dass Militärvertreter keine Deutungshoheit in der Haupt-, Real- und Mittelschulen weiterhin Sachen Friedens- und Sicherheitspolitik bean- besonders attraktiv“.25 Doch vor allem für jene spruchen können. Es wäre eine „vertane Chan- Zeitsoldaten, die an den Auslandseinsätzen der ce, das offiziell akzeptierte Anliegen, ‚Friedens- Bundeswehr beteiligt sind, gilt: Bei den unteren dienste rein in die Schule‘ der vorrangigen Be- Dienstgraden stellen junge Männer aus dem schränkung auf den Ansatz ‚Bundeswehr raus Osten der Republik einen Anteil von 62,5 Pro- 23 „Friedensgruppen sind die Falle getappt“, junge Welt, 22. August 2011 24 Friedhelm Schneider, Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der Evangelischen Kirche der Pfalz, in „Kooperationsvereinbarung Bildungsministerium- Friedensdienste – Irrweg oder Chance?“, 8. Oktober 2010 25 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2009, Seite 4, veröffentlicht im Mai 2010 13
zent, rechnet man die höheren Dienstgrade mit Für den Arbeitgeber Bundeswehr wird es den- ein, sind junge Ostdeutsche an den Auslands- noch immer schwieriger, selbst im Osten genü- truppen mit 49,2 Prozent vertreten – bei einem gend qualifizierte Bewerber für den Job als Zeit- Bevölkerungsanteil der Ostdeutschen in der soldat zu finden. Grund dafür sind die auf- Bundesrepublik von lediglich 20 Prozent.26 grund der demografischen Entwicklung sinken- den Schulabgängerzahlen. Bereits 2008 klagte die Bundeswehrführung über Personalmangel Der Osten Deutschlands ist für die vor allem in den technischen Berufen und kün- Bundeswehr zum bevorzugten digte an, die Bemühungen um die Nachwuchs- rekrutierung zu verstärken.28 Rekrutierungsgebiet geworden. [...] Die Verpflichtung beim „Bund“ ist für viele Die Aussetzung der Wehrpflicht Mitte des Jah- eine Art letzter Strohhalm. res hat dieses Problem noch einmal verschärft. Früher rekrutierte die Bundeswehr rund 40 Pro- zent ihrer Zeitsoldaten aus Wehrpflichtigen, die Der Osten Deutschlands ist für die Bundeswehr sich während ihrer Grundwehrdienstzeit ent- zum bevorzugten Rekrutierungsgebiet gewor- schlossen, den Soldatenjob zum Beruf auf Zeit den. Will man den Grund dafür finden, muss zu machen. Mit dem Ende der Wehrpflicht ent- man einen Blick in die Arbeitslosenstatistik fällt für die Bundeswehrführung dieses sichere werfen. Im Juni 2011 waren in den fünf ost- Soldatenpotenzial. Man müsse jetzt bei der deutschen Bundesländern 10,2 Prozent aller Nachwuchsrekrutierung mit der Wirtschaft 20 bis 25-Jährigen offiziell arbeitslos gemeldet. konkurrieren, klagten die Werber der Bundes- Zum Vergleich: Im Westen betrug die Arbeits- wehr schon im Juni dieses Jahres, kurz vor Weg- losigkeit im Juni 2011 in der gleichen Alters- fall der Wehrpflicht.29 gruppe lediglich 5,4 Prozent, in den wirtschaft- lich starken Bundesländern wie Bayern gar nur Die Führung der Bundeswehr hat mittlerweile 2,9 Prozent.27 Die Verpflichtung beim „Bund“ das Problem erkannt und reagiert: Generalleut- ist für viele daher eine Art letzter Strohhalm. nant Wolfgang Born, im Bundesverteidigungs- Und der Arbeitgeber Bundeswehr bietet eini- ministerium für die Reform des Personalwesens ges: eine Berufsausbildung, den LKW-Führer- zuständig, kündigte Mitte August 2011 den schein und zumindest für einige Jahre einen si- Aufbau eines zentralen Personalamtes an, das cheren Job. Dafür sind die jungen Männer be- für die Anwerbung von Berufssoldaten sowie reit, weite Wege in Kauf zu nehmen, denn die von Zivilangestellten zuständig sein soll.30 Die meisten Standorte der Bundeswehr liegen im Bundeswehr müsse „auf den demografischen Westen und Süden der Republik. Wandel und massiven Fachkräftemangel“ re- agieren, teilte Born in einem Interview mit der 26 „Aus Not zur Bundeswehr“, Süddeutsche Zeitung, 21. Juli 2009, Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordne- ten Peter Hettlich vom 13. Juli 2009 27 http://statistik.arbeitsagentur.de 28 „Operation Zukunft“, Berliner Zeitung, 14. November 2008 29 „Sie sind jung und brauchen das Geld“, Die Zeit, 1. Juni 2011 30 „Binnenarbeitsmarkt Armee“, www.heise.de/tp/artikel/35/35343/1.html 14
1. Bundeswehr in der Schule Bundeswehr-Website im Internet mit. Gefor- sem sogenannten Fakultativprotokoll eine Aus- dert sei „eine optimale Ausschöpfung des Po- nahmeregelung, die staatlichen Streitkräften tentials an jungen Frauen und Männern.“31 die Rekrutierung von über 16-jährigen Freiwilli- gen erlaubt. Diese Regelung wurde auf Initiati- ve der USA, Großbritanniens, Deutschlands 1.4 „Kindersoldaten“ beim „Bund“ Zwischen 2001 und 2010 warb die Bundeswehr 4.804 männliche Minderjährige als Freiwillige, Neben Deutschland werben weltweit die zu Beginn ihres Grundwehrdienstes erst lediglich 25 Länder unter 18-Jährige 17 Jahre alt waren. Zusätzlich begannen im Zeitraum von 2009 bis 2011 insgesamt für den Armeedienst. Bei Auftritten 1305 weibliche und männliche unter 18-Jährige in Schulen oder Ausbildungsmessen freiwillig ihren Dienst als Soldatinnen und Sol- werden oftmals schon 14-Jährige daten auf Zeit (SaZ); allein in den Jahren 2009 und 2010 hat die Bundeswehr 517 bzw. angesprochen. 452 Minderjährige als SaZ eingestellt, in den ersten fünf Monaten des Jahres 2011 lag die Zahl bei 336. Dies geht aus einer Antwort der und einer Reihe anderer Länder auf Druck ihrer Bundesregierung vom 27. Juni 2011 auf eine Militärs und gegen den Widerstand der jeweili- Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion von gen nationalen Kinder- und Menschenrechts- Bündnis 90/Die Grünen hervor.32 gruppen durchgesetzt. Neben Deutschland wer- ben weltweit lediglich 25 Länder unter 18-Jähri- Die Fragesteller werten dies als Verstoß gegen ge für den Armeedienst. Bei Auftritten in Schu- das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskon- len oder Ausbildungsmessen werden oftmals vention von 2002. Darin haben sich die unter- schon 14-Jährige angesprochen. Trotz anhalten- zeichnenden Mitgliedsstaaten der Vereinten der Kritik von Kinderrechtsorganisationen wie Nation verpflichtet, auf die zwangsweise Einbe- „terre des hommes“ ist die Bundesregierung rufung von unter 18-Jährigen zum Militär- bislang nicht bereit, an dieser Praxis etwas zu dienst zu verzichten. Allerdings gibt es in die- ändern.33 31 www.bmvg.de/portal/a/bmvg 32 Deutscher Bundestag, Drucksache 17/6311 33 „Kinder im Visier – Gefährliche Werbung“, die zeitung (Magazin von „terre des hommes“ in Kooperation mit der GEW), 2/2011, Seite 2 15
Die UN-Kinderrechtskonvention Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, kurz UN-Kinderrechtskonvention (englisch: Conven- tion on the Rights of the Child, CRC), wurde am 20. November 1989 von der UN-Generalversamm- wort der Bundesregierung auf die parlamentari- lung angenommen und trat am 2. September 1990, sche Anfrage der Grünen. Gegenüber den Ver- dreißig Tage nach der 20. Ratifizierung durch ein Mit- einten Nationen sei erklärt worden, dass gliedsland, in Kraft. Beim Weltkindergipfel vom Deutschland „für den Beginn des freiwilligen 29. bis 30. September 1990 in New York verpflichte- Dienstes als Soldatin oder Soldat in ihren Streit- ten sich die Regierungsvertreter aus der ganzen Welt kräften ein Mindestalter von 17 Jahren als ver- zur Anerkennung der Konvention. Der Kinderrechts- bindlich“ ansehe.“ Es sei zudem sichergestellt, konvention sind mehr Staaten beigetreten als allen dass die Jugendlichen „außerhalb der militäri- anderen UN-Konventionen, nämlich alle mit Aus- schen Ausbildung keine Funktionen ausüben, nahme der USA und Somalia.34 in denen sie zum Einsatz der Waffe gezwungen sein könnten“. So würden die Minderjährigen Artikel 38 Absatz 3 der UN-Kinderrechtskonvention nicht an Auslandseinsätzen teilnehmen. legt fest, dass Minderjährige nicht zu den nationalen Streitkräften einzogen werden dürfen. In der Überein- Nach dem Ende der Wehrpflicht sehen das zu- kunft von 1989 war diese Grenze auf Jugendliche be- mindest die Rekrutenwerber vor Ort nicht ganz zogen, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet so eng. „Solange es die Wehrpflicht gab, haben haben. Im Zusatzprotokoll über Kinder in bewaffne- wir unsere Aktionen als Information für junge ten Konflikten, das am 25. Mai 2000 beschlossen wur- Menschen über den Dienst verstanden, den sie de und 2002 in Kraft trat, wurde die Altersgrenze für für die Gesellschaft zu leisten hatten. Jetzt se- die Rekrutierung von Freiwilligen auf 18 Jahre ange- hen wir uns als Arbeitgeber wie jeder andere hoben. Allerdings gibt es ein Schlupfloch. Artikel 3 auch”, rechtfertigte der für Personalwerbung Absatz 3 erlaubt Ausnahmen, wenn gewährleistet ist, verantwortliche Offizier beim Personalamt der dass die Einberufung freiwillig erfolgt, der Betroffene Bundeswehr in Köln die Auftritte in Schulen über den Militärdienst „umfassend aufgeklärt wird“ und bei Ausbildungsmessen. Zielgruppe seien und die Eltern bzw. der gesetzliche Vormund der Ein- die 17- bis 25-Jährigen.36 berufung zustimmen.35 Es sei „eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass die Bundesrepublik Deutschland auch in ihrer ei- Die Bundeswehr selbst sieht in der Rekrutie- genen Armee konsequent ist und die Rechte rung von Minderjährigen keinen Verstoß gegen Minderjähriger in jeder Hinsicht achtet und das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskon- schützt“, kritisiert dagegen die bündnisgrüne vention. „Die Bundesrepublik Deutschland Bundestagsfraktion. Hierzu gehöre, „dass die stellt sicher, dass bei der Einziehung von Frei- Rekrutierung von Minderjährigen für die Bun- willigen unter 18 Jahren zu ihren nationalen deswehr ausgeschlossen sein sollte“. Die Bun- Streitkräften diese tatsächlich freiwillig erfolgt deswehr sei keine Organisation wie jede ande- und sie mit der in Kenntnis der Sachlage abge- re, schreibt die grüne Bundestagsabgeordnete gebenen Zustimmung der Eltern oder des Vor- Katja Dörner in einer Pressemitteilung. Auch munds der Person erfolgt“, heißt es in der Ant- unter verschärften Wettbewerbsbedingungen 34 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kinderrechtskonvention 35 www.un.org/Depts/german/uebereinkommen/ar54263.pdf 36 „‚Terre des Hommes‘ kritisiert Bundeswehr-Werbung“, Bild, 12. April 2011 16
1. Bundeswehr in der Schule könne sie nicht die gleichen Marketingstrategi- für die Problematik von Werbung der Bundes- en anwenden wie ein ziviles Unternehmen. wehr, die sich an Minderjährige wendet“, stellt „Der Bundesregierung fehlt es an Sensibilität die Parlamentarierin fest.37 Klein-Mitrovica, Kreis Zwickau: Schießübungen für Schüler Bad Reichenhall, Ende Mai 2011: Beim Tag der Of- Solche Vorfälle möchte die Bundeswehrführung ger- fenen Tür an der Bundeswehrkaserne bietet die Ge- ne vermeiden. Ein Bundeswehrsprecher gibt zu: birgsjägerbrigade 23 für Kinder und Jugendliche ein „Den Namen der Ortschaft so zu wählen, ist sicher- „tolles Programm“. Ein langer Tisch voller Waffen lich geschmacklos.“38 Auch dem Chef-Nachwuchs- lädt dazu ein, die bereitliegenden Pistolen und Ma- werber der Bundeswehr, Klaus-Heinrich Ehlers, sind schinengewehre einmal in die Hand zu nehmen. solche Skandale peinlich. Übungen mit Schülern an Und es gibt eine ganz besondere Attraktion: Über Waffen seien den Jugendoffizieren ausdrücklich un- das Zielfernrohr können die Kleinen auf eine nach- tersagt, betont Ehlers. „Die Schüler dürfen Waffen gebaute Stadt im Miniaturformat schießen. Auf nicht einmal in die Hand nehmen“, sagt der Oberst- dem Mini-Ortsschild haben die aus dem sächsi- leutnant. Dass dennoch „in einzelnen Fällen“ gegen schen Kreis Zwickau stammenden Soldaten ge- diese Vorschrift verstoßen wurde, „sei bedauerlich schrieben: Klein-Mitrovica, Kreis Zwickau. Der und nicht zu entschuldigen“. Ortsname erinnert an die Gemeinde Mitrovica im Kosovo. Dort verübten zur Zeit des Nationalsozia- In den vergangenen Jahren gab es immer wieder sol- lismus deutsche Soldaten Gräueltaten. Weil ein Be- che „Einzelfälle“. Dies geht aus einer Auflistung der sucher der Veranstaltung das Ganze filmt und her- militärkritischen Initiative „Rabatz“ hervor. So hat- nach ins Internet stellt, wird der Fall bekannt. ten laut „Rabatz“ bereits am 11. Juli 2009 > 37 http://katja-doerner.de/2011/07/12 38 „Bundeswehr-Kaserne lässt Kinder Krieg spielen“, Welt, 5. Juni 2011 17
bei einem Tag der Offenen Tür in der Brannenbur- Wenige Monate später ereignete sich ein ähnlicher ger Kaserne nahe Rosenheim Kinder Zugang zu rea- Vorfall am Bundeswehrstandort Todendorf, eben- listisch anmutenden Waffen.39 falls Schleswig-Holstein. An der dortigen Heeres- flugabwehrschule wollten sich 50 Schülerinnen und Bundesweit in die Schlagzeilen geriet im Herbst Schüler des Berufsbildungszentrums Plön über 2009 ein Fall im schleswig-holsteinischen Eutin. Bei „marktgängige Berufe bei der Bundeswehr“ wie Me- einem Rundgang mit einer Schülergruppe durch die chaniker oder Bürokaufleute informieren. Doch auf Rettberg-Kaserne wurde den Jugendlichen auch der dem Programm stand wider Erwarten auch eine Schießsimulator gezeigt. Ein Oberstabsfeldwebel Übungseinheit am Schießsimulator. Zusätzlich soll nach Angaben der Schüler regelrecht ins Schwär- durften die Schülerinnen und Schüler auch mit men geraten sein. „Er prahlte, dass das Schießkino Handfeuerwaffen Zielübungen machen; entgegen tausendmal besser sei als jedes Spiel auf der Konsole den Vorschriften der Bundeswehr waren auch Min- zu Hause“, zitierten die „Lübecker Nachrichten“ ei- derjährige unter den Teilnehmern.41 nen der Jugendlichen.40 1.5 „Troops on the ground“ und Musik unterlegte Videoclip verspricht Abenteu- „humanitäre Hilfe“ – Werbung à la er, Spannung und Kameradschaft. Zu sehen be- Bundeswehr kommt man den Film nicht im Fernsehen, Bundeswehr im Krieg? Nein, die „Truppe“ ist wohl aber haben ihn angehende Wehrdienst- „im Kriseneinsatz“, leistet „humanitäre Hilfe“, leistende in den Kreiswehrersatzämtern beim und das weltweit. Die „Truppe“, das sind „best- Warten auf die Musterung gezeigt bekommen. ausgebildete Spezialisten“, aber „ohne Solda- Die Botschaft ist überdeutlich: Der Dienst beim ten vor Ort, ohne Troops on the ground“ ist Heer ist Berufung – und kann ein Beruf sein! kein militärischer Einsatz denkbar. Und dieser besteht zum Beispiel darin, Waffenschmuggler Nachwuchswerbung wird bei der Bundeswehr dingfest zu machen. Die „Troops on the auch außerhalb von Kasernen und Kreiswehrer- ground“ sollen den „überraschenden Zugriff “ satzämtern groß geschrieben. Wie groß konnte absichern. Die Frauen und Männer des Heeres man Mitte des Jahres in vielen Berliner Bussen, nutzen dabei „modernste Technik“, sie sind Straßenbahnen, S- und U-Bahnen sehen. Froh- „die Spezialisten für Landoperationen und stel- gemute junge Männer und Frauen in Unifor- len sich den Herausforderungen der Gegen- men warben für eine Karriere beim Militär. wart.“ Die bösen Buben werden in ihrem Un- Dort könne man „Zukunft gestalten“. „Welche terschlupf überrascht, festgenommen und abge- Zukunft ist hier gemeint?“, fragten daraufhin führt. Ein erfolgreicher Einsatz. Schluss.42 das Berliner Bündnis „Schule ohne Militär“ und die Aktion „Freiheit statt Angst“ in einem Klar doch – das Militär, so teilt uns der Werbe- Offenen Brief an die Berliner Verkehrsbetriebe film mit, hat mit Krieg nichts zu tun. Tote gibt (BVG) und die S-Bahn Berlin GmbH. „Handelt es nicht, es fließt kein Blut, der mit poppiger es sich um die statistisch gesehen verkürzte Zu- 39 http://rabatz-buendnis.info/2011/06/kinder-an-waffen-kein-einzelfall-bei-der-gebirgstruppe 40 „Kinder im Schießkino“, Lübecker Nachrichten, 19. Oktober 2009 41 „Kameraden im Klassenzimmer“, Süddeutsche Zeitung, 26. März 2010 42 Werbefilm der Bundeswehr (Heer), Quelle: www.youtube.com/watch?v=GRVo_m0yu3A 18
Geworben wird an allen Fronten, und das Bundesverteidigungsministerium lässt sich die Propaganda-Aktionen kunft des Bewerbers, der bei der Bundeswehr einiges kosten. die Möglichkeit erhält früher zu sterben oder verstümmelt zu werden? Oder ist es die Zu- 1. Bundeswehr in der Schule kunft der Bewohner ferner Länder, die wir, wie Geworben wird an allen Fronten, und das Bun- in Kunduz43, durch Bombardierungen verkür- desverteidigungsministerium lässt sich die Pro- zen?“44 Der Forderung nach einem Stopp der paganda-Aktionen einiges kosten. Anfang des Werbeaktion für die Bundeswehr kamen die Jahres beauftragte das Ministerium die Werbe- beiden Berliner Nahverkehrsbetriebe nicht agentur „ZenithMedia“ mit der Konzeption ei- nach. Ähnliche Werbeaktionen gab es im Früh- ner groß angelegten Kampagne in den Medien, jahr 2011 im Bereich des Öffentlichen Nahver- die bis Ende 2011 dauern soll. Mit Zeitungsan- kehrs in Braunschweig, Leipzig, Chemnitz, zeigen, TV- und Kinospots wird für eine Mann- Dresden, Halle an der Saale, Erfurt und Jena. schaftslaufbahn beim Heer, der Marine und der Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung Luftwaffe geworben. Der Etat dafür wurde da- auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabge- für eigens im Vergleich zu 2009 um annähernd ordneten Ulla Jelpke (Linkspartei) hervor.45 50 Prozent von 3,9 auf 5,7 Millionen Euro auf- gestockt.46 Auffallend gut bedacht wurden dabei die Zei- tungen des Axel-Springer Konzerns, allen vor- an die „Bild“-Zeitung; mit rund 600.000 Euro erhalten „Bild“, „Bild am Sonntag“ und „Bild- Online“ den größten Einzelposten. In einer Er- klärung rechtfertigte sich das Bundesverteidi- gungsministerium damit, man folge den Emp- fehlungen der Agentur „ZenithMedia“, die „diese Werbeträger unter anderem aufgrund der Reichweite und der Zielgruppenanalyse vorge- schlagen hat“.47 43 Nahe der afghanischen Stadt Kunduz starben am 4. September 2009 bei einem von der Bundeswehr angeforderten Angriff zweier us-amerikani- scher Flugzeuge nach NATO-Angaben 142 Menschen, der Großteil davon waren Zivilisten, darunter viele Kinder. 44 www.aktion-freiheitstattangst.org/presse/pressemitteilungen 45 Deutscher Bundestag, 20. April 2011, Drucksache 17/5637 46 ebda. 47 „‚taz‘-David streitet gegen ‚Bild‘-Goliath“, Die Zeit, 4. März 2011 19
2. Lernziel: Sicherheitspolitik à la Bundeswehr 2.1 Schüler regieren die Welt denn die 16- bis 18-Jährigen spielen nur. Der „Staatsminister“ von Europa kündigt an, POL&IS (Politik & Internationale Sicherheit) Programme für soziale Gleichheit zu finanzie- heißt die interaktive Simulation, an der die Ju- ren, einen gleichen Lebensstandard für alle Bür- gendlichen eine ganze Woche lang in einem ger anzustreben. Die Sprachunterschiede sollen Tagungszentrum am Seddiner See, 15 Kilome- aufgehoben, die Sprache der Europäer europä- ter südlich von Potsdam, teilnehmen. POL&IS isch sein, das Piratenunwesen vor der somali- wird von den Jugendoffizieren der Bundeswehr schen Küste will Europa durch ein Verbot der organisiert und ist in den vergangenen Jahren Großfischerei in der Region bekämpfen, damit zu einer Erfolgsgeschichte für das Bundesvertei- die somalischen Fischer nicht mehr als Kaperer digungsministerium geworden. 2008 gab es ihr Brot rauben müssen. Arabien verspricht Öl mehr als 360 solcher Planspiele, an denen rund für alle bereitzustellen, China will mehr Klima- 17.500 Schüler mit ihren Lehrern sowie Studen- schutz und mehr Marktwirtschaft, Nordameri- ten und Referendare teilnahmen.48 2009 waren ka wird künftig in den Umweltschutz investie- es schließlich 365 POL&IS-Seminare.49 2010 ren und seinen ABC-Waffenbestand reduzie- stieg das Interesse der Schulen und Universitä- ren. Afrika will seine Bürger schon in naher ten an den sicherheitspolitischen Seminaren Zukunft im Wohlstand leben lassen und sichert noch einmal deutlich an. Auf 492 solcher Ver- die Pressefreiheit zu. Indien will vor allem fried- anstaltungen spielten über 24.000 Lehrkräfte, liche Beziehungen zu den Nachbarn, Südameri- Schülerinnen und Schüler dieses Spiel. Da die ka verschreibt sich dem Umweltschutz und Kapazitätsgrenzen erreicht worden seien, habe setzt sich gegen Drogenanbau ein. Japan wird man jedoch die Nachfrage nicht decken kön- alle AKW abschalten und auf Windkraft als nen, heißt es im aktuellen Jahresbericht der Ju- Stromquelle setzen. Eine Pflicht für Reiche, auf gendoffiziere.50 ihren Häusern Solardächer zu installieren, soll die asiatische Insel zum Öko-Paradies machen. Die Jugendoffiziere schreiben zwei Mal im Jahr Die Vertreterin der Nichtregierungs-Organisati- an die Schulen in ihrem Zuständigkeitsgebiet onen (NGO) bittet um Spenden, damit man und schlagen das Strategie-Spiel für den Unter- sich noch mehr für Kinder- und Frauenrechte richt vor. Ob dieses Angebot angenommen engagieren könne. Die Weltpresse jubelt: „Russ- wird, liegt in der Verantwortung der Schulen. land hat mit der Abrüstung begonnen und Pres- Darauf weist die Bundeswehr ausdrücklich hin. sefreiheit gibt es jetzt weltweit“. „Die Initiative muss von den Schulen kom- men“, betont Oberstleutnant Hans-Christian Würden die 30 Schülerinnen und Schüler der Köhnke vom Bundeswehrstandort Berlin. In Berliner Clay-Oberschule die Welt regieren, ihrer Selbstdarstellung betonen die Jugendoffi- gäbe es globale Abrüstung, keinen Hunger ziere gleichfalls, dass sie den Unterricht ledig- mehr, eine saubere Umwelt, überall Demokra- lich ergänzen und begleiten. „Die Verantwor- tie, den Weltfrieden und die Bundeswehr wäre tung für den Unterricht und die Lernziele trägt überflüssig. Aber das ist nicht die Wirklichkeit, der Lehrer.“51 Auch die Entscheidung über die 48 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2008, Seite 4 49 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2009, Seite 4. Damit, so heißt es in dem Bericht, „sind die Kapazitäten der POL&IS-Seminare voll ausgeschöpft“. 50 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2010, Seite 4 51 Jahresbericht der Jugendoffiziere 2009, Anlage 1 20
2. Lernziel: Sicherheitspolitik à la Bundeswehr POL&IS: Weltpolitik auf dem Spielbrett und am Konferenztisch POL&IS wurde ursprünglich von dem Politikwis- ABC-Waffen; auf der anderen Seite können sie senschaftler Wolfgang Leidhold von der Universi- Entwicklungshilfe leisten und ihre Diplomaten tät Erlangen entwickelt, um Weltpolitik zu veran- Konflikte friedlich lösen lassen. schaulichen. 1989 kaufte die Bundeswehr das Spiel und baute es nach und nach zu einer sicherheitspo- Die Jugendoffiziere geben das „Ausgangssetting“ litischen Simulation für Schulen aus. vor. Die Spieler erhalten Informationen über ihre Regionen (Wirtschaftslage, politisches System) so- Gespielt wird in mehreren POL&IS-Runden, wo- wie die wichtigsten internationalen Verträge (z.B. bei jede „Runde“ etwa einem Jahr entspricht. Jede Kyoto-Protokoll, Atomwaffensperrvertrag). Die Region wird durch ein eigenes Spielbrett darge- Schüler bearbeiten dieses „Ausgangssetting“ selbst- stellt; die Spieler verfügen über Müllgüter, Roh- ständig. Sie müssen aber quasi die Realität (interna- stoffgüter, Energiegüter, Agrargüter, Industriegüter tionale Verträge, politische Konstellationen) als Vo- und den POL&IS-Dollar für den Handel. Militäri- raussetzung übernehmen. Der Jugendoffizier sei sche Einheiten gibt es an diesen Spielbrettern nicht. zwar der Spielleiter, steuere den Spielablauf aber Am zentralen Spieltisch aber, an dem sich die Regi- nicht direkt, sondern indirekt, indem er den Schü- onen zur jährlichen UN-Konferenz treffen, sind lerinnen und Schülern Rückmeldung darüber gebe, die militärischen Optionen präsent: Die einzelnen welche Konsequenzen die von ihnen getroffenen Regionen können Luft-, Land- und Seestreitkräfte Entscheidungen haben können, betont die Bun- einsetzen, verfügen über einen Polizeiapparat und deswehr. > Teilnahme der Schüler bzw. eine eventuelle diesem Strategiespiel zugenommen. „Die nach- Freistellung obliege der Schule. Grundsätzlich lassende Ordnungskraft von den Staaten führt gelte, so Köhnke: POL&IS ist eine schulische zur Zunahme von Kriegen und Konflikten – Unterrichtseinheit, es besteht also die Pflicht weltweit dauerhaft instabile Regionen drohen. zur Teilnahme.52 Die Reaktion auf diese Bedrohung bedarf eines neuen Mixes von robusten Fähigkeiten“, infor- Seit seiner Einführung vor mehr als 20 Jahren mieren die Jugendoffiziere der Bundeswehr auf haben die sicherheitspolitischen Optionen in ihrer Internetseite.53 52 Das ist allerdings umstritten. Die Kinderrechtsorganisation „terre des hommes“ etwa verneint eine Teilnahmepflicht und empfiehlt Eltern, die ihre Kinder nicht von einem Bundeswehroffizier unterrichtet wissen wollen, einen Befreiungsantrag zu stellen; Näheres siehe unter Punkt 4.1. 53 www.polis.jugendoffiziere.eu 21
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