Von Kühen, Schafen und Smartphones - Berglandwirtschaft Die KWO baut eine Staumauer
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grimselwelt D A S M A G A Z I N 2 0 1 9 Berglandwirtschaft Von Kühen, Schafen und Smartphones Ersatz Staumauer Spitallamm Die KWO baut eine Staumauer Sustenweg Wanderung Langsam, zeitlos, himmlisch
grimselwelt3 3 D as Konzessionsgebiet der KWO um- fasst 420 Quadratkilometer Land – für die kleine Schweiz ein ganz schön grosses Gebiet. Die Täler rund um den Grimsel- und Sustenpass bilden eine alpine und auf den ersten Blick relativ unproduk- tive Landschaft. Doch für die Wasserkraft sorgt genau diese Umgebung mit ihrem Wasserreichtum, den enormen Höhenun- terschieden und den Speichermöglichkei- ten für perfekte Voraussetzungen. Und wie so oft zeigt sich beim genaueren Hin- sehen, dass diese Bergwelt längst nicht so zufällig wild ist. Im Gegen- teil: Auch in entlegenen Win- keln wirken verschiedene Ak- teure und es herrscht eine verblüffende Vielfalt. In dieser Ausgabe geben wir den Bergbäuerinnen und Bergbauern das Wort. Denn sie prägen die Landschaften durch die Bewirtschaftung von Feldern, Wegen und Wie- Willkommen in der Grimselwelt sen. Die Landwirte stehen nicht nur vor ähnlichen Herausforderungen wie die KWO, etwa in Hinsicht auf die Digitalisie- rung oder den Strukturwandel, die Bauern- betriebe erbringen auch Leistungen, von denen die KWO direkt profitiert. Ohne ih- ren Einsatz wäre beispielsweise die Zu- gänglichkeit zu Wasserfassungen, anderen Kraftwerksanlagen und weiteren Infra- grimselwelt strukturen nicht in dieser Qualität vorhan- Persönlich Seite 10–11 Der Trupp für alle Fälle Seite 20–21 den. Auch die touristischen Attraktionen Portraits aus der Grimselwelt Unterwegs mit der Baugruppe der KWO würden leiden und unsere Wohn- und Er- holungsgebiete wären längst nicht mehr so In der Grimselwelt finden sich viele Menschen, die ihrer Passion Sie kriechen durch Löcher, stapfen durch matschige Stollen und idyllisch. Zudem finden sich auch oder ge- D A S M A G A Z I N 2 0 1 9 nachgehen, sei es als Koch, als Langläufer und Pistenbullyfahrer, arbeiten im Dunkeln: Die Baugruppe der KWO kommt überall rade in der Berglandwirtschaft innovative als Hüttenwarte oder Sammler. dort zum Einsatz, wo es klemmt, sei es unter oder über der Erde. Köpfe, die das Leben in den Dörfern berei- chern und neue Impulse setzen. Fokus Seite 12–17 Impressum Die KWO hat sich nie als Alleinherrsche- Eine Mauer schreibt Geschichte Herausgeber KWO Kommunikation, Innertkirchen rin in ihrem Konzessionsgebiet verstanden. Gestaltung und Realisation Laufwerk, Bern Partnerschaften mit der Region waren in In den nächsten sechs Jahren baut die KWO eine neue Staumauer Projektleitung Thomas Huber der Vergangenheit wichtig und werden es unmittelbar vor die alte Spitallamm-Staumauer am Grimselsee. Bilder David Birri und KWO auch in Zukunft sein; für den täglichen Das Bauwerk aus den 1930er Jahren hat Schaden genommen und Texte Annette Marti und KWO Kraftwerksbetrieb und für die Realisierung muss ersetzt werden. Erlebnis Natur Seite 22–23 Druck Jordi AG, Belp von Grossprojekten, wie den Bau der Er- Ein Weg durch Raum und Zeit Auflage 20’000 Exemplare satzstaumauer Spitallamm am Grimselsee. Wer dem alten Sustenweg entlang von Gadmen zum Steingletscher Ich wünsche Ihnen viel Spass bei der Lektüre! wandert, erfährt ein völlig neues Passgefühl. Hier präsentiert sich Berglandwirtschaft die Bergwelt ursprünglich und zeitlos. Von Kühen, Schafen und Smartphones Thomas Huber Ersatz Staumauer Spitallamm Leiter Kommunikation Hinter den Kulissen Seite 24–25 Die KWO baut eine Staumauer Frühlingsputz in der Schlucht Die Grimselwelt ist ein Engagement der Sustenweg Wanderung KWO, Kraftwerke Oberhasli AG Langsam, zeitlos, Der Spaziergang durch die Aareschlucht ist ein eindrückliches Er- himmlisch lebnis. Man wandert sozusagen inmitten der Felsen. Damit dies möglich ist, sind aufwändige Unterhaltsarbeiten nötig, im Winter Berglandwirtschaft erfordert Flexibilität und Unternehmertum: Pädi Brog beim Schären und im Frühjahr. seiner Schwarznasenschafe. Titelgeschichte Seite 4–9 Im Gespräch Seite 18–19 Perspektiven by Fischlin Seite 26–27 Von Smart Cows und anderen Tieren Daniel Fischlin, CEO der KWO Aus dem Notizbuch des CEO’s Wie in vielen anderen Bereichen verändert sich auch im Leben der Die Energiewende bringt für die Wasserkraft viele Unsicherheiten Womit beschäftigt sich der CEO der KWO über die täglichen He- Mix Bergbäuerinnen und Bergbauern Einiges. Ein Blick hinter die Ku- mit sich. CEO Daniel Fischlin erklärt, welche Wege er sieht, um rausforderungen hinaus? Daniel Fischlin gibt Einblick in das, was Produktgruppe aus vorbildlicher Waldwirtschaft und lissen zeigt: auch in der Berglandwirtschaft sind vielseitige Fähig- das Unternehmen für die Zukunft fit zu machen. Der Umgang mit ihn beschäftigt, und zeigt, wie er das Wissen in der Firma besser anderen kontrollierten Herkünften Cert no. SQS-COC-023903, www.fsc.org keiten und Mut gefragt. Wissen ist dabei zentral. zugänglich machen will. SQS-COC-100061 © 1996 Forest Stewardship Council
4 grimselwelt4 grimselwelt · berglandwirtschaft 5 Text: Annette Marti, Fotos: David Birri Digitalisierung im Stall: Die App «Smart Cow» erleichtert es den Landwirten, alle wichtigen Daten zum Vieh zu verwalten. Text: Annette Marti, Fotos: David Birri Sie melken ihre Kühe, produzieren Alpkäse und sorgen dafür, dass die Landschaft so aussieht, wie wir sie kennen: Ist das die ganze Wahrheit hinter dem Leben der Bergbäuerinnen und Bergbauern im Grimsel- und Sustengebiet? Eine kleine Umfrage zeigt: Landwirte brauchen heute echte Management- Qualitäten, Mut und eine Reihe vielseitiger Fähigkeiten um zu bestehen. D ie Leiber der Kühe dampfen in der frischen Luft, es riecht nach Heu und schwungvoll platziertem Mist. Die Kälber strecken ihre Köpfe durch die Barren und beobachten mit neugierigem Blick, was da für Fremdlinge durch den Mittel- gang des Stalls spazieren. Drüben bei den Milchkühen versucht jede, schneller zum Futter zu gelangen als die Nachbarin. Es wird gedrängelt und geschubst. «Das ist normal», sagt Landwirt Wal- ter Zgraggen und lächelt. «Die müssen immer mal wieder die Rangordnung herstellen.» Zgraggen hält seine Tiere in einem Laufstall in Guttannen. Das bedeutet, die Kühe fressen oder lie- gen, wie sie gerade wollen und begeben sich dann in den Auslauf, wenn sie mögen. Der moderne Stall erspart dem Bauern viele mühsame Arbeiten. So gibt es etwa eine Automatik für die Stall- säuberung und einen Kran zum Verteilen des Futters. «Das war die beste Investition überhaupt», sagt Zgraggen. Er erspare sich damit manchen Murks, wie das Abladen des Heus im Sommer oder das Herumwuchten von Futterballen. Nichts destotrotz blei- ben viele Arbeiten, die erledigt werden müssen. Und besonders Thomas Bircher und seine Herde von Galloway-Rindern, die in Gadmen auf das Melken der Kühe am Morgen und am Abend erlaubt keinen schwer zugänglichen, steilen Wiesen weiden. Aufschub.
6 grimselwelt · berglandwirtschaft grimselwelt · berglandwirtschaft 7 V or dieser ständigen Verpflichtung hatte Valéry Jaun behalten. «Die kleinen Betriebe sind chen schnell zugewachsen. Früher mähten Hektaren Land. Bei einer solchen Grösse schaften deutlich mehr Biodiversitätsförderflächen als das vom grössten Respekt. Die junge Frau, die im Kanton Aar- wichtig für die Landschaft. Wir machen die Bauern die hoch in den Bergen gelege- ist ein ausgeklügeltes Betriebsmanage- Bund vorgeschriebene Minimum», stellt er fest. Sieben Prozent gau aufgewachsen ist, führt mit ihrem Partner Ruedi noch Vieles von Hand und bearbeiten nen Flächen, die Wildheuerwiesen, weil ment wichtig. So bilden Birchers beispiels- der Nutzfläche müssen solche Wiesen und Weiden umfassen, Zenger einen Bauernbetrieb in Innertkirchen. «Mit einem Bauern auch die kleinen und weniger praktischen das Futter knapp war. Heute können die weise Lehrlinge aus, die ebenfalls auf dem sonst gibt es keine Direktzahlungen für einen Betrieb. Der Kan- zusammenleben ist okay, dachte ich immer», erzählt sie, «aber Wiesen», ist Ruedi Zenger überzeugt. Für Tiere auch anders gefüttert werden. Aus Hof arbeiten. Für die Pflege der steilsten ton Bern habe die verschiedenen landwirtschaftlichen Ökopro- sicher mit keinem, der Milchwirtschaft betreibt.» Sie hatte viele ihn ist es selbstverständlich, dass es zu den ökologischer Sicht sind diese Wiesen aber Flächen stehen zudem vierbeinige Helfer gramme rasch eingeführt und umgesetzt, sagt Luder. Die Beiträ- Jahre im Bereich Gastronomie und Hotellerie gearbeitet, betrieb Aufgaben der Landwirte gehört, zur Um- sehr wertvoll und die Landwirte werden im Einsatz: Galloway-Rinder weiden auf ge für «Blüemliwiesen» seien vergleichsweise hoch. «Heute Sport und reiste gerne. Die Sache mit der Landwirtschaft entwi- gebung zu schauen. für die Pflege dieser Flächen entschädigt. den einstigen Wildheuer-Wiesen und fres- tendieren mehr und mehr Landwirte eher gegen das Maximum ckelte sich allerdings ein bisschen anders, als sie es sich vorgestellt «Ohne Beiträge würde sich der Aufwand sen nicht nur Gras, sondern auch kleine von 50 Prozent», sagt Luder. «Das zahlt sich auch für die Natur hatte. Anfang Januar übernahm das junge Paar den elterlichen nicht auszahlen», bestätigt Angelika Bircher. Büsche ab. «Diese Wiesen sind zwar wich- aus.» D Betrieb von Ruedi Zenger. Im Spätherbst ist die kleine Tochter ie Landschaftspflege ist auch für Doch die Entschädigung alleine macht es tig wegen der Artenvielfalt», erklärt Tho- geboren. Es ist ein nicht allzu grosser Betrieb, aber im Stall ste- Angelika und Thomas Bircher nicht aus. «Wichtig ist die Freude am Ein- mas Bircher, «aber als nahrhaftes Futter Vor einigen Jahren hat in der schweizerischen Landwirtschafts- hen auch Kühe und Rinder. «Hm», sagt Valéry Jaun mit einem aus Nessental ein wichtiger As- satz», sagt die junge Frau, die auf einem für Milchkühe sind sie nicht geeignet.» politik ein Systemwechsel stattgefunden. Weg von Beiträgen, die breiten Lachen, «jetzt melken wir halt doch… nicht so schlimm. pekt ihrer Arbeit. Würden sie an steilen Hof in der Nähe von Köln aufgewachsen Die genügsamen Galloway mit ihren zott- über Tierzahlen und Produkte berechnet wurden, hin zu Entschä- Ich liebe die Natur und hier erlebe ich die natürlichen Kreisläufe Stellen, in Mulden und Gräben oder auf ist und immer schon Bäuerin werden woll- ligen Ohren und dem sandfarbenen Fell digungen für die Bewirtschaftung bestimmter Flächen und den sehr direkt. Für Ruedi ist die Landwirtschaft sowieso eine grosse mit Felsen besetzten Wiesen nicht mehr te. Heute bewirtschaftet sie zusammen kommen mit dem alpinen Futter aus und Arbeitsaufwand. «Dank diesem System hat die Berglandwirt- Leidenschaft.» Ob sie den Betrieb tatsächlich übernehmen wür- mähen, wären viele der heute offenen Flä- mit Thomas Bircher im Gadmental 50 können sich im unwegsamen Gelände gut schaft gegenüber der Landwirtschaft im Mittelland aufholen kön- den, haben sich die zwei lange überlegt. Ruedi arbeitete in Bern, bewegen. Allerdings funktioniert die Hal- doch nach Jahren begann er, vermehrt an die Wiesen zuhause in Walter Zgraggen beginnt, die Möglichkeiten des Smartphones auch im Stall zu nutzen. tung nicht ohne Aufwand. Die Zäune Maschinen erleichtern die tägliche Arbeit im Stall: der Kran im Innertkirchen und ans Bauern zu denken. «Valéry und ich haben Seiner Schar von Kälbern ist das egal, Hauptsache sie kriegen ihre Streicheleinheiten ab. müssen laufend kontrolliert werden und modernen Laufstall von Walter Zgraggen. immer geholfen», erzählt er, «dann musste mein Vater einen Win- im trockenen Sommer 2018 bereiteten die ter lang pausieren und wir absolvierten sozusagen ein Praktikum Wasserreserven Sorgen. Hinzu kommt: auf dem Betrieb.» Nach dieser Erfahrung stiegen sie ein. «Natür- Galloway-Rinder sind neugierig und lich ist es nicht einfach in der Berglandwirtschaft», räumt Ruedi manchmal ganz schön frech. So müssen Zenger ein, «trotzdem sehen wir Potential und wollen Vieles aus- alle kleinen Galloway auf dem Hof in eine probieren.» Der Zengerhof ist nicht gross genug, um einen Vol- Art Grundschule, wo sie im umzäunten lerwerb für die junge Familie zu garantieren. Beide haben Neben- Auslauf üben, brav hinter der Mama her- jobs und daran soll sich vorerst auch nichts ändern. «Ich bin mir zugehen. «Man muss sich mit diesen Tie- nicht sicher, ob es die grossen Betriebe wirklich leichter haben», ren beschäftigen», unterstreicht Angelika sagt Zenger, der die Rahmenbedingungen in seiner Abschlussar- Bircher. «Sonst können wir im steilen Ge- beit am Inforama Hondrich genau untersucht hat. Auch Valéry lände nicht einmal von einer Weide auf die Jaun behandelte den Zengerhof in ihrer Diplomarbeit an der Hö- andere zügeln.» heren Fachschule für Tourismus in Thun. So starteten sie mit ei- ner guten Webseite und einem Konzept voller Ideen. Die zwei R wollen sorgfältig überlegen, in welche Richtung es gehen soll. oland Luder, landwirtschaftlicher Schon jetzt bieten sie in ihrem Hofladen und auf dem Markt ei- Berater und Biologe, stellt den gene Produkte an: Alpkäse, Eier, Wurst, Brot und selbstgemach- Bauern im Berner Oberland ein ten Sirup. Die verschiedenen Standbeine werden sie vorerst bei- gutes Zeugnis aus. «Viele Betriebe bewirt- Sie setzen auf Direktvermarktung und gutes Galloway-Rinder sind unkompliziert und Design: Valéry Jaun und Ruedi Zenger aus geländegängig. Sie brauchen aber auch Innertkirchen pflegen ihre hofeigene Webseite. viel Aufmerksamkeit und Zuwendung, sonst werden sie zu wild. 30.08.1930 Lorem ipsum dolor sit amet, consectetuer adipiscing elit. Aenean commodo ligula eget dolor. Aenean massa.
8 grimselwelt8 grimselwelt · berglandwirtschaft 9 Luder Mit seinem mobilen Melkstand folgt Peter Luchs auf der Steinalp seinen Kühen, um Coiffeurtermin für die Schwarznasen- sie melken zu können. schafe bei Pädi Brog in Geissholz. Schafwollkugeln, die in Meiringen produziert werden, Viele Bergbauern setzen auf eignen sich bestens die eigene Vermarktung ihrer als Füllmaterial für Produkte wie Käse, Brot Kissen, Decken oder Sirup. und Bettauflagen. In der Alpkäserei neben dem Restaurant Steingletscher wird die Milch zu Käse und Heinz Brog setzt zusammen mit seiner Familie voll und ganz auf das Naturprodukt Wolle. Seit einigen anderen Milchprodukten verarbeitet und verkauft. Jahren arbeiten sie beharrlich daran, den Wollpreis wieder auf ein höheres Niveau zu bringen. Schafwolle im Aufwind nen», beobachtet Luder. Ob in den Alpen schaftsgärtner» fühlt sich Luchs nicht hat er einen direkten Absatzkanal für die oder im Flachland: So oder so müssen ganz wohl, zudem sieht er sich stark ab- Produkte aus seiner Alpkäserei beim Stein- Landwirte viele verschiedene Fähigkeiten hängig von der Politik. Die Unsicherheit ist gletscher. Das funktioniert zwar gut, einbringen, um einen Betrieb erfolgreich da – wenn politisch etwas ändert, hat das bringt aber eine grosse Arbeitsbelastung Eine eigentliche, kleine Woll-Verarbeitungs-Fabrik steht nur wenige wachsender Rohstoff mit unglaublichen führen zu können. Nur schon die verschie- Konsequenzen. Auch Walter Zgraggen mit sich. In den Sommermonaten fallen Meter neben der Hauptstrasse in Meiringen, das WollReich der Familie Qualitäten», schwärmt Ruth Brog. «Die Wolle denen Vorschriften und Regelwerke erfor- sagt: «Wir sind abhängig von der Politik. viele der Arbeiten gleichzeitig an: Die Brog. Hier wird Schafwolle aus dem Haslital gewaschen und gekardet, macht für uns Menschen genau das gleiche dern Knowhow. Auch die Digitalisierung Wenn etwas ändert an den Direktzahlun- Kühe auf der Alp müssen gemolken wer- auf Maschinen zu Vlies und Schafwollkugeln verarbeitet oder im haus- wie für die Schafe: Sie reguliert die Wärme, macht vor der Landwirtschaft nicht halt. gen, haben wir unter Umständen ein Pro- den, die Käserei ist in Betrieb und im Dorf eigenen Atelier handwerklich bearbeitet. Zu kaufen gibt es nicht nur ist wasserabweisend und ist erst noch selbst- In der Direktvermarktung über Webseiten blem. Das ist unangenehm.» Deshalb, so unten gilt es gleichzeitig, die Heuwiesen Wolle und Vlies, Deko-Gegenstände und Spielsachen, sondern auch reinigend. Ich kann nicht verstehen, wieso und Social Media etwa oder mit der Ein- unterstreicht auch er, könne man in der zu bewirtschaften. Luchs schafft das alles Bettauflagen, Duvets und Kissen sowie mit Schafwolle gefüllte Jacken wir das alles je aufgegeben haben?» Das führung des Herdenmanagements via Berglandwirtschaft nicht nur nach einer nur mit Hilfe seiner Söhne und saisonaler von Ortovox. Ruth Brog, die mit ihrem Mann 2001 den Bauernbetrieb Echo auf die Wollprodukte ist jedoch gross: KONTAKT & INFO Smartcow-App. Tatsache ist auch, dass der Kostenrechnung wirtschaften, sondern es Angestellten. Seine Partnerin, die viele der Eltern in Geissholz übernommen hatte, erzählt, wie sich das Woll- Ganze Busse von Gästen besichtigen die Wert der produzierten Ware gesunken ist brauche Herzblut und die Verbundenheit Jahre mitgearbeitet hatte, ist gestorben. Reich von einer Spontanidee zu einem kleinen Wirtschaftszweig ent- Werkstatt, buchen Führungen auf der Alp Regionale Produkte aus dem Püüre Laden und sich das Einkommen der meisten mit Ort und Beruf. «Ausserdem», relati- «Gutes Personal für die Alp zu finden, ist wickelt hat: «Wir haben mit den Schafen angefangen, ohne konkreten oder übernachten im «Wollhaus», wo alle Gadmen: Verkaufsstellen Berghaus Tälli, Betriebe laut Luder zu zwei Dritteln oder viert er, «waren die Perspektiven schon vor nicht so einfach», weiss er. Umso glückli- Plan. Durch Zufall kamen wir zu den ersten drei Schwarznasenscha- Produkte getestet werden können. Unterdes- Talstation Trift, Talstation Gelmerbahn. gar drei Vierteln aus Direktzahlungen für 20 Jahren unsicher. So ist es halt, man cher ist er darüber, dass die Zukunft des fen.» Ruth Brog erlernte das Filzen, vertiefte ihr Wissen in einer Aus- sen sind die zwei Kinder bereits in den Be- Leistungen zu Gunsten der Allgemeinheit weiss nie genau, was kommt.» Hofes gesichert scheint. Die zwei Söhne bildung zum therapeutischen Filzen, und verarbeitete so die ersten Ki- trieb eingestiegen und es besteht ein Projekt, Alle Produkte können auch online zusammensetzt. Landwirt Peter Luchs aus stehen bereit, den Betrieb zu übernehmen. logramm Schafwolle. Das Hobby erhielt eine neue Dimension, als die Hof und Produktion an einem Ort zusammen- bestellt werden. Gadmen ist darüber unglücklich. Er be- Sie haben im Sinn, eine Betriebsgemein- Möglichkeit bestand, Maschinen für die Wollverarbeitung aus einer zuführen und touristisch weiter auszubauen. F klagt sich nicht über die Direktzahlungen, ür Peter Luchs steht deshalb die schaft zu gründen und damit das Problem Heim-Werkstätte zu übernehmen. Weil sie begeistert waren vom Pro- Gut möglich, dass die Familie Brog tatsäch- www.hasliprodukt.ch findet aber: «Es ist frustrierend, wenn die Herstellung hochwertiger Produk- des Angebundenseins zu lösen: Gegensei- dukt Schafwolle, sagte die Familie trotz vielen Fragezeichen zu und lich das erreicht, was ihr grösster Wunsch ist: www.zengerhof.ch Preise so tief sind. Die Produkte, für die te im Vordergrund. Das Fleisch sei- tig können sie sich aushelfen und abwech- fand auch Partner, die sie unterstützten. Sie richteten ihre Produkti- den Wollpreis wieder auf einen höheren Wert www.alpkaeserei-steingletscher.ch wir das ganze Jahr über arbeiten, sollten ner Mastkälber verkauft er an die Migros, seln – so lässt sich auch die ständige Mel- onsstätte in Meiringen ein und sahen bald, dass eine Nachfrage be- zu bringen. etwas gelten.» Mit dem Image als «Land- und mit einem eigenen Laden im Sommer kerei bewältigen. steht. Heute haben die Brogs 250 Schafe. «Schafwolle ist ein nach- www.wollreich.ch
10 grimselwelt · persönlich grimselwelt · persönlich 11 Sascha Urweider Mathias Krump Fränzi Vontobel und Teddy Zumstein «Slow food» nach Innertkirchner Art Der Mann mit dem Gespür für Schnee Hüttenwarte im «Dakota-Land» Geschmacksverstärker und kocht seine Mathias Krump ist einer, der nach vorne erstes Pistenfahrzeug angeschafft wurde. Weil sich kein Fahrer tig, so sind wir schon froh, wenn die Tech- Fonds und Saucen selber. Er sucht nach und nach hinten denken kann. So drückt fand, setzte Krump sich ans Steuer, obwohl er als aktiver Renn- nik funktioniert.» Gerade im Winter ist dem echten Geschmack der Zutaten, die er er aus, was wichtig ist beim Pistenbullyfah- läufer nicht allzu viel Zeit hatte. Und er ist seiner Aufgabe lange das Hüttenleben manchmal umständlich, am liebsten aus nächster Nähe bezieht. ren: «Man schaut voraus und gleichzeitig treu geblieben. Aber jetzt ist Schluss. Krump gibt seinen Job weiter. etwa wenn die Turbine zufriert und kein Das Gemüse aus Grossmutters Garten, die muss man überprüfen, was hinten pas- «Die Zeit ist reif, die Arbeit ist heikel, besonders im steilen Gelän- Strom oder fliessendes Wasser vorhanden Eier vom Nachbarn oder die Pilze aus dem siert.» Seit 31 Jahren sorgt Krump in Gad- de, man muss sich gut und lange konzentrieren können», sagt er. ist. Die Skitourensaison dauert von Mitte Wald über dem Dorf. Die Weine importiert men für gut gespurte Langlaufloipen, Win- Er wird seinen Nachfolgern mit seinem Wissen zur Verfügung März bis Mitte Mai. Danach kommt das die Wirte-Familie direkt aus dem Piemont, terwanderwege und Pisten. Unterstützt stehen und auch mal einspringen, aber es soll Platz geben für Neu- Talleben, in dem die zwei ihr selbst umge- weil ihr die Menschen hinter den Produk- wird er von Ersatzfahrer Karl Kühner. Der es. «Etwas, das ich unbedingt noch lernen will», sagt Krump und bautes Bauernhaus in Geissholz geniessen, ten wichtig sind. Die Aufrichtigkeit zahlt gelernte Schreiner, der noch heute im Fa- schmunzelt, «ist schwimmen.» www.loipe-gadmen.ch Freunde treffen oder in die «Stadt» Mei- sich aus: Für die mehrgängigen Abendme- milienbetrieb tätig ist, steigt im Winter fast ringen fahren. Den Sommer über amtet vor nus hat sich das Restaurant einen Kunden- täglich ins Pistenfahrzeug. Zugute kommt In Fränzi Vontobels und Teddy Zumsteins Leben gibt es ein kla- allem Fränzi als Hüttenwartin, während stamm weit über das Haslital hinaus erar- ihm dabei, dass er seit vielen Jahrzehnten res «Unten» und «Oben». Das Paar pendelt zwischen zwei Welten, Teddy als Bergführer unterwegs ist. Die Als kleiner Junge sass Sascha Urweider am Stammtisch in der Ecke beitet. Über Innertkirchen sagt Sascha ein leidenschaftlicher Langläufer ist und derjenigen am Berg und derjenigen im Tal. Seit drei Jahren führen Wochenenden verbringt jedoch auch er im und beobachtete das Treiben rund um ihn. Jetzt steht er selber Urweider: «Der Standort ist sensationell, deshalb genau weiss, wie eine Loipe ange- die zwei die Gaulihütte im Urbachtal. Sie liegt auf 2205 Metern Gauli. Den Gästen bietet er dann jeweils mitten im Geschehen. Der junge Koch arbeitet im Hotel Restau- im Winter leben wir von unseren Stamm- legt sein muss. Die Arbeit braucht ein gutes über Meer und ist nur in einem mehrstündigen Fussmarsch zu er- geführte Wanderungen zum Fundort der rant Urweider in Innertkirchen unbeirrt am guten Ruf des Betrie- kunden, im Sommer haben wir die Pässe.» Gespür für den Schnee und eine dicke Por- reichen. «Wir sind ganz schön abgeschottet da oben», sagt Fränzi, Dakota, dem amerikanischen Flugzeug, bes. «Ich kümmere mich nicht um Trends», sagt Urweider. «Mei- Im Tagesgeschäft wird die sonst kleine tion Erfahrung. «Jeder Winter ist anders», die selber in der Nähe von Winterthur aufgewachsen ist. «Das das 1946 auf dem Gauligletscher abge- ne Eltern kochten in der Art der piemontesischen Küche, auch ich Speisekarte dann zwar um Älplermagro- sagt Krump. Mit anderen Mitstreitern im Leben im Gauli ist streng, aber trotzdem sehr befriedigend.» Die stürzt ist. Dieses Stück Weltgeschichte gibt baue darauf.» Die Philosophie des «slow food» verfolgen die Ur- nen oder Schnitzel erweitert – Aromat Tal hat er viel für den Wintersport und be- Ruhe der Berge gebe viel Kraft. «Man hat keine Termine, keine dem Leben in der Abgeschiedenheit eine weiders seit 30 Jahren mit Sorgfalt und Überzeugung. So verzich- kommt trotzdem nicht auf den Tisch. sonders für das Langlaufen getan. So war sieben Sachen parallel und ständig noch irgendwelche Schlagzei- weitere spannende Dimension. tet Sascha Urweider unter anderem konsequent auf Glutamat und www.urweider.ch er 1987 mitverantwortlich dafür, dass ein len im Kopf», ergänzt Teddy. «Kleine Dinge sind dort oben wich- www.gaulihuette.ch, www.hasliguides.ch Alex Kehrli schichte, und die sind Kehrli viel zu lieb, Er sammelt als dass er sie auf den Schrotthaufen wer- fen würde. Die Sammlung wird deshalb Autogeschichten laufend grösser. Längst ist sie von seinem Wohnhaus in Gadmen in den ehemaligen Ziegenstall übergeschwappt, auf den Vor- Alex Kehrli hat ein relativ unhandliches Hobby: er sammelt alte platz, weiter zur Remise gegenüber und zu VWs. An vielen verschiedenen Orten lagert unterdessen ein be- den kleinen Scheunen auf der grünen Wie- achtliches Stück Talgeschichte bei ihm ein. se, talabwärts zu Einstellplätzen bei Kolle- gen. Als Besucher in diesem wohl am we- «Es ist schon viel…», sagt Alex Kehrli und schlägt eine Plastikpla- nigsten organisierten «Museum» der Welt ne zurück. Unter einem Turm von Stossstangen, Dachträgern und verliert man schnell den Überblick. Irgend- Kisten kommt ein alter VW zum Vorschein. Er zuckt mit den wo steht ein Kübelwagen, dort ein Bully T1, Schultern: «Ich habe halt immer gesammelt. Das gehört irgendwie da der Käfer des Kaminfegers. An einem dazu.» Als kleinen Jungen nannten sie ihn «Truckli-Alex», weil er anderen Ort duckt sich ein VW Variant kostbare Dinge in Schachteln aufbewahrte. Und schöne Gegen- unter ein Tuch – das Auto eines ehemaligen stände gibt es viele in Alex Kehrlis Leben – er sammelt in erster KWO-Direktors – und draussen vor der Linie Autos, aber nicht nur. In seinen Lagerräumen finden sich Tür glänzt ein stylischer VW Karmann aus Schränke voller Zubehör: alte Aschenbecher, Rückspiegel, Wer- dem Jahr 1969. Zu Kehrlis liebstem Auto beschilder, Schrauben, Leisten und Lampen. Hinzu kommen dringt nur vor, wer über unzählige Lam- Schilder, Büchsen, «Truckli» eben, Bücher und alte Landmaschi- pen, Sitze, Auspuffe und Motoren klettert. nen. «Das Sammeln ist eine Last», seufzt er und lacht im gleichen Der «Grimsel-Express» steht auf einer Ga- Augenblick über sich selber. Denn er hat schon lange aufgegeben, lerie unter dem Dach. Der schwarz-rote sich gegen den Impuls anzustemmen. Vieles kriegt er auch ge- VW-Bus der ersten Generation diente einst schenkt, weil die Leute denken, beim Alex seien die Sachen gut dazu, Gäste auf der Oberaarstrasse an der aufgehoben. Tatsächlich – denn in jedem Objekt steckt eine Ge- Grimsel hin und her zu chauffieren. Noch früher gehörte das Auto dem Bäcker von Innertkirchen. Bevor Alex Kehrli sich dem «Grimsel-Express» annahm, diente der Bus als Werkzeugkasten in einem kleinen Betrieb. In der Szene der VW-Liebhaber kennt man den Sammler aus Gadmen, der im Sommer auf dem Bau arbeitet und im Winter in einem Sportgeschäft. Wenn es um Details geht, macht ihm sowieso nie- mand etwas vor: Kehrli weiss genau, wie originale Leisten aussehen und welche Passform der Türen für das jeweilige Mo- dell korrekt ist. Und doch geht es bei all dem um vielmehr als um Formalitäten: In Kehrlis Händen lagert ein Stück Alltags- Geschichte, die sich in Autos manifestiert.
12 grimselwelt12 grimselwelt · spitallamm baustelle 13 Sie war damals eine technische Sensation – heute, 90 Jahre nach dem Bau, beschert die Spitallamm-Staumauer der KWO Probleme. Die Mauer am Grimselsee mit den typischen «Treppenstufen» muss ersetzt werden, weil sich ein Spalt zwischen zwei unterschiedlich betonierten Teilen aufgetan hat. Die KWO wird eine zweite Mauer vor die alte Sperre setzen, um den See auch in Zukunft vollumfänglich nutzen zu können. Damit eröffnet sich Text: Annette Marti, Fotos: KWO für die nächsten sechs Jahre wieder eine Grossbaustelle an der Grimsel. S P I TA L L A M M : E I N E M A U E R S C H R E I B T G E S C H I C H T E N ichts ist technisch unmöglich, see doch ein wichtiger saisonaler Speicher, scheint die Botschaft der histori- der auch zur Netzstabilität im Winter bei- schen Fotos zu sein, die während trägt. dem Bau der Kraftwerke an der Grimsel aufgenommen worden sind. Wichtige Was also ist die beste Variante für einen Herren mit Hut und Anzug posieren vor Ersatz der historischen Spitallamm-Stau- entstehenden Bauwerken, ganze Brigaden mauer? Darüber zerbrachen sich die KWO- von Arbeitern pickeln sich durch Stollen, Ingenieure unter Einbezug verschiedener graben Schnee weg und wuchten von Experten in den letzten Jahren den Kopf. Hand oder mit einfachsten Hilfsmitteln Die Lösung, für die nun eine Baubewilli- riesige Apparaturen in Position. Durch die gung vorliegt und deren Realisation im gesamte Umgebung des Grimselsees zie- Sommer 2019 beginnen soll, sieht eine hen sich Gleise von Bahnen, Kabel, Mas- neue, doppelt gekrümmte Bogenstaumau- ten, Gerüste und Seilzüge. Baracken rei- er auf der Talseite der heutigen Sperre vor. hen sich dicht aneinander, ein riesiges Damit entsteht mehr als 90 Jahre nach den Kieswerk spuckt Material aus, während Pionierarbeiten an der Grimsel eine Bau- die Staumauern Meter um Meter höher stelle, die zu den spektakulärsten im Ge- wachsen. Die Bauarbeiten dauerten von birge überhaupt zählen wird. Bis die neue 1925 bis 1932, als neben dem Grimselsee Bogenmauer steht, wird es sechs Jahre auch der Gelmersee als erste Wasserspei- dauern. Logistisch und planerisch stellen cher der damals noch jungen KWO ihren sich dabei gewaltige Herausforderungen, Dienst antraten. Die Spitallamm-Stau- um den Betrieb der Kraftwerke nicht zu mauer, die Sperre mit den markanten Stu- stark zu beeinträchtigen, und die Baustelle fen, war eine der ersten richtig hohen neben Tourismus und Verkehr abwickeln Mauern der Schweiz. Man betonierte sie zu können (siehe Seite 17). Aufgrund der nach damaligem Kenntnisstand, es erga- Wetterbedingungen können die Bauarbei- ben sich jedoch bald Probleme mit der ten nur während fünf Monaten im Jahr Wärmeentwicklung beim Erhärten des Be- laufen, jeweils von Mai bis Oktober. Wäh- tons. Nach einer Saison passte man das Was hier zu sehen ist im Juni 1929, ist zum grössten Teil im Grimselsee verschwunden, rend dieser Zeit wird dann aber umso in- Vorgehen an und betonierte kleinere, unter anderem das alte Hospiz «Hotel Grimsel», vorne rechts. tensiver gebaut, an sieben Tagen die Woche durch Fugen getrennte Einheiten, so dass und rund um die Uhr. Die Sommersaison die Wärme besser entweichen konnte. Wand, und der Beton dehnt sich aus. Die- 2019 steht vor allem im Zeichen der Vor- Diese Hohlräume wurden nachträglich ses Phänomen hat auch der Spitallamm- bereitungsarbeiten. Noch wird von der gefüllt, doch die Trennungen entwickelten Staumauer zugesetzt. Die wasserseitige Horizontalriss neuen Mauer nichts zu sehen sein, aber die sich über die Jahre zu einem Problem. Scheibe entwickelte sich zu einer Schale, Zufahrtswege und Baustellenplätze wer- Zwischen dem wasserseitigen Teil und die mit dem Rest der Mauer nicht mehr den eingerichtet und ein neuer Erschlie- dem Hauptkörper auf der Talseite öffnete richtig im Verbund steht. «Die Fuge zwi- Vertikalriss ssungsstollen von der Seeuferegg-Mauer sich mit der Zeit ein Spalt, der sich über schen den beiden Elementen», so Schweg- (Bauwerks- unter dem Nollen hindurch zur Spital- Grimselsee die gesamte Länge der Mauer zieht (siehe ler, «hat sich über die Jahre weiter geöffnet. trennung) lamm-Sperre wird ausgebrochen. Gegen Skizze rechts). Längerfristig könnte dies zu Problemen Ende des Sommers 2019 soll der seitliche führen.» Hinzu kommt, dass innerhalb der Aushub für das neue Bauwerk beginnen. «Bei einer Bogenmauer werden die Belas- Mauer da und dort chemische Reaktionen tungen aus dem Wasserdruck zu den Fels- zu erwarten sind, was bedeutet, dass der Die alte Mauer wird auch nach der Fertig- flanken abgeleitet», erklärt KWO-Ingeni- Beton langfristig an verschiedenen Stellen stellung ihrer Zwillingsschwester nicht eur und Projektleiter Benno Schwegler. die Festigkeit verlieren könnte. Dies hat man verschwinden, denn ein Rückbau wäre «Heute vermeidet man Trennflächen in aufgrund von Bohrungen festgestellt. Die- kostspielig und in der gesamten Zeit müsste Längsrichtung, wie sie an der Spitallamm- ses sogenannte «Betonquellen» ist ein die Stromproduktion ohne das Stauvolu- Staumauer vorkommen, da sich dadurch Grund, weshalb sich die alte Mauer nicht men des Grimselsees stark eingeschränkt Schwachstellen bilden können.» Die An- einfach sanieren lässt, ganz abgesehen da- werden. Der Wasserspiegel zwischen den forderungen an das Bauwerk sind ohnehin von, dass der erwähnte Riss kaum solide beiden Mauern wird durch einen seitlichen sehr hoch. Nicht nur wegen des wechseln- «zugepflastert» werden könnte. Die Mauer Stollen ausgeglichen, damit muss die alte den Wasserdrucks, sondern auch, weil die ist weder einsturzgefährdet, noch stellt sie Mauer auch keine tragenden Funktionen Der Bau der Spitallamm-Staumauer Mauer Wind und Wetter ausgesetzt ist und sonst ein akutes Sicherheitsrisiko dar. lich sein, dass man den See nicht mehr mehr einnehmen. Die neue Mauer ist au- setzte neue Massstäbe im Kraft- im Extremfall auch einem Erdbeben stand- Wird sie aber nicht saniert, könnte es für ganz füllen dürfte, um die Mauer nicht zu sserdem so dimensioniert, dass sie bei einer werksbau. Die Aufnahme entstand im August 1930, zwei Jahre vor der halten muss. Wenn der Pegelstand des die KWO in ein paar Jahren dennoch pro- stark zu belasten. Das wäre aus wirtschaft- allfälligen späteren Seevergrösserung mit- Inbetriebnahme. Wassers tief ist, scheint die Sonne auf die blematisch werden. Es könnte dann näm- licher Sicht einschneidend, ist der Grimsel- wachsen kann.
grimselwelt · spitallamm baustelle 15 2020 Wie wird eine Baustelle im hochalpinen Gelände ab- gewickelt? Ab der Sommer- saison 2020 können In- teressierte Einblick nehmen, 3 94’000’000 m entweder von der Aussichts- Stauvolumen des Grimsel- sees, der grösste See im die plattform aus oder auf ein- em Baustellenrundgang. Netzwerk der KWO. SPITALLAMM- 3 220’000 m Für den Bau der neuen Spitallamm-Staumauer ist 1980 müm Das Alpinhotel Grimsel eine grosse Menge Beton Baustelle Hospiz liegt seit 1932 auf nötig. Das Volumen ent- dem Grimselnollen. Nicht spricht ungefähr 10 Prozent von ungefähr gilt es als der Kubatur der Cheops- Historisches Hotel der in Zahlen Pyramide. Betoniert wird Schweiz: 1142 war es das ohne Armierungen, denn erste urkundlich erwähnte eine Bogenstaumauer ist Gasthaus in der Schweiz. auf Druckspannung ausge- Damals stand das Hotel legt. Alle Kräfte werden noch weiter unten, im ge- zur Seite und in den Boden 113 m stauten Grimselsee (siehe abgeleitet. Die neue Spitallamm-Stau- Foto Seite 13). mauer wird gleich hoch werden wie die alte. Die Kronenlänge beträgt 212 Meter. Das Stauwerk ist 1925-32 Schon die Bauzeit der zwischen den Talseiten ersten Spitallamm-Stau- sowie gegen den See hin mauer nahm mehrere gekrümmt, eine soge- Jahre in Anspruch und war nannte doppelt gekrümmte ein eigentliches Pionier- Bogenstaumauer. werk. Die Mauer gehörte damals zu den höchsten Staumauern der Schweiz. Die alte Staumauer bleibt stehen. Bergstation der Hospiz- bahn, die im Winter als PERSONEN Zugang zum Grimsel Hospiz dient. Die Bahn zwischen Sommerloch und Nollen wird im Som- mer 2019 saniert und Die Bauzeit der neuen 2019-25 zukünftig im Selbstfahrbe- Mauer dauert insgesamt trieb funktionieren. 8 sechs Jahre, von 2019 bis 2025, wobei jeweils nur während ungefähr fünf Monaten im vom Früh- sommer bis zum Herbst Das Alpinhotel Grimsel gearbeitet werden kann. Für die Zufahrt zum obe- Hospiz bleibt im Sommer 3 ren Teil der Baustelle wird 80’000 m 2019 geschlossen. Die 350 m ein Stollen ausgebrochen. Zufahrt zum Nollen ist Das Portal befindet sich gesperrt. In den darauffol- Ein Verbindungsstollen unterhalb der Zufahrts- genden Sommersaisons ist sichert den Ausgleich des m 2019 strasse zum Grimsel Hospiz. das Hotel trotz Bauarbei- Seespiegels zwischen dem 180 ten geöffnet. Der Winter- Grimselsee und dem betrieb ist von den Arbei- Teilstück zwischen den Der für den Bau berechnete ten nicht tangiert. beiden Mauern. Fundamentaushub.
16 grimselwelt · spitallamm baustelle grimselwelt · spitallamm baustelle 17 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 Alpinhotel Grimsel Hospiz 220’000 m BETON, 3 umbau auf dem Winter- 6 Jahre NACHGEFRAGT BEI PROJEKTLEITER BENNO SCHWEGLER grimselnollen Ruheoase Im Frühsommer 2019 beginnen die Arbeiten für den Bau der neu- en Spitallamm-Staumauer. Obwohl in der ersten Phase der Gross- baustelle die Erschliessung und die Vorbereitungsarbeiten im Vor- dergrund stehen, wirkt sich dies bereits auf die Umgebung aus. BETONPHASE 2021 Die KWO nutzt diese spezielle Zeit dazu, auch an Hotel und In- frastruktur auf dem Grimsel Nollen einiges zu verbessern. Die grösste Einschränkung für Besucherinnen und Besucher wird 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 sein, dass das Alpinhotel Grimsel Hospiz den Sommer 2019 über geschlossen bleibt. Die Sanierungsmassnahmen betreffen das Dach des historischen Gebäudes, die Zufahrtstrasse und den Der Neubau der Spitallamm-Staumauer ist ein Projekt mit beein- Vorplatz. Weiter werden die Wärterwohnungen im Nebengebäu- druckenden Dimensionen. Was sind die grössten Herausforderun- de zu modernen Personalzimmern umgebaut und die Seilbahn gen im alpinen Gelände? vom Sommerloch hinauf zum Grimsel Hospiz wird im Sommer Benno Schwegler: Die KWO hat viel Erfahrung mit Baustellen im 2019 ebenfalls komplett neu gebaut. Im Dezember 2019 öffnet Hochgebirge, doch keine Frage: der Ersatz der Spitallamm-Stau- das Alpinhotel Grimsel Hospiz wieder seine Türen. Die Winter- mauer ist eine grosse Nummer. Knifflig ist die Planung, denn wir ruhe-Oase ist von den Bauarbeiten der neuen Staumauer auch in können wegen der Witterung jeweils nur während fünf Monaten den Folgejahren nicht betroffen. Gebaut wird während den ge- im Sommer arbeiten. Und falls es aussergewöhnlich kalt wird, samten sechs Jahren nur in den Sommermonaten. Ab Sommer müssen wir die Arbeiten einstellen. Bei allzu tiefen Temperaturen 2020 ist das Alpinhotel Grimsel Hospiz wieder offen. Ab 2020 kann man nicht betonieren. Deshalb dauert die Sache auch so lange. dürfte die Baustelle für die Gäste allmählich interessant werden. Zudem müssen wir uns auch vor Naturgefahren vorsehen. Exter- Das Besucherzentrum sowie eine Aussichtsplattform ermöglichen ne Spezialisten haben die Risiken von Lawinen, Steinschlag und es, die Dimensionen des Projektes zu erfassen. Für all jene, die Murgängen abgeklärt und Schutzmassnahmen definiert. sich ein genaueres Bild machen wollen, wird ein Baustellenrund- BETONPHASE 2022 gang mit verschiedenen Stationen angeboten. Ab Sommer 2020 Von welchem Zeitpunkt an wird man die neue Mauer effektiv ist auch das Spitallamm-Bistro, das 2019 nur Bauarbeiter ver- wachsen sehen? sorgt, für Besucher geöffnet. Im Sommer 2019 werden wir die Baustelle vorbereiten und die 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 Zufahrten erstellen. Der grösste Punkt ist der Ausbruch des Zu- In Sachen Verkehr ergeben sich durch die Baustelle ebenfalls ei- fahrtsstollens auf der Nollen-Seite, der sozusagen unter dem Ho- nige Veränderungen. Die Zufahrt zum Grimsel Nollen über die tel hindurch führt. Das ist auch ein Grund, weshalb das Hotel Seeuferegg-Staumauer ist gesperrt. Die Sidelhornbahn ist ausser nicht geöffnet bleiben kann. 2020 werden wir den Aushub der Betrieb. Für Wanderungen im Lauteraargebiet sowie für den Zu- Fundamente erledigen sowie die Stollen ausbrechen, die als Zu- gang zur Lauteraarhütte stehen im Sommer 2019 Parkplätze beim gang zu den Kontrollgängen in der Mauer dienen. 2021 werden Sommerloch zur Verfügung. Der Wanderweg führt von dort auf die Vorbereitungsarbeiten für das eigentliche Betonieren abge- der Westseite der Aare direkt hinauf zum Grimselsee, denn die schlossen sein. Ab Sommer 2021 und in den darauffolgenden Jah- Spitallamm-Staumauer kann nicht mehr überquert werden. Hier ren sieht man die Mauer wachsen. wie auch bei den anderen, mit der Baustelle verbundenen Ände- rungen, sind die Signalisationen zu beachten. Sie benötigen riesige Kubaturen Beton, woher beschaffen Sie das Material? Detaillierte Informationen über die Baustelle finden Wir werden das Ausbruchmaterial wieder aufbereiten sowie Ma- Sie unter www.grimselstrom.ch terial der alten Deponie bei der Gerstenegg verwenden. Dort la- gert Aushub vom Bau des Kraftwerks Grimsel 2, das wir wieder verwenden können. Insgesamt dürften rund 220’000 Kubikmeter BETONPHASE 2023 Beton verbaut werden. Die Aufbereitung der Zuschlagstoffe ge- schieht bei der Gerstenegg, das Betonwerk werden wir am Fusse l e nR und - el B a us t 2020 der Mauer errichten. So beschränken sich die Transporte auf ein g a b g an Minimum, trotzdem verläuft ein Teil des Baustellenverkehrs auf der Passstrasse, das konnten wir nicht anders lösen. Alternativen - 14 13 12 11 8 7 3 2 1 n Dimen e e mit d wie den Bau einer Transportseilbahn haben wir geprüft, sie er- Winterbetrieb ab 23. Dezember 2019 s te l l Eine Ba u au- Winter im Grimsel Hospiz bedeutet abschalten und entschleuni- wiesen sich aber als unrentabel. it al l amm- St der S p gen. Tief im Schnee versunken thront das historische Haus in- sionen iche in e al ltägl mitten einer unberührten Naturlandschaft. Bereits bei der ausser- ist ke Waren auch Alternativen im Gespräch, wie man das gesamte Pro- ir blem hätte anders lösen können? mauer a l b l aden w gewöhnlichen Anreise mit Luftseilbahnen und durch tiefe Stollen Desh lässt der Gast die Alltagswelt hinter sich. Die Atmosphäre im Wir haben verschiedene Varianten geprüft, natürlich. Unter an- c hichte. aus G es da s b auwerk Hotel ist persönlich, im Kamin prasselt ein derem untersuchten wir, ob es möglich wäre, die heutige Mauer sich Sie ein, en. Feuer und unter dem Sternendach wartet zu sanieren oder sie zu ersetzen, also zu einem Teil abzubrechen äh e a nzuseh ein dampfender Badebottich auf den Gast. und neu zu bauen. Bei diesen Varianten hätte der Pegel des Grim- der N die Aus - 2 0 is t Weitere Informationen zur Winter-Ruhe- er 20 u- Ab Somm selsees während mehreren Jahren abgesenkt werden müssen, was der Ba oase Grimsle Hospiz, finden sie auf un- für die KWO wirtschaftlich nachteilig wäre, denn ein geringeres o r m u nd lattf serer Webseite. Stauvolumen bedeutet weniger Wasser für die Stromproduktion sichtsp a n g offen. nrund g im Winter. Die Variante, für die wir uns entschieden haben, bringt stelle w w w.g r i m s e lwe l t .c h/g r i m s e l h ote l s ungefähr gleich hohe Investitionskosten, aber wesentlich geringere betriebliche Verluste. BETONPHASE 2024
14 grimselwelt14 18 · im gespräch grimselwelt · im gespräch 19 Annette Marti: Der Umbau der Energiebranche bringt radikale Än- und sind im Tourismus aktiv, der Dienst- derungen für ein Unternehmen wie die KWO. Was sind die mar- leistungsgedanke ist also da. kantesten Einschnitte? Daniel Fischlin: Wir erleben derzeit einen Kulturwandel. In der Die ganze Energiebranche ist in Bewegung. Wasserkraft waren in den letzten 90 Jahren die Einnahmen prak- Auf diese Prozesse haben Sie kaum Ein- tisch immer gesichert, alles war reguliert und es bestand bis Mitte fluss… der 1990er Jahre kein eigentlicher Markt. Diese Zeiten sind vor- Tatsächlich gibt es viele äussere Faktoren, bei: es gibt einen Umbruch. Wir stehen mit anderen Energieerzeu- die wir nicht beeinflussen können. Und da- gungsformen in Konkurrenz, und diese anderen Energien wurden bei ist nicht nur massgebend, was in der erst noch mit Beiträgen gefördert. Plötzlich steht die Wasser- Schweiz passiert, sondern auch in unseren kraft nicht mehr ganz so gut da. Diese Tatsache rüttelt an unse- Nachbarländern. So wird es beispielsweise rem Selbstverständnis. entscheidend sein, wie Deutschlands Fahr- plan in Hinsicht auf den Ausstieg aus der Wie begegnen Sie dieser Herausforderung? Kohlestromversorgung aussehen wird. Für Die entscheidende Frage, die ich mir als CEO stellen muss, ist: die Schweiz ist die Netzstabilität die grosse Sind wir als Betrieb so aufgestellt, dass wir mit den Unwägbar- Herausforderung. Im Winter wird es uner- keiten umgehen können? Aus diesem Grund haben wir einiges im lässlich sein, mehr Saisonspeicher wie Betrieb verändert, beispielsweise in der Digitalisierung. Die Kraft- Stauseen bereitzuhalten, um die Schwan- werke – und nicht nur unsere – funktionierten bisher weitgehend kungen der erneuerbaren Energien über ei- analog. Wir haben die Einführung von mobilen IT-Mitteln stark nen längeren Zeitraum ausgleichen zu vorangetrieben. So nutzen unsere Mitarbeitenden heute beispiels- können. Dieser Aspekt dürfte sich akzen- weise eine App, mit der sie Störungen erfassen können. Das bringt tuieren, sobald Mühleberg vom Netz geht. uns den Vorteil, dass wir alle Informationen in einem zentralen Dann verlieren wir nämlich im Winter not- System ablegen können. Zuvor war manches nicht so gut doku- wendige Bandenergie in der Schweiz. mentiert und es ging auch immer wieder Wissen verloren. Das können wir uns nicht mehr leisten. Ein Kohleausstieg sollte für die Wasserkraft eher ein Vorteil sein, oder nicht? Das Wissen einer Firma hängt auch von den Mitarbeitenden ab. Wie schwierig ist es, Fachkräfte zu finden? Längerfristig schon. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass die Strompreise ZUR PERSON Seit 2016 ist Daniel Fischlin CEO der Kraftwerke Oberhasli AG. Zuvor war er bereits bis 2014, während knapp vier Jahren, als Leiter Engi- Alles andere als einfach! Es geht uns wie vielen anderen Betrieben über kurz oder lang steigen werden. Wir neering bei der KWO tätig. Dazwischen verantwortete Fischlin als auch: Heute will kaum mehr jemand 30 Jahre in der gleichen Fir- sind ein wichtiges Rad im ganzen Gefüge. Leiter strategische Projekte bei der SBB Bewilligung, Projektierung ma arbeiten. Umso wichtiger ist es, wie wir Wissen abspeichern. Die Frage ist einfach: In welchen Zeiträu- und Realisierung verschiedenster Kraftwerke, wie beispielsweise Ein Beispiel: Unsere Turbinen werden im Durchschnitt etwa alle men denkt man? Bei unseren Aktionären Nant de Drance oder Ritom. Weitere berufliche Stationen Fischlins zehn bis fünfzehn Jahre revidiert. Bis jetzt war es so, dass die lang- sind verschiedene Themen auf dem Radar. sind die BKW Energie AG und die Pöyry Schweiz AG mit Schwer- jährigen Kraftwerksmitarbeitenden alles im Kopf hatten und die Diese Unternehmen haben sich teilweise punkt thermische Anlagen im In- und Ausland. Seine Karriere komplizierten Prozesse steuerten. Dieses Knowhow ist unheim- stark gewandelt, und sind nicht mehr nur startete Daniel Fischlin bei der ABB als Inbetriebssetzungs- und lich wertvoll und muss zugänglich gemacht werden, ansonsten in erster Linie Stromversorger, sondern Systemingenieur. sind wir nicht mehr flexibel genug. auch Dienstleistungsunternehmen. Da ist es mehr als verständlich, dass eher ein mit- DIE FRAGE IST: Das bedeutet, die Computer ersetzen bald die Kraftwerksmit- telfristiger zeitlicher Fokus eine Rolle einen politischen Erdrutsch sein. Denken Sie nur an die Katastro- arbeitenden? spielt. Dies steht jedoch im Widerspruch zu phe von Fukushima, die dazu führte, dass der Atomausstieg prak- Nein, das nicht. Es geht darum, spezifisches Wissen besser zu- den Zeiteinheiten, in denen sich die Kraft- tisch von einem Tag auf den anderen politisch machbar wurde. gänglich zu machen und Weiterbildungen zu fördern. Es ist auch werke bewegen, da geht es in der Regel um wichtig, dass wir unsere Mitarbeitenden an verschiedenen Orten mehrere Jahrzehnte. Was bedeutet dies für Ihre Ausbauprojekte? Priorität hat, dass die verschiedenen Projekte Bewilligungsreife erreichen. Beim Projekt Trift wird es noch ungefähr drei Jahre dauern, bis eine Baubewilligung vorhanden sein könnte. Dort ist mir der Austausch mit den Umweltverbänden und mit der Bevöl- kerung von Gadmen sehr wichtig. Die Erhöhung der Staumauer am Grimselsee ist aufgrund des Verfahrens am Verwaltungsge- richt weiter blockiert. Die Ausbauprojekte Kraftwerke Grimsel 3 und 1E wären soweit bereit, dass ein Baugesuch eingereicht wer- den könnte. Eine Art «Aufklärungsarbeit» für die KWO betreiben Sie mit dem touristischen Engagement. Dies ist also nicht in Frage gestellt? Für mich ist klar: Die touristischen Angebote sind ein wichtiger Bestandteil der KWO. Dieses Engagement ist für uns von grossem Nutzen. Allerdings müssen diese Angebote selbsttragend sein. Die FIT GENUG? «Kraftwerke zum Anfassen» erhöhen das Verständnis für unsere Daniel Fischlin, CEO der KWO, Arbeit und die Leute verstehen, welcher Aufwand hinter der Was- erklärt, wie wichtig der Die Liberalisierung des Strommarktes be- serkraft steckt. Umgang mit Wissen in den deutet ja gerade, dass die Marktmechanis- unsicheren Zeiten der men frei spielen… Die KWO ist ein wichtiger Player im Oberhasli. Wenn ein solches Energiewende ist. Für seinen Noch ist die Versorgung in der Schweiz Unternehmen kränkelt, löst das Unsicherheit aus. Betrieb bedeutet dies unter grösstenteils in öffentlicher Hand, die Ak- Die Partnerschaft mit der Region war der KWO immer sehr wich- anderem, zahlreiche Prozesse tionäre sind Gemeinden und Kantone. In tig, und das ist heute nicht anders, auch wenn sich die Zeiten ge- zu digitalisieren. Ländern wie Deutschland, USA oder Aus- ändert haben. Früher konnte die KWO die Anliegen aus der Re- tralien liegt die Versorgung häufig in pri- gion in einem grösseren Umfang unterstützen als dies heute einsetzen können und nicht nur in dem einen Kraftwerk, wo sie vaten Händen. Die Schweiz wird sich Ge- möglich ist. Denn wir müssen marktfähig bleiben. Umso wichtiger immer schon gearbeitet haben. Das bedingt, dass sie schnellen danken machen müssen, wie sie die sind Kooperationen und Partnerschaften unter den Akteuren, die Zugang zu Informationen haben müssen. Solche Umstellungen Verantwortung im Spannungsfeld zwi- sich gemeinsam für die Entwicklung der Region einsetzen und brauchen Zeit, das ist klar. Wenn wir es aber geschickt anstellen, schen Versorgung und Dienstleistung or- vorhandene Synergien nutzen. Das braucht gegenseitiges Ver- können wir mit unserem Wissen sogar ein Schulungsmodell auf- ganisiert. Manchmal frage ich mich, was ständnis und die Bereitschaft für eine engere Zusammenarbeit. bauen und externe Personen ausbilden. Die KWO wäre dazu prä- passieren würde, käme es zu einem Black- Das bedeutet, wir müssen gut kommunizieren, alle Akteure ein- destiniert: Wir haben mit Grimsel Hydro eine eigene Werkstatt out. So ein Ereignis könnte die Ursache für binden und versuchen, möglichst gute Lösungen für alle zu finden.
20 grimselwelt · baugruppe grimselwelt · baugruppe 21 beim Chapf erweitert». «Vorne» und «hinten» machen als Begrif- fe in der finsteren Unterwelt wenig Sinn, ausser man kennt die vielen Stollen und Gänge so gut wie Bürki, der die Baugruppe der KWO leitet. Er kann fast jeden Winkel des weit verzweigten Sys- tems seiner mentalen Landkarte zuordnen. Wer über keine solche virtuelle Karte im Kopf verfügt, verliert die Dimensionen im Dun- keln. Zur Verwirrung trägt bei, dass sich der Schall in den Gän- gen schnell ausbreitet und man den Stollenlader deshalb hört, ob- schon er über fünf Kilometer weiter weg arbeitet. Für Bürki und seinen neunköpfigen Bautrupp sind solche Bedingungen alltäglich. Die Arbeiter bewegen sich schlafwandlerisch sicher im Netz des Wasserkraftwerks, kennen Ein- und Ausgänge, fahren durch Tun- nels oder kriechen in Röhren. Je nachdem, wo ihr Einsatz gerade benötigt wird. Die Aufgaben sind vielseitig: Mal gilt es etwas aus- zubessern, Ausbrüche zu flicken oder Steine und Dreck wegzuräu- men, dann wieder braucht es bauliche Massnahmen im Brand- schutz, für die Leittechnik oder am Gebäudeunterhalt. Wenn während einer Entleerung – wie in diesen Wochen im November – kein Wasser durch die Stollen fliesst, machen zwar die Turbinen Pause, für die Bauleute geht es aber umso hektischer zu und her. Viele Orte sind nun zugänglich, die sonst während Jahren von Wasser bedeckt sind. Bürki wanderte mit Hüftstiefeln und Stirn- lampe ausgerüstet durch rund 40 Kilometer Stollen, um Mängel zu erkennen. So säuberte sein Trupp im Triebwasserstollen zwi- schen Handeck und Chapf einen Sandfang, bevor sie sich an ei- nem weiteren Ort im weit verzweigten System zu schaffen mach- ten, nämlich im Gebiet Ärlen, hoch über dem Hotel Handeck. Die Fahrt zur Baustelle führt uns vorerst wieder ans Tageslicht, beim Kraftwerk Handeck werden wir allerdings gleich wieder von einem langen Tunnel verschluckt. Daniel Bürki meldet die Fahrt bei der Leitstelle und gibt zur Sicherheit an, wie lange und wo ge- nau wir unterwegs sein werden. Nach verschiedenen Abzweigun- gen und Kehren öffnet sich plötzlich eine grosse Türe und wir fahren hoch über dem Tal aus dem Berg heraus. Über eine Schot- terpiste geht es zur Unteren Grubenbachfassung. Rolf Steinmann, Christian Thüring und Martin Gehrig haben bereits verschiedene Sie kennen das weitverzweigte System der KWO wie ihre Arbeiten an der Entsanderanlage erledigt und sind nun dabei, die Hosentasche: Martin Gehrig, Rolf Steinmann, Stefan Granitsteine der Wasserfassung auszufugen. Den Einfluss aus dem Ammeter und Christian Thüring im Einsatz unter Tag. Klemmt etwas im System der KWO, Bachbett haben sie mit einer Plane überdeckt, so dass sie am Tro- ckenen arbeiten können. Martin Gehrig macht sich Sorgen wegen kommt die Baugruppe zum Einsatz. dem Wetter. Für das Wochenende ist Schnee angesagt und Gehrig Daniel Bürki und seine neun Mitarbeiter bespricht sich mit Bürki, ob sie die Baustelle an der Grubenbach- kennen die komplexen Anlagen wie fassung nicht besser schon winterdicht abschliessen sollten. Fällt ihre Hosentasche, auch dort, wo vieles auf dieser Höhe Mitte Oktober Schnee, kann dies bedeuten, dass der Winter definitiv Einzug hält. Auch an weniger exponierten im Dunkeln liegt. Stellen und sogar in den unterirdischen Gängen ist das Wetter stets ein Thema. In den Stollen ist nämlich fast immer ein Luftzug Der Lichtkegel der Stirnlampe schwenkt spürbar und je nach Niederschlag fliesst auch Wasser. Diese Fak- suchend hin und her. Die Stiefel geraten toren erhöhen die Herausforderungen auf den alpinen Baustellen, immer wieder in eine schmierige Masse, ganz abgesehen davon, dass es jedes Mal einen grossen Aufwand von der sie sich mit einem langen Schmat- bedeutet, Zugang und Beleuchtung zu installieren und die Was- zer lösen. Aus dem Innern des Berges ist serwege abzusichern. «Oft können wir auch Maschinen nur be- ein dumpfes Brummen zu hören. Alle an- grenzt einsetzen, weil es einfach zu eng ist», erklärt Martin Geh- deren Geräusche der «normalen» Welt rig, «so müssen wir sogar das Material von Hand hinschaffen und sind ausgesperrt. Wir befinden uns im wieder wegbringen.» Aus all diesen Gründen, ergänzt Daniel Bür- Bauch der Erde, in einem Wasserstollen der ki, sei es enorm wichtig, dass seine Leute die Anlagen gut kennen. KWO zwischen den Kraftwerk Handeck «Wir arbeiten zwar an kleinen Puzzlesteinen, aber die Zusammen- und dem Wasserschloss Chapf, der ausser hänge in diesem vielfältig verbundenen System sind sehr kom- Betrieb ist. «Das Geräusch kommt vom plex», sagt er. In einem solch ausgeklügelten Mechanismus muss Motor des Stollenladers», sagt Daniel Bürki, jedes Detail stimmen – und dafür ist nicht selten auch der Bau- «im Moment wird der Sandfang vorne trupp verantwortlich.
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