DSTGB DOKUMENTATION NO 155 - INSEKTENSCHUTZ IN DER KOMMUNE
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DStGB DOKUMENTATION NO 155 INSEKTENSCHUTZ IN DER KOMMUNE Deutscher Städte- und Gemeindebund Deutscher Städte- und Gemeindebund www.dstgb.de
INHALT Vorwort des Bundesamtes für Naturschutz 3 Vorwort des Deutschen Städte- und Gemeindebundes 4 1 Einleitung 5 3 Insektenschutz in Landschafts- und Bauleitplanung sowie in kommunalen 2 Insektenschutz auf Flächen in Satzungen 27 kommunaler Selbstverwaltung 8 2.1 Grünflächen 9 4 Umweltbildung, Bewusstseinsbildung 2.2 Gehölze und Hecken 16 und Wettbewerbe 30 2.3 Gewässer 18 4.1 Umwelt- und Bewusstseinsbildung 31 2.4 Gebäudestrukturen 19 4.2 Wettbewerbe 35 2.5 Offene Bodenstellen 20 2.6 Sonstiger Siedlungsbereich 21 5 Finanzierungsmöglichkeiten 37 2.7 Kommunale Flächen in der Agrarlandschaft 23 6 Glossar 39 2.8 Vorbereitungsphase zur Umsetzung von Maßnahmen 25 7 Literaturverzeichnis 40 IMPRESSUM Herausgeber: Deutscher Städte- und Gemeindebund Redaktion: Dr. Sandra Balzer (BfN, Fachgebiet Zoologischer Artenschutz), Florian Mayer (BfN, Fachgebiet Landschaftsplanung, räumliche Planung und Siedlungsbereich) Autorinnen: Dr. Melanie Mewes (BfN, Fachgebiet Landschaftsplanung, räumliche Planung und Siedlungsbereich) & Dr. Jasmina Stahmer (BfN, Fachgebiet Zoologischer Artenschutz) unter Mitwirkung von Dr. Timm Reinhardt (BfN, Fachgebiet Zoologischer Artenschutz) und Dr. Sandra Skowronek (BfN, Fachgebiet Botanischer Artenschutz) Gestaltung, Satz und Druck: W&S Epic. GmbH, Burgwedel Fotos Titel (von oben, von links): Melanie Mewes, Jasmina Stahmer, Stadt Osnabrück/Frank Bludau, Timm Reinhardt, Jürgen Gerdes, Corinna Rickert, Timm Reinhardt, Melanie Mewes. Seite 3: Ursula Euler/BfN. Seite 4: Bernardt Link/DStGB. Seite 5 (von oben): Corinna Rickert, Corinna Rickert, Jens Schiller, Corinna Rickert, Jasmina Stahmer, Jasmina Stahmer, Corinna Rickert. Seite 6 (von links): Corinna Rickert, Jasmina Stahmer, Corinna Rickert, Jasmina Stahmer. Seite 7: Jasmina Stahmer. Seite 8: Timm Reinhardt. Seite 9 (linke Spalte, von oben): Jasmina Stahmer, Jens Schiller, Jens Schiller; (rechte Spalte, von oben): Timm Reinhardt, Melanie Mewes, Timm Reinhardt. Seite 11 (von links): Jens Schiller, Jens Schiller. Seite 12 (von links): Jens Schiller, Timm Reinhardt, Corinna Rickert. Seite 13 (linke Spalte, von links): Corinna Rickert, Timm Reinhardt; (rechte Spalte, links): Jens Schiller, Jens Schiller; (rechte Spalte, rechts): Timm Reinhardt. Seite 15 (oberer Kasten, von links): Jürgen Gerdes, Martin Bücker, Jürgen Gerdes; (unterer Kasten, von oben): Stadt Riedstadt. Seite 16 (Kasten oben): Stadt Riedstadt (4); (unten, linke Spalte, von links): Jasmina Stahmer, Jens Schiller; (rechte Spalte): Timm Reinhardt (2). Seite 17: Timm Reinhardt. Seite 18 (linke Spalte, von oben): Jens Schiller, Melanie Mewes; (rechte Spalte, von links): Corinna Rickert, Jens Schiller. Seite 19 (von oben, von links): Timm Reinhardt, Jasmina Stahmer, Elisabeth Isenberg. Seite 20 (oben links): Melanie Mewes; (rechte Spalte, von oben): Carina Bruns, Jasmina Stahmer. Seite 21 (von links): Jens Schiller, Timm Reinhardt. Seite 22: Jasmina Stahmer. Seite 22/23 (Kasten oben): Stadt Fulda/Christian Tech. Seite 23: Pia Schubert. Seite 25 (von links): Jens Schiller, Timm Reinhardt. Seite 26: Melanie Mewes. Seite 27: pixabay.com/photosforyou. Seite 29: Elisabeth Isenberg (3). Seite 30: shutterstock.com. Seite 31 (von oben, von links): Jasmina Stahmer, Timm Reinhardt, Corinna Rickert. Seite 32 (von oben, von links): Timm Reinhardt, Corinna Rickert, Melanie Mewes. Seite 33 (von links): Timm Reinhardt, Melanie Mewes. Seite 34: Jasmina Stahmer. Seite 35 (von links): Corinna Rickert, Jasmina Stahmer. Seite 36: Stadt Osnabrück/Frank Bludau (4). Seite 37: Corinna Rickert. Seite 38: Melanie Mewes. Seite 43: W&S Epic./eo.
VORWORT DES BUNDESAMTES FÜR NATURSCHUTZ Der Rückgang der Vielfalt und der Häufigkeit von Insekten hat mittlerweile eine breite Öffent- lichkeit erreicht. Insekten erfüllen wichtige ökologische Funktionen in Nahrungs- und Stoff- kreisläufen. Ihre damit verbundenen Leistungen gehen weit über die Bestäubung hinaus. Sie umfassen beispielsweise auch die Zersetzung von pflanzlichem und tierischem Material oder die Bereitstellung von Nahrungsgrundlagen für andere Tiere. Insekten sind damit für uns Menschen wie auch in ihrer Rolle in der Natur unersetzlich. Zu ihrem massiven und mittlerweile durch eine ganze Reihe von Studien belegten Rückgang tragen unterschiedliche Faktoren bei. Zu nennen sind insbesondere qualitative Veränderungen und die Zerstörung ihrer Lebensräume, unerwünschte Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln oder Beeinträchtigungen durch künstliche Lichtquellen. Es ist daher nötig, Insektenlebensräume in ausreichender Quantität und Qualität zu erhalten und – wenn nötig – wiederherzustellen, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Auch Lebensräume und Strukturen im Siedlungsbereich können hier wesentliche Beiträge leisten. In dem von der Bundesregierung 2019 verabschiedeten Aktionsprogramm zum Insektenschutz wird daher ausdrücklich auch der Siedlungsbereich als Handlungsfeld benannt. Städte und Gemeinden haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie öffentliche Grünflächen, Wald in kommunalem Eigentum, Weg- und Straßenränder, nachgeordnete Gewässer und Gräben gepflegt und bewirtschaftet werden. Sie können über ein zielgerich- Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundes- tetes Pflege- und Bewirtschaftungsregime die Lebensbedingungen für Insekten deutlich amtes für Naturschutz (BfN) verbessern. Ferner gibt es zahlreiche Möglichkeiten durch eine naturnahe Gestaltung solche Lebensräume neu zu etablieren, die für Insekten geeignet sind. Oft können das einfache Maß- nahmen sein wie die Anlage von Blühstreifen, blüten- und damit artenreichen Wiesen, Brach- flächen, Staudenfluren oder auch Hecken. Daneben haben Kommunen die Möglichkeit, bereits im Rahmen ihrer kommunalen Planungen, unter anderem bei der Bauleitplanung, frühzeitig Flächen zu sichern oder auch gezielt eine Entwicklung von Flächen vorzusehen, auf denen Maßnahmen des Insektenschutzes umgesetzt werden können. Nicht zuletzt sollten gerade auf kommunaler Ebene Bürgerinnen und Bürger verstärkt ermuntert werden, beim Schutz der Insekten mitzuwirken, indem ihre Eigeninitiative unterstützt und bürgerschaftlichem Engage- ment Raum gegeben wird. Es freut mich sehr, dass diese Publikation in einer Kooperation des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB) mit dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) erstellt werden konnte. Denn viele Städte und Gemeinden sind bereits mit guten Beispielen vorangegangen und haben zahlreiche Maßnahmen zum Schutz von Insekten umgesetzt. Der Prämisse folgend, dass anschauliche Beispiele die besten Lehrmeister zu sein pflegen, zeigt die Broschüre vielfältige Handlungsmöglichkeiten von und für Kommunen bei der Anlage und Entwicklung von Insektenlebensräumen auf. Lassen auch Sie sich dadurch weiter anregen, um in Ihrer Gemeinde und Ihrem Wohn- umfeld für den Insektenschutz aktiv zu werden! Bonn, im September 2020 Prof. Dr. Beate Jessel Insektenschutz in der Kommune | 3
VORWORT DES DEUTSCHEN STÄDTE- UND GEMEINDEBUNDES Die Gesamtmenge der Insekten aber auch die Vielfalt der Insektenarten in Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch zurückgegangen. Das bringt die Natur aus dem Gleichgewicht. Wertvolle Leistungen, die Insekten für die Menschen erbringen, gehen verlo- ren – von der Bestäubung, über die natürliche Schädlingsbekämpfung, die Gewässerreinigung bis hin zur Erhaltung fruchtbarer Böden. Den Rückgang der Vielfalt und Arten aufzuhalten, ist daher eine zentrale Herausforderung für alle Akteure. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den Städten und Gemeinden sowie ihren Bürgerinnen und Bürgern zu. Vor diesem Hintergrund gewinnen Belange der Biodiversität und damit des Insekten- schutzes immer mehr an Bedeutung. Neben dem Klimaschutz und der Anpassung an die Fol- gen des Klimawandels steht auch dieses Thema längst auf der kommunalpolitischen Agenda. Bereits im Jahr 2012 wurde das Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“ gegründet. Inzwi- schen haben sich über 200 Kommunen dem Bündnis angeschlossen, die ihre öffentlichen Grünflächen naturnah gestalten oder verbaute Gewässer renaturieren. Hecken und blüten- reiche Wiesen statt Monokulturen sind überlebenswichtig für Insekten, Vögel und viele andere Tierarten. Zu der Bekämpfung des Insektenrückgangs gehört damit insbesondere auch ein grundsätzlich restriktiverer Umgang mit Pestiziden. Bisher haben sich über 500 Städte und Gemeinden entschieden, ihre Grünflächen ohne Pestizide oder mindestens ohne Glyphosat Dr. Gerd Landsberg, zu bewirtschaften. Hauptgeschäftsführer Auch das von der Bundesregierung im Jahr 2019 beschlossene „Aktionsprogramm Insek- des Deutschen Städte- tenschutz“ als das bisher umfangreichste Maßnahmenpaket war ein Schritt in die richtige und Gemeindebundes Richtung. Die hierfür als Sofortmaßnahme zur Verfügung gestellten fünf Millionen Euro pro Jahr aus dem „Bundesprogramm Biologische Vielfalt“, das besondere Augenmerk auf den Möglichkeiten der deutschen Städtebauförderung für den Artenschutz und der ausgerufene Bundeswettbewerb „Naturstadt – Kommunen schaffen Vielfalt“, an dem sich 332 Kommunen beteiligt haben, schaffen neue Anreize für Städte und Gemeinden. Mit der vorliegenden Dokumentation „Insektenschutz in der Kommune“ möchten wir gemeinsam mit dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) anhand von zahlreichen Praxisbeispielen aufzeigen, welche Potenziale für den Insektenerhalt in der Gestaltung und Pflege der kommunalen Grünflächen verborgen liegen. Die Dokumenta- tion soll Städten und Gemeinden Inspiration bieten, um insektenfreundliche und nachhaltige Projekte vor Ort umzusetzen. Berlin, im September 2020 Dr. Gerd Landsberg 4 | Insektenschutz in der Kommune
Beispiele für die bekanntesten Insektengruppen Hautflügler: Rothaarige Wespenbiene 1 | Einleitung Insektenvielfalt und Gefährdungssituation Zweiflügler: Große in Deutschland Schwebefliege Insekten sind die artenreichste Gruppe aller Lebewesen und stellen gut 70 Prozent der Tierarten weltweit. In Deutschland sind von den insgesamt etwa 48 000 erfassten wildlebenden Tierarten über 33 000 Arten Insekten. Sie sind damit ein wesentlicher Bestandteil der biologischen Vielfalt und kommen in nahezu allen Lebensräumen sowohl an Land als auch in Gewässern vor. Die bekanntesten Insektengruppen und ihre Artenzahlen (nach Völkl & Blick 2004) sind in Abbildung 1 dargestellt. Käfer: Laubholz- Zangenbock Libellen 80 Arten Heuschrecken 85 Arten Weitere 4300 Hautflügler Arten (u. a. Bienen, Hummeln, Wespen, Ameisen Schmetterlinge 9300 Arten Schmetterlinge: 3600 Arten Kleiner Fuchs Käfer 6500 Arten Zweiflügler (u. a. Fliegen, Mücken) Abbildung 1: Artenzahlen 9200 Arten Heuschrecken: der bekanntesten Insekten- Punktierte gruppen in Deutschland Zartschrecke In den vergangenen Jahrzehnten hat die Artenvielfalt der Insekten abgenommen, aber auch die Häufigkeit der Insektenindividuen ist zurückgegangen. In den vom Bun- desamt für Naturschutz veröffentlichten Roten Listen1 der gefährdeten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten Deutschlands wurden anhand von bundesweit repräsentativen Daten bisher insgesamt knapp 7000 Insektenarten hinsichtlich ihres langfristigen Bestands Libellen: trends ausgewertet. Eine negative Entwicklung wurde für 45 Prozent dieser Insekten- Zweigestreifte arten belegt. Bei den Köcherfliegen liegt der Anteil sogar bei 96 Prozent. Neben den Quelljungfer Tagfaltern mit 64 Prozent der Arten und den Ameisen mit 60 Prozent, weisen auch die Zikaden mit 52 Prozent überdurchschnittlich viele Arten mit langfristig rückläufigem Trend auf. Ebenso sind die Bestände der Wildbienen und die der Laufkäfer bei jeweils 1 Die Rote-Liste-Einstufung beinhaltet unter anderem die Bewertung eines langfristigen Bestandstrends für Weitere Arten: jede Art. Der langfristige Trend beschreibt – je nach Informations- und Datenlage – die Entwicklung der Bestände der Arten über die zurückliegenden 50 bis 150 Jahre vor Rote-Liste-Erstellung. Weitere Informa- Gemeine tionen finden Sie unter: https://www.bfn.de/themen/rote-liste.html oder in Ries et al. (2019). Feuerwanzen Insektenschutz in der Kommune | 5
45 Prozent der Arten zurückgegangen. Von einem lang unter den Rüsselkäfern Arten, welche die Blütenköpfe spe fristigen Rückgang sind nicht nur Insekten betroffen, die vor zieller Distelarten zur Eiablage benötigen. Die Überwin- allem fliegend im Luftraum anzutreffen sind, sondern auch terung erfolgt bei vielen Insektenarten in nicht mobilen solche, die am Boden oder in Gewässern leben und kaum Stadien zum Beispiel als Ei oder Puppe an Pflanzenstän- fliegen. Eine langfristige Zunahme konnte dagegen nur bei geln, Baumrinde oder im Boden. Die Vernetzung der unter- insgesamt zwei Prozent der bislang untersuchten Insekten- schiedlichen Lebensräume für Fortpflanzung, Entwicklung arten festgestellt werden. und Nahrungsaufnahme ist für Insekten sehr wichtig, denn Gründe für den Insektenrückgang in Deutschland, aber schon der Verlust einer dieser Teillebensräume kann zum auch weltweit, sind vor allem die Zerstörung und die Ver- Verlust von Insektenarten führen. änderung von Lebensräumen. Die Lebensweise und damit Diese Vielfalt an Insekten mit den jeweils sehr unter- die Ansprüche an ihre Lebensräume sind bei Insekten sehr schiedlichen Ansprüchen an ihre Lebensräume verdeutlicht, vielfältig. So sind die Ausstattung und die Vernetzung von welche Herausforderungen der Schutz der Insektenvielfalt Habitaten, die Art der Nahrung oder das Kleinklima von gro- und der Erhalt ihrer Lebensräume darstellen. Wichtigstes ßer Bedeutung. Zudem können die Lebensraumansprüche Ziel muss sein, den Verlust an Lebensräumen zu stoppen, je nach Entwicklungsstadium (Ei, Larve, adultes Tier) oder vielfältige Lebensräume zu erhalten, durch Vernetzung auch Jahreszeit unterschiedlich sein. Libellen und Köcher- einen Lebensraumverbund zu erhalten bzw. neu zu schaf- fliegen leben beispielsweise den Großteil ihres Lebens als fen sowie vor allem auch die Qualität der Lebensräume für Larven in Gewässern und die erwachsenen Tiere danach als Insekten dauerhaft zu verbessern. geflügelte Insekten an Land. Manche Käferarten leben als Bedeutung von Insekten in Ökosystemen Larve im Boden, im Totholz oder in bestimmten Pflanzen- Insekten erfüllen wichtige ökologische Funktionen wie teilen (Blätter, Stängel, Früchte usw.) und als erwachsene Bestäubung und in Stoff-, Nahrungs- sowie Wasserkreisläu- Käfer auf der Bodenoberfläche oder in der Strauchschicht. fen. Dies wird anhand der folgenden Beispiele in der Box Einige Schmetterlingsarten fressen als Raupe nur an einer verdeutlicht. bestimmten Pflanzenart. Auch bei der Eiablage können Der Rückgang von Insekten kann tiefgreifende Konse- Insekten hochspezialisiert sein. So gibt es beispielsweise quenzen für die Funktionsfähigkeit eines Ökosystems und Beispiele für Bestäubung durch verschiedene Insektengruppen Stoffkreislauf Insekten sind bei der Zersetzung und dem Abbau organischer Substanz wie Aas, Laub und Totholz maßgeblich beteiligt (z. B. Wes- pen, Aaskäfer, Holzkäfer, Fliegen). Sie tra- gen zudem wesentlich zur Humusbildung und der Bodenbelüftung bei (z. B. boden- lebende Insektenlarven). Ohne Insekten Großer Wollschweber Goldglänzender Rosenkäfer Gewöhnliche Binden- würde der Abbau organischer Reststoffe sandbiene wie Dung oder Falllaub entscheidend Blütenpflanzen verlangsamt. Ameisen sorgen durch ihre Zu den Bestäubern in Deutschland zählen zum Beispiel Insektengruppen wie hohe Individuenzahl besonders effektiv für Wildbienen, Fliegen – insbesondere Schwebfliegen – und Schmetterlinge. Von den Abtransport und die Verwertung von wildlebenden Insekten besuchte (Nutz-)Pflanzen bringen deutlich mehr Frucht- pflanzlichem und tierischem Material. Sie ansätze hervor als ausschließlich von Honigbienen bestäubte Pflanzen. Fallen bewirken damit auch die Umschichtung einzelne bestäubende Arten aus, können diese „Lücken“ im Bestäubernetzwerk von Bodenmaterial. zwar mitunter von anderen Insektenarten ausgefüllt werden, jedoch können dadurch Qualität und Quantität der Bestäubung insgesamt zurückgehen. Die Verbreitung von Samen erfolgt nicht nur durch den Wind oder durch Vögel, Pinselkäfer: die Larven sondern auch durch Insekten wie Ameisen, die Pflanzensamen als Nahrung entwickeln sich in sammeln und zum Nest transportieren. Holz von Laubbäumen 6 | Insektenschutz in der Kommune
seiner Leistungen für den Menschen haben, welche weit in kommunalen Bereichen erheblich zum Verlust von Insek- über die Bestäubungsleistung der Insekten hinausgehen. ten beitragen. Hier ergeben sich zahlreiche Ansatzpunkte, Des Weiteren sind Insekten die wesentliche Nahrungsgrund- dem Insektenrückgang durch konkretes Handeln in den lage für viele größere Tiere wie Vögel, Reptilien, Amphibien Kommunen entgegenzuwirken und Synergien zu anderen und Säugetiere, aber auch für andere räuberische Insekten Handlungsfeldern der Kommunen zu schaffen (vgl. Box und Spinnen. Der Rückgang an Insekten wirkt sich daher Synergien). unmittelbar auf andere Pflanzen- und Tierartengruppen in Deutschland aus. Synergien h hutz haben gleichzeitig auc Bedeutung der Kommunen für den Insektenschutz Maßnahmen zum Insektensc In Städten und Gemeinden finden sich viele potenzielle positive Auswirkungen auf - r für die Gesundheitsförde Lebensräume für Insekten wie zum Beispiel auf Grünflächen, den Nutzen von Stadtnatu n zudem einen Bei trag zur an Gehölzen oder Gebäudestrukturen, auf Brachflächen rung. Mehr Stadtnatur kan orte Grünraumversorgung sowie in Gewässern. Mit der Gestaltung, Bewirtschaftung Umweltgerechtigkeit (Stichw urerfahrungsräume) leisten und Pflege dieser Flächen haben Kommunen einen erheb- und Erholungsvorsorge, Nat lichen Einfluss darauf, diese Lebensräume insektenfreund- (vgl. BMU 2019b). : lich zu gestalten, um die Insektenvielfalt zu erhalten und zu ernden Klimabedingungen die Folgen der sich veränd n und Gemeinden können fördern. Maßnahmen wie die Verwendung einheimischer Naturnahe Flächen in Städte issen große Mengen Wasser Pflanzenarten oder die Reduzierung der Mahdhäufigkeit helfen, bei Starkregenereign wieder abzugeben. Außer- und die gestaffelte Bewirtschaftung haben beispielsweise aufzunehmen und langsam r Wasserflächen eine küh- sehr positive Effekte. Dagegen können der innerstädtische dem üben Grün-, Gehölz- ode gebung aus und verringern Bebauungsdruck, die zunehmende Flächenversiegelung lende Wirkung auf die Um sowie die Bewirtschaftung und Gestaltung innerstädtischer mögliche Hitzebelastungen. Grünflächen und deren intensive Nutzung durch Erho- lungssuchende, aber auch der Einsatz von Dünge- und Die Handlungsmöglichkeiten von Kommunen für den Insek- Pflanzenschutzmitteln sowie die nächtliche Beleuchtung tenschutz lassen sich dabei in unterschiedliche Handlungs- bereiche einteilen. Es gibt zunächst vielfältige, auch einfach umzusetzende Maßnahmen, die direkt auf den Flächen in kommunaler Selbstverwaltung durchgeführt werden können (vgl. Maßnahme 2.3 Aktionsprogramm Insekten- Goldwespen haben eine parasitische schutz, BMU 2019a). Mit diesen können Kommunen auch Lebensweise eine Vorbildfunktion gegenüber der Bevölkerung wahr- nehmen (z. B. Verwendung einheimischer Pflanzenarten für Grünflächen). Ein weiterer großer Handlungsbereich für die Nahrungskreislauf Kommunen ist die Integration von Insektenschutz in der Räuberische Insekten (z. B. Wespen, Landschafts- und Bauleitplanung sowie in kommunalen Ameisen, Libellen, Florfliegen, einige Arten der Wanzen) Satzungen. Die Kommunen können Grundsätze zum Insek- oder parasitische Arten wie die Schlupfwespen spielen eine tenschutz in Planwerken und Konzepten verankern und wichtige Rolle bei der natürlichen Bestandsregulierung von festsetzen. Als letzter Handlungsbereich für die Kommunen pflanzenfressenden Insekten. Viele parasitische Wespen ist die Bewusstseinsbildung für Insektenschutz und kom- sind auf andere Insektenarten als Wirte angewiesen. Insek- munales Grün bei Bürgerinnen und Bürgern zu nennen, was ten wie Blattläuse, Larven von Käfern und Schmetterlings- Umweltbildungsangebote, Öffentlichkeitsarbeit insbeson- raupen werden außerdem von anderen Tiergruppen, zum dere zur Akzeptanz von Maßnahmen und Wettbewerbe mit Beispiel Vögel, als proteinreiche Nahrungsgrundlage zur einschließt. Aufzucht ihrer Jungen benötigt. Die vorliegende Veröffentlichung des Deutschen Wasserkreislauf Städte- und Gemeindebundes in Zusammenarbeit mit dem Die sich im Wasser entwickelnden Larven von Insektengrup- Bundesamt für Naturschutz beschreibt die verschiedenen pen (z. B. Köcherfliegen) leisten durch ihre Filtrationstätig- Handlungsmöglichkeiten von Kommunen zum Insekten- keit zur Nahrungsgewinnung einen wichtigen Beitrag zur schutz in diesen drei Bereichen und veranschaulicht sie mit Selbstreinigung von Gewässern. konkreten kommunalen Umsetzungsbeispielen. Insektenschutz in der Kommune | 7
Beispiel Umsetzung der Biodiversitätsstrategie der Stadt Hannover „Mehr Natur in der Stadt“ (Niedersachsen) In der Biodiversitätsstrategie der Stadt Hannover finden sich im Handlungsfeld „Verbesserung der ökologischen Vielfalt“ 2 | Insektenschutz auf verschiedene Projekte mit einem Bezug zum Insektenschutz. Allen voran gibt es das Tierartenhilfsprogramm für seltene und Flächen in kommunaler besonders geschützte Arten. In diesem Programm erfolgt unter anderem eine regelmäßige Kartierung von Wildbienen, Holz- Selbstverwaltung käfern und Libellen auf städtischen Flächen. Auf Grundlage der Kartierergebnisse werden spezielle Schutzmaßnahmen wie die Schaffung neuer Lebensräume oder die Anlage von Vernetzungs- und Trittsteinstrukturen in Verbindung mit der Kommunale (Grün-)Flächen sind sehr vielfältig und umfas- Pflege- und Entwicklung besonders geschützter Biotope und sen Parks, Grünanlagen, Friedhöfe, Stadtgärten, Sport- und Landschaftsbestandteile umgesetzt. Bei letzterem Projekt wer- Freizeitanlagen, Spiel- und Bewegungsplätze, Dauerklein- den beispielsweise Instandsetzungsmaßnahmen zur Revitali- gärten, Brachflächen, Straßenbegleitgrün, begrünte Wege, sierung von Stillgewässern und die Schaffung von Rohboden innerstädtische Wälder, innerstädtische land- und forstwirt- standorten für konkurrenzschwache Pflanzen- und Tierarten schaftliche Flächen, Grün an Fließ- und Stillgewässern und durchgeführt (vgl. Landeshauptstadt Hannover 2015). auf/an Bauwerken sowie Begrünung von Schulgeländen, Industrieanlagen, Geschäftsvierteln, Wohngebieten und ähn- Beispiel Wildbienenschutz durch besondere Maßnahmen lichen (vgl. BfN 2018, Böhm et al. 2016). Alle diese Formen Seit 2013 wurden bei Untersuchungen 168 Wildbienenarten in des kommunalen Grüns können auch als „grüne Infrastruk- Hannover festgestellt. Darunter befinden sich über 20 Arten, tur“ (➜ Glossar) bezeichnet werden. Im Folgenden werden die vorher für die Stadt nicht bekannt waren. Mit der Blutbiene Handlungsmöglichkeiten für die Kommunen auf ihren kom- Sphecodes scabricollis wurde sogar eine in Niedersachsen als munalen Flächen für unterschiedliche Insektenlebensräume verschollen geltende Art wiederentdeckt. Damit kommen vorgestellt (Kapitel 2.1-2.7). Damit Maßnahmen umgesetzt fast 47 Prozent aller aus Nie- werden können, müssen verschiedene Vorbereitungen dersachsen bekannten Wild- getroffen werden wie zum Beispiel eine geeignete Flächen- bienenarten aktuell in Han- auswahl und die Konzeption eines vorausschauenden, diffe- nover vor (Witt & Nußbaum renzierten Managements. Hierauf geht Kapitel 2.8 ein. in Vorbereitung). Basierend auf den Untersuchungsergeb- nissen wurden Artenschutz- Beispiel maßnahmen für besonders e.V.“ Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt wertgebende Bienenarten e Vielfa lt e. V.“ ist ein Das Bündnis „Kommunen für biologisch umgesetzt. In einem Gebiet unen, die nation aler Zusammenschluss von derzeit 258 Komm wurden beispielsweise zur Blutbiene auf Pfefferminze tzen. Als Platt- sich aktiv für mehr kommunalen Naturschutz einse Förderung der Zaunrüben- erationen bietet form für interkommunalen Austausch und Koop Sandbiene (Andrena florea) Setzlinge der Zaunrübe (Bryonia um den kom- das Bündnis Kontakte und Ansprechpartner rund dioica) durch den BUND ausgebracht, die hierfür extra in der (Projekt-)Beispie- munalen Naturschutz. Anhand von praktischen Stadtgärtnerei angezüchtet wurden. öffen tlichen Auszeich- len, regelmäßigem Wissensaustausch und Weiterführende Informationen unter: iten und Ansätze nungen zeigt das Bündnis vielfältige Möglichke https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/ für mehr Natur in Kommunen auf. Umwelt-Nachhaltigkeit/Naturschutz/Mehr-Natur-in-der-Stadt (➜ Glossar) Sowohl das Aktionsprogramm Insektenschutz (Stand 9.9.2020) ar) nehmen Bezug als auch der Masterplan Stadtnatur (➜ Gloss Vielfalt e. V.“ (BMU Kontakt: auf das Bündnis „Kommunen für biologische Aktiv itäten auf den Dr. Stefan Rüter, Landeshauptstadt Hannover, 2019a; 2019b). Die Ausweitung laufender rer Akteure wird Fachbereich Umwelt und Stadtgrün, Bereich Forsten, Insektenschutz sowie die Einbindung weite iten des Bundesum- Landschaftsräume und Naturschutz unterstützt. Im Rahmen der Fördermöglichke unterstützt wer- E-Mail: 67.70@hannover-stadt.de weltministeriums soll das Bündnis zudem dabei natur zu etablieren. den, sich als kommunale Plattform für Stadt .kommbio.de Weitere Informationen auf den Seiten: www (Stand 9.9.2020). 8 | Insektenschutz in der Kommune
2.1 GRÜNFLÄCHEN 2.1.1 Charakterisierung Zu den kommunalen Grünflächen im engeren Sinne zäh- len Wiesen und Grünflächen in Parks, Stadtgärten und auf Friedhöfen, Sport- und Freizeitanlagen, Spiel- und Bewegungsplätze sowie Dauerkleingärten, unbefestigte, begrünte Wege und Straßenbegleitgrün. Sollen kommu- nale Grünflächen einen erfolgreichen Beitrag zum Insekten- schutz leisten, müssen sie zielgerichtet entwickelt, gepflegt und unterhalten werden. 2.1.2 B edeutung von Grünflächen für Insekten Viele Insektengruppen wie zum Beispiel Ameisen, Schmetterlinge, Heuschre- cken, Wanzen, Zikaden, Käfer, Schwebfliegen und Wildbienen finden ihre Nah- rungs-, Fortpflanzungs- und Angepasste Pflege im Park Überwinterungsräume auf Großer Perlmuttfalter Grünflächen. Da manche Insektenarten zudem auf bestimmte Pflanzenarten als Nahrung oder Unter- schlupf während ihrer Ent- wicklung angewiesen sind, ist die ökologische Bedeu- tung artenreicher Grün- flächen besonders hoch. Tagpfauenauge Die Pflanzengemeinschaft bzw. Artenzusammenset- zung dieser Flächen ist von der Nutzungsweise und eingebracht werden, -intensität abhängig. Ein zum Beispiel durch Mosaik verschiedener Nut- Einsaat oder Mahdgut zungsweisen und -inten- übertragung (siehe sitäten fördert dabei die Mistbiene (Schwebfliege) Kapitel zur Verwen- Insektenvielfalt. dung insektenfreund- licher, standortge- 2.1.3 E rhaltung, Optimierung und Neuanlage rechter, einheimischer Insektenfreundliche, naturnahe Pflege von Grünflächen Pflanzen). Für eine Raupe des Tagpfauenauges Grünflächen können häufig bereits mit relativ einfachen ökologische Aufwer- Mitteln wie eine geringe Mahdhäufigkeit, insektenfreund- tung bieten sich beispielsweise Rasenflächen an, die nicht liche Mahdzeitpunkte und schneidende Mähwerke insek- als Aufenthalts- und Spielfläche genutzt werden, aber mehr- tenfreundlich gestaltet werden. Wird die Pflege langfristig mals im Jahr gemäht werden und deshalb nur wenige Insek- deutlich angepasst, können sich vielfältige Nahrungs- und tenarten beherbergen. Sollen spezielle Arten gefördert wer- Nistangebote für Insekten entwickeln. In Abhängigkeit den, ist das Pflegeregime auf diese Arten abzustimmen und von der Qualität der Fläche selbst und den umgebenden es sind gegebenenfalls spezielle Artenschutzmaßnahmen Flächen müssen zusätzlich relevante Pflanzenarten notwendig (vgl. Beispielbox Stadt Hannover). Insektenschutz in der Kommune | 9
Sechs wichtige insekten freundliche Pflegehinweise Die Pflege wie Mahdzeit sind und diese wiederum kostensparender als Wechsel- für Grünflächen und -häufigkeit muss auf beete (vgl. NMSSG 2017). Kein Mulchen die unterschiedlichen Einen Kostenfaktor stellt die Entsorgung des Schnitt- standörtlichen Bedin- guts dar, wenn beispielsweise Flächen durch Hundekot Angepasste Mahdzeit und gungen der betroffenen verschmutzt sind. Wenn eine Heunutzung nicht möglich -häufigkeit Flächen abgestimmt sein. und die Nutzung für Biogasanlagen aufgrund der niedrigen Gestaffelte Bewirtschaftung Bei mageren Standor- Energiebilanz unwirtschaftlich ist, muss das Schnittgut als Unbewirtschaftete ten reicht beispielsweise kostenpflichtiger Abfall entsorgt werden (Stadt Wernige- Flächenanteile belassen in der Regel ein Schnitt, rode 2019, S. 25). Hier sind innovative Lösungsansätze von (Blühinseln, Säume) bei mittleren Standor- Kommunen gefragt. Verwendung einheimischer ten zwei bis drei, bei fet- Literaturempfehlung: Pflanzenarten ten Standorten bis vier Eine ausführliche Darstellung, wie Grünflächen Verzicht auf Pestizide und Schnitte. Es sollte nicht (Rasen und Wiesen, gärtnerisches Grün sowie Dünger gemulcht werden, um Gräben) naturnah und auch insektenfreundlich Insekten ein (trocken)- gepflegt werden können, findet sich beispielsweise in den warmes Mikroklima im Broschüren von Kommunen für biologische Vielfalt e.V. und Grünland zu bieten und zeitweise offene Bodenstellen zu der Deutschen Umwelthilfe e.V. (2018): „Handlungsoptionen. ermöglichen. Wenn die Mahd und das Abräumen des Mäh- Spielräume für mehr Natur in der Stadt. StadtGrün naturnah“ guts zeitversetzt erfolgen, können die darin enthaltenen (Kommbio & DUH 2018b), „Handlungsfelder für mehr Natur Insekten und weitere Tiere in andere Bereiche ausweichen. in der Stadt“ (Kommbio & DUH 2018a) oder in der Broschüre Um Insekten dauerhafte Rückzugsflächen und Überwinte- „Handbuch für Kommunen zur Neuanlage und Pflege öffent- rungsquartiere zu bieten, sollten nicht gemähte Blühinseln, licher Grünflächen“ des Deutschen Landschaftspflegever- Randstreifen und Säume an Rasen- und Wiesenflächen, Ein- bands (Völker et al. 2020). zelbäumen, Gehölzflächen und/oder entlang von Wegen Die Broschüre des BUND mit dem Titel „Insekten schützen belassen werden. Der Zeitpunkt und die Häufigkeit der leicht gemacht! Anleitung für Kommunen und Wildnisliebha- Pflege dieser Bereiche sind in Abhängigkeit von den Stand- ber“ (BUND 2019a) bietet ebenfalls umfangreiche Informatio- ortbedingungen und dem jeweiligen Bewuchs jeweils für nen und bezieht sich direkt auf die Insekten. Gleiches gilt für die betroffene Fläche individuell zu ermitteln. die Veröffentlichung „Insektenvielfalt in Niedersachsen – und Bei der Pflege von Blumenrabatten, Pflanzkübeln, was wir dafür tun können“ des Niedersächsischen Landesbe- Hoch- und Staudenbeeten sollten dauerhafte, insekten- triebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN freundliche Staudenmischpflanzungen zum Einsatz kom- 2019). men (vgl. Kapitel zur Verwendung insektenfreundlicher, standortgerechter, einheimischer Pflanzen). Dabei können Beispiel ausdauernde Blütenstände wie von der einheimischen Groß- und Kleinblütigen Königskerze (Verbascum densiflo- Stadtwiesenprojekt Chemnitz (Sachsen) rum und Verbascum thapsus) oder der Wilden Karde (Dip- Unter dem Motto „Einheimische Blumenwiesen statt Einheits- sacus fullonum) über Winter belassen und den Insekten so rasen aus Neuseeland“ startete das Agendabüro Chemnitz Überwinterungsplätze und für später Brutplätze erhalten im Jahr 2005 unter anderem mit dem Deutschen Verband werden. Gräben sollten nur im tatsächlichen Bedarfsfall für Landschaftspflege und dem Naturschutzbund NABU das und dann abschnittsweise im Herbst (September/Oktober) Stadtwiesenprojekt Chemnitz. Auf ungenutzten Freiflächen geräumt werden, wobei in regelmäßigen Abständen Alt ehemaliger Wohnsiedlungen in der Stadt wurde Mähgut bestände sowie Falllaub zu belassen sind. Auf den Einsatz aus städtischen Biotopen und Schutzgebieten ausgebracht von Grabenfräsen, Laubsaugern und die Verwendung von sowie die bei der Heulagerung als Nebenprodukt anfallende Pestiziden oder mineralischen Düngemitteln (vgl. geson- Heublumensaat naturnaher Wiesen. Die entstandenen Wie- dertes Kapitel hierzu) sollte verzichtet werden (Kommbio & sen mit vielen verschiedenen Blüten bieten einheimischen DUH 2018b, S. 7). Insekten neue Lebensräume. Eine direkte Wirkungskontrolle Die angemessene Pflege und Unterhaltung von Grün- fand nicht statt, aber die Heublumensamen-Standorte weisen flächen stellen eine Daueraufgabe dar, die von den Kommu- eine hohe Vielfalt an Insektenarten auf (https://www.ufz.de/ nen getragen werden muss. Wobei natürliche Wiesen und teebde/index.php?de=43963, Stand 9.9.2020). Gleichzeitig Solitärgehölze weniger pflegeintensiv als Staudenbeete 10 | Insektenschutz in der Kommune
Verwendung insektenfreundlicher, standortgerechter, Beispiel einheimischer Pflanzen Waldfriedhof Lauheide in Münster Insekten benötigen ein ganzjähriges Angebot an Blüten als (Nordrhein-Westfalen) Nahrungsgrundlage und sind meist an standorttypische, Der Waldfriedhof Lauheide ist nicht nur der größte einheimische (➜ Glossar) Pflanzenarten angepasst oder auf städtische Friedhof Münsters, sondern auch ein ein- diese spezialisiert (vgl. Box mit Beispielen für mehrjährige, zigartiger Landschafts- und Erholungsgarten. Ein kon- insektenfreundliche Arten). Exotische Zierpflanzen lassen sequentes Umweltmanagement (Öko-Audit) sichert Insekten besonders bei gefüllten Blüten wie zum Beispiel der den Erhalt und Schutz der Natur. So wird statt Hoch- Garten-Chrysanthemen mitunter völlig leer ausgehen. Mit moortorf und künstlichem Dünger Rindenmulch und der Verwendung von gebietseigenem Saatgut (➜ Glossar), Komposterde verwendet. Auf Streusalz und Pestizide das Sorten mit unterschiedlichen Blütezeiten enthält, wird wird genauso verzichtet wie auf Grabeinfassungen den Insekten dagegen vom Frühling bis zum Herbst konti- aus Stein oder Kunststoff. Zur Schaffung eines wei- nuierlich ein vielfältiges Nahrungsangebot bereitgestellt. teren Nahrungs- und Lebensraumangebots wurden Man unterscheidet bei gebietseigenem Saatgut einerseits unter anderem Beerensträucher und Wildkräuter in regionales und andererseits in lokales gebietseigenes angepflanzt (Friedel et al. 2009, S. 28). Die Broschüre Saatgut. Beides sollte zertifiziert sein. Für aus naturschutz- „Waldfriedhof Lauheide – Frieden erleben, Natur fachlicher Sicht höherwertige Grünflächen sollte möglichst entdecken“ gibt einen umfassenden Einblick in den lokales Saatgut (naturraumgetreues Saatgut) genutzt wer- Waldfriedhof mit seinem vielfältigen Lebensraum für den, das zum Beispiel durch Wiesen- oder Heudruschver- Pflanzen und Tiere: Weit über 100 Vogelarten, von fahren von mehreren geeigneten Spenderflächen gewon- denen 47 auf dem Waldfriedhof regelmäßig brüten, nen wird. Gebietseigenes Saat- und Pflanzgut ist optimal selten gewordene Fledermausarten und auch die an die Bedürfnisse der lokalen Fauna angepasst, verspricht geschützten Hornissen sind auf Laufheide heimisch den größeren Ansaaterfolg, beugt möglichen biologischen (Stadt Münster 2016; 2010). Invasionen vor und stärkt die Vielfalt der einheimischen https://www.stadt-muenster.de/umwelt/friedhoefe/ Pflanzen (Kommbio & DUH 2018a, S. 11). Ab 2. März 2020 waldfriedhof-lauheide.html (Stand 9.9.2020) bedarf außerdem gemäß § 40 BNatSchG das Ausbringen von Gehölzen und Saatgut in der freien Natur außerhalb Kontakt: ihrer Vorkommensgebiete einer Genehmigung der zustän- Felix Erhart, Stadt Münster, Amt für Grünflächen, digen Behörde. Umwelt und Nachhaltigkeit E-Mail: erhart@stadt-muenster.de spart die Stadt Kosten für die Begrünung und Pflege der Grünflächen. Auch die Lebens- und Umweltqualität für die Öffentlichkeit erhöht sich durch die neuen Natur erfahrungsräume (Friedel et al. 2009). Kontakt: Manfred Hastedt & Melanie Hartwig, Hornissen mit Nest Kommunales Umwelt zentrum, Agendaprozess E-Mail: umweltzentrum@ stadt-chemnitz.de Insektenschutz in der Kommune | 11
Kaisermantel Segelfalter Langhornbiene Pflanzenarten Beispiele für mehrjährige, insektenfreundliche Neben dem Einsatz von gebietseigenem Saat- und Pflanz- ensporn gut kommt für große Flächen noch eine Mahdgutübertra- Kriechender Günsel (Ajuga reptans), Hohler Lerch hen (Epilo- gung mit Frisch- bzw. Grünmulchverfahren in Betracht. Für (Corydalis cava), Schmalblättriges Weidenrösc f (Echium geeignete Flächen kann auch ein reduzierter Rasenschnitt bium angustifolium), Gewöhnlicher Natternkop Taubnessel oder Selbstbegrünung eine Option sein. Bei einer Mah- vulgare), Weiße, Gefleckte und Purpurrote eiderich dgutübertragung mit Frisch- bzw. Grünmulchverfahren (Lamium album, L. maculatum, L. purpureum), Blutw aurea jacea). kommt es besonders auf die Auswahl der Spenderfläche, (Lythrum salicaria), Wiesen-Flockenblume (Cent den Schnittzeitpunkt, die Art der Mahdgutaufnahme sowie Literaturempfehlung: die Dicke des Mahdgutauftrages an (NLWKN 2019, S. 27). ationen zu Die Datenbank FloraWeb stellt Daten und Inform Ein Vorteil einer Mahdgutübertragung aus Sicht des Insek- Verfügung. Wildpflanzen und zur Vegetation Deutschlands zur tenschutzes gegenüber einer Ansaat ist, dass bei dieser Art Dabei findet sich neben einer Liste von Nutzpflan- der Begrünung von der Spenderfläche in der Regel auch zen für Bienen auch eine Liste von Wildpflanzen gleich Insekten mit übertragen werden und die Besiedelung für Schmetterlinge. beschleunigen können (vgl. z. B. LANUV NRW 2011). http: //ww w.flo rawe b.de/ pflan zena rten/ son- Werden bei Anpflanzungen und Ansaaten die vor- derthemen.html (Stand 9.9.2020) liegenden Standortbedingungen und die Nutzung der chaft, Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirts Flächen berücksichtigt, können in der Regel sogar der enviel falt in Küsten- und Naturschutz (NLWKN) (2019): Insekt Pflegeaufwand und die Ressourcenkosten minimiert wer- 33f Niedersachsen – und was wir dafür tun können. S. den, beispielsweise wenn auf stark frequentierten Flächen Bienen Beispielarten und Standorthinweise in Bezug auf Blumenschotterrasen angelegt werden (vgl. https://www. gibt zum Beispiel auch Hölzer (2019) auf S. 28 ff. naturgarten.org/service/publikationen/naturgaerten- Angabe Einheimische Stauden und Zierpflanzen mit einer anlegen/blumenschotterrasen.html, Stand 9.9.2020) oder sich in zur Bedeutung für blütenbesuchende Insekten finden auf nährstoffreichen Standorten artenreiche Fettwiesen. der Artenliste des „Netzwerks Blühende Landschaft“ Bei gärtnerischem Grün wie Blumenrabatten, Pflanzkübel, 4-Stau- http://www.bluehende-landschaft.de/fix/doc/NBL-1 Hoch- und Staudenbeete sollten mehrjährige Pflanzen ver- denliste-2016.2.pdf (Stand 9.9.2020). wendet werden, die sich selbst vermehren. Vorsicht! ausgebracht werden sollten, führt zum Beispiel die im Bei der Gestaltung von Grünflächen sollten keine inva- Straßenbegleitgrün häufig als Bodendecker verwendete siven oder potenziell invasiven Arten (➜ Glossar) verwen- Teppich-Zwergmispel (Cotoneaster dammeri) (Liste unter den werden, denn invasive Arten verdrängen einheimi- https://neobiota.bfn.de/invasivitaetsbewertung/gefa- sche Arten aus ihrem Lebensraum. Die europäische Union esspflanzen.html, Stand 9.9.2020). hat eine Liste der invasiven gebietsfremden Arten von Viele Samentüten, die im Handel angeboten oder unionsweiter Bedeutung (Unionsliste) erstellt (https:// zu Werbezwecken verteilt werden, bestehen aus nicht- neobiota.bfn.de/unionsliste.html, Stand 9.9.2020). Die einheimischen, einjährigen Kulturformen, die zu keinem Arten dieser Liste dürfen dabei generell nicht mehr nachhaltigen, positiven Effekt in der Natur führen und angepflanzt werden, wie zum Beispiel der Götterbaum höchstens den häufigen Insektenarten nützen. Von der (Ailanthus altissima). Eine Liste vom Bundesamt für Nutzung im öffentlichen Raum sollte Abstand genom- Naturschutz weiterer aus fachlicher Sicht als invasiv oder men werden – insbesondere dann, wenn der Inhalt dieser potenziell invasiv eingestufter Arten, die ebenfalls nicht Tütchen nicht dokumentiert ist (Buch & Jagel 2019). 12 | Insektenschutz in der Kommune
Erhalt und Gestaltung von insektenrelevanten nötig, zum Beispiel um Rasenflächen nach Veranstaltungen Kleinstrukturen wiederherzustellen, sollte auf organische Dünger wie Fein- Im Bereich offener Frei- und Grünflächen sollten insekten- kompost aus Laub oder Grünschnitt zurückgegriffen wer- relevante Kleinstrukturen vorhanden sein oder geschaffen den (Kommbio & DUH 2018a, S. 25). werden wie Wasserelemente als Trinkmöglichkeit für Insek- Verzicht auf Pestizide: Es sollte auf den Einsatz von ten, Trockenmauern für wärmeliebende Insektenarten, Pestiziden sowohl im Hinblick auf Schädlings- als auch Wild- Geröllbeete oder vorhandene natürliche Elemente inte- krautbekämpfung verzichtet werden (vgl. Maßnahme 4.5 griert werden. Bei Blumenrabatten, Pflanzkübeln, Hoch- Aktionsprogramm Insektenschutz, BMU 2019a). Um uner- und Staudenbeeten fördert das Einbringen von Totholz, wünschte Wildkräuter insektenfreundlich zu beseitigen, Schwemmholz, Steinhügeln oder Trockenmauern als natür- können stattdessen verschiedene mechanische Methoden liche Gestaltungselemente den Lebensraum für Insekten. eingesetzt werden wie Kehrmaschinen, Mähgeräte oder Bei der Strauchpflege sollten Strukturelemente wie Laub- Fugenkratzer. Auch zur Bekämpfung vieler invasiver Arten, haufen, Reisig, Baumstümpfe oder Krautsäume erhalten wie zum Beispiel der Herkulesstaude (Heracleum mantegaz- oder entwickelt werden und so zusätzliche Lebensräume zianum), kann, wo möglich, auf mechanische Bekämpfungs- bieten. Beispielsweise überwintern viele Schmetterlings- methoden zurückgegriffen werden (Literaturtipp: BfN 2015). puppen in der Laubschicht, so dass die Laubstreu auf Böden zum Beispiel in Beeten oder unter Gehölzen liegen gelassen Pestizidfreie Kommunen werden sollte. Neben Überwinterungsmöglichkeiten bietet Das Bündnis „Pestizidfreie Kommune“ besteht sie Insekten auch Schutz oder dient als Nahrungsquelle. bisher aus über 500 Städten und Gemeinden, die ihre Grünflä- chen ohne Pestizide oder mindestens ohne Glyph osat bewirtschaften. Der BUND stellt auf seiner Intern etseite seinen Ratgeber „Die pestizidfreie Kommune“ sowie eine Vorstellung wichtiger pestizidfreier deuts cher Kommunen und weitere Informationen zum Thema zur Verfügung. Am besten lassen sich Pestizide in Kom- munen dann einsparen, wenn sich Planung, Bau und Pflegeverantwortliche eng abstimmen. Außerdem müs- sen Bürgerinnen und Bürger eine gewisse Verän Feld-Sandlaufkäfer Tatzenkäfer derung bei der Bepflanzung und der Pflege akzeptieren und Verzicht auf die Anwendung von Düngern und tolerieren können. Pestiziden https://www.bund.net/umweltgifte/pestizide/pes ti- Ein wichtiger Beitrag zum Schutz der Insekten ist der Ver- zidfreie-kommune/ (Stand 9.9.2020) zicht auf den Einsatz von Düngemitteln und von Pestiziden. Deshalb verzichten immer mehr Kommunen bei der Pflege ihrer Grünflächen darauf. Damit sind Kommunen für Bürge- rinnen und Bürger ein Vorbild und können über eine öffent- lichkeitswirksame Darstellung darauf hinwirken, dass auch im privaten Bereich auf die Anwendung von Düngern und Pestiziden verzichtet wird (vgl. Kapitel 4). Viele Kommunen sind schon Mitglied im Bündnis „Pestizidfreie Kommune“ (siehe Beispielbox). Bedarfsgerechte Düngung: Werden Pflanzen mehr Bienenkäfer Nährstoffe zugeführt als sie aus dem Boden aufnehmen können, gelangen die Überschüsse in die Umwelt, verrin- gern die Vielfalt und Qualität von Lebensräumen und ver- drängen wichtige Nahrungspflanzen für Insekten (vgl. Maß- nahme 5.1 Aktionsprogramm Insektenschutz, BMU 2019a). Anzustreben ist deshalb ein weitmöglichster Verzicht auf Düngung. Ist in Sonderfällen eine zusätzliche Nährstoffgabe Schwalbenschwanz Löwenzahn Insektenschutz in der Kommune | 13
Beispiel Straßenränder, Verkehrsinseln Stadt Bamberg: Straßenränder auf Terrassensand – Ebenfalls Potenzial als Lebensraum für Insekten bieten ökologisches Grünflächenmanagement (Bayern) Grünflächen, Bäume und Sträucher entlang von Straßen. 1999 begann die Stadt Bamberg damit, die Pflege von Stra- Dieses sogenannte Straßenbegleitgrün dient daneben ßenrändern auf eine natürliche Vegetation hin auszurichten unter anderem als Sicht- und Windschutz, als Schutz vor (Friedel et al. 2009). Die Umstellung der Pflege von intensiv auf Schneeverwehungen und dem Sichern von Böschungen. extensiv (keine Düngung und Pestizide, Mahd ein- bis zweimal Für eine Bepflanzung sollten vermehrt trockenheitstole- pro Jahr – je nach Wüchsigkeit der Vegetation und etwaigen rante Gehölze, Stauden oder Ansaaten ausgewählt werden, Sicherheitserfordernissen, Entfernung des Mähgutes) erfolgte da Pflanzen im Straßenbereich aufgrund ihres Standortes zunächst entlang der Osttangente Bambergs auf sechs Kilo- bereits in einem gewissen Maße bestimmten Stressfak- meter Länge, anschließend wurden auch fast alle zuführenden toren wie einem geringen Wasserangebot ausgesetzt sind Straßen einbezogen. Die Gesamtfläche des Projektes beträgt (NMSSG 2017, S. 19, vgl. Kapitel 2.2). Zu beachten ist außer- derzeit etwa zehn Hektar. dem, dass ab 2. März 2020 gemäß § 40 BNatSchG das Aus- Begleitend wird jährlich die Flora der Straßenränder erfasst, bringen von Gehölzen in der freien Natur außerhalb ihrer ein umfassender Ergebnisbericht mit Artenliste erstellt (für das Vorkommensgebiete einer Genehmigung der zuständigen Jahr 2019: Bösche 2019) und es werden die Pflegemaßnahmen Behörde bedarf (vgl. auch Kapitel 2.2). diskutiert. Entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung der Auch die Mittelinseln von Kreisverkehren und Fahr- Maßnahmen sind die gute Kooperation des städtischen Gar- bahnteilern in den Zu- und Ausfahrten lassen sich natur- tenamtes und des staatlichen Bauamtes Bamberg, die für die nah und grün gestalten. Dabei ist die Verkehrssicherheit Pflege der Straßenränder zuständig sind, sowie die intensive zu beachten: um zum Beispiel das Sichtfeld der Autofahrer fachlichen Betreuung mit ständiger Erfolgskontrolle und regel- nicht zu beeinträchtigen, dürfen Pflanzen vor allem außer- mäßiger Öffentlichkeitsarbeit. Zu letzterer gehören Führungen orts nicht zu hoch werden und es ist stattdessen eine nied- am Straßenrand, Vorträge, Publikationen und Pressemittei- rige Bepflanzung vorzunehmen. lungen, die den Nutzen der naturnahen Grünflächenpflege Um eine dauerhafte Pflege sicherstellen zu können, sind wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen. Wie im Kapitel zu der Pflege von Grünflächen beschrieben, gilt, dass Stauden- Beispiel mischpflanzungen oder gräserarme, mehrjährige Ansaat- mischungen, eine gute Alternative zu aufwendig geplanten Stadt Riedstadt: Umgestaltung öffentlicher Grünflächen Staudenpflanzungen sind und einen relativ geringen Pla- im Straßenbereich (Hessen) nungs- und Pflegeeinsatz erfordern. Um auch kleine, für Seit Ende 2009 gestaltet die Stadt Riedstadt zur Verbesserung Maschinen schwer zugängliche Flächen des Straßenbegleit- der ökologischen Situation, zur ästhetischen Aufwertung der grüns naturnah mit möglichst wenigen Schnitten und Abräu- Flächen und zur Verringerung des Pflegeaufwands und der mung des Mähguts anstelle von Mulchen pflegen zu können, Pflegekosten ihre innerstädtischen Grünflächen im Straßen- benötigen die Grünflächenämter eine entsprechende finan- bereich um. Dafür gewann Riedstadt 2015 einen der sieben zielle Ausstattung (Kommbio & DUH 2018a, S. 22). Hauptpreise beim Landeswettbewerb Hessen „Städte sind zum Leben da“ und wurde 2019 mit dem Label „Stadtgrün natur- Literaturempfehlung: nah“ in Gold ausgezeichnet (vgl. Beispielbox Projekt „Stadtgrün Das Verkehrsministerium Baden-Württemberg – Artenreich und Vielfältig“). gibt in seiner Broschüre „Straßenbegleitgrün – Hinweise zur ökologisch orientierten Pflege von Pflege/weitere Entwicklung der umgestalteten Gras- und Gehölzflächen an Straßen“ praxisnahe Handlungs- Grünflächen empfehlungen zur Durchführung und Planung einer ökolo- Die neugestalteten Grünflächen werden vom städtischen gisch orientierten Pflege von Straßenbegleitgrün und geht Bauhof in der Regel zwei Mal pro Jahr (gegen Ende Juni und dabei auf die Bedeutung des Straßenbegleitgrüns für Insekten Herbst/Winter) gemäht. Beim ersten Schnitt wird das Mähgut ein (VM BW 2016a). In der Broschüre „Möglichkeiten zur Erhö- von den Flächen entfernt, beim Zweitaufwuchs wird zur Sen- hung der Artenvielfalt im Straßenbegleitgrün außerhalb der kung der Pflegekosten gemulcht. Da der Zweitaufwuchs in Regelpflege“ werden einige zusätzliche Maßnahmen wie etwa der Regel deutlich geringer ausfällt als der Erstaufwuchs, kann die Ansaat von Blühmischungen oder die Anlage von Klein- die damit verbundene überschaubare Nährstoffanreicherung strukturen insbesondere auch im Hinblick auf Insekten vorge- in Kauf genommen werden. Dieser Kompromiss zwischen stellt (VM BW 2016b). Naturschutz und der Verringerung des Pflegeaufwands ließ die 14 | Insektenschutz in der Kommune
Sandgrasnelke Nachtigall-Grashüpfer Salbei und Wiesenknopf verdeutlichen. Das Projekt zeigt, dass sich Wirtschaftlichkeit und Weitere Informationen unter: Artenschutz gut miteinander verbinden lassen. Arbeits- und Ener- https://www.kommbio.de/praxisbeispiele/strassenra- giekosten konnten eingespart werden, während die Biodiversität ender_auf_terrassensand/ (Stand 9.9.2020) erhöht wurde. https://www.stadt.bamberg. Im Auftrag der Höheren Naturschutzbehörde bei der Regie- de/B%C3%BCrgerservice/%C3%84mter-A-Z/Amt- rung von Oberfranken wurden 2018 an den Bamberger Straßen- f%C3%BCr-Umwelt-Brand-und-Katastrophenschutz_/ rändern auch bestimmte Insektengruppen (Wildbienen, Heuschre- Amt-f%C3%BCr-Umwelt-Brand-und-Katastrophenschutz/ cken, Tagfalter) untersucht (Bücker et al. 2019). Da es bisher wenige Abteilung-Umwelt/index.php?La=1&object=tx,2730.127 wissenschaftliche Erkenntnisse zur Besiedlung von Straßenrän- 6.1&NavID=2730.54&La=1 (Stand 9.9.2020). dern durch Insekten gibt, sollen die Untersuchungen helfen, die Pflege der Straßenränder im Hinblick auf ihren Nutzen für Insek- Kontakt: ten zu verbessern. Die Ergebnisse zeigen, dass die Straßenränder Dr. Jürgen Gerdes, Stadt Bamberg, Amt für Umwelt, für Heuschrecken durchaus ein attraktiver Lebensraum sind, für Brand- und Katastrophenschutz, Sachgebiet Naturschutz Wildbienen unter bestimmten Bedingungen (angrenzende offene und Landschaftspflege Böschungen), für Tagfalter kaum (zu starker Luftwirbel). E-Mail: Juergen.gerdes@stadt.bamberg.de Pflegekosten durchschnittlich auf ein Fünftel zurückgehen. Die Flächen werden mit einer speziell für die Riedstädter Verhältnisse entwickelten Wiesenblumenmischung eingesät, deren Samen aus zertifizierter regionaler Herkunft stammen. Akzeptanz der Maßnahmen Nach einem holprigen Start wurde bei der Fortsetzung der Grün- flächenumgestaltung auf eine intensive und frühzeitige Öffent- Grünfläche vor lichkeitsarbeit geachtet. Dies beinhaltete neben Informationen in und nach der Presse und Internet persönliche Anschreiben an alle Anwohner. Umgestaltung Auf Bürgerversammlungen wurden für jeden Ortsteil die Pläne der Stadt vorgestellt und mit den Bürgern diskutiert. Vorgestellt wurde den Bürgerinnen und Bürgern auch das Konzept, verbind- liche Pflege-Patenschaften abzuschließen und dadurch die Gestal- tung der Grünflächen weitgehend mit bestimmen zu können. Tierökologische Begleituntersuchungen Seit 2015 finden tierökologische Begleituntersuchungen der TU Darmstadt in Zusammenarbeit mit Vertretern der Stadt Riedstadt statt. Dabei wird die Auswirkung der Umwandlung der ehemals straßenbegleitenden exotischen Gehölze in artenreiche Wildblu- menwiesen auf den Bestand an Insekten und anderen Glieder- füßern (v. a. Spinnen) untersucht. Die Häufigkeit vieler Insekten- gruppen – wie zum Beispiel Heuschrecken, Zikaden, Wanzen und Käfer – war in den neu angelegten Blumenwiesen in den beiden Insektenschutz in der Kommune | 15
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