Empa Quarterly TREIBSTOFF FÜR DIE FORSCHUNG - FOKUS
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Empa Quarterly FORSCHUNG & INNOVATION II #75 II APRIL 2022 FOKUS TREIBSTOFF FÜR DIE FORSCHUNG FUNDRAISING: NEUE WEGE MATERIALIEN FÜR QUANTENCOMPUTER NETTO NULL AM EMPA-CAMPUS www.empaquarterly.ch
[ EDITORIAL ] [ INHALT ] [ FOKUS: FORSCHUNGSFÖRDERUNG ] VOM ZÄHLEN UND RECHNEN [ FOKUS ] [ THEMEN ] [ RUBRIKEN ] Liebe Leserin, lieber Leser, 12 CARBOQUANT 22 DIAGNOSTIK 04 WISSEN IM BILD Magnetischer Kohlenstoff Blutgerinnsel im Hirn Was vielen von uns nebst für Quantencomputer besser erkennen 06 IN KÜRZE dem Lesen erste schulische Erfolgserlebnisse bescher- 16 GÖNNERSCHAFT 24 WELTRAUM 21 ZUKUNFTSFONDS te – bei einigen mehr, bei Die Werner Siemens- Metallische Gläser anderen weniger –, ist auch an der Empa Stiftung finanziert ein in der Schwerelosigkeit 38 UNTERWEGS allgegenwärtig: Zahlen. Mathematische Forschungsprojekt Formeln und Computerberechnungen sind 28 HOLZBAU etwa zentral für die Erforschung komplexer 19 ZUKUNFTSFONDS Schwarze Löcher Strömungsphänomene und die Entwicklung Für welche Empa-Projekte schlucken Schall neuartiger Aerogel-Materialien, um CO2 es zu spenden lohnt aus der Atmosphäre einzufangen (S. 32). 32 PORTRAIT [ THEMEN ] Ivan Lunati rechnet Um das Aufrechnen von CO2-Emissionen die Wirklichkeit durch und -Senken geht es auch bei unserer neuen 08 KLIMASCHUTZ Forschungsinitiative «CO2UNTdown» (S. 8), Die CO2-Strategie der 36 EFFIZIENZ die das Zählen bereits im Namen trägt. Deren 12 Empa und der neue Rechenzentren heizen Ziel: CO2-negative Verfahren zu entwickeln. Forschungscampus Gebäude im Quartier Die sind dringend vonnöten, will die Schweiz das angestrebte Netto Null bis 2050 errei- chen – denn trotz technologischem Fortschritt wird es uns nicht gelingen, sämtliche Prozesse CO2-neutral zu gestalten. Eigentlich einfache [ TITELBILD ] [ IMPRESSUM ] Schulmathematik: Wenn ich Schulden habe Die Arbeitsgruppe «nanotech@surfaces» HERAUSGEBERIN Empa (in Form von CO2-Emissionen), brauche ich der Empa forscht an Kohlenstoffstrukturen, Überlandstrasse 129 für ein ausgeglichenes Konto auch eine Art die sich für die Archi- tektur von Quanten- 8600 Dübendorf, Schweiz Guthaben, sprich: CO2-negative Technologien. computern eignen könnten. Diese speziellen www.empa.ch Fotos: Empa (3), Nicolas Zonvi / Empa (1), Felix Wey / Werner Siemens-Stiftung (1) Moleküle werden auf Goldoberflächen im REDAKTION Empa Kommunikation Zahlen sind letztlich auch beim Wirtschaf- Rastertunnelmikroskop untersucht – und oft ART DIREKTION PAUL AND CAT. ten zentral. Bei der Forschungsfinanzierung 28 32 auch dort synthetisiert. Grafik: Empa www.paul-and-cat.com KONTAKT Tel. +41 58 765 47 33 haben wir vor kurzem beschlossen, neue Wege zu beschreiten und aktiv Unterstüt- empaquarterly@empa.ch zung einzuwerben – weil unsere F orschenden www.empaquarterly.ch schlicht zu viele gute Ideen haben und wir VERÖFFENTLICHUNG trotz solider Grundausstattung nicht alle Erscheint viermal jährlich finanzieren können (ab S. 12). Unser «Zu- Drucksache PRODUKTION kunftsfonds» hat inzwischen Fahrt aufge- myclimate.org/01-22-199067 rainer.klose@empa.ch nommen und kann bereits erste Erfolge … verbuchen – im wahrsten Sinne des Wortes. ISSN 2297-7406 Empa Quarterly (deutsche Ausg.) Viel Vergnügen beim Lesen! 24 22 Ihr MICHAEL HAGMANN 2 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 3
[ WISSEN IM BILD ] BLUMENPRACHT AUS DEM LABOR Die in New York und Istanbul lebende Künstlerin Sonia Li hat im Zentrum ihrer begehbaren Installa tion «Buddhaverse» einen künstlichen Blumengarten geschaffen, in dem auch zwei Empa-Technologien aus dem «Advanced Fibers»-Labor integriert sind: ein Kunstrasen aus Bikomponenten-Fasern mit Polyamidkern und eine rezyklierte Polymerfolie, die in der Empa-Plasmabeschichtungsanlage mit einer leitfähigen Nano-Metallschicht überzogen wurde. Mittels Laser wurden florale Motive aus der Folie ge- schnitten, die im UV-Licht der Installation kunterbunt schillern. Die Leitfähigkeit der Nano-Beschichtung soll bei einer Weiterentwicklung des Werks dazu die- nen, einen Raum mit interaktiven multi-sensorischen Erfahrungen zu erschaffen, so die Künstlerin. Sonia Li wurde in der vergangenen Förderperiode von der «TaDA Textile and Design Alliance» unterstützt. Die temporäre Installation diente als Abschluss ihrer Residency. TaDA fördert interdisziplinäre Arbeiten von Kunstschaffenden aus aller Welt, die Gegen- wartskunst mit textiler Innovation und Tradition in der Ostschweiz verbinden. Mehr Information zum Thema finden Sie unter: www.empa.ch/web/s402/nanocoatings www.sonialidesigns.com/ Foto: Ladina Bischof / TaDA (https://tada-residency.ch) 4 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 5
[ IN KÜRZE ] KOHLE-KÜHLDECKE FÜR LAGERUNG VON FRÜCHTEN UND GEMÜSE DAS ERSTE WASSERSTOFF-FORUM DER SCHWEIZ Mit der ersten Powerfuel Week vom 14.05. bis 22.05.2022 entsteht ein komplett neues Week 2022 Veranstaltungskonzept im Verkehrshaus der Schweiz in Luzern mit Konferenz, Fachmesse und 14.–22. Mai 2022 Publikumsveranstaltung. Dort werden Projekte vorgestellt, Innovationen vorangetrieben und Verkehrshaus der Schweiz der Markt unterstützt. Zugleich erleben Besucher des Verkehrshauses Wasserstoff als we- sentlichen Baustein auf dem Weg zur Erreichung der Klimaziele. Eine Reihe von Vorträgen im Rahmen der Powerfuel Conference vom 16.05. bis 18.05.2022 rundet das Infoprogramm ab. www.powerfuel.ch LOW-TECH-LÖSUNG Im vergangenen September testete das Team die Kühldecke zwei Tage lang auf dem Empa-Gelände. Der «Kühlraum» ist rund 1,5 Meter lang und einen Meter breit; als Testfrüchte enthielt er Äpfel in einer Kiste. EINE DROHNE, DIE IHRE GESTALT ÄNDERN KANN In Entwicklungsländern ist die Lagerung von landwirtschaftlichen Produkten oft schwierig: Hitze und Trockenheit lassen Früchte oder Gemüse schnell verderben – ein Problem gerade für Kleinfarmer, die sich Kühlgerate nicht leisten können oder keinen Zugang zur Stromversorgung haben. Abhilfe könnte eine «Kühldecke» aus dem Empa-Labor für biomimetische Membranen und Textilien in St. Gallen schaffen. Sie macht sich die Kälte zunutze, die bei der Verdunstung von Wasser entsteht – mit Hilfe eines kostengünstigen und überall verfügbaren Materials: Holzkohle kann dank ihrer hohen Porosität viel Wasser aufnehmen und ermöglicht so eine effiziente Verdunstung. Um die Kohle zu nutzen, konstruierten die Forschenden ihre Decke mit senkrechten Röhren, die mit Kohlestückchen aufge- füllt werden. So entstehen selbst tragende, formbare «Wände», die mit Wasser begossen werden – und die Verdunstung kühlt den Raum im Inneren. In Analysen im Labor sank die Temperatur in einer mässig feuchten Umgebung um rund fünf Grad. In trockenerem und wär- merem Klima, so die Forscher, könnte sie um zehn Grad oder mehr sinken. Zugleich stieg die Luftfeuchtigkeit im Inneren deutlich an – ein natürlicher Schutz gegen das Verwelken. Mit diesen Erfahrungen wollen die Fachleute nun eine Pilotanlage entwickeln und in Afrika oder Asien testen. Zugleich arbeiten sie an einem Business-Modell, das die Einführung der Technologie für Kleinfarmer erleichtern soll. HIGH-TECH-LÖSUNG Mirko Kovac ist Leiter des www.empa.ch/web/simbiosys/charcoal-cooling-blanket «Materials and Technology Center of Robotics» der Empa und Direktor des «Aerial Robotics Laboratory» am «Imperial College London». Mirko Kovac hat einen der begehrten «ERC Consolidator Grants» im Rahmen von «Horizon Europe» erhalten, dem wichtigsten Förderprogramm der EU für Forschung und Innovation. Kovac, der sowohl an der Empa als auch am «Imperial College London» forscht, entwickelt Metamorphose-Drohnen für den Einsatz in Gegenden mit komplexen Umweltbedingungen wie etwa der Arktis. Bilder: Imperial College London, QuZ «Flugroboter können bereits jetzt die Umwelt aus der Luft beobachten, aber sie können sich nicht unter Wasser oder auf der Wasserober- fläche bewegen, um dort wertvolle Umweltdaten zu sammeln», sagt Kovac und fügt hinzu, dass es zwar einige bimodale Luft-/Wasser- vehikel gebe; einen vollständigen Einsatzzyklus mitsamt energieeffizienter Fortbewegung in der Luft, im Wasser und auf der Wasserober- fläche konnte allerdings noch keines demonstrieren. Mit der «ProteusDrone» möchte der Robotikexperte nun dieses Problem lösen. Foto: Empa www.empa.ch/web/s604/proteus-drone 6 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 7
[ KLIMASCHUTZ ] «CO2 MUSS EINEN FAIREN PREIS BEKOMMEN» Die Empa arbeitet intensiv an Lösungen für die Klimaziele und fängt an der eigenen Haustür damit an. Der neue, derzeit im Bau befindliche Forschungscampus «co-operate» wird konsequent darauf ausgerichtet, den Ausstoss von Treibhausgasen zu minimieren – dank Hightech und mit möglichst wenig Kompensation durch Zertifikate. Zudem s tartet die Empa eine Forschungsinitiative, um CO2-negative Verfahren zu entwickeln und schnell in den Einsatz zu bringen. Interview: Norbert Raabe W er heute das es nicht genügen, Autos zu elektrifizie- haben, die Kapazitäten hat, die wir uns Gelände von ren, Emissionen von Industriebetrieben vorstellen. Damit könnte es uns gelin- Empa und Eawag zu mindern und andere Bereiche zu gen, signifikante Mengen von Abwär- besucht, findet optimieren – auch dann werden weiter me aus dem Sommer in den Winter eine Grossbaustel- grosse Mengen an Treibhausgasen herüberzuretten, um so den Spitzen le vor: Der neue Forschungscampus ausgestossen, zum Beispiel durch die energiebedarf im Winter abzudecken. mit dem künftigen Laborgebäude im Nutztier-Industrie der Landwirtschaft. Zentrum wächst schnell in die Höhe. Bis 2024 sollen die CO2-Emissionen des Doch interessante Aussichten liefern Für die angestrebte «Netto-Null» sind Empa-Campus gegenüber 2006 um auch Installation unterhalb der Erde. also Technologien mit einer negativen fast drei Viertel sinken Dazu soll auch 144 Erdsonden, die bis zu 100 Meter in Treibhausgas-Bilanz nötig. Und dafür vermehrt Biogas eingesetzt werden; die die Tiefe reichen, werden in den kom- wiederum müssen Verfahren, Kohlendi Photovoltaik wird ausgebaut ... – was menden Wintern Wärme liefern – eine oxid (CO2) aus der Luft abzuscheiden und planen Sie noch? innovative Technologie, die als Pilotpro- zu speichern, deutlich effizienter werden. jekt auch neue Einsichten liefern soll. Ein Hoffnungsträger dafür sind Aerogele, Wir sind ja ein sehr energie-intensiver mit denen sich Empa-Forschende seit Betrieb; da gibt es immer ein grosses Für die Empa ist das freilich erst ein Jahren befassen, und die Möglichkeit, Potenzial für die Optimierung. Um Anfang. Auf dem Campus wird die CO2 in Baustoffe umzuwandeln. Ideen, Heizenergie zu sparen, läuft im Moment Photovoltaik weiter ausgebaut; der Hoffnungen, Herausforderungen: Peter zum Beispiel ein Experiment in unserem Anteil an Biogas soll steigen. Intelligen- Richner, NEST-Mitbegründer und stellver- Verwaltungsgebäude: Wir versuchen, die te Regelungen der elektrischen und tretender Direktor, erläutert im Interview Technologie des Empa-Spinoffs «viboo», thermischen Netze und ein weitgehend den Fokus der Empa auf die Klimaziele. der aus der Abteilung «Urban Energy automatisierter Gebäudebetrieb sollen Systems» kommt, zu implementieren. den Verbrauch fossiler Energien weiter Peter Richner, der neue Campus vom Ich habe aber auch das Gefühl, dass wir EHRGEIZIGE PLÄNE mindern. Die Einsichten, die dabei mit Empa und Eawag nimmt Gestalt an. auf der Seite des Forschungsbetriebs Peter Richner auf der Baustelle des künftigen dem Ziel eines Null-Emissionsbetriebs Wenn Sie einen Wunsch für seine Zu- mit seinen Experimenten noch Poten- Empa-Campus – vor Foto: Felix Wey / Empa gewonnen werden, sollen später auch kunft frei hätten: Was wäre das? zial haben, weil dort vergleichsweise dem Experimentalge- vielen anderen Gebäudeprojekte in der wenig Sensibilität dafür vorhanden ist, bäude NEST, das auch künftig als Testlabor für Schweiz nützen. Um die Klimaziele der Das wäre wirklich, dass unser saisonaler wie viel Energie wir bei unseren Expe- klimafreundliches Bauen Schweiz bis 2050 zu erreichen, wird Wärmespeicher, den wir gerade gebaut rimenten eigentlich konsumieren. dienen wird ▲ 8 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 9
[ KLIMASCHUTZ ] dazu haben. Oder man sagt: Nein; ich PETER RICHNER versuche, dieses CO2 in ein Material umzuwandeln, mit dem ich andere Ma- BELOW ZERO Die Vision «Below Zero» ist Teil der For Beginn in Kooperation mit Partnern aus der In- dustrie geschehen, die auch an der Evaluierung WERDEGANG Nach einem Chemiestudium terialien substituieren kann. Und wenn schungsinitiative «CO2UNTdown» der Empa. neuer Lösungen beteiligt werden – mit Blick und Dissertation an der ETH Zürich forschte man wirklich Millionen Tonnen an Ma- Sie soll die Expertise der Forschenden für auf den praktischen Einsatz in der Baubranche. Peter Richner an der «Indiana University» terial verwenden will, um einen echten den Einsatz gegen den Klimawandel weiter (USA) an Plasma-Massenspektrometrie und Effekt in Richtung Negativ-Emissionen fokussieren und nutzbar machen. Bei «Below ENTWICKLUNG BAUWERK SCHWEIZ kam 1990 an die Empa. zu erreichen, kann das eigentlich nur Zero» liegt ein erster Schwerpunkt dabei auf Das gesamte Bauwerk Schweiz ist so komplex FORSCHUNG Ab 1995 war er für die im Baubereich sein, weil er die gröss- der Entwicklung neuartiger Materialien; gefolgt wie seine Herausforderungen für die Zukunft. Abteilung «Korrosion/Oberflächen- ten Mengen umsetzt. Und innerhalb von ihrer Skalierung und Umsetzung bis hin zu Eine Expertengruppe hat eine Initiative für eine schutz» verantwortlich und wurde 2002 des Bausektors ist Beton das wichtigste Pilot- und Demonstrationsprojekten – auf dem Gesamtschau lanciert – für neuen Schub in Leiter des Departements «Ingenieur- Material, dann Asphalt und vielleicht neu entstehenden Campus der Empa, etwa Forschung und Praxis. wissenschaften». Er verantwortet den noch Isolationsmaterialien – dort im Experimental- und Demonstrationsgebäude https://www.empa.ch/web/empa/ Forschungsschwerpunkt «Energie» und haben wir grosse potenzielle Senken. NEST. Das soll ab etwa zwei Jahren nach entwicklung-bauwerk-schweiz ist Mitbegründer des Experimentalgebäu- des NEST, das 2016 eröffnet wurde. CO2-negative Zemente auf Magnesi- umbasis werden an der Empa bereits stattfindet. Und natürlich: Wie können Wenn Sie da einen Wunsch an die erforscht und entwickelt … wir die Oberfläche chemisch so mo- Politik frei hätten: Was wäre das? difizieren, dass ein Molekül, wenn es die dazu führen, dass die CO2-Konzent- Das ist ein Zement, der über Absorp- darauf trifft, haften bleibt und reagiert. Es wird ja jetzt über ein neues CO2-Ge- ration in der Atmosphäre sinkt. Und wir tion von CO2 unter dem Strich negativ setz diskutiert; da gehen die Meinungen summieren diese Negativ-Technologien werden kann. Grosses Potenzial sehe ich Skeptische Stimmen äussern immer stark auseinander. Es gibt eine Denk- unter dem Stichwort «Below Zero» – und aber auch, wenn wir Zuschlagstoffe für wieder, dass «Netto Null» trotz vie- schule, die sagt: Das erste Gesetz wurde RECYCLING MIT STIL die entsprechende Forschungsinitiative Beton oder Asphalt ersetzen können – ler Anstrengungen bis 2050 nicht zu abgelehnt, weil die Leute nicht mehr Peter Richner vor einer unter dem Namen «CO2UNTdown». Sand, Kies, Schotter – etwa durch koh- erreichen sein wird. Wie wollen Sie den Abgaben wollen – also dürfe es auch im Trennwand im NEST, die mit gebrauchten Fach lenstoff-basierte Materialien, die ihren Prozess beschleunigen, neue Ideen in neuen Entwurf keine zusätzlichen Abga- büchern und Zeitschriften Und gerade den Bausektor sehen Sie als Ursprung im CO2 in der Atmosphäre ha- die Baupraxis zu bringen? ben geben. Aber dann ist die Frage: Wie errichtet wurde. wirkungsvollsten Hebel ... ben. Nur ist da die Hauptschwierigkeit: soll sich überhaupt etwas bewegen? Ich Wir müssen das Gas zunächst einmal ef- Zuerst müssen wir mal zeigen, dass es neige eher dazu, dass man unabhängig Ja, das Bauwerk Schweiz spielt mit fizient aus der Atmosphäre «einfangen». praktikable Lösungen gibt. Und dann davon, an welcher Quelle Treibhausgase Konkreter? forderungen, die auch für die Schweiz seinem Materialkonsum und Ressourcen- kommt natürlich sehr schnell die Frage emittiert werden, jedes Molekül gemäss gelten. Bei der Zementherstellung sind umsatz, die mit hohen CO2-Emissionen Die Empa arbeitet seit langem mit der Kosten: Es ist absolut match-ent- seiner Wirkung gleich besteuert oder mit Müssen Forschungsanlagen sieben Tage Treibhausgas-Emissionen auf absehbare verbunden sind, eine zentrale Rolle. höchst porösen Aerogelen, die auch bei scheidend, dass CO2 einen fairen Preis einer Abgabe belegt. Aber die sollte man lang 24 Stunden laufen? Bei klimatisier- Zeit so unvermeidlich wie in der Land- Auch im Betrieb: Wir haben immer noch solchen Technologien helfen könnten. bekommt. Solange wir Bereiche in im Sinne einer Lenkungsabgabe auch ten Räumen ist klar: Je präziser man das wirtschaft. Die Empa startet nun das sehr viele fossile Heizsysteme. Und diese Wie ist da der aktuelle Stand? unserer Wirtschaft haben, die CO2 prak- zu 100 Prozent wieder zurückverteilen. Ziel-Klima einstellt – etwa plus-minus Projekt «Below Zero» über vier Jahre. Verhältnisse müssen wir ändern. Wenn tisch gratis emittieren dürfen, wird es 0,5 Grad Celsius und plus-minus 2 Pro- Was hat es damit auf sich? der Bau die Kurve nicht kriegt, kriegt sie Wir sind da in einem frühen Stadium. extrem schwierig sein, dort CO2-neutrale Nach heutigem Wissensstand: Glauben zent relative Luftfeuchtigkeit –, desto auch die Schweiz nicht. Das ist klar. Aerogele sind geeignet, weil sie mit Lösungen zu etablieren. Wir sehen das Sie, die Schweiz wird die Netto-Null bis mehr Energie braucht man. Und die Wir müssen natürlich Emissionen ihren vielen Poren eine sehr, sehr grosse auch in der Schweiz: Je nachdem, ob 2050 erreichen? Frage ist: Gibt es nicht auch Zeiten und reduzieren oder verhindern. Aber wir Was sind für Sie Favoriten unter den spezifische Oberfläche haben – ähn- sie CO2 aus Heizöl emittieren, aus Diesel Experimente, wo wir mit mehr Schwan- sehen auch: Da wir als internationa- Zukunftstechnologien? lich wie ein Schwamm –, die es für in einem Fahrzeug oder aus Kerosin in Wenn wir wollen, dann schaffen wir kungen leben können. Das hätte sofort le Gemeinschaft viel zu spät und zu die Interaktion mit dem Gas braucht. einem Flugzeug, fallen ganz unterschied- das. Es dreht sich einzig um die Frage, einen sehr positiven Einfluss auf unseren langsam auf den Klimawandel reagiert Es gibt grundsätzlich zwei Möglich- Und diese Oberfläche muss man so liche oder sogar gar keine Abgaben ob wir wollen – wirklich nur darum. ■ Energiebedarf. Ich glaube, das sind Din- haben, werden wir wohl oder übel über keiten, mit CO2 aus der Atmosphäre modifizieren, dass CO2 absorbiert wird, an. Die Politik muss da für gleich lange ge, die wir noch zu wenig angeschaut die CO2-Emissionsziele internationaler umzugehen: Man kann versuchen, es dass man es später aber auch wieder Spiesse sorgen – denn fürs Klima ist es Foto: Felix Wey / Empa haben. Abkommen hinausschiessen, die es unterirdisch einzulagern und hoffen, desorbieren kann – in hoher Konzentra- egal, woher das CO2-Molekül stammt. erlauben würden, die Erderwärmung auf dass es dort entweder als Gas verbleibt tion. Mittels Modellierung versuchen wir In Zukunft wird der Empa-Campus also 1,5 bis 2 Grad zu begrenzen. Das heisst: oder mineralisiert wird – es gibt gewisse herauszufinden, wie die Porenstruktur Ehrgeizige Ziele wie die der Empa Mehr Informationen zum Thema finden Sie unter: eine «Klimabaustelle» – mit Heraus- Wir müssen Technologien entwickeln, Gesteinsformationen, die das Potenzial aussehen muss, damit diese Interaktion erfordern also auch Unterstützung. www.empa.ch/web/empa/engineering-sciences 10 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 11
[ FOKUS: FORSCHUNGSFÖRDERUNG ] [ CARBOQUANT ] COMPUTERN SPITZENFORSCHUNG Grafik einer Triangulen-Quan- tenspinkette, die auf einer Gold- oberfläche adsorbiert ist und mit QUANTEN- der scharfen Spitze eines Ras- tertunnelmikroskops untersucht wird. Diese massgeschneiderten Kohlenstoffstrukturen weisen Quanteneffekte auf, die selbst bei Raumtemperatur stabil sind SPRÜNGE und beeinflusst werden können. Das könnte der Königsweg für den Bau völlig neuartiger Quantencomputer sein. ERLAUBEN E Zwölf Jahre Vorarbeit tragen nun Früchte – Forschende der Empa haben besondere in aussergewöhnlich grosser einen grossen Schritt ins Unbekannte», zwölf Jahre intensive Forschungsarbeit. Materialien aus Kohlenstoff mit ganz erstaunlichen, bislang unerreichten elektronischen Förderbeitrag wird es einem sagt Projektkoordinator Oliver Gröning. Die Arbeiten aus der von Fasel gelei- und magnetischen Eigenschaften entwickelt, aus denen etwa Quantencomputer g ebaut Forscherteam der Empa in den «Dank der Partnerschaft mit der Werner teten Empa-Abteilung «nanotech@ werden könnten. Ein Förderbeitrag der Werner Siemens-Stiftung in Millionenhöhe für nächsten Jahren erlauben, Siemens-Stiftung können wir uns in surfaces» führten regelmässig zu die nächsten zehn Jahre ermöglicht bei diesem visionären Projekt nun einen ungewöhn- besonders fokussiert an einem diesem Projekt deutlich weiter vom si- Veröffentlichungen in renommierten lich langen Forschungshorizont, der die Aussichten auf Erfolg erheblich erhöht. ehrgeizigen Projekt zu arbeiten: Mit cheren Ufer wegbewegen, als es uns im Wissenschaftsjournalen wie «Nature», 15 Millionen Franken unterstützt die «normalen» Forscheralltag möglich wäre. «Science» und «Angewandte Chemie». Text: Rainer Klose Werner Siemens-Stiftung (WSS) die Wir fühlen uns ein bisschen wie Chris- Empa im Projekt «CarboQuant». Dieses toph Columbus und suchen nun jenseits 2010 hatte das Team erstmals Graphen- soll die Grundlagen für neuartige Quan- des Horizonts nach etwas völlig Neuem.» streifen, sogenannte Nanoribbons, aus tentechnologien schaffen, die sogar bei kleineren, chemischen Vorläufermolekü- Raumtemperatur funktionieren kön- Vor der Expedition ins Unbekannte, len synthetisiert. Mit ihrem neuartigen nen – im Gegensatz zu den derzeitigen die die Empa-Forschenden Pascal Syntheseansatz können die Empa-For- Technologien, die zumeist Kühlung bis Ruffieux, Oliver Gröning und Gabriela scher Kohlenstoff-Nanomaterialien Grafik: Empa nahe dem absoluten Nullpunkt benö- Borin-Barin unter Leitung von Roman mit atomarer Präzision herstellen und tigen. «Wir wagen mit diesem Projekt Fasel nun unternehmen, lagen indes dadurch deren Quanteneigenschaf- ▲ 12 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 13
[ FOKUS: FORSCHUNGSFÖRDERUNG ] [ CARBOQUANT ] hatte: die Spin-Fraktionierung. Diese Während ein Teil des Teams weiter im WERNER SIEMENS-STIFTUNG Fraktionierung bildet sich nur dann aus, Hochvakuum die Spin-Effekte unter- FORSCHEN FÜR DIE WELT Gegründet wurde die Werner Siemens-Stif- wenn viele Spins (d.h. fundamentale sucht, soll sich ein anderer Teil des VON MORGEN tung (WSS) 1923 in Schaffhausen von Char- Quantenmagnete) in eine gemeinsa- Teams um die Alltagstauglichkeit der Forschungsprojekte wie «CarboQuant» lotte von Buxhoeveden und Marie von Grae- me, kohärente Quantenüberlagerung Graphen-Nanoribbons kümmern. «Wir versprechen enorme Fortschritte, sind venitz geb. Siemens, den Töchtern von Carl gebrachte werden können. Die Empa- müssen die Bauteile aus dem geschütz- aber immer auch mit der Möglichkeit des von Siemens, der mit seinem Bruder Werner Forscher haben das in ihren präzise ten Brutkasten des Vakuums heraus- Scheiterns behaftet. Der Empa Zukunfts- von Siemens den späteren Siemens-Konzern synthetisierten Molekülketten geschafft. holen und sie so präparieren, dass sie fonds hat es sich zum Ziel gesetzt, solche aufgebaut hatte. Zu den beiden Gründerin- auch in unserer Welt, also an Luft und aussergewöhnlich riskanten und zugleich nen traten später weitere Familienmitglieder Auf diesen besonderen Spin-Effekten in Wärme, nicht zerfallen. Dann erst kön- besonders vielversprechenden Projekte zu als Zustifterinnen hinzu. Die in der Schweiz den Graphen-Nanoribbons soll «Carbo- nen wir die Nanoribbons mit Kontakten unterstützen, indem er Förderbeiträge von domizilierte Werner Siemens-Stiftung fördert Quant» nun aufbauen. Gröning: «Wir versehen – was die Voraussetzung für Stiftungen und Spenden von Privatpersonen im philanthropischen Teil herausragende sehen bislang Spin-Zustände an ganz nutzbare Anwendungen ohne aufwän- akquiriert. Falls Sie daran interessiert sind, Innovationen und den begabten Nachwuchs QUANTENPHYSIK bestimmten Stellen der Graphen-Nano dige Infrastruktur ist», so Gröning. den Empa Zukunftsfonds zu unterstützen, Die Empa-Forscher in Technik und Naturwissenschaften. Shantanu Mishra, Pascal ribbons, die wir gezielt aufbauen und finden Sie weitere Informationen unter: Ruffieux und Roman nachweisen können. Als nächstes wird INTENSIVE LASERPULSE https://www.empa.ch/web/zukunftsfonds Fasel (v.l.n.r) an einer Ultrahochvakuum-An- es darum gehen, diese Spin-Zustände Der Aufbruch in die unbekannte, neue ten genau festlegen. Graphen gilt als lage zur Herstellung gezielt zu steuern, z.B. den Spin an Welt wird auf jeden Fall anspruchsvoll. ein mögliches Baumaterial für Computer von magnetischen einem Ende des Nanoribbons umzu- Schon für den ersten der kommenden erreicht werden können». Alleine für den Carbon-Molekülen der Zukunft; es besteht aus Kohlenstoff drehen und am anderen Ende eine Forschungsschritte, die Kontrolle und Aufbau dieser neuen Analysegeräte und und ähnelt dem bekannten Graphit. Das entsprechende Reaktion zu erzeugen.» zeitaufgelöste Messung der Spinzu- für die ersten Testläufe veranschlagen Material ist gerade einmal eine Atom- Damit hätten die Empa-Forscher etwas stände, ist ein völlig neuer Gerätepark die Forschenden zwei bis drei Jahre. lage dünn und verspricht schnellere, ganz Besonderes in der Hand: einen notwendig, den die Forscher entwickeln leistungsfähigere Rechnerarchitekturen Quanteneffekt, der auch bei Raumtem- und aufbauen werden. «Wir müssen EIN GANZ BESONDERES PROJEKT als die heute bekannten Halbleitermate- peratur oder moderater Kühlung stabil das Rastertunnelmikroskop (STM von «CarboQuant» sei durch diese lang- rialien. Bereits 2017 hatte das Forscher- ist und manipuliert werden kann. Das engl. «Scanning Tunneling Mikroskope»), fristige und grosszügige Finanzierung team in Zusammenarbeit mit Kollegen könnte ein Königsweg sein, um völlig in dem wir die Nanoribbons herstel- ein ganz besonderes Projekt, sagt der «University of California» in Berkeley neuartige Quantencomputer zu bauen. len und ihre Struktur betrachten, mit Oliver Gröning. Das Empa-Team verfügt den ersten Transistor aus Graphen-Nano TEAMARBEIT ultra-schnellen Messungen der elektroni- nun über aussergewöhnlich grosse ribbons gebaut und das Ergebnis in Oben: Roman Fasel, EINE 0 UND EINE 1 ZUGLEICH schen und magnetischen Eigenschaften und langfristige Gestaltungsfreiheit «Nature Communications» veröffentlicht. Leiter des Empa-Labors Warum aber können Quantencomputer erweitern», erläutert Gröning. Dies kann auf dem Weg zu ihrem ambitionier- nanotech@surfaces, steht in seinem Labor schneller rechnen als herkömmliche durch elektrische Hochfrequenzsignale ten Forschungsziel: einem möglichen EIN ERSTER MEILENSTEIN hinter einem Rastertun- Computer? Klassische Rechenmaschi- bei hohen Magnetfeldern und durch Baumaterial für Quantencomputer der nelmikroskop. Doch dann realisierten die Forscher einen Unten: Empa-Wissen- nen rechnen in Bits. Jedes Bauteil kann Bestrahlung mit sehr kurzen, äusserst nächsten Generation. «Wir sehen zwar bislang nur theoretisch vorhergesagten schaftler Oliver Gröning einen von zwei möglichen Zuständen intensiven Laserpulsen geschehen. die Insel noch nicht, die da draussen koordiniert das Projekt Effekt, der noch wesentlich interessanter aufweisen: 0 oder 1. In der Quantenwelt liegen könnte. Aber wir erahnen sie, und «CarboQuant». schien: Ihre winzigen, massgeschneider- dagegen können sich diese Zustände Dazu werden an der Empa zwei neue wenn dort etwas ist, sind wir zuversicht- Fotos: Gian Vaitl / Empa (2), Felix Wey / Werner Siemens-Stiftung (1) ten Kohlenstoff-Nanomaterialien zeigten überlagern: Möglich sind 0 oder 1 oder Messsysteme aufgebaut, die auch in lich, dass wir es dank der Unterstützung Eigenschaften von Magnetismus. 2020 beide Zustände gleichzeitig. Darum anderen Forschungsprojekten des Teams durch die Werner Siemens-Stiftung berichteten sie im Fachblatt «Nature können Schaltkreise eines Quantencom- eine Schlüsselrolle spielen werden und und unsere nationalen und internati- Nanotechnoloy» erstmals über den von puters, sogenannte Qubits, nicht nur welche durch den Schweizerischen onalen Forschungspartner auch ihnen entdeckten Effekt – und legten eine Rechenoperation nach der anderen Nationalfonds (SNF) und den Europäi- finden werden», sagt Gröning. ■ im Oktober 2021 mit einer verfeinerten durchführen, sondern mehrere gleichzei- schen Forschungsrat (ERC) mitfinanziert Darstellung nach: Nun hatten sie mit tig. Oliver Gröning freut sich schon auf werden. «Dies zeigt einerseits», so Hilfe ihrer winzigen Kohlenstoff-Nano- das Experiment: «Wenn wir es schaffen, Gröning, «dass aus verschiedenen Pro- materialien erstmals einen physikalischen die Spin-Zustände in unseren Nanorib- jekten immer Synergien entstehen, und Effekt nachgewiesen, den der spätere bons zu kontrollieren, können wir sie für andererseits, dass hochgesteckte Ziele Physik-Nobelpreisträger F.D.M. Haldane quantenelektronische Bauteile nutzen.» nur durch die Unterstützung verschie- Mehr Informationen zum Thema finden Sie unter: knapp 40 Jahren zuvor vorausgesagt dener Akteure auf mehreren Ebenen www.empa.ch/web/s205 14 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 15
[ FOKUS: FORSCHUNGSFÖRDERUNG ] [ GÖNNERSCHAFT ] WIR SUCHEN PROJEKTE, Was war Ihr erster Gedanke, als Sie würden wir im Extremfall auch ein wis- vom CarboQuant-Projekt erfahren hatten? senschaftlich exzellentes Projekt ableh- nen – und haben da auch schon getan. HUBERT KEIBER IM «TAL DES TODES» WERDEGANG Hubert Keiber ist promo- Das Projekt kam über unseren wissen- Beim CarboQuant-Team scheint die vierter Physiker und war von 1983 bis 2015 schaftlichen Beirat zu mir, der es mir – Chemie gestimmt zu haben. in leitender Position bei Siemens Schweiz, bzw. dem Stiftungsrat – als förderwürdig sowie bei Siemens-Tochtergesellschaften in empfohlen hatte. Und als den Antrag Das war eine Präsentation, wie wir uns Russland und China tätig. Als Obmann dann bei mir auf dem Schreibtisch lag, das vorstellen. Es war gerade nicht so, der Werner Siemens-Stiftung ist er Vorsit- dachte ich – noch bevor ich ihn gelesen dass da Einer das Sagen hätte, und die zender des dreiköpfigen Stiftungsrats. hatte –, «OK, Graphen, da gab's einen anderen würden nachkauen, was der Nobelpreis dafür; aber was will man Chef sagt. Die haben sich regelrecht die da schon Neues machen, da sind die Bälle zugespielt. Da waren drei Köpfe, mehr, etwa vom Nationalfonds. Viele Themen doch weitgehend bekannt und und jeder hatte seine ganz eigenständige Projekte in diesem «Zwischenbereich» bearbeitet. Wo liegt der Clou bei dem Meinung – und genau das braucht es kommen nie zum Laufen, weil ihnen die Projekt?» Das Spannende am Projekt ist, in so einem ambitionierten Projekt. Es Fördermittel fehlen. Genau hier springen dass es um die Geometrie dieser neuen muss Diskussionen, Reibung geben, um wir ein – und CarboQuant passt da opti- Graphen-Werkstoffe geht, dass man voranzukommen. Das hat uns überzeugt. mal rein. Diese ganz speziellen Graphen- über die Geometrie des Graphens dessen strukturen, deren elektronischen und elektrische und magnetische Eigenschaf- Die Werner Siemens-Stiftung fördert magnetischen Eigenschaften sich über ten «einstellen» kann – und das geht gemäss ihrem Stiftungszweck herausra- ihre Geometrie, ihre Form einstellen las- weit über das bislang Bekannte hinaus. gende, innovative Forschungsprojekte sen, könnten künftig Computerchips auf Die Form bestimmt die Funktion, nicht mit dem Ziel, die daraus resultierenden einer ganz anderen Basis ermöglichen die Chemie – also ein vollkommen neuer Innovationen später industriell nut- wie dies bei den heutigen Quantencom- Denkansatz. Das hat mich wirklich beein- zen zu können. Sie fördern etwa ein putern der Fall ist. Quantencomputer druckt. Daher haben wir Roman Fasel, robotergesteuertes Laserskalpell für sind allerdings nur EINE Anwendungs- Oliver und Pierangelo Gröning eingela- minimalinvasive Eingriffe oder antivirale möglichkeit für diese Graphenstrukturen; den, uns das Projekt näher vorzustellen. Medikamente. Wie passt da Carbo- der Quantencomputer ist sozusagen Quant bzw. die Quantenphysik rein? das Fernziel. Ich bin überzeugt, dass Worauf achten Sie in erster Linie, wenn die Erkenntnisse und Entwicklungs- Sie ein Projekt begutachten? Dazu zunächst einmal: Projekte im Be- schritte auf dem Weg dorthin auch zu reich Quantencomputer haben wir in der technologischen Neuerungen in ganz Wir schauen vor allem auf die Prota Vergangenheit auch schon abgelehnt. anderen Bereichen führen können. ENTSCHEIDER gonisten, auf das Team und fragen Auf diesem Gebiet wird heute vor allem Hubert Keiber bestimmt uns: Können die das Projekt tatsächlich noch viel reine Grundlagenforschung be- Welche Bereiche meinen Sie da zum gemeinsam mit seinen umsetzen, trauen wir ihnen das wirklich trieben – und das ist explizit nicht unser Beispiel? Vorstandskollegen die Vergabe der Fördermittel. zu? Wie agieren sie bei der Präsentation, Thema. Wir fördern aber auch keine Pro- ist das eine «One-Man-Show», redet jekte nach dem Motto «schneller, weiter, Etwa mikroelektronische Bauteile und da einer die ganze Zeit, während die höher» – also wenn es «nur» darum Schaltelemente. Die Tatsache, dass Hubert Keiber, Obmann des Stiftungsrats der Werner Siemens- anderen nur dasitzen und zuhören, oder geht, etwas Bestehendes zu optimieren. ich über die Geometrie des Graphens Stiftung, beschreibt, warum das Gremium sich entschied, arbeiten sie zusammen? Wenn das eher Wir suchen Projekte, die sich im «Tal verschiedene Materialeigenschaften ein- Fördermittel in Höhe von 15 Millionen Franken an die Empa fliessen zu lassen. Einzelkämpfer sind, dann ist das für uns des Todes» befinden: Die Grundlagen- stellen kann, war für uns entscheidend – schon ein Problem. Wir suchen Projekte, forschung dazu ist gemacht – in diesem denn dieser vollkommen neue Ansatz die hochgradig interdisziplinär sind – konkreten Fall: Graphen gibt's. Und jetzt erlaubt es, andersartige, also nicht Interview: Michael Hagmann Foto: Nicolas Zonvi / Empa und das ist bei einer einzelnen Person hat jemand eine Idee, was sich daraus Silizium-basierte Halbleiter zu entwickeln eher schwierig. Das heisst, Teamplay machen liesse, etwa einen Prototyp bau- für die Mikroelektronik von morgen. ist für uns enorm wichtig. Wie funktio- en – dafür bekommt er in der Regel noch nieren die im Team, stimmt die Chemie kein «Venture Capital», aber auch keine 15 Millionen Franken sind für die Empa zwischen denen? Wenn nicht, dann Förderung für Grundlagenforschung eine aussergewöhnlich hohe Summe ▲ 16 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 17
[ FOKUS: FORSCHUNGSFÖRDERUNG ] [ ZUKUNFTSFONDS ] NEUE WEGE IN DER für ein einzelnes Projekt – auch für die kein Geld für «Overhead» ausgeben, Tech-Giganten wie IBM, Microsoft oder Werner Siemens-Stiftung? das Geld soll in die Projekte fliessen. Google. Warum setzen Sie in diesem «Wettrennen» gerade auf einen kleinen FORSCHUNGSFÖRDERUNG Nein, das ist genau die Art und Weise, Welche «Bedingungen» sind eigentlich Player wie die Empa? wie wir Projekte fördern. Dafür fördern mit den Fördergeldern verknüpft? wir auch «nur» drei bis vier Projekte pro Weil das Team Quantencomputer voll- Jahr, diese aber mit Beträgen in der Grös- Wir fordern einmal pro Jahr einen Bericht kommen neu denken und konzipieren senordnung von fünf bis 15 Millionen über den Fortschritt des Projekts an – will, auch auf der Materialseite. Heute Franken, in der Regel über zehn Jahre. und berichten dann selbst darüber in brauchen Sie 4 Grad Kelvin, also Tempe- Viele potenziell bahnbrechende Ideen entstehen in den Köpfen der Forscherinnen und Forscher an der Empa – unserem Jahresbericht. Mehr gibt’s für raturen nahe dem absoluten Nullpunkt, nicht alle lassen sich umsetzen, für einige findet sich schlicht keine Finanzierung. Diese Lücke soll künftig der Da man jeden Förderfranken nur einmal die Forschenden nicht zu tun. Wenn wir um einen Quantencomputer mit, sagen Empa Zukunftsfonds schliessen; durch professionelles Fundraising fördert der Zukunftfonds spannende Forschungs- ausgeben kann, birgt dieser Förderan- uns einmal entschieden habe, ein Projekt wir mal, 8 Qbits zu betreiben – und projekte, die anderweitig noch keine Förderung erhalten. satz gewisse Risiken. Warum verfolgen zu fördern, dann gehen wir damit auch CarboQuant könnte es ermöglichen, Sie gerade diese Förderphilosophie? das Risiko ein, das das schieflaufen kann. solche Computer mit Chips, die wie Text: Redaktion Empa Es kann einerseits sein, dass das Projekt normale Chips aussehen, bei deutlich FACHKUNDIG INNOVATION Als gelernter Physiker Sina Abdolhosseinzadeh erläutert und langjähriger Ma- Empa-Direktor Gian-Luca Bona sein nager beurteilt Hubert Projekt: Er möchte preisgünstige Keiber die eingereich- Sensoren für die Medizintechnik mit ten Förderanträge. einem Spezialdrucker herstellen. D Das liegt an der Organisation unse- stirbt, weil die Grundidee prinzipiell nicht höheren, eventuell sogar bei Raumtem- ie Empa ist einer der Technologien und Konzepte, um etwa gratis. Die Empa ist als Forschungs- rer Stiftung – wir sind personell sehr realisierbar ist – das haben wir zwar noch peratur zu betreiben. Und ein weiterer wichtigsten Innovations- die Energiewende zu ermöglichen, die institut des ETH-Bereichs zwar vom schlank aufgestellt, und damit haben nicht erlebt, ist aber denkbar und kann Punkt: Beim Thema Quantencomputer motoren der Schweiz; Kreislaufwirtschaft voranzubringen oder Bund solide grundfinanziert, doch gibt wir nur eine begrenzte Kapazität, um passieren. Was aber fataler wäre, ist, steht, wie Sie richtig gesagt haben, anwendungsorientiert, personalisierte Medizinalanwendungen es immer wieder Projekte, die ihrer Projekte zu begutachten. Wenn wir wenn das Team trotz guter Ideen nicht in Europa nicht wirklich im Vordergrund. praxisnah, auf die zent- in den Praxisalltag zu überführen. Zeit voraus sind – sprich: die zwar im viele kleine Projekte bearbeiten und der Lage wäre, das Projekt umzusetzen. Mit CarboQuant könnten wir hier in ralen Herausforderungen unserer Zeit Erfolgsfall ein enormes Potenzial haben, fördern würden, bräuchten wir eine Denn dann hätten wir einen Bock ge- Europa einen Beitrag zu diesem wich- fokussiert. In mehr als 400 laufenden Damit dieser Innovationsmotor rund die aber mit herkömmlichen Mitteln Foto: Nicolas Zonvi / Empa ganz andere Organisation. Unsere schossen. Eben: «High risk – high gain.» tigen Forschungsgebiet leisten. ■ Forschungsprojekten mit mehreren läuft, muss er geschmiert werden – mit nicht finanziert werden können. Oder Philosophie bzw. unser Codex ist: klein, hundert Partnern aus aller Welt erar- Stipendien, «Grants», Spenden und aber enorm talentierte Nachwuchsfor- Foto: Empa aber fein – und damit meine ich den Quantencomputer sind regelmässig in Mehr Informationen zum Thema finden Sie unter: beiten die Forscher und Forscherin- anderen Arten der finanziellen Zuwen- schende, deren weitere wissenschaft- «Overhead». Wir wollen möglichst der Presse – meist in Verbindung mit www.wernersiemens-stiftung.ch/ nen der Empa innovative Materialien, dung. Denn Spitzenforschung ist nicht liche Laufbahn gefördert wird. ▲ 18 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 19
[ FOKUS: FORSCHUNGSFÖRDERUNG ] [ ZUKUNFTSFONDS ] ZEIT FÜR FUNDRAISING durchzuführen. Die Dauer von zwei solche Geräte wäre der Druck. Allerdings Um in Fällen wie diesen einen grös- seren Handlungsspielraum zu haben, entschloss sich die Direktion der Empa Jahren ist bewusst kurz gehalten, da das Fellowship als Anschub für eine internationale wissenschaftliche Karriere sind «funktionelle Tinten» derzeit noch Mangelware; zudem verunmöglicht der Aufbau der meisten herkömmlichen Die Energie von morgen sauberer vor einiger Zeit, ein professionelles gedacht ist, und nicht als Einstieg in eine Biosensoren die Nutzung bestehender Fundraising aufzubauen: den Empa Karriere bei der Empa. Das Fellowship Druckverfahren. In seinem Forschungs- Zukunftsfonds. «Dadurch wollen wir es wird in einem Wettbewerbsverfahren projekt will Abdolhosseinzadeh auf privaten Geldgebern ermöglichen, in vergeben, um sicherzustellen, dass die den Ergebnissen seiner Doktorarbeit Themenbereichen, die ihnen am Herzen liegen, etwa im Nachhaltigkeits- oder Medizinbereich, Projekte oder aber «helle Köpfe» zu fördern – und uns Bewerberinnen und Bewerber mit dem höchsten Potenzial ausgewählt werden. aufbauen und versuchen, eine univer- selle Sensor-Plattform zu entwickeln, machen. so direkt mitzuhelfen, unsere Zukunft DER EMPA ZUKUNFTSFONDS gegenüber offen; Spenden an den Empa lebenswert und nachhaltig zu gestalten», Der Empa Zukunftsfonds ist das zentrale Zukunftsfonds können von der Steuer abgesetzt so Empa-Direktor Gian-Luca Bona. Der Fundraising- und Spendeninstrument der werden. Das Team des Empa Zukunftsfonds Empa Zukunftsfonds bietet verschiedene Empa und umfasst derzeit fünf thematische besteht aus Gabriele Dobenecker und Martin thematische Fonds, die es privaten Geld- Fonds: vier Forschungsfonds für die Bereiche Gubser. Martin Gubser hat in den vergange- gebern beziehungsweise Spenderinnen Energie, Gesundheit, Nachhaltigkeit und nen Jahren das Fundraising der Schweizer und Spendern ermöglichen, ihre Mittel Nanotechnologie sowie einen Fonds für die Paraplegiker-Stiftung und der UZH Foundation, zweckgebunden einzusetzen: Zurzeit Talentförderung. Für jeden dieser Fonds gibt es der Spendenstiftung der Universität Zürich, gibt es Forschungsfonds für Nachhaltig- einen klar definierten Antrags- und Vergabe- geleitet. Gabriele Dobenecker verfügt über keit, für Gesundheit, für Energie und für prozess. Die Empa erstellt für jeden Fonds eine jahrelange Erfahrung in der Kontaktpflege zu Nanotechnologie sowie einen Fonds für Jahresrechnung und legt diese den Spendern Partnern der Empa in Industrie und Wirtschaft. die Nachwuchs- und Talentförderung. «EMPA FELLOWSHIPS» PREISGÜNSTIGE SENSOREN die diese Probleme löst und mit der Für letzteren konnte der Empa Zukunfts- Das Auswahlverfahren für 2022 ist bestehenden Technik kompatibel ist. fonds vor kurzem eine bedeutende soeben gestartet. Wer also in den Spende entgegennehmen: Der Stif- Genuss des Fellowships der Ria & EIN VIEL VERSPRECHENDER START tungsrat der Ria & Arthur Dietschweiler Arthur Dietschweiler Stiftung kom- Eine ermutigende Entwicklung seien die Stiftung entschied letzten November, men wird, ist noch nicht bekannt. Ein bereits eingeworbenen Mittel, findet ein zweijähriges «Empa Young Scien- erstes «Empa Young Scientist Fellow Gian-Luca Bona – und hofft, dass diesen tist Fellowship» am Standort St. Gallen ship» läuft jedoch bereits seit Oktober ersten Erfolgen bald weitere folgen mit 270 000 Franken vollständig zu 2021: Sina Abdolhosseinzadeh hat im werden: «Die Unterstützung durch die finanzieren. Die Stiftung mit Sitz in vergangenen Jahr seine Doktorarbeit Ria & Arthur Dietschweiler Stiftung, aber St. Gallen wurde 1981 vom deutsch- abgeschlossen und arbeitet seither in auch die Zuwendung durch die Werner schweizerischen Unternehmer-Ehepaar der Forschungsabteilung «Functional Siemens-Stiftung für unsere Forschung Ria und Arthur Dietschweiler gegründet Polymers». Sein Projekt: intelligente im Bereich von neuartigen Architek- und fördert seither gemeinnützige, und zugleich preiswerte Sensoren für turen für Quantencomputer (s. Artikel wegweisende Projekte in den Berei- die Medizintechnik zu entwickeln. S. 12) sind für uns Ansporn, diesen chen Bildung, Kultur und Soziales. In grosser Zahl herstellbare, günstige Weg konsequent weiterzuverfolgen und Das «Empa Young Scientist Fellowship» Diagnoseinstrumente sind eine wichti- zusammen mit unseren Förderern auch ist ein Förderinstrument für ausser- ge Voraussetzung für ein bezahlbares in Zukunft bahnbrechende Innovatio- gewöhnlich begabte junge Wissen- Gesundheitssystem. Chemische Sensoren nen auf den Weg zu bringen, um die schaftlerinnen und Wissenschaftler. sind zwar vielversprechend für die Erken- drängenden Herausforderungen unserer Der Stipendiat bzw. die Stipendiatin nung zahlreicher Krankheiten, von Krebs Gesellschaft lösen zu können.» ■ Machen Sie den Unterschied! erhält die finanziellen Mittel, um wäh- bis zu Virusinfektionen, ihre kostengüns- Unterstützen Sie den rend zwei Jahren ein eigenständiges tige Herstellung ist jedoch schwierig. Mehr Informationen zum Thema finden Sie unter: Empa Zukunftsfonds «Energie». Forschungsprojekt aufzugleisen und Eine Massenproduktionsmethode für www.empa.ch/zukunftsfonds empa.ch/zukunftsfonds 20 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 21
[ DIAGNOSTIK ] E ben noch schien alles normal, 15 Millimeter langer Thrombus, der und von einem Moment auf ein Blutgefäss nicht ganz ausfüllt, hat den anderen ist die Blutzufuhr andere mechanische Eigenschaften, als HARTES HINDERNIS in ganze Gehirnareale blo- ein lediglich wenige Millimeter-kurzes Im Rasterelektronen- ckiert: Wenn ein Gerinnsel ein Gerinnsel, das aber ein Gefäss kom- mikroskop erscheint das Blutgerinnsel Blutgefäss verschliesst, ist die Sauerstoff- plett verstopft und die Blutzufuhr zu homogen. Erst ein versorgung der Nervenzellen unterbro- den dahinterliegenden Hirnarealen Röntgenverfahren, die energiedispersive chen, und die Betroffenen erleiden einen lahmlegt. Nach diesen Unterschieden Röntgenspektroskopie, akuten Hirnschlag. Der lebensbedrohli- richtet sich die optimale Behandlung, sei zeigt, wie stark verkalkt che Zustand kann sich ganz unterschied- es die medikamentöse Auflösung des (violett) der Thrombus ist (unten). lichen äussern: Von Muskellähmungen Gerinnsels oder das Verwenden eines über Ausfälle des Gehörs oder des sogenannten Stent-Retrievers, eine Art Sehvermögens bis hin zur Bewusstlosig- winzige Angel, mit der sich der Throm- keit. Immer aber ist eines klar: Es handelt bus aus dem Blutgefäss «herausfischen» sich um einen medizinischen Notfall, und lässt, und dessen Material je nach die Zeitspanne, bis die Gefässblockade Thrombus anders gewählt werden kann. behoben ist, muss so kurz wie mög- lich sein, um so viele Nervenzellen wie In der Radiologie setzt man derzeit auf möglich vor dem Absterben zu retten. herkömmliche Computertomographien, GEFANGEN IM Nur so können bleibende neurologi- um einen therapeutischen Entscheid BLUTGERINNSEL Mit dem Rasterelek- sche Schäden verhindert werden. zu fällen. Allerdings ermöglichen die tronenmikroskop Bilder vom Kopf der Betroffenen kaum lassen sich rote Blutkörperchen mit Welche Behandlungsmethode hierfür am Aussagen über die Details eines Ge- einem Durchmesser besten geeignet ist, ist in der gebote- rinnsels, da sich Objekte aus ähnlichem von wenigen Mikro- metern erkennen. nen Eile nicht immer leicht zu bestim- Material zu wenig voneinander unter- men. Basierend auf Röntgenanalytik scheiden und räumlich auflösen lassen. und Elektronenmikroskopie entwickelt Im Klinikalltag muss man sich zudem ein Team der Empa, des Universitäts- mit Details zufriedengeben, die auf GRAUSAME SCHÖNHEIT spitals Genf und der Klinik Hirslanden ca. 200 Mikrometer beschränkt sind. Rund 1,5 Millimeter breites derzeit eine Methode, mit der sich die Blutgerinnsel in einer 3D-Mikro-Computertomo optimale Therapie innert kürzester Zeit Anders ist dies bei Laborverfahren, die graphie (nachkoloriert) bestimmen lassen soll. Eine erste Studie die Forschenden innerhalb der neu- ist nun in der Fachzeitschrift «Scienti- en Studie einsetzten: Das Team unter METEORITEN fic Reports» erschienen. Diese Daten Beteiligung von Robert Zboray, Anto- Tomographien mit Phasenkontrastverfah- sollen die Grundlage für eine massge- nia Neels und Somayeh Saghamanesh ren erzeugen einen stärkeren Kontrast. schneiderte Behandlung im Sinne der vom «Center for X-Ray Analytics» der Leicht zu durchdringende Objekte, personalisierten Medizin schaffen. Empa hatte verschiedene Blutgerinnsel, wie etwa Muskeln, Bindegewebe oder EINSCHLAG IM KOPF die bei neurochirurgischen Eingriffen Blutgerinnsel, können so in besonders JEDE ZELLE EINZELN DURCHLEUCHTEN an Patientinnen und Patienten ent- feinen Nuancen und in ihrer räumli- Der Grund: Blutgerinnsel ist nicht gleich nommen worden waren, untersucht. chen Ausbreitung dargestellt werden. Blutgerinnsel; je nach Typus können Hierzu wurden verschiedene Labor- darin verschiedene Zellarten miteinander technologien kombiniert, wodurch sich VERKALKTE THROMBEN verklumpen. Je nachdem, ob rote oder virtuelle 3D-Befunde mit detaillierten Weitere Technologien wie die Rasterelek- Wenn ein Blutgerinnsel im Gehirn die Sauerstoffversorgung blockiert, erleiden Betroffene einen akuten H irnschlag. weisse Blutkörperchen dominieren oder und bisher unbekannten Eigenschaf- tronenmikroskopie und Röntgendiffrak- Für die Behandlung zählt dann jede Minute. Ein Team der Empa, des Universitätsspitals Genf und der wie stark der Anteil von eiweisshaltigen ten von Blutgerinnseln ergaben. «Wir tions- und Röntgenstreuungsverfahren Klinik Hirslanden entwickelt ein Diagnoseverfahren, dank dem sich rasch eine massgeschneiderte T herapie einleiten lässt. Fibrinfasern ist, weist der Thrombus haben einzelne rote Blutkörperchen lieferten zusätzliche Informationen bis ganz andere Eigenschaften auf. Zudem mittels 3D-Mikro-Tomographie bis auf hin zu atomaren Strukturen. Hier zeigte Bilder: Empa Bild: Empa Text: Andrea Six unterscheiden sich die Thromben in den Mikrometer genau durchleuchtet», sich erstmals, dass ein Thrombus nicht ihrer Gestalt stark voneinander. Ein sagt Empa-Forscher Zboray. Derartige nur aus Blutzellen und Fibrinfäden ▲ 22 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 23
[ WELTRAUM ] GLÜHENDE E besteht, sondern sogar mit Minerali- s hat die Farbe von Weissgold, von «metallischem Glas». An der Empa Antonia Neels. Den Ehrgeiz der For- en wie Hydroxylapatit durchsetzt sein doch es ist hart wie Quarzglas beschäftigt sich Antonia Neels, die Lei- schenden stachelt das umso mehr an. kann, wie man es von Gefässwänden und weisst gleichzeitig eine terin des Zentrums für Röntgenanalytik, GEMEINSAM INS ALL GLASTRÖPFCHEN bei der Arterienverkalkung kennt. hohe Elastizität auf. Die glatte seit rund 15 Jahren mit diesem geheim- und korngrenzenfreie Oberflä- nisvollen Material. Ihr Team untersucht In einigen Monaten wird eine Probe von Diese detaillierten Informationen zu den che macht das Material widerstandsfähig die innere Struktur von metallischem metallischem Glas in der Schwerelosig- Eigenheiten eines Blutgerinnsels kom- gegen Salze oder Säuren. Einzelstücke – Glas mit Hilfe verschiedener Röntgenme- keit der internationalen Raumstation ISS IM ALL men jedoch zu spät, wenn der Thrombus etwa für medizinische Implantate – thoden und entdeckt dadurch Zusam- untersucht. Eine Forschergruppe unter bereits operativ entfernt worden ist. lassen sich im 3D-Druck herstellen, wäh- menhänge mit Eigenschaften wie Ver- Beteiligung der Empa hat die Proben vor- Zudem lassen sich die neu gewonnenen rend grössere Serien – etwa für Uhrge- formbarkeit oder Bruchverhalten. Auch bereitet und bei der europäischen Raum- Daten nicht auf den ersten Blick mit den häuse – im Spritzgussverfahren gefertigt für Profis der Materialwissenschaften fahrtagentur ESA zum Weltraumflug an- gewohnten Bildern und Befunden im werden. So ungefähr wird das Material sind metallische Gläser eine harte Nuss: gemeldet. Die Speziallegierung liefert die Spital abgleichen. Die Digitalisierung in der Träume beschrieben, an dem Wissen- «Je genauer wir die Proben anschauen, Firma PX Group aus La Chaux-de-Fonds, der Medizin erlaubt indes, die Daten so schaftler derzeit forschen. Die Rede ist desto mehr Fragen tauchen auf», sagt die Materialien für die Uhrenindustrie zu modellieren, dass ein Algorithmus in und die Zahnmedizintechnik herstellt. Zukunft die Detailinformationen ausle- Mit im Team sind auch die Forscher sen könnte. «Hierzu müssen wir noch Gemeinsam mit Forschern aus Ulm Markus Mohr und Hans-Jörg Fecht vom deutlich mehr Thromben untersuchen, und Neuchâtel wird die Empa bald «Institute of Functional Nanosystems» damit wir über «Machine Learning» neue Materialproben auf der internatio- der Universität Ulm sowie Roland Logé Merkmale und Bildmuster bezüglich nalen Raumstation ISS untersuchen. vom «Laboratory of Thermomechanical der Zusammensetzung der Gerinnsel Es geht um superharte und kor- Metallurgy» der EPFL in Neuchâtel. erkennen können, die sich dann auf rosionsfeste Legierungen aus Spitalbilder übertragen lassen und damit Palladium, Nickel, Kupfer und Die Herstellung von metallischem Glas die Identifizierung von verschiedenen Phosphor – auch «metallische ist nicht ganz einfach: Im Vergleich zu Thrombustypen erleichtern», so Zboray. Gläser» genannt. Mit an Fensterglas müssen die speziell aus- Bord ist auch eine Hightech- gewählten Metall-Legierungen bis zu Dann, so das Ziel der Forschenden, Firma aus La Chaux-de-Fonds, hundertfach schneller abgekühlt werden, liessen sich herkömmliche Spitalbilder die Materialien für die damit sich die Metallatome nicht zu in kürzester Zeit so interpretieren, als Uhrenindustrie herstellt. Kristallgittern zusammenlagern. Nur ob das Blutgerinnsel im Kopf in einem wenn die Schmelze schockartig erstarrt, virtuellen Labor untersucht werden wür- Text: Rainer Klose bildet sie ein Glas. In der Industrie de. Letztendlich ermöglicht dies für den werden dünne Folien metallischer Gläser Schlaganfall-Patienten rasch eine genau- erzeugt, indem die Schmelze zwischen ere und personalisierte Therapie. ■ schnell rotierende Kupferwalzen gepresst wird. Forscher giessen bisweilen ihre Proben in Gussformen aus massivem Kupfer, das die Wärme besonders gut abführt. Doch grössere, massive Werkstücke aus metallischem Glas sind mit diesen Methoden nicht machbar. DER 3D-DRUCK HILFT WEITER Ein möglicher Ausweg aus dem Dilem- Foto: Airbus Defence and Space ma ist der 3D-Druck im sogenannten Pulverbettverfahren. Ein feines Pulver der gewünschten Legierung wird für SCHWERELOS FÜR SEKUNDEN wenige Millisekunden mit einem Laser Fotos: Empa Wissenschaftler der Universität Ulm Foto: Empa Mehr Informationen zum Thema finden Sie unter: bei einem Schmelzversuch im Zero- erhitzt. Die Metallkörnchen verschmel- www.empa.ch/web/s499 G-Airbus der Firma Novespace zen mit ihren Nachbarn zu einer ▲ 24 I EMPA QUARTERLY II April 2022 II # 75 # 75 II April 2022 II EMPA QUARTERLY I 25
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