DIE ZEITUNG FÜR CAMPUSKULTUR 24.07.2020 - Falter

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DIE ZEITUNG FÜR CAMPUSKULTUR 24.07.2020 - Falter
06/20                                  24.07.2020

        Falter
        DIE ZEITUNG FÜR CAMPUSKULTUR

          Freiheits
        perspektiven
DIE ZEITUNG FÜR CAMPUSKULTUR 24.07.2020 - Falter
HALLO!

Man hört so einiges über die Grundrechte dieser Tage.
Unsere Freiheit werde eingeschränkt. Unsere Würde ver-
letzt. In dieser Ausgabe werden wir der Sache mal auf den
Grund gehen. Da unsere Freiheit Corona-bedingt aber fast             03   StuPa-Bericht
nur noch von der omnipräsenten Maske eingeschränkt wird
und wir diesem Phänomen schon eine ganze Ausgabe ge-
widmet haben, konzentrieren wir uns auf andere Bereiche,             04   Fotostrecke „Auswege“
in denen die Freiheit zur Debatte steht.
So haben unsere ReporterInnen das Bayreuther Gefängnis
besucht und versucht herauszufinden, was das eigentlich              08   Diskurs (un)möglich
bedeutet, wirklich ohne Freiheit zu leben. Ein ausführlicher              Mohrenapotheke in der Kritik
Artikel versucht aufzuklären, worum es in dem Streit um
die Mohrenapotheke geht. Auch hier steht der Anspruch
auf freie Meinungsäußerung im vermeintlichen Wider-                  10   Ein Land, zu groß für die Freiheit
spruch zu einer Freiheit von Diskriminierung. Vielleicht ist
                                                                          Interviews zu Hongkong und China
zu viel Freiheit aber manchmal auch gefährlich. Das zeigt
ein Gastbeitrag zur Pornografie: Es gibt kaum Gesetze, die
den Zugang zu Pornos erschweren, aber das macht unseren              14   Interview mit einem Studenten über
Umgang – bzw. unseren Nicht-Umgang – mit ihnen nicht
                                                                          Aktivismus gegen chinesische Staats-
besser.
Gilt euer Interesse aber mehr den großen Geschehnissen der                sicherheit
Welt als den kleineren Begebenheiten unserer Brauerei-Idyl-
le, hat dieser Falter auch das für euch auf Lager. So findet
ihr Interviews mit chinesischen Austauschstudentinnen, die           16   Pressefreiheit vs. Reportersicherheit -
die Lage in Hongkong aus ihrer Sicht beschreiben. Gleich                  Interview über den aktuellen Status der
danach ein Interview mit einem Bayreuther Studenten,
                                                                          Pressefreiheit
der mit Flugblättern in Bayreuth versucht, über die Lage
in Hongkong aufzuklären. Und wenn euch das noch nicht
international genug ist, lest einfach das letzte Interview mit       18   Heute hier, morgen dort - JVA Sankt
Anna Renzenbrink, der China-Spezialistin von Reporter
                                                                          Georgen
ohne Grenzen.
Neben all diesen großen Fragen mag es die eine oder andere
nach etwas Schönheit und Ruhe verzehren. Deswegen haben
                                                                     22   Wir brauchen einen Umgang mit Por-
wir es uns auch dieses Mal nicht nehmen lassen, eine Foto-
strecke in die Ausgabe zu integrieren. Die Fotografien aus                nographie
der Natur mögen vielleicht dazu beitragen, uns die Freiheit,
wieder vor Augen zu führen, in Zeiten in denen, wenn schon
                                                                     24   Gedicht Rückschläge
nicht die Maske, doch wenigstens die Klausurenphase als
eher entrückt erscheint.
Und das Beste zuletzt: Wir haben auch in dieser Ausgabe              25   Rätsel
das Studierendenparlament beobachtet. Neben Diskussionen
über die Finanzkürzungen, die viele Fakultäten der Uni-
versität Bayreuth in Not bringen, wurde noch ein anderes             26   Impressum
Problem diskutiert: die Frauenquote im StuPa.
Man sieht also, beim Falter hat man immer die Wahl. Und
ist das nicht eigentlich, was Freiheit bedeutet?

Johannes Rehlinger, Sara Rahnenführer und Helena Schäfer

                                                                                               Titelbild: Maya Krystosek

                                                                 2
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campus

                                 GIBST DU DER QUOTE EINE CHANCE?

                                    Im Endspurt des Hochschulwahlkampfs diskutiert das StuPa
                                      über eine verbindliche Frauenquote für den Sprecherrat

                                                            Von Constance Viehbeck

Die kontroverseste Debatte der Sitzung war        geänderte Antrag in der Form von Dominik          ausgestellt. Auch werden in allgemeinen E-
der Antrag zur paritätischen Nachbesetzung        Möst mit seinen Intentionen nichts mehr zu        Mails von nun an geschlechterneutrale Anre-
von Sprecherratsämtern und Vorstand, vor-         tun habe.                                         den verwendet.
geschlagen von der GHG. Laut Antrag soll-
ten Sprecherrat und Vorstand sich bemühen,        Paul Neumaier (GHG) verkündete, dass das          Jannik Jürß (LHG) berichtete, dass es einen
dass die Organe nach der Hochschulwahl            anstehende Wintersemester offiziell ein Prä-      Konflikt um die Verwendung der Studien-
paritätisch besetzt werden sollen. Da es im       senzsemester mit unterschiedlichen digitalen      zuschuss-Mittel gab. Dies galt vor allem der
Sprecherrat insgesamt zu wenig Frauen gebe        Anteilen sein soll. Dabei werde eine Lehre        Kürzung der Mittel der Bibliotheken. Wegen
und die Besetzung dessen repräsentativ sein       angestrebt, die montags bis samstags von          der nicht ausreichenden Bibliotheksmittel
sollte, sprachen sich einige Mitglieder für       8 bis 22 Uhr stattfinde. Veranstaltungen für      für Online-Lizenzen werde es, in Zusam-
die Einführung einer Quote aus. Argumente         Erstsemester, Praxisveranstaltungen und Stu-      menarbeit mit den lokalen Abgeordneten,
gegen den Antrag waren zum einen, dass es         dierenden in der Examensvorbereitung oder         einen Brief an den bayerischen Minister für
nicht Aufgabe der Sprecherräte sei, sich ihre     vor Abschlussprüfungen werden priorisiert.        Wissenschaft, Bernhard Siebler, geben. Des
Nachfolger*innen selbst zu suchen. Die Be-        Die Vorlesungszeit wird im kommenden              Weiteren strebt die Fakultät KuWi derzeit an,
setzung sollte laut Dominik Möst (Juso HSG)       Wintersemester voraussichtlich zwei Wo-           einen Laptop-Leihservice zu etablieren.
eigentlich ein offener Prozess sein. Auf dieser   chen kürzer sein als die vergangenen Jahre.
Basis brachte er einen Änderungsantrag ein.       Als Kompensation für die verlorengegangene        Auch gab es Neuigkeiten zum Campus Kulm-
Des Weiteren sei es laut Sebastian Schröter       Vorlesungszeit stehen etwa Lernpodcasts und       bach: Ein Studiengangskonzept für „Global
(LHG) niemals die Aufgabe von Mitgliedern         längere Einzelvorlesungen, z.B. zwei Stun-        Food, Nutrition & Health“ wurde verabschie-
eines Parlaments, auf die nächsten Verant-        den statt eineinhalb, zur Debatte.                det. Dieser soll im Sommersemester 2021
wortlichen zuzugehen. Nach seinem Gefühl                                                            starten.
können sich Frauen im StuPa genauso gut           Die Theaterkultur am Campus kämpft um
durchsetzen wie Männer. Daraufhin argumen-        das Überleben, da die beiden Technik-HiWis        Ein Punkt auf der Agenda war die bevorste-
tierte Niclas Schilling beispielsweise, dass es   nicht bewilligt wurden. Falls die Stellen nicht   hende Wahl der Beauftragten für Qualitätssi-
im aktuellen StuPa patriarchalische Struktu-      weitergeführt werden sollten, gebe es keine       cherung. Da es einen Mangel an Freiwilligen
ren gebe. Strukturelle Probleme bräuchten         technische Unterstützung im Theaterraum           für dieses Amt gibt, sucht man dringend nach
strukturelle Lösungen. Nach seinem Erachten       mehr. Laut dem Sprecherrat für Kultur, Cam-       Studierenden mit Interesse an Akkreditierung
sei das aktuelle StuPa nicht repräsentativ.       pusgestaltung und Chancengleichheit, Niclas       und Qualitätssicherung. Bei Interesse solle
Letztendlich gelang man in einer Abstim-          Schilling wäre der Studiengang Theaterwis-        man auf die Mitglieder des StuPas, insbeson-
mung über den Änderungsantrag zu einem            senschaft dann nicht mehr studierbar.             dere der aktuellen Amtsinhaberin Clara Ein-
Ergebnis. So gab es insgesamt: neun Ja-Stim-                                                        haus zukommen.
men, sieben Nein-Stimmen und eine Enthal-         Die Hochschulleitung hat den ersten Antrag
tung. Aufgrund dessen wurde die Änderung          zur Beseitigung der Diskriminierung von
des Antrags angenommen. Colin Thiede              Transstudierenden angenommen, wie Niclas
zog seinen Antrag zur paritätischen Nach-         berichtete. So wird der Studierendenausweis
besetzung des Sprecherrats zurück, weil der       in Zukunft nicht mehr geschlechterspezifisch

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DIE ZEITUNG FÜR CAMPUSKULTUR 24.07.2020 - Falter
Auswege
Wir laufen, hasten oder fahren durch unseren Alltag, mal verloren, mal mit Ziel. Wir begegnen
Menschen, die genauso gehetzt und von ihrer Routine bestimmt sind. Oft stoppt erst der Gang in
die Natur den Schwindel in und um uns. Der skeptische Blick eines Ziegenbocks, schwatzende
Schwalben, Schilf im Wind, oder ein Apfelbaum in der Blüte, sind Dinge, die uns berühren. Und
in der Stadt - da entsteht der Widerspruch, da koexistieren ein China-Restaurant, Werbung für
Ballermann-Musik und gestapelter Abfall nebenher.

von Sara Rahnenführer

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bayreuth

Diskurs (un)möglich?
Die Mohrenapotheke in Bayreuth steht in der Kritik, mit ihrem Namen und Symbolen in
den Schaufenstern rassistische Stereotypen zu reproduzieren. Apothekeninhaber Dr.
Andreas Paul stört, dass keine offene Diskussion möglich sei. Eine Gruppe von Studie-
renden findet genau diese Ansicht problematisch. Ein Artikel über Deutungshoheit und
verhärtete Fronten.

Von Helena Schäfer

G   elegen an einem der zentralsten Plät-
    ze Bayreuths trägt die Apotheke an der
Ecke zur Sophienstraße seit Anfang des 17.
                                                  M. außerdem in direktem Bezug zu Kolonia-
                                                  lismus und Versklavungshandel genauso wie
                                                  die heute verbreiteten Darstellungen als exo-
                                                                                                     fühlen würde. Andersherum fühle ich mich
                                                                                                     jetzt natürlich selbst angegriffen, indem mir
                                                                                                     ein Vorwurf gemacht wird für etwas, was ich
Jahrhunderts den Namen ‚Mohrenapotheke‘.          tisch anmutende Dienerfiguren (man denke           nicht beeinflussen kann, dass nämlich die-
An den Fensterscheiben sind Bronze-Em-            an den Sarroti M.) oder edle Wilde. Der Ko-        se Apotheke schon seit sehr langer Zeit so
bleme angebracht, die die Köpfe Schwarzer         lonialbezug des Begriffs M. und seiner bild-       heißt. Genauso wie ein Schwarzer nicht be-
Menschen mit verzerrten Proportionen und          lichen Darstellung ist also unbestreitbar“.1       einflussen kann, dass er Schwarz ist, ob er es
manche mit einem goldenen Ring in der                                                                will oder nicht. Das ist vielleicht die größte
Nase darstellen. Seit langem sorgen Name          Apothekeninhaber Dr. Andreas Paul sieht            Parallele, die wir im Moment haben.“ Auch
und Symbole für Fragen und Diskussionen.          sich mit dem Rassismus-Vorwurf zu Unrecht          wenn Paul als Inhaber, der die Apotheke nur
                                                  in die rechte Ecke gedrängt. Im persönlichen       mietet, nicht alleine über eine Entfernung
Das Wort „Diskussion“ wird immer wieder in        Gespräch mit dem Falter erklärt er: „Wenn          der Symbole entscheiden kann, bleibt die
diesem Artikel auftauchen, oder auch „Dis-        ich es böse verstehen will, bin ich jetzt einer,   Parallele hier sehr zweifelhaft. Andere Moh-
kurs“ oder „Debatte“. Es könnte problema-         der Fahne schwingend für die Braunen im            renapotheken benannten sich in den letzten
tisch sein, die Sache mit der Mohrenapotheke      Ku-Klux-Klan über die Straßen zieht. Das           Jahren um. Erst in diesem Sommer, angeregt
als kontroverse Debatte darzustellen. Noah        stimmt einfach nicht.“ Er stört sich an der        durch die ‚Black Lives Matter‘-Bewegung,
Sow schreibt in ihrem Buch „Deutschland           offensiven Art, mit der er beschuldigt wird.       gab eine gleichnamige Apotheke in Kiel ihre
Schwarz Weiß“, das schon Jahre vor der aktu-      Fragen von Kund*innen und Reisenden nach           Umbenennung bekannt. Zudem wird Rassis-
ellen Bewegung Alltagsrassismus in Deutsch-       dem Namen der Apotheke habe es immer ge-           mus in der wissenschaftlichen Diskussion
land thematisierte: „Es besteht bei uns [in       geben. „Dieses Jahr neu hinzugekommen ist          oft als ein von Weißen gegen Schwarze his-
Deutschland] die Gepflogenheit, jedes Thema       das offensive ‚Du Rassist‘. Da wird nicht          torisch gewachsenes Konstrukt verstanden,
kontrovers zu diskutieren, selbst Themen,         groß hinterfragt, wer denn nun genau wie für       das weder umgedreht werden kann noch
bei denen eine ‚Kontroverse‘ automatisch          den Namen verantwortlich ist.“ Neben Brie-         vergleichbar damit ist, dass jemand unvor-
beinhaltet, dass eine Seite der anderen Seite     fen, teils nicht unterzeichnet, hingen Schilder    teilhaft dargestellt wird. Die Bayreuther
Menschenrechte aberkennt (wie zum Beispiel        an der Tür, er fand Kreidezeichnungen auf der      Professorin Susan Arndt schreibt zum Bei-
‚Hautfarbenbedingte Polizeikontrollen ja oder     Straße und Schaumküsse an der Fensterschei-        spiel in ihrem Buch „Die 101 wichtigsten
nein?‘)“. Auch im Falle der Mohrenapotheke        be. Paul betont im Gespräch immer wieder           Fragen – Rassismus“: „Weißsein ist ein kol-
wird eine „Kontroverse“ geführt über etwas,       zwei Dinge: Einmal, dass für ihn alle Men-         lektives Erbe des Rassismus. Es geht weder
das vielleicht gar nicht verhandelbar ist, näm-   schen gleich seien: „Es ist mir scheißegal, ob     um Schuldzuschreibungen noch um Sühne,
lich die Frage, ob eine bestimmte Bezeich-        er, sie, es, ob jung oder alt, ob Schwarz, Weiß,   sondern darum, anzuerkennen, dass Rassis-
nung diskriminierend ist oder nicht. Zwei Sei-    das ist mir vollkommen piepe. Mir kommt es         mus – analog zum Patriarchat im Falle der
ten stehen sich jetzt gegenüber: Eine Gruppe      darauf an, ob der Mensch ein feiner Kerl ist       Geschlechterkonzeptionen – ein komplexes
an Kritiker*innen, die die Frage für nicht        oder ein Arschloch.“ Zweitens, dass wir in         Netzwerk an Strukturen und Wissen hervor-
verhandelbar halten und ein Apothekeninha-        einem freien Land leben und er wie auch die        gebracht hat, das uns sozialisiert und prägt.“
ber, der besagte Kontroverse führen möchte.       Schaumkusswerfer*innen ein Recht auf freie
                                                  Meinungsäußerung habe. So sieht er es auch         Auf die Frage, ob er die Kritik auch bei der
Diese Konstellation entstand, als die Kritik      als sein Recht, die Eindeutigkeit des Rassis-      Namensgebung verstehen könne, sagt Paul:
an der Mohrenapotheke spätestens im Zuge          musvorwurfs anzuzweifeln. Die Darstellun-          „Da ich nicht mit der schwarzen Hautfar-
der „Black Lives Matter“-Bewegung eine            gen der Schwarzen an den Fensterscheiben           be geboren bin und Rassismus nicht per-
neue Dimension angenommen hat: In einem           findet er „diskussionswürdig“. „Ich kann die       manent erlebt habe, kann ich das auf einer
Brief an den Apothekeninhaber fordert eine        Kritik bei den Darstellungen sehr gut nach-        emotionalen Basis nur versuchen nachzu-
Gruppe aus hauptsächlich Studierenden, die        vollziehen.“ Doch auch hier vermisse er eine       vollziehen, ich kann es aber nicht verste-
sich gegen rassistische Bezeichnungen und         gewisse Offenheit: „Ich bin trotzdem über-         hen, weil ich diese Erfahrung nicht habe.
Abbildungen in Bayreuth einsetzen, „die Um-       rascht, dass hier von Geköpften geredet und        Bei der Namensgebung fällt es mir tatsäch-
benennung und Umgestaltung der M.-Apo-            immer wieder der Sklavenring zitiert wird.         lich schwer, den emotionalen Part zu teilen.“
theke“. In einer Stellungnahme an den Fal-        Also wenn ich das schon auf die Pieke treibe,
ter erklärt diese Gruppe, die sich unter dem      dann kommt nie die Diskussion auf, dass es
Namen „Ohrenprojekt“ formiert hat: „Auch          ein goldener Ring und vielleicht auch traditi-     1
                                                                                                      Anmerkung: Das Ohrenprojekt wollte sich dem
wenn das Wort M. schon vor der Kolonialzeit       oneller Schmuck ist, der da dargestellt wird.“     Falter gegenüber nicht in einem direkten Gespräch
                                                                                                     äußern, da sie sich als Kollektiv verstehen und so-
verwendet wurde, war es immer eine Fremd-         Er sagt auch: „Würde man einen Weißen zu           mit keine Person in den Vordergrund stellen wol-
bezeichnung für Schwarze Menschen und             komplett anderer Gegebenheit hinhängen,            len. Außerdem finden sie die Debatte im Sinne ‚ihre
demnach niemals ein neutraler Begriff. Seit       der unvorteilhaft dargestellt ist, weiß ich        Meinung‘ gegen ‚die Meinung des Apothekers‘,
dem 17. Jahrhundert steht die Bezeichnung         nicht, ob ich mich da persönlich angegriffen       problematisch. Dazu mehr im Artikel.

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DIE ZEITUNG FÜR CAMPUSKULTUR 24.07.2020 - Falter
bayreuth

P   aul will zur Klärung des Vorwurfs an
    ihn auch auf die Wortherkunft schauen.
Während das Wort „Mohr“ nicht eindeutig
                                                  Bezug auf die Rassenproblematik professio-
                                                  nal ausarbeiten. Ich weiß nicht, was dann am
                                                  Schluss dabei rauskommt. Vielleicht bin ich
                                                                                                    genen Meinung weit entfernt: „Ein plumpes
                                                                                                    ‚Benenn dich um!‘ kann man fordern, aber
                                                                                                    das Leben ist kein Wunschkonzert. Dann
geklärt werden könne, so Paul, sei es bei         ja der weltgrößte Rassist, ich hab’s bloß bis     kann ich auch sagen: ‚Nein.‘ Vorwürfe muss
Mohrenapotheken ziemlich sicher, dass der         jetzt nicht gewusst. Vielleicht kommt durch       ich tolerieren, das ist ein freies Land, ich
Name sich auf die Mauren, also Menschen           die Diskussion angeregt in zwei Jahren raus,      muss halt nur nicht derselben Meinung sein.“
aus Mauretanien, beziehe: „Sie standen da-        dass das Wort ‚Mohr‘ tatsächlich in Deutsch-
für, dass man im Morgenland eine hochwer-         land per Gesetz überall getilgt werden muss.“     Die Mitglieder des Ohrenprojekts kritisieren
tige, überlegene Medizin in einer Zeit hatte,     Nach aktuellem Stand werde er versuchen,          genau diese Ansicht. Sie finden es problema-
wo bei uns Aderlass, gelbe Galle, schwarze        in und an seinem Laden und in schriftlicher       tisch, wenn die Debatte als „ihre Meinung“
Galle das Nonplusultra waren und, ich glau-       Form, Informationen bereitzustellen, sodass       gegen „die Meinung des Apothekers“ geführt
be, mehr Leute an der Medizin gestorben sind      diejenigen, die sich an dem Begriff stören        wird. Nach ihnen dürfte es gar keine Debatte
als geheilt wurden.“ Zu dem Argument, die         oder die sich dafür interessieren, eine Antwort   in diesem Sinne geben: „M. ist eine eindeu-
Bezeichnung der Apotheke sei nicht diskri-        bekommen. Paul hofft, das Problem auf diese       tig rassistische Bezeichnung, welche auch im
minierend, sondern eine Ehrung der ‚mauri-        Weise lösen zu können: „Ich glaube, wenn die      Duden als ‚heute diskriminierend‘ beschrie-
schen Medizin‘, sagen die Mitglieder des Oh-      Symbole nicht einfach nur Deko oder Marke-        ben wird. Dass nun Weiße Menschen darü-
renprojekts: „Historisch gesehen ist der Name     ting sind, sondern in einen Kontext gesetzt und   ber diskutieren und meinen, entscheiden zu
eher als Exotisierung anstatt als Ehrung zu       entsprechend beleuchtet werden, dann hätten       können, was rassistisch sei und was nicht, ist
verstehen. Die Figur des M. steht stellvertre-    etliche Menschen weniger Probleme damit.“         eine typische Abwehrreaktion gegen die The-
tend für fremde, exotische Wunderheilmittel.      Ein tief sitzendes Problem scheint für Paul       matisierung von Rassismus und somit selbst
Desweiteren nehmen die Darstellungen im           die offensive und konfrontative Art der Ras-      Ausdruck eines rassistischen Machtverhält-
Schaufenster in keinerlei Weise Bezug auf         sismus-Beschuldigung zu sein: „Mich stört,        nisses innerhalb der deutschen Gesellschaft.“
irgendeine Form der Heilkunst, geschweige         dass die, die mir da was um die Ohren ge-
denn auf die ‚maurische Medizin‘. Wir emp-        hauen haben, vorher nicht persönlich mit mir      Weit entfernt von einem fruchtbaren Diskurs
finden es als absurd, kolonial-rassistische       gesprochen haben, um vielleicht auch meine        darüber, wie es weitergehen soll, haben sich
Darstellungen als Zeichen für eine Apotheke       Historie und meine Gedanken zu verstehen.         verhärtete Fronten gebildet: Eine Gruppe Stu-
zu verwenden und dies anschließend als Eh-        Jeder kann seine Meinung frei äußern, es          dierender, die sich wissenschaftlich fundiert
rung Schwarzer Menschen zu interpretieren.“       nervt bloß, wenn ich merke, dass gar keine        gegen Rassismus im Alltag und Stadtbild
                                                  offene Diskussion möglich ist. Es wird die        einsetzen möchte, dabei aber darauf beharrt,
Neben dem Hinweis, der Name der Apotheke          Deutungshoheit an sich genommen, was wie          dass die Thematik an sich nicht zur Debatte
sei nicht eindeutig rassistisch, verfolgt Paul    zu interpretieren ist und beschlossen, du als     stehen könne und damit Ärger und Kränkung
auch eine Argumentationsstrategie, die eher       Betreiber bist Rassist.“ Paul sagt selbst, dass   beim Beschuldigten hervorruft. Ein Apothe-
zu jemandem passen würde, der den Namen           er als Weißer die Erfahrung des Rassismus         ker, der die Situation einer „Nicht-Diskus-
seiner Apotheke tatsächlich für rassistisch       nie gemacht habe. Auf den Einwand, dass           sion“ beklagt, gleichzeitig aber wenig Ein-
hält: „Verbannen und aus Stein rausmei-           er deshalb denen, die sagen, sie empfänden        sicht dafür zeigt, dass rassistische Strukturen
ßeln und aus Büchern tilgen, finde ich einen      den Namen als verletzend oder diskriminie-        auch unbewusst über den Namen seiner Apo-
schlechten Weg. Steine des Anstoßes sind not-     rend, vielleicht die Deutungshoheit zugeste-      theke weitergetragen werden können. Einige
wendig, damit man eben nicht vergisst, dass       hen müsse, anstatt zu versuchen, den Begriff      Fragen bleiben offen: Wie können sich Kri-
man sich dran stößt, um die Diskussion beizu-     selbst einzuordnen, sagt Paul: „Mit Verlaub,      tiker*innen und Namensverfechter auf Au-
behalten, um eben nicht wieder in dieselben       das sehe ich etwas anders. Ich finde, dass eine   genhöhe begegnen? Kann ein Diskurs über
Fehler rein zu tappen, die gemacht wurden.“       gemeinsam getragene Meinung dann gut ist,         die nächsten Schritte geführt werden, wenn
Das Ohrenprojekt kritisiert, dass zurzeit ge-     wenn sie wirklich gemeinsam getragen wird,        schon keine Einigung über die Ausgangsla-
rade diese kritische Auseinandersetzung mit       und wenn man gemeinsam feststellt, dass das       ge besteht? Sollte Protest sich überhaupt an
Kolonialismus und Rassismus fehle: „Es wer-       entweder die wahrscheinlichste oder die beste     der Möglichkeit eines Diskurses orientieren?
den koloniale Bezüge und die Reproduktion         oder die mit dem größten Konsens ist.“ Zur-       Lässt sich in dieser Sache ein gemeinsamer
von Rassismus geleugnet. Wir sehen die Na-        zeit sieht er sich von einer gemeinsam getra-     Nenner finden und wenn ja, wie?
mensänderung nicht als Selbstzweck, sondern
als Teil einer breiteren Auseinandersetzung
mit Rassismus und Kolonialgeschichte in
Bayreuth. Somit sollte es in einem größeren
Kontext darum gehen, wie wir als Gesell-
schaft mit unserer rassistischen Prägung, un-
serem rassistischen Erbe umgehen können.“

Paul weist auch immer wieder auf den hohen
und rechtlich komplexen Aufwand hin, der
mit einer Änderung des Namens verbunden
wäre. Er erklärt, dass das Haus unter Denk-
malschutz und der Apothekenname in sei-
nem Mietvertrag stehe und damit auch seine
Apothekenbetriebserlaubnis an ihn geknüpft
sei. Das Hauptproblem hierbei sei, dass Paul
die Räumlichkeiten der Apotheke nur mie-
tet und der Eigentümer das letzte Wort über
Änderungen am Haus habe. Mit diesem sei
er im Gespräch, die Sache müsse allerdings
mit Fingerspitzengefühl angegangen wer-
den: „Ich weiß im Moment einen Gesprächs-
stand, den ich aber erstmal nicht weiter-
geben möchte, weil da zu viel dranhängt.“

Er beschäftige sich jedenfalls damit, die „Pro-
blematik zu würdigen“: „Wir sind sehr wohl
am überlegen, wie wir das historisch und mit

                                                                        9
DIE ZEITUNG FÜR CAMPUSKULTUR 24.07.2020 - Falter
freiheit | sicherheit

Ein Land, zu groß für die Freiheit
Was hat es mit dem neuen Sicherheitsgesetz auf sich und wie denken chinesische Studentinnen in
Bayreuth über die Entwicklung in Hongkong? In zwei Interviews sprechen sie über Protest, Unab-
hängigkeit und Chinas Art, die Dinge zu regeln.
Von Sara Rahnenführer

D    ie ersten Proteste in Hongkong sind jetzt
     bereits über ein Jahr her. Am 9. Juni
demonstrierten Bürgerinnen Hongkongs in
                                                  Did you, family members or friends engage
                                                  in the protests in Hongkong in some way?
                                                  No, I didn’t participate, nor did
                                                                                                     should publicly oppose the new law?
                                                                                                     I think they shouldn’t make a statement, be-
                                                                                                     cause that could make it difficult for Chi-
der eigentlich von China unabhängigen-auto-       my relatives participate and I don’t               nese students to study in Germany in the
nomen Region gegen das umstrittene Auslie-        know any of my friends who did.                    future. If they publish a statement against
ferungsgesetz. Das Gesetz sollte eine Auslie-                                                        the Chinese Government, it could happen
ferung von straffällig gewordenen Chinesen        Did any one of your friend or relatives expe-      that the government breaks the contract
an China ermöglichen. Kritikerinnen sehen         rience police violence during the protests?        with the university as a partner institution.
dieses Gesetz jedoch vor allem als Vorwand        No.
der chinesischen Zentralregierung zur Aus-                                                           Referring to a survey from the internatio-
weitung der Verfolgung von politischen Geg-       Do        you      support       the      enga-    nal news agency Reuters, about 34 percent
nern und zur Erweiterung der Kontrolle in         gement          of       Joshua         Wong?      of the population in Hongkong support the
den Sonderverwaltungszonen (darunter auch         I don’t agree with his action. In my opinion       new law. Do you think they support the law
Taiwan, Tibet und Xinjiang). Nach wochen-         it’s too violent. To beat up the police is too     because they fear the Chinese regime or be-
langen Protesten, begleitet von gewaltvollen      hard. For me private rights, as for instance, to   cause they support the regime in general?
Polizeieinsätzen, erreichten die Demonstran-      state your opinion freely and in public, are im-   I don’t think that they say “yes” to the law
tinnen im September letzten Jahres eine Rück-     portant. But as I see the situation, China only    because they are afraid. They want secu-
nahme des Auslieferungsgesetzes. Nun griff        acts if something happens, like when they are      rity and stability. Hongkong is economi-
die chinesische Regierung jedoch zu anderen       afraid that an underground movement could          cally very weakened by to the protests.
Maßnahmen und erließ Anfang dieses Monats         plan a subversion. China is so huge and hard
das sogenannte „Sicherheitsgesetz“. Dieses        to control that Chinese people are often sca-      Do you think that economic sanc-
richtet sich gegen Terrorismus, gegen Unab-       red about losing a part of the country, and so     tions for China could prevent Chi-
hängigkeitsbewegungen und gegen die Unter-        the government, too, is worried about Hong-        na      from      further      interventions?
grabung der chinesischen Staatsgewalt. Die        kong’s intentions to become independent.           No, stupid economic sanctions won’t change
Autonomie Honkongs ist durch das Gesetz                                                              anything. It’s more important that other count-
nahezu aufgehoben und die demokratischen          Now that China has enacted the new                 ries understand the way China is acting. It’s
Grundrechte sind stark gefährdet. Kritikerin-     security law what do you think ab-                 not good to intervene in political decisions
nen zufolge sind durch diese neue Form der        out      the     future   for     Hongkong?        of other countries, without understanding the
Zensierung die Meinungsfreiheit und die öf-       In general, I think Hongkong will be more sta-     actions. The protests in Hongkong were in a
fentliche Berichterstattung weltweit bedroht.     ble. It’s good for Hongkong, it’s going to be      really Western way of protesting with violent
                                                  more secure and it can’t be a region for cri-      riots and in Chinese understanding it’s not
Um einen persönlicheren Blick auf das The-        minals to hide anymore. Cause that is what         the right way to protest. We value harmony.
ma zu bekommen und die Perspektive zu             it was all about in beginning. With this law,
wechseln, haben wir zwei chinesische Stu-         the Chinese government wants to prevent            Is a call for independence really the so-
dentinnen der Universität Bayreuth interviewt.    that criminal people who committed crimes          lution, considering that there is a con-
                                                  in China flee to Hongkong to escape prose-         tract allowing China to take back over?
Laura*, ist 25 Jahre alt, aus Shanghai und stu-   cution (because of its special legal situation).   In my opinion every step towards an indepen-
diert Sprachwissenschaften im Master in Bay-                                                         dence is not good in general.
reuth. Momentan arbeitet sie an ihrer Master-     Do you plan to go back to Germa-
arbeit. In dieser analysiert sie unter anderem    ny/China or did your plans change?
Medienberichte Deutschlands zu den Protes-        Yes, I want to go back to Bayreuth to fi-
ten in Honkong. Ihrer Auffassung nach, ist die    nish my master degree, but for now the
Berichterstattung nicht neutral und berichte      flights are really expensive from Shang-
immer mit denselben Schlüsselworten über die      hai to Germany. I will have to wait.
Proteste. Die Proteste werden von vornherein
als pro-demokratisch verstanden und alle Infor-   Do you think German institutions as
mationen dazu sind dementsprechend gelabelt.      for example the University of Bayreuth

                                                                       10
freiheit | sicherheit

P   ei-Kang (27) ist in China aufgewachsen.
    Sie lebt und studiert seit Jahren in Bayreuth.
                                                     example the University of Bayreuth
                                                     should publicly oppose the new law?
                                                     Yes, I think it should. Nowadays, stu-
Did you, family members or friends engage            dents are too busy to protest for their in-
in the protests in Hongkong in some way?             terest. In Bayreuth it’s also peaceful.
I have only one friend from Hong-                    But at the same time I think the partner-
kong who is currently living in Germa-               ship and scholar communications bet-
ny and he didn’t participate in the protests.        ween the institutions could be cancelled.

Did any one of your friends or re-                   Referring to a survey from the internatio-
latives     experience   violence     from           nal news agency Reuters, about 34 percent
the     police    during  the     protests?          of the population in Hongkong support the
Not that I know. But a German friend                 new law. Do you think they support the law
of mine who said something in a priva-               because they fear the Chinese regime or be-
te call against the Chinese government               cause they support the regime in general?
got a call from the local police in China.           I think a lot of them are scared because of the po-
                                                     tential risk. In general I think most Chinese peo-
Do        you       support         the      enga-   ple won’t dare to say “I am for it” or “I disagree
gement           of       Joshua           Wong?     with it”. A single answer makes no difference.
Yes, I do. It reminds us of the Student Protests
in China in 1989 which went out of control. I        Do you think that economic sanc-
support the protests, but I am not brave enough      tions for China could prevent Chi-
to stand with them. I think it is really dangerous   na     from        further  interventions?
and it‘s hard to change.For me it‘s also import-     No, I think it won‘t change (lacht). Chi-
ant to know both sides. At the campus in Bay-        na is really powerful and from historical
reuth I found some flyers with information ab-       examples it had more serious sanctions
out the situation in Hongkong. It was interesting    and     isolations      and   it    stayed.
with more contra-information. But if I would
support the student movement publicly, it will       Is a call for independence really the so-
definitely cause problems for me, my relatives       lution, considering that there is a con-
and friends in China, economically or socially.      tract allowing China to take back over?
                                                     Solution is a word more for chemistry. I think
Now that China has enacted the new                   it makes sense because participants make their
security law what do you think ab-                   voices heard. But considering the way of thin-
out     the     future      for      Hongkong?       king of most of the Chinese population and go-
China will take over more and more. As Joshua        vernment, terms like “human rights” and “de-
Wong said, until today it used to be a 1,5 system    mocracy” are not so frequently used. The most
(one country, 1,5 systems) and it will be only       important topic is the fight against poverty.
one System. So, there will be a new equilibrium.
                                                     Thank you very much for your wil-
Do you plan to go back to Germa-                     lingness to answer our questions.
ny/China or did your plans change?
I like the multi-sides of China and                  *Die Namen der Interviewpartnerinnen wurden
its solutions to development. I am                   zur Wahrung der Anonymität geändert.
open to living in different countries.
                                                                                                                               Foto: Maya Krystosek

Do you think German institutions, for

                                                                        11
Fotos von Maya Krystosek   12
13
freiheit | sicherheit

„Man kann davon sprechen, dass
das Staatssicherheitsnetz Chinas bis
in die Wohnheime Bayreuths reicht.“
Das Interview führte Benedikt von Heinz

I  m Zuge der bedenklichen politischen Ent-
   wicklung in Hongkong, die im letzten Jahr
stark an Fahrt aufgenommen hat, kam es an
                                                Kurzgesagt: Ihr folgt uns blind, wir brin-
                                                gen Euch Wohlstand. Freiheitsrechte und
                                                Demokratie sind der chinesischen Kul-
                                                                                                 macht, wie schädlich Diktatur sein kann.
                                                                                                 Die Situation von unseren Austauschkommili-
                                                                                                 tonen ist insofern besonders, als sie durch ihren
vielen Campi in der westlichen Welt zu So-      tur fremdartig und passen einfach nicht.         Aufenthalt in Deutschland nahezu alle Frei-
lidaritätsbekundungen mit den pro-demo-         Inhaltlich ist das völlig falsch, denn wir       heitsrechte, bis auf das Wahlrecht, genießen,
kratischen Demonstranten. Drew Pavlou, ein      sehen an Taiwan und zu einem gewissen            für die die Menschen in Hongkong kämpfen.
20-jähriger Australier gelangte im Zuge einer   Grad an Hongkong, dass die chinesische           Mein Ziel war einfach, ihnen einen Im-
solchen Solidaritätsbekundung zu trauriger      Kultur durchaus mit Freiheitsrechten und         puls zu geben, sich dieser Freiheiten ge-
Prominenz, als der chinesische Staat allem      Demokratie kompatibel ist. Gerade die Ge-        wahr zu werden und sie zu nutzen. Sich
Anschein nach seinen Einfluss auf die Uni-      schehnisse, die zum Tiananmen Massaker           eine eigene Meinung zu bilden und
versität Pavlous geltend machte, was dazu       führten, haben gezeigt, dass ein Verlangen       sich letzten Endes zu emanzipieren.
führte, dass dieser sechs Monate vor sei-       danach auch in Festlandchina vorhanden ist.
nem Abschluss suspendiert wurde. Gerade         Außerdem wird gerne die Unterlegen-              Du hast damals Gegenwind unter den
Australien hat schwer damit zu kämpfen,         heit demokratischer Prozesse gegenüber           Austauschstudenten zu spüren bekom-
dass China immer wieder versucht, Ein-          einem autoritär zentralistischen Ansatz auf-     men. Was kannst du davon berich-
fluss auf den öffentlichen Diskurs im Land      gezeigt. Es werden einzelne Fakten her-          ten und wie kannst du es dir erklären?
zu nehmen. Im Falle der Universitäten, die      ausgegriffen, wie der schlechte Umgang           Es ist inzwischen kein Geheimnis mehr,
häufig finanziell abhängig von chinesischen     der USA mit der Corona Pandemie, wobei           dass einige Austauschstudenten von Seiten
Austauschstudenten sind, äußert sich die-       wiederum demokratische Erfolgsgeschich-          der chinesischen Sicherheitsorgane dazu
ses Problem stärker als irgendwo sonst.         ten, die die chinesische Performance in den      angehalten werden, über ihre Landsleute
Hierzulande ist der Einfluss Pekings frei-      Schatten stellen, wie in Südkorea, Deutsch-      Bericht zu erstatten. Man kann davon spre-
lich weit weniger stark. Doch zumindest         land oder Taiwan, verschwiegen werden.           chen, dass das Staatssicherheitsnetz Chi-
unsere Austauschkommilitonen aus Chi-           Online tritt der chinesische Sicherheitsappa-    nas bis in die Wohnheime Bayreuths reicht.
na spüren diesen Einfluss stets deutlich.       rat sehr repressiv auf, so wurden zum Beispiel   Konkret wurden die Plakate innerhalb kür-
Wir haben einen Studenten an der Uni Bay-       bereits bis zur Unkenntlichkeit verpixelte       zester Zeit samt und sonders abgerissen,
reuth interviewt, dem Hongkong, die Demo-       Bilder der Proteste in Hongkong von Algo-        deswegen bin ich dazu übergegangen, die
kratiebewegung und der Einfluss Pekings auch    rithmen erkannt und zensiert. Abweichende        Flugblätter einzuwerfen. Über chinesische
auf westliche Demokratien schon lange ein       Meinungen in der chinesischen Infosphäre         Mitstreiter habe ich aus den WeChat Grup-
Anliegen sind. Daher hat er letzten Sommer      werden automatisch zensiert und ausgemerzt.      pen unserer Kommilitonen erfahren, dass sie
begonnen, sich an unserem Campus zu enga-       Die Führung in Peking fürchtet nichts            diesen Akt pflichtschuldigst als unpatriotisch
gieren. Die Person möchte anonym bleiben.       mehr als ein Aufbegehren des Volkes.             angeprangert haben und dem Verantwortli-
                                                                                                 chen dafür Konsequenzen gewünscht haben.
Hallo […], ich würde gerne über deine           Und        wie     sahen       nun        dei-
Aktionen und Methoden, deine Motiva-            ne      konkreten       Aktionen         aus?    Trotzdem ist deine Methode dabei stets ge-
tion und deine generelle Sicht der Dinge        Ich habe mich mit Aktivisten in Hongkong in      blieben zu informieren und auf Eigenver-
sprechen. Zuerst einmal: Du hast letz-          Verbindung gesetzt und versucht, dort im Rah-    antwortung zu setzen, anstatt zu polarisie-
ten Sommer Aktionen auf die Beine ge-           men meiner Möglichkeiten zu helfen. Zum          ren oder gar antichinesische Stimmung zu
stellt, um auf die Lage in Hong Kong auf-       Beispiel, indem ich ihnen über meinen Rou-       machen. Befürchtest du manchmal, dein
merksam zu machen. Was waren das für            ter einen VPN, eine verschlüsselte Internet-     Ansatz könnte zu zahnlos sein? Siehst du
welche und was war deine Motivation?            verbindung, zur Verfügung gestellt habe oder     ein Risiko darin, dass es zu breiter anti-
Ich war 2014 in Hongkong, als bereits tau-      ihnen Anwälte in Hongkong vermittelt habe.       chinesischer Stimmung kommen könnte?
sende auf die Straße gingen, um für das im      Außerdem habe ich Flugblätter designt            Es ist immer ein Abwägen, aber man muss stets
Grundgesetz Hongkongs verbriefte Recht          und am Campus verteilt und vor al-               die klare Linie ziehen zwischen der Regie-
auf freie, geheime Wahlen zu demonstrie-        lem in den Wohnheimen aufgehangen.               rung und den Menschen Chinas. Dabei ist zu
ren. Das habe ich damals mitbekommen,                                                            betonen, dass die chinesische Regierung nicht
deswegen hat es mich sehr berührt, als es       Was       wolltest      du       mit      die-   demokratisch legitimiert ist, weshalb sie nicht
2019 wieder losging. Gleichzeitig habe ich      sen         Flugblättern         bezwecken?      repräsentativ für das chinesische Volk steht.
auch die Reaktionen in den chinesischen         Damit wollte ich bezwecken, dass sowohl          Trotzdem habe ich Angst, dass eine Stimmung
Medien mitbekommen, die die Proteste dif-       deutsche aber v.a. auch chinesische Studenten    gegen die Taten der chinesischen Regierung
famierten. Leider gibt es eben viele Chine-     darauf aufmerksam werden, dass es noch eine      schnell umschlagen kann in eine generell anti-
sen, die der Propaganda und dem Narrativ        andere Perspektive auf die Geschehnisse gibt     chinesische Stimmung, da das emotional mehr
des chinesischen Staates unkritisch glauben.    als das chinesische Narrativ. Ich habe ver-      Anklang findet als differenzierte Nüchternheit.
                                                sucht, unter Berücksichtigung der kulturellen    Aber ich selbst könnte wohl kaum auf undi-
Was ist denn dieses chinesische Nar-            Eigenheiten, dieses Narrativ zu entlarven.       plomatische Weise für demokratische Werte
rativ und wie sahen die Reaktio-                Dafür habe ich viele Vergleiche zur deutschen    werben.
nen der chinesischen Medien aus?                Geschichte gezogen, die ja sehr anschaulich

                                                                    14
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freiheit | sicherheit

Meinungsfreiheit vs. Reportersicherheit?
Anna Renzenbrink von „Reporter ohne Grenzen“ im Interview über den aktuellen Sta-
tus der Pressefreiheit: in Hongkong, Deutschland und zu Zeiten der Corona-Pandemie

Von Eva Kirchner

D    as sogenannte „Sicherheitsgesetz“ in
     Hongkong schlägt bereits kurz nach
seiner Verabschiedung mediale Wellen: es
                                                   Subversion und ausländische Einmischung
                                                   unter Strafe stellen soll. Es herrscht eine
                                                   große Unsicherheit für Medienschaffende
                                                                                                   Menschen im Ausland für kritische Kom-
                                                                                                   mentare damit konfrontiert werden könnten.

erlaubt chinesischen Behörden gegen oppo-          im Umgang mit diesem Gesetz. Das ist et-        Wird Ihrer Meinung nach in deut-
sitionelle Kräfte vorzugehen und unterdrückt       was, was uns extrem große Sorgen bereitet.      schen Medien genug über die pre-
so zu großen Teilen die Meinungsfreiheit in                                                        käre Lage in Hongkong berichtet?
Hongkong. Doch wie steht es im Moment              Ich habe gelesen, dass Quellen zögern,          Derzeit beobachten wir, dass es ein großes
um Pressefreiheit und Reporter auf der gan-        Interviews zu geben und Angst davor ha-         Thema ist, das ausführlich diskutiert wird,
zen Welt? Der Falter im Gespräch mit Anna          ben, mit Medien zu sprechen. Das alles ist      was auch wichtig ist. Und wir haben das
Renzenbrink von „Reporter ohne Grenzen“.           ein großer Schlag gegen die Pressefreiheit.     auch schon im vergangenen Jahr beobach-
                                                   Man muss dazu sagen, dass es vor Verab-         tet, als das Auslieferungsgesetz geplant war
Falter: Was ist die Arbeit von                     schiedung des Sicherheitsgesetzes bereits       und sehr große Proteste stattgefunden haben.
„Reporter          ohne         Grenzen?“          Einschränkungen der Pressefreiheit gab. Auf     Dort wurden zum Teil auch Medienschaffen-
„Reporter     ohne     Grenzen“ ist eine           unserer Rangliste der Pressefreiheit steht      de angegriffen. Wir sehen also schon, dass
internationale NGO, die sich welt-                 Hongkong derzeit auf Platz 80 von 180 Staa-     es in Deutschland auch intensiv besprochen
weit für Pressefreiheit einsetzt und Me-           ten, das ist eine Verschlechterung um 7 Ränge   wird. Wir hoffen, dass das aber nicht wieder
dienschaffende    in    Not     unterstützt.       im Vergleich zum Vorjahr! Seit der Einführung   abflacht und sich ein gewisser Gewöhnungs-
                                                   der Rangliste im Jahr 2002, hat sich Hong-      effekt einstellt. Natürlich wünschen wir uns
Was hat Sie persönlich dazu bewegt, bei            kong insgesamt um 62 Plätze verschlechtert.     aber auch noch klarere Worte von der Politik.
„Reporter ohne Grenzen“ zu arbeiten?               Ein großer Einschritt war auch die Entführung
Ich bin, wie viele meiner Kolleginnen und          von einigen chinakritischen Verlegern auf       Haben Sie auch Einsatzgebiete, in de-
Kollegen auch, Journalistin. Ich habe einige       Hongkonger Boden, die dann einige Zeit spä-     nen die Zustände Sie überraschen?
Jahre als Reporterin gearbeitet, unter ande-       ter in chinesischem Gewahrsam aufgetaucht       Natürlich gibt es Länder, für die
rem in Ländern wie China oder Kambod-              sind und zu einem „Geständnis“ gezwungen        es zu wenig Aufmerksamkeit von
scha, in denen die Pressefreiheit und damit        wurden. Wir haben also schon vorher einige      der     deutschen       Öffentlichkeit      gibt.
auch die Arbeit meiner Kolleginnen und             starke Einschränkungen der Pressefreiheit in    Zum Beispiel Burundi. Dort gibt es etwa ei-
Kollegen stark eingeschränkt wurde. Das            Hongkong erlebt. Aber das sogenannte „Si-       nen Journalisten, der seit einigen Jahren ver-
hat mich dazu bewegt, dass ich viel mehr           cherheitsgesetz“, etwas von so einer großen     schwunden ist. Der Reporter wollte eine Quel-
in diesem aktivistischen Bereich arbeiten          Bedeutung für Journalisten in Hongkong          le für ein Interview treffen und ist von dort
möchte und mich für meine Kolleginnen und          gab es dort noch nie. Im negativen Sinne.       nicht mehr zurückgekehrt. Wir wissen nicht,
Kollegen einsetzten möchte, sie bei ihrem                                                          ob er noch lebt. Wir sehen, dass die Behörden
Kampf für die Pressefreiheit zu unterstützen.      Wie können Sie von „Reporter ohne Gren-         nicht genug tun, um dem Fall nachzugehen
                                                   zen“ den Reportern in Hongkong helfen?          und dass es dort einige Ungereimtheiten gibt.
Haben Sie jemals Situationen er-                   Ganz wichtig ist erst einmal, zu schau-         Das sind unglaublich traurige Schicksale,
lebt, in denen Sie sich bei Ihrer Ar-              en, was das Gesetz für Medienschaffen-          über die meiner Meinung nach nicht genug
beit nicht sicher gefühlt haben?                   den bedeutet. Wie ist die Situation in          berichtet wird. Denn die Öffentlichkeit und
Ich würde nicht sagen, dass ich persönlich         Festland-China und was könnte das für Me-       eine Debatte können natürlich Druck erzeu-
bedroht worden bin, das hat vor allem mei-         dienschaffende in Hongkong bedeuten? Wie        gen, auf die Politik, auf die Justiz, damit mehr
ne lokalen Kollegen betroffen, zum Bei-            ist die Risikolage für Medienschaffende?        getan wird. Oft werden Verbrechen gegen
spiel in Kambodscha. Als ich vor einigen           Jedoch ist alles noch sehr unsicher, das        Medienschaffende auch gar nicht aufgeklärt,
Jahren in Kambodscha gearbeitet habe, war          macht es sehr schwer, konkrete Aussagen         sodass sich die Verantwortlichen ermutigt
die Situation auch noch besser. Es war kei-        zu machen. Wir müssen also vor allem auf        fühlen, weitere Verbrechen zu begehen.
ne freie Presse, aber deutlich weniger ein-        die möglichen Risiken für Medienschaf-          Wir schauen natürlich auch vor unserer ei-
geschränkt als sie das jetzt ist. Das gilt nicht   fende in Hongkong, aber auch weltweit           genen Haustüre und auch hier beobachten
nur für Kambodscha, das gilt nicht nur für         hinweisen und haben das „Sicherheitsge-         wir strukturelle Mängel und besorgniserre-
Hongkong, sondern auch für Festland-China.         setz“ dahingehend ausführlich untersucht.       gende Entwicklungen zum Beispiel auf ge-
                                                   Unser Büro selbst ist glücklicherweise in       setzlicher Ebene. Auch in anderen europäi-
Sie hatten es gerade schon erwähnt,                Taiwan, dort werden die Gesetzte eingehal-      schen Ländern ereignen sich zum Beispiel
wie      ist    die     derzeitige    Lage         ten und unsere Mitarbeiterinnen und Mit-        verbale Angriffe gegen Medienschaffende
für       Reporter      in      Hongkong?          arbeiter sind relativ sicher. Allerdings hat    von hochrangigen Politikerinnen und Poli-
Dort ist soeben das sogenannte „Sicherheits-       das Hongkonger Sicherheitsgesetz eine Art       tikern, die auch gefährlich werden können,
gesetz“ in Kraft getreten, das Dinge wie           universellen Anspruch. Das heißt, dass auch     weil sie in Gewalt umschlagen können.

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freiheit | sicherheit

W
damit
        elches
        heit
                   Level
                muss
            Reporter
                               von
                          gewährt
                         arbeiten
                                       Sicher-
                                      werden,
                                      können?
                                                  Pressefreiheit nicht nur auf dem Papier exis-
                                                  tiert, sondern, dass sie auch wirklich vorhan-
                                                  den ist. Man muss leider nicht mehr so weit
Das kommt auf die Art der Bedrohung an,           weg von Deutschland sein, um zu sehen, wie
ob sie von staatlichen Institutionen aus-         stark die Pressefreiheit eingeschränkt wird.
geht oder auch von organisierter Krimi-           Wichtig ist es auch, auf Fälle aufmerksam zu
nalität. Es muss aber nicht nur die phy-          machen und dazu beizutragen, dass eine De-
sische Sicherheit sein, die bedroht wird.         batte entstehen kann und so Druck auf Behör-
Sehr viele Medienschaffende wenden sich an        den und politische Institutionen auszuüben.
uns, weil sie in irgendeiner Form überwacht       Jeder einzelne kann dazu beitragen, indem er
werden. Das heißt auch, die digitale Sicherheit   Petitionen unterschreibt, in sozialen Kanälen
ist ein großes Thema, denn das kann im nächs-     darauf aufmerksam zu macht und damit das
ten Schritt auch zu einer Bedrohung des eige-     Bewusstsein mehr in die Öffentlichkeit trägt.
nen Lebens führen oder meiner Quellen. Das
heißt auch die Kommunikation mit meinen           Wie sehr ist die Meinungsvielfalt auch
Quellen muss sicher sein und verschlüsselt        hier in Deutschland eingeschränkt?
werden, insbesondere in Ländern wie China.        Wir beobachten jedes Jahr zahlreiche physi-
Es         sind       verschiedene        Ebe-    sche Angriffe auf Medienschaffende, auch in
nen,       die    man       beachten     muss.    Deutschland. Sobald es größere, aufflammende
Die Pressefreiheit kann auch durch den Miss-      Proteste gibt, kam es in der Vergangenheit oft
brauch von Gesetzen eingeschränkt werden.         vermehrt zu Übergriffen auf Medienschaffende.
Oft werden zum Beispiel Terrorgesetzte ein-       Der Vorwurf der Lügenpresse und Dro-
gesetzt, um gegen kritische Berichte vor-         hungen verbaler Art treten oft auf.
zugehen. Wenn es keinen Rechtsstaat gibt          Auch Gesetzesinitiativen, die den Quel-
oder dieser sehr stark verletzt wurde, kann       lenschutz bedrohen, treten immer wie-
es dazu kommen, dass in unfairen Prozessen        der auf.Außerdem gibt es bei der Infor-
Medienschaffende hinter Gitter kommen.            mationsfreiheit, also dem Zugang zu
                                                  Behördeninformationen, noch Luft nach oben.
Wie     stark     beeinflusst    die     Coro-    Ein weiterer Aspekt: Die Medien- und Pres-
na-Pandemie        unsere      Pressefreiheit?    sevielfalt. Redaktionen mussten schlie-
Leider sehr stark im negativen Sinne. Wir         ßen, wurden zusammengeführt und es
haben relativ früh bemerkt, dass in vielen        sind große Zentralredaktionen entstanden.
Ländern die Pressefreit parallel mit der Pan-     Diese können zwar ihre Ressourcen bün-
demie eingeschränkt wird. Das hat bereits im      deln, aber so nimmt leider auch die Viel-
Frühstadium der Pandemie in China begon-          falt von veröffentlichten Meinungen ab.
nen, dass zensiert wurde, Medienschaffende
verschwunden sind und inhaftiert wurden.          Zum Abschluss: Kann man Ihre Arbeit auch
Wir haben gesehen, dass es in einigen Ländern     mit den Worten Sicherheit der Reporter
Vorschriften gab, nur noch auf offizielle Quel-   vs. Freiheit der Bürger zusammenfassen?
len zurückzugreifen und Medienschaffende,         Absolute Priorität ist, dass unsere Mit-
die von Fällen berichtet haben, die nicht in      arbeiterinnen und Mitarbeiter sicher sind,
den offiziellen Statistiken aufgetaucht sind,     außerdem bleiben viele unserer Korrespon-
vorgeladen wurden. In einigen Ländern wur-        dentinnen und Korrespondenten anonym.
de also versucht, die Situation zu vertuschen.    Jedoch erleben wir tagtäglich, dass eben
Leider haben wir viele autoritäre Tenden-         diese Sicherheit nicht immer vorhanden ist
zen erkennen können, auch in Ländern, in          und Reporter ihr Leben riskieren, um an be-
denen nicht auf den ersten Blick die Pres-        stimmte Informationen zu kommen. Genau
sefreiheit so stark eingeschränkt wird.           dort versuchen wir auch zu unterstützen, zum
                                                  Bespiel in dem wir Sicherheitstrainings an-
Wie       können      wir      als    Bürger      bieten, Sicherheitsleitfäden veröffentlichen.
die Pressefreiheit unterstützen?                  Selberverständlich versuchen wir alles, um
Es ist wichtig, das Bewusstsein zu haben, dass    Medienschaffende in Gefahr zu unterstützen.

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freiheit | sicherheit

Heute hier, morgen dort
Die Justizvollzugsanstalt Sankt Georgen liegt an der Markgrafen-Allee Nummer 47.
Hier leben bis zu 900 Gefangene hinter Gittern. Was muss das für ein Gefühl sein,
wenn man in seine Zelle tritt und weiß: Das ist jetzt mein Leben?

Von Johannes Rehlinger

„  Wir sind hier ja sozusagen eine klei-
   ne Gemeinde“, erklärt der Justiz-
vollzugsanstalts-Leiter . In seinem Büro
                                               nicht die gemäßigte Variante mit über-
                                               kreuzten Beinen, die man in manchen
                                               Autowerkstätten findet. Die Männer
                                                                                            wäre das auch der falsche Job, sagen sie.
                                                                                            Uns wird eine Zelle gezeigt. Die Fotos
                                                                                            an der Wand, die Taschentuchbox auf
steht der Text von Hannes Wader „Heute         pfeifen uns aus den Fenstern hinterher,      dem Nachttisch, der Rasierschaum und
hier, morgen dort“, schön kalligraphiert       vor allem der Fotografin. Drei Stunden       das Klo. Wir können uns umschauen,
von einem alten Kollegen. Eine Land-           Besuchszeit pro Gefangenem im Mo-            die Zellen werden eh täglich kontrol-
streicher-Hymne. Herr Konopka ist ver-         nat, die sie auf bis zu drei Personen auf-   liert. Es wird nach verbotenen Gegen-
antwortlich für 900 Gefangene in der           teilen können. Zu Corona-Zeiten eine         ständen oder Manipulationen gesucht.
Justizvollzugsanstalt Sankt Georgen.           Stunde, eine Person. Natürlich immer         Manchmal ist dann eine Fliese ge-
                                               unter strengster Beobachtung. An Sex ist     lockert worden, so dass man dahin-
Die Anstalt beherbergt Gefangene aller         also nicht zu denken. Und auch Küssen        ter eine Kleinigkeit verbergen kann.
Vergehens-Grade. Von ein paar Monaten          ist wohl anders unter fremden Augen.         Wir stehen in der Küche, flankiert vom
bis zu Jahrzehnten Strafmaß ist alles dabei.   Begleitet von den Justizvollzugsbeam-        Vollzugsanstaltsleiter und zwei Justiz-
Der Zuständigkeitsbereich der drittgröß-       ten werden wir in die abschließbaren         vollzugsbeamten. Eine Gruppe Gefange-
ten JVA Bayerns geht bis nach Ingolstadt.      Büros geführt und lassen uns von den         ne macht Döner, eine andere kocht Bul-
Für Angehörige oft ein schweres Los.           Betrieben und ihren Erfolgen erzählen.       gur. Um zum Waschbecken zu kommen,
Im Internet findet man Beschreibun-            Hauptthema sind die neuen Maschinen          gehen sie aus der Tür raus und hinten wie-
gen der brutalen Prozeduren, denen             und Aufträge. Acht Stunden am Tag            der rein, weil der direkte Weg sie an uns
die Gefangenen im 18. Jahrhundert,             müssen alle arbeiten. Die Gefangenen         vorbeigeführt hätte. Vielleicht dürfen sie
als die Anstalt gegründet wurde, aus-          bekommen zwischen 80 und 140 Euro im         das nicht. Gemeinschaftsräume außer der
gesetzt waren. So wurden die neuen             Monat. Davon dürfen sie 4/7 ausgeben         Küche werden wenig benutzt. Die Ge-
Gefangenen damals angeblich mit ge-            (man kann Bestellungen aufgeben) und         fangenen sitzen zusammen in ihren Zel-
fesselten Händen an die Willkom-               3/7 werden zwangsgespart, für später.        len . In ihren Zellen wurden letztes Jahr
menssäule gehängt und ausgepeitscht.           Der Alltag scheint freundlich. Die Beam-     auch zwei Gefangene tot aufgefunden.
                                               ten werden gesiezt und keiner, den wir       Am einzigen Ort in der Justizvollzugsan-
Heute ist alles anders. Die Broschüre          fragen, kann von irgendeinem Vorfall be-     stalt, an dem keine Kamera aufzeichnet.
der JVA Bayreuth liest sich fast wie eine      richten. Die Werkbetriebe zu führen, sei
Werbung. Die Rede ist von kompetentem          auch nicht groß anders als draußen. Die      „Deshalb is okay, wenn das Leben ihm
und leistungsfähigem Personal. Die Aus-        Männer bewegen sich frei in der Schrei-      ne Pause gibt. N bisschen Zeit zum Über-
bildungs- und Freizeitangebote werden          nerei, benutzen die lange Messer und         legen einfach aus Prinzip“ rappt Sido
gelistet und mit schönen Fotos unterlegt.      sägen und arbeiten Schulter an Schulter      in seinem Song „Striche zählen“. Und
Wächter gibt es keine, die gibt es nur im      mit den Aufsehern. Sie zeigen uns, was       wirklich, es scheint, als hätte der Staat
Zoo. Heute gibt es Justizvollzugsbeamte.       sie machen, sind ausgesprochen höf-          in dem Leben seiner Gefangenen einfach
Es gibt auch keine Zellen, sondern Haft-       lich und halten dabei Abstand. Der ein-      einen Pause-Knopf gedrückt. Ein, zwei,
räume. Nur die Gefangenen bleiben auch         zige Unterschied scheint zu sein, dass       fünf – vielleicht zwanzig Jahre folgen sie
in der Justizvollzugsanstalt Gefangene.        am Abend die Messer gezählt werden.          einer Routine. Um sieben fängt Arbeit
Das gesetzlich festgeschriebene Ziel der       Auf die Frage an die Beamten, ob sie sich    an. 15:30 Schluss. Eine Stunde Hofgang,
deutschen Gefängnisse ist die Resoziali-       schlecht fühlen, wenn sie abends nach        dann Freizeitaktivitäten oder Freigang
sierung. Und in der Tat, wird alles daran      Hause gehen, folgt das prompte: Nein,        im Zellenblock. Um 18:45 absoluter Ein-
gesetzt die Gefangenen auf ein Leben ohne      wieso, ich darf doch. Ein kollegiales        schluss. Ein Tag wie jeder andere, bis es
Gitter vorzubereiten. Man kann zwanzig         Verhältnis wird und darf sich nicht ein-     dann irgendwann zurück in das Leben
unterschiedliche Ausbildungen machen,          stellen. Keine Bevorzugung, zu viele Ge-     draußen geht. Doch auch Hannes Wa-
in den Chor gehen, zur Berufsschule und        fangene haben schon Beamte überredet,        ders „Heute hier, morgen dort“, endet auf
bei guter Führung auch raus in die Welt.       ihnen etwas von draußen mitzubringen.        dem traurigen Satz: „So vergeht Jahr um
Wir werden durch zwei Betriebe und             Sie dürfen nichts erzählen, nicht von ih-    Jahr und es ist mir längst klar, dass nichts
einen Zellenblock geführt. Überall hän-        rer Familie oder ob sie im Urlaub waren.     bleibt, dass nichts bleibt, wie es war .“
gen Fotos von nackten Frauen. Und              Angst haben die Beamten keine. Dann

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