Flüsse als Netzwerk verstehen - Universität Innsbruck
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Ausgabe Oktober 2021 Magazin der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Flüsse als Netzwerk verstehen Seite 6 Interview mit Rektor Märk Seite 4 ◼ Antikörper: Natur als Vorbild Seite 8 ◼ Die Schule als Ort, der öffnet Seite 12 ◼ Der Löwe auf der Hohen Birga Seite 16 ◼ Beilage zur Tiroler Tageszeitung www.uibk.ac.at
Tiroler Hochschultag ONLINE 21 21.10 . 2021 Die Tiroler Hochschulen öffnen virtuell ihre Türen Virtuelle Studieninfos | Vorträge | Führungen Universität Innsbruck | Medizinische Universität Innsbruck | UMIT TIROL | fh gesundheit | MCI - Die Unternehmerische Hochschule® | FH Kufstein Tirol | Pädagogische Hochschule Tirol | Kirchliche Pädagogische Hochschule Edith Stein www.hochschulen.tirol Das gesamte Programm © BfÖ 2021 mit zusätzlichen Informationen zu den Tiroler Hochschulen Inserat wissenwert 212x284 THT 2021.indd 1 15.09.21 14:13
3 Inhalt Ausgabe Oktober 2021 Editorial 00 10 4 Gestärkt aus der Corona-Krise Rektor Tilmann Märk fasst im Interview zusam- men, wie die Universität die damit verbundenen Schwierigkeiten gemeistert hat, und gibt Aus- blicke auf die Zukunft. 6 Flüsse als Netzwerk Der Ökologe Gabriel Singer erforscht die Kom- Foto: Gerhard Berger plexität von Fließgewässerökosystemen. 8 Der Natur nachgebaut Eine Arbeitsgruppe um den Chemiker Klaus Liedl arbeitet am Design therapeutischer Antikörper. 10 Gegen das Gasthaussterben Die Initiative „#dufehlst – Tiroler Wirtshäuser suchen DICH“ will dieser Entwicklung entgegen- Liebe Leserin, lieber Leser! wirken. Am 4. Oktober sind wir in das neue 12 Schule, die öffnet und damit bereits vierte Semester Transnationale Netzwerke moralkonservativer während der Corona-Pandemie ge- Akteure stehen im Fokus der Innsbrucker Sozi- startet. Die vergangenen drei Semester ologin Kristina Stoeckl. haben allen, Lehrenden wie Studie- renden, viel abverlangt, aber trotz der 14 Kindgerechte Wissenschaft für uns alle schwierigen Bedingungen 18 Im Projekt „Growing Ideas“ arbeitet die Bil- konnten diese durchaus mit Erfolgen dungswissenschaftlerin Julia Nagy daran, Na- abgeschlossen werden. Aber auch wenn turwissenschaft für Kinder ab fünf zu erklären. es in den vergangenen Monaten weit- gehend gut funktioniert hat, aus der 16 Der Löwe auf der Hohen Birga Distanz zu lehren und zu lernen, lebt Neue archäologische Grabungen auf der Hohen eine Universität auch von dem persön- Birga gewähren einen umfassenden Einblick in lichen und direkten Austausch zwi- das Leben der Räter während der Eisenzeit. schen WissenschaftlerInnen und ihren 20 Studierenden. Aus diesem Grund haben 18 Die Welt im Kleinen wir uns gut auf das neue Semester vor- Das Dorf „Globo“ verkörpert mit seinen 100 Ein- bereitet und freuen uns, im Rahmen wohnern die Weltbevölkerung. der gesetzlichen Vorgaben nun wieder regen Betrieb in unseren Räumen zu 20 Mikrokosmos „Bögen“ haben. An unserer Universität gilt die Neue Perspektiven auf die berühmteste Inns- 3-G-Regel – Zutritt zu den Gebäuden brucker Ausgehmeile eröffnet die Ausstellung hat nur, wer getestet, geimpft oder ge- „Gemma Bögen. Mikrokosmos Viadukt“. nesen ist. Zudem gilt in allen öffentli- chen Bereichen, und solange Personen 21 Förderkreise 1669 in Bewegung sind, Maskenpflicht. Die- Das Kuratorium hat entschieden, welche Ideen se Maßnahmen werden auch entspre- aus dem Spendentopf unterstützt werden. chend kontrolliert. Wir gehen aber von der entsprechenden Disziplin und der Kooperationsbereitschaft aller Uni- versitätsangehörigen aus. Jüngste Er- gebnisse, die zeigen, dass der Anteil IMPRESSUM der Geimpften unter Studierenden mit über 80 Prozent wesentlich höher ist wissenswert – Magazin der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck – 19. Oktober 2021 als im Rest dieser Altersgruppe, lassen Herausgeber und Medieninhaber: Universität Innsbruck; Hersteller: Intergraphik GmbH. Sonderpublikationen, Leitung: Frank Tschoner; mich optimistisch in das neue Semes- Redaktionelle Koordination: Susanne E. Röck, Christa Hofer. ter blicken. Ich wünsche Ihnen allen Redaktion: Melanie Bartos, Christian Flatz, Christa Hofer, Stefan Hohenwarter, Lisa Marchl, Fabian einen guten Start in den Herbst und Oswald, Susanne E. Röck, Miriam Sorko, Uwe Steger. bleiben Sie vor allem gesund! Covergestaltung: Catharina Walli. Foto Titelseite: Gabriel Singer. Fotos Seite 3: iStock/FooTToo, teamGlobo/Studia Verlag Innsbruck, www.gemma-boegen.at. Univ.-Prof. Dr. Tilmann Märk Anschrift für alle: 6020 Innsbruck, Brunecker Straße 3, Postfach 578, Tel. 0512 53 54-1000. Rektor der Universität Innsbruck
4 Gestärkt aus der Krise Am 4. Oktober startete die Universität Innsbruck in Disziplinen beteiligt, von der Informatik über die Chemie und die Astrophysik bis hin das vierte Semester während der Corona-Pandemie. zu den Geo- und Geisteswissenschaften. Das spiegelt die fachliche Bandbreite an exzel- Rektor Tilmann Märk fasst im Interview zusammen, lenter Forschung wider, die an der Universi- tät Innsbruck betrieben wird. wie die Universität die damit verbundenen Gut vorbereitet ins Wintersemester Schwierigkeiten gemeistert hat, und gibt Ausblicke auf die Zukunft. Wie sehen die Pläne an der Universität Inns- bruck für das kürzlich gestartete Winterse- mester aus? Märk: Wir haben uns gut auf das neue Se- Wie ist die Universität aus Ihrer Sicht rückbli- mester vorbereitet, um mit möglichst viel ckend durch die Pandemie und die damit ver- Präsenzunterricht sicher in das neue Win- bundenen Einschränkungen gekommen? tersemester starten zu können. An unserer Rektor Tilmann Märk: Dieses Virus hat uns Universität gilt die 3-G-Regel. Zutritt zu den mit einer Intensität getroffen, die wir zu- Gebäuden hat nur, wer getestet, geimpft oder nächst nicht für möglich gehalten haben. genesen ist. Zudem gilt in allen öffentlichen Ganz besonders in Tirol hat es uns alle vor Bereichen, und solange Personen in Bewe- große Herausforderungen gestellt, im Klei- gung sind, Maskenpflicht. Diese Maßnah- nen wie im Großen. Was nun die Universi- men werden auch entsprechend kontrolliert. tät Innsbruck betrifft, war es eine schwere, Zudem haben wir in der Startphase unter- aber, wie sich aus heutiger Sicht zeigt, gänz- stützende Maßnahmen gesetzt: Ein Impf- lich notwendige und richtige Entscheidung, angebot für alle Angehörigen der Universität den Vorlesungsbetrieb sehr früh und kom- beispielsweise, das auch Studierende ohne plett von Präsenzlehre auf digitale Formate österreichische Sozialversicherungsnum- umzustellen. Wir waren hier die Ersten in mer in Anspruch nehmen können. Gleich- Österreich, die diese Entscheidung mit un- zeitig bieten wir nach wie vor an den drei serem sehr professionell agierenden Krisen- Universitätsstandorten Innrain, Technik stab getroffen haben. Die vergangenen drei und SOWI kostenlose Antigentests für Stu- Semester haben allen, Lehrenden wie Stu- Rektor Tilmann Märk. dierende und Mitarbeitende an. Wie lange Foto: Uni Innsbruck dierenden, viel abverlangt, aber trotz dieser das alles gut funktioniert, hängt natürlich für uns alle schwierigen Bedingungen konn- von der Disziplin und der Kooperationsbe- ten diese vergangenen drei Semester durch- reitschaft aller Uniangehörigen ab. Jüngste aus mit Erfolgen abgeschlossen werden. So Ergebnisse, die zeigen, dass der Anteil der hat sich beispielsweise sowohl die Zahl der das U-Multirank, ein multidimensionales Geimpften unter Studierenden mit über Prüfungsaktivität als auch die der Studien- Ranking mit knapp 40 Indikatoren aus den 80 % wesentlich höher ist als im Rest dieser abschlüsse um 3,5 % gesteigert. Bereichen Lehre, Forschung, Wissenstrans- Altersgruppe, lassen mich aber optimistisch Der Bereich Lehre hat sich also auch während fer, Internationalität und Regionalität, be- in das neue Semester blicken. der Pandemie positiv entwickelt, wie steht es stätigen die Qualität unserer Forschung um die Forschung an der Universität Inns- und Lehre immer wieder. Auch im neuen Erfolgreiche Budgetverhandlungen bruck? Exzellenzzentren-Programm des österrei- Märk: Dank des hohen Engagements unserer chischen Wissenschaftsfonds FWF konn- Kürzlich haben Sie die Leistungsvereinba- Forscherinnen und Forscher sind wir auch in ten wir bereits erste Erfolge erzielen: Drei rungen mit dem Bundesministerium für Bil- diesem Bereich sehr erfolgreich durch die Lead-Anträge der Universität Innsbruck, die dung, Wissenschaft und Forschung abge- Krise gekommen und gehen gestärkt aus ihr in unserem Schwerpunktsystem fest ver- schlossen, das über das Universitätsbudget hervor. Die Zahl der Spitzenpublikationen ankert sind, greifen wichtige Forschungs- der nächsten Jahre entscheidet; mit welchem hat sich erhöht und 2020 wurden sieben Pro- fragen aus den Themenbereichen Quanten- Ergebnis? jekte der Universität Innsbruck mit einem physik, Klimaforschung und Ökonomie auf. Märk: Das Budget der Leistungsvereinba- ERC Grant, die höchste Auszeichnung des Diese haben die erste Prüfungsphase bereits rung 2019–2021 war aufgrund der Einfüh- Europäischen Forschungsrates, ausgezeich- bestanden, die endgültige Entscheidung fällt rung des Systems Studienplatzfinanzierung net. Und auch die Zahl der eingeworbenen im Frühjahr 2023. Darüber hinaus sind Wis- wesentlich erhöht. Drittmittel konnte 2020 auf den Rekordwert senschaftlerinnen und Wissenschaftler der Dieser erfolgte Einstieg in eine kapazi- von 50 Millionen erhöht werden. Unabhän- Universität Innsbruck an weiteren Anträgen tätsorientierte, studierendenbezogene Uni- gige, internationale Vergleiche, wie jüngst aus unterschiedlichen wissenschaftlichen versitätsfinanzierung mit den seitens des
5 Am 4. Oktober startete die Universität Innsbruck in das vierte Semester während der Corona-Pandemie. Foto: Uni Innsbruck »Die vergangenen drei Inflation“ - fortzuführen und Freiräume für »Aufgrund unserer positiven Semester haben allen strategisch wichtige Projekte zu schaffen. Kennzahlen in Forschung und viel abverlangt, aber Welche Projekte sind das, was sind die The- Lehre konnten wir auch die men der Zukunft an der Uni Innsbruck? trotz dieser für uns alle Märk: Wichtige Themen, die uns neben un- jüngsten Verhandlungen über schwierigen Bedingungen seren Hauptaufgaben der Lehre, Forschung die Leistungsvereinbarung konnten sie durchaus mit und des Wissenstransfers beschäftigen, sind 2022–2024 unter den Nachhaltigkeit, Diversität, Digitalisierung Erfolgen abgeschlossen gegebenen Randbedingungen und Internationalität. Diese vier Bereiche werden.« stehen als Querschnittsmaterien in unserem sehr erfolgreich abschließen.« TILMANN MÄRK Fokus. TILMANN MÄRK Ministeriums verfolgten Zielen hinsichtlich International vernetzt einer Qualitätsverbesserung in Lehre und und Wissenschaftler sowie Beschäftigte in Forschung, einer Steigerung der prüfungs- Stichwort Internationalität: Die Universität der Verwaltung. Bereits in diesem Winter- aktiven Studien, einer verbesserten Steue- Innsbruck ist seit 2019 Mitglied des interna- semester finden mit den Ringvorlesungen rung und Planung der Kapazitäten sehe ich tionalen Netzwerkes Aurora. Was genau ist „Sustainability & Climate Change“ sowie positiv. Aufgrund unserer positiven Kenn- Aurora und was sind die Ziele dieses Netz- „Doing Diversity in Higher Education“ zwei zahlen in Forschung und Lehre – beispiels- werkes? Ringvorlesungen an der Universität Inns- weise die Steigerung bei prüfungsaktiven Märk: Das Aurora-Netzwerk besteht aus bruck statt, die für alle Studierenden aus Studien und Abschlüssen – konnten wir neun hervorragend ausgewiesenen euro- dem Aurora-Netzwerk zugänglich sind. Ein auch die jüngsten Verhandlungen über die päischen Universitäten und wird seit 2020 erster besonderer Höhepunkt im Rahmen Leistungsvereinbarung 2022–2024 unter auch von der EU als European University der letztgenannten Ringvorlesung findet den gegebenen Randbedingungen sehr er- Alliance finanziell gefördert. Im Rahmen am 20. Oktober statt: In der Reihe „Aurora folgreich abschließen. Die Herausforderung dieses Netzwerkes setzen wir auf intensive Talks“ wird der luxemburgische Außenmi- in den nächsten zwei Jahren wird darin lie- Kooperationen mit ausgewählten Partnern nister Jean Asselborn zum Thema „Perspek- gen, die bisher erfolgreich verfolgte aktive von Reykjavik bis Neapel. Von dieser Zusam- tiven für Europa“ sprechen. und gestaltende Budgetpolitik trotz eines menarbeit profitieren alle an der Univer- Das Interview führte Susanne E. Röck schwierigen Umfelds - Stichwort „erhöhte sität Studierenden, Wissenschaftlerinnen susanne.e.roeck@uibk.ac.at ◼
6 Studierende im Raft auf der unteren Vjosa bei einer Exkursion im September 2021. Fotos: Singer; Franz Oss Flüsse als Netzwerk verstehen Bäche und Flüsse – und alles, was sie in ihrem Fluss möglicherweise stört – stehen im Fokus des Interesses von Gabriel Singer. Der Ökologe erforscht die Komplexität von Fließgewässerökosystemen auf der ganzen Welt und engagiert sich mit seiner Expertise im Umweltschutz. F ließende Gewässer bilden in der Land- ZUR PERSON schaft ein verzweigtes System aus langen, dünnen Lebensadern. Fließ- Gabriel Singer (*1976) studierte Biologie an der Universität Wien, gewässer sind immer Teil eines komplexen wo er 2009 mit einem Doktorat in Ökologie abschloss. Ab 2013 war Netzwerkes aquatischer Lebensräume“, er- er als Arbeitsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Gewässeröko- klärt Prof. Gabriel Singer vom Institut für logie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin tätig. Seine Arbeit wurde Ökologie. „Aus zahlreichen Zubringern zu- mehrfach ausgezeichnet, seit 2016 forscht Gabriel Singer auf Basis sammengesetzt, bietet ein Flussnetzwerk eines renommierten ERC-Starting Grants mit seiner Arbeitsgrup- einen kontinuierlichen Lebensraum für eine pe an Ökosystemfunktionen in Flussnetzwerken. Seit Dezember Vielzahl von Organismen. Durch Beeinflus- 2019 ist Singer Universitätsprofessor für Aquatische Biogeochemie sung des Umlandes prägt und unterhält ein am Institut für Ökologie. Im von der EU geförderten Horizon 2020 Projekt DRYvER be- Fluss weitere aquatische und semi-aqua- schäftigt sich Gabriel Singer aktuell in einem internationalen Team mit den Auswir- tische Lebensräume in der Umgebung, wie kungen von durch den Klimawandel veränderten hydrologischen Regimen auf Biodi- zum Beispiel Auenlandschaften.“ Fluss- versität und Funktionen von Flussnetzwerken. netzwerke mit ihren vielfältigen Ökosyste- men stehen im Mittelpunkt der Arbeit des
7 Gewässerökologen mit seinem 10-köpfigen Team am Institut für Ökologie. In vielen Re- gionen der Erde besitzen nur noch die we- nigsten Flüsse und Bäche einen natürlichen Lauf, unveränderten Wasserhaushalt oder intakten Sedimenttransport – auch in Tirol. Das Abflussregime, der natürlicherweise oft variable Wasserstand, ist häufig stark durch menschliche Beeinflussung verändert. „Schwankungen in der Wassermenge, auch wenn sie den Charakter größerer Störungen in Form von Hochwasserwellen und Nied- rigwasserzeiten haben, sind bis zu einem gewissen Ausmaß normal und ermöglichen Flüssen den Erhalt ihrer Lebensraumvielfalt und natürlicher Funktionen wie Selbstreini- In der Drift eines kleinen Baches gung. Oft genug ist aber der Mensch invol- wird Mikroplastik eingefangen. viert, verändert Flussläufe durch Verbauung und Begradigung und den Wasserhaushalt durch Ausleitungen und Wasserkraftwerke“, so Singer. Für ein Flussnetzwerk bedeuten diese Einflussnahmen oft eine sogenann- te Fragmentierung, deren Auswirkungen Lebenszyklus mehrmals ein Flussnetzwerk bensraum Fluss ist oftmals nicht mehr viel auf die Lebensräume und ihre Artenviel- und sind somit ein Bindeglied zwischen Le- übrig“, gibt Gabriel Singer zu bedenken. falt großteils unerforscht sind: „An vielen bensräumen – manchmal sogar zwischen „Wir haben zwei Herausforderungen, denen Stellen sehen wir, dass der Verlust von frei den Ozeanen und Wäldern entlang von wir uns gleichzeitig stellen müssen: dem fließenden Gewässern mit negativen Aus- kleinen Oberläufen. Gut erkennbar ist die- Klimawandel und dem Verlust an Biodiver- wirkungen auf die biologische Vielfalt ver- se Verbundenheit auch an Stellen, wo Flüs- sität. Naturschutz darf dem Klimaschutz bunden ist und teils irreversible Schäden an se ineinanderfließen: Allein schon aus der nicht geopfert werden, weil die Biodiversi- den Ökosystemen mit sich bringt. Lebensge- unterschiedlichen Färbung und Trübe wird tät, die wir in unseren Lebensräumen ha- meinschaften in und entlang der Flüsse sind ersichtlich, dass verschiedene Zusammen- ben, die wesentliche Versicherung gegen die besonders stark vom Artensterben betroffen. setzungen aufeinandertreffen“, betont Sin- massiven künftigen Folgen des Klimawan- Ein gezähmter Fluss büßt einiges an Vielfalt ger. Konnektivität besitzt aber nicht nur ei- dels ist.“ Singer sieht seine Arbeit im Span- in seiner Funktion als Lebensraum ein.“ In ne räumliche Dimension: „Es geht nicht nur nungsfeld politischer und gesellschaftlicher Österreich etwa ist die längste, nicht frag- um Kilometer, sondern auch um Zeit: Auch Entscheidungen und bringt seine Expertise mentierte Strecke eines Flusses circa 60 Ki- die Veränderung der Dauer, wie lange Was- auch bei umstrittenen Projekten, beispiels- lometer lang, nur noch 15 Prozent der Flüsse ser von A nach B braucht, nimmt Einfluss weise dem Kraftwerksbau an der Ötztaler sind ökologisch intakt, mehr als die Hälfte auf den Lebensraum.“ Vor diesem Hinter- Ache in Tumpen/Habichen, ein. „Flüsse bie- der heimischen Fischarten sind gefährdet. grund plädiert Gabriel Singer, auch den Bau ten auch Lebens-, Erholungs- und Erfah- Einer der letzten großteils freifließenden von Kraftwerken mit Staudämmen und Ver- rungsraum für Menschen. Mir ist es wichtig, Flüsse Europas ist die Vjosa, die in Grie- änderungen des Abflussregimes zu sehen: das Ökosystem Fluss nicht nur intellektuell chenland entspringt und in Albanien in die „Kraftwerksbauten sind Eingriffe in kom- zu erfassen, sondern auch die emotionale Adria mündet. In diesem fast unberührten plexe Ökosysteme. Wir müssen beginnen, Bedeutung zu erkennen. Beides lässt mich Flussnetzwerk, in seiner gesamten Ausdeh- Auswirkungen nicht nur lokal, sondern auch für den Schutz dieser Ökosysteme für künf- nung etwa der Größe des Inns bei Innsbruck regional auf Maßstab des gesamten Fluss- tige Generationen plädieren.“ entsprechend, forscht Singer seit mehre- netzwerkes zu verstehen. Denn der ‚grüne melanie.bartos@uibk.ac.at ◼ ren Jahren. Daraus erhofft sich das Team Strom‘ steht einer potenziell irreversiblen nicht nur ein besseres Grundverständnis des Zerstörung von Ökosystemen gegenüber.“ komplexen Flussökosystems, sondern auch Biodiversität Podcast „Zeit für Erkenntnisse für möglichst erfolgreiche Renaturierungsprojekte in stark vom Men- schen beeinflussten Bächen und Flüssen des Im Angesicht des Klimawandels spitzt Wissenschaft“ Alpenraums. sich die Situation auch für Fließgewässer- Ökosysteme zu. „Abflussregime werden in Gabriel Singer war zu Gast im Pod- Verbundenheit Zukunft extremer ausfallen, sowohl Tro- cast der Universität Innsbruck, „Zeit ckenheit als auch Überflutungen werden zu- für Wissenschaft“: Im ausführlichen Wird das Abflussregime eines Flusses nehmen. Das steht außer Frage. Um dem be- Gespräch erzählt er mehr über seine verändert, sind die Folgen nicht nur an Ort gegnen zu können, brauchen Flüsse Raum, Arbeit in der Natur und im Labor, die und Stelle des Eingriffes zu verorten, son- an vielen Orten mehr, als wir ihnen in den Bedeutung von Wissenschaftskom- dern betreffen durch unterbundenen Arten- letzten Jahren zugestanden haben. Oder an- munikation und Engagement im Um- austausch und Ressourcentransport weite ders formuliert: Man kann einen Fluss nicht weltschutz – und was vom Kajakfah- Teile des Gewässernetzwerkes. Es ist gera- domestizieren, man muss ihm eine gewisse ren für die Forschung gelernt werden de die spezifische Ausgestaltung der Kon- Wildheit zugestehen. In den letzten 50 Jah- kann. Auch die Frage, wie grün „grü- nektivität, also der Verbindung zwischen ren wurde viel begradigt und vereinheit ner Strom“ heute wirklich noch sein den Lebensräumen, die Flusslebensräume licht, vor allem auch seitlicher Lebensraum kann, ist Thema in der 50. Episode: zu solch speziellen und artenreichen Le- abgezwackt und dadurch der Abfluss be- uibk.ac.at/podcast/zeit bensräumen werden lässt. „Viele Fischarten schleunigt. Das Wasser fließt zwar noch aus durchwandern zum Beispiel im Laufe ihres den Bergen Richtung Meer, aber vom Le-
8 Die Baupläne der Antikörper von Haien und Kamelen sind Vorbild für das Design von erfolgsversprechenden Biologicals. Fotos: iStock/Ramon Carretero, Chris Hepburn Der Natur nachgebaut Antikörper haben nicht nur eine große Bedeutung im menschlichen Immunsystem, sie haben in den vergangenen 20 Jahren auch massiv an Bedeutung als Therapeutika gewonnen. Eine Arbeitsgruppe um den Chemiker Klaus Liedl arbeitet am optimalen Design therapeutischer Antikörper. Ihr Vorbild dafür kommt aus der Natur. A ntikörper sind zentraler Bestandteil on von Antikörpern hat die pharmazeutische therapeutische Antikörper zum Einsatz“, des menschlichen Immunsystems. Forschung dazu inspiriert, mithilfe moleku- erklärt Klaus Liedl. Der Universitätsprofes- Die Proteine dienen dazu, eingedrun- larbiologischer Methoden sogenannte the- sor am Innsbrucker Institut für Allgemeine, gene Antigene oder beschädigte Zellen ab- rapeutische Antikörper zu entwickeln. „Vor Anorganische und Theoretische Chemie be- zufangen und sie so daran zu hindern, mit allem im Bereich der Onkologie und jüngst schäftigt sich gemeinsam mit seiner Mitar- den Körperzellen zu interagieren oder in die auch in Zusammenhang mit der Therapie beiterin Dr. L. Monica Fernández-Quintero Zellen einzudringen. Diese zentrale Funkti- gegen SARS-CoV-2 kommen immer häufiger und einem größeren Forschungsteam mit
9 der Weiterentwicklung und dem Design von erkrankungen und Erkrankungen des Zen- Für den durchschlagenden Erfolg ist von es- therapeutischen Antikörpern. tralen Nervensystems. „Bis jetzt hat man sentieller Bedeutung, dass die Forschungs- therapeutische Antikörper für Krankheiten gruppe in der Lage ist, ihre Rechnersysteme Hoffnungsträger der Medizin entwickelt, deren Angriffspunkte an der selbst zusammenzubauen und an besonders Zelloberfläche liegen – die also gut für die herausfordernde Problemstellungen anzu- „Da Antikörper Proteine sind, enthal- Antikörper erreichbar sind. Um das Behand- passen. „So gelingt es uns, mit vergleichs- ten sie per se keine toxischen Bausteine, lungsspektrum auszuweiten, müssen die weise wenig Geld mit Eliteuniversitäten auch ihre Verweil- und damit Wirkdauer im Antikörper auch in die Zelle oder in das Zen- konkurrenzfähig zu sein“, so Liedl. Für das Körper ist länger als bei klassischen Medi- trale Nervensystem eindringen können“, er- optimale Design der therapeutischen An- kamenten aus kleinen chemischen Verbin- klärt Klaus Liedl. Hier kommt allerdings ein tikörper spielt auch ihre Flexibilität eine dungen. Zudem können sie durch die mole- Nachteil der Antikörper ins Spiel: Es handelt wichtige Rolle. „Das Thema der Protein- kularbiologische Auswahl relativ einfach für sich dabei um relativ große Moleküle. flexibilität beschäftigt mich in meiner Ar- die Anwendung bei verschiedenen Krank- beitsgruppe schon seit vielen Jahren. Dabei heiten hergestellt werden“, beschreibt Klaus Vorbild aus der Natur untersuchen wir, sehr vereinfacht erklärt, Liedl die Vorteile. „Anders als klassische nicht nur die starre Struktur der einzelnen chemische Wirkstoffe können sie allerdings In zwei voneinander völlig unabhängigen Proteine. Wir schauen uns auch die Kräfte nicht oral eingenommen werden, sondern Fällen hat die Natur bereits viel einfachere an, die auf die einzelnen Atome im Protein müssen gespritzt werden, um ans Ziel ihrer Antikörper entwickelt: „Antikörper sind so- wirken, und bewegen das Protein in Simu- Wirkung zu gelangen.“ Auch wenn die Her- genannte Multidomänen-Moleküle. Sie be- lationen entlang dieser Kräfte. Dadurch er- stellungs- und Behandlungskosten für die- stehen aus mehreren Domänen (siehe Abbil- halten wir ein sehr genaues Bild von der Fle- se Form von Medikamenten noch sehr hoch dung). Antikörper von Haien und Kamelen xibilität des Proteins“, erklärt Klaus Liedl. sind, überwiegen aufgrund des möglichen sind wesentlich kompakter aufgebaut als die „Diese Simulationen liefern uns wichtige zielgenauen Designs und der guten Verträg- von Menschen. Vor allem in den Bereichen, Hinweise für das optimale Design der the- lichkeit – vor allem im Bereich der Onkolo- in denen sie an das gewünschte Antigen bin- rapeutischen Antikörper, denn die Bindeei- gie – klar die Vorteile, weshalb die pharma- den sollen, sind sie deutlich kleiner“, erklärt genschaften einzelner fast identischer Pro- zeutische Industrie mittlerweile gleich viel Monica L. Fernández-Quintero. Diese gerin- teine können sich aufgrund ihrer Flexibilität Umsatz mit Biologicals macht wie mit her- gere Größe und ihren einfacheren Bauplan stark unterscheiden.“ kömmlichen Medikamenten. machen sich die Wissenschaftler*innen zu- Das Design der therapeutischen Antikör- nutze, um verbesserte therapeutische An- Täuschungsmanöver per ist für ihren Einsatz dabei wesentlich, tikörper zu entwickeln. „Wir bauen soge- denn nur wenn sie optimal an das für ihre nannte Nanobodies nach dem Vorbild dieser Ein weiterer Aspekt, den die Wirkung vorgesehene Antigen binden, kön- Hai- oder Kamel-Antikörper“, beschreibt Chemiker*innen um Klaus Liedl erforschen, nen sie ihre gewünschte Wirkung entfalten. die Chemikerin den komplizierten Vorgang. ist die sogenannte Humanisierung der the- Krankheiten, bei denen man bereits sehr Bei der Kombination der einzelnen Domä- rapeutischen Antikörper. „Bevor therapeu- gute Erfolge mit therapeutischen Antikör- nen gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, tische Antikörper zur Behandlung einge- pern erzielt hat, sind diverse Krebsarten, wie die die Wissenschaftler*innen mithilfe von setzt werden können, müssen wir verhin- Brust- oder Darmkrebs sowie Autoimmun- Graphics Processing Units (GPU) simulieren. dern, dass der Körper den Antikörper als Hai- oder Kamel-Antikörper identifiziert. Wäre dies der Fall, würde das Immunsystem die Antikörper abbauen, noch bevor sie an das gewünschte Ziel binden könnten“, er- klärt Monica L. Fernández-Quintero. Des- halb verwenden die Wissenschaftler*innen nur den oberen Teil der Hai- oder Kamel- Antikörper – also ihr wesentlich kleineres Binde-Interface – und setzen dieses auf molekularbiologisch veränderte mensch- liche Antikörper, die dann die weitere Kom- munikation mit den Zellen übernehmen. Da dieser Vorgang natürlich auch etwas an den Bindeeigenschaften der Antikörper verän- dern kann, ist auch er Teil der Forschungs- arbeit des Teams um Klaus Liedl. „Wir er- forschen im Rahmen unserer Simulationen nicht nur, wie dieser Umbau im Design die Bindeeigenschaften verändert, sondern na- türlich auch, wie wir die entsprechenden Veränderungen nutzen können, um die Wirkung der Nanobodies zu verbessern“, beschreibt Liedl. Neben der Grundlagen- forschung setzen die Chemiker*innen um Klaus Liedl ihr Know-how auch im Rahmen Die Abbildungen zeigen den Aufbau von Hai- und Kamel-Antikörpern im Vergleich zu verschiedener Kooperationsprojekte mit einem menschlichen Antikörper. Die Antikörper der Haie und die des Kamels verfügen Pharmaunternehmen ein, denn therapeu- über viel kompaktere Binde-Interfaces (oben) und bestehen aus wesentlich weniger Do- tische Antikörper sind die Hoffnungsträ- mänen als der menschliche Antikörper. ger der Wirkstoffforschung, davon sind sie Abbildung: M. Fernández-Quintero überzeugt. susanne.e.roeck@uibk.ac.at ◼
10 Initiative gegen das Gasthaussterben Seit Jahren schließen immer mehr Gasthäuser in Tirol, darunter auch Traditionsbetriebe. Die gemeinsame Initiative „#dufehlst – Tiroler Wirtshäuser suchen DICH“ vom Land Tirol, der Standortagentur Tirol, der Tirol Werbung, der Privatuniversität UMIT TIROL und der Universität Innsbruck will dieser Entwicklung entgegenwirken. Auch Studierende tragen einen wesentlichen Teil dazu bei. D ie Geschichte des Gasthauses reicht haussterben ist die Rede, auch in Tirol. Für ne erfolgreiche Übernahme gelingen kann. historisch gesehen weit zurück. Um Alexander Plaikner vom Institut für Strate- „In unserer Studie hat sich bestätigt, dass 1800 entwickelte sich schließlich die gisches Management, Marketing und Tou- vor allem der Fachkräftemangel, der demo- Gastronomie in der uns heute bekannten rismus höchste Zeit, um den Ursachen da- graphische Wandel, aber auch einfach ein Form. Und bis heute sind Gasthäuser wich- für genauer auf den Grund zu gehen. Im sich änderndes Freizeitverhalten der Bevöl- tige Begegnungsstätten. Das ist vielen nicht Rahmen der Initiative „#dufehlst – Tiroler kerung Ursachen für das Gasthaussterben zuletzt durch die Lockdowns in den ver- Wirtshäuser suchen DICH“ hat er unter- sind, mit denen sogar Traditionsbetriebe zu gangenen zwei Jahren bewusst geworden. sucht, warum viele Gastronomiebetriebe kämpfen haben“, sagt Alexander Plaikner. Trotzdem scheint das Gasthaus besonders schließen müssen, welche möglichen Aus- Die Corona-Pandemie hingegen war für viele bedroht zu sein, vom regelrechten Gast- wege es aus dieser Situation gibt und wie ei- Gasthäuser überraschenderweise nicht nur Auch in Tirol schließen immer mehr Gasthäuser. Die Initiative „#dufehlst – Tiroler Wirtshäuser suchen DICH“ will das ändern. Foto: iStock/FooTToo
11 Risiko, sondern auch Chance. „Während der Lockdowns haben viele Betriebe auf Speisen zur Abholung umgestellt und das hat sich bewährt. Denn dazu musste zum Teil auch die digitale Infrastruktur angepasst werden, wovon diese Gasthäuser nun langfristig pro- fitieren“, so Plaikner weiter. Ziel der Initia- tive ist es, heimische Traditionswirtshäuser zu erhalten und stillgelegte zu reaktivieren, indem zum einen Angebotsanpassungen an die sich veränderten Gästeanforderungen entwickelt werden und zum anderen die Übergabeprozesse optimiert werden. Beitrag von Studierenden In allen Phasen des Forschungsprojektes hat Alexander Plaikner auch auf die Unter- Theorie trifft Praxis in der Gasthausküche: Die Zwillinge stützung seiner Studierenden gesetzt. So Katharina und Barbara Weiskopf mit Studienleiter Alexander Plaikner sind in den vergangenen zwei Jahren, seit und den beiden Gastronomen Josef und Seppl Haueis im dem Start der Forschungsinitiative, vier Ba- Gasthof Gemse in Zams. chelorarbeiten entstanden. Dabei hat er be- Foto: Eiter wusst Studierende der Betriebswirtschaft gesucht, die einen Hintergrund in der Gas- tronomie oder einem anderen Klein- oder Mittelständischen Betrieb haben: „Wir for- schen überwiegend qualitativ. In unserem tenfalls in der Gastronomie gesammelt hat für Digital Tourism am Institut für Strate- Fall heißt das konkret, dass die Studieren- und weiß, wo man vielleicht besser noch- gisches Management, Marketing und Tou- den direkt zu den betroffenen Gasthäusern mal nachhaken muss. Außerdem haben wir rismus übernommen hat und dort nun auch gehen und mit den Wirtsleuten bzw. dem dadurch oft erfahren, in welchen Betrieben seine Dissertation schreibt. Personal vor Ort sprechen. Da ist das Eis eine Schließung zur Option steht oder wo es schnell gebrochen, wenn man selbst be- Schwierigkeiten bei der Übergabe gibt“, be- Gelungenes Beispiel der reits Erfahrungen in einem Betrieb und bes tont Alexander Plaikner die Vorteile des gas- Zusammenarbeit tronomischen Hintergrunds. Katharina und Barbara Weiskopf sind zwei der Studieren- Neben dem Erfolg seiner Studierenden den, die ihre Bachelorarbeit im Rahmen der freut Plaikner sich auch über die Resonanz aus Initiative erstellt haben. Mittlerweile sind der Bevölkerung. Seit dem Start von „#du- beide Masterstudierende, haben eine An- fehlst“ wurden gut zwei Dutzend Wirtshäu- stellung an der Universität und stehen nun ser in Tirol, die zur Übernahme bereitstehen, kurz davor, die gemeinsam erarbeiteten For- betreut und interessierte Übernehmer*innen schungsergebnisse in einem internationalen beraten. Das Gasthaus Peterbrünnl in Inns- Buchband zu veröffentlichen. „Sowohl fach- bruck war das erste, das erfolgreich in neue lich als auch persönlich haben wir von der Hände übergeben und wieder zum Leben er- Mitarbeit an dieser Initiative sehr profitiert. weckt werden konnte. Nun dient es als Blau- Uns ist dadurch der Stellenwert eines Wirts- pause für die folgenden Übernahmen im hauses für das gesellschaftliche Leben erst Rahmen von „#dufehlst“. „Diese Entwick- bewusst geworden – im Wirtshaus kommen lung zeigt uns, dass es hier auch tatsächlich die Leute zusammen. Zudem hat uns unse- Bedarf bei den Betroffenen gibt. Jetzt ist es re Forschung aufgezeigt, dass ein Gasthaus an uns, den Forschenden und den Partnern, mit weit mehr als dem Fachkräftemangel weiterführende Strategien zu erarbeiten, um und der großen Konkurrenz zu kämpfen dem Gasthaussterben entgegenzuwirken“, hat“, berichten die Zwillinge. Das Engage- betont Plaikner. Die Initiative „#dufehlst – ment und die Entwicklung seiner Studieren- Tiroler Wirtshäuser suchen DICH“ ist somit den freut auch Alexander Plaikner: „Es liegt auf mehreren Ebenen ein gelungenes Bei- mir besonders am Herzen, Studierenden die spiel dafür, wie Universität wirkt: Studieren- Möglichkeit zu geben, ,hands on‘-Forschung de forschen mit und bekommen die Möglich- zu betreiben und dabei Wissenschaft und keit, Gelerntes in der Praxis anzuwenden. Die Praxis möglichst gut zu verbinden. Wenn Kooperation zwischen dem Land Tirol, der sich daraus dann eine Publikation ergibt, Standortagentur Tirol, der Tirol Werbung, der ist das natürlich toll.“ Plaikner legt großen Privatuniversität UMIT TIROL und der Uni- Wert darauf, dass die Studierenden lang- versität Innsbruck vereint wichtige Akteure, fristig von ihrem Einsatz profitieren. Der wenn es darum geht, aktiv an Lösungswegen Betriebswirt und Psychologe hat selbst vor gegen das Gasthaussterben zu arbeiten. Und seinen Studien eine kaufmännische Groß- wenn es durch „#dufehlst“ langfristig ge- handelslehre absolviert und danach viele lingt, Wirtshäuser zu erhalten oder zu reak- praktische Jahre in der Automobilindustrie tivieren, profitiert letztendlich vor allem die und in Nichtregierungsorganisationen ver- Bevölkerung davon. bracht, bevor er das Projektmanagement lisa.marchl@uibk.ac.at ◼
12 Schule als Ort, der öffnet Transnationale Netzwerke moralkonservativer Akteure stehen im Fokus der Innsbrucker Soziologin Kristina Stoeckl. Wie dabei Homeschooling Teil ihrer Forschungsarbeit wurde und wie sie den aktuellen Trend zum Heimunterricht in Österreich einschätzt, erklärt sie im Interview. Wie kamen Sie als Religionssoziologin und deutsche Familie hatte ihre Kinder u. a. auf- nanzielle Interessen – neben dem Rechts- Russland-Forscherin zum Thema Homesch- grund ihrer religiösen Werte zuhause un- beistand werden auch Unterrichtsmateri- ooling? terrichtet. Da in Deutschland – anders als alien verkauft –, andererseits handelt es sich Kristina Stoeckl: Das Thema ist in meiner in Österreich – Schulpflicht und nicht nur klar um Lobbying-Arbeit für moralkonser- Forschungsarbeit ganz unerwartet aufge- Unterrichtspflicht gilt, wurden die deut- vative Zwecke, die auch von entsprechenden taucht. Ich beschäftige mich mit transna- schen Behörden tätig und haben der Familie Spendern unterstützt wird. Christliche tionalen Netzwerken von moralkonser- in letzter Instanz sogar die Kinder für drei Homeschooler lehnen Unterrichtsprinzipien vativen Akteuren. Dabei untersuchen wir Wochen entzogen. Die Familie wurde bei wie beispielsweise Gendergerechtigkeit und Gruppen und Organisationen, die sich über dem darauf folgenden Rechtsstreit, der bis in Amerika auch die darwinsche Evolutions- Nationen- und Religionsgrenzen hinweg vor den Europäischen Gerichtshof für Men- theorie ab. Einerseits öffnet ihrer Ansicht vernetzen. Aus meiner Perspektive als Russ- schenrechte führte, von der amerikanischen nach Schule schon aufgrund des Lehrplans land- und Orthodoxie-Forscherin war es be- Menschenrechtsorganisation „Alliance De- für Inhalte, die von den moralkonservativen sonders interessant, dass Russland und auch fending Freedom International“ mit Sitz in Eltern nicht für gut befunden werden, ande- die orthodoxe Kirche in diesen Netzwerken Wien vertreten. rerseits lehnen sie auch das soziale, diverse zunehmend wichtige Rollen einnehmen. Eine weitere Gruppierung, die wir genauer Umfeld mit Mitschüler*innen ab, deren El- Wir haben untersucht, wie Bewegungen zur untersucht haben, ist die „Homeschooling tern beispielsweise geschieden, alleinerzie- Vermittlung konservativer Familienwerte, Legal Defence Association“, die die Anliegen hend oder homosexuell sind. die Anti-Abtreibungsbewegung und Bewe- von Homeschooling-Familien in den USA gungen gegen Genderrechte agieren. Dabei vertritt und seit rund zehn Jahren mit inter- Umdeutung von Menschenrechten kam dann auch das Thema Homeschooling nationalen Kongressen bewusst eine trans- auf unsere Agenda. nationale Vernetzung versucht. Derartige Sie sprechen in Ihrer Arbeit von einer Um- Ist das Thema Homeschooling nicht eher im Kongresse fanden bereits in Berlin, in Rio deutung der Menschenrechte durch die mo- linksalternativen Bereich der Gesellschaft zu oder zuletzt in Moskau statt. Letztere habe ralkonservative Homeschooling-Bewegung. finden? ich mit meinen Doktorand*innen wissen- Was genau meinen Sie damit? Stoeckl: Hier würde ich zwischen zwei Be- schaftlich beobachtet. Stoeckl: Lobbying-Organisationen für wegungen unterscheiden: Das sogenann- Was ist das Ziel dieser Vernetzung, was sind christliche Homeschooler berufen sich häu- te Unschooling ist tatsächlich eher im lin- die Motive dieser Organisationen? fig auf den Paragraf 26 der UN-Menschen- ken Spektrum und im Alternativschulbe- Stoeckl: Einerseits geht es natürlich um fi- rechtskonvention, der besagt, dass Eltern reich verortet. Hier geht es um die Idee, dass Schule Kinder zu stark diszipliniert und in ihrer freien Entwicklung einschränkt. Bei den konservativen christlichen Homeschoo- ZUR PERSON lern dagegen geht es um genau das Gegen- teil: Hier stellt Schule einen Ort dar, der öff- Kristina Stoeckl hat in Innsbruck, Budapest und Florenz stu- net und diese Öffnung wird als Bedrohung diert und ihre Post-Doc-Zeit als Marie S. Curie Fellow in Rom und wahrgenommen. APART-Fellow der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien absolviert. Sie hat einen START-Preis des FWF (2015) und Transnationale Vernetzung einen ERC-STARTING GRANT des European Research Council (2015) erhalten, ist Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Wie gehen moralkonservative Homeschoo- Akademie der Wissenschaften und seit 2019 Leiterin des Instituts ling-Gruppen vor, um sich zu vernetzen? für Soziologie an der Uni Innsbruck. Stoeckl: Ein sehr gutes Beispiel für Vernet- zung ist der Fall der Familie Wunderlich. Die
13 Schule, als ein pluralistischer Ort, der alle Bereiche der Gesellschaft abdeckt, wird von christlichen, wertkonservativen Gruppen als Bedrohung für ihre Kinder angesehen. Fotos: iStock/martinedoucet; Uni Innsbruck das Recht haben, über die Ausbildung ihrer lar sind. Im Rahmen unserer Feldforschung änderte. Die aktuelle Debatte über Heim- Kinder zu entscheiden. Dieser Artikel ist in Italien war es interessant zu sehen, dass unterricht berührt zentrale gesellschaft- entstanden zur Zeit des Kalten Kriegs vor sich Eltern, die ihre Kinder aus christlichen liche und bildungspolitische Fragen, wie die dem Hintergrund einer politischen Indok- Motiven zu Hause unterrichten, im Konflikt Aufteilung der Erziehungsarbeit innerhalb trinierung in den Schulen und eines Verbots mit ihrem Bischof befinden. Die katholische der Familien, die Effizienz von Distance- von religiöser Betätigung von Eltern und Kirche in Europa will ihren Platz im öffent- Learning und den Bildungsauftrag der öf- auch eines Verbots von religiöser Erziehung lichen Raum behaupten, sie will nicht in die fentlichen Schule. Ich denke, dass es sich bei durch Eltern. Dieser Artikel war also auch diesem Zuwachs an Schulabmeldungen um ein Kommentar zu den Zuständen im kom- einen Mix aus Verunsicherungen bei den El- munistischen Osten. Heute wird von kon- »Bei konservativen tern handelt: Einerseits gibt es sicher Angst servativen Bewegungen die Bedeutung des christlichen Homeschoolern vor einer Pflicht-Impfung und Ablehnung Artikels 26 umgedreht zu einem Kommen- stellt Schule einen Ort von Maßnahmen gegen die Pandemie, ande- tar zu den Zuständen in westlichen Schu- rerseits haben Eltern aber sicher auch Angst dar, der öffnet und diese len, wo Unterrichtsprinzipien wie Diversität, vor einer Ansteckung. Zudem glaube ich, Toleranz und Nicht-Diskriminierung in die Öffnung wird als Bedrohung dass diese hohe Zahl an Abmeldungen auch Lehrpläne Eingang gefunden haben. Home- wahrgenommen.« eine Rechnung ist, die Schulen für schlech- schooling ist nur ein Schauplatz dieser Be- te Distanzlehre erhalten. Ich kann mir ehr- KRISTINA STOECKL wegungen, das Recht auf gleichgeschlecht- lich gesagt aber nicht vorstellen, dass sich liche Ehe, der Umgang mit Reproduktions- die Zahlen auf diesem Niveau einpendeln. maßnahmen oder Euthanasie sind andere. Privaträume verschwinden. Diese Home- Sie werden mit der Zeit wieder zurückgehen Die moralkonservative Themenpalette ist schooling-Tendenzen sind deshalb schon in auf das Niveau von vor der Pandemie. In die- relativ breit. Im Kern geht es um die Frage, einem fundamentalistischen, rechten Rand sem Wintersemester halte ich gemeinsam welche Werte in einer Gesellschaft gelten des katholischen Spektrums einzuordnen. mit Silke Meyer vom Institut für Europä- sollen. Mit der Corona-Pandemie kam ein weiterer ische Ethnologie und mit Inputs von Vero- Gibt es innerhalb dieser Bewegungen auch Grund dazu, warum Kinder von der Schu- nika Hofinger vom Institut für angewandte Konflikte? le abgemeldet werden. Im aktuellen Schul- Rechts- und Kriminalsoziologie eine Lehr- Stoeckl: Ja, diese Form des moralkonser- jahr haben sich die Zahlen der Schulabmel- veranstaltung zum Thema Homeschooling, vativen Homeschoolings birgt vor allem dungen in Österreich mehr als verdreifacht. in der wir gemeinsam mit Studierenden das innerhalb der Kirchen ein hohes Konflikt- Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? empirische Feld, das durch die Erfahrung potenzial. Die religiösen Homeschooler, die Stoeckl: Homeschooling und Distance- mit Homeschooling in Österreich neu ent- wir erforscht haben, lehnen beispielsweise Learning waren in den letzten zwei Jahren standen ist, qualitativ bearbeiten. auch konfessionelle Privatschulen ab, weil für sehr viele Menschen eine neue Realität, Das Interview führte Susanne E. Röck diese ihrer Meinung nach bereits zu säku- die ihren Alltag in wesentlichen Teilen ver- susanne.e.roeck@uibk.ac.at ◼
14 Kindgerechte Wissenschaft Im Projekt „Growing Ideas“ arbeitet die Bildungswissenschaftlerin Julia M. Nagy daran, Naturwissenschaft für Kinder ab fünf zu erklären. Entstehen sollen zwei Bücher, das erste zu Bauchweh und Verdauung ist kürzlich erschienen. D er Mensch stammt vom Affen ab und von unserer Hirnkapazität nutzen wir nur rund zehn Prozent, die restlichen neunzig praktisch gar nicht. Kinder lernen je nach Lerntyp am besten, manche mit vi- suellen Methoden, andere wiederum, wenn sie Inhalte anhören. Alles anerkannte Wis- senschaft? Nein – ganz im Gegenteil, wie Julia Magdalena Nagy vom Institut für Fach- didaktik erklärt: „Es gibt eine ganze Reihe an Fehlvorstellungen, die sich hartnäckig
15 halten und immer wieder aufs Neue weiter- verbreitet werden, auch in Kindergärten und ZUR PERSON Schulen. Menschen und heutige Affen haben gemeinsame Vorfahren, aber wir stammen Julia M. Nagy (*1989) studierte in Innsbruck Biologie und Deutsch nicht voneinander ‚ab‘, dass ein Großteil des auf Lehramt und absolvierte außerdem in Wien ein Masterstudi- Gehirns nicht gebraucht wird, ist außerdem um in Verhaltens-, Neuro- und Kognitionsbiologie. Sie unterrich- genauso widerlegt wie eine Typisierung von tet am Reithmanngymnasium in Innsbruck, arbeitet zusätzlich Kindern oder auch Erwachsenen danach, an ihrer Dissertation an der Universität Innsbruck und wirkt im wie sie Inhalte am besten aufnehmen.“ Wie Projekt „Growing Ideas“ mit, das sich zum Ziel gesetzt hat, wis- Pädagog*innen diesen Fehlvorstellungen senschaftliche Inhalte für Kindergartenkinder aufzubereiten. Ge- am besten begegnen können, dem ist Na- meinsam mit der Tiroler Illustratorin Bine Penz hat sie kürzlich im gy im Projekt „Growing Ideas“ und in ihrer Rahmen von „Growing Ideas“ das Kinderbuch „Was mir mein Bauch erzählt“ für Kin- Doktorarbeit auf der Spur. der zwischen fünf und acht Jahren beim Tyrolia-Verlag herausgebracht. Die beiden arbeiten bereits am zweiten Band „Was mir mein Kopf erzählt“, der sich dem Gehirn Von klein auf und den Mythen rund um den Kopf widmet. „Ein wesentlicher Teil meiner Doktorarbeit besteht darin, die angesprochenen Fehlvor- türlich begrenzt, aber es besteht trotzdem ausfällt oder Inhalte fehlerhaft vermittelt stellungen überhaupt zu identifizieren – al- die Gefahr, dass sich alternative Vorstel- werden, setzt sich das oft bis ins Erwachse- so herauszufinden, welche weit verbreiteten lungen, die zum Beispiel die Pädagog*innen nenalter fort. Und viele Kinderbücher arbei- Fehlvorstellungen auch bei Pädagog*innen unbeabsichtigt weitergeben, in den Köpfen ten mit starker Vereinfachung, anatomisch vorherrschen“, sagt Nagy, die auch selbst an von Kindern festsetzen.“ korrekt ist da oft wenig – stattdessen gibt es einem Gymnasium unterrichtet. Dazu hat sie Hier setzt das Projekt „Growing Ideas“ Zeichnungen von Bäuchen mit aufgemaltem Kindergartenpädagog*innen in Ausbildung an, bei dem Nagy neben ihrer Doktorar- traurigem Gesicht, wenn Bauchschmer- und auch schon im Beruf Tätige ausführlich beit mitarbeitet: Zwei im Rahmen des Pro- zen gezeigt werden sollen“, sagt Julia M. befragt. „In der Forschung ist bekannt, dass jekts entstehende Bücher vermitteln na- Nagy. Der nun erschienene Band „Was mir Lernen durch bereits bestehende Vorstel- turwissenschaftliche Erkenntnisse kindge- mein Bauch erzählt“ wirkt diesen Klischees lungen und existierendes Wissen beeinflusst recht, aber nicht kindisch, und wollen auch entgegen und zeigt liebevoll illustriert und wird“, erklärt die PhD-Studentin. Wir neh- Pädagog*innen dabei unterstützen, diese wissenschaftlich recherchiert anhand ei- men Inhalte hauptsächlich dann auf, wenn Inhalte wissenschaftlich korrekt wieder- ner Geschichte über den kleinen Toni, wo- sie unseren schon bekannten Vorstellungen zugeben. „Growing Ideas“ wird von Univ.- her Bauchweh kommt und was man dagegen entsprechen – unsere Vorstellungen werden Prof. Suzanne Kapelari geleitet, Partner tun kann. „Tonis Geschichte beginnt da- nicht ersetzt, sondern erweitert oder ver- sind das Wissenstransferzentrum West, die mit, dass er wegen seiner Bauchschmerzen ändert. „Auch Kinder halten an ihren Vor- Medizinische Universität Innsbruck, Klas- nicht einschlafen kann – und zeigt, warum stellungen und Erfahrungen fest, um für sie se! Forschung, die Tyrolia und die Bundes- er vielleicht Bauchweh hat. Die Geschich- unbekannte Phänomene in ihrer Umwelt zu bildungsanstalt für Elementarpädagogik in te ist als Vorlesegeschichte für Kinder ab erklären. Zuerst sind diese Erfahrungen na- Innsbruck. Das Projekt soll das Interesse an fünf gedacht, dazu gibt es kindgerecht ge- MINT-Fächern – Mathematik, Informatik, schriebene Informationen auf jeder Dop- Naturwissenschaft und Technik – schon im pelseite, mit denen Erwachsene Fragen der Kindergartenalter wecken. „Gerade der erste Kinder beantworten können“, sagt Nagy. Kontakt mit solchen Themen ist wichtig, Behandelt werden neben dem Verdauungs- und wenn der für die Kinder unangenehm vorgang allgemein auch Lebensmittelun- verträglichkeiten, der Einfluss der Psyche auf den Bauch, aber auch Krankheiten wie Magen-Darm-Grippe oder ein entzündeter Blinddarm. „Das Buch wird auch in Kinder- gärten in Leserunden zum Einsatz kommen und soll Pädagog*innen dabei unterstüt- zen, Antworten auf Kinderfragen geben zu können, ohne selbst dabei unsicher sein zu müssen. Damit fangen wir jetzt im Oktober an.“ Zusatzmaterial Neben dem Buch gibt es auf einer eige- nen Website auch weiterführendes Materi- al – sowohl für den Kindergarten als auch für zuhause, die Bastelübungen sind leicht durchzuführen. Als Nächstes soll das Kon- zept auch für das Gehirn bzw. den Kopf um- gesetzt werden: 2022 erscheint „Was mir Toni liegt zu Beginn mit mein Kopf erzählt“ mit kindgerechten In- Bauchschmerzen im Bett. Fotos: Bine Penz; Nagy formationen zum Gehirn und der Widerle- gung altbekannter Mythen – etwa dem mit den 90 Prozent unbenutzter Hirnkapazität oder den Affen als unseren Vorfahren. stefan.hohenwarter@uibk.ac.at ◼
16 Die Grabungsstelle Hohe Birga hat 2021 sehr vielfältiges Fundmaterial hervorgebracht. Foto: Florian Müller Wie der Löwe auf die Hohe Birga kam Neue archäologische Grabungen auf der Hohen Birga in Birgitz gewähren dank moderner Forschungsmethoden einen umfassenden Einblick in das Leben der Räter während der Eisenzeit. D ie Silbermünze ist unscheinbar, kaum dieser Siedlung auf der Hohen Birga, in der werden kann, auch bekannt als Räter. Dann so groß wie ein 2-Cent-Stück. Flo- Mitte des Alpenraumes, ein reger Austausch geschah über mehrere Jahrzehnte nichts rian Müller dreht sie in der Hand. stattgefunden hat. Unsere Funde weisen in mehr. Dass die Hohe Birga nicht in Verges- „Auf dieser Seite sehen wir eindeutig ei- den Mittelmeerraum und in den Voralpen- senheit geriet, war der Verdienst des lokalen nen Löwen“, sagt er. „Und das hier ist eine raum.“ Vereins „Archäotop Hohe Birga“, der neue Artemis.“ Es handelt sich um eine keltische Forschungen ankurbelte und das archäolo- Münze. Warum also ist eine griechische Lange Tradition Göttin darauf zu sehen? „Die Griechen hat- ten in Südfrankreich eine Stadt gegründet, Florian Müller ist assoziierter Professor das heutige Marseille, und dort Münzen ge- am Institut für Archäologien der Universi- prägt. Als die Kelten beschlossen, dass sie tät Innsbruck und leitet seit 2009 die Aus- Video-Tipp auch Münzen haben wollten, orientierten grabungen auf der Hohen Birga. Forschun- sie sich an dem griechischen Motiv, weil es gen dort haben bereits eine lange Tradition. Ein Forschungsvideo der Uni liefert bereits bekannt war und akzeptiert wurde“, Oswald Menghin, Professor für Urgeschich- weitere interes- erklärt Müller. Die Münze wurde bei Gra- te an der Universität Wien, besuchte im Jahr sante Einblicke in die bungen auf der Hohen Birga gefunden, nur 1937 den Hügel bei Birgitz und stieß dort auf Arbeit der Innsbru- wenige Kilometer von Innsbruck entfernt. Vertiefungen, die er bei ersten Grabungen cker Archäolog*innen Sie liefert eine wichtige Erkenntnis über die als Überreste von Gebäuden identifizierte. auf der Hohen Birga: dort gelegene 2000 Jahre alte Siedlung. „Es Bei Grabungen in den 1940er und 1950er Jah- youtube.com/uniinns- zeigt sich mehr und mehr, dass wir es hier ren konnte dann eine ganze Siedlung aus der bruck nicht mit einem kleinen, isolierten Bauern- jüngeren Eisenzeit freigelegt werden, die dorf zu tun haben, sondern dass auch mit der Fritzens-Sanzeno-Kultur zugeordnet
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