ENERGIE&UMWELT - Schweizerische Energie-Stiftung

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ENERGIE&UMWELT - Schweizerische Energie-Stiftung
ENERGIE & UMWELT
Das Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES     Nr. 4 / Dez. 2004

                                       Pumpspeicherung
   Die Mär von der sauberen
                Wasserkraft
    Contra CO2-Abgabe:                      Neues StromVG:
   Das Muskelprotzen für               Es braucht die Einspeise-
     den Klimarappen                   vergütung für Erneuerbare!
              Seite 16                             Seite 18
Schwerpunktthema: Pumpspeicherkraftwerke / Wasserkraft

                                                        Das Geschäft mit der Stromvernichtung                                                    4
                                                        Was hat ein Kohlekraftwerk in Deutschland oder Tschechien mit dem Pumpspeicher-Stausee
                                                        auf der Grimsel zu tun? Nichts, könnte man meinen. Doch Pumpspeicherkraftwerke in
                                                        unseren Alpen sind im internationalen Stromgeschäft ein idealer Partner von fossilen Gross-
                                                        kraftwerken. Resultat dieser Partnerschaft: Hohe Gewinne mit hohem CO2-Ausstoss.

                                                        Wasserkraftlobby will tiefere Restwassermengen                                           8
                                                        Obwohl – oder gerade weil – das Gesetz erst zu greifen beginnt, machen die politischen
                                                        Vertreter der Wasserkraftlobby mächtig Druck auf den Gewässerschutz. Hinter der vorder-
                                                        gründig klimapolitischen Argumentation verbirgt sich Eigeninteresse. Die Wasserkraftlobby
                                                        fordert tiefere Restwassermengen und will die Sanierungsbestimmungen für (Fliess-)Gewässer
                                                        abschwächen.

                                                        Das vergessene Potenzial der Kleinwasserkraftwerke                                      10
                                                        Im Kleinwasserkraftwerksbereich besteht in der Schweiz ein grosses ungenutztes Potenzial.
                                                        In den vergangenen Jahrzehnten wurden Hunderte von Kleinwasserkraftwerken stillgelegt.
                                                        Die Stiftung revita, ein Kompetenzzentrum des Ökozentrums Langenbruck, setzt sich für die
                                                        Revitalisierung und Energieeffizienz von Kleinwasserkraftwerken ein.

I M P R E S S U M
                                                        Gegen die Verlochung des Atommülls im Zürcher Weinland                                  12
                                                        Die Menschen im Zürcher Weinland wollen keinen Atommüll unter ihrem Boden. Dies zeigten
Energie&Umwelt Nr. 4/2004
                                                        fast 2'000 KundgebungsteilnehmerInnen am 12. September 2004 an einer Manifestation von
Herausgeberin:
Schweizerische Energie-Stiftung SES
                                                        «Klar! Schweiz» auf dem ehemaligen (Bohr-)Platz, an dem die Nationale Genossenschaft für die
Sihlquai 67, 8005 Zürich                                Endlagerung von radioaktiven Abfällen (Nagra) 1998/1999 Sondierbohrungen durchführte.
Tel. 01/271 54 64; Fax 01/273 03 69
E-Mail: info@energiestiftung.ch
PC-Konto: 80-3230-3                                     «Glaube nicht, dass die Wirtschaft
Internet: www.energiestiftung.ch                        derart klar für den Klimarappen ist»                                                    14
Redaktion: Rafael Brand                                 BFE-Vizedirektor Michael Kaufmann war zu Gast an der dritten SES-Beiratssitzung, um auf-
Scriptum, Büro für Kommunikation
                                                        zuzeigen, wohin EnergieSchweiz steuert. «Energie&Umwelt» konnte mit dem neuen Leiter
Postfach 949, 6460 Altdorf
Tel. 041 870 79 79, E-Mail: info@scriptum.ch            von EnergieSchweiz vorab über Prioritäten, Budgetkürzung, CO2-Abgabe und Klimarappen
Redaktionsrat: Jürg Buri, Rafael Brand, Dieter          sowie die Erreichbarkeit der energiepolitischen Ziele sprechen.
Kuhn, Rüdiger Paschotta, Bernhard Piller

Layout / ReDesign: Scriptum, Altdorf                    Muskelprotzen für den Klimarappen                                                       16
Korrektorat: Bärti Schuler, Altdorf                     Derzeit läuft die Vernehmlassung zu CO2-Abgabe und Klimarappen. Doch die Meinungen zu
Druck: ropress, Zürich
                                                        den insgesamt vier Varianten sind längst gemacht. Die Erdöl-, Auto- und Wirtschaftslobby
                                                        und ihre Polit-VertreterInnen wollen unter allen Umständen die CO2-Abgabe verhindern.
Auflage: 5000, erscheint 4 x jährlich

Abdruck erwünscht unter Quellenangabe und Zu-
sendung eines Belegexemplares an die Redaktion
                                                        Die Einspeisevergütung muss kommen!                                                     18
                                                        Die im neuen Stromversorgungsgesetz vorgesehenen Massnahmen sind zu wenig verbind-
Abonnement (4 Nummern):
30 Franken Inland-Abo                                   lich, unklar und greifen zu spät. Die Förderziele sind unambitioniert und bleiben hinter den
40 Franken Ausland-Abo                                  Zielen unserer Nachbarländer zurück. Die SES fordert vom Bundesrat ein Stromgesetz, das
50 Franken Gönner-Abo
                                                        die Bedürfnisse der umweltverträglichen Stromproduktion und der Stromlobby zu gleichen
SES-Mitgliedschaft:
                                                        Teilen berücksichtigt.
Fr. 75.–     für Verdienende
Fr. 30.–     für Nichtverdienende
Fr. 400.–    für Kollektivmitglieder                    Heizung und Warmwasser mit weniger Energieaufwand                                       20
Energie&Umwelt inbegriffen                              Nach wie vor werden in unseren Haushalten für Heizung und Warmwasser Unmengen an
Druck auf Papier aus nachhaltiger                       Heizöl, Erdgas und elektrischer Energie sinnlos vergeudet. Das muss nicht sein: Selbst ohne
Waldbewirtschaftung: RePrint FSC                        grundlegende Überholung der Heizungsanlage lässt sich viel Energie und Geld sparen.
(50% Altpapieranteil, 50% FSC-Frischfaser)

                                                        «Atome für die Schweiz»                                                                 22
                                                        An der ETH in Zürich findet derzeit eine öffentliche Veranstaltungsreihe zur «Geschichte der
                    SGS-CoC-0474                        Kernenergie in der Schweiz» statt. «Energie&Umwelt» besuchte ein Podium mit Zeitzeugen
                    FSC Trademark © 1996                und Historikern sowie eine Veranstaltung zu den Parallelen und Unterschieden der Kern-
                    © Forest Stewardship Council A.C.
                                                        energie-Geschichte der BRD und der Schweiz.
Editorial

Wieder an Flüsse denken

                                                         Berninapass. Doch sie kommen wieder.
                                                         Sie werden diesmal neue Strophen dich-
                                                         ten, postmoderne von der Batteriefunk-
                                                         tion für die Windenergie, hübsche von
                                                         Klimaschutz und CO2-Neutralität, drama-
                                                         tische von schmelzenden Gletschern,
                                                         bald knapp werdendem Wasser und vom
                                                         Hochwasserschutz.
                                                         Zuvor wollen sie die kostendeckende
                                                         Vergütung für die erneuerbaren Energien
                                                         im Stromversorgungsgesetz verhindern.
                                                         Und zur Rückendeckung versuchen sie
                                                         das Verbandsbeschwerderecht auszuhe-
Kaspar Schuler, Geschäftsleiter Greenpeace               beln, damit die Gesetze für Umwelt-,
                                                         Natur- und Heimatschutz nackt in den
                                                         eiskalten Wind der Deregulierung zu
Sie wittern wieder Wasser, die Strom-                    stehen kommen. Dort werden diese fast
konzerne. Wasser, das in ungezählten                     wie von selbst erfrieren. Dann kann,
Staustufen schon heute zigmal über ihre                  klammheimlich möglichst, mit Un-
Mühlen fliesst und trotz dem seit mehr                   schuldsmienen zur schicklichen Beerdi-
als 10 Jahre revidierten Gewässerschutz-                 gung geschritten werden.
gesetz noch immer nicht als zusätzliches
Restwasser den Bach runter rauscht.                      Was tun wir? Die Tage nutzen. Koalitionen
                                                         schmieden, Widerstand planen. Und vor
verstromen                                               allem: den Wert intakter Landschaft, einer
hochpumpen                                               Natur die uns trägt, wieder ins öffentliche
unter massivem Stromverlust                              Bewusstsein bringen. Wie wärs mit einer
einlagern                                                grossen, gemeinsamen Kundgebung?
zu Spitzenzeiten erneut verstromen                       Reicht es nicht längst, in Sachen Demon-
hochpumpen                                               tage am Umweltschutz?
verstromen
hochpumpen                                               Vorher ist es Zeit, wieder an einen Fluss
bis der letzte Tropfen                                   zu gehen. An den Areuabach, den Glenner,
abgestanden                                              den Somvixer- oder den Madriserrhein,
zum Himmel stinkt                                        hinten, oben, wo sie noch ungebändigt
das Geld nicht                                           sind. Im Schnee die eigenen Spuren bis
                                                         an ihr Ufer legen, ganz allein. Es ist wie
Es ist ein bekanntes Lied. Sie haben es                  beim Bogenschiessen: Je weiter dein Pfeil
vor 20 Jahren laut gesungen und süss                     nach vorn fliegen soll, umso mehr musst
und unablässig in die Ohren der Berg-                    du zuvor die Sehne weit nach hinten zie-
kantonsregierungen und Gemeindebe-                       hen.
hörden gesummt. Wir haben sie – dem                      Es kommen strube Zeiten. Sie werden
übervollen Strommarkt sei Dank – ge-                     wild und intensiv. Wie immer, wenn wir
stoppt, vor der Greina, der Curciusa, den                genau wissen, wofür wir kämpfen.
Tälern Bercla und Madris. Vor der Lam-                   Drum den Winter nutzen, an Flüsse sitzen,
pertschalp, an der Grimsel und dem                       ganz allein.

Kaspar Schuler erkämpfte mit vielen BündnerInnen in der Arbeitsgruppe Val Madris-Curciusa für die gleich-
namigen Täler die Abwendung der Pumpspeicherseen, zusammen mit dem WWF und der Pro Natura.

                                                                                          4/04    ENERGIE & UMWELT   3
Pumpspeicherung

Das Geschäft mit der Stromvernichtung
Was hat ein Kohlekraftwerk in Deutschland oder Tschechien mit dem Pumpspeicher-Stausee
auf der Grimsel zu tun? Nichts, könnte man meinen. Doch Pumpspeicherkraftwerke in unseren
Alpen sind im internationalen Stromgeschäft ein idealer Partner von fossilen Grosskraftwerken.
Resultat dieser Partnerschaft: Hohe Gewinne mit hohem CO2-Ausstoss.

               Grimselstausee: Widerstand verhinderte bis heute Schlimmeres.

                          Wasserkraft ist im Volksverständnis der Inbe-
                          griff erneuerbarer Energie. Durch Nutzung
                          von Wasser über eine Höhendifferenz werden
                          Turbinen und Generatoren angetrieben und
                          produzieren so Strom. In Flüssen wird bei re-
                          lativ geringer Höhendifferenz kontinuierlich         Schweiz. Direktor Gianni Biasutti traut seinen Augen
                          Strom erzeugt, so genannter Bandstrom. In            nicht, als er mit dem Zitat konfrontiert wird. Diese Aus-
                          Speicherseen wird Wasser zurückgehalten              sage sei «im Sinne unserer Botschaften wirklich gar
Von Armin Braunwalder,    und nach Bedarf über Druckstollen auf die            nicht gut.» Inzwischen wurde sie von der KWO-Website
 Energie-Kommunikation    Turbinen geleitet. So kann Strom nach Mass           entfernt. Der KWO-Chef formuliert die Botschaft so:
                          produziert werden: Während Zeiten mit ho-            «Ein Pumpspeicherwerk ist ein Energiepuffer. Mit einem
                          hem Stromverbrauch ist das so genannte               Wirkungsgrad von knapp 80% wird aus eingekaufter,
              Spitzenenergie, beim kurzfristigen Ausgleich von Ver-            momentan nicht benötigter Bandenergie zu einem spä-
              brauchs- und Produktionsschwankungen spricht man                 teren Zeitpunkt Spitzenenergie gemacht.»
              von Regelenergie. Saubere, CO2-freie Wasserkraft eben.
              Neben natürlichen Wasserzuflüssen können Speicherseen            Ein Pumpspeicherkraftwerk funktioniert vereinfacht
              jedoch durch Pumpspeicherung auch künstlich gefüllt              gesagt so: Wasser von tiefer gelegenen Gewässern oder
              werden. Der so erzeugte Strom ist alles andere als sauber.       Stauseen wird in höher gelegene Speicherseen ge-
                                                                               pumpt. Für den Betrieb der Pumpen braucht es Strom.
              «Ein Pumpspeicherwerk ist ein Energieverbraucher, kein           Schiesst das hochgepumpte Wasser in Druckstollen zu
              Energieerzeuger.» Das Zitat ist an überraschender Stelle         Tal, wandeln es Generatoren wiederum in Strom um.
              zu lesen: Auf der Website der Kraftwerke Oberhasli AG            Ein perfektes System, könnte man meinen. Der Haken
              (KWO)1. Die KWO betreiben im Grimselgebiet das leis-
              tungsstärkste System von Pumpspeicherkraftwerken der             1 www.grimselstrom.ch

4   ENERGIE & UMWELT     4/04
Um eine Kilowattstunde Strom zu produzieren,                     sei Dank – durch beschleunigte Gletscherschmelze zu
braucht es 1,3 Kilowattstunden Pumpenergie.                      höherer Stromproduktion führt. Bei normalen Witte-
 Unter dem Strich werden so 25% des Stroms                       rungsbedingungen muss jedoch Wasser in den Grimsel-
                                 vernichtet.                     see hochgepumpt werden. Ein Nullsummenspiel, das in
                                                                 der Bilanz keine zusätzliche Kilowattstunde bringe.
                                                                 Neben der Staumauererhöhung soll das neue Kraftwerk
ist nur: Das Hinaufpumpen braucht mehr Energie, als              Grimsel 3 im Verbund mit einem zusätzlichen Wasser-
man unten wieder herausholt. In Zahlen: Um eine Kilo-            Pumpwerk die installierte Leistung der KWO um rund
wattstunde Strom zu produzieren, braucht es 1,3 Kilo-            350 Megawatt erhöhen. Das entspricht der Leistung des
wattstunden Pumpenergie. Unter dem Strich werden so              AKW Mühleberg. Das Ziel des Ausbauprojekts ist «die
25% des Stroms vernichtet.                                       flexible Nutzung von kurzfristigen Kraftwerksüberkapa-
                                                                 zitäten und Leistungsengpässen am Strommarkt.» Damit
Die KWO wollten mit dem gigantischen Projekt Grimsel-            ist auch gesagt, dass es mit KWO-Plus nicht um die
West die heutige Leistung vervielfachen. Eine geschützte         Landesversorgung, sondern ums internationale Strom-
Moorlandschaft von nationaler Bedeutung wäre ertrun-             geschäft geht.
ken. So weit ist es wegen des vehementen Widerstands             Im europäischen Stromverbund können die grossen
der lokalen Opposition und von Umweltorganisationen              Kraftwerkeinheiten um 1'000 Megawatt (entspricht
nicht gekommen. Nachgeholfen haben bei der                       dem AKW Leibstadt) nur dann im Dauerbetrieb gefahren
Beerdigung des Mammutprojekts auch harte wirtschaft-             werden, wenn ihre Stromproduktion mit Sicherheit ab-
liche Fakten: Das Pumpspeicherprojekt Grimsel-West wäre          genommen wird. Sie produzieren so genannten Band-
zu einer milliardenschweren Investitionsruine geworden.          strom und decken damit die Grundlast durch den nor-
                                                                 malen täglichen Bedarf. Ist diese Nachfrage kleiner als
Internationales Stromgeschäft lockt                              die Bandstromproduktion, garantiert die Pumpspeiche-
                                                                 rung den grossen Bandenergieproduzenten (insbeson-
Nun backt die KWO etwas kleinere Brötchen. Aus Grim-             dere Atom- und Kohlekraftwerken) die Stromabnahme.
sel-West ist das Ausbauprojekt KWO-Plus geworden. Das
Plus steht für die Erhöhung der Grimselsee-Staumauer             Pumpspeicherkraftwerke stehen deshalb im Ruf, als
um 23 Meter. So können 75 Millionen m3 mehr Wasser               Stromwaschanlage für europäischen Kohle- und Atom-
gespeichert werden. Das zusätzliche Volumen würde es             strom zu funktionieren. Von der Hand zu weisen ist das
ermöglichen, mehr Wasser in den Grimselsee hinaufzu-             nicht: Die Pumpenergie hat im ausländischen Kraftwerk
pumpen. Insgesamt, so der Plan, könnten mit der Stau-            viel CO2 und radioaktiven Abfall produziert. Dem aus
mauererhöhung pro Jahr 220 Millionen Kilowattstunden             Pumpspeicherwerken produzierten Strom müssen diese
mehr erzeugt werden. Kritiker weisen jedoch darauf hin,          Abfälle deshalb angerechnet werden. Das bestreiten
dass das zusätzliche Stauvolumen nur in Ausnahmesi-              auch die KWO nicht. Sie schreiben auf ihrer Website:
tuationen wie im Hitzesommer 2003 – Klimaerwärmung               «Die Pumpenarbeit der Pumpspeicherwerke in den Alpen

         Grimsel Nollen: Staumauererhöhung und Hängebrücke über den Stausee (Fotomontage, KWO).

                                                                                                          4/04   ENERGIE & UMWELT   5
erzeugt einen Schadstoffausstoss an einem anderen Ort                 jekts «ecoinvent» (www.ecoinvent.ch) am Paul-Scherrer-
                des Kraftwerkssystems. Die Frage nach den ökologischen                Institut (PSI). Ergebnis: In jeder durch Pumpspeicherung
                Auswirkungen der Pumpspeicherwerke ist berechtigt.»                   erzeugten kWh stecken im Durchschnitt 172 Gramm
                                                                                      CO2 (vgl. Tabelle). Das ist nahezu halb so viel, wie heute
                342'000 Tonnen CO2                                                    im Euromix-Strom steckt, der von fossilen Grosskraft-
                                                                                      werken dominiert wird.
                KWO-Chef Gianni Biasutti ist ein angenehmer Ge-
                sprächspartner und im wahrsten Sinn des Wortes mit                    Gianni Biasutti lässt sich von solchen Zahlen nicht be-
                allen Wassern gewaschen. Es eilt ihm der Ruf voraus, er               eindrucken: «Pumpspeicherkraftwerke sorgen dafür,
                sei ein «feuriger Befürworter» der Pumpspeicherung.                   dass fossile und nukleare Kraftwerke möglichst gleich-
                Biasutti winkt ab: «Ich bin feuriger Befürworter einer                mässig durchlaufen können.» Durch die Ausgleichs-
                                             korrekten Argumentation.»                funktion der Pumpspeicherung seien Wirkungsgrad und
                                             Die Kritik an der Pump-                  Abgaswerte dieser Kraftwerke am besten. Es sei unsin-
                                             speicherung sei nicht                    nig, Kohle- oder Atomkraftwerke dem schwankenden
                                             falsch – aber sie greife zu              Strombedarf anzupassen, sie je nach dem herunter-
                                             kurz. Einer, der in Biasuttis            oder hochzufahren oder gar an- und abzustellen. «Das
                                             Augen zu kurz denkt, ist                 wäre unwirtschaftlich und würde die Emissionen erhö-
                                             Heini Glauser. Der Energie-              hen», argumentiert Biasutti. Dann wäre ein Kohlekraft-
                                             experte und ehemalige                    werk im Grimselstausee das zutreffende Bild für diese
                                             SES-Vizepräsident ist einer              Partnerschaft? Biasutti wehrt sich nicht: «Ein Pump-
                                             der profundesten Kenner                  speicherkraftwerk passt eigentlich sehr gut zu einem
                                             der Pumpspeicherung. Sei-                grossen Kohlekraftwerk.» Spitzenstrom aus Pumpspei-
                                             ne Kritik ist knallhart: «Die            cherung liefere genau jene Regelenergie, die in Zeiten
                                             Pumpspeicherung verur-                   hoher Nachfrage schnell bereitgestellt werden müsse.
                                             sacht den umweltbelas-                   Schwerfällige Atom- oder Kohlekraftwerke könnten dies
         «Ein Pumpspeicherkraftwerk          tendsten Strom», sagt er.                nicht, flexible Pumpspeicherkraftwerke hingegen schon.
         passt eigentlich sehr gut zu einem  Sie reduziere den ohnehin                Auch das sei ein Plus, sagt Biasutti. «Müssten fossile
         grossen Kohlekraftwerk.»            schlechten Wirkungsgrad                  Kraftwerke bei der Deckung des Spitzenbedarfs die
                                             von thermischen Gross-                   Funktion von Pumpspeicherkraftwerken übernehmen,
                                             kraftwerken und fördere                  wären die CO2-Emissionen viel höher.» Diese Einsparun-
                die Produktion von radioaktiven Abfällen in nuklearen                 gen müsse man auch bilanzieren. Nur hat das bis heute
                und CO2 in fossilen Kraftwerken irgendwo in Europa.                   noch niemand gemacht.
                Glauser hat den CO2-Gehalt des KWO-Stroms genau
                analysiert. Im Jahr 2003 haben die KWO 881 Millionen                  Goldesel Pumpspeicherung
                Kilowattstunden Strom zum täglichen Hochpumpen
                von Wasser aus dem Grimsel- in den Oberaarsee ver-                    Glausers Kritik an der Pumpspeicherung geht jedoch
                braucht. Dies verursachte eine Stromvernichtung von                   noch weiter. «Pumpspei-
                rund 180 Millionen kWh und einen CO2-Ausstoss von                     cherung ist zur Zeit pri-
                324'000 Tonnen. Zum Vergleich: Mit 180 Millionen kWh                  mär ein Instrument zur
                können mehr als 40'000 Haushalte – z.B. alle Haushalte                Gewinnmaximierung»,
                des Kantons Schwyz – ein Jahr lang mit Strom versorgt                 sagt er. Das untermauert
                werden. Und 324'000 Tonnen CO2 entsprechen dem                        er mit handfesten Zah-
                jährlichen CO2-Ausstoss von 130'000 Personenwagen.                    len. Seit einigen Monaten
                Gemäss Glausers Berechnungen steckte 2003 in jeder                    zeigt die KWO auf ihrer
                Kilowattstunde Wasserkraft aus «Grimselstrom» durch-                  Internetseite die aktuel-
                schnittlich 140 Gramm CO2. Mit KWO-Plus wird dieser                   len Pegelstände der Spei-
                Wert auf über 200 Gramm ansteigen. Bestätigt wird die-                cherseen Oberaar, Grim-
                se Grössenordnung durch eine Lebenszyklusanalyse der                  sel, Gelmer und Räte-
                Schweizer Pumpspeicherkraftwerke im Rahmen des Pro-                   richsboden 2. Hier lässt
                                                                                      sich die Speicherseesitua-
                                                                                      tion durch natürliche Zu-      «Die Pumpspeicherung verursacht
    Pumpspeicherstrom: Fast 200 g CO2/kWh                                             flüsse, Pump- und Turbi-       den umweltbelastendsten Strom.»
                                                                                      nierungsaktivitäten able-
                                                                                      sen. Glauser hat diese
                                                                                      Daten akribisch beobachtet und ausgewertet. Das Er-
                                                                                      gebnis: Von Mitternacht bis 7 Uhr morgens wird täglich
                                                                                      mit einer Leistung bis zu 360 Megawatt Wasser vom
                                                                                      Grimselsee in den Oberaarsee hinaufgepumpt, sonntags

    Ausgewählte Ergebnisse der Ökobilanz für Strom aus Schweizer Pumpspeicherkraft-   2 ww.grimselstrom.ch/unternehmung/anlagen/seen_staumauern/
    werken (Bolliger & Bauer 2004).                                                     seefullstande/seen

6   ENERGIE & UMWELT         4/04
In Europa wird derzeit massiv in Pumpspei-                        kWh). Mit diesem Strom werden 7 Millionen m3 Wasser
 cherkraftwerke investiert. 2003 wurden rund                         vom Grimselsee in den Oberaarsee hochgepumpt. Über
   11 Milliarden Kilowattstunden Strom durch                         die Mittage der folgenden Woche produziert man daraus
                     Pumpverluste vernichtet.                        6,4 Millionen kWh Strom und verkauft ihn für 7 Rappen
                                                                     weiter. Der satte Gewinn innerhalb weniger Tage beträgt
                                                                     288'000 Franken.
                                                                     Das grosse Geld wird heute nicht mehr mit der Wasser-
sogar durchgehend und konstant. An Samstagen wech-                   speicherung für das Winterhalbjahr gemacht, wo die
seln Pumpen und Turbinieren je nach Strompreis. Der                  Preise lange über jenen des Sommerhalbjahres lagen.
Oberaarsee mit einem Fassungsvermögen von rund 55                    Die saisonale Preisdifferenz ist durch den massiven Zu-
Millionen Kubikmetern wurde so im Jahr 2003 insge-                   bau von 70'000 Megawatt Gaskraftwerk-Leistung (20-
samt fünfzehnmal vollgepumpt und entleert.                           mal die AKW-Leistung der Schweiz) im europäischen
Diese Pumpspeicherungsaktivitäten hat Glauser genau                  Raum zusammengeschrumpft. Die grossen Gewinnmar-
mit dem Spotmarktpreis an der Leipziger Stromhandels-                gen liegen heute in den Strompreisdifferenzen zwischen
börse European Energy Exchange (EEX) verglichen. Es                  Tag und Nacht sowie Werktagen und Wochenenden.
zeigt sich folgende Logik: Wenn der Spotmarktpreis un-               Dieses Gewinnspiel haben natürlich auch andere ent-
ter 4 Rp./kWh liegt, wird regelmässig und mit konstanter             deckt. In Europa wird derzeit massiv in Pumpspeicher-
Leistung Wasser hochgepumpt. Wenn der Preis über 4                   kraftwerke investiert. 2003 wurden rund 11 Milliarden
Rappen pro kWh liegt, wird das Wasser turbiniert und                 Kilowattstunden Strom durch Pumpverluste vernichtet.
verstromt. Die KWO bezieht also billigen Überschuss-                 Das entspricht 60% der gesamten Windstromproduk-
strom aus dem europäischen Stromverbund und vergol-                  tion in Deutschland. KWO-Chef Biasutti wird sich ange-
det ihn in Zeiten hoher Nachfrage mit der Produktion von             sichts wachsender Konkurrenz, Abbau von Überkapa-
Spitzenstrom. Ein Goldesel wie im Märchen der Gebrüder               zitäten und steigender Preise für Bandstrom wohl auf
Grimm: Am Sonntag kaufen BKW/KWO acht Millionen                      Gewinnmargen einstellen müssen, die wegschmelzen
kWh Strom für 160'000 Franken ein (durchschnittlich 2 Rp./           wie die Gletscher im Grimselgebiet.

 5 Mio. Tonnen CO2 im Schweizer Strom                                     Steigender CO2-Gehalt im Stromverbrauchsmix
 Energiepolitiker/innen brüsten sich mit der «CO2-freien Schweizer        CO2-Gehalt schweizerischer Stromverbrauchsmix
 Stromproduktion» als klimapolitische Heldentat. Auf den Strom aus        (inländische Produktion+Importe)
 Pumpspeicherkraftwerken trifft dies jedenfalls nicht zu. Was Energie-
 politikerInnen gerne unter den Tisch fallen lassen: Der Strom, der aus
 Schweizer Steckdosen fliesst, ist keineswegs CO2-frei. Der Grund
 liegt in den massiven Exporten von sauberem Wasserkraftstrom über
 die Schweizer Grenzen und den ebenso massiven Importen von euro-
 päischem Strom aus fossilen und nuklearen Grosskraftwerken. Eine
 Studie des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal)3
 hat untersucht, wie viel CO2 im Strom steckt, der in der Schweiz ver-
 braucht wird. Das Ergebnis: Zwischen 1990 und 1998 stieg der CO2-
 Gehalt von 4,153 Millionen Tonnen auf 5,187 Millionen Tonnen. Das
                                                                           Quelle: Graue Treibhausgasemissionen des Energie und Ernährungssektors in
 ergibt einen CO2-Gehalt von 100 Gramm pro verbrauchter Kilowatt-          der Schweiz 1990 – 1998; Umweltmaterialien Nr. 128, Klima, Buwal, 2000;
 stunde Strom. Die CO2-Emissionen des Schweizerischen Verbrauchs-          2003: Schätzung des Autors.
 mixes (Stand 1998) entsprechen somit den CO2-Emissionen der ge-
 samten Industrie in der Schweiz oder den doppelten CO2-Emissionen
 des gesamten Lastwagen- und Busverkehrs (Stand 2002)! Die CO2-           Stromhandel: Stromabsatz explodiert
 Belastung des aus Schweizer Steckdosen fliessenden Stroms dürfte         Entwicklung Stromabsatz in Milliarden Kilowattstunden
 sich – entgegen allen Klimaschutzbeteuerungen – weiter erhöht ha-        (Verbrauch Schweiz 2003: 55,1 Mia. kWh)
 ben: Erstens hat sich der Verbrauch der Speicherpumpen seit 1998
 auf nahezu 3 Milliarden Kilowattstunden verdoppelt. Zweitens ist der
 Stromhandel von Schweizer Firmen zwischen 1998–2003 geradezu
 explodiert: Alleine die Aare-Tessin AG für Elektrizität Atel (+500%),
 die Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg EGL (+500%) und die Berni-
 schen Kraftwerke BKW (+400%) steigerten ihren Stromabsatz von 52
 Milliarden Kilowattstunden auf sage und schreibe 249 Milliarden Kilo-
 wattstunden im Jahr 2003. Das ist der Gesamtstromverbrauch der
 Schweiz mal vier.
 3 Graue Treibhausgasemissionen des Energie- und Ernährungssektors
   in der Schweiz 1990–1998; Umweltmaterialien Nr. 128, Klima,
   Buwal, 2000                                                            Quelle: Geschäftsberichte.

                                                                                                                      4/04   ENERGIE & UMWELT          7
Wasserkraft, Gewässerschutz und Restwassermengen

                       Wasserkraftlobby will tiefere Restwassermengen
                       Obwohl – oder gerade weil – das Gesetz erst zu greifen beginnt, machen die politischen Vertreter
                       der Wasserkraftlobby mächtig Druck auf den Gewässerschutz. Hinter der vordergründig klimapoliti-
                       schen Argumentation verbirgt sich Eigeninteresse. Die Wasserkraftlobby fordert tiefere Restwas-
                       sermengen und will die Sanierungsbestimmungen für (Fliess-)Gewässer abschwächen.

                                                                                                                         nutzung tangiert sind. Hinzu kommen viele
                                                                                                                         weitere menschliche Eingriffe, welche die öko-
                                                                                                                         logische Qualität unserer Flüsse und Bäche stark
                                                                                                                         beeinträchtigen. Das BWG schätzt, dass die
                                                                                                                         schweizerischen Fliessgewässer auf einer Länge
                                                                                                                         von über 12'000 Kilometern revitalisiert werden
                                                                                                                         müssten.1 Das will auch das Schweizer Volk:
                                                                                                                         Um unsere Gewässer zu schützen und ihren
                                                                                                                         Zustand nachhaltig zu verbessern, hat das
                                                                                                                         Schweizer Stimmvolk 1992 mit grosser Mehr-
                                                                                                                         heit das revidierte Gewässerschutzgesetz mit
                                                                                                                         minimalen Restwassermengen gutgeheissen.

                                                                                                                         «Akuter Notstand» beim Vollzug
Foto: Andreas Knutti

                                                                                                                         des Gewässerschutzgesetzes

                                                                                                           Hat sich seit Annahme des Gewässerschutzge-
                 Verbaut und trockengelegt – Rund 60 Prozent des Schweizer Stroms stammt aus Wasserkraft.
                                                                                                           setzes die Situation der (Fliess-)Gewässer verbes-
                                                                                                           sert? Andreas Knutti, Projektleiter Gewässer-
                                                                                                           schutz beim WWF Schweiz, spricht Klartext: «Es
                                                Wasserkraft ist die bedeutendste er-             hat sich seither nicht wirklich viel verbessert. Das Gewäs-
                                                neuerbare Energie der Schweiz. Rund              serschutzgesetz im Bereich Restwasser ist noch nicht um-
                                                60 Prozent des Schweizer Stroms                  gesetzt.» Zwar gebe es Kantone, die Massnahmen zur
                                                stammt aus Wasserkraftwerken. Heute              Verbesserung der Gewässer realisiert haben. Doch es ge-
                                                gibt es rund 500 grössere (mehr als              be auch schwarze Schafe wie der Kanton Wallis. Auch
                                                300 KW Leistung) und rund 1100 klei-             der Schweizerische Fischerei-Verband (SFV) spricht klare
                                                nere Wasserkraftwerke sowie beinahe              Worte zur heutigen Situation: «In den Bergkantonen sind
                                                200 Stauseen. Die derart intensive               die meisten Flüsse und Bäche zu Rinnsalen verkommen.»
                        Von Rafael Brand,       Nutzung      der  Wasserkraft   hat   – zum      Und zum Beispiel Wallis: «Dort weisen von 200 Wasser-
             Redaktor «Energie & Umwelt»        Teil massive – Auswirkungen auf Ge-              entnahmen nur deren 5 überhaupt eine Restwassermen-
                                                wässer, Landschaft und auf die Tiere             ge auf.» Der Fischerei-Verband sprach in einer Medien-
                                                im und ums Wasser. Denn durch Rück-              mitteilung vom Oktober 2003 von einem «akuten Not-
                            stau und Ableitungen von Flüssen und durch die Spei-                 stand» beim Vollzug des Gewässerschutzgesetzes. Er for-
                            cherung des Regen- und Schmelzwassers hat sich der                   dert die zuständigen Behörden dringend auf, gegen die
                            natürliche Wasserhaushalt markant verändert. «Anfang                 «Laisser-faire»-Politik der Kantone einzuschreiten. Die Si-
                            der 1990er-Jahre waren rund 80 Prozent der Fliessge-                 tuation der Fliessgewässer unterstreicht der SFV mit ein-
                            wässer unterhalb von Wasserentnahmen zur Wasser-                     drücklichen Zahlen zur einheimischen Fischpopulation:
                            kraftnutzung das ganze Jahr oder ein Teil des Jahres                 «Von den ursprünglich einheimischen 53 Fischarten sind
                            trockengelegt», erklärt Remy Estoppey vom Dienst Rest-               bereits 8 Arten ausgestorben, 4 vom Aussterben bedroht
                            wasser beim BUWAL. Das Bundesamt für Wasser und                      und 30 Arten sind stark bis potenziell gefährdet.»
                            Geologie (BWG) spricht von 4000 bis 5000 Kilometern
                            Fliessgewässer (7% Prozent)1, die durch die Wasserkraft-             «Es dauert noch Jahrzehnte, bis das
                                                                                                                 Leben in alle Gewässer zurückkehrt.»
                       1 Berücksichtigt sind nur Kraftwerke mit mehr als 300 kW Leistung! Unklar ist auch, in-
                         wieweit die Beeinflussung der Fliessgewässer durch Schwall und Sunk berücksichtigt
                                                                                                                 «Bei neuen Kraftwerken und Neukonzessionierung wird
                         ist. Nicht berücksichtigt sind Beeinträchtigungen von Kraftwerken kleiner als 300 kW
                         Leistung. Nicht berücksichtigt sind zudem indirekte Auswirkungen der Wasserkraft-       das Gewässerschutzgesetz heute umgesetzt. Seit 1992
                         nutzung (z.B. das Fehlen von Fischarten in vielen Gewässerstrecken aufgrund von         sind entsprechend dem Volkswillen ungefähr 60 Fliess-
                         Wanderungshindernissen). Auskunft Remy Estoppey, Dienst Restwasser BUWAL.               gewässer saniert worden», erklärt Restwasser-Experte

                       8   ENERGIE & UMWELT         4/04
Remy Estoppey vom BUWAL. «Dort fliessen jetzt ange-         Das Gewässerschutzgesetz (GSchG)
messene Restwassermengen, und die Situation hat sich        Das Gesetz soll unsere Gewässer als natürliche Lebensräume für Fische, Tie-
verbessert.» Anders sieht es bei bestehenden Wasser-        re und Pflanzen sowie als vielfältige Landschaften und als Erholungsraum für
kraftwerken aus, deren Konzessionen noch jahrzehnte-        die Menschen erhalten. Das Gesetz ist ein gutschweizerischer Kompromiss
lang gültig sind. Diese müssen grundsätzlich nur Sa-        zwischen Gewässerschutz und den Interessen der Stromproduzenten. Die
nierungsmassnahmen realisieren, die den Kraftwerkin-        Kantone haben den Auftrag, das Gesetz zu vollziehen.
habern wirtschaftlich zumutbar sind (siehe nebenan).        • Die im Gesetz festgelegten Restwassermengen (Art. 31–33) gelten für
Remy Estoppey dazu: «Die Frist für die Umsetzung der        a) neue Wasserentnahmen und b) bei Konzessionserneuerungen. Die Kanto-
Sanierungsmassnahmen bei Kraftwerken mit laufenden          ne können die Restwassermengen in begründeten Ausnahmefällen auch tie-
Konzessionen dauert bis Ende 2012. Ein vollständiger        fer ansetzen (Art. 32).
                                                            • Für Wasserkraftwerke mit bestehender Konzession gelten Sanierungsbe-
Überblick über bisher durchgeführte Sanierungen ist
                                                            stimmungen (Art. 80 GSchG). In der Regel sind solche Konzessionen 80 Jah-
daher nicht möglich. In vielen Kantonen sind die ent-
                                                            re gültig. Es werden deshalb noch Jahrzehnte verstreichen, bis für alle Was-
sprechenden Arbeiten im Gang, und mehrere Kantone
                                                            serkraftwerke die neuen Restwassermengen gelten.
haben bereits Sanierungen verfügt und umgesetzt.»
                                                            • Bei Wasserkraftwerken mit laufender Konzession müssen grundsätzlich le-
Doch er muss zugestehen: «Es wird noch Jahrzehnte
                                                            diglich die ökologischen Bedingungen verbessert werden, soweit dies für die
dauern, bis alle Konzessionen erneuert sind und dem-        Kraftwerkinhaber wirtschaftlich tragbar ist (Art. 80, Abs. 1). Die Wasser-
entsprechend das Leben in alle Gewässer zurückkehrt.»       kraftwerkinhaber erhalten dafür keine Entschädigung.
                                                            • Gehören Gewässer zu Lebensräumen nationaler oder kantonaler Inventare
Massiver Druck auf Restwassermengen                         oder besteht ein anderes überwiegendes Interesse, so können weitere Sanie-
                                                            rungsmassnahmen und höhere Restwassermengen verlangt werden. Die
Unter dem Deckmantel von Umweltschutz und Klima-            Kraftwerkinhaber werden hierfür entschädigt (Art. 80 Abs. 2).
politik erfolgt derzeit massiver Druck auf die Restwas-     • Für den Vollzug der Sanierungsbestimmungen sind die Kantone zuständig.
sermengen und die Sanierungsbestimmungen des Ge-            Die Sanierungsmassnahmen müssen bis Ende 2012 abgeschlossen sein.
wässerschutzes. Am 7. Oktober 2004 hiess der Natio-
nalrat eine Motion von Christian Speck (SVP) gut, die       «naturmade star!» garantiert angemessene
tiefere Restwassermengen verlangt. Gleichzeitig lehnte      Restwassermengen
der Nationalrat Vorstösse zum Schutz gefährdeter                                         Fast alle Schweizer Wasserkraftwerke können
Wildtiere und zur Renaturierung von Skipisten ab.                                        – auch ohne ökologische Sanierungsmassnah-
(Dies zur politischen Stimmung im Land...). Speck ist                                    men – das Label «naturemade basic» erhalten.
eng mit der Strombranche verbandelt. Er sitzt unter         Jedoch nur Wasserkraft mit dem Gütesiegel «naturemade star!» ist wirklich
anderem im Verwaltungsrat der Stromriesen Axpo und          Ökostrom und genügt den Anforderungen des Gewässer-, Natur- und Land-
NOK sowie der Kernkraftwerke Gösgen und Leibstadt.          schaftschutzes. Nur ein kleiner Prozentsatz der Wasserkraftwerke und der
Schon im März 2003 wollte der Walliser CVP-Stände-          Fliessgewässer ist diesen Richtlinien entsprechend saniert.
rat Simon Epiney mit einer parlamentarischen Initiative     (BUWAL-Magazin Umwelt, Nr. 3/2001)
die geltenden Mindestrestwassermengen kurzum zu
Maximalwerten umdefinieren, zusätzlich strebte er ei-
ne markante Abschwächung der Sanierungsbestim-             dass versucht wird, die Sanierungsbestimmungen für
mungen an. Epiney ist Präsident der Walliser Sektion       (Fliess-)Gewässer markant abzuschwächen, da es diese
«Aqua Nostra», die sich als Gegengewicht zu den Um-        bis 2012 von den Kantonen umzusetzen gilt.
weltorganisationen Pro Natura und WWF versteht. Er         Der Bundesrat hält derzeit (noch?) an den minimalen
gilt als politischer Kämpfer der an Wasserkraft reichen    Restwassermengen fest: «Die Mindestrestwassermengen
Bergkantone, und auch er steht als Verwaltungsrat der      stellen gewissermassen das Existenzminimum für die
Sierre-Energie SA der Strombranche nahe.                   Wasserlebewelt dar. Bei einer weiteren Verringerung die-
Epineys Initiative gelangte den politischen Spielregeln    ser Mindestrestwassermengen könnten die meisten der
entsprechend in die zuständige Kommission für Umwelt,      betroffenen Gewässer ihre biologische Gewässerfunktion
Raumplanung und Energie des Ständerats (UREK-S).           nicht mehr erfüllen.» Auch das zuständige BUWAL
Die fast durchwegs ebenfalls mit der Strombranche ver-     spricht Klartext: «Die in letzter Zeit vor allem aus Kreisen
bandelte UREK-S erarbeitete einen Gegenvorschlag,          der Elektrizitätswirtschaft geäusserte Forderung, die Rest-
worauf Epiney seine Initiative zurückzog. Die UREK-S       wasserregelung aus klimapoitischen Gründen aufzuhe-
fordert in ihrer Kommissionsinitiative nun unmissver-      ben oder abzuschwächen, gründet auf falschen Prämis-
ständlich eine «Flexibilisierung der Ausnahmen für Rest-   sen. [..] Die Restwassermengen sind heute so geregelt,
wassermengen» und «Massnahmen zur Verbesserung             dass die ökologische Funktion der Gewässer gerade noch
der wirtschaftlichen Nutzung der Wasserkraft». Bis Reda-   gewährleistet werden kann. Noch weniger Wasser durch
ktionsschluss war leider inhaltlich nichts Näheres zum     die betroffenen Bäche und Flüsse fliessen zu lassen, wäre
Gegenvorschlag der UREK-S zu erfahren. Die Forderun-       fatal. Der gewässerökologische Verlust stünde in keinem
gen der UREK-S legen aber nahe, dass es nicht eigentlich   Verhältnis zur Verminderung der CO2-Emissionen.»3
um klimapolitische Anliegen (CO2-Einsparungen), son-
dern um die Interessen der Wasserkraftwerkinhaber, um
                                                           1 Aquaterra, 1/2003, Kundenzeitschrift des Bundesamtes für Wasser und Geologie.
eine Ausweitung der Stromproduktion aus Wasserkraft        2 Antwort des Bundesrates vom 16.6.03 auf die Interpellation von Franziska Teuscher
und damit verbunden ums saftige Geschäft mit dem Ex-         «Erfüllen die Restwassermengen ihren Zweck?»
port von Wasserkraftstrom geht. Nahe liegend ist auch,     3 BUWAL-Magazin Umwelt, Nr. 3/2004, S. 13.

                                                                                                              4/04   ENERGIE & UMWELT            9
Revitalisierung stillgelegter Kleinwasserkraftwerke

Das vergessene Potenzial der Kleinwasser-
kraftwerke
Im Kleinwasserkraftwerksbereich besteht in der Schweiz ein ungenutztes Potential. In den ver-
gangenen Jahrzehnten wurden Hunderte Kleinwasserkraftwerke stillgelegt. Die Stiftung revita,
ein Kompetenzzentrum des Ökozentrums Langenbruck, führt u. a. Revitalisierungsmassnahmen
von Kleinwasserkraftwerken durch. Eine weitere Aktivität von revita sind Energieoptimierungs-
analysen von Wasserversorgungen in Gemeinden. Nicht selten ergibt sich aus diesen Analysen
die Möglichkeit, neue Kleinstwasserkraftanlagen zu installieren, so genannte Trinkwasserkraft-
werke.

                                 Im vorletzten Jahrhundert wurden In-                 max. 300 kW, so genannte Kleinstwasserkraftwerke. Da-
                                 dustrie und Gewerbe in der Schweiz                   bei geht es um die Ausnützung des Energiepotenzials
                                 durch Tausende von Kleinwasserkraft-                 aus bestehenden, jedoch nicht mehr benützten Infra-
                                 werken versorgt. Noch 1914 waren in                  strukturen. In enger Zusammenarbeit mit Anlagebesit-
                                 den Wasserrechtsregistern der Schweiz                zern werden diese KWKWs wieder funktionstüchtig ge-
                                 rund 7'000 Anlagen bis 10 Megawatt                   macht. Nicht selten handelt es sich um Projekte von his-
                                 Leistung registriert. Kleinwasserkraft-              torischem Wert, wie zum Beispiel die am Altbach lie-
                                 werke waren in der Schweiz früher al-                gende Mühle in Wittnau, welche früher für die
          Von Bernhard Piller,   so noch in grosser Anzahl vorhanden.                 Mehlproduktion genutzt wurde und seit einigen Jahren
Mitglied SES-Geschäftsleitung    1985 produzierten hingegen nur noch                  stillsteht. Es sind schätzungsweise noch 500 Anlagen im
                                 zirka 1'000 dieser Kraftwerke Strom,                 Bereich von Mühlen, Sägereien und Spinnereien vor-
                                 wovon 700 Anlagen im Kleinstbereich                  handen und in einem Zustand, der eine Revitalisierung
              mit einer Leistung bis 300 kW. Das 20. Jahrhundert war                  erlaubt. Gemäss Angaben von Herrn Peter Spescha, ver-
              im Stromsektor durch ein Kleinwasserkraftsterben ge-                    antwortlich für Öffentlichkeitsarbeit bei der Stiftung re-
              prägt. Mit dem flächendeckenden Ausbau des Strom-                       vita, ist im Durchschnitt mit Investitionen von CHF
              netzes, der Monopolisierung der Strommärkte, mit billi-                 5'000.– pro kW Leistung zu rechnen. Der volkswirt-
              ger fossiler Energie und dem Glauben an die zentrale                    schaftliche Nutzen solcher Anlagen liegt bei ca. 5 Rap-
              Stromproduktion mittels AKWs und anderen Grosskraft-                    pen pro kW Leistung. In vielen Fällen lassen diese Klein-
              werken, wurden die Bedingungen zunehmend widriger.                      wasserkraftwerke eine Ökostromzertifizierung mit dem
              Die dezentral produzierte Energie, aus Anlagen mit ei-                  Label «naturemade star» zu. So wurden zum Beispiel die
              ner Generatorenleistung unter zehn Megawatt, galt                       Wespi-Mühle, Winterthur, und KWKW Hard AG in Win-
              lange Zeit als nicht lohnenswert, unrentabel und als et-                terthur durch die Stiftung revita zertifiziert. Und: jede
              was aus einer vergangenen Zeit. Erst 1990, mit der Ein-                 kWh aus Laufwasserkraftwerken erspart dem europä-
              führung des Energieartikels und in der Folge davon mit                  ischen Strommix rund 0,4 Kilogramm CO2.
              dem Programm «Energie 2000» konnte der Schrump-
              fungsprozess gestoppt werden. Im Zeitraum 1985–1997                     Energiesparpotenzial in unseren
              wurde immerhin ein Produktionswachstum von 9% im                        Wasserversorgungen
              Kleinwasserkraftbereich registriert.1 Heute ist aber
              wiederum eine Stagnation zu konstatieren. Immer noch                    Die Stiftung revita führt auch energetische Grob- und
              sind jährlich Stilllegungen von Kleinwasserkraftwerken                  Feinanalysen von Wasserversorgungen für Gemeinden
              festzustellen. Manch ein Erweiterungs- und Optimie-                     durch. Die Grobanalyse gibt mit einem kleinen Investi-
              rungspotenzial liegt brach, und die meisten potenziellen                tionsaufwand einen Überblick über die energetische
              Revitalisierungsprojekte bleiben unausgeführt.                          Situation der Wasserversorgung einer Gemeinde. Die
                                                                                      Feinanalyse hingegen zeigt im Detail die realisierbaren
             Revitalisierung von Kleinwasserkraftwerken                               Massnahmen zur Energieoptimierung auf und weist
                                                                                      deren Wirtschaftlichkeit aus. Daneben zeigt eine Fein-
             Die Stiftung revita revitalisiert ausser Betrieb gesetzte                analyse auch das vorhandene Potenzial der Quell- bzw.
             Kleinwasserkraftwerke bis zu einer Nennleistung von                      Trinkwasserturbinierung. Technisch stellt eine solche

             1 Studie «Zuwachs 1985 bis 1997».
             2 Hierbei sind sowohl Kleinwasserkraftwerke wie auch grosse Flusslaufwasserkraftwerke gemeint. Nicht aber Pumpspeicherkraftwerke, welche in
               keinem Fall CO2-neutral sind, vgl. Artikel zur Pumpspeicherung von Armin Braunwalder in diesem Heft.

10   ENERGIE & UMWELT     4/04
Von der Stiftung revita renaturiertes Kleinwasserkaftwerk Wespi-Mühle,
                                               Winterthur, Wülflingen – «Naturmade star!»-zertifiziert.

Turbinierung in den meisten Fällen kein Problem dar.
                                                              Weitere Infos
Auf diese Weise kann sekundär gleich noch die Pro-
duktion aus erneuerbaren Energien gefördert werden.           revita
Energetische Feinanalysen in 10 Wasserversorgungen            Die im Jahr 2000 gegründete Stiftung revita, mit Sitz in Langen-
haben ein Einsparungspotenzial beim Energieverbrauch          bruck, ist ein Kompetenzzentrum, das sich ganz der nachhal-
von 20%–50% ergeben. Besteht die Möglichkeit der              tigen Nutzung des Wassers verschrieben hat. Die Stiftung will
Stromproduktion, steigt das Sparpotenzial auf                 durch die Revitalisierung stillgelegter Kleinwasserkraftwerke
                                                              erneuerbare Energie produzieren. Mit der Analysierung von
50%–100%.
                                                              Wasserversorgungen wird deren Energie- und Wasserver-
                                                              brauch vermindert und zugleich Ökostrom produziert. Die Stif-
Obersiggenthal und Welschenrohr
                                                              tung revita ist auch an verschiedenen Forschungsprojekten
                                                              beteiligt. Weitere Informationen unter: www.revita.ch
Eine Grobanalyse der Wasserversorgung der Gemeinde
Obersiggenthal ergab ein Einsparpotenzial von 25% des         ADEV
Strombedarfs. Die Massnahmen lassen sich in der Regel         Die ADEV Wasserkraftwerk AG betreibt heute drei Kleinwas-
ohne grosse Investitionen umsetzen. Sie betreffen z.B.        serkraftwerke. Ein Werk (350 kW) an der Birs in Laufen (350
die Reduktion der Wassermenge in öffentlichen Brun-           kW), eins an der Sihl in Langnau am Albis (150 kW) und das
nen oder einen Massnahmenkatalog zum baulichen und            grösste und neuste am Emmekanal in Luterbach (820 kW).
                                                              Alle Kraftwerke zusammen produzieren jährlich zirka 7'500
infrastrukturellen Einsparpotenzial im Bereich Heizung
                                                              MWh elektrische Energie. Die ADEV Wasserkraftwerk AG ist
und Entfeuchtung. Empfohlen wird auch der gezielte
                                                              interessiert, weitere Kleinwasserkraftwerke zu erneuern oder
Einsatz der Pumpen in Niedertarifzeiten, eine optimier-
                                                              bestehende Kleinwasserkraftwerke zu übernehmen. Die ADEV
te Abstimmung der Leitungsgrösse und eine Anpassung
                                                              Wasserkraftwerk AG ist eine Tochtergesellschaft der ADEV
der Wasserreserve. Die Feinanalyse der Wasserversor-
                                                              Energiegenossenschaft. Die ADEV befasst sich seit 1985 mit
gung in der solothurnischen Gemeinde Welschenrohr             dem Bau und dem Betrieb von dezentralen umweltverträg-
ergab ein Einsparpotenzial beim Energieverbrauch von          lichen Energieanlagen. Weitere Infos unter: www.adev.ch
16'400 kWh pro Jahr, was einem Einsparpotenzial von
mehr als einem Drittel der aktuellen Energiekosten ent-
spricht. Als weitere Massnahme wurde der Gemeinde
                                                              Definition Kleinwasserkraftwerke:
Welschenrohr empfohlen, das hohe Energiepotenzial
zur Trinkwasserturbinierung zu nutzen. Das Potenzial          Als Kleinwasserkraft gelten Laufwasserkraftwerke bis zu einer
der Turbinierungsstandorte übersteigt den Energiever-         Leistung von 10 MW installierter Leistung. Als Kleinstwasser-
brauch der Wasserversorgung Welschenroh um das                kraftwerke gelten Anlagen mit einer Leistung bis zu 300 kW.
Sechsfache. Der überschüssige Strom kann ins Netz ein-        Folgende hydraulische Energiequellen kommen in Frage:
gespiesen und als Ökostrom verkauft werden.
                                                              •   Flüsse, Bäche
Gut die Hälfte des Zuwachses im Bereich der Kleinwas-
                                                              •   Quellen
serkraftwerke geht heute auf das Konto von neuen Trink-
                                                              •   Wasserversorgungsnetze
wasserkraftwerken. In diesem Bereich schlummert noch
                                                              •   Abwasser, Brauchwasser- und Entwässerungssysteme
einiges an Potenzial. Auch im Bereich des Abwassers
                                                              •   Wehr-Dotierwasseranlagen
schlummern noch viele ungenutzte Kilowattstunden.

                                                                                                             4/04   ENERGIE & UMWELT   11
Eindrucksvolle Kundgebung

Kein Atommüll im Zürcher Weinland!
Die Menschen im Zürcher Weinland wollen keinen Atommüll unter ihrem Boden. Dies zeigten
fast 2'000 KundgebungsteilnehmerInnen auf eindrucksvolle und kreative Weise am 12. September
2004 an einer Manifestation von «Klar! Schweiz» auf dem ehemaligen (Bohr-)Platz, an dem die
Nationale Genossenschaft für die Endlagerung von radioaktiven Abfällen (Nagra) 1998/1999
Sondierbohrungen durchführte.

               Von Bernhard Piller,                          2003, als Volk und Stände den Aus-            aus Schaffhausen und die Zürcherin
               Mitglied SES-Geschäftsleitung                 stieg aus der Atomenergienutzung              Barbara Marty Kälin. Eindrücklich
                                                             höher ablehnten, als in allen vorher-         war die Rede des Eurosolar-
                                                             gehenden Abstimmungen seit den                präsidenten und Bundestagsabge-
               Gegen 2'000 DemonstrantInnen                  1970er-Jahren. Es war zu sehen, dass          ordneten Hermann Scheer. Einmal
               nahmen am 12. September 2004 an               die Anti-AKW-Bewegung noch da                 mehr zeigte er die Probleme der
               der Kundgebung von «Klar! Schweiz»            ist. Dies ist auch anhand der Tausen-         Nutzung der Atomenergie und be-
               gegen das geplante Atommülllager              den von Unterschriften für die Euro-          legte mit Zahlenvergleichen, wie
               in Benken im Zürcher Weinland teil.           päische Petition für einen Atomaus-           einfach der Ersatz der Atomenergie
               Sie kamen aus der näheren und wei-            stieg festzustellen.1                         durch erneuerbare Energie ist, wenn
               teren Umgebung. Die meisten aus                                                             nur der politische Willen endlich
               den Kantonen Zürich und Schaff-               Die Sonne zeigte ihre Kraft                   vorhanden wäre. Vor, zwischen und
               hausen, aber auch aus grenznahen                                                            nach den Redeblöcken gab es Mu-
               deutschen Gebieten. Auch Atom-                Der Sonntag begann regnerisch,                sikeinlagen von der Djembégruppe
               gegnerInnen von «Contratom» aus               schon fast herbstlich. Im Verlauf             um Mark Egg und der Augarten
               Genf und sogar AktivistInnen aus              des Mittags wurde es aber zuneh-              Blues Band.
               Frankreich waren anwesend. Es war             mend sonniger, die Regenschirme
               ein starkes Zeichen dafür, dass die           und Goretexjacken verschwanden.               Für Kantone keinerlei
               Nagra nach dem Nein am Wellen-                Elf RednerInnen aus der Schweiz,              Mitspracherecht mehr
               berg nun nicht einfach im Weinland            aus Deutschland und aus Frankreich
               durchmarschieren kann. Zu viele               sprachen an der Kundgebung und                Dass ein beträchtlicher Teil der
               Fragen stehen bei diesem Projekt in           begründeten ihre Ablehnung respek-            KundgebungsteilnehmerInnen aus
               Benken noch offen. Es war der erste           tive ihre Kritik an dem Endlager-             den grenznahen deutschen Land-
               grössere Auftritt der Anti-AKW-Be-            projekt der Nagra im Zürcher Wein-            kreisen Waldshut-Tiengen und Kon-
               wegung nach der vernichtenden                 land. Unter anderem sprachen die              stanz kamen, muss nicht allzu sehr
               Abstimmungsniederlage am 18. Mai              NationalrätInnen Hans Rudolf Fehr             verwundern, zumal radioaktive
                                                                                                                                                 Fotos: Marianne Studerus

     «Klar! Schweiz»: 2000 Menschen demonstrierten gegen Atommüll im Zürcher Weinland. Bernhard Piller erläuterte die Forderungen der SES.

12   ENERGIE & UMWELT       4/04
Strahlung keine Grenzen kennt und                 dern muss korrekterweise auch Alterna-
unseren      deutschen    NachbarInnen            tivstandorte evaluieren. Die SES begrüsst              RADIOAKTIV
keinerlei Mitspracherecht zukommt. Im             diese Forderung ausdrücklich. Ein Ent-
Extremfall wird ihnen einfach ein Atom-           sorgungsnachweis ist noch kein Stand-
                                                                                                   Jod-Tabletten für alle!
mülllager vor die Türe gesetzt, und sie           ortnachweis. Es wird Zeit, dass dies auch
haben damit zu leben. Nicht viel besser           die Nagra begreift. Die einseitige Fokus-        Die AKW-Betreiber verteilen wieder
geht es der Bevölkerung des Kantons               sierung der Nagra auf den Standort Ben-          Jod-Tabletten an alle Einwohner im Um-
Zürich. Wenn das neue Kernenergie-                ken ist inakzeptabel. Sie entspricht nicht       kreis von 20 Kilometern um unsere fünf
gesetz (KEG) am 1. Januar 2005 in Kraft           dem vorgegebenen Weg – zuerst Entsor-            «sicheren» AKW. Diese sollen die Bevöl-
                                                                                                   kerung beim Gau vor Krebs schützen.
tritt, gibt es für die Kantone bei der            gungsnachweis, dann Standortnachweis
Atommüllfrage keinerlei Mitbestim-                – und ist alles andere als vertrauensbil-
mungsrecht mehr. Was die Nidwaldne-               dend. Seit dem definitiven Nein der Nid-
rInnen am Wellenberg noch verhindern              waldnerInnen zu einem Atommülllager
konnten, werden die Menschen aus Ben-             im Wellenberg konzentriert sich die Nagra
ken, Marthalen aber auch aus Winter-              nämlich nicht nur bei den hochaktiven
thur oder Zürich nicht mehr können. Die           Abfällen, sondern auch bei den schwach-
Kompetenz für einen Standortentscheid             und mittelaktiven Abfällen ausschliesslich
wird mit dem neuen KEG ausschliesslich            auf den Standort Benken. Im Übrigen              Dies ist kein Heilmittel, lesen Sie un-
dem Bund zugeteilt. Die kantonalzürche-           dürfen die unterschiedlichen potenziellen        sere Verpackungsbeilage:
rische Volksinitiative «Atomfragen vors           Standortregionen nicht gegeneinander
Volk» wurde so lange nicht bearbeitet,            ausgespielt werden. Schon wurde Mitte            • Die nukleare Wolke macht nicht bei
                                                                                                     20 Kilometern Halt. Fliegt der Uralt-
bis sie nun keine Wirkung mehr erzeugen           November von der CVP-Fraktion im Aar-
                                                                                                     meiler Mühleberg in die Luft, wird
kann und auch gar nicht mehr darüber              gauer Grossen Rat eine Interpellation
                                                                                                     bei Westwind die gesamte Deutsch-
abgestimmt werden muss.                           eingereicht, in der die Regierung ange-
                                                                                                     schweiz mit Fallout gesegnet!
                                                  fragt wird, ob sie die Ansicht teile, dass
                                                                                                   ➤ wenn schon Tabletten, dann für Alle.
Der Entsorgungs- ist kein                         für ein Endlager nicht auf den zweit-
Standortnachweis                                  oder drittbesten Standort ausgewichen            • Tschernobyl hat in Finnland,
                                                  werden dürfe. Für die SES ist klar: Dem            Deutschland und Griechenland zu
Ende September liess sich Bundesrat               Faktor Sicherheit muss bei der Suche eines         höheren Leukämieraten geführt.
Leuenberger verlauten und sprach sich             Lagerstandortes oberste Priorität einge-         ➤ wenn schon Tabletten, dann auch
für die Suche nach einem potenziellen             räumt werden.                                      fürs umliegende Ausland.
Alternativstandort zu Benken aus. Die                                                              • Bei Tschernobyl mutiert der Weizen!
Nagra darf sich nicht ausschliesslich auf         1 Download Unterschriftenbögen auf               ➤ wenn schon Tabletten, dann auch
den Standort Benken konzentrieren, son-             www.energiestiftung.ch                           für Tiere und Pflanzen.
                                                                                                   • 70’000 Katastrophenhelfer von
                                                                                                     Tschernobyl sind invalid, 13’000 sind
                                                                                                     bereits gestorben.
 Die Position und die Forderungen der SES zur Atommülllagerung                                     ➤ wenn schon Tabletten, dann solche
                                                                                                     für den schnellen Tod und gegen das
 Atomausstieg: Der gordische Knoten in der Atommülllagerfrage ist nur über einen geordneten          langsame Verrecken.
 Rückzug aus der Atomenergie zu lösen. Es braucht zuerst eine Befristung der AKW-Betriebs-
 dauer, damit wird die Gesamtmenge der radioaktiven Abfälle festgelegt und begrenzt. Erst dann     Zurück an den Absender mit diesen
 kann an die seriöse Standortsuche für ein Atommülllager gegangen werden. Und solange die alte     id-jod-ischen Beruhigungs-Pillen !
 Atomgarde von neuen AKW faselt, kann von einer Lösung der Atommülllagerfrage sowieso keine
 Rede sein, da auf diese Weise der strahlende Atommüllberg noch grösser zu werden droht. Die       Eine-Million-Unterschriften-
 Neubauphantasien der Atomlobby gehören begraben.                                                  Kampagne: Aktiv werden!

 Lagerung im Inland: Die SES fordert die Atommülllagerung im Inland. Dem von den AKW-Be-           Anlässlich des Tschernobyl-Gedenktags
 treibern ins Auge gefassten Export von Atommüll nach Russland muss politisch von vornherein       am 26. April 2004 starteten Organisatio-
 ein Riegel geschoben werden. Wir haben ihn produziert, also müssen wir ihn auch hier entsorgen.   nen aus ganz Europa die Unterschriften-
                                                                                                   aktion «Eine Million Europäer verlangen
 Standortauswahlverfahren: Es braucht ein transparentes und demokratisches Standortaus-            den Ausstieg aus der Atomenergie».
 wahlverfahren.                                                                                    Unterschriften werden noch bis April
 Die kontrollierte und rückholbare Lagerung: Die SES fordert ein Lager nach dem Konzept der        2005 gesammelt. Die Petition will einen
 kontrollierten und rückholbaren Langzeitlagerung. Ein geologisches Lager muss so konstruiert      Baustopp für Atomkraftwerke und ver-
 sein, dass es dauerhaft und umfassend überwacht werden kann und die radioaktiven Abfälle          langt von den EU-Staaten, so schnell
 nötigenfalls zurückgeholt werden können.                                                          wie möglich aus der Atomenergie aus-
                                                                                                   zusteigen. Stattdessen wird ein umfas-
 Second Team: Die Untersuchungen der Nagra müssen von mindestens einer zweiten, unab-
                                                                                                   sendes Investitionsprogramm für Ener-
 hängigen ExpertInnengruppe, einem «second team», mit allen dazu erforderlichen, erdwissen-
                                                                                                   gieeffizienz und erneuerbare Energien
 schaftlichen Mitteln nachvollzogen werden können. Erst wenn das «second team» zum gleichen
                                                                                                   gefordert. Zu unterschreiben ist die Peti-
 Ergebnis gelangt, könnten die geologischen Untersuchungen der Nagra an einem potenziellen
                                                                                                   tion unter www.atomstop.com/1million/
 Standort als gesichert anerkannt werden.

                                                                                                             4/04   ENERGIE & UMWELT            13
Michael Kaufmann, neuer Leiter EnergieSchweiz, Vizedirektor Bundesamt für Energie

«Glaube nicht, dass die Wirtschaft derart klar
für den Klimarappen ist»
BFE-Vizedirektor Michael Kaufmann war zu Gast an der dritten SES-Beiratssitzung, um auf-
zuzeigen, wohin EnergieSchweiz steuert. «Energie & Umwelt» konnte mit dem neuen Leiter von
EnergieSchweiz vorab über Prioritäten, Budgetkürzung, CO2-Abgabe und Klimarappen sowie
die Erreichbarkeit der energiepolitischen Ziele sprechen.

                                                       Zur Person
                                                       Der 50-jährige Berner Michael Kaufmann ist seit dem 15. August 2004 neuer Vize-
                                                       direktor des Bundesamtes für Energie (BFE) und Leiter des Aktionsprogramms Energie-
                                                       Schweiz. Michael Kaufmann studierte Agronomie an der ETH Zürich, war danach Se-
                                                       kretär der SP Kanton Bern sowie Stadt Bern und Chefredaktor der sozialdemokrati-
                                                       schen Tageszeitung «Tagwacht». Als Berater, Publizist und Politiker (seit 1992 im
                                                       Berner Grossen Rat) wirkte er in den Bereichen Umwelt-/Agrarpolitik und befasste
                                                       sich mit Boden-, Raumplanungs-, Energie- und Wirtschaftsfragen. Während der letz-
                                                       ten vier Jahre arbeitete er als externer Berater für EnergieSchweiz.

                                                                «Wir gehen mit Energie viel zu verschwenderisch um.
                                                             Das meine ich nicht nur in Bezug auf die Umweltschäden,
                                                               sondern auch auf unsere ökonomische Ausgangslage.»

                                                                                                  senken. Zudem braucht es weitere
                                                      E&U: Gleiche Ziele, weniger Geld:           Massnahmen, wie beispielsweise ei-
                                                      Wo liegen zukünftig die Schwer-             ne Verbesserung und Verschärfung
                                                      punkte von EnergieSchweiz?                  der Energieetikette für Fahrzeuge
                                                                                                  und ab 2008 bis 2010 auch die Ein-
                                                      Kaufmann: «EnergieSchweiz geht ab           führung eines Bonus/Malus-Sys-
                                                      2006 in die zweite Halbzeit. Wir            tems, welches die KäuferInnen von
                                                      wollen unseren klima- und energie-          energieeffizienten Fahrzeugen di-
            Interview von Rafael Brand,               politischen Auftrag weiter konkreti-        rekt belohnt. Hinzu kommt die För-
            Redaktor «Energie & Umwelt»               sieren – und vor allem erreichen!           derung nicht-fossiler Treibstoffe
                                                      Wir müssen aber angesichts der              und die Gründung der neuen
                                                      Budgetkürzung Prioritäten setzen            Partneragentur «Ecocar».
            E&U: Welches ist Ihre persönliche Mo-     und die finanziellen Mittel konzen-         • Unsere dritte Priorität liegt bei
            tivation, sich für Energieeffizienz und   trierter einsetzen. In Zukunft setzen       den erneuerbaren Energien, die ja
            erneuerbare Energie einzusetzen?          wir unsere Prioritäten auf die vier         gerade angesichts der steigenden
                                                      Bereiche Gebäude, Verkehr/Mobilität,        Erdölpreise zusehends ins Zentrum
            Michael Kaufmann: «Die Energiefra-        erneuerbare Energien und Energie-           rücken. Hier liegt ein Riesenpotenzial
            ge ist eine entscheidende Frage. Ich      effizienz:                                  – vielleicht nicht gleich heute oder
            bin der Auffassung, dass wir mit          • Im Gebäudebereich wollen wir              morgen, aber in den nächsten 20
            Energie viel zu verschwenderisch          vor allem bei Erneuerungen und Sa-          bis 30 Jahren. Wir haben aber heu-
            umgehen. Das meine ich nicht nur          nierungen Schwerpunkte setzen.              te schon erneuerbare Energien wie
            in Bezug auf die Umweltschäden,           Dort liegt das grösste Sparpotenzial.       Holz, Biogas, Umgebungswärme
            sondern auch auf unsere ökonomi-          Bei Neubauten ist schon vieles er-          oder Wind, die rasch an Bedeutung
            sche Ausgangslage. Fossile Energien       reicht worden.                              gewinnen, andere werden später si-
            werden in Zukunft sehr viel teurer        • Im Bereich Verkehr/Mobilität              cherlich wichtig. Und sicher wollen
            werden. Es ist deshalb eine logische      werden wir uns noch stärker auf             wir die Wasserkraft halten oder
            Konsequenz, dass wir effizienter, in-     energieeffiziente Mobilität konzen-         leicht ausbauen.
            telligenter und weniger verschwen-        trieren, d.h. es gilt den Durchschnitts-    • Den vierten Schwerpunkt setzen
            derisch mit Energie umgehen.»             verbrauch der Fahrzeuge weiter zu           wir bei der Energieeffizienz: Dazu

14   ENERGIE & UMWELT   4/04
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